Dienstag, 31. Januar 2012

Es lebe die Provinz!

"Das macht Moppi aber wieder gut heute Abend!" Die ältere Dame erhebt ihr Sektglas und prostet mir zu. Wir befinden uns an der Premiere von "La Boheme" in Trier. Moppi ist, wie sie mich aufklärt, der Spitzname ihres GMD, sie hätten den gleichen Haus- und den gleichen Zahnarzt, und immer wenn eine Premiere so gut gelinge, schriebe sie ihm ein Kärtchen. Das wird er wirklich zu Recht bekommen, denn es ist ein wunderbarer Abend: Klangsinniges Orchester, herrliche Solisten, ein sparsames, aber effektvolles Bühnenbild und eine witzige Regie. So knallt im 1. Akt Schaunard die Türe mit dem Fuss auf und trifft den Hauswirt auf die Nase, im 2. Akt fordern die Kinder ihr Spielzeug bei Parpignol mit gezückten Spielzeugwaffen. Und erst das Publikum: Offen, herzlich, begeistert, es gibt viel Applaus und Bravorufe. Man liebt SEINEN Dirigenten, SEIN Orchester, und natürlich SEINE Mimi, die man dann am Montag beim Gemüsehändler trifft, sie loben und ihr ein paar Tipps für eine wirklich gute Schwarzwurzelsuppe geben kann.
Ganz anders in den Städten, die ein Theater wie Trier immer nur herablassend als "Provinz" bezeichnen. In Berlin ist das Auditorium borniert und blasiert, es gibt viele Pfiffe und viele Buhs, man hat vorher noch einmal die Aufnahme mit der Callas gehört, gegen die die Tosca des Abends natürlich nicht ankommt. In der Pause steht man gelangweilt herum und lässt Sprüche wie "Der Historismus scheint jetzt auch Barenboim zu erreichen!" los. Das erfindet natürlich niemand selbst, Floskeln wie diese stammen aus "Musaion", dem Hochglanzmagazin für 30.- € die Ausgabe, das so wahnsinnig dekorativ auf dem Glastisch aussieht und in dem arbeitlose Philosophen über Architektur und abgewrackte Lyriker über Musik schreiben. Man meint in Berlin stets vom Nachbarpausentisch zu hören: "Der Dirigent ist nicht gescheit." "Wie finden Sie mein neues Kleid?" Warum geht der Hauptstädter dann überhaupt in die Oper? Helen Vita bringt es in ihrem Opern-Bolero auf den Punkt: "Man musste hin - 's war ja 'ne Premieeeere".
Und in Wien? Da hockt die ganze Staatsoper voll mit Leuten, die das Wiener Gesamtpaket gebucht haben, Stadtrundfahrt, Heuriger, Hofreitschule und Staatsoper, Leute, die während der Vorstellung Pommes essen und bis zum ersten Ton telefonieren. Wien ist die einzige Oper, wo an jedem Platz ein Schild "Fotografieren und Filmen untersagt" hängt - die Besucher tun es trotzdem.
Von den musikalischen und szenischen Sünden der Metropolen will ich gar nicht reden, in Wien habe ich eine Butterfly aus dem Jahr 1953 gesehen, Motto: "So stellt Klein-Erna sich Japan vor", und in Berlin versauten die Violinen eine Traviata-Ouverture dermassen, dass man von Schulorchesterniveau reden müsste, wenn es nicht eine Beleidigung für alle Schulorchester wäre.
Die ältere Dame sagte mir dann beim zweiten Glas Sekt, dass sie jetzt endlich Karten für die Scala bekommen habe. Mir fuhr es heraus: "Was wollen Sie denn an der Scala? Wo Sie so ein wundervolles Theater haben!"

