Dienstag, 25. Dezember 2012

Wir haben überlebt - Weihnachtspause

Wir haben den Weltuntergang überlebt.
Es ist zwar irgendetwas passiert, aber ich weiss nicht genau, was. Als ich am Samstag, den 22.12. aufwachte, hatte ich entsetzliche Kopfschmerzen und der Himmel war tief rot. Da wusste ich: Irgendein kosmischer Ruck war geschehen. Wenn Sie jetzt behaupten, das Schädelweh kam von der Kombination eines Weihnachtsaperos mit dem Weihnachtsessen der KKB-Männerstimmen und das Rot war ein normales Morgenrot bei klarem Himmel, was so zutrifft, haben Sie trotzdem spirituell nichts kapiert.
Wir haben Weihnachten überlebt.
Das war schwieriger, aber wir sind noch einmal davongekommen. Meine Verwandten hatten eine neue Dimension des Hassgeschenkes präsentiert: Die Kleinigkeit. Wir hatten mal beschlossen, uns nur kleine Dinge zu schenken, aber auch da kann man den anderen sehr blamieren. Eva, meine Schwiegercousine 4.Grades schenkte mir "nur" ein Duschgel, handgerührt und in mundgeblasener Flasche abgefüllt von einem Pariser Designer, 300.- pro Fläschchen. Und Geri, mein Stiefgrossneffe, brachte "nur" ein kleines Büchlein, aber bibliophil und handsigniert. Und ich hatte "nur" ein paar Kerzlein auf dem Weihnachtsmarkt gekauft.
Das Essen wurde - erwartungsgemäss - eine Katastrophe, weil der Grossteil meiner Verwandtschaft inzwischen bestimmten Ernährungsphilosophien anhängt. Tina isst nur noch Fleisch von Tieren, die absolut mit ihrer Tötung einverstanden sind - sie ist Adamianerin - und das auch so kundtun, Patrick isst keine roten Lebensmittel mehr, Valentin ist Rohköstler geworden - er sei "entgiftet", war aber so giftig wie immer! - und Viola ist Fruktuarerin. Und Beppo isst nur noch Nahrungsmittel, die mit G anfangen. Das konnte ja nichts werden.
Aber ich habe auch das Christfest überlebt.
So, der Blog macht Pause bis zum 4.1.2013.
Sie brauchen Vorschläge für die blogfreie Zeit?
Gehen Sie doch mal wieder ins Museum! Hier die drei schönsten Vorschläge:
*Das Viktor Müller-Haus in Herten. Hier werden alle Räume des Wohnhauses, neu renoviert, präsentiert, zudem Dokumente zum Leben von Müller. Wer dieser Viktor Müller war? Nichts Besonderes, ein Verwaltungsangestellter, verheiratet, 2 Kinder, im Gesangverein und im Sportclub. Aber: Er war ein anständiger Mensch! Und das ist ja so selten, dass es sich lohnt, so ein Leben zu dokumentieren.
*Das Museum Olten zeigt die 40 unnötigsten Videoinstallationen Schweizer Künstler der letzten 30 Jahre. Leider ohne die Arbeiten von Pippilotta Rist, sie konnte sich nicht entscheiden, welches die unnötigsten ihrer Arbeiten waren, da alle völlig überflüssig sind.
*Das Visper Speisekarten-Museum. Eine Schau der schönsten Menüs der letzten 800 Jahre, darunter die Karten der Hochzeiten von Luther und Goethe, wobei der "Frankfurter Vorstadtdackel" (Bernhard) wieder einmal enttäuscht: Grüne Sosse ist ja was Leckeres, aber als Hochzeitsessen? Aber Goethe enttäuscht ja eigentlich immer.
So, jetzt wünsche ich Ihnen:
EINEN GUTEN RUTSCH.
Bis bald.

Freitag, 21. Dezember 2012

Was soll man am 21.12. noch machen?

Was für ein blöder Tag!
Was soll man denn heute noch machen, wenn die Welt vielleicht untergeht?
Sicher nicht die Wohnung putzen, den Keller aufräumen, das Geschirr abwaschen, bringt ja nichts, wenn das nicht mehr da ist. Oder doch? Ach, ich bin völlig konfus...
Wenn man nur wüsste, an was man sich halten soll.
Warum gibt es keine Schilder überall, so wie die in den Eisenbahnzügen:
IM FALLE EINES WELTUNTERGANGS
*Bewahren Sie Ruhe
*Fasen Sie keine herunterfallenden Meteoriten an
*Verlassen Sie gefasst und in Reih und Glied die Erde
*Befolgen Sie die Anweisungen von eventuellen Aliens
...
Warum gibt es solche Schilder nicht?
Was sagen Sie? Sie halten sich an Luther? Nun, das ist immer gut, aber das Apfelbäumchen hätten Sie am 20.12.2012 pflanzen müssen. Gestern! Es heisst doch: "Wen ich wissete, daz morgen die Werelt..." Morgen! Und morgen ist heute gestern. Hallo! Kapiert?
Sie halten sich an Douglas Adams? Das ist gut, weil er klare Anweisungen gibt: Bier und Erdnüsse gegen die Umwandlungsstrahlen und auf jeden Fall: Handtuch dabei haben! Man muss immer wissen, wo sein Handtuch ist.
Es gibt ja nun auch Leute, die meinen, dass heute die Transpostion der Welt in andere Dimensionen ins Haus steht. Zum Beispiel in eine kosmische Musik oder in einen Text. Ach, du liebe Zeit! Werde ich dann etwa ein c' in einem Orff-Stück? Wo ich doch immer eine Quinte bei Mahler sein wollte! Werde ich ein Satz bei Martin Walser? Wo ich doch immer ein Buchstabe bei Böll sein wollte... Oder werden wir alle Punkte in einem Bild? Und wenn, in was für einem? In einer Südsee-Fototapete?
Wieso kann einem das niemand beantworten?
Ich glaube, ich mache einfach weiter, brav weiter. Ich werde heute meine Noten eintragen und fürs Wochenende einkaufen, als ob nichts geschehen sei. Ich werde an meine Weihnachts-Aperos gehen und meinen Koffer für die Ferien packen, und wenn dann doch der Meteorit kommt, dann bleibt der Koffer halt im Zimmer stehen, das dann auch nicht mehr existiert.
Oder: Party.
Auf eine der 200 000 Weltuntergangsdiscos gehen, die auf dem Globus stattfinden.
Musik gibt es ja genug:
"This is the end, you know..."
"It's the final countdown..."
"Davon geht die Welt nicht unter..."
"Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern..."
Denn eines ist klar: In Wirklichkeit ging die Welt am 20.12. unter, die kosmische Katastrophe geschah gestern, eine Apokalypse von ungeahnten Ausmassen. Seit gestern ist alles zu Ende. Seit gestern ist alles vorbei. Seit dem 20.12. ist die Welt nicht mehr die gleiche.
Denn: ROSENSTOLZ HABEN SICH GETRENNT.

Dienstag, 18. Dezember 2012

Weltuntergang: Nur die Indonesische Knallpute überlebt


Den Weltuntergang wird als einziges Wirbeltier nur die Indonesische Knallpute überleben.
Und das wird so kommen: Am Freitag, den 21.12.2012 fliegen die Vogonen zur Erde. Adams hat leider hier die Interplanetarische Datumsgrenze vergessen, deswegen ist es kein Donnerstag, aber Londoner hatten ja schon immer Probleme mit Datumsgrenzen. Jedenfalls kommen die Vogonen und bombardieren den Planeten, solange, bis alle Menschen tot sind. Dann werden die Tiere erledigt. Schnell merken die Aliens, dass Einzeller, Quallen und Schaben irgendwie nicht kaputtzukriegen sind – das ist ja das leidige an ihnen - daher heisst die Parole: Wirbeltiere. Mit extraterrestrischen MPs durchstreifen sie die Lande und ballern alles ab, was sich ihren Wurstfressen in den Weg stellt. Nun kommt die Stunde der Indonesischen Knallpute. Der blaue, pummelige Vogel hat am Hals eine Art Kropf, mit dem er kleine Explosionsgeräusche macht, die sich ähnlich wie Gewehrsalven anhören. Wenn nun die Vogonen nach Tieren suchen, hören sie ein ständiges Piff-Paff und denken: Oh, da sind schon Kollegen am Werk. Also kommt die Indonesische Knallpute ungeschoren davon. Die Vogonen verschwinden in der Tiefe des dunklen Raumes.
Bei der am 22.12.2012 einberufenen Konferenz der Sondervögel gibt es ein einziges Traktandum: Evolution – ja oder nein? Soll man sich wieder in Richtung Affe und Mensch bewegen oder nicht?
Die Befürworter führen wichtige Argumente ins Feld: Das Rad sei ja schon eine tolle Sache gewesen, und auch der Reissverschluss. Homer – das sei doch grossartig, die Zwölftontechnik, Hegel und natürlich auch die Kaffeemaschine.  Die Nachtwache, wunderbar, Mozart und nicht zu schweigen von Gazpacho und Pizza. Ja, und Picasso, und natürlich auch das Handy. Der Mensch habe einfach erstaunliche Dinge vollbracht.
Die Gegner sind nicht einverstanden: Rad OK, aber auch Panzer hätten Räder gehabt, der Reissverschluss habe ja meistens nicht funktioniert, Homer sei ein Genie gewesen, aber die Menschheit habe ja nun auch Stifter und Konsalik hervorgebracht, und in der Musik? Kastelruther Spatzen! Take That! So setzen sie McDonalds gegen Gazpacho, Naive Malerei gegen Picasso, und das Handy? Ist ein evolutionärer Fortschritt, Tag und Nacht keine Ruhe zu haben. Ein Huhn kann die ganze Nacht schlafen.
Ausserdem sei der Vogel die Krone der Schöpfung. Seien nicht die Eulen das Sinnbild der Weisheit, weshalb man ja sie nicht nach Athen tragen solle? Hätten nicht die Neuseeländer den Kiwi als Nationalsymbol? Hätten nicht die Menschen sogar gesungen Ich wollt, ich wär ein Huhn? Und die Gänse! Sie verrieten St. Martin, der nicht Bischof werden wollte, sie sorgten dafür, dass ein fähiger Mensch sein Amt antrat. Wann hat das bei den Menschen selber je stattgefunden?
So kommt es zur Kampfabstimmung: Mit 234 zu 150 Stimmen wird der Antrag ENTWICKLUNG abgelehnt. Und der Mensch zur historischen Panne erklärt.
Und der Entscheid: Wir Indonesischen Knallputen bleiben, was wir sind mit einer Riesensalve gefeiert.

Freitag, 14. Dezember 2012

Intelligente Geschenke und blödes Verkaufspersonal

"Ist dieses Buch für eine achtzigjährige Dame geeignet?", frage ich die Verkäuferin im THALIA. Sie blickt kurz in die Ecke, in der ich stehe (Philosophie und Lebenshilfe) und meint: "Ja, durchaus." "Herr Herter", grinst meine Lieblingsverkäuferin im OLYMPUS & HADES, "eher nicht, aber warum nicht das neue Buch von Dobelli?" Das Buch, das ich in diesem Experiment hochhhielt, war Gespräche mit Sterbenden von Kübler-Ross. Das kann ein Mensch im letzten Lebensabschnitt doch ein bisschen missverstehen.
Als Zwanzigjähriger - und diese Story ist jetzt wahr - wollte ich Haydns Schöpfung in einer Aufnahme mit Originalinstrumenten. Meine Mutter war am Heiligabend sehr enttäuscht, als ich beim Auspacken feststellte, dass es moderne waren. Sie hatte nämlich den Verkäufer viermal gefragt, ob diese CD wirklich, wirklich, aber auch wirklich mit historischen Instrumenten gemacht sei. Er hatte es viermal bejaht, weil auf dem Cover Harnoncourt stand. Allerdings arbeitete zu dieser Zeit der gute Nikolaus auch schon mit modernen, bestehenden Orchestern. Bei Hengelbrock könnte man heute den gleichen Fehler machen.
Liebesgeschenke, bei denen man etwas Spezielles, Besonderes will, setzen geschultes Personal voraus. Oder eine gewisse Hartnäckigkeit. Daher hier ein paar Tipps.
Bestehen Sie darauf, dass das Verkaufspersonal sich den Artikel genau anschaut. Hier gilt die Faustregel: Mit jedem Meter, den der Verkäufer oder die Verkäuferin näher an das Produkt herantritt, vervierfacht sich die Genauigkeit. Manchmal gibt es sogar ganz tolle Typen, die das potentielle Geschenk sogar in die Hand nehmen und - glänzender Gipfel des Glücks! - auspacken! Da sieht man dann solche Hinweise wie mit den Instrumenten.
Gehen Sie in kleine Läden! Es gibt nämlich in Basel Buchhändlerinnen, die selber lesen. Es gibt Sportartikelverkäufer, die selber schwimmen und laufen. Es gibt Gewürzhändlerinnen, die selber kochen, aber nicht in der MANOR.
Wenn Sie doch in ein Massenkaufhaus gehen - und ich rechne THALIA dazu, den DENNER der Literatur, den Buch-ALDI, den COOP für Buchstaben, heute im Angebot: 450 Seiten für nur 20 Rappen pro Seite, beim Kauf von 5 Nikolaus Sparks gibt es einen gratis - dann seien sie wirklich standfest. Das kann dann so aussehen:
"Ich hätte gerne den Steppenwolf in der RoRoRo-Ausgabe." "Rowohlt hat das nicht verlegt." "Ist aber im Verzeichnis, das hinten in den Büchern drin ist." "Das ist nicht auf dem neuesten Stand." "Die schreiben da Bücher rein, die sie nicht im Angebot haben?" "Manchmal schon." "Erzählen Sie das ihrem Goldhamster und schauen Sie jetzt endlich im Computer nach!"
Sie sehen, Liebesgeschenke erfordern Geduld, Kraft, Hingabe und Durchhaltevermögen. Aber sie lohnen sich.
Ich kaufte dann für meine achtzigjährige Dame den neuen Dobelli, in dem es um Denkfehler geht. Denn für Denk- und Handlungsfehler ist man ja nie zu alt.

