Montag, 30. Juli 2012

Dümmer als die Polizei erlaubt


Vor ein paar Jahren schrieb sich eine junge Dame Schriftzeichen von der Speisekarte eines Chinarestaurants ab, weil ihr diese so gut gefielen, und liess sie auf ein T-Shirt drucken. Irgendwann fiel ihr auf, dass allen Chinesen, denen sie begegnete, ein unglaubliches Grinsen  auf ihr Gesicht gezaubert wurde. Auf ihrer Brust stand nämlich: Dies ist eine besonders leckere und preiswerte Mahlzeit. Unvorstellbar, was passiert wäre, wenn sie die Zeichen auf einem Plakat gefunden hätte und mit Chinesen raus aus Tibet herumgelaufen wäre.
Ein junger Mann meinte, er müsse im Mea Sharim, im orthodoxen Quartier in Jerusalem ein paar Mal Jeshua ha Meschiach brüllen. Steine waren die Antwort und nach seinem zweitägigen Spitalaufenthalt fühlte der junge Herr sich als christlicher Märtyrer.
Es gibt eine Blödheit, die verboten gehört. Daher sagte man früher ja auch Dümmer als die Polizei erlaubt. Dabei geht es gar nicht darum, alles zu wissen, aber zu merken, wann, wie und wo man sich erkundigen muss. Nein, und gewisse Themen sollten einem auch geläufig sein. Man fragt einen Muttersprachler, wenn man fremde Buchstaben sich aufs Hemd schreibt, und die Tibetfrage sollte man kennen. Man sollte auch wissen, wie man sich im Mea Sharim verhält, weil jeder Reiseführer eine klare Angabe dazu macht: Man verhält sich gar nicht. Die Einwohner wollen schlicht und einfach in Ruhe gelassen werden, warum lässt man sie dann nicht einfach in Ruhe?
Wie gesagt, es gibt Formen von Blödheit, die weh machen.
In diese Kategorie fällt auch ein Sänger, der sich aus keltisch-germanisch-spiritueller Begeisterung ein Hakenkreuz auf die Brust tätowiert, es dann überstechen lässt, als man ihm sagt, es könne bei bestimmten Leuten nicht so gut ankommen (welch ein Euphemismus!), und dann damit in Bayreuth erscheint. Er singt zwar Wagner, hat sich aber weder mit Wagner noch mit der Geschichte des Grünen Hügels auseinandergesetzt. Blödheit, die schmerzt, wenn (!) seine Story so stimmt. Man lässt sich kein Tattoo stechen, wenn man Symbole und Wörter nicht vorher nach allen Seiten abgeklopft hat, man singt nicht in Bayreuth und hat sich mit Komponist und Rezeptionsgeschichte in keiner Weise beschäftigt, immerhin war Hitler ja Stammgast bei den Festspielen und wurde von den Wagnernachkommen „Onkel Wolf“ genannt.
War es richtig, ihn rauszuschmeissen? Aber absolut. Einfach, weil man so doof nicht sein darf. Den Wagner-Girls jetzt Verlogenheit vorzuwerfen, ist fies. Sie haben ja als erste Generation sich mit dem heiklen Erbe beschäftigt und sind deshalb ja etwas geschärft in dieser Hinsicht.
Die junge Dame und der junge Herr haben übrigens dazu gelernt: Sie trägt jetzt das Schriftzeichen für FRIEDE auf dem Shirt und er stellt sich aussen ans Quartier und ruft SHALOM.
Es gibt Dinge, mit denen man nirgendwo aneckt. Friede gehört dazu.


Freitag, 27. Juli 2012

Ein Schelm, der Arges?


