Dienstag, 27. Februar 2024

Boomer

Ich mag eigentlich keine permanenten Anglizismen.
Wenn ich eine neue Badehose brauche, dann gehe ich in ein Sportgeschäft und schaue, ob es eine kastenförmige Hose vielleicht im Sonderangebot gibt, vielleicht sogar von einer von mir bevorzugten Marke.
Ich suche keine «Pants» oder «Trunks» in einem «Sportshop» und hoffe auf einen «Sale» in einem tollen «Brand».
Ich mag eigentlich keine Anglizismen.

Aber in einem, nur in einem Punkt finde ich den englischen Ausdruck nun doch toll: Die «Boomer». Die «Boomer», abgeleitet von «Baby-Boom», hiessen früher «geburtenstarke Jahrgänge».
Während nun in dem Wort «Boom» ja die Idee von Aufschwung, von Welle, von Explosion, von Anstieg, ja von Knall mitschwingt, und hier richtig toll ist klingt «geburtenstarker Jahrgang» eher wie ein statistischer Ausrutscher, eine Panne in der Planung.

Und tatsächlich ist es auch so.
In meiner Jugend, als es noch «geburtenstarker Jahrgang» hiess, da lag immer ein stummer Vorwurf in der Luft: Wir waren einfach zu viele. Wir waren Massen. Wir waren eine Legion. Alles war zu klein. Die Geburtskliniken waren zu klein, die Kindergärten waren zu klein, die Schulen waren zu klein und die weiteren Ausbildungsstätten auch. Wir waren zu viele. Was nun ein bisschen komisch war, dass man uns das vorwarf, wir hatten uns selbst ja nicht geplant und in die Welt gesetzt. WIR konnten ja nichts dafür, dass man 6 Parallelklassen mit 35 Schülerinnen und Schülern brauchte und dass wir mit 250 Kindern in einem Schwimmbad trainierten. WIR hatten uns das nicht überlegt.
«Ihr wart so viele», trotzdem haben alle Geburtenstarken/Boomer das immer noch im Ohr.

Ich mag eigentlich keine Anglizismen.
Aber mit der Umbenennung in «Boomer» ging eine völlige Umbewertung einher: Denn jetzt gerade schmeissen wir den Laden, stehen aber kurz vor der Rente. Jetzt heisst es nicht mehr, wir seien zu viel, nein, man schätzt und preist uns.
Ich lese im ZEIT-Magazin, die Boomer seien die «beste Generation» aller Zeiten gewesen. In anderen Quellen lese ich:
Keine Generation war klüger als die Boomer.
Keine Generation war fleissiger als die Boomer.
Keine Generation war intelligenter als die Boomer.
Keine Generation war innovativer als die Boomer.
Keine Generation war lösungsorientierter als die Boomer.
Keine Generation war optimistischer als die Boomer.
Keine Generation war schöner als die Boomer.

Man könnte das jetzt unendlich fortführen. Ehrlich gesagt: Das geht runter wie Öl. Das umschmeichelt wie ein weiches Kissen. Das stärkt das Ego dermassen, dass ich den ganzen Tag mit Krawatte herumlaufen möchte. Dass ich mich vor den Spiegel stellen will und mir einen Lorbeerkranz aufsetzen.

Dabei hat die Lobhudelei doch nur einen Sinn:
Die wollen, dass wir länger bleiben.

Es herrscht die nackte Angst; wenn die Zigtausende von Boomern gehen werden, dann reissen sie ein riesiges Loch in den eh schon durchlöcherten Arbeitsmarkt. Es herrscht die nackte Angst, denn es wird eine übergrosse Summe an Fachkräften fehlen. Und Deutschland rast auf der Welt herum und sucht Menschen, die man in die BRD schaffen kann und ausbilden. Dabei – Nebenbemerkung – erstaunt einen immer wieder die völlige Ignoranz der Verhältnisse dort, wenn nur, wenn nur, wenn nur 100000000 Menschen sagen würden: Wir kommen ins gelobte Deutschland und lösen die Boomer ab.
Nettes Beispiel ist Marokko: Ein streng islamisches Land, in dem fast alle Frauen Hidschab tragen, aber wir werden diese Frauen in die BRD holen (und uns dann beklagen, dass sie das Kopftuch nicht ablegen…)

Die Boomer.
Die beste, schönste, intelligenteste, fleissigste und innovativste Generation aller Zeiten. Wird sie bleiben? Weiter arbeiten?
Klare Antwort:
Nein.
Die Generationen X und Y und Z schauen ja seit Jahren scheel auf uns Boomer und meinen, sie könnten alles besser. Gut, dann mal ran, ihr könnt zeigen, was ihr draufhabt. Und los geht’s…

Ich mag eigentlich keine permanenten Anglizismen.
Wenn ich eine neue Badehose brauche, dann gehe ich in ein Sportgeschäft und schaue, ob es eine kastenförmige Hose vielleicht im Sonderangebot gibt, vielleicht sogar von einer von mir bevorzugten Marke.
Ich suche keine «Pants» oder «Trunks» in einem «Sportshop» und hoffe auf einen «Sale» in einem tollen «Brand».
Ich mag eigentlich keine Anglizismen.

Aber in einem Punkt finde ich das Englische toll: Ich bin kein «Geburtenstarker» mehr.
Ich bin ein «Boomer».
Und das ist klasse.







 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 23. Februar 2024

Frühlingsreise (3): Von Schweizer Türmen und griechischem Alkohol

Und hier noch die drei letzten Punkte meiner Woche in Hamburg, meiner Tage an Elbe und Alster, wie gesagt, kein Reiseführer, sondern persönliche Eindrücke und Erlebnisse.

