Freitag, 30. Dezember 2011

Holland 2

So, zum zweiten Mal aus Scheveningen, auch heute wieder ohne Punkte und zu den Themen
3.) warum ich in Holland nicht kiffe
und 4.) warum ich Niederlaendisch gelernt habe,
also um die Themen Sprache und Kiffen, wobei hier kein Zusammenhang vorliegt, auch wenn mein Studienkollege F. (Name der Redaktion bekannt - es gibt ihn wirklich) neulich in der Raucherpause der Psycholinguistikvorlesung einen herrlichen spontanen Kurzessay zu diesem Thema vortrug; es war davor um "language as joined activity" gegangen, beim Hoeren kann man das ja missverstehen...
also zu 3.) Das geht gar nicht mehr wirklich, die Niederlaender haben den Kiffertourismus eingeschraenkt. Ich habe aber nie in Holland gekifft, weil ich das bloed fand. Warum soll man im Urlaub etwas machen, das man zuhause nicht macht? Zudem war es ja gemeinerweise so, dass man ein wenig pikiert auf die "Drogennation" Holland herabblickte, wo angeblich auch die Beatrix morgens um 10.00 mit einer fetten Tuete im Mund am Schreibttisch Platz nahm und schnell den Ministerpraesidenten anrief, bevor der so high wurde, dass er nichts mehr verstanden haette. Dabei waren die meisten Coffeshops in Amsterdam, Arnhem und Groningen, also grenznah, in Den Haag gab es ganz wenige, die in den genannten Staedten waren voll mit Touristen. Man schickte seine Kiffer nach Holland, und sah dann milde auf das ach so tolerante Nachbarland. Die gleiche Mentalitaet haben Leute, die keinen Fernseher haben, weil sie ja so geistig sind und ihre Kinder dann zum Nachbarn schicken, der, schlichter im Gemuet, einen Fernsher hat. Oder jemand, der aus oekologischen Gruenden kein Auto besitzt und sich von seinen Kumpels (Umweltschweine mit PKW) kutschieren laesst. Es ist schlicht und einfach Heuchelei, fies und scheinheilig.
zu 4.) Ich habe Niederlaendisch gelernt, weil ich der Meinung bin, wenn man so oft in einem Land ist, sollte man auch die Sprache koennen. Ich halte das schlicht und einfach fuer normal und kann Leute nicht verstehen, die auch nach acht Reisen nach Mallorca immer noch gracias und  por favor nicht unterscheiden koennen, weil "man spricht Deutsch". Hier uebrigens auch, alle Hollaender sprechen ein gutes Deutsch und ein hervorragendes Englisch und freuen sich tierisch, wenn jemand ihre Sprache lernt.
Ich glaube, das Erlernen fremder Sprachen wuerde die Integration vor allem in Deutschland foerdern, denn wer sich gerade mit den Vergangenheitsformen im Portugiesischen abmueht, versteht vielleicht ein kleines bisschen, warum Mehmet schon wieder den Artikel weggelassen hat. Wer sich mit den Stammformen im Daenischen plagt, ist eventuell ein wenig milder zu ShinLu, die schon wieder ein starkes Verb falsch konjugiert hat. Man kann nur begreifen, wie schwer es Menschen mit dem Deutschen haben, wenn man selber wieder auf die Stufe "Ik ben Rolf - wie bent je?" heruntersteigt.
Es wuerde aber auch umgekehrt das Erstaunen mildern, dass jemand sehr gut Deutsch kann, obwohl er Ali oder sie Fatma heisst. Letzte Woche wurde eine Publizistin, die zwar tuerkische Eltern hat, aber in Berlin aufwuchs, in einer Podiumsrunde in SWR2 vom Moderator auf ihre Deutschkenntnisse angesprochen. Sie konterte wunderbar: "Sie sprechen aber auch gut Deutsch!" Tosender Applaus, viel Gelaechter im Publikum und die Zusage des Moderators, sich seine Fragen besser zu ueberlegen.

In diesem Sinne: Fijne Jaarwisseling! En gelukkige 2012!

Dienstag, 27. Dezember 2011

Holland 1

Ja, ich bin wieder in meinem geliebten Den Haag. Und ich moechte die Gelegenheiten nutzen, ein paar der duemmsten Bemerkungen bzw. der duemmsten Fragen, die stets gestellt werden, zu beantworten. (Sie sehen uebrigens an den fehlenden Umlauten, dass ich wirklich in Holland bin. Es gibt zwar Sonderzeichen, aber der Post bekommt so etwas Echtes.)
1.) Warum Den Haag? Es gibt schoenere Staedte.
Ich habe mich vor 15 Jahren in diese Stadt verliebt. Und seitdem fahre ich her. Vielleicht macht Liebe blind, und wahrscheinlich tut sie das auch, aber man muss sich auch die Frage gefallen lassen, was schoen eigentlich heisst. Wenn damit eine Bilderbuch-Holland-Gemeinde gemeint ist, mit Grachten, verwinkelten Haeusern, einem Grossen Markt, auf dem der Kaese auf dem Kopfsteinplaster rollt, einem schnuckeligen Hafen und - ach, natuerlich! - einer Windmuehle, dann ist Den Haag sicher nicht schoen. Aber dann ist auch Basel eine schreckliche Stadt, fehlt ihr doch alles, was die Schweiz ausmacht, Alphoerner und Ziegenherden, Holzhaeuser und Blick auf schneeweisse Berge. Aber lassen wir diese Ich-bin-ja-so-typisch-Orte doch den Japanern. Den Haag ist ein spannungsvoller Ort, ein spannender Ort, die Reichweite geht von den Fischern in Scheveningen in Tracht bis zu den Diplomaten im Anzug. Und das ist sehr reizvoll. Und Den Haag liegt am Meer, es gibt nichts Herrlicheres als im Winter am Meer zu laufen. Heute bin ich zwei Stunden am Strand gewandert, bis ich am Ziel war, habe dort Kaffee getrunken (Ich bin ja Kaffeetrinker) und den Herren am Nachbartisch zugehoert, die zwar dramatisch, aber keine Dichter waren. (Bernhard-Kenner wissen, wo ich war, die anderen erfahren es unter 2.)
2.)  Kennst du Amsterdam?
Es ist schon ziemlich bloed, anzunehmen, dass ich nach Den Haag fahre, weil ich nur das kenne und hier in meiner Ferienwohnung sitze. Ich bin zum dreissigsten Mal in Holland und kenne natuerlich Amsterdam. Ich kenne auch Utrecht und Rotterdam, sowie viele Gemeinden, von denen Sie noch nie gehoert haben: Alphen, Vlaardingen, Vlissingen, Zoetermeer und Breda. Und Katwijk, das Sie von "Am Ziel" kennen. (s.1.) In allen Staedten suche ich aber inzwischen das Eigene, das Untypische, ich habe genuegend Grosse Kirchen vor Wasseradern gesehen, als dass ich jedesmal vor Jubel aufschreie. Das, was nicht so wirkt wie im Bilderbuch, ist das Reizvolle. In 2 Punkten luegen die Bildersammlungen eh: Es gibt in den Staedten keine Tulpen (auch nicht in Amsterdam!), die wachsen auf Feldern. Und die Hollaenderinnen und Hollaender tragen keine Holzschuhe, die sind naemlich unpraktisch, wenn man CEO ist und auch sonst, sorry.
Am Freitag beantworte ich die Fragen:
3.) Gehst du kiffen in Holland?
und 4.) Warum hast du Niederlaendisch gelernt, die koennen doch Deutsch?
In diesem Sinne: Nog fijne Kerstvakanties en tot ziens!

Freitag, 23. Dezember 2011

Mitnehmsel

Sie haben immer noch nicht alle Geschenke? Dann wird es aber Zeit. Ach, sie wissen noch gar nicht, was Sie wem schenken? Na, dann viel Vergnügen. Sie werden heute durch die Stadt rasen, mit wilden Haaren und irrem Blick und Unsummen für Parfüm, Bücher, CDs, Taschentücher, Kerzen und weiteren Nonsens ausgeben. Denn was schenkt man Leuten, die schon alles haben? Ich habe eine Idee für Sie:
Vor drei Jahren war ich bei einer wunderbaren Feier eingeladen. Dabei durfte niemand etwas mitbringen, sondern jede Gästin und jeder Gast musste einen Gegenstand mitnehmen. Wer doch so unvorsichtig war, ein Geschenk zu präsentieren, musste zwei Sachen einpacken. Es gab also zwei Tische, einer, auf dem die herrlichsten Speisen angerichtet waren, und ein anderer, auf dem Bücher, farbige Schals, CDs, und Keramik lag. Alles die schönsten Dinge, aber eben Dinge, die die Gastgeberin nicht mehr brauchte. Jede und jeder fand etwas.
Das ist doch das Weihnachten der Zukunft: Sie schenken nichts mehr, sie nehmen mit. Das "Mitbringsel" wird durch das "Mitnehmsel" ersetzt. Der Beschenkte wird zum Entrümpelten, der Schenker wird zum Entsorger. Denn was für mich keinen Sinn mehr macht, kann ja für andere das Tollste der Welt sein. Möchten Sie den "Mann ohne Eigenschaften" lesen? Bedienen Sie sich bei mir! (Ich habe inzwischen kapituliert.) Brauchen Sie einen Seidenpyjama? Bitte sehr, ich schlafe in der Unterhose. Brauchen Sie ein Metronom? Ich habe komischerweise drei, und ich führe ganz selten Stücke für mehrere Taktgeber auf.
Ebenso können Sie alle Rilling-Aufnahmen und die 20 Bände der Lettischen Kulturgeschichte mitnehmen, Sie können dann in das Riesenpaket noch die Bücher von Herta Müller dazupacken und ich bin fast restlos glücklich. Wenn dann noch die NARNIA-Filme verschwinden und alle Klavierauszüge von Werner Egk, bin ich im siebten Himmel.
Also, heute zuhause bleiben und sich selbst etwas schenken: Statt Raserei mit wirren Haaren und irrem Blick sollten Sie heute einen dreistündigen Mittagsschlaf machen und davor zwei Stunden Schaumbad einlegen. Es gibt nichts Schöneres.