Mädels, macht’s euch selber! Die Reklame für einen neuen Fernsehsender mit Frauenfilmen (was das auch immer sein mag!?) leuchtet von der Haltestelle in die Strassenbahn und die Schulklasse vor mir kommt aus dem Kreischen nicht heraus. „Seid doch mal still!“, herrscht die Lehrerin sie an und schüttelt dann den Kopf über ihre Jungs und Mädchen, die so pubertär denken.
Die Erdbeere danach lese ich bei BURGER KING (Nachtischwerbung) und mein Gehirn fängt an zu rattern: Erdbeere danach, das klingt ja wie Zigarette danach, dabei ist die Erdbeere ja ein Aphrodisiakum, auch wegen ihrer Form, die Schwaben nennen sie Breschdleng (Brüstling), müsste es nicht die Erdbeere davor… Und auch ich schüttele den Kopf über mich selber.
Sind wir alle versaut? Nein, die Werbung lenkt ja unsere Gedanken in bestimmte Richtungen. Man gibt uns mögliche Assoziationen auf dem Silbertablett und mokiert sich dann über alle Massen, dass wir zugreifen. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt  hiess es früher, wobei auch dieser Spruch ja erst erwähnte, dass es eine weitere, nicht ganz stubenreine Lesart gibt.
Wer Zweideutigkeit vermeiden möchte, soll sich eindeutig ausdrücken. Wer Zweideutigkeit intendiert, soll mich nicht schief angucken.
Ein Blick in die Hirnforschung belegt das: Unser so genanntes mentales Lexikon speichert nicht nur Wörter, sondern auch Phrasen, also alle möglichen Kombinationen von Vokabeln. Wenn man also mit einem Knabenchor ein Spiritual über das Paradies singt, dessen Refrain I wanna meet my mother lautet, muss man sich nicht wundern, wenn die hinteren Reihen anfangen zu grölen.
Es geht aber noch weiter: Beim Lesen von jedem Wort werden Wörter mit dem gleichen Anfang zunächst mit aufgerufen und bleiben aktiviert („geprimt“). Wenn Sie also  Peter schrubbt penibel und pedantisch seinen Wagen lesen und ihnen ein bestimmter Körperteil in den Sinn gekommen ist, sind sie weder versaut, noch pubertär, noch pervers, Sie sind schlicht und einfach normal. 
Es müsste also heissen: Ein Schelm, der Arges dabei denkt (also jeder), ein Hirnkranker, der nichts Arges dabei denkt. Übrigens macht die Werbung sich genau das zunutze, und die Publikationen der Hirnforschung werden nirgendwo so eifrig studiert wie in den Werbeagenturen dieser Welt.
Man erinnere sich auch an das Experiment, bei dem Kinozuschauern unbewusst Einzelbilder von einem Erfrischungsgetränk gezeigt wurden und sie in der Pause genau zu diesen Flaschen griffen.
Die Schulklasse ist immer noch am Kreischen, und nun beginnt es mich auch zu stören. Aber das ist vielleicht der Unterschied zwischen reif und unreif: Der Erwachsene sieht die Zweideutigkeit und übergeht sie, der Jugendliche muss sie um jeden Preis ausschlachten. Allerdings gibt es manchmal auch für mich nichts Schöneres als eine halbe Stunde lang über irgendeinen Spruch abzugrölen, nur vielleicht über witzigere als Mädels, macht’s euch selber!