Die Elbphilharmonie

Ich muss hier ein wenig Abbitte leisten. Im Jahr 2017 habe ich im Post «Was teuer war, muss gut sein» zynisch geschrieben:

Oder nehmen wir doch mal den Elphi-Hype. Was so lange nicht fertig wurde, was solche Unsummen verschlungen hat, was die Stadt dermassen in den Ruin trieb und 45 Nervenzusammenbrüche (in Politik wie im Handwerk) verschuldet hat, was so lange auf Messers Schneide stand und mehr umgebaut wurde als das Forum Romanum seit der Antike, ja das kann nur grossartig sein. Finden alle, und alle müssen hin.
Dabei sieht das Ding von aussen überhaupt nicht schön aus, mal ehrlich; wie ein Zirkuszelt, das die besoffenen Roadies nicht richtig aufgebaut haben, wie ein zusammenfallendes Nachthemd hockt es da vor den Speichern der Hafenstadt, zu denen es passt wie die Faust aufs Auge, ein Spermafleck auf dem Brautkleid oder die Heilsarmee in den Swingerclub. (Danke an «Fräulein Emmy und Herr Wilnowski» für die Bereitstellung dieser wunderbaren Vergleiche.)
Ja, da kann die Broschüre zigmal von «reizvollem Kontrast» reden, Leuten, die Kontraste per se reizvoll finden, möchte ich gerne einmal Bratkartoffeln mit Konfitüre reichen, während ich ihnen die Platte «Sido rappt Hölderlin» vorspiele, bei denen würde ich gerne einmal in Shorts und Tanktop zur Gala erscheinen und einen «reizvollen Kontrast» zu den übrigen Gästen bilden.

Wie ich im Sommer St. Blasien (Sie erinnern sich) eine Möglichkeit der Rehabilitation gegeben habe, hat jetzt auch die Elphi eine solche Chance bekommen. Und ich muss zugeben: Das Ding war seine 850 Millionen wert, es ist ein Wunderwerk von innen und aussen. Ich durfte 90 Minuten während einer Führung in ihr herumstolzieren und ich war begeistert. Und bin es noch.
Das heisst jetzt nicht, dass ich ein Fan von HDM geworden bin, dafür haben sie zu viele scheussliche Bauten gemacht. Das, was sie in Berlin als Museum hinstellen, und was wie eine Scheune aussieht, ist ja zurecht in der Kritik.
Nein.
Die Elbphilharmonie ist ein Wurf.
Aber vieles von HDM ist es nicht.

Alles in Schweizer Hand

Der Wasserturm ist eine Art Wahrzeichen des Ortes, an dem die Elbe wirklich mündet. Sonst – also ausser dem Hafen, der Fähre und einem bisschen Strand – hat Cuxhaven nichts zu bieten. Aber nun der Wasserturm. Wenn man sich ihm nähert, fällt einem sofort die Flagge auf: Weisses Kreuz auf rotem Grund. Denn der Wasserturm ist in Schweizer Hand.
Das ehrwürdige und sehr dekorative Gemäuer ist von einem Ehepaar aus dem Emmental gekauft und sehr sorgfältig und sehr schön renoviert worden; und nun betreiben sie dort ein Café, ein Café, in dem unter anderem Bündner Nusstorte serviert wird, eine sehr gute, ich habe – das muss ich sehr hart sagen – in Graubünden kaum eine so gute gegessen. Nun ist das sowieso für die Nordlichter, die Fischköpfe und Deichgrafen alles eines. Ob Emmental oder Bündnerland, irgendwie alles Schweiz.

Aber das Kuddelmuddel ging noch weiter:
Im Café Gnosa, unserer Frühstücksstelle für eine Woche, arbeitet ein Kellner, der auch irgendwie mit den Eidgenossen verbandelt ist, er kommt vom deutschen Ufer des Bodensees und hatte eine Tante in St. Gallen, ausserdem war er als junger Schwuler, wie er sagt, viel in Zürich (zu was wohl?). Und auch unser Nachbar beim vorletzten Frühstück gibt irgendwann zu verstehen, dass er unsere Unterhaltung versteht, er hat eine lange Zeit in Luzern als Banker gearbeitet.

Und über allem thront das Monument der Basler Architekten…

Das Griechische Restaurant mit Alkohol

Das Lokal fast neben unserem Hotel ist einer der besten Griechen, die ich kennengelernt habe. Superzarte Dolmadakia, eine herrliche Moussaka und ein würziger Kaffee, einziger Wehrmutstropfen, dass nach den superzarten Dolmadakia, der herrlichen Moussaka und würzigem Kaffee ein Ouzo angeboten wurde, den ich ablehnen musste. Und kaum abwehren konnte. Der Kellner hatte noch nie davon gehört, dass ein Mensch nach superzarten Dolmadakia, herrlicher Moussaka und würzigem Kaffee nicht ein klein wenig («ein klein bisschen») Alkohol verträgt. Dass Leute, die ein Alkoholproblem gelöst haben, nicht auch nur den kleinsten Tropfen trinken sollten, war noch nie zu seinen Ohren gelangt. Es fragt sich, warum in der Ausbildung zur Servierkraft nicht auch solche Dinge Thema sind.

Vielleicht liegt aber der Grund für dieses Ouzo-Problem am Stammgast dieses Restaurants. Es ist Udo Lindenberg, davon zeugen ein paar Bilder an der Wand, die er seiner Lieblingsbeize gestiftet hat. Udo – das muss man jetzt so knallhart sagen – sagt dort sicher zu keinem Ouzo nein. Es sei denn, es ist der fünfzehnte und es gab schon Sekt zum Aperitif und viel Wein zum Essen…

So viel von unserer Reise. Ab Dienstag wieder der Alltag.

 

  

 

 

 

 

 

 

 

   

 

 

 

 

 

 

 

 

                         

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 20. Februar 2024

Frühlingsreise (2): Von Fussgängern und Kunsthallenlabyrinthen


Und weiter geht es mit Impressionen von unserem Haupturlaubsziel Hamburg.

Hamburg, wir kennen dich ?

