Freitag, 28. Januar 2022

Offener Brief an Stoltenberg: Ich will in die Nato

Offener Brief an die NATO

Herrn NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
NATO-Headquarters
Boulevard Leopold III
B – 1110 Brüssel

Basel, den 28. Januar 2022

Lieber Herr Stoltenberg,

ich hoffe, die Adresse stimmt so. Ich habe sie aus dem Internet – ich finde das ja schon lustig, wie offenherzig internationale Organisationen mit ihren Adressen umgehen, auch die CIA könnte man anschreiben, oder auch den Papst, wobei ich Sie ja gar nicht mit der CIA oder dem Papst vergleichen will. Also, ich hoffe, Post kommt an, auch wenn ich Gebäudetrakt und Stockwerk nicht weiss, aber da haben Sie ja sicher eine Postverteilstelle.

Herr Stoltenberg, ich habe ja lange gedacht, dass Sie irgendwie mit dem deutschen Politiker Stoltenberg verwandt sind, immerhin war der ja auch mal Verteidigungsminister, und da wäre das ja schon naheliegend, die Lambsdorffs sind auch alle miteinander verwandt, wissen Sie. Aber bei Ihnen finde ich da im Netz gar nix, Sie kommen ja auch aus Norwegen, und der andere Stoltenberg kam aus Deutschland, immerhin habe ich Hinweise gefunden, dass das alles mit dem Ort Stoltenberg zusammenhängt. Vielleicht sollten Sie mal Ahnenforschung betreiben, vielleicht haben Sie aber auch keine Zeit dazu.

Nun aber zu meinem Anliegen:
Ich möchte gerne in die NATO.

Sehr geliebter Herr Stoltenberg, alle möchten ja gerade in die NATO. Bosnien möchte in die NATO und die Ukraine möchte in die NATO und überhaupt fast jeder Staat. Ich habe Gerüchte gehört, dass sogar der Vatikan einen Aufnahmeantrag gestellt hat. Vielleicht ist das wirklich nur ein Gerücht, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das funktionieren soll, mit den Schweizergarden und den Kardinälen und den Italienern, und eigentlich sollte eine Kirche ja auch immer eine Kirche des Friedens sein, aber vielleicht ist das wirklich nur ein Gerücht.
Jedenfalls möchte jeder in die NATO und ich will das eben auch.

Lassen Sie mich das kurz erklären:
Ich bin Deutscher. Und Deutschland ist natürlich in der NATO, das ist gar keine Frage. Nun wohne ich in der Schweiz und die Eidgenossen sind nicht in der NATO. Nun könnten wir lange diskutieren, warum die Eidgenossen nicht in der NATO sind, aber die Schweizer sind nun halt mal neutral. Nun bin ich mir nicht sicher, ob ich geschützt bin, wenn ich als Passinhaber eines NATO-Staates in einem Land wohne, das dem Nordatlantischen Verteidigungsbündnis dem Rücken kehrt.

Ich bin in diversen Vereinen, aber auch in Verbänden, die eigentlich Gruppen als Mitglieder haben, aber auch Einzelmitgliedschaften zulassen. So als Beispiel: Der Verband der Katholischen Kirchenchöre in der Nordwestschweiz hat natürlich zunächst die katholischen Kirchenchöre als Mitglieder, aber wenn jemand aus seinem Chor (zum Beispiel aus Altersgründen) austritt und den Verband nun aber doch unterstützen will, dann kann er oder sie als Einzelmitglied in den Verband aufgenommen werden.
Nun stellt sich die Frage:
Sieht die NATO solche Einzelmitgliedschaften vor?

Herr Stoltenberg, ich fühle mich einfach unwohl, ganz Europa, alle, alle, alle, alle sind bei Ihnen dabei und ich bin wahrscheinlich aussen vor. Deshalb fände ich es klasse, wenn ich bei Ihnen dabei sein könnte. Stellen Sie sich nur vor, die Russen greifen uns an, und alle in meiner Strasse werden erobert und gemeuchelt, nur ich nicht, weil Sie ja Ihre Truppen senden. So wie bei Brecht (leicht abgewandelt):

Meine Herren, da wird alles Lachen aufhören
Denn die Mauern werden fallen hin
Und die Stadt wird gemacht dem Erdboden gleich.
Nur ein lumpiges Haus wird verschont von dem Streich
Und man fragt "Wer wohnt Besonderer darin?"
Und man fragt "Wer wohnt Besonderer darin?"
Und in dieser Nacht wird ein Geschrei um das Haus sein
Und man fragt "Warum wird das Haus verschont?"
Und man wird mich sehen treten aus der Tür gen Morgen
Und man sagt "Der hat darin gewohnt?"

Werter Herr Stoltenberg, ich schreibe Ihnen mit bangem Herzen und zitternden Fingern: Ganz Europa ist in der NATO, bitte nehmen Sie mich auf.
Als Einzelmitglied.

Wenn nötig, müssen Sie halt da die Satzung ändern.