Dienstag, 11. Dezember 2012

Hass- und Pflichtgeschenke


Ok, der Herr Gerer möchte keine Bücher. Ich möchte übrigens kein Autozubehör – ich habe keinen Wagen. Wie aber schenkt man nun richtig? Wem schenkt man was? Ich denke, das Wichtige ist, sich zunächst über die Motivation klar zu werden. Hat man eine eindeutige Motivation, und sei sie noch so fies, findet man sofort das Richtige. Die Präsentologie (Wissenschaft vom Schenken) teilt in der Regel in drei Motivationskategorien ein, nämlich das Hassgeschenk, das Pflichtgeschenk und das Liebesgeschenk. (dazu: Donator, Paul und Giver, Michael: Einführung in die Präsentologie, Castrop-Rauxel 1998)
Das Hassgeschenk hat als klare Triebkraft, den Beschenkten zu ärgern. Bei Wilhelm Busch kommen drei Tanten überein, ihrer Nichte ein Kleid in einer Farbe zu schenken, die diese nicht leiden kann.

Der dritten Tante war das recht:
Ja, sprach sie, mit gelben Ranken
Ich weiss, sie ärgert sich nicht schlecht
und muss sich auch noch bedanken.

Das ist eine schöne, eindeutige Motivation: Ich schenke, um den Mitmenschen zur Weissglut zu treiben. Ich schenke Mozart-Hassern eine Zauberflöten-CD und Vegetariern Bündnerfleisch, ich schenke Pazifisten eine Kalaschnikow und Reisemuffeln ein Flugticket. Eine Steigerung ist das Enttäuschungsgeschenk: So kann man zum Beispiel seinem schwulen Kumpel eine Karte für eine Men-Strip-Show  schicken, erst beim Einlass wird er merken: Women only. Oder diese wunderbare DVD des Albanischen Kultregisseurs Tochu Manndru, da funktionieren die Untertitel nicht.

Das Pflichtgeschenk ist eine Gabe nach dem Motto: Ich muss doch irgendetwas mitbringen. Hier eignen sich Geschenkartikel. Der Geschenkartikel ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Bis dahin schenkte man Dinge, die eine Funktion hatten, sie sollten gelesen, gegessen, getrunken, gehört oder gespielt werden, der  Geschenkartikel hat nur die Aufgabe, geschenkt zu werden. Er wird in speziellen Läden verkauft, schillernde kleine Teile, die sich drehen und hüpfen und jeder fragt: „Was soll ich denn damit?“ Ja, nichts, du sollst ihn geschenkt bekommen, damit hat es sich. Der Geschenkartikel erfüllt seine Aufgabe im Akt des Schenkens, dann kann er in den Schrank. Erfinder dieser tollen Sache ist Loriot. Wer erinnert sich nicht an den Familienbenutzer? Formschön, abwaschbar und vollkommen zweckfrei, GELL?

Das Liebesgeschenk ist das Schwierigste: Es soll dem anderen Menschen Freude machen.  Es ist so schwer, da etwas  Passendes zu finden. Aber warum eigentlich? Warum fragen wir nicht einfach mal: Du als Büchernarr – magst du Walser? Du als Beatles-Fan – hast du schon die Aufnahme, wo Lennon Didgeridoo spielt? Du als Sportler – es gibt jetzt die neue ADIDAS-Kollektion in Minzgrün und Schweinchenrosa. Also nicht fragen: „Was wünschst du dir?“, sondern: „Könnte dir das gefallen?“

Das ideale Präsent ist natürlich die Einführung in die Präsentologie, denn sie erfüllt alle drei Funktionen: Sie sagt:
…so sehr habe ich mir Gedanken über das Schenken gemacht.
…ich musste ja was mitbringen
damit du mal endlich – zum ersten Mal seit 2003 – etwas Anständiges schenkst!

Freitag, 7. Dezember 2012

Weihnachtsbüchergeschenke

Ich hoffe, sagte Gerer neulich zu mir, als wir vor dem Schaufenster der Deppenbarke standen, dass man mir diesmal keine Bücher schenkt. Diese Geschenke, diese Weihnachtsbüchergeschenke, sind das  Schrecklichste, was man sich vorstellen kann. Am Stephanstag häufen sich stets Werke auf meinem Tisch, die ich nicht lesen will und ohne schwere seelische Beeinträchtigung auch nicht lesen kann, so Gerer. Weihnachten an sich ist ja schon eine schlimme Sache, sagte er, während er auf einen Tannenzweig im Schaufenster zeigte, die Stadt ist voll von Kitsch, von Tannenkitsch und Krippenkitsch, die Stadt ist komplett weihnachtsverkitscht, aber dem könnte man sich ja noch entziehen, so Gerer, man werde aber durch das Schenken, das Weihnachtskleiderschenken und das Weihnachtsbücherschenken auf widerliche Weise in die Sache mit hineingezogen. Er habe, sagte er, in seiner Wohnung keinen Tannenkitsch und keinen Krippenkitsch, er würde sich völlig heraushalten, aber er werde beschenkt und müsse dann wieder schenken. Man schenkt mir eine Vase, so Gerer vor dem Schaufenster der Deppenbarke, und erwartet dann wieder irgendeinen Topf von mir, man schenkt mir einen Schal und erwartet eine Krawatte, so Gerer, schon im Oktober löst das Wort Weihnachtsgeschenke ein starkes Nervenzittern bei mir aus.
Von allem Schenken ist nun das Schenken von Büchern, das Weihnachtsbücherschenken, das Furchtbarste, sagte er, während er auf einen Stapel Kriminalromane zeigte, man gibt mir schlechte Bücher von schlechten Autoren, die schon beim Versuch der Lektüre mein vegetatives Nervensystem völlig erschüttern. Der Tannenkitsch und der Krippenkitsch bringen mich ja schon fast um, so Gerer, aber die Bücher, die ab dem 26.12. auf meinem Tischchen liegen geben mir den Rest. Vorletztes Jahr hat man mir 100 Seiten eines Modernen Lyrikers gegeben, sagte er, und dieser Moderne Lyriker bewirkte einen so starken Schwindel bei mir, dass ich mich für einen Tag hinlegen musste. Letztes Jahr lösten die falschen Bezüge in einem Historischen Roman einen Zusmmenbruch bei mir aus, sagte Gerer, während er in die Deppenbarke hineinschaute, ja, dieser Historische Roman hat mich fast umgebracht. Eine Seite Diderot, ein Satz von Lenz, ein Gedicht von Hölderlin, eine Novelle von Kleist sind mehr wert als dieses ganze Gerümpel, so Gerer, sie beruhigen und stärken mich, aber diese weihnachtsgeschenkten Bücher töten mich.
Deshalb hoffe ich, dieses Jahr keine Weihnachtsbüchergeschenke zu bekommen, sagte er, aber ich weiss, die Hoffnung wird sich nicht erfüllen.
Einmal, so Gerer, habe sein Patensohn ihm die Neuerscheinung eines wirklich guten Autors, einer der wenigen, die er wirklich schätze, auf den Gabentisch gelegt.
Die Lektüre sei dann entsetzlich gewesen.

Dienstag, 4. Dezember 2012

Aberglaube II: Blumenblau, Percht und Brautstrauss

Danke, danke, liebe Leser, sie haben mir noch ganz viele Aberglaubengeschichten zugeschickt. Ich möchte die schönsten hier veröffentlichen. (Die Speisekartenfehler und Verhörer sind bei mir übrigens falsch, die müssen zu Hacke nach Berlin.)
Frau M. aus Wunsiedel schreibt, ihre Grossmutter hätte beim Blaubeerverkleckern immer gesagt, das mache nichts, die Flecken verschwänden, wenn im Wald die Blaubeerzeit zu Ende gehe. Die Beeren im Forst und die in der Stube stünden irgendwie in Verbindung. Die Erklärung ist enttäuschend simpel, Phenolphtalein (Blumenblau) verblasst nach ein paar Wochen.
Herr P. aus Jerxheim - übrigens der Bäcker des Ortes, er ist kinderlos, dies für Nadolnyfans - erzählt, seine Mutter habe in den Rauhnächten (zwischen Weihnachten und Dreikönig) nie gewaschen, um nicht von der Wilden Frau Percht krank gemacht zu werden, liess es sich nicht vermeiden, habe sie der Percht, sie will ja weisse Speisen, ein Schälchen Milch hingestellt, das am nächsten Tag leer gewesen sei. Wer früher in der Sibirischen Temperatur der Waschküche stand, und das stundenlang, wurde vielleicht krank, auch im Februar. In den Rauhnächten war es besonders heikel, weil der Körper vom vielen Saufen und Fressen geschwächt war. Und die Milch? Nun, die Jerxheimer Katzen haben sich gefreut.
Frau G. aus Überlingen berichtet, ihre Urgrosstante habe stets ein geweihtes Tuch an der Türe befestigt, um sich vor Werwölfen zu schützen.Und tatsächlich sei nie einer bei ihr eingedrungen. Muss man da noch irgendetwas ergänzen??!! Ja, vielleicht, dass die Natur in den Vollmondnächten nicht mehr spinnt als sonst, wir hören mehr, weil wir schlechter schlafen.
Herr X. aus Grenchen schreibt, seine Tante habe auf der Hochzeit den Brautstrauss gefangen und am selben Abend noch ihren Gatten kennengelernt. Gut, den Wurf und den Fang haben ja alle gesehen, da konnte man sich schon an eine junge Dame heranmachen, wenn sie Ehebereitschaft sigalisiert. Sie hätte auch Mann gesucht auf ihren Hut stecken können.
Die Germanistin Dr.H. aus Zürich erklärte mir die Vorliebe für das morgendliche Auftauchen von Spinnen. Eigentlich hiess es:
Spinnen am Morgen (bedeutet) Kummer und Sorgen
Spinnen am Abend (ist) erquickend und labend.
Am Morgen spannen die armen Frauen, denen es wirtschaftlich schlecht ging, am Abend die reichen als Belustigung; dann wurde ist/bedeutet in bringt geändert und aus der Handarbeit wurde das Kerbtier.
Auch das Teller-leer-Essen für eine positive Wetterprognose hat einen Verständnisfehler als Ursache:
Eet leer, dann geeft et morge godes wedder
hiess: Leeressen, dann gibt es morgen wieder etwas Gutes.
Wir sehen, es gibt für alle Dinge eine ganz normale Erklärung, nur sehen wir sie manchmal nicht oder nicht mehr. Aberglauben können wir uns in einer globalisierten Welt auch immer weniger leisten, wenn wir zum Beispiel in Hotels alle Unglückszahlen vermeiden wollen (in China z.B. 4), gibt es bald keine möglichen Zimmernummern mehr.
 