Dienstag, 20. Dezember 2011

Schnee

Nun ist der Schnee doch nicht liegen geblieben, und ich wollte doch heute über Schnee schreiben, wollte in dieses Thema so quasi hineinschneien, wollte über den Schnee von heute schreiben, nicht über den von gestern, aber nun ist er schon wieder weg. Schnee ist so ein schönes Thema, man kommt zum Beispiel von Schnee zu weiss, weiss als schöne, reine Farbe, ich hätte so gerne über die weisse Weste von C.W. geschrieben, die ich wirklich für ganz weiss halte, aber wer weiss, ich hätte ihn aber weissgewaschen, hätte Persil benutzt und ihm einen Persilschein ausgestellt - Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass die Henkels mit "da weiss man, was man hat" uns das WEISS nochmal ins Unterbewusstsein gemogelt haben, ich habe das bis jetzt nicht gemerkt, sehr trickreich - und so die weisse Weste verliehen.
Aber wo ist der Schnee?
Nicht der vom vergangenen Jahr, der vom laufenden Jahr, und von Schnee käme man vielleicht auf Glatteis und ich könnte sie aufs Glatteis führen, so wie wir ja auch ständig auf Glatteis geführt werden, wir sind ja keine Esel, die bekanntlich freiwillig und mutwillig aufs Glatteis gehen, nein wir werden aufs Eis geführt, und dann brechen wir ein, wie der Euro und die Finanzen und die ganzen anderen Dinge.
Aber der Schnee ist weg, und so kann ich nicht über Kälte schreiben, was ich eiskalt getan hätte und auch nicht über Schneemänner und Schneebälle, vielleicht wäre das ja noch ein Schneeballbrief geworden, bei dem sie am Ende 10000000.- bekommen hätten, wer weiss.
Der Schnee ist wieder weg, und es bleibt zu hoffen, dass er wieder kommt, dann fahre ich noch Schlitten mit Ihnen und C.W. wird das Rentier, das vor lauter Lügen eine nicht eine harte, sondern eine rote Nase bekommt und das passt ja sehr gut zu seiner weissen Weste.
Der Schnee kommt wieder und wenn dann die Flocken tanzen, weil Frau Hölle (oder war es Frau Werwolf?) ihre Betten macht, freuen wir uns alle. Nur sollte Frau Hölle mal neue Betten - auch wegen der Milben -  kaufen, denn so viele Daunen verliert ja kein anständiges Kissen.
Also freuen wir uns auf den Schnee von morgen. Ich weiss, es lässt mich nicht kalt.

Freitag, 16. Dezember 2011

Deutsche Utopien III/3

Im Kanzleramt wird die Weihnachtsrede von Angela Merkel geplant. Das Bild wird das gleiche sein wie jedes Jahr: Tannenbaum, Kerzen, goldene Kugeln und eine riesige Bücherwand, die Intellektualität ausstrahlt. Für die Worte aber hat man eine besondere Idee, angeregt durch den Papst wird Merkel nur Frohe Weihnachten wünschen, aber dies in allen in Deutschland gesprochenen Sprachen. Nun sind die Sprachforscher am Zug, welches sind denn diese Sprachen, sind Rujuk und Eyak nicht ausgestorben, ist das Rutlische nicht eher ein Dialekt und gibt es noch Eloten bei uns? Faxe werden verschickt, Telefone bedient und die E-Mail-Eingänge laufen voll. Dann die Entwarnung, Rujuk und Eyak ausgestorben, das Rutlische ist ein Dialekt und Eloten haben in Deutschland noch nie gelebt.
Dennoch beschränkt man sich auf die Sprachen, die von grösseren Bevölkerungsgruppen benutzt werden, so ab 100.000 Menschen, auch das schon genug, um 15 Minuten vor Baum, Lametta, den Kugeln und der intellektuellen Bücherwand zu füllen.
Probleme tauchen auf, als sich der türkische Botschafter meldet, er habe gehört, dass auch Kurdisch gesprochen würde, das sei ein Kniefall vor der PKK und das Kurdische sei keine Staatssprache. Die Antwort, von Staatssprachen sei nie die Rede gewesen und nicht alle in Deutschland lebenden Kurden seien Terroristen, zieht nicht, schon sehnt man sich nach dem unverfänglichen, weil ausgestorbenen Rujuk, nach Rutlisch und der Sprache der Eloten, dicke Luft unter dem Tannenbaum, zwischen Kugeln und Lametta.
Dann der Belgier, der auch eine Botschaft in Flämisch fordert, dem Flämischen, das dem Holländischen so ähnlich ist, dass Merkel nie den Unterschied herausarbeiten kann, und was macht man mit Englisch und Amerikanisch, was mit Spanisch und den südamerikanischen Sprachen?
So ändert man die Pläne, Merkel wird nichts wünschen, keine frohen Weihnachten und kein gutes Neues Jahr,  sie wird schweigen, schweigen vor dem Tannenbaum, stumm vor Kugeln und Lametta, vor der riesigen Bücherwand, sie wird schweigen und lächeln, also in einer Sprache reden, die auch der Rujuk und der Eyak, der Rutler und der Elot verstehen. Hier ist nun der Weg zu einem Wortspiel so nahe, dass es gemacht werden muss, es wird an Weihnachten, vor Lametta und Büchern, Dr. Merkels gesammeltes Schweigen geben, und die Aufzeichnung wird so schön, dass auch der Papst sich ein Beispiel nehmen wird und schweigen, schweigen und lächeln vom Balkon auf dem Petersplatz.

Dienstag, 13. Dezember 2011

Start making sense


Kennen Sie die „Talking Twins“? Nein, das ist nicht die New-Wave-Band, die hiess „Talking Heads“. „Talking Twins“ ist eines der zurzeit beliebtesten Videos auf YouTube. Zwei Kleinkinder stehen in schneeweisse Pampers gehüllt in der Küche und reden, also eigentlich reden sie nicht, sie können nämlich noch nicht sprechen, aber sie „beachten bei ihrem „Dialog“ schon alle Regeln der Gesprächsführung. Offensichtlich haben sie Gestik, Mimik, Artikulation und Stimmführung bei ihren Eltern abgeschaut.
Man kann ihr Gespräch nach Prinzipien der Dialogforschung untersuchen, obwohl die Aussagen überhaupt keine Bedeutung haben:

A:          Dududududu                  senkt Stimme, gibt Sprecherrolle ab
B:          Bababababab                 
         ääää                                    will Sprecherrolle behalten
         Bababa                           senkt Stimme, gibt Sprecherrolle ab

Man kann also „Gespräch“ spielen, wenn man die Regeln beherrscht, obwohl man nichts aussagt.
Man kann auch „Konferenz“ spielen, wenn man die Regeln beherrscht, obwohl von vornherein klar ist, dass nichts heraus kommt.
Durban war eine Pamperstagung. 
Die Oberfläche stimmte: Gefüllter Tagesplan, Statements, Arbeitsgruppen, Plenum, in den Konferenzräumen Computer und Beamer, Kaffee und Mineralwasser, in den Foyers die berühmten Tafeln mit Tagungsprogramm, und so weiter.
Aber was wird eigentlich ausgesagt? Wenn in der Schlusserklärung der Wille, der feste Wille, der unabänderliche Wille bekundet wird, jetzt bis 2015 etwas zu tun, ist das lächerlich. Die Polkappen schmelzen seit 20 Jahren. Es ist, als stünden erwachsene Menschen an Mikrofonen und vor Powerpoints und machen „bababababa“. Eine Pamperstagung eben.
Übrigens hiess eines der wichtigsten Lieder der „Talking Heads“ (you remember – the Waveband) „Stop making sense“, und das hat witzigerweise auch etwas mit unseren Zwillingen und Durban zu tun.
„Start making sense!“ möchte man ihnen zurufen. Die Kinder werden das in Kürze machen, sie werden Wörter und Wortverbindungen ihren Eltern ablauschen und bald anfangen zu sprechen.
Und die Politiker? Wann wird es internationale Treffen geben, bei denen nicht nur gespielt wird?
Geplant ist 2040 ein Treffen auf der Südseeinsel Tubalokjji, aber die ist dann leider schon im Meer versunken.


Freitag, 9. Dezember 2011

Jüterbog, Fontane und der Kühlschrank

Vorletzten Sommer lernte ich in Berlin Jens Bode kennen. Jens war damals 25 und kellnerte im „Cafe Extrawurst“ in Schöneberg. Als ich beim Bestellen eine witzige Bemerkung machte, strich er sich durch seine Millimeterhaare und meinte: „Muss ich notieren“, worauf er in seinen hautengen Klamotten nach Bleistiftstummeln suchte. So kamen wir ins Gespräch. Jens hatte einen Erstling veröffentlicht, den er mir schenkte: „Mit Viola nach Jüterbog“, ein herrlich schrilles und zugleich melancholisches Roadmovie, in dem der Held mit seiner neuen Freundin eine Radtour zu seinen noch ganz ostalgisch lebenden Eltern unternimmt. Ich las das Buch noch am gleichen Abend und war hellauf begeistert. Weihnachten 2010 verschenkte ich es an alle möglichen Leute, nicht nur an Leser und Berufsleser, sondern auch an meinen Metzger, meinen Hauswart und meine Putzfrau.
Es war ein Desaster.
Meinen konservativen Freunden verherrlichte das Buch in unerträglicher Weise den Osten, meinen linken Freunden war die Einführung des Kapitalismus in den neuen Bundesländern nicht kritisch genug aufgearbeitet. Meinhard und Bernadette, beides Deutschlehrer (bzw. –in), fanden drei Kommafehler und einen falschen Kasus und meinten, der Text sei schlecht lektoriert. Horst, der gerade an seiner Dissertation über „Strukturelle Abweichungen im Roman des Realismus“ arbeitete, konnte ich beim Auspacken beobachten. Als er „Jüterbog“ im Klappentext fand, blinkte förmlich auf seiner Stirn Mark Brandenburg – Fontane – Mark Brandenburg – Fontane. „Hoffentlich hat er sich ausreichend mit den Visualisierungen bei Fontane auseinander gesetzt“, murmelte Horst, und als ich ihm sagte, Jens habe keine einzige Zeile des guten Theodor je gelesen, brüllte er: „Und da wagt der es, da traut sich dieser Kerl ein Buch zu schreiben, das in der Mark spielt? Das ist doch gar nicht erlaubt.“ Ich erwiderte süsslich, dass das BGB solches an keiner Stelle verbiete, worauf Horst beleidigt schwieg.
Im März dann sagte mir mein Metzger beim Fleischschneiden: „Weiss du, ich les ja sonst nur n KICKER und so Gratiszeitung, aber das Buch da, weiss, das du mir geschenkt has, das is geil, war so lustig, hab so gelacht.“
Na also.
Im Frühjahr fahre ich wieder nach Berlin. Jens hat mich zur Premiere seines ersten Theaterstücks eingeladen. „Kühlschrank im Wedding“. Um ihn ein bisschen auf die Kritikerklugscheisserei vorzubereiten, habe ich ihm alles zum Thema geschickt, was mir einfiel: Vom „Tod eines Handlungsreisenden“ bis zu „Gespräche mit Bosch“ von Axel Hacke. Er solle das durcharbeiten, die Literaturfuzzis würden überall Anspielungen sehen.
Gestern kam eine Mail:
Mein Kühlschrank ist der kälteste!