P.S. Die Geschichte könnte auch in Koblenz, Freiburg, Meiningen, Oldenburg etc. spielen. Davon am Freitag

Donnerstag, 26. Januar 2012

Catch 22

Ich wollte Ihnen doch noch von dem Käse in meinem Laufwerk erzählen. Nein, ich meine nicht die neueste Tanz-DVD oder Justin Bieber, wirklichen Käse, den ich hineingesteckt habe, um zu testen, ob mein Laufwerk mit dem Hotelstandardfrühstückskäse zufrieden ist. Ist es nicht, und es ging kaputt. Jetzt werden Sie sagen, man steckt doch keinen Käse in ein Laufwerk, man nicht, aber ich, ich mache solche Sachen. Jedenfalls brauchte ich ein externes Laufwerk, da ich keinen Fernseher habe, muss ich Filme auf dem Computer schauen können. Ich fand eines, schwarz, quadratisch und relativ günstig. Ich packte es zuhause aus, und weil ich ein gewissenhafter Mensch bin, wollte ich die Gebrauchsanweisung lesen. Sie war auf einer CD-ROM. Wie bescheuert ist denn das! Ich müsste also, um das Laufwerk in Gang zu bekommen, ein Laufwerk haben, das die Anweisung lesen kann. Weil ich keines habe, kann ich auch nicht...
Es gibt einen Namen für diese Sache: Catch 22-Problem. Es heisst so nach Joseph Hellers gleichnamigem Roman, und ist ein Problem, das gelöst sein sollte, um es zu lösen.
Man kann die Störungsstelle nicht anrufen, weil das Telefon kaputt ist. Man bräuchte zum Auspacken der eingeschweissten Schere eine Schere. Es gibt aber auch noch raffiniertere, unsere ganze Gesellschaft ist Catch 22-verseucht. Der Deutschlehrer sagt seinen Kleinen, dass das Kennzeichen der Nomen die Grossschreibung ist, und dann sollen sie Nomen gross schreiben! Sie wissen es erst, wenn es auf dem Papier steht, wo es nicht steht, weil sie nicht wissen, wie man es schreiben soll. Der Arzt schlägt eine Fenchel-Gymnastik-Stein-Therapie vor, einziges Problem: Um diese Therapie zu überstehen, muss man kerngesund sein.
Jeder Dirigent hat einen immer wiederkehrenden Alptraum: Er steht vor dem Orchester, Konzertbeginn, das Publikum gespannt und aufmerksam, er weiss aber nicht, welches Stück auf dem Programm steht. Ein Takt der Musik würde ihn erlösen, aber diesen Takt müsste er dirigieren. Ist es Tschaikowski IV? Dann den Einsatz in die Trompete. Ist es Sacre? Dann das Fagott. Oder ist es Elgar (Bratsche)? Oder Mahler? Schweissgebadet wacht man auf.
Das Laufwerk funktionierte übrigens sofort, als ich die USB-Stecker in die Buchsen steckte. Dann sah ich mir die Gebrauchsanweisung an, und siehe da, da stand: "Stecken Sie die Stecker in die Buchsen." (Wo sie schon waren). Die Welt ist verrückt.

Montag, 23. Januar 2012

Lyrik aufräumen

Sie mögen keine Lyrik?
Ist ja auch verständlich, so viel Form und so wenig Inhalt. Da empfiehlt sich "Lyrik aufräumen", angelehnt an das herrliche Buch "Kunst aufräumen" von Ursus Wehrli. Die unten stehenden Gedichte sind nach Wortarten, innerhalb der Wortarten alphabetisch sortiert. Sie müssen nur die Nomen, Verben und Adjektive lesen, dann wissen sie bescheid. Natürlich fehlen Rhythmus und Reim, wie bei Wehrli Bildkomposition und Farbkontraste, aber das ist ja der Reiz. Das erste Gedicht ist ein ganz bekanntes vom "Frankfurter Vorstadtdackel" (so nannte ihn Thomas Bernhard), das zweite ist aus dem "Buch der hängenden Gärten" von George.