Donnerstag, 29. November 2012

Schnupfen und Aberglaube

Neulich, im Cafè Schlumberger: Ich sitze mit meinen Freunden Luca, Manuel und Patrick bei Kaffee und Grappa, und wir diskutieren über Hausmittel gegen die drohende Erkältungswelle.
"Ich reibe mich jeden Morgen mit einer Knoblauchzehe ein", so Luca, "und seitdem ist Grippaler Infekt ein Fremdwort für mich." "Ich trinke jetzt immer nach dem Schwimmbad noch einen Aztekentee in der Hallenbadcafeteria und werde nicht mehr krank", meinte Manuel. Patrick schwörte auf faulen Fisch: "Ein Stückchen, wenn Schnupfen droht, und du spürst nur eine leichte Erstverschlimmerung."
Ach, meine Freunde! Sie alle sind dem erlegen, was man als Aberglauben bezeichnet: Die Wirkung ist tatsächlich da, aber man hat die falsche Ursache im Kopf.
Luca wird sich sicher nie mehr anstecken, weil infizierte Menschen auf Abstand gehen. Allerdings auch sämtliche anderen. Luca stinkt morgens so erbärmlich, dass jedermann ihm drei Meter vom Leib rückt.
Manuel könnte statt Aztekentee auch Kaffee, Gin-Tonic oder Schampus saufen, das Wichtige ist, dass in der Cafeteria seine fünf Kubikmeter grosse Blondwuschelmähne trocknet und er nicht mehr mit klatschnassen Haaren in die Kälte läuft.
Und Patrick? Erstverschlimmerung, hoho! Er hat schlicht und einfach regelmässig eine Fischvergiftung, die sein Immunsystem so auf Trab hält, dass man nichts anderes merkt. Das ist ungefähr so, als ob man sich, um den Kopfschmerz nicht mehr zu spüren, ein Messer ins Knie rammen würde.
Ich glaube, dass mit einigem Nachdenken sich viele Volksglaubigkeiten - was für ein Wort, Gruss an M.J. - normal erklären lassen. Nehmen wir zum Beispiel die schwarze Katze. Könnte es nicht sein, dass sie am Mausen ist? Wenn nun auf dem Trottoir gehen, normalerweise im Rechtsverkehr, läuft die Maus nach rechts ins Haus - und bringt Schlechtes. Nach links läuft sie auf die Strasse - Glück für die Hausbewohner. Das ist jetzt nur eine ganz vage, spontane Theorie. Und schwarz? Nun, schwarz und dunkel assoziieren wir immer mit Argem. Wenn Sie das für unnatürlich halten, stellen Sie sich um 24.00 doch mal an eine einsame Bushaltestelle.
Ein Kumpel von mir hat übrigens eine unglaublich plausible Erklärung für die Astrologie: Zwei Kinder spielen oft allein in ihrem Zimmer. Kind 1 (*14.7.2005) spürt die Übereinstimmung mit der Erwartung der Umwelt, es ist ein Krebs und wird weiterhin so handeln. Dem Kind 2 (*25.12.2005) wird - unbewusst! - signalisiert, dass es etwas falsch macht. Es ist ja ein Schütze! Also wird es immer mehr tollen und toben. Self-fullfilling Prophecy! Von Lehrern weiss man ja übrigens, dass sie Schüler anders behandeln, wenn sie Vorinformationen bekommen, und die Schüler dann auch wirklich so werden (lernschwach oder hochbegabt)
Aberglaube heisst, falsche Denkmuster im Kopf zu haben.
An dem Abend gesellten sich übrigens noch Cyrill und Sascha zu uns. Cyrill hatte festgestellt, dass seine Nase nicht mehr läuft, wenn er von Acrylpullis auf Wolle umstellt. Sie ahnen es - er hatte nie Erkältungen, er hat eine Allergie. Sascha benutzt nur Kampfpräparate der Basler Grossindustrie, NASOPIN, HUSTOWOL und GRIPPOGYP, aber dass die eine Erkältung verkürzen, ist auch ein Aberglaube...

Montag, 26. November 2012

Alte Dame Schweiz


Die Schweiz, sagen manche Leute, die Schweiz müsse jetzt in die EU, als reichstes Land könne man doch nun Forderungen stellen. Zu fordern hat die Schweiz genug, Ausfuhrregeln, Einfuhrregeln, die Entlastung der Alpen, die Flugzone im Norden von Kloten, usw.
Gut, stellen wir uns vor:
Beim nächsten Treffen der EU-Chefs erscheint die Schweizer Delegation, zunächst mit einer kleinen Panne. Das Treffen ist in Winsen an der Aller, und statt mit dem ICE nach Bremen zu fahren, wo Chauffeure warten, ziehen die Eidgenossen einfach die Notbremse, Klagen der örtlichen Bahnbeamten räumen sie aus dem Weg, indem sie die DB einfach kaufen. Nun ziehen sie ins Tagungslokal ein, die Damen im Nerz, die Herren in Armani, im Gefolge Lakaien, Bodyguards und Sekretäre, ziehen ein und verkünden: Wir geben Europa eine Trilliarde, 500 Billiarden an Brüssel und 500 Billiarden verteilt auf jede Region. Der anfängliche Jubel der Staats- und Regierungschefs kippt schnell, als man die Bedingung erfährt: Ausschluss von Griechenland, Polen, Portugal und Spanien. Der Ratsvorsitzende ergreift sofort das Wort: Ablehnung! Arm, aber anständig wolle man bleiben.
Die Tellsnachfahren erwidern, man habe Zeit…
Es ist klar, dass niemand sich von den Schweizern die EU kaputt machen lassen will, aber irgendwie fangen jetzt alle an, auf Kredit zu leben (oder fahren damit fort). Die Emilia-Romagna leistet sich ein neues Naturschutzgebiet, das Burgenland bekommt ein Staatstheater, in Holland, Belgien und Luxemburg spriessen Museen, Archive und Spielplätze nur so aus dem Boden. Neue Ideen werden geboren: Europaweit will man Kinderbetreuung ab 0 Jahren, Klassengrössen von 15 und Musikunterricht für alle. Auf den Landkarten sieht man neue Strassen, neue gelbe Strassen. Irgendwie, denken alle, irgendwie wird sich das alles lösen.
Aber es löst sich nicht, und 2020 sind Griechenland, Polen, Portugal und Spanien keine EU-Staaten mehr, die Drachme und der Sloty sind wieder eingeführt und bei Flugreisen nach Lissabon und Madrid muss der Pass wieder gestempelt werden.
So könnte es gehen…
Aber es wird nicht passieren, weil die Schweizer – und ihr grösster Autor hat diese Parabel  ja geschrieben – zu anständig sind. Ja, liebe Frau Merkel, die Eidgenossen sind nicht in der EU, weil sie saubere und korrekte Menschen sind, also schlagen Sie sich irgendwelche Beitrittspläne aus dem Kopf, sonst passiert das oben Geschilderte.

Freitag, 23. November 2012

Möven in Kleinhüningen

Neulich, am 22.10. - Sie erinnern sich, das war der heisseste Oktobertag seit 1764 - sass ich auf der Terrasse des Restaurants SCHIFF in Kleinhüningen. Die Sonne knallte von einem tiefblauen Himmel, dreissig Möven tobten über der Wiese (für die Nichtbasler: das ist ein Fluss), vor mir ein leckerer Salat und ein kühler Weisswein, mein weisses T-Shirt und meine blauen Bermudas waren mir fast schon zu warm, aber ich kann ja nicht in der Badehose essen gehn... Da klingelte mein Handy: Es war Horst. "Rat mal, wo ich bin! In Südfrankreich! In Montpellier!" "Und?" "Ich sitze an einem Kanal, und da sind ganz viele Möven, und es ist toootaaal heiss, ich trage T-Shirt uns Shorts, und ich esse gerade einen Salat und trinke einen Weisswein." "Gut, all das habe ich auch gerade, ich bin in Kleinhüningen, selbst die Möven sind ebenfalls da." "Aber ich in Südfrankreich! In Mont-Pel-Lier! Du weisst schon."
Nein, wusste ich nicht. Also bat ich ihn, wieder anzurufen, wenn er irgendetwas Besonderes gesehen hätte. Er legte beleidigt auf.
OK, das war fies von mir. Horst arbeitet als CEO 14 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 51 Wochen im Jahr, er schrammt die ganze Zeit so knapp an einem Burnout vorbei wie das Lissaboner Tram an den Hauswänden, jetzt nimmt er sich einmal ein paar Tage frei, und natürlich ist dann alles, aber auch wirklich alles neu, interessant und schön. Aber hätte er nicht die Luft, den Himmel, das Licht beschreiben können, die dort unten wirklich ganz eigen sind? Einen Platz, ein Haus, eine Kirche schildern? Oder gleich ans Meer sitzen, das wir ja in der Tat nicht haben?
Erst wenn wir daheim mit wachen Augen durch die Strassen und die Landschaft gehen, können wir doch auf Reisen das Wichtige erkennen. Erst wenn wir wissen, was im Nachbargarten wächst, sehen wir wirklich die Blumenpracht auf Menorca, erst wenn wir unsere Kirchen angeschaut haben, entdecken wir irgendwo an der Ostsee eine Backsteinkirche mit einem backsteingeflochtenen Alphabet an der Fassade, was wir noch nie erblickt haben.
Franz Hohler hat dies das letzte Jahr getan: Er ist in Zürich spazierengegangen. Kleine Touren, bei denen er vieles neu gesehen hat und er schildert diese Miniaturen mit einer wunderbaren Sprache und viel Liebe zum Detail. Spaziergänge heisst diese Büchlein und ist bei Luchterhand erschienen. (nein, ich werde nicht von Luchterhand gesponsort)
Ich weiss auch, wem ich das Bändchen schenken werde: Meinem Kumpel Horst. Obwohl ich weiss, dass er zum Lesen eigentlich auch nie Zeit findet. Aber vielleicht heilen ihn schon ein paar Seiten. Und als Widmung schreibe ich hinein:
Für deine Imbisse an der Wiese, denn
Möven gibt es auch in Kleinhüningen.

Dienstag, 20. November 2012

Die Tücken von Tramanzeigen

Ich bin ein begeisterter ÖVler, ich habe das GA und mache alles, was irgendwie geht, mit Tram, Bus oder Zug. An meiner Pinwand hängen die Fahrpläne der Linien 6 und 11, sodass ich punktgenau auf eine Strassenbahn gehen kann. Immer, wenn ich zum Barfi komme, erstaune ich allerdings, dass die Linie 6 noch viele Minuten brauchen soll, sagt zumindest die Anzeigetafel, aber sie hat meistens Unrecht: Das Tram erscheint zu der Zeit, die bei mir angegeben ist, Abweichungen bis zu 3 Minuten sind an der Tagesordnung. Übrigens kommt auch oft nicht das Tram zuerst, das oben auf der Tafel steht, engültig weiss die Elektronik und damit die Anzeige erst, welcher Wagen anrückt, wenn betreffender Wagen das Stöckli passiert hat. Und dann weiss es auch der Fahrgast, der am Barfi steht, wenn er nicht extrem kurzsichtig ist. Die Basler Anzeigetafeln sind also alles andere als perfekt. Jetzt aber hat die Anzeigenmisere eine Steigerung erlebt: Ganz häufig ist auf der Tafel nur ein einziger Satz zu lesen: Bitte Fahrplan beachten. Hallo? Das tue ich doch sowieso, wozu dann eine Leuchtanzeige? Wahrscheinlich, um Nervenzusammenbrüche und Selbstmorde von Menschen zu verhindern, die ob der Orientierungslosigkeit nicht auf den rettenden Gedanken kämen: Da drüben hängt noch ein Fahrplan, auf Papier, gedruckt, old-style.
Eine weitere Sache sind dann die Tafeln, auf denen gar nichts mehr steht. Soll ich jetzt auch nicht mehr den Fahrplan beachten? Ist der auch falsch? Oder warum gibt es nur noch apokalyptische Schwärze? Und was ist dann davon zu halten, wenn solche Tafeln zusätzlich eingehüllt werden? Was soll verhindert werden? Dass jemand stundenlang auf die dunkle Tafel schaut und in Trance fällt? Nein, wahrscheinlich spielt die LCD-Anzeige so verrückt, dass sich obszöne Wörter und Bilder formieren. Man stelle sich vor, da stünde einfach f..... Da muss man schon verhüllen.
Bei der SBB hat man sich nun angepasst, damit der Übergang Tram - Zug reibungslos verläuft. Da liest dann der Reisende:
8.05      ICN         Olten - Bern - Thun
    Z&&&   öööö
                zt
Dann das grosse Klackern, Sie kennen das, alle Buchstaben und Zahlen werden durchgeklickt, jedesmal ein spannender Moment, und dann lesen wir:
8.05       ICN        Olten - Bern - Thun
          66        hh
                 %
Wie gut, dass der Fehler nicht Olten - Bern - Fankfurt heisst, das ist für Amerikaner und Japaner, die die Geographie hier nicht so gut im Kopf haben, sehr verwirrend.
Wir fliegen zum Mond, bekommen aber keine Anzeigetafel hin, wir schiessen Teilchen quer durch die Welt, um endlich das 13. Früchtequarks zu finden, schaffen es aber nicht, einen unkomplizierten und kundenfreundlichen Fahrkartenautomaten zu bauen, wir haben bald den Quantencomputer, werden aber nie ein Schreibprogramm besitzen, das auf Mac und PC gleich gut funktioniert.
Warum fangen wir nicht einmal an, die ganze Schrotttechnik des letzten Jahre zu verbessern, bevor wir immer weiter denken? Ja, ich weiss, die Alltagstechnik entsteht als Abfallprodukt der anderen, aber mussten wir wirklich 100 000 Billionen der NASA spenden, damit dann als Nebensache das Teflon herauskommt? Hätte man Teflon nicht auch ohne Apollo X basteln können?
Überlegen Sie sich das mal, ich muss jetzt aufs Tram.
Sagt meine Pinwand - und die stimmt.

