Freitag, 17. Juni 2016

Fussballexperten / Blogpause


Gucken Sie jetzt gerade auch so viel Fussball? Ist doch hochspannend, nicht? Ach, ich liebe es, wenn EM oder WM oder irgendeine UEFA-Liga oder FIFA-Liga oder sonst was ist. Es ist immer eine sozusagen rechtsfreie Zeit, die Zeit der WM und EM und UEFA/FIFA-Sonstwas-Ligen. Man darf zu jeder Tages-und Nachtzeit Bier trinken, man darf zu jeder Tages- und Nachtzeit Chips essen und in vielen, vielen Wohnungen ist sogar das Rauchverbot aufgehoben. Am schönsten ist natürlich Pablick Vjuing, ich liebe Pablick Vjuing, was gibt es Schöneres, als an lauen Sommerabenden auf einem Platz zu sitzen und das Spiel auf Grossleinwand zu sehen? Gut, allerdings müsste man dafür erst einmal laue Sommerabende haben, wir haben ja gerade so einen vorgezogenen Herbst, ich habe neulich darüber gepostet – und der Mann oder die Frau am himmlischen Wasserhahn hat den Post offensichtlich nicht gelesen.

Neben den Spielen und Spielzügen und Spielvorgängen liebe ich aber noch bis zwei Dinge heiss und innig: Den Trikottausch und die Kommentarphasen. Ok, der Tausch ist eigentlich gar nicht mehr so nötig wie früher, weil die Shirts hauteng anliegen, aber dennoch. (Warum ist das eigentlich so? Ist das wirklich, weil die sich sonst an den Hemden reissen, das wäre ja eine Bankrotterklärung, wenn man die Leibchen nicht mehr weit schneidern darf, weil sonst an ihnen gerissen wird…)
Viel mehr als das liebe ich aber die Expertenrunden und Spielerkommentare. Hier menschelt es so schön, hier zeigt sich das Naive und Einfache im Homo sapiens, und zwar egal, ob bei der Elf oder bei den «Fachleuten», die traulich im Studio zusammensitzen:
«Die Verteidigung war nicht gut aufgestellt»
Logo, das habe ich bei 8 eingefangenen Toren auch gemerkt, wäre sie gut aufgestellt gewesen, wäre das nicht passiert.
«Der Torhüter hat im entscheidenden Moment versagt.»
Würde ich beim 1:2 in der 90. Minute auch so formulieren.
«In der zweiten Halbzeit müssen die Albaner mehr in den Ballbesitzt kommen.»
Wow, der Fachmann hat tatsächlich gemerkt, dass die Engländer zu 75% im Ballbesitzt waren, ich allerdings auch, nicht, weil ich Fussballgenie bin, sondern weil es eingeblendet wurde.
«Ein ausgeglichenes Spiel.»
Gut, kann man so sagen, 1:1, Ballbesitz 50% - 50%, Torchancen 4/4. War alles angezeigt.

Noch schöner als die Expertenmeinungen sind natürlich die der Spieler. Hier stammeln völlig ausgepowerte, erschöpfte, völlig dehydrierte und fertige Leute einen Unsinn in die Mikrophone, nicht, weil sie doof sind, nicht, weil sie blöd sind, sondern eben weil sie ausgepowert, erschöpft, weil sie dehydriert und fertig sind. Da kommen dann grammatikalisch und logisch, kommen wortschatz- und sinnlose Äusserungen aus den Mündern, dass einem die Spieler nur leidtun können. Machen Sie einmal die Triathlon-Probe: Laufen Sie 3000m, schwimmen Sie einen Kilometer und fahren Sie 20km Rad. Lösen Sie dann einen IQ-Test. Sie werden in der Skala zwischen lern- und geistig behindert landen. Ihr Hirn funktioniert nicht.
Warum lässt man die arme Elf nicht in Ruhe?
Sätze wie «Fussball ist wie Schach nur ohne Würfel.» entstehen in solchen Situationen.

