Freitag, 28. Februar 2014

Machen Pornos dumm?


Seit Tagen lässt mich das Thema Porno nicht los. Nein, nein, nein, nicht so wie Sie jetzt denken, einfach als Thema, ist ja auch überall präsent. Ich schlage heute die Zeitung auf und mir schlägt eine ganzseitige Anzeige ins Gesicht, auf der Schauspieler mit affenverzerrten Gesichtern Orgasmen simulieren und ich denke: „Was für ein Skandal, der eine Schauspieler raucht ja!“ Ich werde mir den Film übrigens auf keinen Fall ansehen, so sehr ich sonst Herrn von Trier schätze.
Seit Tagen lässt mich das Thema Porno nicht los und heute Morgen ist es mir gelungen meine Gedanken in eine Frage hineinzuformulieren:
Machen Pornos dumm?
Da schlittert die Mutti-Truppe in ihre erste Krise, weil ein Politiker verdächtigt wird, Kinderpornographie zu besutzen (sic! Neuwort aus „besitzen“ und „benutzen“) und in der Diskussion schreien alle sofort: „Grauzone! Grauzone!“  und kommen mit dem Argument, dass ja auch seriöse Fotografen Baby-Bärenfell-Aufnahmen ins Schaufenster stellen. Ich meine, wie bescheuert muss man denn sein? Wo ist da die Grauzone? Der macht das mit schriftlicher Einwilligung der Eltern und die wird er nicht bekommen, wenn er zehn Jahre später anruft und sagt: „Ich würde Ihren Sprössling gerne noch mal nackt ablichten und dann die Bilder verkaufen, wären Sie damit einverstanden?“
Machen Pornos dumm?
Da schaut ein Lehrer der Handelsschule in Zürich im Unterricht Pornos und vergisst den Beamer abzuschalten. Sehr dumm gelaufen. Wobei hier eigentlich ein doppelter Skandal vorliegt, denn hätte er Tennis geschaut, wäre es zwar keine Schlagzeile wert gewesen, aber eigentlich wird der Mann ja dafür bezahlt, dass er, wenn die Schüler still an etwas arbeiten, herumläuft, erklärt und hilft. So aber wird ihm die Aktion die Frühpensionierung bescheren.
Machen Pornos dumm?
Machen Filme dumm, in denen nichts passiert oder alles, was passiert, nur passiert, damit DIE SACHE passieren kann? Oder wie Eco schreibt: „Wenn die Protagonisten eines Filmes länger brauchen, um sich von A nach B zu begeben, als man es sehen möchte, handelt es sich um einen Pornofilm.“ Leidet also die Intelligenz, wenn man solche Machwerke mit sinnlosem Plot sich reinzieht? Von den Zweisprechstellen ganz zu schweigen: „Ja.“ „Ja.“ „Gib’s mir.“ - Ich weigere mich, für so etwas das vom griechischen logos (=Geist, Sinn, Gesetz, Satz, Wort) abgeleitete Dialog zu verwenden. Schadet es der Hirnmasse, wenn man drei Stunden mit ca. 20 Wörtern zubringt?
Machen Pornos dumm?
Nach langem Suchen stosse ich auf eine Untersuchung der Gribford University in Mulligan, Iowa aus dem Jahr 2011:
Ca. 200 Probanden mussten sich acht Stunden lang Pornofilme ansehen. Nach diesen 480 Minuten Pornokonsum wurden ihnen einfache Mathematik- und ebenso einfache Sprachaufgaben gestellt. (Was ist 4 x 3? Wie heisst die Mehrzahl von city? usw…) 90 % der Getesteten waren nicht mehr in der Lage, die Fragen zu beantworten. Um auszuschliessen, dass es sich um einfache Müdigkeit handelt, wurden die Probanden am nächsten Tag der gleichen Belastung unterzogen, dann aber medizinisch untersucht. Die Resultate waren verblüffend: Im EEG zeigte sich eine deutlich schwächere Hirntätigkeit, im CT sah man, dass gewisse Regionen abgestorben waren. Natürlich müsste man jetzt weitere Experimente anschliessen, aber man kann mit grosser Wahrscheinlichkeit sagen:
Pornos machen dumm.
Sie bewirken, dass wir auf keinem sinnvollen Niveau über Aufnahmen von Jugendlichen diskutieren können, sie bewirken, dass wir gar nicht mehr checken, dass die Umgebung alles mitbekommt. Sie schädigen unser Hirn mehr als ein Vollrausch oder ein Schlag aufs Gesicht.
Also lassen Sie die Finger davon.
Und wenn Sie trotzdem ein bisschen Gestöhne brauchen, gehen Sie in Nymphomania.
Das ist kein Porno.
Das ist Kunst.