Donnerstag, 15. November 2012

Maitressenwesen als Lösung für die CIA

Früher war alles besser. Der König, Herzog, Graf, Fürst oder was auch immer, hatte eine Ehefrau, die war Königin, Herzogin usw. und zuständig für Repräsentation und Kindergebären. Also für Reich und Stammbaum. Nebenbei hatte der König, Herzog, Graf, Fürst oder was auch immer eine Maitresse, die für die anderen Dinge wie Freizeit und Sex zeichnete. Dabei waren die Maitressen keine Huren, sie waren kluge, gebildete und kunstinteressierte Frauen, die in ihrem kleinen Palais ein eigenständiges und aktives Leben führten. Viele sind uns bekannt: Die Pompadour, die Dubarry und Franziska von Hohenheim, die warmherzige Maitresse des Württembergischen Despoten Carl Eugen. Schiller hat ihr in Kabale und Liebe in der Figur der Lady Milford ein Denkmal gesetzt.
Nun war der König, Herzog, Graf, Fürst oder was auch immer natürlich seiner Maitresse auch nicht immer treu, neben Stammmutter und Gespielin vernaschte er Bäuerinnen, die zur Audienz kamen, Küchenmädchen, Gärtnerinnen und Stubenzofen. Aber das war nicht offiziell, das lief so nebenbei. Niemals hätte er sich den Namen gemerkt oder sie am nächsten Tag angesprochen. Kinder von solchen Weibern wurden nicht legitimiert, die von den Maitressen schon, und wenn die Königin unfruchtbar war, ging der Thron an eine Seitenlinie, so in Baden von den Zähringern zum Haus Hochberg, dem heutigen Haus Baden. Niemals, gar niemals, nie, nie nie hätte der König, Herzog, Graf, Fürst oder was auch immer einem Küchenkätzchen einen Brief oder ein Billett geschickt. (Da gibt es einen Unterschied, hat was mit der Faltung zu tun, diagonal oder gerade, ich musste das mal für Briefroman im 18.Jh bei Frau Dr. Torra-Mattenklott - heisst wirklich so - lernen.) Bäuerinnen, die zur Audienz kamen, Küchenmädchen, Gärtnerinnen und Stubenzofen hätten das auch gar nicht lesen können. War ja alles Französisch.
Heute ist alles schwierig. Da hat ein hohes CIA-Tier eine Ehefrau, zwei Geliebte, und die teilt er sich auch noch mit einem anderen Offizier. Und schreibt SMS. Nun hat Obama ein Problem: Was ist da wie und von wem und warum und auf welche Weise halb um den Globus geschickt worden?
Die Lösung liegt auf der Hand: Der Minister, CIAler, FBIler oder was auch immer hat in Zukunft eine Ehefrau, für Galas im Weissen Haus und für die Kinder, er hat dann noch eine Maitresse, mit der in Malibu oder Florida Ferien macht. Beide sind in die Politik involviert und die Kommunikation liegt offen. Sonstiges Personal wird an Ort und Stelle vernascht, Soldatinnen, Cateringschnepfen, Stewardessen, da gibt es aber auch keine SMS, Chat, E-Mail, Facebook oder sonstiges.
So und nicht anders muss das laufen.
Und wenn Sie jetzt einwenden, dass Minister, CIAler, FBIler oder was auch immer keine Könige, Herzöge Grafen, Fürsten oder was auch immer seien: Sie verhalten sich aber auch so.
Männer, die als gewissenhafte und anständige Funktionsträger innerhalb einer Demokratie für das Allgemeinwohl arbeiten, sind auch sonst anständig.

Montag, 12. November 2012

Schavan, die dritte oder: Ein Experiment

Vor vielen Jahren startete die satirische Zeitschrift Der Rabe ein Experiment. Sie verschickten Auszüge aus Musils Mann ohne Eigenschaften an sämtliche namhaften Verlage in Deutschland mit der Bitte, den Text herauszubringen. Das Ergebnis war eine Komödie erster Güte. Die einen zweifelten sehr an der Qualität des Romans, die anderen behaupteten, er würde nicht in ihr Verlagsprogramm passen, darunter auch Rowohlt, obwohl dieser Verlag ja ständig mit Stolz darauf hinwies, 1930 die Erstausgabe gedruckt zu haben. Es hatte einfach kein Lektor den Text erkannt.
Dies führte mich zu einem ähnlichen Experiment. Ich verschickte eine Anfrage an sämtliche deutschen Musikwissenschafts-Fakultätsvorstände mit drei Vorschlägen für Doktorarbeiten:
1.) Giovanni Biccini - Leben und Werk
2.) Musikgeschichte Flevolands
3.) Die 12-Ton-Technik beim späten Richard Strauss
Prof. Dr. Schübelbein aus Marburg schrieb mir, er sei sehr an 1.) interessiert, ich könne mich aber auf das Werk beschränken. Guter Mann! Hatte er die herrliche Affäre vergessen, bei die Mitarbeiter des Riemann-Lexikons ihrem Übervater den Komponisten Biccini hineinschmuggelten, mit so tollen Kompositionen wie die Missa supra sine (Messe oben ohne), um herauszufinden, ob Riemann es finden würde? Tatsächlich überlas es der Gute, und viele Jahre geisterte Biccini durch die Nachschlagewerke. Trotzdem gab es ihn nie.
Frau Prof. Ya-Sager - diese herrlichen binationalen Doppelnamen, schön auch Un-Fähig - aus Tübingen äusserte Interesse an 2.), gab aber zu bedenken, dass ich unbedingt einen Fachmann für Niederländisch hinzuziehen müsse, immerhin ginge es ja auch dann um Alt- und Mittelniederländische Quellen. Ja, da wird exakt gearbeitet in der Neckarstadt! Nur, liebe Frau Ya-Sager, Flevoland gibt es seit 1986, da wurde immer das heutige Idiom gesprochen, ich kann jede Quelle lesen. Zur Zeit des Altniederländischen sangen da nur die Möven und blubberten die Fische, das Land wurde erst im 20. Jahrhundert dem Meer abgewonnen.
Und 3.)? Das war natürlich zu simpel. Aber Prof. Dr. Dr. Dr.hc Flobinger aus Berlin schrieb mir, ich könne doch über die Vermeidung der Dodekaphonie bei Strauss schreiben. Gut, immerhin hat der Mann gemerkt, dass der letzte Spätromantiker keinen einzigen atonalen Takt hinterlassen hat, aber wie soll man hier Vermeidung feststellen? Bewusst vermeiden muss man nur simple Dinge, kein Mensch sagt doch: "Ich muss den ganzen Tag aufpassen, dass ich nicht aus Versehen die Yoga-Position Sonnengruss mache." "Ich achte beim Kochen darauf, dass keine Tschuz-Wurzeln ins Essen gelangen." Soll ich die Vier letzten Lieder so durchgehen: "Hier schreibt Strauss d-fis-a um nicht AUS VERSEHEN eine Zwölftonreihe zu schreiben?"
Ich hätte also sofort anfangen können, mit einer völlig schwachsinnigen Promotion. Und das ist der Unterschied zwischen Verlagen und Fakultäten: Bei Unkenntnis, Unbildung oder - und das müssen wir auch einmal sagen, denn die Personalschlüssel sind so, dass nirgendwo mehr sauber gearbeitet werden kann! - Überlastung wimmeln die Verlage ab. Und das sollten die Hochschulen auch tun.
Wer meint, 150 Doktoranden können in einer Fakultät noch sinnvoll betreut werden, lügt sich in die Tasche.

Donnerstag, 8. November 2012

Vorschläge für Obama

Hallo, Mr. President!

Herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl. Nun liegen vier weitere Jahre vor Ihnen und viele Probleme. Vor allem finanzielle. Daher habe ich ein paar Ideen zu Papier gebracht, wie Sie einfach zu Geld kommen und Geld sparen können.

a) Land verkaufen
Brauchen Sie Alaska wirklich noch als Bollwerk gegen den Bolschewismus? Geben Sie es doch den Russen zurück, zum 10fachen Preis natürlich, es gibt ja inzwischen Öl dort. Und die Schweiz hätte gerne Hawaii, wir brauchen nämlich als Segelnation ein Meer, ja, wir können Englisch, das ist kein Problem. Und Iowa geht an die Japaner, in diesem öden Staat ist so viel Platz und die Insel unter der roten Sonne platzt aus allen Nähten.

b) Eintritt im Süden
Sie bauen den Grenzwall zu Mexiko richtig gut aus und verlangen dann Eintritt. Zusätzlich siedeln Sie alle Homelesspeople dort unten an, da spart man sich auch die Wärmestuben, in Arizona ist es nämlich warm, wenn dann so ein Mexikaner seine 20 Dollar Eintritt bezahlt hat, darf er die USA besuchen, sieht das ganze Elend und denkt: "Habe ich daheim auch, gehe ich wieder nach Nogales."

c) CIA verkleinern
Sie haben einen der teuersten und ineffizientetsen Geheimdienste der Welt. Ach, nicht? Ich erinnere nur an den 9.11., da haben die Jungs ja gar nix gebracht. Gut, man kann immer mit 500 Anschlägen argumentieren, die man verhindert hat, kann ja niemand nachprüfen. Mein Vorschlag: Extrem verkleinern und mit Freiwilligen arbeiten, die Deutschen schicken ein paar Ausbilder, die haben da ja Übung drin, vielleicht sogar jemand der NS-Blockwart UND Stasi-IM war. Motto ist: Wir brauchen keine Profis, wir bespitzeln uns selber.

d) NASA
Die Weltraumorganisation ist noch teurer als die CIA, und was bringt sie? Gut, man hat festgestellt, dass es auf dem Jupiter Eisen gibt, aber was nutzt das Leuten mit Eisenmangel? Kann ja keiner runterbeissen vom Jupiter. Nun hat Disney ja Krieg der Sterne gekauft, und was liegt näher als eine Kooperation? Es wird gleich im Weltall gedreht, vielleicht sogar eine Live-Soap, oder eine Wiederauflage von Schweine im Weltall mit Angie als Miss Piggy, die entsorgen wir dann da auch gleich.

e) Indianer zurück in die Heimat
Was bringen Ihnen die Indianer? Nichts ausser Patchworkdeckchen und Regentänze für die Touris! Also schütten wir die Behringstrasse wieder auf und schicken die Leute, die ständig Subventionen verlangen, wieder heim, in die Mongolei, wo sie herkamen. Halt, Scheisse! Geht ja gar nicht! Wir haben Alsaka ja verkauft! Also vielleicht erst die Indianer heim und dann verkaufen.

f) Mehr Nevada!
Es gibt noch so viele Staaten mit endlosen Weiten, die nach Wirtschaftsförderung schreien. Bauen Sie doch Spielcasinos, Wetttempel und Zockerbuden wie in Las Vegas. Dann müssen die New Yorker nicht mehr 4-5 Stunden fliegen, um all ihr Geld los zu werden, sie haben die Glitzerwelten in Carolina oder Ohio.

Also, Mr.President, an die Arbeit, es gibt viel zu tun.

Dienstag, 6. November 2012

Sponsoringideen meiner Leser oder: Anything goes

Vielen, vielen Dank für die vielen Zuschriften! Viele meiner Leser haben Ideen für Kultur- und speziell Opernsponsoring geäussert, die meisten noch viel radikaler als meine.
Hier die besten:
1.) Sponsoren, die nichts beisteuern oder aus dem Sponsorenkreis aussteigen, werden genannt. Das ist - wie mir ein Kollege berichtete - sogar schon vorgekommen. In einer kleinen Gemeinde trat der Vorsitzende des Musikvereins vor die Zuhörer und bat sie, die örtlichen Geschäfte, die fleissig gespendet hatten, beim nächsten Einkauf zu berücksichtigen. Dann sagte er: "Nichts gegeben haben..." Das ist doch wunderbar! Stellen Sie sich vor, wie das aussähe, wenn bei den Sinfoniekonzerten auf den Plakaten stünde: "Ausgestiegen: NOVARTIS" (Ist so!)
2.) Productplacement in Verbindung mit Liveübertragung. Die Met hat es vorgemacht, mehrere deutsche Bühnen machen es nach, bestimmte Vorstellungen werden mit vielen Kameras auf Kinoleinwände gespielt. Hier könnte man nun das tun, was bei einer Theaterbühne nicht geht, nämlich Kleinigkeiten zeigen. Den Ring zum Beispiel! Jedesmal wenn Wotan, Fafner, Brünhilde den Ring hochheben, dann: Grossaufnahme! So gross, dass man deutlich den Namen lesen kann. Und natürlich trägt Wotan eine ROLEX, wie James Bond.
3.) Ein Leser schreibt mir, man könne doch die vielen Namen, die auf den Programmzetteln stehen und nur Vor- oder Nachnamen sind, ergänzen. Wie heissen den Rigoletto und Gilda mit vollen Namen? Könnten sie nicht Gucci, Ferrari oder Barrila heissen? Das ist in der Tat eine gute Idee. Die Argumenatation von Max P. aus D. ist allerdings falsch. Er behauptet, Daimler-Benz habe die Carmen gesponsort, und daher heisse die Freundin Mercedes. Er behauptet ebenso, 4711 habe Puccini zur Tosca angeregt. ("Mit Tosca kommt die Zärtlichkeit", kennen nur noch die Grufties, also meine Generation.) Das stimmt alles irgendwie zeitlich nicht. Aber egal.
4.) Die radikalste Innovation schlägt Herr Pups aus Pforzheim vor: Ganze Opern gleich von den Firmen in Auftrag geben lassen. Dann wird Ikarus nicht abstürzen, sondern sicher in Toulouse landen und eine Flugzeugfirma gründen. Dann wird Ariadne auf Naxos zusammen mit Bacchus einen Club Mediterranee eröffnen, dann werden die Drei Orangen zu einem wunderbaren Fruchtcocktail verarbeitet. (Wussten Sie eigentlich auch nie, aus welchen Früchten die komischen Stücke bestanden? - Das war wieder an die Grufties.) Und sagen Sie jetzt nicht, das wäre nicht schon vorgekommen. Bei Vergil stand eines Tages Augustus vor der Türe und sagte: "Schreibe ein Epos, aber bitte so, dass die Römer gut und die Griechen und Karthager böse sind und dass ich, der göttliche August, von der Venus abstamme. Und Vergil schrieb, und sein Machwerk ist gar nicht so schlecht.
Sie sehen, es gibt noch viel zu tun. Dieser Blog bleibt aber frei, ungesponsort, deshalb erwähne ich auch nie irgendwelche Namen.
Sie haben mich gestern gesehen, wie ich eine Weltreise für 120 000.- gebucht habe?
Zufall.