 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 25. Januar 2022

Die Lösung der Ukraine-Frage

Manchmal wache ich frühmorgens auf, und dann türmen sich die angeblichen Fragen und die eventuell ungelösten Probleme (Reicht das Monatsbudget noch für ein Paar Schuhe? Habe ich das Hotel für Chur organisiert? Welches Buch beginne ich mit Alex an zu lesen? Habe ich die Mails vom Chef beantwortet?) Und dann stehe ich auf und muss erst mal an den Schreibtisch und merken, dass alles gut ist… (Das Budget reicht aus, das Hotel Bündner Hof im Zentrum von Chur ist gebucht, für Alex habe Richter und Henker vorgesehen, die Mails sind geschrieben.)

Aber wenn ich dann schon einmal wach bin und am Problemelösen, ja dann mache ich einen Kaffee und setze mich wieder an mein Pult und löse die Probleme der Welt, ich rette Afrika und Asien, ich schmiede Allianzen und ich ordne die Welt neu. So ganz nach dem Motto von Tim Bendzko

Muss nur noch kurz die Welt retten
Danach flieg ich zu dir
Noch 148 Mails checken
Wer weiß was mir dann noch passiert
Denn es passiert so viel
Muss nur noch kurz die Welt retten
Und gleich danach bin ich wieder bei dir

Und so habe ich vorgestern, als ich um 4.30 wach wurde und weder das Schuhbudget, noch das Hotel im Bündnerland, noch die Alexlektüre, noch die Chefmails ein Problem waren, das Ukraine-Problem gelöst. Und hier ist er, der Herter-Plan:

HERTERPLAN FÜR DIE UKRAINE

Schritt 1: Donald Trump wird als Sonderbeauftragter für die Ukraine-Frage eingesetzt.
Schritt 2: Trump und Putin treffen sich und handeln Schritt 3 und Schritt 4 aus.
Schritt 3: Der ukrainische Präsident wird entmachtet, das Parlament aufgelöst und ein Diktator eingesetzt.
Schritt 4: Die Ukraine tritt in die NATO ein.

Zur Erklärung:

Putin hat Angst. Er hat Angst vor zu viel Demokratie. Er hat Angst vor Bürgern, die denken und Angst vor freien Wahlen. Er hat Angst vor der Pressefreiheit. Und so ist ihm eine freie, westliche, demokratische Republik vor der Haustüre stets ein Dorn im Auge. Und die Haustüre ist hier natürlich vor allem die Westseite. Da hat man die Balten, die Belorussen und die Ukrainer. Und nur die Belos sind hier zu gebrauchen. Was wäre, wenn das eigene Volk auch solche Dinge wie im Baltikum oder in der Ukraine will? Nicht auszudenken.

Und hier kommt Donny wieder ins Spiel. Denn auch Donny hat Angst. Er hat Angst vor zu viel Demokratie. Er hat Angst vor Bürgern, die denken und Angst vor freien Wahlen. Er hat Angst vor der Pressefreiheit. Biden kann also Putin nicht verstehen, Trump kann ihn verstehen. Wer Trump auf Pressekonferenzen erlebt hat, der weiss, wie er mit Journalisten umgesprungen ist. Und wahrscheinlich hat er sich jedes Mal beim Abkanzeln gedacht: «Oh, der Putin hat es gut. Ich kann die Zeitungssauhunde nur beleidigen, wie gerne würde ich wie Wladimir sie auch verhaften und vergiften und verhauen…»

Nein, Biden ist kein Gegenüber für Wladimir, aber Donny wäre es wieder.
Und wenn die beiden sich dann erst mal treffen, wird bei viel Krimsekt und Wodka der Plan geschmiedet – oder gutgeheissen, denn mein Plan steht ja längst.
Sie meinen, dass ein Präsident der USA einem Sturz demokratischer Kräfte und der Einsetzung von Diktatoren niemals zustimmen würde?
Das meinen Sie wirklich?
Och, die Vereinigten Staaten haben das hunderte Male gemacht. Da kommt es typischerweise zum Selbstmord von Joan Da Silva, Präsident von San Sao, und dann muss natürlich das Militär erst einmal die Macht übernehmen, damit es nicht zum Chaos kommt, und vor dem Suizid hat man auffällig viel CIA in San Sao City gesehen…
Nein, die USA haben da nix dagegen, und Trumpie und Wladi handeln das so aus.

Und eine undemokratische Ukraine kann dann auch Mitglied der NATO werden.
Sie meinen, dass in die NATO nur demokratische Staaten mit Meinungs- und Pressefreiheit passen? Träumen Sie weiter.
Und blicken Sie mal nach Warschau, nach Budapest und Ankara.
Na also.

Manchmal wache ich frühmorgens auf, und dann türmen sich die angeblichen Fragen und die eventuell ungelösten Probleme (Reicht das Monatsbudget noch für einen Pulli? Habe ich das Hotel für Hannover organisiert?) Und dann stehe ich auf und muss erst mal an den Schreibtisch und merken, dass alles gut ist… (Das Budget reicht aus, das Hotel Hannoveraner Hof ist gebucht.)
Aber wenn ich dann schon einmal wach bin, mache ich einen Espresso und setze mich wieder an mein Pult und löse die Probleme der Welt.
Und so habe ich gestern noch die Frage gelöst, wer die Ukraine übernimmt.

Dreimal dürfen Sie raten. Und meine erste Amtshandlung wird sein, die Dienstag-Freitag-Glosse zur Pflichtschullektüre zu machen…

 

 

 






Freitag, 21. Januar 2022

Kein Count-Up! Wir gehen zum Tagesgeschäft zurück.