Über Hamburg müsste man eigentlich nichts schreiben, denn alle Menschen kennen irgendwie die Stadt. Oder meinen, Sie zu kennen. Was fällt Ihnen zu Hamburg ein? Die Reeperbahn? St. Pauli? Der Blick vom Meer aus auf die Stadt? Der Hafen? Die Elbphilharmonie? Der Michel?
Viel also im Kopf.
Um es gleich einmal von Anfang an klarzustellen: Hamburg liegt nicht am Meer. Hamburg liegt an der Elbe. Und auch der Sprachgebrauch «Elbmündung» trifft die Sache nicht ganz, denn die Elbe mündet über 100 Kilometer weiter in Cuxhaven – von dem ich noch berichte. Der Blick, den Sie kennen ist also ein Elbblick, und der Hafen ein Elbhafen. Vielleicht haben Sie aber sogar ein Alsterbild vor Augen, die Promis wohnen an der Alster, nicht an der Elbe.

Und dann natürlich St. Pauli, die bekannteste Strasse Hamburgs – und das unterscheidet Hamburg von Berlin, wo alle Unter den Linden langlaufen – ist die Strasse, die niemand besucht. Was sollte ich auch auf der Reeperbahn? Nackte Frauen interessieren mich nicht, und wenn ich einen schönen nackten Mann sehen möchte, stelle ich mich vor den Spiegel. Nein, auf der Reeperbahn waren wir nicht, schon gar nicht nachts um halb Eins…

Hamburg kennt man nun also irgendwie, deshalb wird es in den Beiträgen eher um kleine Randsachen gehen.

Fussgehen in Hamburg

An Elbe und Alster geht man nicht zu Fuss. Man fährt mit dem (fantastisch ausgebauten) ÖV. Man fährt Auto. Man fährt Rad, gern und viel. Zu Fuss geht man nicht. Sollte jemand doch auf die perverse Idee kommen, eine Strecke per Pedes zurücklegen zu wollen, hat man vier Massnahmen getroffen:
Erstens:
Es regnet. Es regnet ständig und immerfort, nein, das ist jetzt falsch, das stimmt nicht, es gibt kurze sonnige Perioden, und genau in diesen kurzen Zeitspannen fällt man herein und lässt den Schirm daheim, aber kaum ist man 200 Meter gelaufen, dann prasselt es los.
Zweitens:
Die Fusswege sind nicht befestigt. Der Flaneur hat drei Arten des Belages zur Auswahl, nämlich Kopfsteinpflaster (in der Speicherstadt), schiefe und lose Platten (in den meisten Stadtteilen) und Matsch- und Schlammwege (an der Alster). Das ist besonders nett, weil neben einem die Radfahrer auf asphaltierten Wegen rasen…
Drittens:
Die Ampelphasen Hamburgs sind die kürzesten Europas. Für einen normalen Menschen ist es unmöglich, eine vierspurige Strasse zu überqueren, ohne in der Mitte Halt zu machen. Wenn die Lichtanlage auf Grün springt, dann bleibt sie ca. 10 Sekunden in dieser Phase, und niemand hat es je geschafft, die andere Seite bei Grün zu erreichen.
Doch. Angeblich schaffte es 2013 ein Sportler – er hiess Usain Bolt.
Viertens:
Die Strassen haben unaussprechliche Namen, ich brauchte mehrere Tage, um mir zu merken, ob die Strasse, in der unser Hotel lag Schmilinskystrasse, Schliminskystrasse, Schirminskystrasse oder Schrilinskystrasse hiess. (Das erste ist korrekt.)

So zwingt man an der Elbe die Menschen auf Auto, Fahrrad oder ÖV umzusteigen; dabei wäre die Stadt mit ihren Wassern und Grünflächen so zum Flanieren geeignet.

Labyrinth Kunsthalle

Ich fand die Staatsgalerie Stuttgart immer schwierig zum Orientieren, und ich musste mich auch in Basel kurz neu einloten, als der Neubau kam, aber die Kunsthalle Hamburg toppt alles. Sie ist ein Steingewordener Logistikalbtraum, sie ist ein Labyrinth, das ohne Ariadnefaden nicht zu bewältigen ist.

Da war zunächst ein Bau aus dem 19. Jahrhundert, dann setzte man einen Quasi-Bauhaus-Bau daneben (1912 – 1921) und ergänzte nach dem Krieg noch mit einem White Cube. Unten, im Keller, im Orkus verband man die drei Teile.

Nun wäre es einfach, wenn z. B. im Altbau die Sammlung, im Neubau eine Ausstellung 1 und im White Cube eine Ausstellung 2 wäre. Aber scheinbar wäre das zu einfach, zu simpel, zu wenig Challenge, nein, man macht die Ausstellungen jeweils in mehrere Trakte verteilt über alle drei Gebäude, und da Ausstellung 1 mit Timeslots – in unserem Fall Caspar David Friedrich – andere Tickets hat, schafft man ein perfektes Chaos.

Und um bei dem antiken Beispiel zu bleiben, man bräuchte als Theseus eben eine Ariadne mit Faden, man bräuchte einen Lotsen, aber weit gefehlt. An dem Tag, an dem wir in der Kunsthalle waren, waren die Hälfte der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch neu, teils den ersten Tag da. Hunderte von Besuchern wuselten nun durch die Gänge und versuchten, sich irgendwie zurechtzufinden: «Teil 2?» «Teil 2 ist da.» «Nein, nicht Teil 2 vom Friedrich, Teil 2 der Reliefausstellung..» «Ach so.»

Angeblich soll sich 2019 ein Kunstbegeisterter in der Kunsthalle verirrt haben und am Abend kam er nicht mehr heraus. Auch die nächsten Wochen nicht, dann kam Corona. Bei der Einrichtung der C. D. F.-Schau fand man – so sagt man – sein Skelett. Aber vielleicht ist das auch ein Gerücht.

