Freitag, 17. Juni 2016

Fussballexperten / Blogpause


Gucken Sie jetzt gerade auch so viel Fussball? Ist doch hochspannend, nicht? Ach, ich liebe es, wenn EM oder WM oder irgendeine UEFA-Liga oder FIFA-Liga oder sonst was ist. Es ist immer eine sozusagen rechtsfreie Zeit, die Zeit der WM und EM und UEFA/FIFA-Sonstwas-Ligen. Man darf zu jeder Tages-und Nachtzeit Bier trinken, man darf zu jeder Tages- und Nachtzeit Chips essen und in vielen, vielen Wohnungen ist sogar das Rauchverbot aufgehoben. Am schönsten ist natürlich Pablick Vjuing, ich liebe Pablick Vjuing, was gibt es Schöneres, als an lauen Sommerabenden auf einem Platz zu sitzen und das Spiel auf Grossleinwand zu sehen? Gut, allerdings müsste man dafür erst einmal laue Sommerabende haben, wir haben ja gerade so einen vorgezogenen Herbst, ich habe neulich darüber gepostet – und der Mann oder die Frau am himmlischen Wasserhahn hat den Post offensichtlich nicht gelesen.

Neben den Spielen und Spielzügen und Spielvorgängen liebe ich aber noch bis zwei Dinge heiss und innig: Den Trikottausch und die Kommentarphasen. Ok, der Tausch ist eigentlich gar nicht mehr so nötig wie früher, weil die Shirts hauteng anliegen, aber dennoch. (Warum ist das eigentlich so? Ist das wirklich, weil die sich sonst an den Hemden reissen, das wäre ja eine Bankrotterklärung, wenn man die Leibchen nicht mehr weit schneidern darf, weil sonst an ihnen gerissen wird…)
Viel mehr als das liebe ich aber die Expertenrunden und Spielerkommentare. Hier menschelt es so schön, hier zeigt sich das Naive und Einfache im Homo sapiens, und zwar egal, ob bei der Elf oder bei den «Fachleuten», die traulich im Studio zusammensitzen:
«Die Verteidigung war nicht gut aufgestellt»
Logo, das habe ich bei 8 eingefangenen Toren auch gemerkt, wäre sie gut aufgestellt gewesen, wäre das nicht passiert.
«Der Torhüter hat im entscheidenden Moment versagt.»
Würde ich beim 1:2 in der 90. Minute auch so formulieren.
«In der zweiten Halbzeit müssen die Albaner mehr in den Ballbesitzt kommen.»
Wow, der Fachmann hat tatsächlich gemerkt, dass die Engländer zu 75% im Ballbesitzt waren, ich allerdings auch, nicht, weil ich Fussballgenie bin, sondern weil es eingeblendet wurde.
«Ein ausgeglichenes Spiel.»
Gut, kann man so sagen, 1:1, Ballbesitz 50% - 50%, Torchancen 4/4. War alles angezeigt.

Noch schöner als die Expertenmeinungen sind natürlich die der Spieler. Hier stammeln völlig ausgepowerte, erschöpfte, völlig dehydrierte und fertige Leute einen Unsinn in die Mikrophone, nicht, weil sie doof sind, nicht, weil sie blöd sind, sondern eben weil sie ausgepowert, erschöpft, weil sie dehydriert und fertig sind. Da kommen dann grammatikalisch und logisch, kommen wortschatz- und sinnlose Äusserungen aus den Mündern, dass einem die Spieler nur leidtun können. Machen Sie einmal die Triathlon-Probe: Laufen Sie 3000m, schwimmen Sie einen Kilometer und fahren Sie 20km Rad. Lösen Sie dann einen IQ-Test. Sie werden in der Skala zwischen lern- und geistig behindert landen. Ihr Hirn funktioniert nicht.
Warum lässt man die arme Elf nicht in Ruhe?
Sätze wie «Fussball ist wie Schach nur ohne Würfel.» entstehen in solchen Situationen.

Kein Künstler würde sich zu so etwas hergeben.
Es wäre undenkbar, dass Barenboim nach Mahler IX ein Interview gibt. Es wäre undenkbar, dass man Thielemann kurz nach Isoldes Liebestod zu einem Statement bekäme. Es wäre undenkbar, dass die Bartoli nach einem Vivaldi-Abend noch ein einziges Wort sagen oder singen würde. Die alle werden einfach abgeschottet und gut ist. Ich selbst habe einmal 45 Minuten ausgeharrt, bis mein Lehrer Manfred Schreier sich an der Tür der Künstlergarderobe zeigte, nach einer Mahler III brauchte er einfach diese Auszeit.

Expertenrunden nach künstlerischen Aktionen sind da etwas anders. Da kann es nämlich wirklich sein, dass die Damen und Herren uneins sind und der Kritiker der FAZ es ein geniales Konzept findet, Tannhäuser in die Biogas-Fabrik, Lohengrin in ein Rattenlaboratorium und Wotan auf den Alexanderplatz zu schicken, der Kritiker der SÜDDEUTSCHEN all das aber nur für Schwachsinn hält. (Bayreuth-Fans wissen, dass die Beispiele nicht erfunden sind.) Da kann es auch mal sein, dass die Expertin des SWR die Verspieler des Osloer Kammerorchesters in Burgbergers 5. Elegie für tolerabel hält – ob des exzellenten Klangs – und die Expertin des Deutschlandradios die falschen Töne – trotz des Klanges – eben NICHT mehr toleriert.
Vielleicht sollte man die objektiven Fakten eben auch bei Klassik einblenden, mit Vergleichsgrössen. Stellen Sie sich vor, oben auf der Übertitelungsanlage käme:
Tempo:                   Viertel 100 MM                  Celibidache 50 MM    Bernstein 150 MM
Lautstärke          400 DzB                                  Celibidache 100 DzB    Bernstein 1000 DzB
Gesungener Ton a’’ (880 Hz)                       Gehörter Ton 860 Hz                       Abweichung 2,5 %
Das würde doch alles sehr objektivieren.
Oder nicht?

Gucken Sie auch so gerne Fussball?
Ich auch.
Ein spannendes Spiel.
Knackige Körper in engen Trikots.
Und Äusserungen von Leuten, die wirklich Ahnung haben.
Dabei gibt es zu Fussball eigentlich nur das zu sagen, was im Vorspann zu «Lola rennt» kommt:
Der Ball ist rund – Spiel geht 90 Minuten – alles andere ist Theorie.

WEGEN EINER HANDVERLETZUNG MACHE ICH 14 TAGE PAUSE


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