Kein Künstler würde sich zu so etwas hergeben.
Es wäre undenkbar, dass Barenboim nach Mahler IX ein Interview gibt. Es wäre undenkbar, dass man Thielemann kurz nach Isoldes Liebestod zu einem Statement bekäme. Es wäre undenkbar, dass die Bartoli nach einem Vivaldi-Abend noch ein einziges Wort sagen oder singen würde. Die alle werden einfach abgeschottet und gut ist. Ich selbst habe einmal 45 Minuten ausgeharrt, bis mein Lehrer Manfred Schreier sich an der Tür der Künstlergarderobe zeigte, nach einer Mahler III brauchte er einfach diese Auszeit.

Expertenrunden nach künstlerischen Aktionen sind da etwas anders. Da kann es nämlich wirklich sein, dass die Damen und Herren uneins sind und der Kritiker der FAZ es ein geniales Konzept findet, Tannhäuser in die Biogas-Fabrik, Lohengrin in ein Rattenlaboratorium und Wotan auf den Alexanderplatz zu schicken, der Kritiker der SÜDDEUTSCHEN all das aber nur für Schwachsinn hält. (Bayreuth-Fans wissen, dass die Beispiele nicht erfunden sind.) Da kann es auch mal sein, dass die Expertin des SWR die Verspieler des Osloer Kammerorchesters in Burgbergers 5. Elegie für tolerabel hält – ob des exzellenten Klangs – und die Expertin des Deutschlandradios die falschen Töne – trotz des Klanges – eben NICHT mehr toleriert.
Vielleicht sollte man die objektiven Fakten eben auch bei Klassik einblenden, mit Vergleichsgrössen. Stellen Sie sich vor, oben auf der Übertitelungsanlage käme:
Tempo:                   Viertel 100 MM                  Celibidache 50 MM    Bernstein 150 MM
Lautstärke          400 DzB                                  Celibidache 100 DzB    Bernstein 1000 DzB
Gesungener Ton a’’ (880 Hz)                       Gehörter Ton 860 Hz                       Abweichung 2,5 %
Das würde doch alles sehr objektivieren.
Oder nicht?

Gucken Sie auch so gerne Fussball?
Ich auch.
Ein spannendes Spiel.
Knackige Körper in engen Trikots.
Und Äusserungen von Leuten, die wirklich Ahnung haben.
Dabei gibt es zu Fussball eigentlich nur das zu sagen, was im Vorspann zu «Lola rennt» kommt:
Der Ball ist rund – Spiel geht 90 Minuten – alles andere ist Theorie.

WEGEN EINER HANDVERLETZUNG MACHE ICH 14 TAGE PAUSE


Dienstag, 14. Juni 2016

Banalitäten in Fachchinesisch


Es gibt so wenig Literatur ÜBER Doris Dörrie, dass ich begeistert bin, eine Habilschrift über den Band Samsara zu finden. In dem Reigen von Geschichten werden einerseits tragikomische Stories von den Helden der Postmoderne erzählt, die das I-Ging befragen und Diäten machen, ihren Körper hassen  und nach China fahren , immer auf der Suche…nach was eigentlich? Andererseits tauchen wir mit einer jungen Stigmatikerin in die Klosterwelt des 15. Jahrhunderts.
Ich bin nun hoch gespannt, was ein Wissenschaftler mir hier sagen kann.
Die Biografie von Dörrie überspringe ich, die kenne ich zur Genüge und wirklich Neues hat Dr.Hubert Bleulich auch nicht herausgefunden. Spannender sind die Ausführungen zur Textgestalt, da hat er mir natürlich voraus, dass der Diogenes-Verlag ihm die Korrekturfahnen zur Verfügung stellte. Über ein Stemma wie bei antiken Texten, das die Seite 45 komplett einnimmt, muss ich dann aber doch schallend lachen, auch über sein Fazit, dass die Druckfassung von 2003 als gesichert gelten kann. Gütiger Himmel, was denn sonst, wenn die Autorin alles durchgesehen hat?
Nun kommen wir zur Interpretation und ich nicht aus dem Staunen heraus:
Ein prägnantes Kriterium der Geschichten in „Samsara“ ist ihre geringe Expansion.
Auf Deutsch: Sie sind kurz. Langt ein Blick ins Inhaltsverzeichnis.
Ebenso kann ihre narrative Knappheit als Kriterium herangezogen werden.
Gute Güte! Sie sind also auch ohne zu grosse Weitschweifigkeit erzählt, kann man gar nicht bei 20 Seiten pro Story im Taschenbuch.
Aber es wird noch besser:
Als narratives Tempus wird das Präsens instrumentalisiert, auch bei den in einem mediavistischen Ambiente elaborierten Teilen, die mit den anderen alternieren.
Da dreht sich einem das Hirn, aber eigentlich heisst es nur: Alles wird im Präsens erzählt, auch die Stories, die im Mittelalter spielen, das ist jeweils die zweite Geschichte.