So viel für heute. Am Freitag dann der dritte und letzte Teil mit Beiträgen über Emmentaler im Wasserturm, die Elbphilharmonie und das Lieblingsrestaurant von Udo Lindenberg.

Freitag, 16. Februar 2024

Frühlingsreise (1): Von Bahnschaltern und Salzquellen

Die Verfrühung in Dortmund

Sie wollen natürlich gerne wissen, was jetzt in Dortmund passiert ist. Ich hatte ja neulich geschrieben, dass die DB mir per Mail mitgeteilt hatte, dass der Zug in Dortmund drei Minuten früher ankommt – und ich hatte mich ein wenig darüber lustig gemacht. Wir hatten neulich überlegt, dass es drei Optionen gäbe:

Der Zug kommt WIRKLICH 180 Sekunden früher in Dortmund HBF an, um 14.19
Der Zug kommt um 14.22 an, also zur alten Zeit.
Der Zug kommt 30 bis 130 Minuten später an, was ja einem normalen Alltag bei der DB entspricht.

Wie ging es jetzt aus?
Wir fuhren auf die Sekunde pünktlich in Basel Badischer Bahnhof ab. Genauso pünktlich in Freiburg. Ebenso exakt in Offenburg und genauso genau in Karlsruhe. Auch in Mannheim konnte die planmässige Pause von 10 Minuten eingehalten werden – ein Paradies für die Raucher – und die Abfahrt erfolgte pünktlich. Genauso in Frankfurt und Köln, wo die aussteigenden Jecken mit einem Karnevalslied über Lautsprecher verabschiedet wurden, es war ja schliesslich Faschingssamstag.
Und dann…
Und dann…
Und dann holte sich der ICE auf der nächsten Strecke eine Verspätung von drei Minuten ein und erreichte Dortmund HBF um 14.22 – also die frühere Zeit.

Und man wäre pünktlich in Bad Salzuflen gewesen, wenn nicht der Zug nach Herford zwanzig Minuten später abgefahren wäre und den Anschluss in Herford um 240 Sekunden verpasst hätte, das ist eben Deutsche Bahn.
Sänk ju for trävelling.

Die nicht existierenden Bahnschalter

Bei der Fahrt merkten wir, dass eine Bahncard abgelaufen war. Und zwar die, bei der keine Email-Adresse hinterlegt war, und die neue Anschrift hatten wir vergessen zu melden. Die Briefe mit Karte und Rechnung waren natürlich zurückgegangen. Das Kärtlein lag also irgendwo beim BC-Service, war intakt, aber nicht gültig, weil nicht bezahlt. Bis Dortmund fuhren wir auf Kulanz, bis Herford kam zum Glück niemand. Ab Herford war dann eh das Deutschlandticket dran – noch einmal grosser Jubel, grosser Jubel, und bitte, bitte, bitte, bitte, lieber Herr Wissing, nicht abschaffen! – das heisst, wir brauchten am Montag ab Osnabrück wieder eine BC, und bis dahin einen Bahnschalter.

Ja. Einen Bahnschalter.
Einen Schalter mit einem Menschen, der einem weiterhilft.
In Herford: Fehlanzeige, das Reisezentrum dort schliesst am Freitag um 17.00 und öffnet Montag wieder um 9.00. Am Wochenende kann man Herford Bahnhof Kaffee trinken, Zeitungen kaufen, man kann sitzen und lesen, Bahnprobleme lösen kann man nicht…
Und in Salzuflen?
Dort kann man 24 / 7 / 365 weder sitzen noch Kaffee trinken, es gibt keinen Kiosk und kein Lokal, und natürlich auch keinen Fahrkartenschalter. Für eine Kurstadt mit knapp 60000 Einwohner eine Blamage.

Also am Rosenmontag eine Stunde früher nach Osnabrück, wo alle unsere Probleme gelöst wurden.

Kein Schutz für alte Häuser

Bad Salzuflen hat – wie andere Salzstädte auch – einen doppelten Niedergang erlebt. Im Mittelalter war Salz wie Gold; man brauchte es nicht nur zum Würzen, sondern vor allem zum Konservieren, Pökelfleisch, Salzhering, Soleier, usw. Und der Bedarf an Salz für Pökelfleisch, Salzhering und Soleier machte Städte mit einer Salzquelle stinkereich. Dann kam das 19. Jahrhundert und bescherte uns Methoden der Haltbarmachung – und den Salzstädten den Ruin. Der Name Pasteur wurde dort nicht gerne gehört. (Das ist jetzt alles natürlich sehr vereinfacht ausgedrückt…)

Das 19. Jahrhundert bescherte nun aber ausser den chemischen Verfahren noch eine andere Sache: Das ausgiebige Kuren quer durch Europa. Bad X und Bad Y und Bad Z wurden in der Gründerzeit zu mondänen Treffpunkten. Bis in die 70er Jahre bekam in Deutschland jeder Mensch alle zwei Jahre eine Kur. Und statt mit dem Salz Fleisch und Fisch zu pökeln, wurde jetzt in Sole gebadet, sie eingeatmet und so weiter.

Aber mit dem Abschaffen des Kurens in der alten Form begann der zweite Niedergang Salzuflens und nun stehen viele Gründerzeit- und Jugendstilhäuser leer. Und vergammeln. Und vergammeln. Und werden irgendwann abgerissen und durch profitable scheussliche Neubauten ersetzt. Wenn man durch den Ort geht, könnte man nur heulen. Permanent.

Die Frage ist, warum diese Bauten nicht geschützt sind, aber die Gegend scheint es mit Schutz nicht so zu haben. Das Beispiel Gütersloh – und das ist gar nicht so weit weg – hat gezeigt, dass hier weder Arbeiter noch Schweine noch Bauten irgendwie geschützt werden.
Dabei wäre es nicht nur optisch viel schöner, sondern auch viel ökologischer, die Villen und Kurkliniken zu erhalten, das ist längst bekannt.