Wird es einen Count-Up geben?
Wäre doch ganz lustig, jetzt fünf Folgen lang zu zählen: 1001, 1002, 1003, 1004 und 1005. Werden wir das tun?
Wird es einen Count-Up geben?

Nein.
Wird es nicht, wir haben zwar 996, 997, 998, 999 und 1000 gezählt, aber 1001, 1002, 1003, 1004 und 1005 werden wir uns ersparen.
Und zwar einfach, weil mir zu den Zahlen nichts einfällt. Und weil wir endlich wieder in die Tagespolitik zurückmüssen.

1001 wäre ja noch ganz lustig, da könnte man auf den Binären Code und die Computer und die Informatik kommen, Sie erinnern sich, das Zweiersystem, in dem 1001 die Zahl 9 wäre, und das die Grundlage für die ganze Computerei bildet, da könnte man einiges schreiben.
Man könnte aber natürlich auch Scheherazade bemühen, die Märchen aus 1001 Nacht, und von da aus könnte man zu den ganzen Märchen kommen, die uns die ganze Zeit erzählt werden.

Zu 1003 fiele uns natürlich auch etwas ein:

In Italia seicento e quaranta;
In Almagna duecento e trentuna;
Cento in Francia, in Turchia novantuna;
Ma in Ispagna son già mille e tre.


So singt Leporello im Don Giovanni und nennt hier der guten Elvira die Anzahl der Liebschaften seines Herrn. Es sind überall viele, aber in Spanien die Höchstquote – 1003.
Der Weg hier zu diversen Giovannis – z.B. zum britischen Unglücksprinzen – wäre hier auch nicht weit.

Aber 1002? Fehlanzeige.
1004? Keine Ahnung.
1005? Nichts zu wollen.
Nein, es wird keinen Count-Up geben, und wir müssen auch dringend zurück zu den Tagesgeschäften.

Da ist ja unglaublich viel passiert, da klinkt man sich mal kurz aus den Tagesereignissen, macht einen Countdown, feiert den 1000. Post und dann fängt die Welt an zu schnurren und zu spinnen und zu krachen.

Da klinkt man sich mal kurz aus und dann dreht eine neue Virusvariante völlig durch und die Zahlen gehen durch die Decke, und zwar so durch die Decke, dass jede Massnahme sinnlos ist (vor allem das Tracing, bei dem man die Leute 14 Tage später erreicht…) und die Politiker sich die Haare raufen und lamentieren und schreien. Und hinter vorgehaltener Hand aber taucht das Tabu-Wort auf: Durchseuchung. Und manche fragen sich, warum das nicht schon längst gemacht wurde…

Da macht man mal kurz einen kleinen und feinen Countdown, und da stehen auf einmal ganz viele Panzer an der ukrainischen Grenze und man fragt sich, was die da wollen und sollen. Und man fragt sich aber auch, warum man sich im Westen nie überlegt hat, dass eine Osterweiterung der NATO natürlich dem Russen nicht so passt, das ist ja schon so, als ob der Nachbar seine Gartenlaube direkt vor Ihr Fenster baut…

Da feiert man nur mal kurz, aber heftig den 1000. Post und da hat das UK plötzlich Probleme mit seinem Premier. Oder er hat Probleme mit den Leuten, dabei hat Boris nix gemacht, er hatte Arbeitssitzungen in der Downing Street 10, Arbeitssitzungen, bei denen es auch ein bisschen Alkohol gab und getanzt wurde, aber das geht unter Teambildung, da gibt es blödere Methoden.

Da ist ja unglaublich viel passiert, da klinkt man sich mal kurz aus den Tagesereignissen, macht einen Countdown, feiert den 1000. Post und dann fängt die Welt an zu schnurren und zu spinnen und zu krachen. Und so stehen die nächsten Postthemen schon fest.

Zu 1001 und 1003 würde mir etwas einfallen.
Zu 1002, 1004 und 1005 nicht.
Aber nicht nur deswegen gibt es keinen Count-Up.

Wir müssen zurück zum Tagesgeschäft.

Dienstag, 18. Januar 2022

Post 1000: Die Glückwünsche

Der 1000. Post
Wie feiern – wie begehen?
Vielleicht so:

Lasst die Sektkorken knallen! Öffnet den Champagner, der Spumante soll fliessen, es möge – wie Wilhelm Busch es in der Frommen Helene schreibt (und malt) – lieb und luftig die Blase Der Witwe Klicko in dem Glase perlen. Oder darf es Dom Perignon sein? Wir feiern 10 Jahre Glosse!

Aber:
So habe ich neulich geschrieben. Und jetzt kann ich denselben Schmuh mit den ganzen Schaumwein-Namen und Schaumwein-Zitaten ja nicht noch einmal bringen. Nein, statt Schaumwein-Namen und Schaumwein-Zitaten kommen heute seriöse Beiträge von seriösen Menschen (und Nicht-Menschen), die ich gebeten habe, etwas zur Dienstag-Freitag-Glosse zu schreiben.