Gipfeln Hauch Ruh Vöglein Walde Wipfeln
ist ruhest schweigen spürest warte
allen allen die du du einen
auch balde im in kaum  nur über


Flimmern Gewittern Jahr Laub Libellen Lichtern Quitten Raub Tritten Vernichter Windes Zerschellen Zittern
sprich
reifer spät wandelbar
dem dem den den den der der deren
im immer in nicht und und vom von von von

Donnerstag, 19. Januar 2012

Standardkäse

Ich habe letztes Wochenende seit einiger zeit einmal wieder in einem Hotel übernachtet. (In Tübingen, ja, Sie passen gut auf, das ist gut.) Es war ein schlichtes, aber gemütliches Etablissement, das Foyer noch im Stil der sechziger Jahre, aber die Zimmer hübsch renoviert, das Bad nagelneu. Ich habe wunderbar geschlafen und am Morgen ein üppiges Frühstücksbuffet vorgefunden, mit Müesli, Kuchen, Eiern und – und das ist der einzige Wermutstropfen - dem üblichen Käse. Warum gibt es auf der ganzen Welt in Hotels den gleichen Käse? Sie kennen ihn sicher, den Standardkäse, den Hotelstandardkäse: Er ist quadratisch, schnittfest, gelb und schmeckt so nichtssagend, dass man beim letzten Bissen schon wieder vergisst, was man im Mund hat. Er schmeckt nicht eklig, nein, er hat einfach keinen identifizierbaren Geschmack. Wahrscheinlich hat irgendein Marktforschungsinstitut einst Daten gesammelt und aus der Schnittmenge ein Produkt kreiert, das garantiert allen mundet. Und eben durch dieses „allen Leuten recht getan“ ist dieses Milchetwas eben völlig, aber völlig nichtssagend. Stellen Sie sich einen Roman, ein Drama, ein Musikstück, einen Film vor, der nach dieser Methode gemacht wird! Das Standardgeschmackkunstwerk, das dem Standardgeschmack der Leute gerecht wird. In einem solchen Film würden Dialoge wie „Hast du ausgeschlafen?“ „Ja, ich bin sehr erholt“ vor einer Kulisse wie „Seenlandschaft mit Bäumen“ geführt, dazu leichte Unterhaltungsmusik (z.B. Elisabeth-Serenade). Grauenhaft! Warum wagt man nicht einmal etwas anzubieten, was ein Drittel Ok findet, ein Drittel grauenhaft, ein Drittel aber völlig begeistert? Ich liebe Kunst, die die Menschen spaltet. Bieto halten die einen für einen Schmierlappen, die einen für ein Genie, man ist entweder Wagnerianer oder Antiwagnerianer, und damit gut. Harald Schmidt ist für die einen ein Idiot, für andere ein zweiter Karl Valentin, die Liste liesse sich fortsetzen.
Ich habe übrigens dann ein Stück Käse in mein CD-Laufwerk eingelegt.
Mein Laufwerk mochte den Käse definitiv nicht. Davon am Dienstag.

Dienstag, 17. Januar 2012

Putzen gegen die Sonne

Normalerweise putze ich am Samstag. Weil ich aber das letzte Wochenende bei meinem Vetter in Tübingen war, fiel die wöchentliche Raumpflege auf gestern. Ich hatte eine Stunde Zeit, denn ich kam um 16.00 aus der Schule und um 17.00 wird die Dämmerung mit dem Dunkeln fertig. Ich putzte sozusagen im Wettlauf mit der Sonne. Gebraucht habe ich 55 Minuten. Dabei bin ich weder hektisch auf- und abgehüpft wie ein psychotischer Frosch, noch tat ich alles in Zeitlupe, nein, es war das dazwischen: Ich arbeitete zügig, speditiv. Das steht jetzt nicht im Widerspruch zu den letzten Posts, denn die nächsten Pendenzen waren alle vom angenehmen To-Do-Spektrum: Schwimmen, Essen, Wein trinken, Film gucken.
Es gibt eine Menge Branchen, wo man zügig arbeiten muss. Der Anästhesist macht keine 12-Std-Narkose, nur weil "unser HNO immer so langsam ist", und ein Lokführer sollte auch - im wahrsten Sinne des Wortes - zügig fahren. Maler, Gipser, Lackierer sollten speditiv arbeiten, weil ihre Grundstoffe eintrocknen, wir alle kennen das Phänomen vom Backen: Wer beim Glasieren ein Kunstwerk machen will, bekommt vielleicht eines, es sieht aus wie die Eisschollen von Caspar David Friedrich und besteht aus getrockneter Schokolade.
In vielen Bereichen sollte man allerdings Zeitlimits einführen:
* Der Diät-Kühlschrank, der sich dreimal am Tag für 15 Minuten öffnet (Genial, leider nicht von mir, sondern von Axel Hacke)
* Das Politikermikrofon, das sich nach 5 Minuten abschaltet, es reicht gerade für einen Rücktritt (sorry, wollte ich wirklich nicht)
* Ein Outlookprogramm, das nur 10 Minuten arbeitet und den Rest der Sendungen auf morgen verschiebt (Dann sind die Mails überflüssig, wahrscheinlich waren sie das heute schon)
Meine Wohnung sah übrigens heute morgen unglaublich sauber aus, die paar Fliegen auf dem Boden sind heute Nacht gestorben, es waren Eintagsfliegen. (Mit denen würde ich mich auch einmal gerne über ihr Zeitmanagement unterhalten.)
Dieser Blog hat, das sei noch gesagt, einen Laberstopp. Wenn man zu lange schreibt, dann