Dienstag, 6. Dezember 2011

Belästigung am 6.12.

Die Beschuldigten konnten keinerlei Ausweispapiere vorlegen. Auf Befragen des diensthabenden Polizisten gaben sie an, "im Schwarzwald" zu wohnen und "allen bekannt zu sein". Diese Angaben wurden von Wachmeister Müller als "absurd" zurückgewiesen. Er musste also von zwei Obdachlosen ausgehen. Diese waren, wie sie freimütig zugaben, am 6.12.2012 in die Wohnung von Beat Schlimpfli eingedrungen und hatten sie auch auf mehrere Aufforderungen hin nicht verlassen, was den Tatbestand des Hausfriedensbruches erfüllt. Ferner zwangen die beiden Gestalten Herrn Schlimpfli ein Lied vorzusingen und ein Gedicht vorzutragen. Als er das - nach massiven Drohungen - getan hatte, schütteten sie diverses Obst und Nüsse auf seinen Tisch und ertfernten den Unrat auch auf seine flehenden Bitten nicht.
Die beiden Gestalten gestanden, diese Untaten schon mehrmals an diesem Tag verübt zu haben und sie auch nächstes Jahr wiederholen zu wollen. Sie wurden in Gewahrsam genommen. Ob der Staatsanwalt Anklage erhebt, ist noch ungewiss.

So die ungefähre Wiedergabe eines Polizeiberichts. Uns stellt sich die Frage, ob die Einreisebedingungen in die Schweiz nicht wieder verschärft werden müssen, denn kann es angehen, dass Individuen aus dem nördlichen Ausland sich dermassen gegen die Gesetze vergehen?  Die Aussage der beiden, einige Leute "hätten ihre Freude gehabt" zeigt, wie verdreht diese Gesellschaft geworden ist.

Freitag, 2. Dezember 2011

Geschäftsideen

Ja, mit Geschäftsideen ist das so eine Sache...
Ich habe mit der GGG (Gesamtschweizerische Gewerkschaft der Gänse) verhandelt und der Stundenlohn für eine Gans für Füllen und Selbstbraten liegt bei stolzen 50.-, dazu kommen noch Lohnnebenkosten. Auf meine Frage, warum denn für Gänse, die ja nach der Prozedur schliesslich tot seien, noch AV, AHV und IV abgeführt werden müsse, konnte man nur antworten, diese Beträge würden immer abgeführt, ohne Ausnahme. Ob es im alten Rom auch Altersversorgung für Gladiatoren gab? Jedenfalls kommt die Ganzidee mich zu teuer.
Die Baumidee gibt es schon, einige japanische Elektronikkonzerne sind dabei, den Baum zu entwickeln, der sich selber schmückt: Greifarme fahren aus und mit Sensoren wird passender Schmuck gesucht, der Erfolg sind allerdings leere Schreibtische und Nähkästchen, bei einem Japaner fuhren die Greifer sogar Spiderman II-mässig bis ins Schlafzimmer, sein Baumschmuck wäre für das Titelbild von "Magnus" oder "Boy" passend gewesen, nicht mehr für "Schöner Wohnen". Das System ist also noch entwicklungsbedürftig.
Die Internetseiten kann man machen, es ist nur die Frage, ob Sozial- und Kommunikationsmuffel eben genau diese Seiten besuchen werden. Wer keine Karten will, will vielleicht auch nicht das Internet. Und dann müsste man das Ganze ja mit Werbung finanzieren...

Nur wo passt welche Werbung?
Ich habe am letzten Wochenende eine Fahrt nach Genova gemacht, und auf der Raststätte fiel mir auf, dass die Werbeflächen auf den Urimaten immer noch frei sind. Wahrscheinlich ist die Konnotation irgendeines Produktes mit der Tätigkeit "Wasser lassen" eben nicht sehr werbewirksam, die einzige Marke, die dort wirbt, ist Prostagut, ein Vorsteherdrüsenpräparat. Wir diskutierten dann, ob nicht auch Werbung auf Särgen Erfolg haben könnte, aber wer wirbt da? Lebensversicherungen?
Die Sache bleibt also schwierig.
Eben kam noch eine Mail von der GGG: Die Gänse bieten ein Komplettpaket an: Karten schreiben, Baum schmücken, "Stille Nacht"-Gesang, Selbstfüllung und Selbstbratung zu einem Gesamtpreis von 500.- pro Gans. Das hört sich schon besser an. Ich werde darüber nachdenken.
Und eventuell noch die Störche fragen, die können nämlich auch "O Kinderlein, kommet". (Schmecken aber nicht so gut.)

Montag, 28. November 2011

Adventsstress

Soll ich Sie neidisch machen?
Ich habe schon alle meine Weihnachtsgeschenke, meine Kekse sind gebacken und meine Adventsdekoration steht – oder hängt, ganz wie Sie wollen. Wie ich das mache? Nun, das Zauberwort heisst Effektivität, aber Genaueres darf ich nicht sagen, mein Arbeitgeber hat gerade „Effektivitätssteigerung“ (was für ein blödes Wort) auf seine Fahnen geschrieben, und wenn man laut sagt, was man wie hinbekommt, ist man so jemand wie ein Akkord-Hoch-Treiber, ausserdem kann man effektiv backen und einkaufen, aber nicht „effektiv“ mit Menschen arbeiten, und das tue ich ja.
Jedenfalls, die Hardware für Weihnachten ist vorhanden, jetzt kommt der schwierige Teil: Besinnlichkeit.
Denn das ist Üble am Dezember: Wir rödeln wie die Wölfe, da sind Jahresabschlüsse zu machen, Notenabschlüsse, an der Uni herrscht Hochbetrieb und die Arztpraxen sind voll. Vom Einzelhandel will ich gar nicht reden, da sind 2/3 des Jahresumsatzes zu erreichen, vor allem, wenn man Spielzeug oder Düfte verkauft.
Und jetzt kommen die Leute und sagen: Verkehrt! Ihr dürft keinen Stress haben, ihr müsst euch besinnen, ruhig werden, Frieden und Freude empfinden, täglich in eine Kerze stieren und meditative Musik hören. Die Klage über den Weihnachtsstress gehört seit Jahren zum Repertoire.
Nun ist es sicher richtig, dass wir ein verkehrtes Jahr haben, die Bauern des 19. Jahrhunderts rissen sich im Sommer, wenn es hell und warm war, die Beine aus, im Winter war Ruhe, das Haus lag im Schnee begraben, man hatte wenig in der Hütte zu tun, man verkroch sich ins Bett und zeugte das nächste Kind.
Bei uns ist das jetzt anders, aber da kann ich nichts dafür, ich habe halt gerade Stress, aber der wird nicht weniger, wenn man mir ständig ein schlechtes Gewissen macht.
Also hört auf mit dem Lamento: Die Adventszeit sei nicht mehr besinnlich! Ihr macht die Leute noch mehr fertig: Sie können die Dezemberhektik nicht umgehen und haben zusätzlich ein mieses Gefühl.
Aber wenn Sie wirklich ein paar Tipps für die nächsten Wochen brauchen, hier meine 5 goldenen Adressen für einen friedlichen Dezember:
1.)             Bei http://www.want-to-be-eaten-goose.com/ finden Sie Gänse, die sich selber füllen und bereitwillig in den Backofen hüpfen.
2.)             Bei http://www.intelligent-christmastree.com/ finden Sie Tannenbäume, die sich selber schmücken.
3.)             Bei http://www.no-wishes-for-me.com/ können Sie sich eintragen, wenn Sie keine Karten möchten, sie müssen dann auch keine schreiben.
4.)             Unter http://www.unperfekt-cookies.com/ finden Sie Kekse, die wie selbst gemacht aussehen.
5.)             Unter http://www.i-love-you-without-presents.com/ finden Sie Partner, die ohne Geschenke glücklich sind.

Damit eine frohe Weihnachtszeit!

Donnerstag, 24. November 2011

auf Wolke 317


Da sitzen sie nun auf Wolke 317. Am Anfang will sich keine grosse Vertrautheit einstellen, eher ein vorsichtiges Abtasten, Vorantasten, Annähern, zu unterschiedlich die Charaktere, der korrekte Preusse und der süffisante Wiener. Besser wird es erst durch einen dritten, der auch noch auf die Wolke will, der nun aber gar nicht passt, strubbeliges Haar und schlecht sitzendes Engelskostüm, er trollt sich mit den Worten „Dann gehe ich halt auf die Schmuddelwolke.“ Das finden beide nun doch witzig, lachen laut, beschliessen sogar ihn „dort unten“ einmal zu besuchen, schliesslich auch er ein Meister des Wortes. Das Eis ist nun gebrochen, Gespräche beginnen, und man hat sich auch viel zu sagen: Zunächst die Sprache überhaupt, das Wort, die Dichtung, dann auch viele gemeinsame Bekannte in Fernsehen, Radio, Presse, und schliesslich: DIE MUSIK. Hier kann man tagelang fachsimpeln, war die Neunte unter Rattle besser oder unter Barenboim, und wie steht man zu Karajan und wie zu Harnoncourt? Und dann die Oper, Verdi, Puccini, Mozart und – natürlich! – Wagner, und immerhin hat der eine ja auch schon komponiert und der andere inszeniert.
Und so wächst dort oben eine Freundschaft, und bald fangen sie an zu blödeln, zu witzeln, zu fabulieren und leise tönt es von Wolke 317:

„Lieben Sie Opern?“
„Ich habe die Karte in einem Preisausschreiben gewonnen.“
„Also ich habe Opern schrecklich gern.“
„Der Firma Salamo – Salamo Bratfett, brat fettlos mit Salamo ohne.“
„Aber was die da reinschreiben, die Herrn...“
„Der Gewinner bekam eine Karte für eine kulturelle Veranstaltung.“
„das versteht man ja häufig nicht.“
„Man muss die Silben in die richtige Reihenfolge bringen.“

Das Diplom-Taubenvergiften, also das Taubenvergiften mit Diplom, mit Taubenvergifterdiplom unterscheidet sich erheblich vom normalen Taubenvergiften, also vom Taubenvergiften ohne Taubenvergifterdiplom.