Herzchen
Herzchen
Herzchen

…, Erzengel (Name der Redaktion bekannt / per WhatsApp)

Ich muss jetzt ganz ehrlich sagen: Freuen kann ich mich nicht. Können Sie sich vorstellen, dass Sie jemand 10 Millionen Male mit dem Finger antippt? Also, nicht stark, aber schon deutlich, so tipp-tipp-tipp? 10000000-mal? 1000 Post, 10000 Zeichen pro Post, dass macht eben diese Anzahl. Nee, jetzt sollte Schluss sein. Und Sie können mir jetzt x-mal sagen, dass es meine Aufgabe ist, aber so wie dieser Glossenschreiber draufhaut, macht es einfach weh.
Also: Der 1000. Post und dann Ende. Bitte.

Acer JN09C6KB, Laptop

Ich grrrratulierrrrrre derrrr Dienstag-Frrrreitag-Glosse zum Jubiläum! Was fürrrrrr wunderrrrvolle Texte! Welch eine Sprrrrrrrrrrache! Frrrrrrrauen können keine Rrrrrrrrromane schrrrrrrrrrrrreiben. Aber Männerrrrrrr können Glossen schrrrrrrrrrrrreiben. Und fünfmal kam ich vorrrrrrrrrrrrr! Und im Septemberrrrrrr Drrrrrrrrreizehn hiess es: Errrrrrrr wärrrrrrrrrrre ein grrrrrrrrrossarrrrrrrtigerrrrr Poltikerrrrrrrrr gewesen! Kann ich nurrrrrrr beipflichten! Also: Grrrrrrrrrrratulation.

Marcel Reich-Ranicki, Literaturpapst

Im Anfang war das Wort.

Johannes, Evangelist

Also, nun, als die Person, die nun wahrscheinlich am meisten in den Glossen vorkam, möchte ich mich nun auch in die Kolonne der Gratulantinnen und Gratulanten einreihen. (Lachen, Raute) Ich habe die Glossen natürlich nie selbst gelesen, aber mein Satirereferent – ja, es gab einen Mitarbeiter, der nur Satire las – fand sie immer gut. (Lachen, Raute) Im September 2011 war natürlich der 1000. Post sehr weit weg, aber ich sagte damals schon: Wir schaffen das. Im allerersten Post wurde ja geschrieben, dass man auf Fotos konsequent verzichten würde, und ich weiss auch warum, lieber Rolf: Du hast den Farbfilm vergessen. (sehr starkes Lachen, sehr grosse Raute) In diesem Sinne: Alles Gute!

Angela Merkel, Ex-Bundeskanzlerin

Ich habe mir erlaubt, den gesammelten Herter zu lesen; fast alles von ihm, einiges über ihn; das letztere – das über ihn – ist verblüffend uninteressant, fast nur, was das Spieglein an der Wand wiederholt. Geschenkt. […] Es ist schon eine einmalige Leseerfahrung, die 1000 Herters sich vors Auge zu nehmen. […] Ich fürchte, dass Herter manches, was er so dahingeschrieben hat, wirklich gemeint, vielleicht sogar geglaubt hat.

Heinrich Böll, Literaturnobelpreisträger

Mehr Geld und Trüffelpastete für alle. Also ich würde dich ja wählen. (Smiley)

Du hast Gleichgesinnte (nicht nur in mir)

Vllt solltest du eine Elite-Ghostwriter-Agentur gründen…

Josi, Haupt-Kommentator der Glosse

Also, ich habe immer gewusst, dass aus dem Kerl nix wird. Ich weiss nicht warum, er war gar nicht schlecht, und er konnte auch sehr früh korrekt schreiben und rechnen, aber irgendwie wusste ich, der kommt auf die schiefe Bahn. Alle seine Klassenkolleginnen und -kollegen sind irgendwas Anständiges geworden. Also Handwerkerin oder Bänkerin oder Verkäufer oder Polizist, aber der RH? Und jetzt habe ich mitbekommen, dass der so Texte im Netzt veröffentlicht. Schon 1000! Na ja, ich habe es immer gewusst.

Helga Dümmerlein, ehemalige Klassenlehrerin in der Hasenwiesenrand-Grundschule

Die Dienstag-Freitag-Glosse bedankt sich für die Beiträge.
So.
Und jetzt gehe ich einen Sekt trinken. Ich ganz allein.

















Freitag, 14. Januar 2022

Post 999: Bitte heute nicht auf dem Kopf lesen

Post 999

Liebe Leserin, lieber Leser

Wie lesen Sie eigentlich meine Posts? Das ist doch eine Frage, die mich seit langer Zeit bewegt. Es gibt da ja viele Möglichkeiten, und ich habe Ihnen da immer die volle Freiheit gelassen, ganz wie Italo Calvino, der am Beginn seines unglaublichen Buches Wenn ein Reisender in einer Winternacht schreibt:

Such dir die bequemste Stellung, sitzend, langgestreckt oder liegend. Auf dem Rücken, auf der Seite, auf dem Bauch. Im Sessel, auf dem Sofa, auf dem Schaukelstuhl, auf dem Liegestuhl, auf dem Puff. In der Hängematte, wenn du eine hast. Natürlich auf dem Bett oder im Bett. Du kannst auch Kopfstand machen, in Yogahaltung. Dann selbstverständlich mit umgedrehtem Buch.