Freitag, 13. Januar 2012

Veränderungen

Am Mittwoch war ich mit ehemaligen Schülern Pizza essen. Sie hatten meinen To-do-Post gelesen und äusserten noch diverse Vorschläge für Punkte auf den Listen. "Chatten, Gamen, Mails", so Pepe, und ich musste ihm Recht geben, ich bin jetzt kein Chatter oder Gamer, aber die tägliche Kommunikationsbewältigung ist sicher ein Thema. Das merkt jeder, der nach vier Wochen Südsee in die Firma zurückkommt, wer hier am ersten Tag eine andere Pendenz ausser "Mail" hat, ist arm dran, es können bis zu 500 Mails sein. Marcello meinte, W... würde jetzt jeden Tag ganz oben auf seiner Liste stehen, meinetwegen, er ist 16 und wenn es ihm gut tut... Allerdings gab ich zurück, dass es lustig sei, dies als Pendenz zu führen, denn pendent sei es ja erst hinterher, aber wir verlieren gerade Niveau...
Ich wurde dann doch nach meinen guten Vorsätzen für 2012 gefragt, und ich konnte doch einige nennen: "Jeden Tag Sport, viel ÖV benutzen, Wohnung regelmässig putzen, gute Bücher lesen."
Pepe lachte: "Das machst du doch eh schon!", und Marcello ergänzte: "Das gilt nicht, das sind keine Vorsätze." Aber wieso gilt das nicht? Warum kann mein Vorsatz nicht der Spruch dieser elganten Dame auf dem Schiff in der Kaffewerbung sein: "Alles soll so bleiben, wie es ist"? Ich habe nichts gegen Veränderung, aber sie ist kein Selbstzweck. Wenn in meinem Lieblingslokal das deliziöse (this one´s for you, Mr. Jerman) Putensandwich von der Karte verschwindet, obwohl es das meistbestellte Gericht ist, ist das idiotisch. Wenn ich im Schwimmbad in die Damendusche laufe, weil man die Bereiche geändert hat, ist das ärgerlich.
Woher kommt der Veränderungswahn?
Ich will es Ihnen sagen: Wie immer aus der Industrie. Ausgangspunkt war die boomende Beratungsbranche. Wer nun viel Geld für eine Firmenanalyse bekommt, kann ja schlecht bekanntgeben, dass das Management alles richtig macht. Er brauch eine Wunderwaffe. Diese Wunderkanone heisst "Restrukturierung". Sie geht immer nach 5 klaren Punkten vor:
1.) Die Zahl der Ebenen im Organigramm muss sich drastisch ändern.
2.) Die Anzahl der Mitarbeiter muss sich in allen Gruppen, Abteilungen und Hauptabteilungen ändern.
3.) Bereiche, die gut laufen, werden ausgelagert.
4.) Mitarbeiter, die gut zusammenarbeiten, dürfen nicht mehr in der gleichen Gruppe sein.
5.) Infrastukturänderungen werden nicht zeitgleich durchgeführt. (Erst den alten PC umziehen, dann am neuen Ort einen neuen.)
Wer jetzt stöhnt: "Früher war es besser!", hat nichts begriffen, es geht bei Restrukturierungen nicht um besser oder schlechter, es geht um "anders". Es geht um Veränderung.
Marcello hatte dann nach der vierten Flasche Montepulciano die zündende Idee: "Nimm dir doch für 2012 vor, Auto zu fahren, fett zu werden, die Wohnung verlottern zu lassen und zu verblöden, dann hast du für 2013 wieder richtig gute Vorsätze, nämlich den Zustand von 2011."
Marcello ist ein Genie.