Montag, 23. Juli 2012

Beethoven und das Grundeinkommen


Erinnern Sie sich eigentlich noch an Jens Bode? Ja, genau der mit Fontane und dem Kühlschrank. Jens entspricht genau dem Klischee des sich aus den Niederungen emporkämpfenden Boheme-Künstlers. Er arbeitet acht Stunden in dem Café, in dem ich ihn traf, dann schläft er zwei Stunden, schreibt die ganze Nacht, schläft noch einmal kurz und stellt morgens wieder Croissants auf die Tische. In zwanzig Jahren wird er berühmt sein, Geld haben und sich mit Vergnügen und Wehmut an seine wilde Zeit zurückerinnern. Das ist natürlich Quatsch. In zwanzig Jahren hat Jens das Schreiben aufgegeben, weil er mit vierzig einfach mehr Ruhe braucht, oder er lebt gar nicht mehr: Schlafmangel, Stress, Überarbeitung, 60 Tassen Espresso und zwei Päckchen Gauloise werden ihren Tribut gefordert haben. Jens bräuchte eine Geldquelle, die ihm das literarische Arbeiten ermöglicht, zumal dies ja nicht nur Schreiben bedeutet, sondern auch Korrespondenz, Recherche und die Lesereisen, für die bislang sein gesamter Urlaub draufgeht.
Die meisten Künstler hatten übrigens so eine Geldquelle, ganz gegen das Klischee. Nein, ich glaube nicht, dass es Jens lähmen würde. Kommen Sie jetzt bitte nicht mit der Sibelius-Keule! Der gute Jean bekam nämlich vom Staat ein Haus am See geschenkt und eine lebenslängliche Rente, daraufhin setzte er sich ans Wasser, schrieb keinen Ton mehr und soff nur noch. Das zeigt aber doch nicht, dass Staatsrenten die Produktivität lähmen, es zeigt, dass Staatsrenten nichts für schwerste Alkoholiker sind. In den meisten Fällen machten gesicherte Verhältnisse erst Kunst möglich.
Die einen hatten Gönner, Mäzene, Fürsten, Könige und Fanclubs, die sie unterstützten, Tchaikowski seine Frau von Meck, und Beethoven hatte jahrelang so sehr über Wien gemeckert, dass man ihm eine jährliche Summe nur fürs Dableiben zahlte. (Man stelle sich vor, wie viel manche Schweizer für das Weggehen von Frisch und Dürrenmatt gezahlt hätten.)
Andere waren einfach reich. Mit der Finanzkraft eines Pharmariesen im Rücken könnte so manch einer melodisch herumsüsseln wie der gute (Rhone-)Poulenc.
Manch einer hatte auch einfach einen Job, bei dem man nicht so genau hinsah. Wenn in Cleversulzbach im Pfarrhaus nachts noch spät das Licht brannte, sagten die Dörfler: „Bfarrer Meerige schreybt a seyner Brädigt.“ Dabei schrieb der gute Eduard Gedichte!
Hatten sie nicht alle, jetzt müssen wir das hässliche Wort doch in den Mund nehmen, ein bedingungsloses Grundeinkommen?... 
 Na, das geht aber doch zu weit! Das kann man doch nicht vergleichen! Das würde ja bedeuten, dass alle Menschen begabt sind, alle ein kreatives Potential haben, alle Ideen hätten, alle irgendetwas können. Nein, es gibt Menschen, die einfach nichts sind und können, die sollen weiterhin Hartz IV bekommen, und es gibt künstlerische Menschen, die kriegen ein Stipendium.
Und Jens? Der wäre eigentlich ein Fall für das Grundeinkommen, er hat sich auch schon für Stipendien interessiert, nur liegen die 80seitigen Anträge immer noch auf seinem Schreibtisch, er kommt schlicht und einfach nicht dazu.  

Freitag, 20. Juli 2012

Die Bahn hält nur an existierenden Flughäfen


Wussten Sie, dass die Deutsche Bahn nicht an Flughäfen hält, die es noch nicht gibt? Dann lesen Sie mal den Zettel, der jedem Flyer „Ihr Zugbegleiter“ eingelegt ist:
SEHR GEEHRTE KUNDEN, BICHTE BEACHTEN SIE, DASS DER HALT AM FLUGHAFEN BERLIN-BRANDENBURG BIS AUF WEITERES ENTFALLEN WIRD, DA DER ERÖFFNUNGSTERMIN DES FBB KURZFRISTIG UND AUF UNBESTIMMTE ZEIT VERSCHOBEN WURDE. DIE INFORMATION ZUM HALT AM FBB, WIE IN DIESEM FAHRPLANMEDIUM DARGESTELLT, VERLIERT SOMIT BIS AUF UNBESTIMMTE ZEIT IHRE GÜLTIGKEIT.
Ich will mich jetzt gar nicht darüber auslassen, wie peinlich die ganze Flughafengeschichte ist, man stelle sich nur einmal vor, das Ganze wäre in Sofia, Tiflis oder Kiew passiert, wie viel Häme und Sarkasmus über die Schlamperei und Desorganisation in „solchen Ländern“ ausgeschüttet würde, und nun bekommen die Deutschen (made in Germany!) es nicht hin, einen Airport rechtzeitig zu bauen. Übrigens waren die Polen und Ukrainer ja wirklich zur EM mit allen Stadien fertig geworden.
Ich finde den Zettel viel spannender mit Blick auf die Bahn. Warum dieser Aufwand? Natürlich, der Fahrplan stimmt nicht, aber wen interessiert es? Da keine Flüge stattfinden, will auch niemand hin zum FBB und dann stört es auch kein Schwein, dass die DB da nicht hält.
Das Blatt sagt etwas ganz Anderes: Hört mal, wir sind ein ganz korrekter Verein, wir wollen keine Falschinformationen in unseren Flyern, deshalb teilen wir euch mit, die Deppen kriegen ihren Flughafen nicht fertig und daher halten wir da auch nicht. Was die DB verschweigt, ist, dass meistens sämtliche Infos des „Zugbegleiters“ falsch sind. Die Abfahrtszeiten werden nicht eingehalten, damit sind auch alle Ankunftszeiten Makulatur und die Anschlusszüge „können leider nicht erreicht werden.“