Ich bringe sie um – morgen bringe ich sie um,
und dann muss ich die Pistolen vom Pistolenputzen holen.

Montag, 21. November 2011

nichts gemacht

Als ich in mein Klassenzimmer gehe, sehe ich einen Jungen auf der Bank vor dem Singsaal sitzen. Er hat seine Beine angezogen und gegen sein blaues Sweatshirt gedrückt. Trotzig-jugendlich blickt er aus dem Fenster. "Hast gestört, was?", pflaume ich ihn an. "Ich habe gar nichts gemacht." Unwillkürlich muss ich lachen. Als er mich erstaunt ansieht, erkläre ich ihm, dass ich deshalb lache, weil ich seit Wochen schon x Kinder auf der Bank gesehen habe, und alle hatten "nichts gemacht". Er grinst, gibt mir also ein kleines Stück Recht.
Aber ist er nicht ein wirkliches Kind unserer Zeit? Sind die Bänke unserer Welt nicht voll von Managern, Politikern, CEOs, Ministern, Chefärzten, die alle "nichts gemacht" haben und dennoch fies vor die Türe gesetzt wurden? Trotzig und wütend blicken sie aus dem Fenster, sie verstehen die Welt nicht mehr ob einer so harten Strafe, sie haben nichts oder fast nichts getan, sie haben nur ein bisschen, ein kleines bisschen bei der Dissertation geschummelt, sie haben nur ein bisschen, wirklich ein bisschen der Mitarbeiterin in die Hose gegriffen, sie haben doch nur ganz wenig Bestechungsgeld angenommen, ein wirklich kleiner Betrag. Und der Zeitgeist gibt ihnen noch Recht, es tut ihrer Beliebtheit keinen Abbruch, Dreck am Stecken zu haben, die Menschen sind auf ihrer Seite, es waren ja wirklich nur Kleinigkeiten. Überall Schweinerei, überall Mist, und niemand trägt die Schuld, manchmal kann man auch gleich den Maschinen die Schuld geben, die ja bockig, eigensinnig und gemein unseren Alltag sabotieren, all die Computer, Motoren, Kopierer, die uns einfach aus Bosheit "Technisches Versagen" und "Störungen im Betriebsablauf" bescheren, dabei sind es doch Menschen, die diese Geräte bedienen und eben richtig oder falsch bedienen. Und es sind auch Menschen, die die Maschinen warten - oder eben nicht warten, und wenn Handling und Wartung stimmen, ist es ein Fertigungsfehler, auch von Wesen aus Fleisch und Blut zu verantworten. Überall Schweinerei, niemand hat "etwas gemacht".
Der Bub sitzt noch da, als ich in die Zigipause gehe, immer noch in gleicher Haltung und mit dem gleichen Gesichtsausdruck, plötzlich kommt mir der alte Witz in den Sinn, bei dem der Angestellt sagt: "Ich habe doch nichts gemacht." und der Chef: "Eben". Vielleicht hockt der auch vor der Tür, weil er eben nichts gemacht hat, nicht mitgeschrieben, das Material nicht geholt, nicht mitgesungen. Manchmal ist es eben auch verkehrt, nichts zu machen, angesichts von so vielen Problemen und Baustellen auf dieser Welt. Manchmal müsste man etwas TUN.
Als ich aus der Zigipause komme, hat sich ein zweiter Bub dazugesellt. Seine Kapuze tief über die blonde Wuschelmähne gezogen, wartet er neben dem ersten. "Gestört?" "Ja", sagt er ganz ehrlich, "ich habe einen Schwamm geworfen." Allerdings muss er dann doch noch ergänzen: "Aber nur einen ganz kleinen, und nicht auf den Lehrer, und völlig nass war er auch nicht, und dann muss ich gleich raus."
Auch er ein Kind unserer Zeit.

Freitag, 18. November 2011

Wo bist du gerade?

"Wo bist du gerade?", fragt mein Kollege am anderen Ende - ja, von was denn? am anderen Ende der Leitung kann man ja bei einem Handy nicht sagen, sagt man da "am anderen Ende der Funkstrecke"? Auf jeden Fall bin ich am Handy und der andere fragt: "Wo bist du gerade?".  Das sagt man jetzt so, früher sagte man "Guten Tag" oder "Hallo", die Bewohner einer Region in Alaska sagen "Ik''ust''wuuh'", was heisst "Bist du es?", aber das macht nur für eingemummte Inuit Sinn, jemand so zu begrüssen. "Wo bist du gerade?" fragt also mein Kollege und ich sage: "Sage ich dir nicht."
"Warum sagst du das nicht?" fragt der andere nun wiederum und ich höre fast, wie es in seinem Kopf rattert, wo steckt der Kerl, natürlich an einem peinlichen oder verbotenen Ort, ist er auf der Toilette, im Puff, ist er bei MacDonalds oder Burger King? Alle Möglichkeiten werden durchgespielt, Orte, Ämter, Lokale, Polizeiposten (haben sie ihn doch endlich verhaftet?) oder Ärzte. 
Dabei will ich einfach nur nicht ständig sagen müssen, wo ich bin, der Vorteil des Handys ist ja gerade, dass man nicht weiss, wo ich bin, eine grenzenlose Freiheit.
"Nun sag schon!", raunzt mein Gegenüber - auch wieder das falsche Wort, er ist ja gerade nicht gegenüber, da wüsste er wo ich bin: Am gleichen Ort wie er.
"Nein!", ich höre ein tiefes Brummeln. Meine Ortslosigkeit macht ihm Angst, so wie die Menschheit schon immer Angst vor dem nicht Greifbaren, dem Umherziehenden hatte, der Percht oder den Feen, den Fahrenden, den Spielleuten, vor Hexen und Menschen und wilden Tieren.
"Komm, sag, wo du bist", bettelt er jetzt. Und ich gebe klein bei: "Ich bin zuhause."
"Pffff...", hörbar enttäuscht muss mein Kollege jetzt alle Phantasien löschen, die er über mich zurecht gelegt hat, während des Anrufs bin ich also weder in Handschellen, noch in irgendeinem roten Plüschzimmer.
Jetzt endlich können wir besprechen, was zu besprechen ist, und es wird ein kurzes und informatives Telefonat.
Ich lege auf und verlasse das Geschäft, in dem ich SEIN Geburtstagsgeschenk gekauft habe. Ich konnte ja schlecht sagen: "Ich bin im..." Da wäre es ja keine Überraschung mehr gewesen.

Dienstag, 15. November 2011

Sabine und Michael

Nach meinem Post vom 11.11. erhielt ich einen dicken Brief von einem Paar aus Rapperswil, nennen wir sie Sabine und Michael. Sie mokierten sich über meine Idee, Ehen, die am 11.11.11 geschlossen wurden, könnten schiefgehen (ver-heiraten). Sie schickten ausser einem langen Schreiben eine DVD mit einer Fotostrecke ihrer an betreffendem Datum gefeierten Hochzeit. Sabines und Michaels Credo: Es ist alles nur eine Frage der Planung, auch Ehe und Beziehung.
Zugegeben: Die beiden haben an alles gedacht. Sie haben nicht nur schon vor zwei Jahren den Termin festgelegt, 11.11. 11 Uhr 11, im spätgotischen, absolut reizenden Zivilstandsamt von Rapperswil, sondern sich auch um den hübschesten und charmantesten Standesbeamten gekümmert. Sabine trägt ein phänomenales lachsrosa Kostüm, auf das von den Schuhen über das Handtäschchen bis zu den Ohrringen alles abgestimmt ist, er einen wunderbaren Smoking. Beide waren beim besten Coiffeur und im besten Kosmetikstudio, nicht in Rapperswil, sondern – natürlich – in Zürich. Nach der Trauung gibt es am Seeufer Dom Perignon und Schnittchen, auf denen Kaviar noch das Billigste ist, dann Fotoshooting am herbstlichen Wasser – auch das Wetter macht mit, später fährt ein Boot zu einem Seerestaurant, das ein Geheimtipp ist und auch bleiben soll. Das Menü würde hier alle Formate sprengen, nur soviel: Schon der Salat braucht auf der Speisekarte (handgeschrieben!) fünf Zeilen.
Es ist eben alles eine Frage der Planung.
Ach Sabine, ach Michael, ich hätte euch gewünscht, der Tag wäre erst eure Verlobung gewesen, und zwar eine völlig schiefgelaufene, der Sekt sauer, die Schnittchen trocken, über dem Zürichsee zäher Nebel und das Lokal nur aus einem Grund unbekannt: Weil es nichts taugt. Da wäre das wichtig geworden, was eine gute Beziehung ausmacht: Gelassenheit, Geduld, Humor, Witz, Langmut, Nachsicht, Improvisationstalent. Hättet ihr es geschafft, den Pseudo-Gourmettempel nach dem Salat zu verlassen und mit allen Gästen eine Pizzeria zu stürmen – Italiener flippen aus vor Freude, wenn sie una fidanzata sehen – ihr hättet es geschafft gehabt.
Es ist nicht alles eine Frage der Planung, sondern eine Frage der Atemtechnik, und zwar hier im Sinne von „Einmal-Tief-Durchatmen-Können“.
Das Leben ist nicht planbar.
Es gibt Krankheit, Finanzkrisen, es gibt Missgeschicke und schlechtes Wetter, es gibt Jobverlust und Neid von anderen, es gibt Krisen und Fehlkäufe. Und wenn du, Sabine, schon überlegst, ob du zur Bachelorfeier deines Kindes (in Planung) ein gelbes, und zur Masterfeier ein rotes Kostüm anziehen sollst, oder umgekehrt: Vielleicht bricht es mit 18 die Schule ab und wird Strassenmusiker, Schmuckhändler am Strand oder spiritueller Heiler. Und dann? Von Dingen wie Blind- oder Taubheit will ich gar nicht reden.
Das Leben ist unvorhersehbar.
Auf den Fotos seht ihr beide übrigens müde aus, was kein Wunder ist, wenn man früh am Morgen zum Frisieren und Spachteln um den halben Zürichsee muss.
Und studiert einmal die Statistiken der 8.8.08-, 9.9.09- und 10.10.10-Paare: Von denen sind sicher auch etliche schon geschieden.

