Dienstag, 31. Dezember 2019

Special Kleine Dinge (6): Lassen Sie es krachen! / Blogpause bis Ende Januar


Einen guten Rutsch ins Neue Jahr!
Lassen Sie es krachen, wenn Sie es mögen!

Und das meine ich jetzt nicht übertragen oder symbolisch, so im Sinne von «lassen Sie mal Fünfe Grad sein und die Sau raus» oder «feiern Sie ordentlich» oder «achten Sie mal nicht auf die Kalorien und Alkoholeinheiten», sondern wirklich und wahrhaftig: Krach.
Gibt es schönere kleine Dinge als Kracher, Böller und Raketen? Gibt es etwas Besseres, als das Neue Jahr mit bunten Explosionen und Knall zu begrüssen? Wobei ich zugeben muss, dass ich selbst noch nie Kracher, Böller und Raketen gekauft habe, das habe ich immer die anderen machen lassen. Aber die haben es immer zu meiner Zufriedenheit erledigt.

Nun kommt bestimmt irgendjemand mit «Brot statt Böller». Da rechnet man den Leuten vor, wie viel Geld wortwörtlich verpulvert, in die Luft gejagt und damit vernichtet wird. Eine zynische Rechnung. Denn für manche Leute ist dieses Sylvestervergnügen eine der wenigen Aktionen im Jahr, die wirklich Spass machen und auf die sie sich lange freuen.
Natürlich ist es viel Geld, 129 Millionen wurden 2015 in der Bundesrepublik für Kracher, Böller und Raketen ausgegeben. 129`000`000.- wurden verpulvert und in die Luft gejagt. Aber war das die einzige Ausgabe, die in diesem Land unsinnig getan wurde? Gibt es nicht viele andere Dinge, die man einsparen könnte und damit die Armen unterstützen? Könnte der Slogan nicht auch so heissen:
BROT STATT WAFFEN
Nur so zum Vergleich: 129`000`000.- Euro wurden in die Luft gejagt, ein anderes teil, was ständig in der Luft herumjagt, der schnellste Kampfjet F22 Raptor kostet 190`000'000.- Dollar. Mit ein paar solcher Unheilsmaschinen weniger wäre schon viel Sylvesterfreude bezahlt. Und im Gegensatz zu Militärflugzeugen richten die Kracher, Böller und Raketen kein Unheil an – vorausgesetzt, sie werden korrekt angewendet, und das ist ja der grosse Unterschied: Kracher, Böller und Raketen sollen Freude bringen und niemand schaden, Waffen SOLLEN den Leuten schaden und KEINE Freude bringen.

Einen guten Rutsch!
Lassen Sie es krachen!

Nein, Sie lassen sich jetzt kein schlechtes Gewissen machen. Man könnte nämlich noch viel mehr Sprüche erfinden:
BROT STATT NICHT GENEHMIGTER MAUTVERTRÄGE
BROT STATT BAUVERZÖGERUNG
BROT STATT MEHRKOSTEN
Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Nehmen wir doch gerade mal das Erste:
560 Millionen Schadensersatz fordern die Mautbetreiber für die entgangene Pkw-Maut. Das ist ein Haufen Geld, das entspricht, wenn wir die Zahlen von 2015 ein wenig hochrechnen, 4 Jahre Kracher, Böller und Raketen oder ca. 3 Kampfjets F22 Raptor. Und im Gegensatz zu 4 Jahren Kracher, Böller und Raketen oder 3 Flugzeugen bekommt die Allgemeinheit im Falle Maut für ihre 560`000`000.-
Nichts.
Gar nichts.
Man bekommt einfach überhaupt keine Gegenleistung, man zahlt einfach, weil ein Vollidiot von Bundesminister Dinge versprochen hat, von denen höchst unsicher war, ob man sie halten kann.

Oder nehmen wir das Zweite:
Man plant einen grossen Bau, nehmen wir doch mal ganz hypothetisch und zufällig ein Konzerthaus, oder nehmen wir ganz zufällig und hypothetisch einen Flughafen – oder einen Bahnhof. Er ist mit 100 Millionen geplant, und dann sind es 2 Jahre später schon 250 Millionen, im dritten Jahr merkt man, dass es eigentlich 300 Millionen sind, usw., usw., bei der Fertigstellung freut man sich dann, dass die Kosten mit 940`000`000.- die Milliarde NICHT überschritten haben.
Was haben Sie für die MEHRkosten MEHR bekommen.
Wieder nichts.
Gar nichts.
Überhaupt nichts.
Für die 840`000`000.-, die der Bahnhof, die Konzerthalle, der Flughafen verschlungen haben, könnte man viele, viele, Jahre Kracher, Böller und Raketen loslassen.