Donnerstag, 1. November 2012

Werbung auf der Übertitelungsanlage

Kultur braucht Geld. Und da die Kirche, das Bürgertum, die Monarchen, der Staat, die früher finanzierten, irgendwie ausgestiegen sind, müssen nun Sponsoren her. Die zahlen viel Geld, um dafür auf Plakaten oder in Programmheften genannt zu werden. Aber der Kampf wird härter. Wer viel Moos rüberwachsen lässt, kann auch Bedingungen stellen. So war ich doch ein wenig baff, als ich neulich im Stadttheater Castrop-Rauxel das Folgende auf der Übertitelungsanlage las. (Es handelt sich übrigens - für die Ungebildeten - um die Blumenarie aus Carmen.)

Die Blüte,
kommt mit Fleurop
die du mir zugeworfen hattest,
ist mir in meinem Gefängnis geblieben;
bei Rechtsstreitigkeiten: ARAG
verwelkt und trocken
trocken den ganzen Tag mit Pampers
bewahrte diese Blüte stets ihren süssen Duft;
guter Duft auch für Sie mit Febren
und ganze Stunden lang
Zeit für sich nehmen mit ROLEX
 
auf meinen Augen
Brille: Fielmann
bei geschlossenen Lidern,
UHU klebt alles zu
berauschte ich mich an diesem Duft,
BOSS und AZARRO bei DOUGLAS
und in der Nacht
der Tag geht - Jonny Walker kommt
sah ich dich. Ich begann dich zu verfluchen,
Always connected with Yahoo
dich zu verachten, mir zu sagen:
Warum musste das Schicksal
Ihr Horoskop bei astrostar.de
sie mir über den Weg schicken?
Navis bei MEDIA MARKT
Dann klagte ich mich der Blasphemie an,
und ich fühlte in mir selbst
Rennie gegen Völlegefühl
nur ein einzig Verlangen, eine einzige Hoffnung,
dich, o Carmen, wiederzusehen, ja, dich wiederzusehen! ...
Stayfriends: alte Freunde wiedersehen
Denn du hattest nur erscheinen,
nur einen Blick auf mich werfen müssen,
um mein ganzes Wesen in Besitz zu nehmen,
Grundbesitz erwerben mit Commerzbank
o meine Carmen,
und ich gehörte dir an.
Carmen, ich liebe dich!
Liebe geht durch den Magen! MAGGI

Man kann nur inständig hoffen, dass das Beispiel keine Schule macht und nicht auf die Inszenierungen übergreift. Wer will schon eine Götterdämmerung mit roten, grünen und gelben Bärchen, nur weil HARIBO der Hauptsponsor ist? Oder wer eine Traviata, bei der die Abendgesellschaft ganz, ganz, ganz, also hautnah zum Publikum kommt, damit man die Sektmarke erkennt? Obwohl product placement doch noch neue Wege eröffnen würde...

Montag, 29. Oktober 2012

Schavan, die zweite, oder: Anette schrieb um

Ins Schwarze getroffen, wieder einmal ins Schwarze getroffen! Schavans Machwerk WAR eine Glosse, oder eigentlich keine Glosse, sondern ein kabarettistischer Text, eine Bühnennummer über Gott und die Welt, ein heiterer Monolog, den Annette dem Stuttgarter Renitenztheater, der Hausbühne von Keuler und Richling anbot. Dieses lehnte ab, der Text war eigentlich gar nicht so schlecht, aber die gute Frau ist einfach nicht komisch, vielleicht eine Lachnummer, aber nicht lustig. So demotiviert, verzichtete sie darauf, den "Kleinen Katzechismus" (wie sie es gennant hatte) dem Kommödchen oder den Stachelschweinen anzubieten, geschweige denn den Münchnern.
Anette schrieb um. Sie machte einen Roman daraus, denn jemand hatte ja schon bewiesen, dass man Philosophisches und Theologisches, ja die Gesamtübersicht über die geistigen Strömungen einer Epoche in einen Roman verpacken kann, sogar in einen Krimi, der nicht nur höchst spannend, sondern auch noch verfilmbar ist. Das ging aber schief, der Roman war einfach mies. Was daran lag, dass Schavan eben kein Eco ist, sie hat nicht das Format, die Bildung, den Esprit, oder um es anders zu sagen, um so etwas wie Der Name der Rose zu verfassen, muss man so intelligent wie Umberto sein, und das ist sie nicht. Hanser lehnte ab, Suhrkamp lehnte ab, Kiepenheuer lehnte ab. Und Books on Demand oder Verlage, die erst drucken, wenn man 5000.- Produktionskosten überwiesen hat oder versprochen hat, einmal pro Woche das Lektorat zu putzen, dafür war sie sich zu schade.
Annette schrieb um. Die dritte Fassung war ein populärwissenschaftliches Buch über ihre theologischen und philosophischen Fragestellungen. Und das war gar nicht so übel. Nur ist der Markt für solche Bücher relativ klein, es gibt einfach nicht so viele Kirchgemeinderäte, Theologische Arbeitskreise, Leiter von Seniorentreffs und Andachtshalter. Und manchmal sind die ganz radikal, dann lesen sie Ranke-Heinemann und manchmal sind sie sehr fromm, dann lesen sie Billy Graham. Ausserdem kam für "Licht und Dunkelheit" (so der bescheuerte Arbeitstitel) nur ein Verlag in Frage: Herder (nicht verwandt mit mir, ich schreibe mich mit "t", war in Freiburg so blöde wie in Basel Fischer oder Burkhard zu heissen). Herder lehnte ab.
Annette - nein, sie ging erst einmal auf eine lange Reise, sie wanderte durch die Wüste Gobi, meditierte am Tadsch Mahal, schwamm im Eriesee und ritt auf einem Bären zum Nordpol. Nach einem Jahr kam ihr bei den Pyramiden die glorreiche Idee: Eine Dissertation! Dass sie da nicht gleich daraufgekommen war! Einen Doktorvater müsste man doch finden. Und tatsächlich, schon nach zwei Tagen hatte sie ihren Betreuer. Denn Professoren haben gerne viele Doktoranden, das stärkt den Ruf, das gibt auch Geld, das schmeichelt dem Ego und macht sich gut bei der Vergabe von Preisen und Ehrungen. Das Problem war jetzt, dass die Schavan keine Ahnung mehr hatte, welche Texte von wo gekommen waren, ist ja auch fast nicht mehr möglich nach dem vielen Umschreiben. Also da ein bisschen getrickst, dort etwas angegeben, da ein wenig geschludert, dort eine Kleinigkeit ungenau. Am Ende ging sie nach der Devise Was ich nicht mehr als fremd erkenne, ist von mir vor. Den Rest kennen sie.
Im Renitenztheater läuft zurzeit das neue Hausprogramm Berliner Muppetshow. (Ist Ihnen die Ähnlichkeit von Merkel mit Miss Piggy noch nie aufgefallen?) Eine Viertelstunde wird unserer Anette gewidmet, und so ist sie doch dort angekommen, wo sie hin wollte: Auf der Kabarettbühne.

Freitag, 26. Oktober 2012

Hätte mein Fahrlehrer merken müssen, dass ich schlecht Auto fahren kann?


Wenn man beim Autofahren von 30 auf 0 abbremst, drückt man die Kupplung, weil man ja im ersten Gang wieder anfahren muss. Wenn man von 150 auf 110 abbremst, tut man es nicht. Wäre ja auch Unsinn. Ich tat es trotzdem. Als mein Fahrlehrer dies bemerkte, war es eine Woche vor der Prüfung, und er bedeckte mich mit Flüchen. In die Schimpfworte flocht er noch ein, dass ich nicht parkieren könne und eben schon wieder zwei Vorfahrtsschilder übersehen habe und ich die Prüfung nie im Leben schaffen werde, es sei denn es geschähe ein Wunder, das der Sturmstillung, der Speisung der 5000 oder der Wasserverwandlung in Kana gleichkäme.
Ich war ein wenig erstaunt. Zu der Zeit unterrichtete ich schon einige Jahre Klavier, und ich wusste, was meine Schüler konnten und wo sie standen. Ich wusste zum Beispiel, dass Minchen den Bi-Ba-Butzemann zum nächsten Vorspiel nicht fertig bekäme und sie mit Und die Katze tanzt allein besser bedient wäre. Ich wusste, dass ich Mäxchen jetzt relativ zackig abgewöhnen müsse, den kleinen Finger wie ein Schwuler beim Teetrinken in die Luft zu strecken. Warum hatte mein Fahrlehrer diese Dinge nicht wahrgenommen und sie in time korrigiert?
Unterrichten, Lehren, Coachen, Trainieren, Betreuen heisst Bemerken, Wahrnehmen, Ansprechen, Verbessern.
Insofern kann ich auch die ganzen Promotionsaffären nicht ganz verstehen:
Natürlich war es OK, dass sich alle über den guten Guttenberg entrüsteten, aber sein Doktorvater? Hatte der ein Recht zu sagen, er sei entsetzt über die Arbeit? Hatte er sie überhaupt gelesen? Warum tritt ein Promotionsausschuss immer dann zusammen, wenn eine Dissertation angezweifelt wird und nicht BEVOR man ein summa cum laude verleiht? Wenn jetzt der Kopf von Frau Schavan rollt, sage ich „Hoppla!“, ich sage aber auch, wenn sie mich fragen werden, wer an den Hochschulen gehen muss: „Alle!“ Wenn eine wissenschaftliche Arbeit, die mehrere Jahre dauert, so geschlampt werden kann und es nicht bemerkt wird, hat die Unilandschaft ein massives, ein gewaltiges Problem.
Ich drücke die Kupplung übrigens bis heute, ich kann auch nicht parkieren, wer mit mir schon in den Ferien war, weiss, dass ich Parkplätze brauche, die so lang wie ein Fussballfeld sind und sich auf der rechten Seite befinden, zum Glück gibt es in der Vorsaison in Apulien und in der Nachsaison auf Menorca genügend solche Plätze. Das mit der Vorfahrt habe ich inzwischen kapiert. Einmal, an einem Tag, an einem holden Märzmorgen, machte ich alles richtig: Es war der Tag meiner Fahrprüfung. Also kommen Sie nicht auf die Idee, mir meinen Führerschein aberkennen zu wollen, es ging alles mit rechten Dingen zu.

P.S. Ja, ich habe aus der Seeräuberjenny zitiert, aber ich gebe keine exakten Quellen an, das ist eine Glosse! (Vielleicht ist das Ding von Anette ja auch eine, ich habe es nicht gelesen.) 

Montag, 22. Oktober 2012

Leicht renovierungsbedürftig


Ein Freund von mir hat sich neulich ein Haus angeschaut, 200m2, 6 Zimmer, Garten, Terrasse, Garage, Binningen (Nähe Allschwilerweiher), leicht renovierungsbedürftig, 200 000.-
Die Besichtigung, für die mein Kumpel sich extra freigenommen hatte, war ein Desaster. Die Fenster mussten vielen Fussbällen als Tor gedient haben, der Putz rieselte wie Schnee in einem Disney-Weihnachtsfilm, die Küche war mit einem Fettfilm überzogen, mit dem sie den Ärmelkanal hätte durchschwimmen können, Fussböden waren Wunschdenken, und als mein Kollege sich genervt an eine Wand lehnte, gab diese nach und riss damit auch die Zimmerdecke ein.
Was hatte er erwartet? 200 000.- und LEICHT renovierungsbedürftig?
Eine Freundin war neulich in der Türkei, 2 Wochen Vollpension + Flug 149.-
Auch hier ein Desaster: Ihr Zimmer blickte auf den örtlichen Schlachthof, daher die vielen Fliegen im Zimmer, die sich zwischen die Kakerlaken gesellten, der Strand, der sich nach einer Stunde Fussmarsch durch Steinwüste vor einem auftat, war wirklich schön, allerdings musste man, um noch einen Liegeplatz zu bekommen, den Steinwüstenspaziergang schon um 4.00 beginnen. Und das Essen? Im Roman Tricky Business serviert der Koch auf dem Casinoschiff Melody wochenlang das gleiche Essen, und die Mitglieder der schiffseigenen Tanzkapelle wetten auf das Ablaufdatum. Sie kontrollieren das, indem sie jeden Tag eine Plastikkarte im Kartoffelbrei versenken. So ähnlich war die Verpflegung. 
Was hatte meine Freundin erwartet? 2 Wochen für 149.-?
Muss ich noch von Silvio erzählen, der auf seinem Bettsofa (Möbeldiscount BILMÖB, 39.-) Rückenschmerzen bekommt, weil er in einer talähnlichen Senke liegt? Muss ich noch Angela erwähnen, die mit ihrer Klavierlehrerin (15 Franken die Stunde, kommt ins Haus) unzufrieden ist, weil sie nach einem Jahr immer noch bei Hier kommt der Bi-Bo-Bär ist? Muss ich noch von Roberto berichten, dessen Schnäppchen-Renault (1600.-, leichte Schäden an der Karosserie) inzwischen als weit verbreitetes Auto gelten darf, im wahrsten Sinne des Wortes, der Kofferraumdeckel liegt bei Freiburg, die eine Türe bei Karlsruhe, das eine Rad bei Worms?
Leute, es gibt einfach einen Preis, unter dem man eine Ware nicht bekommt. Jenseits dieser Marke wartet Schrott, Nepp und Gammelfleisch. Sparen ist gut, billig ist gut, aber bleiben wir realistisch: Es gibt keine Häuser für 200 000.- und keine Ferien für 149.-, wer wirklich sparen will, der bleibe in der Mietwohnung und mache Ferien im Joggeli, allerdings auch hier: 80.- Abo, 40.- Mietkasten, Kaffee und Pommes gehen extra. Umsonst ist der Tod - allerdings nur für den Gestorbenen.