Warum können Wissenschaftler sich nicht normal ausdrücken? 
Warum kann man einen Sachverhalt nicht mit deutschen Worten beschreiben? 
Warum muss alles so dermassen kompliziert formuliert sein, dass es auch gebildeten Menschen das Hirn wegbläst?
Wir sehen es oben: Weil dann die ganze Banalität des Gesagten herauskäme. Weil man dann merken würde, dass der werte Herr Bleulich eben von den Hintergründen nichts gerafft hat. Spannend wäre doch die Frage, wie die Buddhistin Dörrie ein Jesus-Erlebnis im 16. Jahrhundert schildert.
Aber ist nicht nur eine Verschleierung des Banalen, die die Doktoranden, Habilitanden, die die Professoren und Magnifizenzen antreibt, alles mit 1000 Fremdwörtern zu sagen, es ist auch das klare Signal: Jetzt haben wir uns einer Sache ermächtigt, wir haben sie wissenschaftlich formuliert und damit der Allgemeinheit entzogen.
Finger weg, Otto Normalverbraucher!
Das ist nun keine Wolke mehr, das ist eine Cumulocirronimbonivostratus
Finger weg, Otto Normalverbraucher!
Das ist nun kein Silberfischchen mehr, das ist ein Pescus Argentus Domenicus Communus.
Das Fachchinesisch zieht einen Zaun um das zu Bearbeitende, damit nicht irgendwelche Laien hineinlatschen und sagen: „Also die Dörrie, die is ja so mit Östlichen Religionen und so, aber die macht sich nich lustig über die Christen, da ist sogar so Ähnlichkeit und so.“ Was 134-mal mehr aussagen würde als das Geschwafel von Bleulich.

Als Gymnasiasten machten wir folgenden Witz: Die voluminöse Expansion subterraler Knollengewächse ist reziprok proportional zum Intelligenzquotienten des Agrarökonomen. (Die dümmsten Bauern ernten die dicksten Kartoffeln.)
Wir hätten nicht gedacht, dass an der Uni solche Spässe Wahrheit würden.
Denn Dr. Hubert Bleulich, der bald einen Lehrstuhl für Deutsche Literatur des 20.und 21. Jahrhunderts in Wuppertal-Oberbarmen übernimmt, ist nicht einmal der Schlimmste.
 

Freitag, 10. Juni 2016

Lenin und das Internet / Mohammed und der Handschlag

Der grosse Lenin hat zu allen Themen wichtige Schriften hinterlassen. In seinem gefühlte 10.000.000 Seiten grossen Werk nimmt der gute Bolschewikenführer zu praktisch allem Stellung, was den sozialistischen Alltag betreffen könnte: Küche, Kirche, Hausbau und Architektur, Lesen, Schreiben, Sport, Eisenbahn und Masturbation, Ackerbau und Brettspiele. Ein gläubiger MLer kann nun stets beim grossen Lenin nachschlagen, wenn ihn eine Sorge quält, Lenin weiss Antwort. Darf ein Sozialist Mühle spielen? Schlag nach bei Lenin! (Die Antwort ist vermutlich nein, Verbot des Formalismus, anders sieht es bei Schach aus, da werden ja wirklich Schlachten geschlagen…) Darf ein Sozialist sich selbst befriedigen? Schlag nach bei Lenin! (Antwort vermutlich nein, so verbittert und lustlos wie Marxisten sind, aber genau weiss ich das auch nicht…)
Schwieriger wird es, wenn man sein grosses Vorbild zu Themen befragen muss, die es nicht behandeln konnte. Schlicht und einfach, weil es die Dinge nicht gab. Was sagt Lenin zum Internet? Eine Schrift «Über das Weltweite Netz» existiert nicht. Soll man hier «Über die Bibliotheken» (Werke XXXXXVII, Seiten 1345-4536) befragen? Oder eher «Über das Theater» (Werke XXXXXXXXXXIX, Seiten 2345-7038)? Oder vielleicht «Über den Dialog (Werke XXXXXXVIII, Seiten 2345-6453)? Wahrscheinlich wird ein MLer sich aus allen dreien etwas aussuchen und dann interpolieren. Heikel wird es dann, wenn behauptet wird, Lenin HABE zum Internet dies und das geschrieben. Denn es ist ja nur der Versuch, aus seinen Ideen herauszulesen, was er zum WWW gesagt haben KÖNNTE.