Freitag, 11. November 2011

11.11.2011

Was haben Sie heute an diesem denkwürdigen Tag gemacht? Geheiratet? Den oder die Richtige? Oder sich ver-heiratet? Für viele ist der 11.11. ja der Anfang einer fröhlichen und wilden Zeit, nennen wir sie Fasching, Fasnet, Fastnacht, Kaneval oder wie auch immer, so auch für mich: Ich habe eine Pappnase auf und höre "Das Beste aus 50 Jahren Mainz bleibt Mainz" (12 CDs im Schuber für 39.90.-). Dabei komme ich ein bisschen ins Nachdenken:
Früher war der 11.11. eine willkommene Unterbrechung des Trauermonats November. Aber seit die Triade Reformationsfest - Allerheiligen - Allerseelen durch Halloween ersetzt wurde, haben wir nur noch Trubel, man schlägt sich eine direkte Brücke von der Weinlesezeit bis zu einer früh beginnenden Weihnachtszeit, die auch nur noch Party ist: Lampen blinken, Kunstschnee fällt, es wird erlesen gespeist und aus dem Radio tönt Musik, die wegen ihrer Tanzbarkeit ausgesucht wird (Last Christmas I gave you my heart...). Wir haben den November abgeschafft, und das ist ganz natürlich, denn wir haben ja auch den Tod scheinbar überwunden: Wir machen Anti-Aging, Gehirnjogging und Aquafit, wir essen cholesterin- und lactosefrei, wir sind alle schrecklich gesund und unsterblich. Neulich machte ich folgende Rechnung auf: Menschen, die 90 Minuten Sport pro Woche machen, leben drei Jahre länger, ziehe ich die zwei Jahre ab, die Raucher früher das Zeitliche segnen, bleibt ein Jahr, das ich länger da sein darf. Aber länger als was?
Die 80 Jahre Lebenserwartung sind ein Durchschnittswert. Für jeden 110jährigen müssen Menschen früher sterben. Und das tun sie auch. Ich habe schon etliche Freunde verloren, die in meinem Alter waren (Ich bin 46).  Der Tod existiert immer noch.
Ihnen ist das zu düster? Aber das ist doch das Problem: Menschen älterer Zeiten nahmen das Sterben als normal, als zum Leben zugehörig hin, wir halten das Thema für schrecklich, dunkel, düster und tabuisieren es. Man kann es sogar sehr wild und ausgelassen angehen. Dies tun die Mexikaner an ihrem "Tag der Toten": Man isst und singt auf dem Grab eines geliebten Menschen: Tequilla fliesst in Strömen, als Sensenmänner Verkleidete stürmen vorbei, Plastikskelette werden geschwenkt und Düfte verbreitet.
Das wäre doch etwas für Sie? Aber wenn Sie den ganzen November nicht ertragen, fliegen Sie lieber nach Gran Canaria, bis zur Weihnachtsparty, damit Sie ja nicht zur Besinnung kommen, wobei Besinnung ja auch etwas mit Sinnen zutun hat, sprich mit den Dingen, die wir riechen, schmecken, hören, fühlen und sehen. Schaltet Sie Ihre Sinne ab: Es könnte sein, dass Sie an Dinge geraten, die unserer Spass- und Stylegesellschaft widersprechen. 
So, jetzt gehe ich ins Bett. Vielleicht wache ich morgen gar nicht auf, ich kann mich ja auf die 80 Jahre nicht verlassen. Also nehme ich die Pappnase ab, ich will so nicht in die Ewigkeit. Da laufen schon genügend Pappnasen herum.

Dienstag, 8. November 2011

Lisztkekse

2006 schrieb ein Musikjournalist in der FAZ über die übertriebenen Feierlichkeiten zum Mozartjahr: „Man ist so genervt, man möchte mit Mozartkugeln werfen!“. Mit was wirft man im Lisztjahr? Ich habe mir dafür Lisztkekse gebacken, nach eigenem Rezept, mit viel Cognac (dem Lieblingsgetränk des Alkoholikers Liszt) und so wie seine Musik: trocken, zuckersüss und absolut ungeniessbar. Und ich werfe. Mein Radio hat schon einige Dellen, mein Parkett ist kaputt und neulich ging eine Fensterscheibe zu Bruch. Aber ich höre nicht auf.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich habe nichts gegen Jubiläen, aber muss denn das ganze Radioprogramm, die ganze Presse darauf abgestimmt sein? Muss man einen Politiker auch fragen, wie zu Liszt steht und muss man sich überlegen, was Liszt zu Atomkraft, Nahostkonflikt oder Finanzkrise gesagt hätte? Geht nicht mal wieder ein Mittagskonzert ohne die Pilgerjahre oder eine der schrecklichen Sinfonischen Dichtungen?
Mir graut vor dem nächsten Goethejahr. Ich hatte eigentlich vor, bis dahin auf die Aleuten auszuwandern, habe aber jetzt erfahren, dass dort eine Steinerschule gegründet wird, und die bringen dann Faust I und II in Deutsch, Englisch und allen Inuitsprachen – mit Eurythmie. Das ganze wird zudem live auf Radio Aleuta übertragen. (Ohne Eurythmie natürlich, Sie Witzbold) Zum Glück ist das erst 2032, ich habe also noch etwas Zeit für die Suche.
So, nun muss ich meine Kekse holen, im Radio kommt „Forum Buch“, mit 12 Neuerscheinungen zum Thema Liszt. Und wenn Sie in den nächsten Tagen von hinten Gebäck an den Kopf bekommen, haben Sie vielleicht ein Wort wie „Hinterlist“ oder „To-do-Liste“ gesagt, ich reagiere inzwischen auf jede Art von L-I-S-T-Verbindung, nichts für ungut.

Freitag, 4. November 2011

Deutsche Utopien III/2

in memoriam Heinrich Böll


Für ein Treffen auf EU-Ebene hat Angela Merkel etwas Besonderes organisiert. Bei einem Stadtspiel sollen sich die Delegationen mit 200.- Euro einen Tag durchschlagen, sollen sich ernähren und etwas kaufen, all das, um den Wert des Geldes wieder neu kennen zu lernen. Bei Tee und Gebäck im Kanzleramt wird schon erregt diskutiert: Wo gibt es billigen Kaffee, wo bezahlbares Brot, wo sind die besten Flohmärkte? Fröhlichkeit beherrscht die Szene, leicht scheint die Aufgabe, fast zu leicht, Kaffee und Brot muss ja zu bekommen sein und auch Märkte, auf denen man handeln kann, muss es ja in einer grossen Stadt geben.
Am Abend Ernüchterung: Müde und hungrig trudeln Italiener, Franzosen und auch die Deutschen ein, machen sich über die von der Bundeswehr gekochte Gulaschsuppe her, schwer war der Tag, zu teuer der Kaffee, das Brot und die Flohmärkte unauffindbar. Das Geld floss ihnen durch die Hände, ungewohnt der Umgang mit dem, was sie eigentlich verwalten.
Klare Sieger die Osteuropäer, die sofort weit über die ehemalige Grenze fuhren, in kleine, muffige Eckkneipen, wo es aber saftige Buletten und herrliche Kartoffeln gab, billig der Kaffee, bezahlbar das Brot, Nachschlag wurde gereicht, Schnaps ausgeschenkt, und später zog die Wirtin noch einen Kuchen aus dem Ofen. Es reichte auf dem Flohmarkt (Wedding) sogar noch für Bücher: Heine, Brecht, auch Böll, und eine Erstausgabe von „Haus ohne Hüter“ stellt sogar einen richtigen Wert dar.
Schwer war die Aufgabe, zu schwer, ganz gescheitert die Griechen, die sich ihr Geld stehlen liessen und nicht betteln wollten.
Unbedingter Wunsch nach baldiger Wiederholung bei allen: Geld wurde wieder real, eine Grösse für die man Essen, für die man Kaffee und Brot bekommt, notwendig so eine Übung, bitter notwendig.
Angela Merkel sagt zu, im nächsten Jahr wieder einzuladen.

Dienstag, 1. November 2011

Prophet

Einige Leser haben vielleicht bemerkt, dass mein letzter Post am nächsten Tag fast identisch als reale Geschichte in 20min erschien.  Dort ging es zwar um Facebook und um ein Bild eines französischen Malers, aber die Story war die gleiche. Wer mir jetzt aber mit "grandiosem Zufall" kam, beleidigte mich.
Ich bin ein Prophet.
Ich bin ein Visionär, ein Augur, ein Haruspex, ich habe den Siebten Sinn und das Zweite Gesicht.
Ich schliesse die Augen und sehe: Im Spiegelhof stehen an den Schaltern 7-9 gerade nur Ausländer. Ich schliesse die Augen und sehe, was mein Kumpel Franz gerade macht.
Warum ich diese Fähigkeit nicht ausnutze? Zum Beispiel für Casino oder Lotto? Weil ich die Staatlichen Lotterien von Uruguay, Litauen und dem Vatikanstaat schon ruiniert habe und 15 Croupiers wegen mir im Gefängnis sitzen - man unterstellte ihnen Manipulation und gemeinsame Kasse.
Warum ich nicht die Wahlen vorhersage? Aber das tue ich doch. Sachen wie Nölle-Allensbach sind nur Tarnung. Das Einzige, was sich meinem Zugriff entzieht, sind die Finanzmärkte. Hier muss jeder Augur die Waffen strecken. Wie auch jeder Politiker und jeder Volkswirt.
Ich schliesse noch einmal die Augen und sehe an den Schaltern 7-9 noch immer keinen Schweizer. Es sind die Counter für Migration. Und Franz lebt an der Pazifikküste der USA.