Freitag, 19. Oktober 2012

Ist der Vandale ein Genie? oder: Posthum wird alles anders


Als ich in mein Schulzimmer komme, ist Bulbo gerade damit fertig geworden, meine Wand zu beschmieren. Er hat zunächst den Inhalt mehrerer Tintenpatronen darauf gespritzt, hat dann das Ganze mit nassem Gras verrieben und die Chausse mit Hühnerblut – wie zum Teufel kommt der Kerl an Hühnerblut? – ergänzt. Klar, was zu tun ist: Schulleitung, am besten Polizei holen, Tatbestand der Sachbeschädigung, Eltern zahlen und Bulbo kommt ins Time-Out.  Dann aber zögere ich. Man hat ja schon gehört, dass solche Typen später bekannte Konzept-, Video- oder Happeningkünstler werden und ihre spätere Biografie den Mist der frühen Jugend entschuldigt. Dann sind sie die Guten und die Lehrer und Erzieher die Bösen: Schon in der Schulzeit brach sich in Bulbo eine ungeheure Kreativität Bahn, was seinen unverständigen Lehrer immer wieder zu perversen Strafmassnahmen brachte. Oder: Das Genie Bulbos, das ihn zu Malereien auf Wänden und Tischen und zu grossangelegten Schulaktionen trieb, war nie durch spiessige Pädagogen zu bändigen.
Blüht mir das? Der Buhmann in einem Künstlerleben zu sein?
Das Problem ist, dass sich alle Durchbrüche, Umbrüche, Zer- und Querbrüche eines Genies erst posthum, und immer nur posthum darstellen. In der Situation hat das Umfeld Recht, im Nachhinein der Geist des Künstlers.
Jetzt mal ehrlich: Sind Sie Chef? Wie gehen Sie mit unerlaubter Urlaubsverlängerung um? Abmahnung? Kündigung? Zusammenscheissen? Sicher eines von den dreien. Warum ist dann der Fürstbischof Coloredo für Sie so eine Art Waldemort der Mozartvita, so eine Art Saruman des barocken Salzburg? Er war arbeitsjuristisch auf der korrekten Seite. Posthum, nur posthum stand er der Entfaltung eines grossen Geistes im Wege.
Und welche Mutter würde nicht gelegentlich einmal nachfragen, ob ihr Herr Sohn nicht doch daran denken könnte, sein Examen zu vollenden und eine Stelle anzunehmen, statt sich mit Nachhilfestunden knapp über Wasser zu halten und nebenbei Lyrik zu verfassen? Warum ist dann die alte Hölderlin die Narnia-Hexe der Literaturgeschichte, ein schreckliches Weib, das so zwischen Xanthippe und Hydra changiert? Posthum bemitleiden wir den so von der Mutter geplagten Friedrich, posthum.
Ich tue übrigens das Richtige: Ich hole den Kunsterzieher der Schule. Dieser schaut sich die Wand eine Weile an, redet mit Bulbo, fotografiert, macht sich Notizen und führt dann einige Telefonate. Zwei Tage später sind drei Beyelerleute damit beschäftigt, meine Tapete abzutragen, Sie können meine Wand auf der nächsten ART begutachten, ein Angebot von Brad liegt schon vor.
Uff! Dieses Mal alles richtig gemacht.

Montag, 15. Oktober 2012

M.J. und die neuen Wörter


Immer wieder werde ich gefragt, wer denn dieser ominöse M.J. sei. Der Komponist Michael Jari, dem wir die Schlager verdanken, mit denen die Petticoatgeneration in den Eisdielen die Jukeboxen fütterte, um dann vom Sonnenuntergang in Rimini zu träumen? Aber was hat der mit „deliziös“ zu tun? Oder meine ich vielleicht J.M.J., Jean-Michel Jarre, den ersten Elektroniker, dessen Oxgene den Kindern  der Petticoatgeneration  bis heute noch feuchte Nostalgieaugen macht? War Oxygene deliziös? Oder ist es gar Michael Jackson, der Popstar, der Moonwalk und den Ballgrap erfand, der sich kleine Jungs ins Bett holen wollte, und deshalb zur weissen Frau wurde, weil das dann ja harmlos ist? Delikat war sein Leben, aber deliziös?
Alles falsch, M.J. ist ein Schüler von mir, der Name bleibt geheim, aber dieser M.J. schrieb in seinen ersten Aufsätzen stets deliziös, von mir korrigiert, das sei ein altmodisches Wort, man schreibe heute delikat oder schmackhaft, beharrte er stur auf seinem Ausdruck, denn das klinge einfach besser, und manchmal passe auch nur diese Vokabel. Dann habe ich sie tatsächlich auch einmal benutzt, und ich stellte fest: M.J. hat Recht. Ein Linseneintopf mit Würstchen ist schmackhaft, ein Steak mit Sauce Bernadaise ist delikat, aber eine Pastete, gefüllt mit marinierten Pouletstücken und getrockneten Tomaten, auf einem Kräuterspiegel an Ruccola-Artischocken-Salat, das ist deliziös. Manchmal muss man sich auch gegen seinen Lehrer durchsetzen.
Überhaupt, die erfrischende, belebende Strategie meiner Schüler, einfach mal ein Wort zu setzen, nach dem Motto: Es wird schon existieren, wenn nicht, streiten wir ein wenig mit Herrn Herter, führt oft zu Katastrophendeutsch, aber manchmal, in kleinen germanistischen Epiphanien zu wunderbaren Bereicherungen unseres Lexikons.
Nur ein Beispiel: Der Uhu schleierte durch die Nacht schrieb H.R. Seine Begründung war herrlich: Schleiern sei so wie ein Schleier fliegen, also so sanft und langsam, man sage ja auch deshalb Schleiereule, und wenn eine Eule schleiere, dann ja wohl auch ein Uhu. Ich klärte ihn auf, dass das Wort nicht existiere und die Schleiereule wegen ihrer Kopffedern so hiesse, sagte ihm dann aber schliesslich: „Schön, dass du dieses Wort erfunden hast, es ist einfach wunderschön.“ Ist doch wahr! Ein Vogel, der wie ein Schleier durch den Nebel segelt, also schleiert, das ist doch deliziös ist es doch.
Manchmal fragt man sich, warum ein so herrlicher Satz wie In der meerigen Luft entmoosten muskelige, freibrustige Matrosen den  bemövten Hafen nicht geht.
Wir brauchen noch viel mehr Wörter, schöne Wörter, präzisere Wörter, Wörter, die es noch nicht gibt, aber die wir erfinden.
Übrigens ist mein PC schlimmer als jeder Deutschlehrer, er hat mir schon bei der Petticoatgeneration die erste rote Linie gesetzt, die zweite bei Nostalgieaugen, der Kerl akzeptiert wirklich nur das, was er kennt. Öde.

 

Freitag, 12. Oktober 2012

Rezeptgläubigkeit


In Küche und Keller -  irgendwie erinnern mich solche Zeitschriftennamen immer an die Stelle in Notting Hill, in der sich Hugh Grant als Reporter von Pferd und Hund ausgibt, und Julia Roberts fragt, ob in ihrem neuen Film, der in einem U-Boot spielt, gejagt werde – fand ich ein Rezept für einen deliziösen (Grüsse an M.J.) Nuss-Mandel-Kuchen:
 
300g Mandeln (gerieben)
300g Nüsse (gerieben)
300g Mehl
100g Butter
1 Ei
4 Teelöffel Zimt
4 Teelöffel Kardamom
2 Teelöffel Curry

Ich muss gar nicht weiterlesen, das ist natürlich Schwachsinn, die Mischung ergibt niemals einen Kuchen, ich sehe das Ganze förmlich vor mir: eine streuselige, körnige Masse, die mit einem Teig nichts zu tun hat, zudem schlagen die Gewürze alles Nussige und Mandlige tot, vielleicht könnte man das Zeug als eine Art Granulat zu einer Tandoori-Speise reichen.
Wieso aber spricht eine innere Stimme zu mir, ich solle es doch ausprobieren? Zu mir, einem erfahrenen Backer, der doch weiss, dass hier ein Fehler vorliegt? Das Zauberwort heisst REZEPT. Es ist ein Rezept, sagt der kleine Mann im Ohr, Rezepte können doch nicht falsch sein.
Wir sind rezeptgläubig.
In keiner Generation waren die Buchläden so mit Ratgebern, Lebenshilfe, Psychorezepten und Partnerschaftsliteratur überschwemmt. Es gibt Rezepte für meine Spiritualität, für meine Ehe, Rezepte gegen krumme Wirbelsäulen und schiefe Zähne, Rezepte gegen Stress, Rezepte für Glück und Wohlbefinden, Rezepte gegen Mobbing, Rezepte für mehr Begabung.
Die Rezeptgläubigkeit hat sich schlimmer als SAS und Schweinegrippe verbreitet.
Machen wir die Probe und lesen zum Stichwort „Wie geht der Kopfschmerz weg“ quer:
Morgens vor dem Frühstück ein rohes Ei mit Ingwer und Schüsslersalz. – An einen Fluss oder einen See setzen und an etwas Schönes denken. – Viermal mit dem rechten Fuss das linke Nasenloch berühren. – Vor jeder Mahlzeit ein Glas Apfelstieltee (?). – Mit dem Partner bei Vollmond einen Kreistanz machen. – Amalgam raus! – Kein Fleisch mehr! – Mehr Sport! – Mehr Mozart hören!...
Abgesehen davon, dass einige Ratschläge so blöde gar nicht sind – Bewegung z.B. ist nie verkehrt – werden die Kopfschmerzen erst dann vergehen, wenn der abendliche Wodkakonsum auf eine Flasche reduziert wird.
Rennen Sie also nicht bei jedem Problemchen in die Buchhandlung, um dreizehn Ratgeber zu kaufen. Sie helfen damit nur – den Verlagen. Meistens gibt es kein Rezept, oder die Rezepte sind falsch.
Küche und Keller entschuldigt sich übrigens im aktuellen Heft für den Fehler. Das Rezept sei für ein Granulat zu einer Tandoori-Speise. Na also.

Dienstag, 9. Oktober 2012

Rücktrittsrede


Rücktritte sind zurzeit wieder sehr im Trend. So ist zum Beispiel der Rheinland-Pfalz-Baron Beck ganz unerwartet gegangen, aus gesundheitlichen Gründen, und nicht, wie er betont, wegen des Nürburgrings. Gut, aber vielleicht hängt das ja auch zusammen, psychosomatisch, vielleicht ist ihm das Ganze auf den Magen geschlagen. Wenn man auf Herz und Nieren geprüft wird, wenn man nicht frei von der Leber weg reden kann, wenn man dann Gift und Galle spuckt, dann bekommt man ein flaues Gefühl in der Magengegend, dann hat man Bauchschmerzen, dann verdaut man die Sache nicht so leicht…
Ich habe für Beck eine Abschiedsrede geschrieben, die auch andere Damen und Herren verwenden könnten. Sie besteht aus wenigen, aber klaren Bausteinen und man erhält so verschiedene Varianten:

1 Schweren Herzens lege ich heute mein Amt als ___________ nieder
2 Es gibt Menschen, die mir mangelnde Qualifikation und Missbrauch meiner Macht vorwerfen.
A Diese Leute sind zutiefst im Unrecht.
3 Es gibt Menschen, die meine Amtsführung und mein Engagement geschätzt haben.
B Diese Leute sind zutiefst im Recht.
4 Ich habe alles getan,
C um _____________ wirtschaftlich, sozial und kulturell voranzubringen.
5 Ich habe nichts getan,
D um mich persönlich zu bereichern und eigenen Vorteil zu erwirtschaften.
6 Ich freue mich nun auch darauf, wieder mehr Zeit für ________________ zu haben.

So kann man es vor der Pressekonferenz sagen. Die ehrliche Variante sieht dann so aus:

1 Schweren Herzens lege ich heute mein Amt als ___________ nieder
2 Es gibt Menschen, die mir mangelnde Qualifikation und Missbrauch meiner Macht vorwerfen.
B Diese Leute sind zutiefst im Recht.
3 Es gibt Menschen, die meine Amtsführung und mein Engagement geschätzt haben.
A Diese Leute sind zutiefst im Unrecht.
4 Ich habe alles getan,
D um mich persönlich zu bereichern und eigenen Vorteil zu erwirtschaften.
5 Ich habe nichts getan,
C um _____________ wirtschaftlich, sozial und kulturell voranzubringen.
6 Ich freue mich nun auch darauf, wieder mehr Zeit für ________________ zu haben.