Sehen Sie, und genauso geht es mit allen Geistesgrössen und Themen des 21. Jahrhunderts.
Steiner hat nichts zum Fernsehen gesagt.
Paulus hat nichts zur Empfängnisverhütung gesagt.
Und Mohammed hat nichts zum schulischen Händegeben gesagt.

Sie glauben mir nicht? Sie meinen wirklich, der gute Rudi habe dezidiert den Besitz und Gebrauch eines Flimmerkastens verboten? Er hat sich 1925 in die Welt des Ewiggeistigen davongemacht, um sich auf seine nächste Reinkarnation vorzubereiten. (Vorher war er übrigens nach eigenen Angaben Zarathustra…) Nein, vor dem 2. Weltkrieg konnte von TV-Glotze nicht die Rede sein. Alles zum Thema ARD, ZDF und RTL sind Interpolationen. Es mag sein, dass es im Geiste Steiners ist, keinen Fernseher zu haben, aber muss man es zum Dogma machen? Ich habe übrigens auch keinen Fernseher, nicht, weil ich Anthroposoph bin, sondern weil es einfach sinnvoll ist. (Oder gibt es zurzeit eine Sendung, die man nicht verpassen sollte? Wenn ja, sagen Sie mir es! Ok, die EM, aber wegen ein paar Spielen alle zwei Jahre werde ich mir doch keine Glotze anschaffen.))

Sie meinen auch der Apostel habe in 2. Korinther 3, 14 oder Römer 6, 7 dargelegt, keine Kondome zu benutzen? In der damaligen Welt war es ein Problem, KEINE Kinder zu bekommen, nicht umgekehrt. Kinder waren eine Altersversorgung, und so war die Katastrophe NICHT schwanger zu werden – «der Herr hatte ihren Leib verschlossen» – und nicht, schwanger zu werden. Kein Paar hätte eine Einkindpolitik betrieben, hätte nach dem ersten Spross verhütet, denn die Sterblichkeit bei den kleinen Würmern war hoch und eine Frau, die kinderlos Witwe wurde, konnte gleich ins Armenhaus ziehen, oder hätte gekonnt, wenn es das schon gegeben hätte. Ausserdem spürten die Damen den Mittelschmerz, wussten also ganz genau, wann Sache war – aber setzten das eben ein, um schwanger zu WERDEN.

Was sagt der Prophet zum Thema «Der Lehrerin Hand geben»? Natürlich nix. Also – nehme ich an, ich kenne den Koran zu wenig. Aber das Thema kocht ja immer noch, es kocht und schäumt sogar so hoch, dass deutsche Medien über den Fall in Therwil (BL) berichteten, und deutsche Medien ignorieren das südliche Nachbarland sonst konstant, wenn nicht gerade ein Tunnel eingeweiht wird, durch den ja auch Teutonen (warum eigentlich?) fahren dürfen. Die beiden Burschen, die das Händchen immer noch nicht geben und denen jetzt ein Bussgeld droht, berufen sich auf eine Sure, in der es heisst, man dürfe keine Frauen (ausser der eigenen) anfassen. Es gibt aber auch bestimmt eine Koranstelle, in der gesagt wird, man müsse Respektspersonen auch Respekt erweisen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Prophet schrieb: «Allen Lehrern, Imamen, Amtsträgern und Kalifen zollt niemals Respekt, Allah will das nicht.»
Eine Stelle über WEIBLICHE Respektspersonen gibt es sicher nicht, weil es WEIBLICHE Respektspersonen nicht gab.