 

Dienstag, 25. Februar 2014

Die Swisscom und das Vergessen


Das indische Gemischtwarenlädchen in der Hammerstrasse habe ich richtig liebgewonnen, obwohl ich nur viermal da war. Betritt man den Laden, in dem man etliche Dinge einkaufen, mit einem Billigstanbieter telefonieren und ins Internet gehen kann, wabern einem schon die Düfte von Kardamom, Zimt, Curry und Ingwer entgegen, denn im Hinterzimmer wird gekocht. Eine reizende Junge Dame mit Punkt auf der Stirn begrüsst einen mit aufeinandergelegten Handflächen und leichter Verbeugung, das ist natürlich Quatsch, das tut sie nicht, aber man hat, so wie sie lächelt, das Gefühl, sie täte es. Sie führt den Kunden, nachdem sie auch ihr Söhnchen angelächelt hat, das auf einer Wolldecke spielt, dann zu seinem PC und kontrolliert, ob das Internet funktioniert, dann kann man surfen, jeden Tag von 10.00 bis 22.00, einmal Mailchecken kostet 1.-
Übrigens ist auch mein letzter Post von diesem Orte aus veröffentlicht worden.
Warum ich seit langer Zeit einmal wieder ein Internetcafé aufsuchte? Weil die Swisscom mich drei Tage hängen liess. Mittwoch war mein Zügeltag – der vielleicht noch weitere Posts nach sich ziehen wird – und die Swisscom hatte mir versprochen, dass Telefon und Internet im Laufe des Donnerstages aufgeschaltet würden.
Sie können den Anschluss 061 xxx xx xx ab sofort an Ihrem neuen Standort nutzen. Sollten Sie einen Internetzugang haben, werden Sie separat informiert.
SMS um 10.45, soweit, so gut.
Die nächste Nachricht war schon etwas ernüchternder:
Ihr Service wird bis 18.00 aufgeschaltet, wir informieren Sie bis 18.00, sobald Sie diesen einrichten können.
Eine weitere SMS kam nicht.
Auch nicht am Freitag.
Auch nicht am Samstag. Da ich kein Onlinejunkie bin, machte ich halt kurze Besuche in Indien, liess mich von Zimt und Kardamom umwehen, lächelte das Söhnchen an und checkte kurz meine Mails, am Sonntagabend rief ich dann die Hotline an. Eine halbe Stunde umdudelte mich DA DA DAM DA DA DA (Wer komponiert eigentlich diese Jingles? Sollte unter Zuchthausstrafe gestellt werden.) Dann war ein reizender junger Mann am Telefon, hörte sich mein Anliegen an und warf mich aus der Leitung.
Am Montag stand ich dann im Swisscomshop in der Innenstadt und auch wenn ich versuchte so wie die junge Inderin zu wirken, sah man auf meiner Stirne keinen Imaginärpunkt, sondern eher Zornesfalten und meine Hände lagen auch nicht aufeinander, sondern bildeten Fäuste in der Tasche.
Der Kundenbetreuer faselte etwas von Schwierigkeiten zurzeit, von Netzknoten, Schaltstellen und Schwankungen  im Raum-Zeit-Kontinuum, konnte nun aber auch nichts machen als bei der Hotline anzurufen, nur kommt er schneller durch. Dabei fand man heraus, dass ich gestern angerufen hätte und meinte, ich hätte das Gespräch wiederaufnehmen sollen, also noch einmal 30 Minuten DA DA DAM DA DA DA…
Nach langem Hin und Her einigten wir uns darauf, dass ein Techniker mich zwischen 17.00 und 17.30 anrufen werde. Nach 45 Minuten erreichte mich eine SMS:
Ihr Internetzugang ist jetzt geschaltet…
Sie hatten keine Probleme mit dem Raum-Zeit-Kontinuum gehabt.
Sie hatten es einfach vergessen.
 Vergessen.
Menschlich, allzu menschlich, jeder vergisst ständig irgendetwas, jeder kann mal einen Termin vergessen oder sein GA, Männer vergessen den Hochzeitstag und Kinder den Geburtstag der Oma. Zwei Sachen aber sind ärgerlich.
Zum einen sieht man sich, wenn man Taxis, Eintrittskarten, Hotelzimmer, Strom, Gas, Wasser oder eben Internet bestellt, einer anonymen Masse gegenüber, man muss sich einfach drauf verlassen, dass es irgendwie erledigt wird. Wenn man einem Freund etwas aufträgt, weiss man, ob der zuverlässig ist oder nicht, aber bei Nichtpersonalen? „Hallo, ist da die Taxizentrale? Die Mitarbeiterin vorhin klang so etwas schusselig, können Sie mal schauen, ob Taxi für Herter 20.00 Allschwil bei Ihnen steht?“ Es stand übrigens wirklich schon einmal nichts drin, das Taxi kam nicht, wahrscheinlich weil die Frau am Telefon anstatt meinen Bestellung reinzuhämmern ihre Fingernägel lackiert hatte.
Alles, was über Telefone mit mehreren Mitarbeitern geht, sollte zuverlässig sein.
Zum Zweiten ist die Swisscom nicht so tolerant wie man mit ihr sein sollte, vor allem, wenn es um das Vergessen von Rechnungen geht. Schon am ersten Tag nach Fristablauf wird ein Schreiben losgeschickt, das den Kunden an sein Säumnis erinnert und im Falle der wiederholten Nichtzahlung alles Mögliche androht: Zwangsvollstreckung, Pfändung, Gefängnis, Daumenschrauben, Streckbank, Eiserne Jungfrau, Teeren und Federn und als Ultima Ratio das Grausamste, das passieren kann: Abschalten des Internets.
Nein, liebe Swisscom, Vergessen ist menschlich, allzu menschlich, aber ich bin mit dir als anonyme Wand und eifrige intolerante Anmahnerin weniger gnädig als mit einem Kumpel, der einen Jasstermin vergisst.
Vielleicht kündige ich eh meinen Vertrag, das Lädchen fünf Häuser weiter hat ja immer offen, vielleicht gehe ich ja da hin, lasse mich von Zimtdüften umwehen, lächele das Söhnchen an, surfe dort und telefoniere mit Billigstanbieter. Und vielleicht macht die junge Frau ja für Stammkunden die Handflächenverbeugung.      