So viel für heute, Dienstag geht es dann weiter nach Hamburg und Cuxhaven.

Dienstag, 13. Februar 2024

Der Philosophie-Faschingsball

Lieber Leser, liebe Leserin

Sie müssen mir helfen: Ich bin zu einer Faschingsparty eingeladen, die jedes Jahr unter einem bestimmten Motto steht; und dieses Jahr ist das Motto besonders blöd. Während es 2022 «Sport» hiess und 2023 «Grün» hat der Gastgeber dieses Jahr «Philosophie» anberaumt.

«Sport» war ja einfach, man konnte einfach irgendeinen Dress anlegen, Fussballschuhe oder Turntrikot oder Wanderhosen, man hatte sicher irgendetwas im Schrank, ja und man durfte sogar das tun, was der gute Geschmack verbietet: Mit dem Trainingsanzug aus dem Haus gehen, wir wissen ja, «wer mit Trainerhosen aus dem Haus geht, hat sich selbst aufgegeben», aber das gilt eben nicht an Fasching.
Ich selbst ging im Flauschbademantel mit Badekappe, wirklich nur in Badehose zu gehen, war mir dann doch zu heikel, ich wusste nicht, wie warm es bei meinem Host sein würde, und tatsächlich war es seltsam kühl…

«Grün» war auch ein lustiges Motto, einerseits konnte man das als Farbe interpretieren, also grüne Hose, grüne Jacke, oder auch grüner Schal oder grüner Schmuck, es gingen auch grüne Schuhe oder grüne Krawatte, andererseits ging es auch als Politikrichtung, da kamen welche als Annalena (stierer Blick und enges Kleid) oder Robert (offenes Hemd und unfrisiert und 3 Tage-Bart), andere hatten sich in Jutekleider geworfen, mit AKW-Nein-Aufklebern – was ja nun fast nichts mehr mit den Grünen zu tun hat – andere kamen in Militärklamotten oder grad als Panzer – das ist inzwischen ja sehr grün…

Liebe Leserin, lieber Leser
Sie müssen mir wirklich helfen: Ich bin zu dieser Faschingsparty eingeladen, die jedes Jahr unter einem bestimmten Motto steht; und dieses Jahr ist das Motto besonders doof. Während es 2022 «Sport» hiess und 2023 «Grün» hat der Gastgeber dieses Jahr «Philosophie» anberaumt.

Philosophie.
Natürlich kann man zunächst an Philosophen denken, und da diese Sache eine sehr alte ist, zieht sich das durch die Jahrhunderte.
Ich hatte zunächst daran gedacht, mich in einen togaähnlichen Umhang zu werfen, und so Platon oder Aristoteles zu mimen. Aber den Oberkörper so halb frei, das setzt, damit es gut aussieht, einen ein wenig athletischeren Body voraus als ich ihn habe. Auch wenn man sich die griechischen Philosophen irgendwie alt vorstellt, alte Männer in solchen Togen will man doch nicht sehen.
Dann dachte ich Kant, so im Röckchen mit geschwungenen Schössen und Perücke, oder ich dachte an Hegel, kam dann gleich auf Nietzsche – ich hätte mir einen 50 Zentimeter grossen Schnauzbart angeklebt – fand dann aber alles irgendwie dämlich.
Schliesslich die erlösende Idee: Der Existenzialismus. Schwarzer Rollkragenpullover, schwarze Hose und fertig ist der Lack, gleich ist man eine oder einer vom Montmartre. Aber bald kamen mir Zweifel: Sartre, Beauvoir oder Camus, das ist zu einfach, da kommen sicher alle drauf, und dann stehen bei einer Faschingsparty 30 Leute in schwarzen Rollis, schwarzen Hosen und schwarzen Schuhen und es ist tödlich langweilig.
Also doch das Betttuch überwerfen? Nein, ein erneuter Versuch vor dem Spiegel überzeugte mich nicht, da hätte ich mehr Zeit im Fitnessstudio verbringen müssen.

Philosophie.
Vielleicht war ja gar nicht an die Personen gedacht, sondern an die Themen.
Ich dachte kurz daran, mich vor dem Fenster des Gastgebers zu positionieren, ein Feuer anzuzünden und meinen Schatten ganz platonisch an der Fete teilnehmen zu lassen. Sehr intellektuell, sehr platonesk. Aber was hätte ich davon gehabt, wenn mein Schatten sich amüsiert hätte und an Essen und Trinken gelabt? Wohl gar nichts. Also blöde Idee.
Dann fing ich an, Gegenstände auf eine Jacke zu kleben, kleine Bälle und Bleistifte und so, aber hätte man den Rückschluss von den «Dingen an mir» auf das «Ding an sich» geschafft? Wohl kaum.
Auch die Idee mein linkes Bein und meinen linken Fuss in gelb und meinen rechten Fuss und mein rechtes Bein in rot zu kleiden, dann mein Oberteil orange (These – Antithese – Synthese) verwarf ich aus den gleichen Gründen.
Es ist und war vertrackt.

Lieber Leser, liebe Leserin
Sie müssen mir helfen: Ich bin zu einer Faschingsparty eingeladen, die jedes Jahr unter einem bestimmten Motto steht; und dieses Jahr ist das Motto besonders blöd. Während es 2022 «Sport» hiess und 2023 «Grün» hat der Gastgeber dieses Jahr «Philosophie» anberaumt.

Aber jetzt habe ich eine wunderbare Idee:
Ich werde einen Überhang über und über mit Fahrscheinen der DB bekleben. Das ist dann das «Prinzip Hoffnung», das wird jeder verstehen.

In diesem Sinne:
Helau!
Alaaf!
Narri-Narro!