Dienstag, 10. Januar 2012

Heute nur ein Märchen


Gestern bekam ich einen Anruf vom deutschen Bundespräsidialamt. Sie hatten meinen Schnee-Post gelesen und warnten mich ausdrücklich, noch einmal über ihren Chef herzuziehen. Da ich ein ängstlicher Mensch bin, heute nur ein Märchen:
Ich erzähle euch das Märchen vom Wolf... ups, das geht ja gar nicht. Also fallen die sieben Geisslein, Rotkäppchen und die drei Schweinchen weg. Vielleicht überhaupt Tiere, Tiere sind so metaphorisch, wenn da der Hase und der Igel mit einander zu tun haben oder die Bremer Stadtmusikanten mit lautem Gebrüll einen Halunken in die Flucht jagen.
Vielleicht doch die 3 Schweinchen, aber mit einem bösen Troll. Aber in dieser Geschichte werden ja auch Häuser gebaut, ganz schlecht, das erledigt dann auch Hänsel und Gretel, denn da stünde ja dann: „Knusper, knusper, Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?“
Dann erzählen wir doch folgendes Märchen: Es war einmal ein junger Mann namens Hans, der bekam einen Goldklumpen geschenkt... Das geht auch nicht! Gold und Geld müssen wir auch weglassen, damit kippen dann auch Gold- und Pechmarie, Rumpelstilzchen und Sterntaler, zumal diese drei noch doppelt zweideutig sind: Da ist vom Pech die Rede, das jemand hat, da wird gesungen „Ach, wie gut, dass niemand weiss...“, und der Sterntaler könnte ja auch ein STERN-Taler sein. Jetzt haben wir damit auch Schneewittchen abgehakt, wo die Königin ihr SPIEGEL-BILD betrachtet, und Märchen wo Formen des Wortes SPRINGEN vorkommen, lassen wir auch weg.
Es gibt also heute keinen Post.
Am Freitag schreibe ich über die Schweiz, da ist die Welt wieder in Ordnung.

Donnerstag, 5. Januar 2012

Vorhaben 2012

Gestern traf ich meinen Freund Hans. Er sass im Café und schrieb wie ein Wahnsinniger. Auf meine Frage, was er am fünften Tag des Jahres schon wieder so hektisch arbeiten würde, stöhnte er: „To-do-Listen, To-do-Listen! Für das ganze Jahr, für jeden Monat, jede Woche, jeden Tag! Dieses Jahr muss was passieren, ich bin 2011 überhaupt nicht weitergekommen, nicht beruflich, nicht privat, weder körperlich, noch geistig, ich habe das ganze Jahr irgendwie nichts gemacht.“ Auf meinen Hinweis, er hätte doch sehr viel gemacht, er müsse das halt auch auf seine Listen schreiben, nämlich Schlafen, Essen, Trinken, Klogehen, Atmen, schnaubte er nur: „Du bist ein Arsch!“, nahm seine Zettel und wechselte den Tisch.
Dabei habe ich doch Recht: Alle diese Sachen sind wichtig, und wenn sie auf unseren To-do-Listen stehen würden, hätten wir das gute Gefühl, jeden Tag etwas zu leisten. Meine Katze macht übrigens nicht anderes ausser Schlafen und Fressen und ist richtig zufrieden. Bei Hans wäre es übrigens besonders notwendig, sich diese Sachen zu notieren. Er schläft nämlich zu wenig („Maximum 6 Stunden, sonst bekommst du als Freiberufler nichts gebacken!“) und er isst zu wenig. (Wenn ich an einer Präsentation sitze, dann vergesse ich es einfach!“) Sie ahnen es: Hans ist ein klassischer Burnoutkandidat.
Also: Schreiben Sie auch die Selbstverständlichkeiten in Ihre Pendenzlisten! Einen besonders schönen Vorschlag machen Passig und Lobo in ihrem wundervollen Buch „Dinge geregelt kriegen ohne einen Funken Selbstdisziplin“: Die Einatmen-Ausatmen-Liste.
Sie nehmen einen Collegeblock, schreiben „Einatmen“, tun dies und streichen die Pendenz durch, dann schreiben Sie „Ausatmen“, tun dies, streichen auch diese Pendenz, usw., usw. Nach einer Stunde schon haben Sie viele Seiten mit erledigten Dingen! Herrlich! Nebenbei haben Sie das geübt, was mein Coach als „Achtsamkeit“ bezeichnet.
Aber mal Spass beiseite: Nehmen Sie sich nicht zu viel vor, drei Meetings, 50 Mails, vier PPTs und 8 Briefe sind zuviel für acht Stunden, Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, und verschieben Sie nur das nicht auf morgen, was heute ein anderer für Sie erledigen könnte.
Ich ging nochmals zu Hans, er war gerade mit dem August fertig geworden, vollgestopfte To-do-Listen, natürlich ohne Schlafen und Essen darauf. Ich schnappte mir ein Blatt und schrieb: „September bis Dezember: REHA“. Auf seinen verwunderten Blick hin meinte ich: „Wenn du so lange durchhältst. Aber ich bezweifle das.“