Oder man könnte die halbe Welt mit Trinkwasser und Nahrung und medizinischer Hilfe versorgen. Und nun stellt sich halt die Frage, warum man dem Kleinen Mann (der Kleinen Frau) ein solch schlechtes Gewissen macht, während man selber das Geld verpulvert, zum Fenster hinauswirft und vernichtet.

Einen guten Rutsch!
Lassen Sie es krachen!
Ich meine wirklich und wahrhaftig: Krachen lassen.
Gibt es schönere kleine Dinge als Kracher, Böller und Raketen? Gibt es etwas Besseres, als das Neue Jahr mit bunten Explosionen und Knall zu begrüssen?

In diesem Sinne: Ein fröhliches und heiteres und gesundes 2020!

Der Blog macht dann im Januar Pause und erscheint wieder am 4.2.
Und einen guten Vorsatz haben Sie dann auch schon fürs Neue Jahr: Alle die Posts nachlesen, die Sie verpasst haben – ich weiss, dass einige meiner Leserinnen und Leser im Rückstand sind, aber das kann man ja aufholen. 






Freitag, 27. Dezember 2019

Special Kleine Dinge (5): Der Klebe-Streifen


Wenn ich neue Noten bekomme, die kein gebundenes Buch sind und keine geheftete Broschüre, wenn ich einen Stapel ausdrucke, oder wenn ich eine Partitur grosskopiert habe, dann gibt es ein erstes, fröhliches Ritual: Das Kleben. Ich setze mich an meinen Schreibtisch, lege Blatt neben Blatt und klebe jeweils, zwei Seiten verbindend, einen Streifen jener genialen Sache, die der Schweizer simpel als «Klebstreifen», der Deutsche nach dem am häufigsten verwendeten Produkt «Tesafilm» nennt. (Man nennt das übrigens – verzeihen Sie mir die Klugscheisserei – generische Markennamen oder Deonyme.) Während des Klebens höre ich meist ein wenig Radio, und nach kurzer Zeit habe ich ein kleines feines Büchlein.

Dieses Kleberitual habe ich mir angewöhnt, nachdem ich verschiedene Erfahrungen mit anderen Zusammenhaltetechniken bzw. Nicht- Zusammenhaltetechniken gemacht habe, die sich allesamt als nicht brauchbar erwiesen haben.
Es wäre z. B. viel schneller, einfach das zu tun, was nun witzigerweise der Schweizer meinungsmonopolisierend als «bostitchen», der Deutsche als «heften» oder «tackern» bezeichnet, also den ganzen Stapel unter so ein Gerät legen, drauf hauen und gut ist, aber die Broschüre lässt sich dann nicht mehr blättern, jedenfalls nicht, wenn man sie nicht in der Hand hält sondern vor sich hat, also total unpraktisch zum Dirigieren oder Klavier spielen.
Sehr professionell sieht auch die Variante «Ordner mit Ringbindung und Zeigetaschen» aus, hier könnte man sogar einzelne Elemente rausnehmen, z.B. wenn der 3. Satz nicht musiziert wird, aber wehe! wehe! wehe! wenn Sie im Konzert so sitzen oder stehen, dass ein Scheinwerferlicht auf die spiegelnde Zeigetasche fällt, sie sehen nichts mehr.
Und die Blätter einfach weiterschieben? Ich habe das einmal gemacht. Nein, das muss ich jetzt anders schreiben: Ich habe das EINMAL gemacht, EINMAL und nie wieder. Es war bei einem Konzert der Knabenkantorei Basel in der Kathedrale in Genf und ich traktierte die Chororgel. Ein barockes Stück, bei dem ich das Continuo spielte, hatte 9 Seiten, die ich hintereinandergelegt hatte und einfach jeweils nach links schob. Beat Raaflaub, der damalige Dirigent, gab den Einsatz und da durchzuckte mich der Gedanke:
Liegen die Blätter in der richtigen Reihenfolge?
Der Schweiss begann, an meinem Rücken entlang zu rinnen, meine Hände zitterten und bei jedem gesungenen Takt mahlte es in meinem Kopf:
Liegen die Blätter in der richtigen Reihenfolge?
Wenn es nicht so gewesen wäre, hätte ich keine Chance gehabt, aber natürlich waren die Seiten geordnet. Aber den Stress tut man sich nur einmal im Leben an. 

Der Klebstreifen also.
Der Tesafilm.
1935 von der Firma Beiersdorf als Beiersdorf-Kautschuk-Klebefilm auf den Markt gebracht und zunächst nicht erfolgreich, bis man ihm den griffigen Namen TESA gab, erfunden übrigens von der Kontoristin Elsa Tesmer, die für einen firmeneigenen Markennamenwettbewerb einfach ihren eigenen Namen verwurstelte.