Bei einem Posts ist es nun ein wenig anders, die Möglichkeiten sind da nicht ganz so mannigfaltig. Zum Beispiel könnte man – obwohl Calvino das nicht erwähnt – auch in der Badewanne ein Buch lesen, bei elektronischer Lektüre verbietet sich das wohl. Übrigens – das haben Sie hoffentlich richtig gelesen – schreibt er «auf dem Puff» und nicht «im Puff», gemeint ist natürlich ein Pouf, ein grosses Sitzkissen.

Wie also lesen Sie meine Posts? Auf dem Tablet? Auf dem Handy? Auf dem Computer? Daheim? Im Zug? Im Auto? (Das doch hoffentlich nicht…) Rauchen Sie dabei? Trinken Sie dabei? Essen Sie dabei? In dem Fall sollten Sie aufpassen, dass keine Sauce oder Konfitüre auf die Tastatur tropft.

Ach so, Sie wollen wissen, wie ich meine Posts schreibe? Da gibt es eigentlich nur drei Möglichkeiten: An meinem heimischen Schreibtisch im Homedress (Trainingshose und Hoodie), im Zug oder im Aufgaben-machen-Raum unserer Schule (im Arbeits-Outfit, casual).

Einmal habe ich als Experiment einen Post nackt geschrieben, da sass ich auf meinem Bett im Hotel in Kiel. Es ging darum, ob Sie herausfinden, welcher Post im Juli 2014 nackt entstanden sei, das heisst, ob das Nacktschreiben einen Einfluss auf den Text hat. Hat es übrigens nicht. Sie konnten den Post nicht herausfinden. (Es war der vom 24. Juli 2014 mit dem Titel «Bin ich unsichtbar?».)

Wenn Sie nun meinen Blog sonst auf dem Kopf lesen, dann sollten Sie das heute nicht tun.
Es gibt zwei Möglichkeiten des Auf-dem-Kopf-Lesens, die eine beschreibt Calvino in obigem Ausschnitt, das ist die Yogastellung mit umgedrehten Buch.
Die andere ist die Arte und Weise, dass man ein Buch vor sich auf dem Tisch hat und dieses von der anderen Seite aus liest. Finden Sie komisch? Nun, dann sind Sie kein Leseförderer, keine Leseförderin, sind Sie keine DAZ-Lehrkraft (Deutsch als Zweitsprache), sind Sie keine Nachhilfelehrerin, kein Nachhilfelehrer, sind Sie kein Heilpädagoge und keine Heilpädagogin. Denn bei diesen Berufen, bei diesen Arbeitsfeldern, bei Leseförderern und Leseförderinnen, bei DAZ-Lehrkräften, denn bei Nachhilfelehrerinnen und Nachhilfelehrern, bei Heilpädagogen und Heilpädagoginnen gibt es eine Déformation professionnelle, sie alle haben so oft mit einer Schülerin oder einem Schüler vor sich gelesen, dass sie gar nicht mehr in der Lage sind, ein Buch normal zu lesen. Ja, auch wenn sie daheim lesen, legen sie das Buch verkehrt herum vor sich.

Sowohl an die Yogalehrerinnen und Yogalehrer als auch an die Leseförderer, Leseförderinnen, DAZ-Lehrkräfte, Nachhilfelehrerinnen, Nachhilfelehrer, Heilpädagogen und Heilpädagoginnen geht nun die Warnung:
Heute nicht auf dem Kopf!
Denn was erscheint, wenn Sie die Überschrift auf dem Kopf lesen?

666

Die Zahl des Tieres. Die Zahl des Antichrist. Die Zahl, ohne die – so schreibt die Johannesapokalypse in ihrem 13. Kapitel – niemand mehr auskommen wird:

(16) Und es bringt alle dahin, die Kleinen und die Grossen, und die Reichen und die Armen, und die Freien und die Knechte, dass sie ein Malzeichen annehmen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn;
(17) und dass niemand kaufen oder verkaufen kann, als nur der, welcher das Malzeichen hat, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. Hier ist die Weisheit.

Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie weit der Apokalypter der heutigen Situation nahekommt, und das vor 2000 Jahren. Denn technisch – und ich sage nur technisch – kann man heute schon jedem Menschen auf der Welt einen Chip mit einer Zahl implantieren, der ihn zu Dingen befähigt – oder sie verhindert.
Wie lesen Sie meinen Post? Im Liegen im Stehen? In der Küche? Im Bus? Ganz egal, wie, einfach heute nicht auf dem Kopf.

P.S. Ich habe nachgesehen, wann mein 666. Post war. (Er ist thematisch völlig unbedenklich und hiess "Was trägt man zu Wohnungsübergaben? Grüsst man in der Dusche? Wo sind die Chats?"). Er war am 14.8.2018. Das ergibt in der Quersumme 24 also 4x die 6. Und die Zahl des Tieres ist 3x die 6. Das sollte einem doch zu denken geben.





























 

Dienstag, 11. Januar 2022

Post 998: Die Zahl Drei

Jetzt noch drei – mit dem heutigen.

Die Drei, heilige Zahl, Zahl der Trinität, der Dreieinigkeit, der Formel
Vater – Sohn – Heiliger Geist.