Aber bei uns gibt es sie.

Wir sehen, dass die Berufung auf einen alten Stifter bei aktuellen Themen immer schiefläuft. Darum meine Idee: Kann man die Sache nicht umdrehen? Also fragen:
Verbietet Lenin ausdrücklich das Internet?
Verbietet Steiner ausdrücklich das Fernsehen?
Verbietet Paulus ausdrücklich die Verhütung?
Verbietet Mohammed ausdrücklich den Repektshandschlag?
Na also.

Verbietet eigentlich Buddha ausdrücklich Kaffee?
Kann er natürlich nicht, die Kaffeebohne war im damaligen Indien nicht bekannt.
Aber warum gibt es dann in Buddhistischen Camps keinen Espresso und Ristretto? (Behauptet zumindest die Dörrie, ich war noch nie in einem.)




Dienstag, 7. Juni 2016

Gut mit Regen jetzt!!!

Nun ist aber mal gut mit dem Regen.
Ich weiss, dass so ein Post völlig sinnlos ist, weil erstens sich alle einig sind und zweitens man nix machen kann, aber ich muss mir das dennoch von der Seele schreiben:
Nun ist aber mal gut mit dem Regen.

Wenn ich am Morgen aufstehe und meinen Kaffee und meine Morgenzigarette auf meinem Balkon geniesse und in den wolkenvergangenen, trüben, grauen Himmel blicke, dann ist die Laune schon mal im Keller. Und wenn ich dann noch höre, dass es schon wieder ganz leicht plätschert, dann ist die Motivation für den Tag auf einer Skala von 0 bis 10 bei Minus Fünf. Das macht einfach keinen Spass, und wenn ich mir dann sage, dass das Leben kein Ponyhof ist, bringt es mich auch nicht weiter. Nur schwerlich entgehe dem Impuls, mich einfach wieder ins Bett zu legen, die Decke über den Kopf und gut ist: «Weckt mich, wenn die Sonne wieder scheint.»

Nun ist aber mal gut mit dem Regen.
Leicht nässende Feuchtigkeit soll ja gut für den Teint sein. Meine Eltern nannten früher einen kleinen Marsch durch den Nieselregen «Kosmetischer Spaziergang». Mein Teint ist aber nun gar nicht mehr das Problem, wenn die Feuchtigkeit wirklich gut für die Haut ist, kann ich bald als Model für Oil of Olaz oder NIVEA anfangen, oder mich für den ersten schwulen Bachelor auf RTL16 bewerben (gut, Sixpack, aber ist ein anderes Thema…), aber mein Teint macht mir auch keine Sorgen, meine Laune ist es. Seit Tagen entdecke ich eine gewisse Gereiztheit an mir, die mir Sorgen macht: Gestern habe ich meinen Hausschuh gegen mein Radio geworfen, als der Moderator in SWR2 das Lied «Morgen» von Richard Strauss ankündigte.
«Und morgen wird die Sonne wieder scheinen…»
Nur der Tatsache, dass ich dicke Wollfinken und keine Birkenstock trage, war zu verdanken, dass keine grösseren Schäden an meinem Empfänger entstanden.

Nein, nun ist mal gut mit Nässe, Feuchtigkeit, mit Wolken und Regen und Blitzen, ist mal gut mit Niederschlag. (Übrigens interessant, dass «Niederschlag» und «niedergeschlagen» so eng zusammenhängen.)
Inzwischen nimmt das Ganze ja auch wirklich gefährliche Formen an, Flüsse treten über die Ufer und spülen Schlamm und Geröll in die Orte, Blitze demolieren Festivals und Berge können sich nicht mehr halten. Wer auch immer in den Wolken da oben es lustig findet, uns mit Regen zu bombardieren, müsste jetzt doch mal merken, dass auch der netteste Spass einmal ein Ende haben muss.
Ganz schummrig wurde mir, als es gestern in den Nachrichten hiess, der Mutlanger Berg bei Schwäbisch Gmünd würde sich lösen. Mutlangen – da war doch was? Da war früher eines der zentralen Atomwaffenlager der Amis, da waren wir oft mit der Friedensbewegung. Geschwind dachte ich: Sind die blöden Dinger da noch drin? Rutschen die jetzt auf das historische Städtchen drauf und gehen vielleicht sogar los? Der Regen macht also nicht nur depressiv, er macht auch paranoid.