 

Freitag, 21. Februar 2014

Trudi sucht sich ihre Rolle

Trudi Bauschiger hat sich auf ihren neuen Job vorbereitet: Sie hat das Organigramm der Firma, deren Website, Facebookaccount und Twittereinträge studiert, sie hat wichtige Dossiers und Protokolle der letzten Jahre gelesen. Wichtiger: Sie war bei der Maniküre und beim Coiffeur, nebenbei hat sie sich in einer Riesenkaufaktion mit 20 kg Businessklamotten eingedeckt.
Das Wichtigste aber ist, dass Trudi sich eine Rollenliste gemacht hat: Welche Positionen sind bei der FUNAMAG durch wen besetzt und welche sind noch frei? Sie wird an ihren ersten Arbeitstagen genau beobachten und abhaken.
Als sie das Büro betritt, kommt ein junger Mann auf sie zu, schenkt ihr sein schönstes Lächeln, reicht ihr die Hand und strahlt: „Du musst Trudi sein, ich bin der Jan.“ Innerlich hakt sie den Sonnyboy ab und als der andere Mann im Raum beginnt: „Hihihihi, kennt ihr den, hihihihi, kommt eine Frau in die neue Firma…“ auch den Clown.
Auch das Enfant terrible lässt nicht lange auf sich warten, als sich Marco anlässlich der Zehn-Uhr-latte-macchiato-Pause in der Kaffeeküche trotz strengstem Rauchverbot eine Selbstgedrehte ansteckt. „Maaarco, gehen wir doch raus, ich rauche dann auch eine mit“, haucht Anna mit lasziver Stimme, wirft ihre Haare nach hinten, wobei der sich vorstreckende Körper einen Einblick in ihr makelloses Dekolleté ermöglicht. Trudi macht bei der Femme fatale ein Kreuzchen.
Weitere Häkchen kann sie erst am nächsten Tag malen: Frau Sütterlin hat an Trudis Platz eine Willkommensschoggi gelegt: Gute Seele. Adrian schüttelt bei jeder Bemerkung des Chefs den Kopf: Nein-Sager. Und als Gritti auf einmal zum Boss sagt: „Ich checke ja nicht viel, aber du hast die Kopenhagen-Sache wirklich versaut?“ kann Trudi auch den Hofnarr als vorhanden abhaken.
Erstaunlich ist, dass die Rolle der Mama durch einen Mann belegt wird, Herrn Müller, der Trudi schon am dritten Tag ermahnt, doch nicht ohne Schal in die Lunchpause zu gehen, sie könne sich doch erkälten.
Als Trudi am Ende der Woche die Häkchen anschaut, wird ihr ein bisschen komisch zumute: Fast alle Posten sind schon besetzt. Laut ihrer Liste, die ja - seien wir ehrlich - nicht ihre Liste ist, sondern dem bahnbrechenden Werk Hiebchen, Z.: Rollenpositionen in der Businesswelt, Detmold 2005 entnommen ist, fehlen bei der FUNAMAG nur noch drei Rollen: Der Klugscheisser, das wandelnde Lexikon und die Kassandra.
Den Klugscheisser definiert Hiebchen als denjenigen, der in jeder Situation eine Info anbringen muss, die einer anderen, vorigen Info widerspricht, von ihm unterscheidet sich das wandelnde Lexikon dadurch, dass es seine Informationen nie eigenwillig in die Runde wirft, ausserdem ohne den Drang zum Widerspruch, das wandelnde Lexikon hält Fakten zu jedem beliebigen Thema auf Abruf parat. Die Kassandra ist die Rolle, die konsequent alles schwarz sieht und dies auch laut äussert.
Trudi entscheidet sich für die Kassandra.
Beim nächsten Meeting hört man plötzlich von ihr: "Der Zeitplan für die Amsterdam-Sache kommt mir doch sehr knapp vor, in einer Woche schon Strategieplan auf dem Tisch; also ich sehe da schwarz."
Schon bald hängt ihr der Name Schwarzseher-Trudi an, sie ist immer die, die nörgelt, nölt, alles anzeifelt, die, die Katastrophen und Untergänge ahnt. Aber wer jetzt denkt, dass dies ihrer Beliebtheit einen Abbruch tut, täuscht sich: 
Seit langem hat sich das Team der FUNAMAG nicht so komplett, rund und wohl gefühlt.