Freitag, 9. Februar 2024

Der Chip im Hirn

Es gibt Dinge, die ich – und hier will ich mich einmal als völlig Gestriger outen – immer noch von Hand schreibe. Ich weiss, dass das kein Mensch und niemand mehr macht, aber es gibt stets eine Menge Situationen, in denen ich gerne einen Stift zur Hand nehme:
Ich löse jeden Tag ein Kreuzworträtsel, wenn ich mit dem Zug unterwegs bin, in der Wurfzeitschrift 20 Minuten, sonst auch mal eines online. Und hier ist es tatsächlich so, dass ich von Hand etwa dreimal so schnell bin. Ich habe für «Fluss durch Zürich» mit sechs Buchstaben längst «Limmat» hingekritzelt, und nebenbei beim ersten Buchstaben noch das «leger» für «salopp» mit fünf Buchstaben hingeschmiert und beim zweiten noch das «Iowa» für «Staat der USA» mit vier Buchstaben gesudelt, bis ich beim Online-Rätsel auch nur mit dem Cursor beim ersten Buchstaben der Limmat bin.
Auch Einkaufszettel schreibe ich immer noch von Hand, obwohl es dort total superschöne Apps gibt («Bring!», «Die Einkaufsliste», «Listonic», «Family Wall» usw.), aber ich schnappe mir immer noch wie in alten Zeiten ein altes Kuvert und schreibe Sachen wie Brot, Käse, Äpfel oder Salami drauf.
Und: Ich schreibe Daten in eine Agenda aus Papier. Auch dies old-fashioned, auch dies altmodisch, auch dies veraltet, aber nur so kann ich mir Dinge wirklich merken. Ja, es ist gar nicht wichtig, dass es dort steht, sondern es ist wichtig, dass ich es selbst von Hand geschrieben habe. Mein Partner legte mir neulich einen Zettel mit «9.30» auf den Schreibtisch, dass ich ihm am nächsten Tag den Wecker stellen sollte, bevor ich aus dem Haus ginge. Ich vergass es, denn – ich hatte den Zettel nicht selber geschrieben, sonst hätte es funktioniert.

Natürlich schreibe ich trotzdem viel, viel, viel, sehr viel mit der Tastatur. Auch diesen Post schreibe ich gerade auf einer solchen. Und zwar auf der meines Laptops, der daheim in meinem Arbeitszimmer in unserer Wohnung steht; ein weiteres Gerät ist das in meinem Schulzimmer und (natürlich) gibt es dann noch ein Tablet für die Zugfahrten…Und hier bin ich natürlich sehr froh um die Speicherung auf Clouds. Denn in den «alten» Zeiten musste man ja immer schauen, dass man die richtige Version hat, immer auf USB speichern, immer, und dann selbstverständlich den USB immer dabei haben…
Ich schreibe also viel auf der Tastatur, dabei ist das Spannende, dass ich immer noch Fehler mache, die mir mit der Hand eben nicht passieren würden. Ich habe mit meinen Fingern und einem Stift zum Beispiel noch nie «udn» geschrieben. Und auch noch nie «imemr». Hier hilft mir das Word-Korrektur-Programm. Es hilft mir nach dem Heirats-Motto. Das Heirats-Motto lautet: «Eine Ehe heisst, dass man gemeinsam Probleme lösen kann (die man alleine nicht hätte).» Und entsprechend: «Das Word-Korrektur-Programm hilft dir, Rechtschreibfehler zu erkennen und zu korrigieren (die du ohne WORD nicht hättest).»

Wirklich fortschrittliche Menschen schreiben aber gar nicht mehr, sie benutzen die Diktier-Funktion ihres Schreibprogramms. Eigentlich eine tolle Sache, bei mir gibt es aber das Problem, dass ich beim Schreiben sehr häufig Radio höre.
Und dann steht da auf einmal auf meinem Bildschirm:
Ich möchte Sie daher bitten, mir Sie hörten das betreffende Schreiben das dritte Klavierkonzert noch einmal zukommen lassen von Ludwig van Beethoven.
Oder mein Partner telefoniert mit einer Bekannten und ich habe Fetzen daraus in meinem Text. Oder etwas klappt nicht, und dann habe ich ständig hässliche Wörter in meinen Zeilen, weil ich fluche.
Nein.
Nein, mit der Diktierfunktion habe ich mich noch nicht angefreundet.

Die allerneueste Erfindung wird aber der Chip sein. Und hier hat eine erstaunliche Sache fast unbemerkt stattgefunden: Hinter der Deckung von Ukraine und Gaza und Huthi und Klima hat Elon Musk einen Chip in ein Gehirn implantiert. Also, natürlich nicht er selbst, ein Team seiner Firma Neuralink®. Der Patient erhole sich gut, heisst es.
Wird das jetzt die Zukunft sein?
Nicht mehr von Hand schreiben.
Nicht mehr eine Tastatur benutzen.
Nicht mehr diktieren.
Nein.
Einen Text denken.

Aber gibt das nicht ein furchtbares Durcheinander? Stellen Sie sich vor, da schreibt ein Programm alles mit, was Sie denken. Das wäre doch ziemlich schrecklich, man denkt ja nicht nur einen Text, man wird ja auch ständig abgelenkt durch Gedanken an den nächsten Einkauf, einen Vogel vor dem Fenster – oder an Sex. Die Literaturwissenschaft kennt dieses Phänomen als «Stream of Consciousness» oder «Bewusstseinsstrom», wir finden solches ungefiltertes Gedanken-Gewusel bei Joyce oder Schnitzler.

Und stellen Sie sich dann noch vor, Sie würden gehackt!
Da wäre es dann vorbei mit

Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten?
Sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten
Kein Mensch kann sie Wissen, kein Jäger erschiessen
Es bleibet dabei: die Gedanken sind frei
Es bleibet dabei: die Gedanken sind frei

Nein. Ein Horrorvorstellung.
So ist auch dieser Text am PC entstanden. Und danach löse ich noch ein Kreuzworträtsel. Von Hand. Und vielleicht übe ich auch noch ein wenig mit der Diktier-Funktion.