Aber auch in vielen anderen Umgebungen begegnen uns die Formeln mit drei Schritten. Nehmen wir doch nur einmal die Werbung (ich kann leider nur sehr alte zitieren, aber die Menschen meiner Generation werden sich erinnern…):
Drei Dinge braucht der Mann: Feuer – Pfeife – Stanwell
Nussig, gesund und schokoschmackig
Philadelphia, der Sahnefrische – morgens, mittags oder nach Tisch
usw.
usw.

Aber auch an anderen Stellen finden wir solche Dreiheiten, in Geschichte (veni – vidi – vici) und in Musik, Kunst und Literatur. Ja, mein Lieblingsschriftsteller Böll hat einen solchen Dreisprung als ein wichtiges typisches Merkmal:
Grebhake und Wolters…, die im Gebüsch Unschamhaftes getan hatten: dunkelrote Gesichter, offene Hosenlätze und der bittere Geruch frischen Grüns.

Wie kommt es jetzt zu diesen Dreiheiten?
Wir machen ein kleines Experiment. Sie kennen doch das Kofferpacken. Nicht? Beim Kofferpacken handelt es sich um ein Spiel, bei immer der Satz „Ich packe meinen Koffer und nehme mit: …“ und dann sagt die erste Person zum Beispiel „… eine Zahnbürste“. Jede weitere Person wiederholt nun aber das, was alle vorigen Personen gesagt haben. Person 4 sagt dann z. B.: „Ich packe meinen Koffer und nehme mit: eine Zahnbürste, ein Handtuch, ein Wörterbuch und eine Wurst.“
Spielen Sie nun dieses Spiel und setzen Sie vor alle in einen Kreis, und fangen Sie immer wieder bei jedem anderen an. Sie werden sehen: Die Position, auf der alle noch drauskommen, ist die Position drei. Ab Position 4 bekommen manche Schwierigkeiten.

Das zeigt eine erschreckende Tatsache: Der Mensch kann sich nur drei Dinge merken.
Ist das nicht furchtbar?
Der Mensch, die Krone der Schöpfung, das intelligenteste Wesen auf diesem Planeten, der Mensch, der das Rad erfunden hat und die Atomkraft, der die Nachtwache gemalt hat und die Kleine Nachtmusik geschrieben, der Mensch, der Babylon erbaute und Rom und Byzanz und Paris, der Mensch, der Philosophie und Philologie und KI erfand, dieser Mensch hält sich für das Grösste.
Aber der Mensch, die Krone der Schöpfung, das intelligenteste Wesen auf diesem Planeten, der Mensch, der das Rad erfunden hat und die Atomkraft, der die Nachtwache gemalt hat und die Kleine Nachtmusik geschrieben, der Mensch, der Babylon erbaute und Rom und Byzanz und Paris, der Mensch, der Philosophie und Philologie und KI erfand, dieser Mensch kann nicht drei Dinge auf einmal behalten.

Natürlich gibt es Menschen, die das vermögen, aber der Mensch ist nicht so konstruiert, dass alle 8 Milliarden dieser Spezies sich drei Dinge merken können.
Und das macht einen doch ein wenig erschrecken.

Sollten wir vielleicht die Herrschaft über die Welt an Arten weitergeben, die ein wenig intelligenter als wir sind? Laut japanischen Wissenschaftlern können Schimpansen sich Zahlen besser als Menschen merken. Und Douglas Adams hält in seinem Per Anhalter durch die Galaxis ja Delphine und Mäuse (die die Erde bestellt haben…) für wesentlich intelligenter.

Oder sollten wir Androiden einsetzen? X-12 pu 567 oder Y-13 po 765 können sich nicht nur vier oder zehn oder zwanzig Dinge merken, sie können sich unendlich viele Dinge merken, eines der wenigen Dinge, das sie nicht können, ist eine Tasse Kaffee servieren (Man nennt das das Moravecsche Paradox, die Erkenntnis, die Entdeckung von Forschern der künstlichen Intelligenz und Robotik, dass im Gegensatz zu traditionellen Annahmen hochrangiges Denken sehr wenig Berechnung benötigt, aber niedrigrangige sensomotorische Fähigkeiten enorme Rechenressourcen erfordern.)
Also werden Androiden die Welt regieren.
Und wir ihnen Kaffee servieren.

Mit dem heutigen sind es noch drei Posts.
Und drei ist die heilige, die bedeutsame Zahl. Wie kommt es zur Bedeutung der Dreiheit? Der Mensch kann sich nur drei Dinge auf einmal merken.

Übrigens: Wir haben neulich über Markus Lanz gelästert. Lanz, der immer beim Vorstellen seiner Gäste auf einen Zettel blicken muss.
Warum?
Es sind VIER.



Freitag, 7. Januar 2022

Post 997: Martini geschüttelt

Der 997. Post.