Nein, ich bin keiner von denen, die einmal Jahr Auto fahren und dann auf die Bahn fluchen, ich bin ein Vielfahrer und habe die Bahn immer verteidigt, aber langsam gehen mir die Argumente aus. Selbst in Apulien sind die Züge x-mal pünktlicher, und dabei kostet dort die Fahrt mit der FS ein Zehntel des Deutschen Fahrpreises. Von solchen Scherzen wie, dass man Toilettengang und Kaffeetrinken im Zug gleich verbinden muss, weil das Bistro 6 Wagen, das nächste funktionierende Klo 5 Wagen weg ist, ganz abgesehen. Hallo, das war nicht der Zug Bari-Brindisi, das war der Zug Mannheim-Fulda, und vor zwei Jahren machte sogar ein IC eine Pinkelpause im Bahnhof Horb, weil ALLE WCs kaputt waren. Klohalte kannte ich bis dahin nur von Reisecars. (Die Story stimmt, wer ihn kennt, fragt Emu.)
Nein, liebe Bahn, der FBB ist nicht das Problem, daher legt doch folgende Zettel in den Flyer:
SEHR GEEHRTE KUNDEN, BICHTE BEACHTEN SIE, DASS DER HALT IN HILDESHEIM HEUTE ENTFALLEN WIRD, DA WIR WEGEN EINER WEICHENSTÖRUNG EINE VÖLLIG ANDERE STRECKE FAHREN. DIE INFORMATION ZUM HALT IN HILDESHEIM, WIE IN DIESEM FAHRPLANMEDIUM DARGESTELLT, VERLIERT SOMIT  IHRE GÜLTIGKEIT.
SÄNK JU FOR TRÄWELLING WIS DEUTSCHE BAHN.

Montag, 16. Juli 2012

Ist das Kunst oder kann das weg?


„Schauen Sie mal! So eine Schweinerei! Das waren bestimmt Jugendliche! Die sollte man alle einsperren!“ Die ältere Dame im Peek&Cloppenburg-Mantel und mit roten, hochtoupierten Haaren ist sichtlich verärgert. Wir sitzen im Bus der Linie A von Wismar Markt nach Ostseebad Wendorf, und an der Haltestelle Friedensplatz bietet sich wirklich ein interessantes Bild: Im Wartehäuschen mit drei grünen Metallsitzen ist hinten an die Glaswand eine grosse Alufolie geklatscht, darum gruppieren sich angeklebte Pappteller, der Boden ist mit Schokoriegelpapierchen übersät. Ich starre gebannt auf das Arrangement und sage dann zu der Dame: „Quatsch, das ist Kunst!“ Der Blick der Frau, den sie mir nun schenkt, besagt in Worte übersetzt: Bekloppter, Männchen holen, Zwangsjacke, Valium. Ich setze aber noch einen drauf: „Besoffene Jugendliche schmeissen ihr Zeug einfach in die Lande, aber das ist doch arrangiert, gewollt, da ist doch eine Komposition dabei.“ Ich habe Glück, dass die Dame kein Handy hat, vielleicht würde ich die nächsten Tage in der Mecklenburgischen Psychiatrischen Landesklinik verbringen.
Zur Erklärung muss ich sagen, dass meine Reise, deren vorletzter Punkt Wismar ist, mich vorher durch Weimar, Kassel, Bad Hersfeld und Erfurt geführt hat, und während die beiden letztgenannten herrliche Freilichtaufführungen boten, lockte Kassel mit der dOKUMENTA  13(Ist wirklich das Logo, ich musste es viermal schreiben, bis ich kapiert habe, dass ich nicht die Leertaste drücken darf). Und wenn man durch die Stadt, vor allem durch die Karlsaue schlendert, stellt sich einem immer die gleiche Frage: Ist das da drüben Kunst? Sind die Blumentöpfe von einem Landschaftsgärtner oder von einer Künstlerin so aufgestellt worden? Ist das SANATORIUM  hinter den Bäumen eine Erste-Hilfe-Station oder gehört es zur dOKUMENTA ? Die Blumen sind von einer Künstlerin gestellt, und das Haus mit dem Roten Kreuz entpuppt sich als Offenes-Spass-Performance-Therapie-Projekt. Hilfe geben hier nur die gelben Nummernschilder: Was so ein Schildchen hat, ist Kunst und gehört zur Ausstellung. Und das ist auch richtig so, denn Kunst ist immer Kunst, wenn ich sie zur Kunst erkläre. Das war übrigens schon immer so. Der Hase von Dürer ist Kunst, während tausende von biologischen Darstellungen nicht unter diese Kategorie fallen. Die Trompetenfanfare einer römischen Kaserne wird auf einmal Kunst, wenn Tschaikowski ein Orchesterstück damit beginnen lässt.
Nach der dOKUMENTA (nur einmal geschrieben, auch oben schon, ich bin doch nicht doof, ich lerne dazu) dienen die Schilder übrigens dazu, dass die Arbeiter nicht das Falsche wegwerfen, daher rührt der wunderbare Satz: IST DAS KUNST ODER KANN DAS WEG?
Die Macher der Installation in Wismar haben also nur einen Fehler gemacht, es waren wahrscheinlich doch besoffene Jugendliche, denen man aber ein gestalterisches Feeling nicht ganz absprechen darf, sie haben kein Schild gemacht. Ein Schild, auf dem das Folgende stünde:
LATE SATURDAY NIGHT
Künstlerkollektiv Wendorf 2012
Metall, Glas, Alu, Pappe, Papier
Auftragswerk der Hansestadt Wismar
Dann würden sich zwar rottoupierte Damen auch aufregen, aber nicht mehr über die Jugend, sondern über die Herren im Rathaus.