Gut ist jetzt also mit dem Regen. Ein Freund, der passionierter Jäger ist, sagte mir vor zwei Tagen: «Wir schiessen zurzeit nicht auf Hasen, wir schiessen auf Forellen.»
Aber an wen muss man denn seine Beschwerde adressieren? Wer sitzt da oben im Himmel und dreht ständig den Wasserhahn auf? Welche Männchen oder Weibchen welcher Rasse erlauben sich da einen so nassen Spass mit uns? Oder sind es – Däniken lässt grüssen – Ausserirdische, Aliens, die da oben mit UFOs herumkurven und H2O auf uns schütten?
Petrus ist es –auch wenn das die Legende sagt – nicht. Wenn im Evangelium von den „Schlüsseln des Himmelreichs“ die Rede ist, dann ist damit sicher nicht die Aufsicht über Wolken und Wasser gemeint.

Fast hätte ich mir in den letzten Wochen einen Schamanen für einen Nicht-Regen-Tanz engagiert. Aber die meisten Schamanen kosten ja inzwischen auch eine Menge Geld. Tatschi-Tutschi verlangt  seiner Homepage zufolge für einen halbstündigen Tanz ohne Trommeln und Gesang  immerhin 500.-, will man Percussion, kommen noch einmal 150.- dazu, Gesang wird mit 200.- verrechnet, zählt man dann noch Anfahrtsweg und MwSt. dazu, ist man einen Tausender los, und das ist eine Menge Kohle – vor allem, weil Tatschi-Tutschi keinerlei Garantie gibt, wenn das Universum nicht will, dann… 

Bleibt also die Hoffnung, die ja ein Prinzip ist und, wie man weiss, zuletzt stirbt.
Und:
Gestern war ja immerhin mal ein schöner Tag.
Und heute Morgen sah es auch nicht schlecht aus.
Dennoch werde ich die tiefe Schokobräune, in der letztes Jahr mein Körper erglänzte, dieses Jahr nicht mehr schaffen. Es sei denn, ich ginge an einen Ort, den ich aus Prinzip noch nie betreten habe und ihn auch aus Prinzip nie betreten werde:
Ein Solarium.

 

 

 

 

 

 

 

                                                                                                                                                       

Donnerstag, 2. Juni 2016

Angie hoffte noch auf einen Unfall am Gotthard

Insgeheim hatte Angie ja doch noch gehofft, dass irgendetwas schiefgeht. Keine grosse Sache, nicht, dass der Zug explodiert oder der ganze Tunnel einstürzt, nicht, dass es Tote gibt oder Verletzte, aber irgendeine Kleinigkeit, die der wunderschön inszenierten Feier einen kleinen Beigeschmack geben.
Insgeheim hatte Angie doch gehofft, dass nicht alles klappt.
Vielleicht hätten die Zugtoiletten kurz vor der Jungfernfahrt den Geist aufgeben können oder die Fenster wären nicht durchsichtig gewesen, oder es wäre eine Kuh auf den Gleisen gestanden oder irgendein Depp hätte die Notbremse gezogen. Einfach irgendwas Schräges und Schiefes.
Natürlich würde Angie so etwas niemals laut sagen oder laut denken, aber insgeheim doch.

Denn:
Es ist schon peinlich, was diese winzige Eidgenossenschaft dem Grossen Kanton da vormacht: Ein Jahrhundertbauwerk, viel zu früh fertig und in tadelloser Funktion.
Und die Kosten sind auch nicht aus dem Rahmen gelaufen.
Insgeheim hatte Angie ja doch noch gehofft, dass irgendetwas schiefgeht.