Montag, 17. Februar 2014

Zufälle der Geschichte: Der betrunkene Schriftsetzer

Die Weltgeschichte ist voller Zufälle, merkwürdiger, seltsamer, witziger und skurriler Zufälle. Und die Kulturgeschichte ist es auch.
Es war Zufall, dass Andrew und Lizzy Blake an einem sehr stürmischen und regnerischen Herbstabend nicht aus dem Hause konnten und stattdessen vor dem Kamin sich einander hingaben, was neun Monate später zur Geburt der Zwillinge Jack und John Blake führte. Es war auch Zufall, dass an dem Tag, an dem Andrew seine Stammkneipe anlässlich seiner Vaterfreuden freihielt, sich im RED DRAGON der Schriftsetzer William Blubber befand, weil dessen Stammpub BLUE DEER wegen Krankheit geschlossen war. Es war noch ein merkwürdiges Zusammentreffen, dass sich im Roten Drachen auch noch ein gewisser Toby Black aufhielt, der seinerseits im Lotto gewonnen hatte und daher auch Spendierhosen trug. Kurz und gut, Andrew und Toby lieferten sich eine Lokalrundenschlacht, aus der der letztgenannte mit 16:14 als Sieger hervorging. Und William Blubber kam in den Genuss dieser 30 Runden.
Nun war Blubber ein trinkfester Brite – welch Pleonasmus! – aber die Menge an Ale und Scotch war auch für ihn sehr viel Alkohol. Als er am nächsten Morgen zur Arbeit ging, schwankte er noch etwas und musste den ganzen Tag mit Restalkohol kämpfen. Er riss sich aber zusammen, verdammt zusammen und es unterlief ihm acht Stunden lang kein Fehler, ausser: Er setzte in einer Zeile einen Satzteil zweimal.
Nun gibt es in Verlagshäusern ja Redaktoren, Korrektoren, Lektoren, die eben solche Fehler auszumerzen haben, aber in diesem Fall war die Sache schwierig. Einerseits war das Typoskript  von Bobby, dem verlagseigenen Hund zerfetzt worden – schon wieder so ein Zufall, dass der Redaktionsköter just an diesem Tag schlechte Laune hatte, weil ihm die Nachbarskatze entwischt war! -  andererseits war es Lyrik. Bei Lyrik weiss man nie so genau, wie es gehört, weil Dichterinnen und Dichter alle einen Hau haben.
Die Redaktoren, Korrektoren, Lektoren spielten nun verschiedene Szenarien durch, vor allem getrieben durch die Angst vor der Poetin, die kurzfrisiert und burschikos jenseits des Kanales thronte und für ihren Jähzorn bekannt war. Riefe man an, würde man beschimpft, sie habe es nur mit Idioten und Banausen zu tun, sie brauche endlich Leute, die etwas von Lyrik verstünden, sie werde den Verlag wechseln, usw...egal ob der Satz nun stimme oder nicht. Riefe man nicht an und der Satz wäre falsch, wäre der Zorn grösser, man hätte aber Zeit gewonnen, zum Beispiel zum Auswandern. Stimme der Satz und man riefe nicht an: Schwein gehabt.
Man unterliess das Telefonat.
Als die Dichterin den Lyrikband in Händen hielt, war ihre Raserei fulminant. Sie zertrümmerte ihre Wohnung und machte aus Art Deco Sägespäne. Ihr Malerfreund Pablo hielt das Ergebnis später in seinem Werk Guernica fest.
Nun war sich merkwürdigerweise die Kritik einig, dass eben dieser Satz ganz besonders eigen, besonders originell, ganz besonders lyrisch und poetisch sei. Ja, dieser Satz sei einer der gelungensten der letzten Jahre! Die Poetin machte gute Miene zum bösen Spiel und tat nun auch so, als habe sie ihn nie anders gemeint.
Dieser Satz wurde einer der bedeutendsten der Lyrik des 20. Jahrhunderts.
Und als Brad Blake, der Urenkel von Jack Blake, einem der Zwillinge, letztes Jahr über die Autorin seine Diplomarbeit schrieb, ahnte er in keinster Weise, dass die Literaturgeschichte diesen Satz der Zeugung und der Geburt seines Vorfahren verdankt:

A ROSE IS A ROSE IS A ROSE.

 

Freitag, 14. Februar 2014

Was viele gut finden, muss nicht SCHLECHT sein


Meine Buchhändlerin empfiehlt in ihrem neuesten Newsletter „Das Rosie-Projekt“ von Graeme Simsion, es sei ein überaus gekonnt geschriebenes, überraschendes und extrem witziges Buch. Auf dem Weg ins Neubad (meine Stammbuchhandlung ist Olympus&Hades, ein bisschen Schleichwerbung darf schon sein) sehe ich im Tram einen Flyer: „Das Rosie Projekt: Der Bestseller jetzt auf Deutsch – (Name des örtlichen Buchsupermarktes)“ Nun werde ich ein wenig verunsichert, eigentlich kauft man ja nix, was die Literaturdiscounter empfehlen, aber in diesem Fall? Ich kaufe mir das Buch und bin hellauf begeistert. Eine intelligente und heitere Lektüre.
Und ich merke, dass ein Satz umgeschrieben werden muss:
Es ist nicht automatisch gut, was alle/andere gut finden UND(!!!) es ist nicht alles automatisch schlecht, was alle/andere gut finden.
Wir lassen uns nämlich schrecklich in der einen oder anderen Richtung beeinflussen.
Wir haben z.B. Menorca gebucht, zwei Wochen in dieser herrlichen Altstadt von Ciutadella, zauberhafter Hafen und warmer Sandstrand, dann bekommen wir mit, dass zurzeit niemand nach Menorca fliegt, sondern dass alle wichtigen sozialen Kontakte auf die Azoren jetten. Also rennen wir ins Reisebüro und buchen Sao Miguel.
Es kann aber auch umgekehrt passieren, nämlich dass wir Sao Miguel gebucht haben, zwei Wochen in dieser herrlichen Altstadt von Ponta Delgada, warmer Hafen und zauberhafter Sandstrand, und dann sagen uns die falschen Leute, dass sie da auch schon waren und dass es ganz toll gewesen sei, und wir rennen ins Reisebüro und buchen zwei Wochen Menorca.
Ein Freund von mir erzählte einst, dass er jede Tätigkeit, die er vorgehabt habe, sofort cancelte, wenn seine Mutter ihm eben das vorgeschlagen habe. Habe er zum Beispiel einen Spaziergang machen wollen und seine Mutter habe gerufen: „Geh doch ein bisschen spazieren!“, habe er sofort die Jacke ausgezogen und den Spaziergang nicht gemacht.
Es ist nicht automatisch gut, was alle/andere gut finden UND(!!!) es ist nicht alles automatisch schlecht, was alle/andere gut finden.
Sie machen eh ganz viele Dinge, die viele andere Leute gut und nützlich finden:
Sie atmen regelmässig.
Sie essen und trinken regelmässig.
Sie putzen Ihre Wohnung.
Sie waschen sich oder duschen.
Sie treiben Sport.
Sie haben Sex.
Alles Dinge, die viele Leute gut finden, die man aber trotzdem nicht bleiben lassen sollte.
Im Falle des Atmens und des Trinkens ist es sogar lebensgefährlich.
Auch in der Kunst ist Popularität ja eine besonders heikle Sache. Dabei gab es viele Komponisten, Schriftsteller und Maler, die in ihrer Zeit von den Massen geliebt und geschätzt wurden. Das waren nicht die schlechtesten, man denke nur an Purcell, Händel, Verdi, man denke an Schiller oder Mann.
Auch was viele gut finden, kann gut sein.
Wie kommt man dann zu einem Urteil, wenn das Urteil der Masse falsch oder auch eben richtig sein kann?
Durch den schwersten Weg, den das Schicksal einem Menschen aufbürdet, durch eine komplizierte und heikle Kunst, die leider nur noch wenige Leute beherrschen:
SELBER DENKEN. 