Donnerstag, 12. Juli 2012

Zweigleisiges Interview


Kyla, wie geht es deinem Kopf?

Bescheuerter Einstieg. Wieso muss eigentlich ich diese junge Popschlampe interviewen?



Gut. Wieso?

Bescheuerter Einstieg. Warum schickt man mir keinen Popredakteur, sondern so einen 50jährigen Kulturfuzzi?



Gestern in Luzern hast du dir den Kopf am Mikro angeschlagen.

Was einstudiert war, sollte irgendwie rührend unbeholfen wirken, aber das kann ich nicht ansprechen.



Ja, stimmt! Peinlich. Aber es hat nicht wehgetan. So hatten die Leute wenigstens was zu lachen.

Zum Glück hat er das Fake nicht gemerkt.



Bist du tollpatschig?

Das will sie doch jetzt hören. Alle Popstars müssen zurzeit linkisch, schüchtern, menschenscheu und unbeholfen sein. Keine Primadonna wäre je stolz auf ihre Tollpatschigkeit gewesen.



Total. Ich falle pro Tag zweimal hin. Ich glaube, ich habe zu schwache Fussgelenke.

Das glaubt er jetzt bestimmt nicht, immerhin tanze ich drei Stunden on stage.



Wie war das Friday-Shooting mit den Fotografen Rico und Michael für dich?

Sag jetzt nur nichts Falsches!!!!



Es hat Spass gemacht. Die Fotografen und Stylisten waren sehr nett und verständnisvoll.

…und hatten ihre Finger ständig an meinen Brüsten, wenn sie nicht gerade auf meinem Schenkel lagen.

Aber eigentlich mag ich Shooting s nicht besonders.



Wieso?

Komm jetzt bitte nicht mit der Unsicherheitsmasche. Ein unsicherer Mensch kommt niemals so weit in den Charts, schon um eine CD zu machen, brauchst du Mut und Selbstbewusstsein wie ab.



Ich bin grundsätzlich sehr unsicher. Auch auf der Bühne.

Quatsch, sonst wäre ich Putzfrau geworden, aber mein Manager hat mir eingeschärft, was ich sagen soll: Ich sei schüchtern und duckmäuserisch.



Was macht dich glücklich?

Mich macht glücklich, dass  das die letzte Frage ist.

                                              

Draussen zu sein. In der Natur.

Bullshit. Für 20.000.- in der Chanelboutique und bei Gucci shoppen, aber das kann ich ja nicht sagen.



Vielen Dank für das Interview.

Fahr zur Hölle, Poptussi.



Ich habe zu danken.

Noch zwei Fragen und ich hätte dich erschossen.



Das Interview ist original aus FRIDAY, die Idee für die Zweigleisigkeit stammt von Ephraim Kishon.

Dienstag, 10. Juli 2012

Fragen!