997 – woran erinnert mich das? Ist das eine Banknummer von mir, eine PIN, eine TAN, ein Password? Ist das eine Telefonnummer? Gut, meine fängt mit 79 an, wie so viele («0-7-9», het sie gseit «Du weisch immer no nüt», het sie gseit, nidmau tschüss het sie gseit, ey – das verstehen jetzt die deutschen Leser nicht, das ist ein Song, in dem der Sänger um die Telefonnummer der jungen Dame bei der Auskunft bittet und sie ihm zynisch die ersten beiden Nummern gibt…) Nein, es ist keine Telefonnummer, es ist eine Nummer, die ich jeden Tag vor Augen habe. Wo bin ich jeden Tag? Natürlich, im Lift. Und tatsächlich ist die Nummer meines Liftes 1437791. Da haben wir es. 779. Nee, das ist ja 779 und nicht 997.
Ich googele.
997 liefert mir einen Porsche: Porsche 997 ist die interne Modellbezeichnung von Porsche für das von 2004 bis Ende 2012 produzierte 911-Modell. Die sechste Generation des 911 ähnelt durch die Wiedereinführung der runden Scheinwerfer stärker dem Urelfer von 1963 als der Vorgänger vom Typ 996. (so Wikipedia). Aber ich interessiere mich nicht für Autos. Erst recht nicht für Porsche – obwohl ich aus seiner Herstellungsstadt komme.

Was ist nun 9 – 9 – 7?
Woran erinnert mich 9 – 9 – 7?
Na klar!!
997 ist so wie 007. Ein Agent seiner Majestät. Angeblich bedeutet ja die Doppel-Null eine «Lizenz zum Töten», ist Quatsch, aber die Idee ist zu schön. Aber wenn 00X die Lizenz zum Töten bedeutet, was bedeutet dann 99X? Was ist das diametrale Gegenteil von Töten? Was könnten die Zahlen heissen? Ich gerate ins Phantasieren:
00X – Lizenz zum Töten. / 11X – Lizenz zum Verletzen. / 22X – Lizenz zum Schlagen.
33X – Lizenz zum Streiten. / 44X – Lizenz zum Disputieren. / 55X – Lizenz zum Schreien.
66X – Lizenz zum Reden. / 77X – Lizenz zum noch mehr Reden. / 88X Lizenz zum Quasseln.
99X Lizenz zum…
zum…
zum…
Schreiben!

Und hier gleite ich vollständig in einen Tagtraum ab:

VORGESCHICHTE
Musik: Dudaduduuuuuuuuuuuuuu – dum di dum di dum di dum di / dum di dum di dum di dum di – damdadadaaa dadada damdadaaaa dadada
Agent 997 sitzt über einem Kreuzworträtsel, er weiss, er hat nur noch Sekunden Zeit, die Bombe zum Schweigen zu bringen. Nur wenn er alles löst, wird der Sprengstoff nicht losgehen. Agent 997 schwitzt und stöhnt. Ein Kampf gegen die Uhr. Hauptstadt von Armenien? – Eriwan. Romanfigur bei Mann? – Krull? Wichtiger Himmelsbote? – das ist das letzte Wort, aber es fällt ihm nicht ein. 9 Sekunden, 8 Sekunden, 7 Sekunden… O Wort, o Wort, das mir fehlt. Dann in letzter Sekunde:
E – R – Z – E – N – G – E – L.

VORSPANN
Der Song des 997-Films ist Words don`t come easy aus den 80ern. Duke Fry, Agent 997 schiebt sich in gewohnt der gewohnten 70er-Graphik mit rotierenden Kreisen und laufender Flüssigkeit (hier natürlich Tinte…) über die Leinwand – und er hält uns natürlich keine Pistole entgegen, sondern einen Kugelschreiber. Darüber die Worte
Rolf Herter
as Duke Fry – Agent 997
in
The Uneasy Words

BEGINN
Duke Fry betritt eine Kneipe, die nur von einer unglaublichen Blondine bevölkert wird. Sie schreibt ziemlich heftig in ein Laptop. Duke geht an die Theke und sagt zur Blondine gewandt: «Mein Name ist Fry, Duke Fry.»

…und hier erwache ich aus meinem Tagtraum und stelle mir zwei entscheidende Fragen:
Kann Schreiben die Welt retten?
Brauchen wir eine Lizenz zum Schreiben?
…und beantworte beide Fragen mit NEIN.

Schreiben kann die Welt nicht retten, es kann wachrütteln, kann aufmerksam machen, es kann Dinge klarstellen, es kann zum Handeln auffordern, aber das Handeln kann es nicht ersetzen. Dies zeigt ja allein, dass bei jeder Konferenz ein DOKUMENT am Ende steht, ein DOKUMENT, in dem alles Mögliche ausgedrückt wird, viel Hoffnung, viel Wille und viel Begeisterung, aber trotz des DOKUMENTES, trotz viel Hoffnung, viel Wille und viel Begeisterung geschieht erst einmal nix. Machen ist wie Denken, nur krasser sagt die Klimastreik-Bewegung. Und das gilt leider auch für das Schreiben: Machen ist wie Schreiben, nur krasser.

Und die Lizenz? Nein, jeder der schreiben will, soll es dürfen. Auch wenn die Gedichte zu Opas 80sten, die wir gelegentlich in z.B. dem Deitinger Wochenboten oder dem Buuser Wochenblatt finden, ein Verbrechen gegen Stil, Rhythmus, Wortschatz und Grammatik sind, wir müssen sie ja nicht lesen.

Und so kehre ich aus meinem Traum in die Realität zurück.
Wobei ich mich als Agent 997 schon geil fühlen würde.
Und ich gehe in meine Stammkneipe, trabe an die Theke und spreche mit heiserer Stimme: «Ein Martini, geschüttelt, nicht gerührt.»



  

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 4. Januar 2022

Post 996: Der Countdown beginnt.