Montag, 10. Februar 2014

Über den Rhein - und dann weiter?

Worte wie "drüben", "die andere Seite", "das andere Ufer", "jenseits" bezeichneten in der Menschheitsgeschichte schon die verschiedensten Dinge. Waren in der Antike und im Mittelalter die Sphäre gemeint, die ein Verstorbener - von Charon ans andere Ufer gebracht - erreichte, meinte man im 19. Jahrhundert Amerika, in das so viele auswanderten. Im 20. Jahrhundert kippte die Konnotation zugunsten von des Deutschlandteiles jenseits der Mauer, "Geh doch nach drüben!", dieser Satz klingt vielen Altlinken immer noch im Ohr. Das andere Ufer, von dem so mancher Mann und so manche Frau kommt, muss ich wohl nicht erwähnen. ICH WUSSTE NICHTS VON DEINENNNN UFFERRRRNNNN! so Nina Hagen in "Der Spinner".
Eine weitere Bedeutung kursiert in allen Städten, die eine richtige und eine falsche Seite ihres Flusses haben. Die richtige ist dabei eben die richtige und wird nicht extra genannt, die andere bekommt eine Bezeichnung. "Jenseits Kochens" sagen die Schwäbisch Haller, so als ob der Kocher ein Ort wäre."Wenigenjena" heisst es an der Saale und "Trastevere" am Tiber. In Basel heisst die falsche Seite Kleinbasel, exakter Glaibasel, und dorthin werde ich am 19.2. umziehen, ich werde ans andere Ufer gehen, nach drüben, ins Jenseits, in eine neue Welt. Ich habe lange überlegt, ob man eine Wohnung mitten im Kuchen aufgeben sollte, aber 30qm mehr, 2 Zimmer, Balkon zum gleichen Preis waren schlagende Argumente.
Seit Sonntag aber plagt mich ein quälender Gedanke: Soll ich die Kisten einfach zu lassen, die Gestelle nicht einräumen, die Zelte nicht aufschlagen, die Wohnung nicht in Beschlag nehmen und einfach weiterziehen? Bin ich noch willkommen in diesem schönen Land?
Aber wohin sollte ich gehen?
Vielleicht dahin, wo man die Deutschen mag, aber leider aus den falschen Gründen. Als mich ein Bulgare einmal als Waffenbruder titulierte (die waren nämlich im WK II auf unserer Seite) lief es mir kalt über den Rücken.
Nach Deutschland zurück?
In die BRD, wo mir ständig die falschen Vokabeln unterlaufen, wo ich "Coiffeur" statt "Frisör" sage, "Zugsmitte" statt "Zugmitte" und "Dossier" statt "Aktenordner" ? Wo ich ständig mit meinen Vergleichen anecke und zu hören bekomme: "Du bist hier nicht in der Schweiz"? In das Land, das ich so als Reise-, Opern-, Konzert- und Kulturland schätze, aber nicht als Wohnland? In das Land, das mir so vertraut ist und so fremd geworden ist?
Nein, ich werde ausharren am anderen Ufer, im Jenseits, drüben, ich werde bleiben,
so schnell wird mich die Schweiz nicht los.
Auch wenn der rote Pass eventuell in die Ferne rückt, denn es kann ja gut sein, dass nach dem Einwanderungs- auch der Einbürgerungsstopp kommt, so viel Rückenwind wie die SVP jetzt hat. Auch wenn ich wieder einmal als "Schwob" tituliert werde, was ich ja auch wirklich bin - im Gegensatz zum Hamburger, "Schwabe" ist der grösste Ehrentitel, man denke nur an Schiller und Hegel - und Daimler.
Auch wenn sich manches ändern wird: Ich bleibe.
Drüben.
Auf der anderen Seite des Flusses.