Ich stehe an der Rezeption des „Hotel Goldener Adler“ in Münchhausen. Vor mir stehen vier Leute, zwei Männer und zwei Frauen. Ich versuche, die Gruppe im Kopf zu sortieren, beobachte sie eine Weile und: Bingo! Der eine Herr macht eindeutig  den doppelten Perlengriff.  Ich hoffe sehr, der Rezeptionist hat das auch gesehen, aber nein, er reicht den beiden Männern die Zimmerschlüssel und erntet damit die bösesten Blicke. Nachdem die Schlüssel ihre richtigen Besitzer gefunden haben, sprich der eine Mann ihn an das Frauenpaar weitergereicht hat und die vier verschwunden sind, komme ich an die Reihe. „Das ist auch wirklich kompliziert heutzutage“, sagt der Portier. Ich erwidere, er hätte ja einfach fragen können. „Ich kann doch nicht fragen, ob die schwul sind, es gibt ja immer noch Männer, die da sehr böse reagieren.“  Ich schütte mich aus vor Lachen: „Vielleicht einfach fragen, wem man den Schlüssel geben solle?“
Warum stellen wir nicht manchmal ganz einfach eine Frage? Warum sitzen wir im Nobelrestaurant vor einem exotischen Gericht und fragen nicht einfach, wie man es isst? Warum zwängen wir im Schwimmbad  eine Euromünze in den Schlitz, anstatt zu fragen, wie das Schliesssystem funktioniert?
Weil wir irgendwie das Gefühl haben, Fragen sei peinlich. Und häufig gibt einem die Umwelt ja auch das Gefühl. Stellen Sie sich zum Beispiel eine Deutschstunde vor, in der der Lehrer sagt: „Wir üben heute noch einmal den Gebrauch des Partizips“, dann wird die Hälfte der Klasse natürlich nicht wissen, was ein Partizip ist. Alle sitzen wie gebannt da, der ganze Unterricht wird für die Katz‘ sein, bis sich jemand erbarmt und fragt. Und der oder die wird dann ausgelacht. Das heisst, die Lehrperson muss eine Atmosphäre schaffen, in der Fragen richtig und möglich sind. Denn es gibt keine dummen Fragen. Na ja, gibt es schon, das sind Fragen, bei denen die Antwort schon gegeben wurde. Dialoge wie:  „In Olten umsteigen.“ „Wo muss ich eigentlich umsteigen?“ sind nun wirklich blöd.
Aber bei Dingen, die nicht schon erwähnt wurden, dürfen wir fragen, wieso, weshalb, warum, wo, wie, wann, wer, wem, wen.
Der Portier jedenfalls lernt schnell, denn er fragt mich, mit dem Zimmerschlüssel in der Hand: „Wem darf ich den Schlüssel geben?“ Ich antworte: „Dem Blonden auf Zimmer 16“, und als er völlig geschockt schaut, sage ich: „War ein Scherz, aber da ich alleine bin, geben Sie ihn mir.“ 


Freitag, 6. Juli 2012

Antje, Jean, Hannes, Simone, Bernd und Flavio


Es waren einmal sechs junge Leute, sie hiessen Antje, Jean, Hannes, Simone, Bernd und Flavio und kamen aus Alphen an de Rijn, Naumur, aus Wasserbillig und Vincennes, aus Bottrop, aus Rimini. Sie waren eine wilde, junge Bande, die irgendwann beschlossen hatte, ihre Ferien zusammen zu verbringen. Sie fuhren mit einer Ente und einem Käfer durch die Lande, zelteten oder mieteten sich Ferienhäuser, sie schwammen in Bergseen und sprangen in Meereswellen, sie wanderten durch die Felder und tranken Wein in alten Tavernen, sie besichtigten Kathedralen und verwinkelte Altstädte, sie tanzten in Discos und schlugen sich die Nächte um die Ohren, mit einem Wort: Sie hatten eine Menge Spass. Es war aber auch ganz einfach, wenn es mehrere Interessen gab, machte man halt erst das eine und dann das andere, man hatte gemeinsame Kasse, es ging immer irgendwie auf, und wenn Flavio oder Antje ein grosses Essen spendieren wollten, zickte die anderen nicht und nahmen dankbar an. Es fand sich immer jemand zum Kochen, es gab die lustigsten Menüs wie Waterzoi und Tortellini oder Kartoffelsuppe und Entrecote, und wer nicht gekocht hatte, spülte ab.
Aber dann kamen neue Leute dazu, Jack aus Stratford, Miguel aus Valencia und Ianis aus Kreta und diese brachten ihrerseits immer mehr Freunde mit.  Ab da wurde es immer komplizierter, die Autos reichten nicht mehr, man konnte sich auf keine Exkursion und keine Speisefolge mehr einigen, die Ferienhäuser waren schwieriger zu finden und auch Zeltplätze wurden rarer. Das Schlimmste aber war, dass die gemeinsame Kasse nicht mehr funktionierte, immer fühlte sich jemand übervorteilt, meinte, er zahle für die anderen, die Gruppe lebe auf seine oder ihre Kosten.
Inzwischen sind es fast dreissig Leute und die Reisen sind straff durchorganisiert: Da wird ein Busunternehmen gechartert, Vorauskasse, Quartier und Routen sind geplant, es gibt Koch- und Abwaschpläne und selten lassen vier Stunden „freier Ausgang“ Platz für ein wenig Spontanität. Natürlich sind es immer noch tolle Reisen, aber eben geregelte, der grosse Spass ist vorbei.
Und manchmal sehnen sich Antje, Jean, Hannes, Simone, Bernd und Flavio nach den Zeiten, als sie noch die kleine, wilde Gruppe waren.