Der Klebstreifen, der Tesafilm, der TIXO (wir müssen die Österreicher doch nun auch noch ins Boot nehmen) ist eines der nützlichen Dinge, die allerdings genauso oft gebraucht wie missbraucht werden. So selbstverständlich wie man bestimmte Dinge mit Tesafilm verbinden sollte, sollte er bei anderen Sachen draussen bleiben.
Bilder aufhängen zum Beispiel.
Im 1993 erschienenen Roman Der Mann, der es wert ist schildert die Autorin Eva Heller, wie ein Hotel eingerichtet wird. Als man feststellt, dass die Lobby noch sehr kahl aussieht, annonciert man die Möglichkeit, dass Künstlerinnen und Künstler dort Bilder ausstellen können. Und nun erscheinen die skurrilsten Gestalten, unter anderem eine Öko-Mutter, die ihre Tochter mit Fingerfarben auf Packpapier patschen liess. Auf die (ironisch gemeinte) Frage nach der Hängung antwortet sie: «Einfach mit Tesafilm an die Wände. Das sieht lustig aus.» Hier muss man als Leserin oder Leser natürlich schmunzeln – oder sich schütteln. Es sieht nicht lustig aus. Es ist nur schräg. 
Nein, ein Tesafilm ist keine Hängeoption für Kunst, es sei denn, man heisst Maurizio Cattelan, ist ein berühmter Künstler und klebt eine Banane mit einem – immerhin nicht normalen Tesafilm, sondern – silbrigen Faserband an die Wand, dann ist das 120.000.- wert.

Ebenso wenig wie Bilder mit Klebstreifen an Wänden befestigt werden sollten, sollte man die Tesas für Reparaturen verwenden. «Hausfrauenleim» sagte man – etwas frauenfeindlich – früher und meinte damit, dass Geräte und Apparate, die gewisse Risse und Beschädigungen aufwiesen, einfach mit Streifen jener Bänder zugeklebt wurden. Mir wird schwindlig, wenn ich daran denke, wie viele Schranktüren ich aufgemacht, wie viele Lampen ich angeschaltet, wie viele Haken ich angefasst, mir wird übel, wenn ich mir vorstelle, wie viele Bohrer, Haushaltsmaschinen, Föns und Rasierapparate ich angelangt habe, bei denen nur ein paar dünne Tesafilms das Ganze noch hielten.
Nein, eine Reparaturmöglichkeit ist der Klebstreifen nicht, da ist zu viel Gefahr drin.

Immer, wenn ich neue Noten bekomme, wenn ich einen Stapel ausdrucke, wenn ich eine Partitur grosskopiert habe, dann gibt es ein fröhliches und feierliches Ritual: Das Kleben. Ich setze mich an meinen Tisch, lege die Blätter hin und klebe.
Und bin dankbar, dass die Firma Beiersdorf jene geniale Sache erfunden hat, die der Deutsche Tesafilm, der Schweizer Klebstreifen und der Österreicher Tixo nennt.
Man muss sie nur für die richtigen Angelegenheiten verwenden.


Dienstag, 24. Dezember 2019

Special Kleine Dinge (4): Fröhliche Weihnachten! Haben Sie Ihren Christbaumständer schon gesucht?


Frohe Weihnachten!
Ich vermute, Sie haben schon Ihren Christbaum aufgestellt. Nicht? Ach, das machen Sie heute? Ja, das war bei uns auch immer Tradition, das Baumschmücken am 24.12., jedes Jahr ein wenig anders, mal ganz in Gold (mit oder ohne Lametta), mal ganz in Silber (mit oder ohne Lametta) oder mit roten Äpfeln und Strohsternen. Früher war ja mehr Lametta, wie Opa Hoppenstedt bei Loriot sagt, aber das steht auf einem anderen Blatt…
Auf jeden Fall war das Weihnachtsbaumschmücken immer eine fröhliche und zugleich festliche Sache, immer ein Heidenspass, doch, doch, das meine ich genau so, denn der immergrüne Baum mit den Lichtern in der dunklen Zeit ist ein uraltes, ein heidnisches Symbol.