Freitag, 7. Februar 2014

Es lebe Kachelmann


Kachelmann frohlockt,  Kachelmann ist zufrieden: Seine Erzrivalin ist auch eine Verbrecherin, wieso eigentlich auch, er ist ja keiner, freigesprochen von einem amtlichen Gericht. „Wenn man lange genug am Fluss sitzt, treibt irgendwann die Leiche des Feindes vorbei“, so twitterte er diese Woche. Man gönnt es ihm, hatte doch die böse Schwarzer (wer so heisst, muss ja böse sein) ziemlich übel während des Prozesses über ihn hergezogen.

Was ihn so auf die Palme brachte, war natürlich auch, dass Alice, die bei seiner Vergewaltigungsgeschichte so sehr die Moraltante spielte, eine viel schlimmere Untat als er beging. Denn man kann ja Missbrauch und Steuerhinterziehung gar nicht wirklich vergleichen. Wer Steuern hinterzieht, begeht Diebstahl an der Allgemeinheit, er beklaut eigentlich alle, er schädigt das ganze Volk, wer vergewaltigt, schadet nur einem (oder einer, es sind ja meistens Frauen). Ausserdem schafft man Steuern stets aus eigenem Antrieb, mut- und böswillig auf die Seite, bei einem sexuellen Übergriff wird man ja oft geradezu vom Opfer provoziert, wenn da Busen zu offen zur Schau gestellt werden, wenn da Hüften zu stark geschwungen werden, da kann man ja fast nicht anders.

Nein, Steuerhinterziehung ist die schrecklichere Tat, da beisst die Maus keinen Faden ab, sie verjährt auch später, es ist auch die für mich unvorstellbarere Tat: Ich gebe alles, aber auch alles, aber auch jede Kleinigkeit beim Finanzamt an, sogar der Gutschein für das Restaurant  Bohrerhof, den ich neulich nach dem Konzert der MG Concordia und des MV Schönenbuch bekam (150.-) wird in der Erklärung 2014 als „zusätzliche Bonuszahlung“ auftauchen. Das andere dagegen, na ja, wenn die Hormone einen ausser Kraft setzen… Das italienische Recht kennt den Begriff der „zeitlich begrenzten Unzurechnungsfähigkeit“, einen Zustand, bei dem man nicht mehr Herr seiner Sinne ist, „er währt genauso lange, wie man braucht, um einen Mord zu begehen oder eine Frau zu vergewaltigen.“  (Donna Leon in einer Kolumne für die VOGUE) So etwas kann also auch mir passieren.

Woher hat die schwarze, böse Alice eigentlich das ganze Geld? Das hat ja auch so einen üblen Beigeschmack. Menschen, die etwas Ideologisches, Kämpferisches, Ideelles, etwas Politisches, Moralisches, Anstossendes tun, sollten dafür kein Geld bekommen, sonst denkt man ja, sie tun es des schnöden Mammons wegen. Ihr Auskommen haben schon, keiner soll leben wie ein Hund, aber nicht reich werden. Es wäre für mich unerträglich, wenn die Chefredakteurin der taz das Gleiche verdiente wie der Chefredakteur von HÖRZU, es wäre für mich unerträglich, wenn ich herausbekäme, dass eine Kübler-Ross mit ihren Büchern und Vorträgen Kohle gemacht hätte. Und wenn, dann: spenden, stiften, spenden, stiften…

Kachelmann frohlockt. Kachelmann ist wieder da und ganz oben (und das jetzt bitte nicht missverstehen) Es wäre ja auch schade gewesen um den Mann, der unserer Sprache etwas völlig Neues, Schönes und Unvergleichliches geschenkt hat: Den populären Wetterbericht. Als ich jung war, haben die im Radio ja immer nur gesagt, was wettermässig passiert, aber nicht, wie man das finden und sich fühlen sollte, man vergass, auf Deutsch gesagt, das Frieren. Hier hat Jörg endlich Abhilfe geschaffen: „Bei 4 Grad Minus ist es heute rrrrrrrrrrrrichtig kaaaaaaaaaaaaaaaalt, ziehen Sie sich ganz, ganz, ganz, ganz warm an.“ Ohne Kachi würden wir doch ständig im Januar mit Badeshort und TankTop rumlaufen.

Er ist wieder da, er triumphiert, er frohlockt: Es lebe Jörg Kachelmann!

Montag, 3. Februar 2014

"Der Herr zahlt bar." "Ach."