Aber an meine Gedanken lasse ich niemand ran.
Und erst recht nicht Elon Musk.





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 6. Februar 2024

Die Schönheit des Giesskannenprinzips

Stellen Sie sich vor, Sie sind bei einem Vortrag.
Vor dem eigentlichen Reden tritt der Veranstalter vor das Publikum und sagt, dass es im Anschluss einen Apéro gebe. Nun habe man nur Wein und Sekt vorbereitet, sei auch der Meinung, jede und jeder könne heute auch mal etwas trinken. Ausgenommen seien aber Menschen mit einem Alkoholproblem. Er wolle deshalb fragen, ob es trockene Alkoholkranke gebe, für diese Personen würde man Mineralwasser und Orangensaft bereitstellen.
Wie viele werden sich melden, werden aufstrecken und sagen: Yes, Ja, Oui, wir sind trockene Alkis und wir hätten gerne Wasser?

Stellen Sie sich vor, der Vortrag findet nun statt.
Der Referent beginnt seine Rede so: «Ich würde gerne meine Ausführungen mit einem Zitat von Stefan George beginnen. Nun ist das ein bisschen kompliziert, der Rest meines Vortrages wird dann einfacher. Wenn es aber zu viele Dumme und Ungebildete hat, dann verzichte ich auf George und bringe etwas von Wilhelm Busch. Ich möchte nun also fragen, wer von Ihnen kein Abitur hat. Bitte heben Sie die Hand.»
Werden – abgesehen davon, dass ich Menschen ohne Bildungsabschluss kenne, die mit Begeisterung Stefan George lesen und Menschen mit Abi oder Matura, für die schon Wilhelm Busch zu kompliziert ist – sich wirklich Menschen melden und sich als «doof», «dumm» oder «ungebildet» outen?

Am Ende des Referates lädt der Redende Sie ein, seinem Verein, der sich um die Themen seines Vortrages kümmere, beizutreten.
Er habe Flyer vorbereitet, Flyer, auf denen der normale Beitrag von 100 Franken pro Jahr verlangt wird, wenn aber Leute weniger Geld hätten, gebe es Mitgliedsanträge mit 20 Franken, die er aber dann noch holen müsse. Wer also zu den Ärmeren gehöre, wer Sozialhilfe bekomme, oder arbeitslos sei, oder sogar arbeitsscheu oder irgendwie sonstwie verarmt, könne sich jetzt melden…

Nun stellen Sie sich vor, auf Sie träfen alle drei Punkte zu.
Und Sie gehören zu den wenigen Menschen, die immer ehrlich sein müssen.
Am Anfang melden Sie sich als trockener Alkoholiker. Sie geben zu, dass Wein oder Sekt für Sie nicht in Frage kommt, und wünschen sich Mineralwasser oder Saft.
Als nächstes outen Sie sich als Nicht-Abiturient, Sie lesen zwar George, Trakl, Benn, Hölderlin, genauso wie Kant oder Nietzsche ohne Mühe, aber in der 10. und 11. Klasse waren Partys und Mädchen, Motorräder und Fussball einfach wichtiger, Sie haben zwar das Gymnasium besucht, aber in der Elften abgebrochen und eine Lehre gemacht.
Ja, und dann ist da noch die finanzielle Seite, Sie haben versucht, sich selbstständig zu machen, und dann kam halt der Alkohol, den Sie zwar seit 10 Jahren besiegt haben, aber die Kasse ist halt noch immer nicht gut gefüllt. Also auch hier eine erhobene Hand…

Und jetzt glotzen Sie alle an: Für die Menschen im Raum sind Sie…
…ein Asozialer.
…ein Alki ohne Bildung
…ein suspektes Subjekt
…Abschaum
…ein Mensch, mit dem man eben nicht im gleichen Raum sein möchte

Wäre es nicht besser, ein reichhaltiges Getränkeangebot zu machen – oder sogar ein alkoholfreies, was für die, die gerne einen Wein trinken, aber nicht unbedingt brauchen, ja kein Thema sein sollte?
Wäre es nicht besser, einen Text zu wählen, den alle verstehen, vielleicht nicht Busch, aber irgendetwas Nettes von Storm oder Heine?
Wäre es nicht besser, mit Spenden und Stiftungsgeldern zu operieren und die ganze Sache billig – oder gar kostenlos – für alle zu machen?

«Gleichmacherei»
«Giesskannenprinzip»
So höre ich jammern. Ja, aber manchmal ist eine auf mich zugeschnittene Lösung eben entwürdigend.
Und daher muss, darf, kann und soll – ein aktuelles Beispiel – eine Rentenlösung eben nicht so aussehen, dass hier wie in den Fragen oben die Bedürftigen sich immer extra melden müssen. Die Schweiz stimmt am 3.3. über eine 13. Auszahlung der AHV, der Rente ab. Eine faire Lösung, und das, obwohl eine gezielte Förderung von geringen Renten effektiver wäre. Auch Deutschland und andere Länder kämpfen immer und stets mit dem Problem, dass einige Leute zu wenig Geld haben.
Aber es geht hier um Würde, nicht um Geld. Wer das ganze Leben gearbeitet hat, der möchte eben nicht aufs Amt müssen, um Zusatzleistungen zu beantragen. So, wie der trockene Alki nicht aufstrecken will, der Nicht-Abiturient sich nicht outen will und der Arme auch nicht.

Manchmal – das ist die traurige Wahrheit – braucht es die Gleichmacherei.
Manchmal braucht es das Giesskannenprinzip.

Und wen die 13. Rente stört, der kann Sie spenden. So wie man ja auch bei jedem Verein und jeder Spendensammlung MEHR geben kann oder überhaupt etwas spenden, auch wenn alles gratis ist…









 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 2. Februar 2024

Warum schauen wir auf den Screen in den Bussen?