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Das Marmorbild

Kürzlich bin ich im Internet auf das Marmorbild eines schönen, jungen Mannes gestossen. Schön und nackt. Ich habe daraus eine Fotostrecke gemacht - zugegeben, vor allem von der unteren Hälfte - es mit Romantischer Sinfonik unterlegt und auf YouTube gestellt. Stellen wollen. Die Antwort kam sofort: Ein Video derartigen Inhalts, gespeist aus obskur-zweideutigen Quellen, sei auf einem Kanal, der auch von Jugendlichen besucht werde, nicht tragbar.
Meine obskuren Bildquellen waren ein Wikipediaeintrag und die offizielle Seite der Tourismusregion Toscana.  Doch auch die Musik wurde als lasziv-pornografisch  abgelehnt.
Nun gut, YouTube ist eine saubere Seite.
Ist das so?
Ich habe dann ein bisschen geforscht:
Ich treffe auf das Video "Call on me", ein Musikstrip, der seinerzeit sicher auf und ab auf MTV gezeigt wurde. Der Inhalt ist harmlos: Ein Trainer gibt acht Frauen Aerobicunterricht. Nun habe ich nie Aerobic gemacht, kann mir aber nicht vorstellen, dass dort nur der Beckenbereich trainiert wird, und wenn, dann nicht so heftig und so ruckartig. Und warum Frauen bei der Fitness ihren Finger ablutschen, erscheint mir auch nicht einleuchtend. Das Video ist Porno pur.
Nun schaue ich weiter und gebe "love at the beach" ein. Hier genügt ein Blick auf die Standbilder. Statt der erwarteten Filmausschnitte mit Doris Day und Rock Hudson (sie im Blümchenstrandkleid, er casual mit Poloshirt und Leinenhose) nackte Oberkörper, vertikal, horizontal (!) und diagonal. Und dass an Oberkörpern noch ein Unterkörper dranhängt, wissen auch die Zehnjährigen...
Es ist alles ein bisschen verlogen. Wichtig bleibt also auch bei "sauberen" Seiten wie YouTube: Schau an, was dein Kind sieht! Und wenn Ihr Sohn sehr lange bei Renaissancekunst verweilt - Sie ahnen sicher längst, dass das Marmorbild der "David" von Michelangelo ist - dann wird er Kunsthistoriker oder schwul; was nicht schlimm ist. (Ich meinte letzteres.)

P.S. Die Musik war der 2. Satz aus Tschaikowskis Sinfonie Nr. 5. Er ist sicher sinnlich, vielleicht sogar erotisch, sicher nicht lasziv und auf keinen Fall pornografisch. Sondern einfach wunderschön. Sie finden die Musik im Internet, übrigens xmal auf YouTube.

Montag, 24. Oktober 2011

Müssen Kinder schreien?

Neulich, im Bus Linie 36: Ein Kind im Kinderwagen schreit, laut, intensiv und lässt sich auch durch alle Beruhigungsversuche der Mutter nicht beeindrucken. „Jetzt ist aber mal Ruhe!“, meckert eine Frau auf einem der vorderen Sitze. „Es ist ein Kind“, bemerkt ein Fahrgast. „Deshalb muss es nicht so schreien!“, kontert die Dame.
Ich finde, sie hat absolut Recht: Kindergeschrei ist nervig, quälend und sollte unterbunden werden. Warum schreien Kinder eigentlich? Weil sie uns damit sagen wollen, dass sie Hunger haben, ihre Windel nass ist, dass etwas wehtut, dass sie Angst vor der Riesendogge haben, die lüstern-gierig in den Kinderwagen starrt. Und hier müssen wir doch ansetzen: Da alle Sprachübungen heute in Schule und Kindergarten nach vorne wandern, müsste doch auch die erste Sprache (Linguisten nennen das L1) früher erworben werden. Unser Sprachlernplan sähe dann – rückwärts gelesen – so aus:
Frühenglisch mit 10
Frühfranzösisch mit 8
Standardsprache mit 4
Sprechen lernen mit 3 Monaten
Das geht nicht? Meine Güte, wozu zahlen wir ein Heer von Didaktikern, Sprachforschern, Neuro- und Psycholinguisten, Pädagogen und Logopäden? Wozu werden Millionen von Seiten wissenschaftlicher Publikationen auf den Markt geworfen? Also, meine Damen und Herren, machen Sie sich an die Arbeit! Ich möchte, dass in einigen Jahren ein solches Kind in der Linie 36 ein klaren Satz formuliert: „Dr grosse Hund sabbert mir uf de Kopf, ställ bitte dr Wage woanders ane.“
Die Dame, die zu Recht gemotzt hatte, stieg übrigens bald beleidigt aus, nachdem sämtliche Fahrgäste über sie hergefallen waren. Ich hoffe, sie war eine von den oben erwähnten Wissenschaftlerinnen und wird jetzt intensiv am Sensationsbuch „Mein Kind spricht ab Geburt – ein Lernplan für Eltern und Hebammen“ arbeiten.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Kultur

Ich habe mir zur Eröffnung der Hallenbadsaison einige neue Dinge geleistet: Zwei blauschwarze Badehosen (adidas) und eine neue Schwimmbrille (speedo) - ja, wir sind markenbewusst. Um alles unterzubekommen habe ich mir noch einen Kulturbeutel gekauft. Sie wissen nicht, was ein Kulturbeutel ist? Hier heisst das Nessesär - ich glaube, es wird anders geschrieben, aber die Fachdidaktik Deutsch wertet Schreiblust inzwischen schwerwiegender als Orthografiemanie. Jedenfalls ein Kulturbeutel, und wenn Sie dachten, da kämen Bücher und CDs rein: weit gefehlt.
Was das mit Kultur zu tun hat? Keine Ahnung, vielleicht denkt man, dass ein kultivierter Mensch rasiert ist und auch gut riecht. Poeten wie Bukowski stanken zwar wahrscheinlich wie ein Iltis und Jack London hatte auf seinen Eisenbahntouren sicher auch keinen Kulturbeutel dabei, aber das steht auf anderen Blättern.
Was ist dann nun Kultur?
In der ersten Herbstferienwoche war ich mit der KKB in Parpan (GR) und fand in einem Flyer der Tourismusregion Lenzerheide eine gute Definition: ZWISCHEN KULTUR UND MODERNE ist dort eine Überschrift, und wenn man die Seiten liest, entdeckt man, dass es um eine Schaukäserei und eine abstrakte Malerin geht. Das ist doch einmal eine eindeutige Sache: Kultur ist nicht modern und ist bodenständig und urwüchsig. Vielleicht gar nicht so daneben, man könnte ja die Schweizer Käseherstellung zum Weltkulturerbe vorschlagen, schliesslich will der französische Präsident ja das mit der Küche der Grossen Nation tun. Er sollte dabei allerdings die Restaurants der touristischen Orte an der Mittelmeerküste herausnehmen (zweite Ferienwoche, aber wiederum ein anderes Blatt).
Kultur ist also alles, was mir vertraut ist, was mich pflegt, was ich kenne, was mir gut tut.
Kultur als Verstörendes, Irritierendes, Aufweckendes? Igitt.
Ich jedenfalls werde jetzt einen schönen Emmentaler essen. Und den Rest - Sie haben es erraten - stecke ich in meinen Kulturbeutel.

Dienstag, 18. Oktober 2011

Das Thunfischprinzip

Es gehört zum guten Ton, Leute im Supermarkt vorzulassen, die wenig Ware haben. "Möchten Sie vor?", frage ich also die ältere Dame, die mit einer Dose Thunfisch in Öl hinter mir steht. "Nein", lächelt sie und zeigt auf den vollen Warenkorb auf dem Boden. Der Fisch hat einfach keinen Platz im Korb gefunden. Wir kommen ins Gespräch darüber, ob es Menschen gäbe, die das Angebot lächelnd angenommen und dann ihre Waren über mich hinüber gewuchtet hätten. Sie sagt nein, ich ja.
Es gibt solche Menschen. Ja, ich bin sogar der Meinung, dass viel in unserer Gesellschaft nach dem Thunfischprinzip funktioniert: Wenig zeigen, der Hammer kommt nach, den Thunfisch präsentieren, den Korb nachliefern.
"Das tut jetzt ein bisschen weh", sagt der Arzt, der nachfolgende Schmerz würde selbst Guantanamohäftlingen als verschärft vorkommen. "Wir sind gleich fertig", sagt die Dentalhygienikerin, dann kratzt sie noch eine Stunde an meinem Gebiss herum. "Das wird nicht viel kosten", sagt der Automechaniker, die Gesamtrechnung liegt im Bereich zwischen Monatslohn und Kantonsbudget.
Ob Stuttgart 21, Atomkraft, Rüstung: Thunfischprinzip! Im Korb liegen Folgekosten, Folgeschäden, Folgeentwicklungen, Folgefolgen.
Ja, es gibt solche Leute.
"Wollen Sie vor?" fragt die ältere Dame, ich habe inzwischen bezahlt, den Mann hinter sich. Er hat nur eine Zwiebel in der Hand. Er geht vor und - - - - - - hat wirklich nur das Knollengewächs. Auch das gibt es. Ausserdem würde der Text ja sonst "Zwiebelprinzip" heissen.

Donnerstag, 29. September 2011

Blog-Ferien: Leseempfehlung

Die nächsten zwei Wochen bin ich fort und schreibe aktuell nichts.
(Und stelle auch keine Möwenfotos ins Netz)

Damit euch nicht langweilig wird, hier ein paar Buch"empfehlungen", sortiert nach Zielgruppe:

1.) Für Zornige:           Helene Hegemann: Axolotl Road Kill

Baut alle eure Aggressionen ab, es hat 600 mal  "Scheisse" und viele andere schöne Wörter in dem Text, am besten laut lesen, dann ist es besser als Scheiben zerschmeissen.

2.) Für Entdecker:       Der Mann ohne Eigenschaften   (ab Seite 1500)

Neuland! Dort war noch niemand, ich auch nicht, der Roman von Musil ist auf der Hitliste der "nicht weitergelesenen  Bücher" die Nummer 1. Vielleicht erwartet euch dort immer nur das gleiche Wort, oder nur leere Seiten? Wer weiss.

3.) Für Bodensee-Fans:      Alles von Martin Walser

Auch wenn das Buch in Mexiko oder auf dem Mond beginnt, bei Walser führt alles immer wieder an den Bodensee, schöne Heimatliteratur für gemütliche Kaffeestunden.

4.) Für Masochisten:          Bloch: "Tübinger Einführung in die Philosophie"

Kostprobe gefällig? "Das Aussen ist dunkel, das Wir ist Innen. Alles Innen ist hell. Das Bin ist mit dem Wir..."

5.) Für Schadenfrohe:      Goethe:  Schluss vom "Werther"

Ich freue mich immer, dass auch der grosse Geheimrat auf den Ossianschwindel hereingefallen ist. (Wir erinnern uns: Der angebliche altirische Dichter hatte nie existiert. Seine Texte waren vom "Entdecker", einem englischen Pfarrer, selbst gemacht.)

Und nun: Schöne Zeit!