Wenn Sie also noch nicht geschmückt haben, haben Sie doch hoffentlich schon Ihren Christbaumständer gesucht?
Nicht?
Oje, das kann dann schwierig werden, denn jenes für einen sauber stehenden Weihnachtsbaum so unverzichtbare Utensil hat die Eigenschaft, am 23.12. oder 24.12. nie da zu sein, wo man es vermutet. Man war 100% sicher, das Ding sei in dem braunen Kasten im Keller, und nach zweistündigem Suchen findet man es unter dem Tisch in der kleinen Kammer. Man war 150% sicher, das Teil sei auf dem Balkon unter der Plane, und nach 360 Minuten hektischer Suche findet man es auf dem Dachboden (für Schweizer: Estrich) in dem verstaubten Gestell.
Und wenn man es gar nicht findet?
Die Chancen, am Heiligabend noch so ein Ding kaufen zu können, stehen gleich null. Sie bekommen am 24. zwar noch Parfüm und Krawatten, Sie bekommen Bücher und CDs, Sie bekommen Games, Stofftiere, bekommen Spirituosen und Süsswaren, Christbaumständer bekommen Sie nicht. Und das aus dem einfachen Grund, weil bei den anderen Leuten genau das gleiche Problem aufgetreten ist; Sie waren 100% sicher, das Ding sei in dem Kasten im Keller, und nach zweistündigem Suchen fanden sie es immer noch nicht, auch nicht unter dem Tisch in der kleinen Kammer. Sie waren 150% sicher, das Teil sei auf dem Balkon unter der Plane, und nach 360 Minuten hektischer Suche fanden sie es immer noch nicht, auch nicht auf dem Dachboden.
Aber diese Menschen haben schon am 22.12. einen neuen gekauft.

Warum ist das so? Warum ist das Ding, das Teil nie da?
Dr. Jens Kröger, ein Hamburger Wissenschaftler hat letztes Jahr Christbaumständer mit einem Funksender versehen, den er metergenau orten konnte. Seine Aufzeichnungen ergaben, dass alle markierten Ständer im Zeitraum zwischen dem 18. und dem 21. Dezember anfingen, ihre Orte zu verlassen und sich im Haus neue Plätze suchten. Das war natürlich eine bahnbrechende Erkenntnis! Sein Aufsatz Die Wanderung der Weihnachtsbaumständer ist für jede und jeden, der ihn liest eine ungeheure Erleichterung: Man spinnt nicht! Das Utensil WAR tatsächlich im Kellerkasten und ist in die kleine Kammer gewandert, es WAR auf dem Balkon und ist auf den Dachboden gekrochen.

Über die Gründe dieser Wanderungen kann nur gemutmasst werden, Kröger führt evolutionäre oder frühtechnologische Faktoren ins Feld, aber ich bin inzwischen anderer Meinung. Mir fiel eine Kabarettnummer der Truppe Die Kleine Tierschau ein, in der eine Frau einen Fussball spielte, der plötzlich in Tränen ausbrach: Er wolle nicht immer getreten werden, das tue so weh, das sei so demütigend, alle kickten immer mit dem Fuss nach ihm und er halte das nicht mehr aus…
Dies führt uns zu einer ganz grundsätzlichen Überlegung:

Wollen die Kleinen Dinge, wollen die Utensilien, wollen die Halter, Behältnisse und Geräte eigentlich so verwendet werden wie sie verwendet werden?
Was fühlen sie?
Was denken sie?

Stellen Sie sich vor, man würde Ihren Kopf zwei Stunden auf einer glatten Fläche reiben, und zwar so heftig, dass ein Teil Ihres Kopfes verschwindet. Würde Ihnen das gefallen? Wahrscheinlich nicht. Sogar ziemlich sicher nicht. Ziemlich sicher würden Sie es als schmerzhaft, grausam und eklig empfinden. Wieso gehen wir dann davon aus, dass es einem Stift NICHTS ausmacht?
Stellen Sie sich vor, man würde sie packen und eine kochend heisse Flüssigkeit in Sie hineinfüllen. Würde Ihnen das gefallen? Sicher nicht. Totsicher nicht. Sie würden es als eklig, grausam und schmerzhaft empfinden. Warum denken wir dann, es macht einer Thermosflasche NICHTS aus?
Ja, und der Weihnachtsbaumständer mag es halt auch nicht, dass man einen Baum in ihn hineinrammt, mit aller Wucht und aller Gewalt. Deshalb flüchtet er.

Seien wir also netter und vorsichtiger zu den Gegenständen, zu den Utensilien, zu den Kleinen Dingen. «Ein Schloss hat eine Seele!», pflegte mein Vater zu rufen, wenn meine Mutter (oder ich) an einer Tür herummurksten.
Das meinte genau das.

Ich vermute, Sie haben schon Ihren Christbaum aufgestellt. Nicht? Ach, das machen Sie heute? Ja, das war bei uns auch immer Tradition, das Baumschmücken am 24.12.
Wenn Sie also noch nicht geschmückt haben, haben Sie doch hoffentlich schon Ihren Christbaumständer gesucht?
Und wenn Sie ihn dann gefunden haben, tun Sie bitte den Baum VORSICHTIG hinein, ohne Gewalt und Stossen, BEDANKEN Sie sich bei Ihrem Christbaumständer und LOBEN ihn.
Dann wird er nächstes Jahr an Ort und Stelle sein.
In diesem Sinne:

FROHE WEIHNACHTEN!