Hollande übrigens auch, der noch mehr. Wenn der an seine EM denkt, dann kriegt er solche Schweissausbrüche, dass er fünfmal am Tag sein Hemd wechseln muss. Da kann es immer noch sein, dass anreisende Fans in Grenzbahnhöfen festsitzen, weil die SNCF streikt. Oder sie kommen mit dem Auto und es gibt kein Benzin, oder wildgewordene Bürger blockieren gleich die Stadioneingänge, das haben sie immerhin angedroht. Nein, das wird noch eine Zitterpartie. Auf die Frage des Studiomoderators, ob denn bis zur Meisterschaft alles wieder normal sei, sagte die Paris- Korrespondentin: «Was ist in Frankreich schon normal?»

Die Helvetier haben wieder einmal alle vorgeführt. Haben Berlin, Paris, Rom und Wien vorgeführt und gezeigt, wie man es macht. Haben übrigens auch Brüssel vorgeführt, das aber (zum grossen Ärger Berns) gar nicht erschien.
Und alle haben gehofft, dass es noch eine Panne gibt.
Umsonst.

Ganz kurz hatte die Uckermarklady noch überlegt, ob man nicht via BND den Eidgenossen eine Warnung zukommen liesse: Man hätte terroristische Aktivitäten bemerkt, und eine Bombe im Jungfernzug, das sei doch nun nicht arg schön…Und dann hätte alles abgesagt werden müssen. Aber wahrscheinlich hätten die Schweizer nur gelacht. Da alle Teilnehmer im ersten Zug – ja, der erste Zug war für ausgeloste Bürger, der zweite für die Promis, eine Geste, die beispiellos ist – waren ja durch die Tombola namentlich bekannt und sicher von oben und unten, von links und von rechts überprüft.
Nein, die Helvetier haben es wieder allen gezeigt.

Das Schlimme kommt aber noch: Das Herz des europäischen Fernverkehrs wird noch eine Weile ohne Schlagadern bleiben.
Denn der Tunnel braucht ja Zufahrten, Zulieferung, braucht Gleise, die auf ihn hinleiten. Und da sind die beiden Nachbarländer im Norden und im Süden noch mächtig hintendrein. Die Uckermarklady gab das gestern auch zu und versprach, man werde so schnell wie möglich bauen.
Nur:
Was heisst in Deutschland «so schnell wie möglich»?
Zugegeben, die Eidgenossen sind ein Jahr zu früh fertig geworden. Dieses Jahr muss die Rheintalstrecke noch nicht vierspurig sein. Man könnte also 2017 liefern. Wird man aber nicht. Man wird nächstes Jahr nicht fertig, auch übernächstes Jahr nicht, auch überübernächstes Jahr nicht und auch von 2020 ist keine Rede. Dazu müsste man nämlich erst einmal anfangen. Und das kann man nicht wegen der vielen Einsprachen. Im Gegensatz zu den Nachbarn im Süden hat man nämlich in Baden die Anrainer nicht gefragt, ob sie die Gleise wollen (oder eine 1000 Meter hohe Schallschutzwand im Ort, die zwar den Schall schluckt – das ist ihre Aufgabe – aber einfach nicht so schön aussieht, selbst wenn man sie begrünt oder mit einem netten Fresko schmückt.) Aber selbst wenn man 2017 anfinge, würde man x Jahre brauchen und das deutschübliche Fiasko durchspielen:
2017 Baubeginn
2018 Feststellung, man hat das falsche Material
2019 Teilabriss
2020 Baustopp: Die Kosten laufen aus dem Ruder.
2021 Fortsetzung der Baumassnahmen
2022 Feststellung, man hat die falsche Strecke
2023 Baustopp
usw.
usw.

Da gibt es doch diesen Witz: Im Himmel ist Vollversammlung. Einziger Antrag: Endgültige Festlegung des Dies Irae auf den 3.6.2050. Da sagt die Heilige Cäcilie, Beschützerin der Kirchenmusik und Erfinderin der Orgel, sie hätte doch gerne die Orgel in der Elbphilharmonie noch gehört.
Und St. Christopherus, der Patron des Verkehrs, meint, er würde doch gerne den FBB noch anschauen. Da sagt Gottvater: «Kinder, bei aller Liebe, so lange kann ich nicht mehr warten.»

Die Eidgenossen haben es wieder einmal allen gezeigt.
Und dürfen stolz sein auf ihre Leistung.
Und irgendwann werden die Deutschen und Italiener auch ihre Hausaufgaben gemacht haben.
Irgendwann.