Montag, 26. September 2011

Meine Partei

Ich habe vor einigen Jahren eine Partei gegründet; und weil mich Wischi-Waschi immer abstösst, hatte die Partei klare, konkrete Ziele:
·        Aufhebung aller Rauchverbote
·        Gratis-Kaffeeautomaten in allen öffentlichen Gebäuden
·        Ein zweites Hallenbad in Basel
·        Verbesserung des ÖV Richtung Birstal und Allschwil
Eindeutig formulierte, gute Ziele. Vielleicht ein wenig zu sehr an meinen persönlichen Interessen orientiert. So kam ich bei Podiumsdiskussionen doch ein wenig in Schwitzen, wenn ich gefragt wurde, warum ich nicht auch für Tee als Gratisgetränk sei. Ich konnte ja schlecht sagen: „Weil ich gerne Kaffee trinke.“ Also faselte ich von Wachheit und Wachsamkeit und mein Slogan „Koffeinschub für die Basler Wirtschaft“ geisterte immerhin zwei Tage durch die Medien. Auch, dass ich nicht generell für den Ausbau des ÖV war, sorgte etwas für Missstimmung.
Meine Partei hatte als Ziel 5% und kam auf 0,5%, teilt damit ihr Schicksal mit der deutschen FDP (Parole von Westerwelle war einmal 18%, letzte Berlinwahl 1,8%). Anders ausgedrückt haben Guido und ich beide unsere Marke erreicht, wenn man es mit Prozent und Promille nicht so genau nimmt.
Ich habe die Partei aufgelöst und eine neue gegründet. Da ich aus meinen Fehlern lerne, wurden die neuen Ziele allgemeiner formuliert:
·        Liebe
·        Frieden
·        Freiheit
·        Toleranz
Nein, das wird nicht mehr konkretisiert, denn konkretisieren heisst einschränken, und das will ich nicht. Und gegen meine Ziele kann niemand etwas haben.
Also: wählen Sie mich! Meinen Namen zweimal auf jede Liste! (Gleich unter oder auch über oder auch zwischen die zwei Malamas, das bleibt Ihnen überlassen)

P.S. Natürlich ist das alles Quatsch, ich darf ja erst in ein paar Jahren überhaupt abstimmen. (Und dann gründe ich mit anderen Neubürgern eine Anti-Einwanderungspartei, nach dem Motto: Wir sind drin, jetzt werden die Türen zugemacht.)

Donnerstag, 22. September 2011

Kenianisches Baumkänguru

"Haben Sie einen Moment Zeit?" Vor mir steht ein braungebrannter, junger Kerl mit kurzgeschnittenem, blonden Haar. Ich checke das Design seiner Jacke und werde fündig: PRO NATURA. Er will mir eine Mitgliedschaft verkaufen.Ich sage mein übliches Sprüchlein auf: Ich spende schon einer internationalen (Save the children) und einer regionalen Organisation (IVB) und möchte mich nicht verzetteln, wenn ich Geld habe, bekommen die etwas. "Aber die Umwelt fehlt noch in Ihrem Spektrum." Der ist gut, der Mann, denke ich, der ist gerissen, das wird nicht so einfach. Ich wiederhole mein Sprüchlein und füge hinzu, dass die Hinzunahme der Umweltschützer zwar keine thematische, aber eine finanzielle Verzettelung wäre."Das Aussterben des Kenianischen Baumkängurus ist Ihnen egal?" Der ist clever, denke ich nochmal, der ist gut, der wird es weit bringen. Ich schaue mir mein Gegenüber erneut an: Unter der aufgeknöpften Jacke spannt sich ein enges weisses T-Shirt über kräftigen Muskeln, wenn es zum Kampf kommt, sehe ich alt aus. Trotzdem sage ich ganz frech: "Ja! Es ist mir egal! Ein Tier, das ich bis vor zwei Minuten gar nicht kannte, geht mir schlicht nicht so zu Herzen." "Und der Tibetische Schlappschwanztiger? Die Argentinische Halbmaus?" "Jetzt mach aber mal einen Punkt! Die Tiere sind dir genauso wurscht wie mir, du machst das hier, weil du Geld kriegst!" Seine Beine zucken, sein Bizeps spannt sich und ich suche das Weite.
Schlappschwanztiger...Wann fing das eigentlich an mit den Profi-Fundraisern, mit den Callcenterboys? Seit wann gibt es hier kein Herzblut mehr? Früher waren die Diskussionen spannender, als noch Leute da waren, die für eine Sache kämpften, die ihnen wichtig war.
Heute habe ich in der Zeitung gelesen, dass in Afrika das Problem einer Überpopulation von Baumkängurus besteht. Sie fressen alles kahl, zerstören den Regenwald, dringen in Häuser und Scheunen ein. Zudem sind sie sehr intelligent. Ein Kenianer behauptet, ein Baumkänguru habe von seinem Handy aus eine obszöne SMS verschickt. Gut, ob das stimmt? Jedenfalls: Wenn eine Organisation Geld für das Abschiessen dieser Tier sammeln sollte: Ich bin dabei.

Montag, 19. September 2011

Deutsche Utopien III / Nr.1

Die „Deutschen Utopien I und II“ wurden Ende der 70er Jahre von Heinrich Böll veröffentlicht. Er malt in ihnen kleine surreale Bilder wie „Dutschke bei Strauss zum Kaffee“ und ähnliche Situationen. Die Utopien III sind eine Hommage an den grossen Autor und erscheinen in lockerer Folge. Natürlich haben sie einen leicht bissigen Unterton; es möge sich niemand auf den Schlips getreten fühlen.

Deutsche Utopien III/1

Bei seiner Predigt im Freiburger Münster betont Benedikt XVI die Rückkehr zur froh machenden, fröhlichen, wilden Botschaft des Evangeliums. Als sichtbares Zeichen kündigt er für 2013 ein drittes Vatikanisches Konzil an. Es gibt spontanen Beifall, Menschen fallen sich in die Arme, die Orgel intoniert ein südamerikanisches Gloria, es werden Bongos geholt, es wird getanzt.
Die „Freiburg ohne Papst“-Leute auf dem Münsterplatz bauen ihre Stände ab, fassen sich an den Händen und singen „Der Himmel geht über allen auf.“ Sie wollen ein Kloster gründen, leider sind ihre Wunschkandidaten für die geistliche Leitung, Uta Ranke-Heinemann und Hans Küng, nicht bereit dazu. „Das dann nun doch nicht!“, soll Ranke-Heinemann gesagt haben.
Eine gewisse Ernüchterung macht sich breit.
In Erfurt stösst die Idee der Kurie, das Abendmahl nur noch als Symbol zu sehen, auf Widerstand bei den Lutherischen Theologen. Sie beharren auf der Präsenz Jesu in Brot und Wein und tun den Vorschlag aus Rom als „Reformierten Unsinn“ ab.
Dafür ist die Rede in Berlin ein voller Erfolg: Standing Ovations, Bravorufe aus der Grünen- und Linksfraktion. Enttäuschend ist das Fernbleiben von vielen CSUlern. „Frauen als Minister sind schlimm genug, aber als Priesterinnen...“, soll der Abgeordnete H. gesagt haben, die Aussage konnte aber nicht belegt werden.

Freitag, 16. September 2011

Das OK

Der Gesangverein Dimpflingen wird in zwei Jahren hundert, Grund genug jetzt schon ein OK zu gründen. Es trifft sich heute zum ersten Mal.
Für das Essen wird Toni, der Bärenwirt, sorgen. Er hat ein schönes Menü zusammengestellt (Spargelcremesuppe, Blattsalate, Lendchen mit Gemüse und Kroketten, Vanillecreme), hat schon Leute für den Service an der Hand, die Chormitglieder müssen nur beim Auf- und Abbau helfen. Marco, der junge Dirigent übernimmt das Musikalische, er wird Kontakt mit den Gastchören aufnehmen und die Liedbeiträge koordinieren. Zum Abschluss wird "Kein schöner Land" gemeinsam von allen Chören erklingen. Beat, gelernter Grafiker, wird bis zum nächsten Mal drei Entwürfe für Plakat und Flyer präsentieren. So weit, so gut, die Aufgaben sind verteilt, man geht zum gemütlichen Teil über, eine Käseplatte wird geholt und ein guter Merlot aufgemacht.
Kann es so laufen? Ja, ich habe es schon erlebt, nicht zuletzt bei meinem Chor, dem Cäcilienchor Münchenstein.
Meist wird es aber so aussehen: Rudi meldet sich zu Wort und meint, Spargelcremesuppe sei schon recht, aber Lauchcremesuppe, es kürzlich habe er eine so gute Lauchcremesuppe..., das Thema Essen wird nun in allen Variationen durchgekaut. Dann macht man sich über das Schlusslied her, wobei Hans sagen muss, dass er ein lüpfiges Lied wolle, und "Kein schöner Land" sei eben nicht lüpfig.., worauf sich 30 Minuten Diskussion über das Wort "lüpfig" anschliessen.
Wir verlassen kurz unsere Dimpflinger, um uns die Frage zu stellen: Warum müssen immer alle überall ihren Senf dazu geben? Warum gehen solche Treffen immer bis Mitternacht? Ich glaube, es ist ein falsches Verständnis von Demokratie, dass immer jeder mitentscheiden muss, wenn wer die meiste Ahnung hat, sollte er allein die Entscheidung treffen dürfen.
Aber nicht, dass Sie denken, ich hätte etwas gegen Vereine! Sie sind das Wertvollste, was wir haben.
In der Industrie läuft es nicht besser, nur aufgemotzt durch PPT-Spielereien, Flipcharts, Memos, Folien usw. Dort nennt man das Ganze "Meeting" und ist das Grauen für jeden, der eigentlich etwas arbeiten muss. Das Prinzip ist das Gleiche: Jeder, der einen Laptop besitzt, darf zur IT etwas sagen und jeder, der schon einmal etwas gekauft, hat zum Marketing.
Unsere Dimpflinger sind jetzt beim Plakat angelangt. Auch hier werden jetzt alle Farben durchgenommen: Ist Gelb nicht zu knallig, ist rot nicht zu erotisch, ist blau nicht zu blau?
Wir verlassen sie endgültig und mit Schaudern. Die erste OK-Sitzung war noch kein voller Erfolg, aber sie haben ja noch zwei Jahre Zeit.
Übrigens ist Champignoncremesuppe auch etwas feines...

Dienstag, 13. September 2011

Kaffee am Morgen oder Bin ich schön?