Freuen wir uns auf den Politiker, der als erster die ehrliche Fassung wählt. Kandidaten gibt es genug.

Freitag, 5. Oktober 2012

Sacco, Vanzetti und der Altlinke


Ich hatte in der Studikneipe in Marburg gerade meinen Salat serviert bekommen, als es vom Nachbartisch auf einmal dozierte: „Das in Moskau ist ein Schauprozess, so wie die in Syrien oder im Iran oder sonstwo durchgezogen werden. Seit Sacco und Vanzetti 1917 in Alabama gehängt wurden, hat sich nichts geändert.“ Ich wandte mich um und sah einen Typ Mensch, den ich für ausgestorben hielt: Den Altlinken. Wallemähne, Marxbart, Selbstgedrehte in der Hand, sass er inmitten seiner Jüngerinnen und Jünger und lehrte. Ich konnte mir mit geschlossenen Augen seine Wohnung vorstellen, Holzboden, Seyfriedposter, Papyrus und viel, viel, viel Batik. Ich weiss nicht, warum ich in diesem Moment der Hafer ritt und der Teufel stach, oder war es umgekehrt, ich drehte mich zu ihm und sagte: „So, die waren unschuldig, weiss man das denn genau?“ Der Altlinke schaute mich an und brummte: „Du als Spiesser natürlich nicht. Aber sie wurden zu Unrecht ermordet.“ Nun musste ich doch entgegnen, dass ich kein Spiesser sei, ich sei sogar lange in der linken Szene unterwegs gewesen, und natürlich wisse ich, dass die Unschuld von Sacco und Vanzetti zum progressiven Wissenskanon gehöre, aber ich hätte eben nie die Story wirklich studiert, wie die meisten meiner Genossen. „Wenn du mal links warst, hast du dich aber ganz schön zum Negativen verändert.“ Ich legte noch einen drauf und sagte: „Ich habe mich verändert, im Gegensatz zu dir, du bist ja von 1975 direkt in die Gegenwart gehüpft, aber älter und reifer werden, heisst für mich eben immer mehr die Dinge zu hinterfragen. Hast du mal die Texte von der Meinhof wirklich gelesen, wie faschistoid und menschenverachtend das ist? „Und natürlich darf geschossen werden“ erinnert doch sehr an „morgen wird zurück geschossen“.  Hast du damals den NATO-Doppelbeschluss wirklich im Kopf gehabt oder hast du nur dagegen demonstriert?“
Nun guckt er, als würde ich gerade einen Frosch gebären und gleichzeitig Puccini singen.
Auf solch einen rechten Scheiss habe er keinen Bock.
Natürlich, die Keule kommt immer. Er habe, so der Altlinke, die „Geschichte der Anarchie“ gelesen, 3 Bände von Piet Bompfer, einem Historiker, aber eben einem der dialektisch-materialistisch arbeite. Und Sacco und Vanzetti seien unschuldig gewesen.
Nach dem Essen ging ich sofort in die UB und deckte mich mit Büchern über die beiden Italoamerikaner ein. Und zwar rechte, linke und neutrale Literatur. Schon bei den Klappentexten merkte ich, dass das Wissen unseres Rauschebartes nicht so doll war. Sacco und Vanzetti starben 1927, und zwar nicht in Alabama, auch wenn das passen würde, sondern in Massachusetts, und durch den Elektrischen Stuhl.
Es lebe das ideologisch gefärbte Halbwissen.









Montag, 1. Oktober 2012

Luxus


Nachdem alle meine dtv-Böll-Bände inzwischen nur noch eine Blättersammlung waren und die Haltegummibänder in meinem Bücherregal so hässlich aussahen, nachdem ich, wenn ich z.B. Ansichten eines Clowns am Strand las, Panik vor jeder Minimalböe hatte, nachdem ich mir auch nicht mehr sicher war, ob Haus ohne Hüter noch die Seiten 105-110 besässe, nachdem sich Gruppenbild mit Dame von der Terrasse des Joggeli wie einst die Flugblätter der Weissen Rose als Papierregen auf die Sonnenanbeter ergossen hatte, entschloss ich mich doch zur Anschaffung der Böll-Gesamtausgabe, 20 Bände im Schuber, sorgfältig kommentiert und lektoriert, Kiepenheuer und Witsch, 750.- Euro.
Als ich meinem Freund Moritz davon erzählte, stöhnte er kurz auf und meinte: „Hast du im Lotto gewonnen? Du bist und bleibst eben ein Luxusmensch.“ Moritz bewohnt in Zürich-Altstetten eine 6-Zimmer-Wohnung, weil er als „Mensch, der im Grossraumbüro fast eingeht, zu Hause Platz zum Atmen braucht“ (genauer 200qm) und fährt einen Lamborgini, weil „der ÖV in Zürich wirklich nicht akzeptabel  ist“. Seine Wochenenden verbringt er am Lago Maggiore oder im Wallis, weil ihm die Decke seiner Protzwohnung auf den Kopf fällt. Dafür hat er ein GA, denn sein Schlitten findet in den engen Dörfern keinen Platz.
Und dieser Mensch bezeichnet mich als Luxuswesen? Ich glaube, der Begriff des Luxus ist sehr dehnbar. Wir bezeichnen gerne das als Luxus, was wir nicht verstehen, und natürlich sind es immer die anderen, die ihr Geld zum Fenster hinauswerfen, WIR geben unseren Stutz ja nur für Dinge aus, die absolut notwendig sind, wie z.B. ein Auto in Zürich. Und genauso lief es auch: Als ich begann, Moritz die Kosten einer Gesamtausgabe gegen die eines Lamborgini aufzurechnen, stöhnte er: „Ja, soll ich denn mit dem Tram nach Rapperswil fahren?“ Als ich entgegnete, dass keine Strassen- aber eine S-Bahn führe, und die könne er sehr wohl benutzen, war er endgültig eingeschnappt.
Dabei sind – betrachten wir doch einmal die Dinge von ganz anderer Warte – Moritz und ich Luxureboys, es gibt genügend Menschen, die sich weder ein Auto, noch teure Bücher oder Opernkarten leisten können, und, weltweit gesehen, gelten folgende Sachen als Luxus: Sauberes Wasser, Schulbildung, Dach über dem Kopf, Essen und andere Dinge. Wir alle, auch die Ärmeren hier haben ein Luxusleben.
Ich habe mich jetzt doch für eine Sparmassnahme entschieden: Ich nehme den Böll ohne Goldschnitt und Grieshaber-Illustration, der kostet dann nur 700.-.

Freitag, 28. September 2012

Stolz, ein Deutscher zu sein?


ICH BIN STOLZ EIN DEUTSCHER ZU SEIN.
So prangt es vom Plakat der „Deutschlandpartei“(DP), in grossen Lettern diese Worte, im Hintergrund Portraits, offensichtlich eine Galerie grosser deutscher Persönlichkeiten, was auch immer man darunter verstehen mag. All das ist schrecklich genug, aber das Furchtbarste ist die Angabe des Grafikers: Paul Strecker, ein alter Freund von mir. Ich greife zum Handy und wähle seine Nummer, obwohl ich weiss, dass es erst 10 Uhr ist und ich ihn damit aus dem Schlaf reisse.
„Paul, ich stehe vor diesem Scheissplakat, machst du eigentlich für Geld alles?“ Paul gähnt zweimal heftig,  fängt dann an zu lachen und kann gar nicht mehr aufhören: „Ja, hast du dir denn die Bilder nicht angesehen? Das sind alles Leute, auf die ich und du stolz sein können. Guck’s dir mal genau an.“
Also fange ich an zu studieren und entdecke, dass Paul ein Genie ist, obwohl ich das eigentlich schon wusste. Er hat diesen Radikalos so einiges unterjubeln können, entweder, weil sie das wahre Gesicht der Personen nicht kannten oder einfach die Bilder nicht. Da sind natürlich sämtliche Philosophen versammelt, die deutsche Geistigkeit war ja wirklich immer führend, da kann man stolz sein, da sehe ich Kant und Hegel, Schopenhauer, Schelling und Fichte, und natürlich fehlt der Vornazi Nietzsche, dafür hat Paul ihnen noch Habermas, Horkheimer und sogar Adorno untergeschoben, die Urlinken und Sozialkritiker. Etliche grosse Maler, Dichter und Komponisten folgen, darunter so heikle wie Lenz, Büchner und Heine. Die Auswahl der gekrönten Häupter ist süffisant: Karl der Grosse, der ja inzwischen eher als Europäer als als Deutscher gilt, Barbarossa fehlt, dafür sein Enkel,  fast ein Orientale in seinem Denken, Friedrich der Grosse, bei dem man nach seiner Facon selig werden konnte, der ein Herz für die Juden hatte und „auch den Muslimen, wenn sie gekommen wären eine Moschee gebaut hätte.“
Ich rufe Paul noch einmal an: „Du bist super. Aber wo sind Marx, Brecht und Brandt?“ „Schlaumeier, die Bilder kennt man doch.“ „Und Ulrike, Gudrun und Andreas?“ „Hör mal, checkst du es nicht? Erstens kennt man die Fotos ja auch, die hingen in jedem Postamt, erst so und dann mit dem Filzstift durchgekreuzt, und dann ging es nicht einfach um Provokation, sondern um Leute, auf die wir stolz sein können. Und das kann ich auf die Stammheimer beim besten Willen nicht sein.“ „Und wenn die DP dahinter kommt?“ Paul lacht wieder sein unnachahmliches Lachen: „Dann zahle ich mein Honorar zurück und gehe aber zur Presse. Die blamieren sich doch bis auf die Knochen, wenn herauskommt, was man ihnen unterjubeln kann, einfach weil sie keine Ahnung haben.“  






Montag, 24. September 2012

Jammerer



Die ältere Dame schaut sich suchend im völlig überfüllten Schnellzug nach Zürich um. Ich weise auf den einzigen freien Platz direkt vor mir. „Ich fahre nicht gerne rückwärts“, meint sie und lässt sich seufzend in den Sessel fallen. Ich biete ihr einen Tausch an, für mich sei es kein Problem, von welcher Seite ich meinen Laptop bediene, meine ich und will schon aufstehen. Sie lehnt ab: „Nein, nein keine Umstände, es wird schon gehen.“  Genervt fängt sie an ihr Kreuzworträtsel zu lösen, während sie immer wieder ihren stumpfen Bleistift betrachtet. Ein Kugelschreiberangebot schlägt sie ebenso wie den Platztausch aus. Nach einer Weile klagt sie über die Hitze. Vielleicht wäre ihr wohler, wenn sie eine der drei Wolljacken ausziehen würde? Ich begreife nun: Die Dame ist eine Jammerin.
In Zürich wird ihre Schwester sie am Perron abholen, und sie wird sofort eine Tirade beginnen, rückwärts hätte sie fahren müssen, unbeschäftigt, weil ihr Rätselstift nicht tat und unerträglich heiss sei es gewesen. Den netten jungen Mann (ok, mittelalterlichen Mann) mit seinen Angeboten wird sie ebenso verschweigen wie den Jackenüberschuss.
Es gibt Menschen, die die Devise „Lerne leiden ohne zu klagen“ in „Lerne klagen ohne zu leiden“ umgewandelt haben.  Für diese Leute geht im April die grausame Winterkälte direkt in eine nicht auszuhaltende Hitze über, bis 3 To-do-Punkte ist ihnen furchtbar langweilig, ab 4 stehen sie vor dem Burnout.
Ein Buch ist entweder in zu simpler Sprache geschrieben, oder sie verstehen es nicht, eine Fernsehsendung zu bieder oder zu schrill.
Im Restaurant werden sie zu Kellnerquälern: Ein Salzkorn mehr und die Suppe ist versalzen, die vorher zu fade war. Entweder schreien sie „Das kann doch keiner essen!“ oder sie flüstern: „Kleine Portionen“.
Machen Sie nie den Fehler, den ich machte, und versuchen Sie nie einem Jammerer zu helfen. Si e unterstützen ihn oder sie, indem Sie für Klagstoff sorgen: Vordrängeln in der Bäckerei, im Bus auf Füsse stehen, im Zug Fenster aufreissen oder Heizung hochdrehen.
Die Schwester stand tatsächlich auf dem Bahnsteig, und bevor meine Dame Luft holen konnte, maulte die Zürcher Seite: „Chaasch dr nit vorställe, was hüt scho widr schief gloffe isch…“ Die Baslerin fiel ein und die beiden verliessen laut meckernd das Gleis Richtung Bahnhofscafé um dort über den schlechten Kaffee und den trockenen Kuchen zu schimpfen.  