Ich buche eigentlich sonst keine Luxushotels, aber wenn ich das Atlantis Steigenberger in Bottrop für EUR 100.- pro Nacht bekomme (via www.hotelomat.com ), warum nicht. Ist ja auch sinnvoll in einer Stadt, in der man so wenig wie möglich vor die Türe gehen sollte. („Wenn Sie Bottrop kennen, finden Sie es überall auf der Welt schön.“ „Hier möchte man nicht einmal tot über den Zaun gehängt werden.“) Ich bereue das Atlantis Steigenberger auch keine Sekunde: Riesenzimmer, Südseite, Schwimmbad mit 20m-Bahn, Fitnessraum mit 90 Geräten, Restaurant mit Gourmet-Karte, üppiges Frühstücksbuffet mit – und das ist in der Hotelwelt so selten wie Eisbär am Südpol – weichen Eiern.
Das Drama beginnt, als ich bezahlen möchte.
„Sie zahlen mit welcher Karte?“, fragt mich die in blauen Blazer und passender Bluse gehüllte junge Dame an der Rezeption. „Mit keiner“, entgegne ich, „ich zahle bar.“ Das sei sehr ungeschickt, erwidert diese, sie habe keinen Schlüssel für die Kasse, ob ich wirklich keine CreditCard habe? Natürlich habe ich eine Mastercard, aber die ist so hoffnungslos überzogen, dass ich auf Barzahlung bestehe. Nach einigem Hin- und Her ruft sie ihren Chef vom Dienst an. Ja, hier stehe ein Mann und der wolle bar, nein, richtig gehört, bar und sie habe doch keinen Schlüssel… Der junge Mann erscheint, Jacke, Hemd und Krawatte in den gleichen Blautönen wie bei der Dame. Er lässt sich meinen Ausweis zeigen und mustert mich von oben bis unten. Man weiss ja schliesslich nicht, und Bargeld taucht ja meistens bei Berufskillern, Drogenkurieren und Callboys auf. Ein Glück, dass ich die Knete im Geldbeutel und nicht in der Hosentasche habe. (Kleiner Exkurs: Wenn ich einfach so im Anzug ins Theater gehe, stopfe ich meine Geldscheine in die Gesässtasche, denn bei Grösse W29 sind diese Taschen aus optischen Gründen zu klein für ein Portemonnaie, so als ob Schlanke auch dünnere Geldbörsen hätten.)
Die Kasse springt auf und ich zähle mein Geld ab. Auf einmal spüre ich Leute hinter mir und als ich verstohlen über die Schulter linse, sehe ich eine ganze Menschentraube. Mindestens 30 Menschen drängen sich um die Rezeption, um den sensationellen Vorgang einer Barzahlung mitzuerleben. Es würde mich jetzt nicht einmal wundern, wenn ich wie im Kalbshaxe-Florida-Sketch von Loriot hören würde: „Was ist denn da los?“ „Der Herr zahlt bar.“ „Ach.“ „Lassen Sie doch mal das Kind durch.“

Wann hat die Zahlung mit echtem, richtigem und anfassbarem Geld den Touch des Üblen bekommen? Gewiss, wie oben erwähnt, werden viele heikle Sachen bar bezahlt. Aber ich bekomme doch auch rechtmässiges, hart verdientes Geld an meinem Bankomat. Und Bargeld hat extreme Vorteile: Hier kann niemand meine Daten kopieren, es kann nicht – wie neulich passiert – doppelt abgebucht werden, ich behalte den Überblick über meine Transaktionen und kann auch locker ein Trinkgeld geben, was ich in Bottrop natürlich unterlasse. Der einzige Nachteil ist, dass es mir gestohlen werden kann, daher schleppe ich auch nicht ständig 30 000.- mit mir herum, sondern so viel wie ich brauche. Das ist relativ unspontan, aber mal ganz ehrlich: Wie häufig kaufen wir so ganz spontan und nebenbei eine Audemars Piguet, einen Perserteppich oder eine Jacht?
Aber die Kartenzahlerei ist nicht aufzuhalten. Da fischen Leute beim Kauf eines RedBull ihre VISA aus der Tasche, da hantieren andere bei McDoof für ein paar Pommes mit MASTER, da zücken weitere ihre DINERS CLUB, um einen Radiergummi zu erstehen.
Ich werde weiterhin bar zahlen, wo auch immer es geht.
Der Chef vom Dienst verabschiedet sich bei mir, beugt sich noch zu mir herüber und flüstert mir ins Ohr: „Wir haben jetzt für Sie eine Ausnahme gemacht, aber bitte, bitte, erzählen Sie das nicht weiter, stellen Sie sich vor, das spräche sich herum: Im Atlantis in Bottrop kann man bar bezahlen…“
Leider konnte ich ihm das nicht versprechen, und hätte ich, wäre das Versprechen jetzt gebrochen.