Wir starten heute einen Countdown. Ja, einen Countdown. Denn wir sind kurz vor dem 1000. Post. Während wir neulich mit viel (virtuellem) Schampus 10 Jahre Glosse gefeiert haben, nähern wir uns nun der tausendsten Satire.
Wir zählen also nun five – four – three – two – one?
Aber:
Müsste es nicht four – three – two – one – zero heissen? Also bei „null“ der 1000. Post erscheinen? Müsste es doch. Also müssen wir bei 4 beginnen, dann kommen wir hin.
Also heute vier.

Zeigen Sie mir doch mal grade die 4. Nicht auf der Tastatur! Mit den Händen. Aha, Sie sind Schweizer. Aha. Und Sie sind Deutscher. Woran ich das sehe?
Die Schweizer zählen auf die folgende Art: 1 = Daumen, 2 = Daumen und Zeigefinger, 3 = Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger, 4 = Daumen auf der Handfläche versteckt, 5 = alle fünf.
Die Deutschen zählen auf die folgende Art: 1 = Daumen, 2 = Daumen und Zeigefinger, 3 = Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger, 4 = Kleiner Finger auf der Handfläche versteckt, 5 = alle fünf.
In beiden Fällen zeigt man dem Gegenüber den Handrücken.
(Das tut jetzt nichts zur Sache, aber die Engländer beginnen mit dem Zeigefinger, dann kommen alle Finger dazu und am Ende der Daumen, wenn Sie also vorhin nach Schweizer Art aufgestreckt haben, könnten Sie auch Engländer sein. Ich habe im Netz keinen Hinweis auf Nationen gefunden, die ihr Zählen mit dem Mittelfinger beginnen…)

Wir sehen also die Integration durch Handzeichen.
Wie gut hat sich Klaas Feddersen in Deitingen (SO) eingelebt? Er ist in mehreren Vereinen, seine Kinder gehen in die örtliche Sekundarschule. Klaas kennt viele Leute im Ort, er sagt nicht mehr „Fahrrad“, sondern „Velo“, er sagt nicht mehr „halten“, sondern „heben“, und er steht an den Bahnhöfen auf der richtigen Seite. (Die Eidgenossen haben im Bahnverkehr Linksverkehr!)
Aber: Klaas, zeige mir deine 4!
Wie gut hat sich Gesine Dönhoff im Zürcher Unterland eingelebt? Sie hat inzwischen sogar den Schweizer Pass, sie kann hervorragende Rösti und ein exzellentes Fondue machen, sie ist im Gemeinderat und im Kirchenvorstand.
Aber: Gesine, zeige mir deine 4!

Diese 4 zeigt aber auch den elementaren Unterschied zwischen den Teutonen und den Eidgenossen. Versuchen Sie mal beide Arten, strecken Sie den Daumen nach hinten und dann mal den Kleinen Finger. Was ist praktischer?
Natürlich die erste Variante.

Wenn Sie jetzt die Hand auf die Tischplatte legen und jeden Finger einmal heben, dann werden Sie sehen, dass kein Finger so schlecht zu heben ist, wie der Ringfinger. Desgleichen geht der Kleine Finger nicht wirklich auf die Handfläche. Die beiden Finger teilen sich einige Streckmuskel.
(Robert Schumann soll – so ging die Mär in meiner Jugend – die Ringfinger in eine Schlinge gesteckt haben, um sie zu stärken, und damit die ganzen Hände versaut haben. Das würde jetzt schön passen, ist aber inzwischen widerlegt, Schumann hatte einen Apparat für alle Finger, und der hat wahrscheinlich mit seinen Handproblemen nichts zu tun…)
Auf jeden Fall ist die deutsche Methode bescheuert.

Und das zeigt wieder einmal die teutonische Tendenz, Dinge so ungeschickt und kompliziert, so anstrengend und schwierig wie möglich zu machen.

Wie lange braucht Klaas in Deitingen für seine Steuererklärung? Zwei Stunden. In Rehm-Flehde-Bargen hätte er zwei Tage gebraucht, wenn er es überhaupt alleine geschafft hätte. Das liegt daran, dass man in der Schweiz mit Pauschalen rechnet.
Wie viel Sorgen muss sich Gesine um ihre Rente machen? Auf jeden Fall weniger im Züribiet als in Hellschen-Heringsand-Unterschaar. (Ich liebe diese Tripelnamenorte, es gibt – wie Sie wissen – nur zwei davon in Deutschland.) Denn in der Schweiz zahlen alle in ein Rentensystem ein, und diese AHV ist auf jeden Fall sicherer als die deutsche Rente.
Es gäbe noch viel mehr Beispiele, die zeigen: Wenn es zwei Möglichkeiten gibt, dann wählt der Eidgenosse die einfache und der Teutone die komplizierte.

Wir starten heute einen Countdown. Ja, einen Countdown. Denn wir sind kurz vor dem 1000. Post. Während wir neulich mit viel (virtuellem) Schampus 10 Jahre Glosse gefeiert haben, nähern wir uns nun der tausendsten Satire.
Wir zählen also nun four – three – two – one – zero.
Und wir tun es mit den Fingern.
Und ich bitte alle deutschen Leserinnen und Leser, es mal auf die „Daumen nach hinten“-Variante zu probieren.

Es ist so viel bequemer.