P.S. Der Post wurde schon VOR der Ukraine-Reise verfasst! (passt aber gut)

Donnerstag, 20. September 2012

Ukraine II

Wie versprochen, heute etwas über die liebliche und schöne Ukraine:
An meinem freien Tag fahre ich mit einem Leihwagen über Land, durch die waldige, hügelige Landschaft und gerate in ein kleines Dorf, wo gerade ein Fest gefeiert wird. Schon von weitem sehe ich die Menge der parkierten Autos und höre den Lärm. Ich stelle meinen Wagen ab, schlendere durch die Gassen und komme auf den Kirchplatz. Alle Häuser sind geschmückt, mit Girlanden, Zweigen und Bildern. Und: Musik! Aber keine aus der Konserve, eine Kapelle spielt auf, Akkordeon, Geige und Bass und die Menschen singen dazu. Ich verstehe zwar kein Wort, aber ich geniesse die Melodien und die wunderbare Sprache. Tservone dubschja, Tservone dubschja, donju, donju tilvschi donju... Tservone kenne ich sogar, das heisst Rot, wahrscheinlich singen sie von den roten Lippen des Mädchens oder vom roten Mohn.
Auf einem Bretterboden tanzen die Jungen. Was sind diese Menschen schön! Die jungen Frauen haben schlanke Taillen und edle Gesichter, die Männer stemmen ihre starken Arme in die Hüften und recken ihre Schultern. Die Ukrainer sind fast ein wenig eitel, mir ist schon aufgefallen, dass in jeder Halle mindestens dreissig Ganzkörperspiegel angebracht sind. Aber sie haben auch einen Blick für die Schönheit anderer, ein Mädchen springt auf mich zu und sagt in gebrochenem Englisch: "You ere butiful." Endlich merkt das mal eine.
Ich hole mir etwas zu essen. Hier wird nicht Diät gereicht, wie bei unseren Anlässen, hier gibt es für so Hänflinge wie mich etwas auf die Rippen! Kartoffeln, Fleisch, Gemüse sind gebadet in Öl. Und erst der Wein! Keine saure Brühe wie bei uns, der Wein ist süss und wohlschmeckend, mit ein wenig Duschgel und Nagellack im Abgang, fast noch ein klein wenig Seife.
Verständigung? Ich zeige auf die Speisen und der Ortsansässige zeigt mir den Preis mit den Fingern. Als er noch einen kleinen Schein haben möchte, lässt er sich meinen Geldbeutel zeigen und holt das Gewünschte heraus. Wie praktisch!
Nach einigen Stunden und einigen Wodkas schlingere ich heim. Mir kommen jetzt doch ein paar Gedanken: Handelte das Tservone-Lied vielleicht doch nicht von Liebe und Natur, sondern von der Roten Armee? Hatte das I-love-you-girl etwa eine Wette abgeschlossen? Und hat der Wirt......
Tatsächlich, er hat, es fehlen 100 Griwna, aber das sind 10 Euro, kann man verschmerzen. In der Ukraine sind sogar die Diebe bescheiden und anständig.

Montag, 17. September 2012

Ukraine 1


Ich hätte letzte Woche doch posten können, es gibt in der Ukraine Strom, es gibt sogar Internet – und Handys. Daher jetzt ein paar Eindrücke.

Die Ukraine ist ein strenges Land. Der Reisende merkt das sofort, wenn er das Flugzeug der Ukrainian Airlines betritt. Kein Lächeln, ein dezidiertes Kopfnicken, später laufen die Saftschubsen herum und rügen: „Fasten seatbelt!!“ „Chair position!!“, scheinbar war das Luftpersonal früher in Gefängnissen angestellt. Um in eine Kneipe zu kommen, muss man am Eingang die Parole wissen, der Türsteher zeigt mit seinem  MG auf einen und erwartet die Parole. „Slawa Ukraijne“ (Heil der Ukraine), wenn man das sagt wird man nicht erschossen, sondern bekommt „Heroem slawa“ (Heil den Helden) zur Antwort und ein Glas Schnaps. Das ist übrigens nicht in jeder Beiz so, aber die Kneipe gibt es, in Lemberg und in einem alten Partisanenkeller.
Übel ist es, wenn man wie ich ständig gegen Spielregeln verstösst, die man nicht kennt oder nicht begriffen hat. Ohne unsere beiden Dolmetscherinnen, Dascha und Alona, wäre ich völlig aufgeschmissen gewesen. Zum Beispiel, dass man in einer Musikakademie anständig herumläuft. In Flipflops, Badeshorts und Tanktop zur Geigenstunde? In Basel bei 34° sehr angenehm, in Kiew undenkbar. So wurde ich,  nachdem ich im Pulk der Kinder nicht aufgefallen war, vom Pförtner später nach einer Zigarettenpause nicht mehr hereingelassen. Ich solle eine lange Hose anziehen, die befand sich aber im Gebäude (Catch 22). Alona und Dascha kostete es einige Mühe, mich wieder in das Nationalkonservatorium hineinzubekommen. Apropos Zigarettenpause, in Ostroh eckte ich auch an, weil ich nicht bemerkt hatte, dass auf dem ganzen(!) Campus Qualmverbot herrscht. Es gibt vor der von einem Soldaten bewachten Pforte eine Raucherecke, und da haben sie Lungenkrebsbilder aufgehängt.
Ganz schlimm ist es, wenn man Pianist ist und Neue Musik spielt. Für die MOSAIKEN von Valentino Ragni müssen die Dämpfer mit Klebern bestückt werden, weil man die Saiten zupft und sonst nicht die richtige findet. Alona kostete es eine halbe Stunde Diskussion, bis der Saaldiener in Lviv mir das erlaubte, er war offensichtlich ein geistiger Bruder der Haftanstaltstewardessen und des Militärknepiers. Er blieb danach noch eine Weile während meines Einspielens mit gezückter Pistole sitzen und hätte mich sofort erschossen, wenn ich am Flügel etwas kaputt gemacht hätte.
Erholung nach den Konzerten? Am Abend? Weit gefehlt, der Chor, bei dem wir zu Gast waren,  hatte einen strikten Bespasser organisiert, der schon 35 Sekunden nach der Ankunft mit seinem „Was wollt ihr heute Abend machen?“ „Was wollt ihr morgen machen?“ nervte. Wer sich nicht entscheiden konnte,  wurde mit vierzig Anrufen und fünfzig SMS bestraft. Ich konnte mich einmal nur noch ins Hotel retten und den Portier überzeugen, Andruschki keine Besucherkarte (!) auszustellen. Strenge hat doch manchmal etwas Positives.
Am Freitag kommen dann die lieblichen, leckeren, angenehmen und schönen Seiten dieses faszinierenden Landes. 

 

 

Donnerstag, 6. September 2012

Bebbi-Mistkübel

Hurra! Wir haben neue, schöne, wunderbar designte Mistkübel! Auf der einen Seite der eleganten Silbertonne prangt der Baslerstab. Und zwar nicht einfach aufgeklebt oder aufgemalt, sondern aus dem Metall ausgestanzt und mit schwarzem Kunststoff hinterlegt (sonst würde es ja rauskleckern). Richtig schön! Em Basler sy Mischtkiibel.
Was das gekostet hat? Ach, reden wir doch nicht von Geld. Für irgendetwas müssen wir ja die Gewerbesteuer unserer Pillendreher ausgeben, bevor das Theater wieder mehr Geld will und es für abscheuliche Regietheaterproduktionen ausgibt.
Was das bringt? Gut, die Frage ist berechtigter. Vielleicht, dass betrunkene Jugendliche beim Wegschmeissen ihrer 35. Bierdose merken, dass sie noch immer auf Basler Boden torkeln und noch nach Reinach, Frick oder Dornach, sprich heim in ihren Kanton müssen? Nein, der Bischofsstabkübel ist Teil einer Litterings-Präventions-Kampagne: Basler, du siehst DEIN Wappen, das Wappen DEINER Stadt, also halte DEINE Stadt sauber. Es wird genausowenig etwas bringen wie die bunten Tonnen und die Tramplakate, auf denen bekannte Künstler und Stadtreiniger posieren. (Rapper und Wischer together for a clean town!)
Gewiss, Littering ist ein Problem. Ich weiss das, ich wohne in der Innerstadt und bin an vielen Sonntagmorgen im Sommer froh, wenn ich zu meinem ersten Kaffee und meiner Morgenzigarette auf der Mauer vor meinem Haus zwischen den fünfhundert Burgerkartons überhaupt noch einen Sitzplatz finde. Und wenn es nur die Pappe und nicht die halbverdauten Buletten sind. Aber sind alle diese Kampagnen der richtige Weg?
Ein befreundeter Lehrer startete neulich in seinen Klassen eine Aktion "Ruhe in der Stunde". Dazu zeigte er die funkelnde Powerpoint NICHT STÖREN IST GEIL, mit der er die Schülerinnen und Schüler motivieren wollte, weniger zu schwätzen, nicht rumzulaufen, keine Gegenstände zu werfen und ihr Handy in der Tasche zu lassen. Die Klassen waren zunächst sprachlos, dann gackerten sie eine Weile, um danach zu fragen: "Wieso strafen Sie nicht einfach?"
Ja, wieso eigentlich nicht auch fürs Littering? Falschparkieren, Velofahren ohne Licht, Graffiti usw. kostet doch auch eine Busse und niemand käme auf die Idee eine millionenschwere Kampagne "Wir stellen unser Auto richtig ab und das ist tooooooll" zu starten. Ein-, zweimal jemand erwischen, der seine fünfzehn Wodkaflaschen auf dem Barfi lässt und 500 Franken abknöpfen, fertig ist die Kiste. Ich weiss, das klingt jetzt scheissautoritär, aber der Müll in der Innerstadt nervt und es muss doch möglich sein, einen der fünf(!) blauen Riesenkübel um den Barfüsserplatz aufzusuchen.
Vielleicht sind die Bebbikiibel aber auch eine Drohung: Solothurner, Aargauer, Landschäftler! Da rein mit deinem Müll, du bist auf Stadtboden! Sonst kommen wir nächstes Wochenende zu dir und müllen dich so zu, dass dir Hören und Sehen vergeht!

P.S. Ich danke Martin Egger für die Anregung zu diesem Post

P.P.S. Der Blog macht eine Woche Pause, ich bin in der Ukraine und da gibt es noch keinen elektrischen Strom.

Dienstag, 4. September 2012

Opernkarten in Bern und Montpellier

Wie Sie wissen, besuche ich gerne Opernvorstellungen in den verschiedensten Theatern. So habe ich neulich mich um Karten in den erwähnten Häusern gekümmert und war erstaunt über die Unterschiedlichkeit der Schwierigkeit oder Einfachheit.
Die Oper Bern präsentiert sich auf einer wunderbaren Homepage in 52 Sprachen (man entschuldigt sich dafür, dass Georgisch, Baskisch erst 2013 geschaltet würden und teilt mit, dass man Eyak nach dem Tode der letzten Sprecherin gelöscht habe). Alle Vorstellungen der nächsten Spielzeit sind einzusehen und zu buchen (man entschuldigt sich dafür, dass 2013/2014 noch nicht ganz geplant ist), bezahlen kann man mit allen gängigen und ungängigen Kreditkarten, darunter Beachcard, Bitchcard, Peachcard und Pitchcard, Namen, die ich noch nie gelesen hatte. Bestellen kann man aber auch telefonisch oder per Post, für einen Aufpreis von 51.- bringt einem ein Dramaturg die Karten persönlich nach Hause und kassiert bar. Etliche Zusatzdienste sind angeboten: Alle Programmhefte sind online als PDF, bei Angabe der Handynummer bekommt man Umbesetzungen per SMS zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn mitgeteilt, auch der Weisswein und die Tapas für die Pause sind per Email zu ordern. (Man entschuldigt sich dafür, dass gelegentlich das Tapasangebot sich doch noch ändern kann.)
Anders in Montpellier: Karten für Vorstellungen im nächsten Monat kann man nur postalisch anfragen, wobei die Adresse gekonnt in der Werkbeschreibung von "Nabucco" versteckt wird. Egal, in welcher Sprache man schreibt, die Antwort ist auf Französisch, und zwar in einem sehr fremden. Der Mitarbeiter, der Ihren Brief bearbeitet, hat über Moliere promoviert und verwendet auch dessen Wortschatz. Bezahlen kann man nur durch Bareinzahlung bei einer französischen Bank, wohl dem, der in Kehl, Breisach oder Basel wohnt oder eine Tante in Reims oder einen Schulfreund in Bordeaux hat.
Wenn wir davon ausgehen, dass die Anzahl ausländischer Besucher in beiden Häusern nicht so unterschiedlich ist, klafft das Bild doch sehr auseinander. Hier ein fast hündisches Anbiedern an die Welt, dort die fixe Borniertheit der Grand Nation. Hier: Japaner und Chinesen, kommt in die Berner Zauberflöte! (Auch wenn ihr noch gar nicht wisst, wo dieses Bern eigentlich liegt.) Dort: Sie wollen in Frankreich in die Oper? Selber schuld, probieren Sie es doch. WIR brauchen Sie nicht, die Einheimischen sind eigentlich lieber unter sich.
Die Wahrheit läge, wie immer, in der Mitte. Ein Baske kann auf Französisch mailen und eine IBAN und ein BIC gehören auf jede Korrespondenz. Auch wenn mir immer wieder Leute sagen, Sie hätten so etwas nicht und würden es sich auch nicht zulegen: Die Bankdaten existieren.
Jedenfalls bin ich gespannt auf die Abende, und wenn die Ouverture anhebt, sind eh immer alle Kartenbestellungswirren vergessen.