Dienstag, 3. Juli 2012

Denken in Biel


Ich verweilte wieder einmal in Biel. Und wie ich so kurz nach meiner Ankunft auf der Terrasse sass, einen Espresso trank und eine Zigarette rauchte, blickte ich über den See, über die Wellen und hinüber zur Petersinsel und dachte „Rousseau“.
 Quatsch, dachte ich natürlich nicht, ich dachte: „Nachher gehe ich schwimmen, hoffentlich ist das Wasser schön kalt und vielleicht kommt dann sogar die Sonne heraus und ich kann noch ein bisschen bräunen.“ Selbstverständlich habe ich meinen Rousseau gelesen, muss man ja als Germanist, der ist ja für den Briefroman wichtig und für Hölderlin, aber im Moment dachte ich einfach nur ans Baden.
Am Abend  regnete es heftig. Ich schaute aus dem Fenster auf die herunterprasselnden Wasserfluten und dachte: „Schweisswetter. Zum Glück muss ich nicht mehr hinaus.“ Was hatten Sie denn gedacht? Dass ich „Klopstock“ gedacht habe? Wer denkt denn „Klopstock“, wenn es regnet?  Gut, Werther und Lotte, aber das ist auch die bescheuertste Stelle, wo sie „Klopstock“ sagt.
Wer denkt bei fallenden Blättern an himmlische Gärten, die welken und nicht an die Arbeit, das Laub vom Trottoir zu klauben?
Wer denkt bei Schnee an die Winterreise und nicht an Rutschgefahr?
Der Mensch ist kein hochgeistiges und philosophisches Wesen, der Mensch – auch ich und auch Sie – ist die meiste Zeit banal. Von unserer Denkzeit – wir schlafen ja auch – gehen 2/3 für Gedanken an Sex drauf, die restliche denken wir an Einkauf, ÖV, To-do-Listen, Termine, Computerpannen, Essen, Trinken usw.  Vielleicht einmal am Tag haben wir eine sensationelle, einmalige Idee. Und diese Idee entpuppt sich ein paar Minuten später als doch nicht so genial, nicht so sensationell, als etwas, das die Vorwelt schon gedacht hat.
Warum das so ist? Weil man schlicht und einfach vor die Hunde ginge, wenn man seine gesamte Zeit mit Philosophie und Hochgeistigkeit verbrächte. Wir würden uns völlig auspowern, wenn wir nicht auch einmal etwas Banales denken würden.
Gut, es gab Leute, die wirklich nur im Genialen und Geistigen lebten. Aber die haben auch ihren Preis bezahlt: Hölderlin verbrachte die Hälfte des Lebens im geistigen Höhenflug und die Hälfte des Lebens in geistiger Umnachtung. Vielleicht hätte er auch einmal an die grosse Wäsche denken sollen. Und Rousseau? Er war auf der Petersinsel vor seinen Feinden sicher, Feinden, die zum grossen Teil eingebildet waren, der gute Zurück-zur-Natur-boy hatte eine waschechte Paranoia.
Jetzt sitze ich wieder auf der Terrasse und trinke einen wunderbaren Merlot, und ich denke an keines der vielen Dichterworte zum Thema Wein, ich denke nur: „Alkohol“.