Montag, 2. Januar 2012

Zeitchaos

„Wollen Sie für übermorgen einen Tisch reservieren? Wir haben ein 5-Gang-Jahreswechsel-Menu mit Blick auf das Feuerwerk!“ Der Portier im Grand Hotel Apia strahlte mich an. (Apia ist kein Tintenfisch, sondern die Hauptstadt von Samoa, ihr Geografienullen. Ich hatte nämlich schon seit Jahren den Wunsch gehabt, Sylvester einmal an der Datumsgrenze zu feiern und mir deshalb eine Reise nach Samoa gebucht.)
Ich strahlte zurück: „Sehr gerne, aber für über-übermorgen, wir haben den 28.12.“ Nun grinste der Portier. „Für übermorgen, der 30.12. fällt aus. Wir wechseln die Zeitzone.“ Er sagte das mit der gleichen Leichtigkeit wie meine Schüler sagen „Sport fällt aus, Herr Stör ist krank“, oder wie man sagen würde „Ich wechsel nur kurz mein Hemd.“
Ich ging auf meinem Zimmer ins Internet und Tatsache: Samoa war kurz davor, die Zeitzone zu wechseln, um mehr gemeinsame Arbeitstage mit dem Haupthandelspartner Australien zu haben, der 30.12.2011 wurde also tatsächlich übersprungen. Ich war stinkesauer.
Darf man einfach so die Zone wechseln? Ohne Genehmigung der UNO und ohne die anderen auf der Welt zu fragen? Darf ich jetzt auch sagen: „In meiner Wohnung herrscht Sibirische Zeit?“
Wie sollen wir die Probleme der Welt lösen, wenn wir nicht einmal die Zeit in den Griff bekommen? Denn schauen Sie mal: Es ist doch ein Chaos. 2012 ist wieder einmal einen Tag länger, einfach so, im Frühjahr verschwindet eine Stunde, kein Mensch weiss wohin eigentlich, um dann im Herbst wiederzukehren. Ständig wird eingeschoben, weggelassen, fallen ganze Tage aus oder kommen dazu.
Es gibt ja sogar Theorien, dass es das 8. Jahrhundert nicht gab, genauso übrigens, wie es Theorien gibt, dass irgendwo ein Jahrhundert fehlt. Das Zeitchaos ist also schon sehr alt.
Aber wartet nur, ihr Schlaumeier, Ende dieses Jahres schlage ich zu: Ich lasse dann ein Jahr weg! Also machen Sie bitte keine Termine für 2013 mit mir aus, ich werde vom 31.12.2012 direkt in den 1.1.2014 feiern.
Das Fünf-Gang-Menu war dann aber doch sehr lecker, und das Feuerwerk über dem Ozean einmalig schön und beides versöhnte mich mit dem fehlenden Urlaubstag. In Zukunft werde ich allerdings jede Buchung so formulieren: „Zwei Karten Kategorie 1 für La Boheme am 7.5.2012, falls dieser Tag bei Ihnen existiert.“