Ich brauche morgens meinen Kaffee. Ohne zwei Tassen starkes Koffeingebräu, kombiniert mit einer Zigarette, bin ich zu nichts zu gebrauchen. Ich bin nicht ansprechbar, schlapp, unlustig und zu keiner gedanklichen Minimalleistung fähig.
Früher konnte man das auf meinen zu niedrigen Blutdruck zurückführen, jetzt hat man ein wenig Erklärungsnot. Seit nämlich die Hochdruckligen in Zusammenarbeit mit den Pharmakonzernen die Hochdruckmarke immer weiter herabsetzen, hat man entweder hohen oder normalen Blutdruck, da können sie weiss und anämisch durch den Tag schlurpen: Ihr Blutdruck ist normal!
Wer legt eigentlich wie irgendwelche Normen fest?
Wenn Sie sagen, ihr Bizeps habe zu wenig Umfang und Ihr Sixpack sei zu schlecht definiert, was ist dann ihr Massstab? Schwarzenegger? Wenn Sie sagen, Sie hätten zu dünne Beine und zu viel Speck auf der Hüfte, was ist dann die Messlatte? Brad Pitt?
Wir sind alle dumm – im Vergleich zu Einstein – und potthässlich – im Vergleich zu Angelina Jolie. Und wenn Sie meinen, Sie hätten beruflichen Erfolg gehabt: Können Sie Bill Gates das Wasser reichen?
Lassen wir doch die Kirche im Dorf: Wir alle sind in Ordnung, obwohl wir alle irgendwo Normwerte nicht erreichen. Manchmal kann das natürlich fatal sein, zum Beispiel wenn die Kleidungsschnitte enger werden; und das werden sie bei den Männern zur Zeit, vielleicht, weil man in einer grossen Gleichberechtigungsaktion nun auch die Buben flächendeckend in die Bulimie treiben möchte. Ich trage Shorts Grösse S, gekauft vor drei Jahren, heute komme ich in die kleinsten Hosen gar nicht mehr hinein, und ich bin halt auf die Läden angewiesen, Selberschneidern und Masshosen scheitern an meinen linken Händen und meinem Geldbeutel.
So, jetzt mache ich mir einen Kaffee, der ist übrigens schuld, dass die Abschaffung der Hypotonie den Pharmakonzernen egal war: Die Niedrigdruckmittel verkauften sich nicht, ein starker Espresso tat das Gleiche. Und so einen braue ich mir jetzt, und wenn ich mich dann in der Küchenscheibe spiegele, denke ich:
Eigentlich ein verdammt hübscher Kerl!

Freitag, 9. September 2011

www.as darf es denn sein, Fremder?

Glaubt man den Berichten meiner Altersgenossen, sah der Alltag eines Jugendlichen um 1980 folgendermassen aus: Nach der Schule – die wir gerne und wissbegierig besuchten – ging man zur Klavierstunde, zum Handballtraining oder ins Ballett, um 18.00 wurde die Abendmahlzeit im trauten Familienkreise eingenommen, bei der man kulturelle oder politische Themen erörterte, danach machten wir unsere Hausaufgaben, schrieben Briefe oder kamen endlich einmal wieder dazu, uns durch ein weiteres Kapitel Adorno zu arbeiten. Um zehn war Nachtruhe, die wir aber dadurch umgingen, dass wir unter der Bettdecke Hesse, Böll oder Mann lasen.
Aber: Stimmt das denn?
Warum haben wir dann immer noch die gesamte Genealogie dieser bescheuerten Familien aus Denver oder Dallas im Kopf? Warum bekommen wir leuchtende Augen, wenn einer „WAS DARF ES DENN SEIN, FREMDER?“ sagt, warum kann jeder von uns folgenden Vers ergänzen:
Klimbim ist unser Leben,
Und ist es mal nicht wahr...
(Für die heutigen Teenies: Es heisst übrigens: Dann mach ich mir ´nen Schlitz ins Kleid und find es wunderbaaaaaaaar)
Es ist schon merkwürdig, dass wir alle diesen Schrott immer noch in unseren Hirnen haben, wohl sortiert und aufbewahrt, obwohl ja keiner von uns ferngesehen hat, und wenn, dann nur Bildungssendungen wie die des Herrn von Dittfurth, von der mir jetzt – das ist bezeichnend – der Name nicht mehr einfällt.
Ich war an Ostern in Berlin und habe dort das Deutsche Film- und Fernsehmuseum besucht. In einer – übrigens sehr gut gemachten – Multimediashow erlebt der Zuschauer 60 Jahre deutsches Fernsehen. Ein Teil ist eine Umfrage aus den 70gern zum Fernsehkonsum: Viele Befragte gaben an, sich direkt nach dem Abendessen vor die Glotze zu setzen und erst zum Sendeschluss (gab es damals noch!) wieder aufzustehen, sodass der Rekordhalter der Befragten auf fünfzig Stunden Mattscheibe kam.
Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass das Internet das Buch verdrängt, das Internet verdrängt andere zweifelhafte Medien. Die heutige Jugend hat nicht mehr Müll im Kopf als wir damals, und wer jetzt behauptet, die „Himmlischen Töchter“ (daraus ist „Was darf es denn sein, Fremder?“) hätten irgendein Niveau gehabt, soll sich bitte wieder einmal einen Ausschnitt ansehen, es gibt sie auf You Tube.
Mich jedenfalls machen meine Deutschklassen sehr glücklich, wenn die Hälfte nach einer Woche nicht nur die zehn befohlenen Seiten, sondern das ganze Buch gelesen hat.
Und wenn sie auch manchmal ein wenig zuviel surfen oder chatten, wir sind trotz „Riiiiiiiiisiko“, „Das war Spitze“ und „Welches Schweinderl?“ doch ganz brauchbare Menschen geworden.

Montag, 5. September 2011

11 für 10 oder die Pässe

„Nimm Döner-Pass“, sagt Ali von „Ali´s (!) Döner“ in Wuppertal, „ich mach Stempel, hast elften gratis.“ Ich sage ihm, dass ich sicher nicht so schnell wieder an die Wupper komme, ich hätte mir die Stadt angesehen, sei Schwebebahn gefahren, sei auf den Höhen spaziert hätte das Freibad genossen, so bald würde ich nicht wieder erscheinen. „Gefällt dir doch jetzt, kommst du wieder!“ Ich werfe ein, dass, sollte ich doch noch einmal aufkreuzen, ich dann vielleicht gar keine Lust auf Döner ...
„Döner geht immer!“ Der Mann sollte unbedingt Politiker werden. („Tiefbahnhof geht immer!“)
Ich nehme also den Döner-Pass, stecke ihn zu der Ausbeute der letzten Stunden (drei Kaffee-Pässe, drei Brötchen-Pässe, zwei Bier-Pässe, ein Seifen-Pass) und beschliesse, sie in einer spektakulären Anti-Rabatt-Littering-Perfomance in kleinen Schnipseln aus der Schwebebahn in die Wupper rieseln zu lassen.
Während ich mit Blick auf den Marktbrunnen meinen Döner jongliere – warum tropft es eigentlich immer auf die Stelle meiner Hose, die ich nicht mit Wasser bearbeiten kann? – überlege ich mir, warum mich diese Pässe so aufregen.
Zwei Gründe fallen mir spontan ein:
Früher gab es Stammkunden, sie kamen oft, jeden Tag oder ein paar mal die Woche, sie waren bekannt und man servierte ihnen auch ohne Rabattpass gelegentlich etwas „aufs Haus“, ein paar Erdnüsse, ein kleines Bier, einen Kaffee. Heute muss man die Treue zu einem Laden mit zehn Stempeln quasi beweisen.
Zweitens ist „der elfte gratis“ natürlich eine Lüge, da die Stempelpässe nach dem Giesskannenprinzip verteilt werden, ist die Vergünstigung ja schon längst in die Preise mit eingerechnet. Es gibt nichts umsonst auf dieser Welt.
Ich zereisse also die acht Papiere und streue sie genüsslich zwischen Oberbarmen und Unterbarmen in den blaugrün leuchtenden Fluss.
„100 Euro Busse.“ Neben mir hat sich ein Schwebebahnpolizist aufgebaut, ich zahle widerspruchslos. „Ich gebe Ihnen einen Stempelpass, dann kostet die elfte Ordnungswidrigkeit nichts.“
Also schön, werde ich doch öfter nach Wuppertal fahren, und in ein paar Jahren – vielleicht so 2015 – werde ich nach drei Kaffees, drei Brötchen, zwei Bier, einem Seifenkauf und einem Döner nackt in der Wupper stehen und die Leute in der Schwebebahn beleidigen. Aber vielleicht gibt es den Döner auch hinterher als Belohnung.

Sonntag, 4. September 2011

Warum ein Blog?

Warum ein Blog?
Die Antwort ist leicht gegeben: Ich möchte spätestens 2021 den Büchner-, spätestens 2031 den Nobelpreis erhalten haben. Leider ist die Resonanz auf meinen philosophischen Romanzyklus („Boccia um Mitternacht“, „Rousseaus Kuh“, „Nachdenken über Rolf P.“, „Gipsfabrik“) eher gering. Dies liegt wahrscheinlich weniger an der Komplexität der Themen und der an Hölderlin und George geschulten Sprache als an der Tatsache, dass ich noch keinen Verleger gefunden habe. Dies wiederum könnte zur Ursache haben, dass ich noch keine Zeile geschrieben habe, ich komme einfach nicht dazu, immer ist irgendetwas wichtiger. Da ich es nicht schaffe, meinen Beruf zu vernachlässigen, soziale Kontakte auf Eis zu legen, meine Wohnung nicht mehr aufzuräumen, nicht mehr zu schlafen, habe ich einfach zu wenig Zeit zum Schreiben. Mit einem Wort: Ich bin zu wenig Bohemien.
Also nun ein Versuch mit der kleinen Form.
Vielleicht wird ein Verleger auf mich aufmerksam und gewährt mir den Vorschuss, den ich brauche, um mein epochales Werk zu vollenden (oder erst einmal zu beginnen).
Der Blog wird zweimal in der Woche weitergeschrieben und bringt Glossen zu allen möglichen Themen, Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, Fragen, die mich beschäftigen, eigene Erlebnisse. Letzteres ist besonders reichhaltig, Leute, die mich kennen, wissen, dass mir die unmöglichsten Dinge passieren: Ich werfe Schlüssel in Liftschachte, ich schüttle Salatsaucenflaschen ohne Deckel und verliere jede Art von Dokument. Ich bin die Reinkarnation des Monsieur Hulot, ich bin das Vorbild für Signore Rossi. Ich stehe mit der Materie auf Kriegsfuss.
Der Blog wird ein reiner Textblog sein, es gibt keine Videos, keine Musik, erst recht keine Bilder von meiner Wollkleidung oder meinem letzten Frühstück.
Nun viel Spass beim Lesen: dienstags und freitags!
P.S.: Es MUSS nicht der Büchnerpreis sein, ich nehme alle Literaturpreise, wenn sie zwei Bedingungen erfüllen: medienwirksam und verdammt gut dotiert (100.000.- aufwärts)