Wir hatten es im letzten Post von der unnötigen E-Mail zum Thema Verfrühung der DB.
Eine für die meisten Menschen genauso unnötige Sache ist der Doppelbildschirm, der in fast allen Orts- und Regionalbussen hängt. Auf der einen Seite werden die Ankunftszeiten und Anschlüsse gezeigt (die die meisten ja auswendig kennen), auf der anderen Seite kommt laufend blödes und unnötiges Zeug.
Wollen Sie Beispiele?

Eines der doofsten Dinge ist das Buchstabenrätsel.
Es könnte ja noch lustig sein, herauszufinden was sich hinter dem Durcheinander

SOSLEG

verbirgt, aber da hier keine Menschen arbeiten und denken, sondern Maschinen, kann es passieren, dass das Durcheinander selber einen Sinn ergibt und man relativ ratlos vor

NEBEL

sitzt, bis man merkt, hier sollte man zu «Leben» umformulieren. Ganz, ganz, ganz lustig war das Wort, bei dem sie neulich den ersten und dritten Buchstaben vertauscht hatten:

HUHN

Noch schlimmer als die Rätsel sind die nutzlosen Fakten. Gut, gut, gut, könnten Sie jetzt sagen, was ist so schlimm daran, dass man weiss, wie schnell ein subarktischer Schnelltiger rennen kann, dass man weiss, wo die älteste öffentliche Toilette des Kantons Solothurn steht, dass man erfährt, dass Ananas mit Pfeffer gut gegen Rheuma ist und das man weiss, dass 1873 die molwanische Sprache entwickelt wurde? Was so schlimm daran ist, dass diese verdammten Fakten einem das Hirn verstopfen, ja, verstopfen wie mit zu viel altem Papier. Wenn man weiss, wie schnell ein subarktischer Schnelltiger rennen kann, wenn man weiss, wo die älteste öffentliche Toilette des Kantons Solothurn steht, wenn man erfährt, dass Ananas mit Pfeffer gut gegen Rheuma ist und wenn weiss, dass 1873 die molwanische Sprache entwickelt wurde, hat man dann vielleicht eine wichtige Formel, einen wichtigen Termin vergessen, was richtig blöd werden kann…

Richtig aufregen tun einen die Veranstaltungshinweise. Was da dahingeschwafelt und dahingeredet wird, geht auf keine Kuhhaut. Dabei trifft den Veranstalter meist keine Schuld, ich habe das selber erlebt:
Ich war in ein Projekt des Sinfonieorchesters Basel involviert, bei dem mit Primarklassen Weihnachtslieder gesungen wurden. Auf dem Bildschirm erschien etwa nun folgender Text:

Immer wieder wundert man sich, was es mit dem «Owi» auf sich hat. Wer mehr vom «Owi», der lacht und von vielen anderen Weihnachtsliedern mitbekommen möchte, kommt am 15. Dezember ins Musical Theater Basel zum «Christmas Carols Sing Along», wenn 200 Primarschülerinnen und Primarschüler mit dem SOB Weihnachtslieder singen.

Das war jetzt wirklich saudoof. Erst einmal ist der Witz vom Owi (…Gottes Kind, o wie lacht…) nun seit meiner Jugend schon abgedroschen, dann war es aber noch richtig blöd, weil wir «O du fröhliche» und «O Tannenbaum», aber eben nicht «Stille Nacht» im Programm hatten. Als ich die Verantwortliche des SOB auf die Sache ansprach, kam heraus, dass sie gar keinen Einfluss auf den Text gehabt hatte…
Sie müssen sich das jetzt nochmal bildlich vorstellen: Sie schicken Ihre Daten (Zeit, Ort, Teilnehmende) an irgendeine dumme Agentur und die wurschtelt dann irgendeinen Text daraus.

Jetzt werden Sie natürlich fragen, woher ich die Beispiele alle kenne.
Und hier erwischen Sie mich.

Ja, die Frage ist doch wirklich, warum ich ständig auf den Doppelbildschirm glotze.
In Bern, Zürich oder Luzern habe ich eine gute Ausrede, ich muss wissen, wann meine Haltestelle kommt. Denn im Gegensatz zu Dortmund HBF (letzter Post) kann man eine Bushaltestelle in Bern, Zürich oder Luzern ja tatsächlich verpassen, zumal man einen Knopf drücken muss, damit der Bus überhaupt hält – muss man im ICE nach Dortmund nicht.
In Basel und Solothurn zieht diese Ausrede nicht, ich weiss aus dem Augenwinkel, ob der 36er erst kurz nach dem Margarethenkreisel oder schon kurz vor dem Neubad ist, ich weiss aus dem Augenwinkel, ob der 1er oder 4er oder 5er vor, über oder hinter der Aare ist.

Warum schaue ich auf den Bildschirm?
Ja, warum schaue ich auf den Screen? Das ist nun echt eine Frage, für deren Beantwortung man tief in die Psychologie und Anthropologie hineintauchen müsste. Ist es der Urmensch in mir, der jede Bewegung im Augenwinkel als entweder Nahrung (…draufspringen, töten, häuten…) oder Gefahr (…rennen, rennen, rennen…) deutet, also entweder als Kaninchen oder als Säbelzahntiger? Oder gibt es da Prägungen in der Jugend?
Ich weiss es nicht, Fakt ist, wir Menschen schauen immer irgendwo hin, obwohl es totaler Quatsch ist.

Eine für die meisten Menschen total unnötige Sache ist der Doppelscreen, der in fast allen Bussen hängt. Auf der einen Seite werden die nächsten Halte gezeigt (die die meisten ja auswendig kennen), auf der anderen Seite kommt laufend blödes und unnötiges Zeug, Buchstabenrätsel, überflüssige Fakten, Werbung.

Und obwohl ich mir jeden Tag vornehme, nicht mehr auf den Bildschirm zu schauen: Ich ertappe mich immer wieder dabei.