Freitag, 29. Mai 2020

Wagnerloses Jahr


Wehe! Ach Wehe! Weiheloses und weinendes Weh!
Ringlos ruft mich das rollende Jahr!
Wo find ich Walhall, Wotan und Walkür`?
Wo find ich Siegfried, Siegmund und Sieglind`?
Wehe! Ach Wehe!
Früh und frech sagten ab die Friesen!
Monat für Monat nun macht- und motivlos.
Kult und Kultur kürzt uns Corona.
Wehe! Ach wehe! Weiheloses und weinendes Weh!

Jetzt aber mal ein wenig sachlicher. Wie Sie sicher wissen, brauche ich zu meinem jedes Jahr einen kompletten „Ring des Nibelungen“, jedes Mal in einer anderen Stadt und anderen Inszenierung. So war ich – nach vielen davor – 2016 in Frankfurt, 2017 in Leipzig, 2018 in Karlsruhe und 2019 in Kiel. Für den Herbst 2020 war Oldenburg geplant, und das ist nun schon längst abgesagt, sehr früh, aber da der Herbstzyklus nur eine Wiederaufnahme des Frühjahrszyklus gewesen wäre, war es klar: Selbst wenn man spielen könnte, hätte man nicht geprobt.

Ich habe mir nun für den Sommer und den Herbst ein spezielles Ersatzprogramm zusammengestellt, dass ein wenig das Ring-Feeling aufgreift.

August:
3 Tage Wellness in der Therme Bad Berich
Besichtigung des neurenovierten Schlosses Wallhausen
Führungen durch die ehemaligen Unter Tage-Anlagen in Miemen
4 Tage-Apfel-Kur in Bad Freyern

September
Teilnahme am Stadtmarathon Hundingen
ein Wochenende Paartherapie
Reiten in der Sächsischen Schweiz

Oktober
Schmiedekurs beim Verein Waffenkunst e.V.
Besuch im Dino-Land Ostwald
Wanderung mit Sonnenaufgang zum Rübenfelsen

November
Webkurs bei den Schwestern Erdingern (Spann&Zieh GmbH)
Schlauchbootfahren auf dem Rhein bei Worms
Hochzeitsfeier von Gundula in Brünn
„Tanzen ums Feuer“ (organisiert vom Verein Weltrettung)

Klammer auf: Wer nicht ganz drauskommt, kontaktiere den Opernführer von Reclam oder das Internet (Wikipedia, Der Ring des Nibelungen)
Oder frage meinen Erzengel. Das ist vielleicht sogar das Beste.

Wenn ich jetzt aber die Kosten überschlage, dann bin ich bei einer Summe, die meine Möglichkeiten um ein Vielfaches übersteigt. Faktisch bin ich bei 8000 Franken, die Zeit in Oldenburg hätte mich mit Tickets, Fahrt und Ferienwohnung, plus Ernährungskosten nur rund einen Tausender gekostet.
Gut, ich bin auch viel länger als eine Woche unterwegs, und es ist Wellness und Apfelkur dabei, aber auch die Schlauchbootfritzen wollen 700 Euro, dabei übernachten wir in Zelten und kochen auf Spiritusgeräten, also wahrlich kein Luxusurlaub. Auch die Weltretter wollen 90 Mäuse für ihre Feuertanzerei.

Dies zeigt uns: Kultur ist zu billig. Ganz simpel und einfach gesagt.
Alle freuen sich so, dass man jetzt bald wieder Konzerte und Theater bekommt, aber wir müssen auch bereit sein, das zu bezahlen.

Warum schrien die Freischaffenden sofort, wirklich sofort nach Staatshilfe? Warum verbrauchten sie nicht zunächst ihre Rücklagen? Lösten ihre Sparkonten auf? Verkauften ihre Aktien? Verscherbelten ihre Diamantringe? Weil sie so etwas nicht haben. Sie haben keine Rücklagen, Sparkonten, Aktien oder Schmuck, sie leben von der Hand in den Mund, und das hat jetzt einen ganz negativen Klang, so wie obdachlos oder Hartz IV, aber sie leben von der Hand in den Mund, weil wir zu wenig zahlen.

Da muss ich Menschen klarmachen, warum ein Kirchenkonzert meines Chores 30 Franken kostet, ein Kinobesuch kostet schon 19. Da legen Leute, die locker für ein Dreigang-Menu 70 hinlegen, 10 Franken in das Kollekten-Körbchen und kommen sich noch wie Maecenas vor.
Nein, Freunde:
Denken Sie beim nächsten solchen Anlass daran: 20 ist Minimum.
Pro Person.
Also 40 für zwei. 

Und das könnten sie eigentlich auf einen Fuffie aufrunden.
Die Musen danken es Ihnen.



Dienstag, 26. Mai 2020

Damnatio Memoriae bei Palmer und Kalbitz


„Ich habe gehört, Sie seien neulich in die SPD eingetreten?“
„Ja, aber nur aus geschäftlichen Gründen.“
„Wie das?“
„Wissen Sie, in einer Partei ergeben sich viele Kontakte, da lernt man Leute kennen und redet mit ihnen, da trifft man viele Menschen, und das ist fürs Geschäft nützlich.“
„Sie sind aber doch eigentlich eher konservativ?“
„Ja, das führt zu endlosen Debatten und Streitereien auf den Versammlungen.“
„Und wie gehen dann die Geschäfte?“
„Entsprechend mies.“

Diesen entzückenden Dialog fand ich in einem uralten MAD-Heft.

Tja, Partei und Parteimitgliedschaft sind so eine Sache. Oft ist man in der verkehrten Partei, oder man ist in der richtigen – nach eigener Ansicht – nur will die Partei nicht begreifen, dass MEINE Linie eigentlich die richtige Parteilinie wäre; dann kommt es aber auch vor, dass man als Schwarzes Schaf, als Enfant terrible, als Querdenker, Querredner, dass man als Querulant und Rebell der Partei irgendwo nützt und Stimmen bringt. Und dann gibt es noch den Fall, dass die Partei selbst zerstritten ist und der eine Teil einen vergöttert und der andere einen lieber loswerden will…

Tja, tja, tja, und manchmal bräuchte es da halt einen Rauswurf. Und das ist komischerweise gar nicht so einfach. Manche Partei beisst sich an den Querdenkern, Querulanten, an den Enfants terribles, den Schwarzen Schafen, an den Rebellen und Revoluzzern die Zähne aus. So ist der verhasste Thilo Sarrazin offiziell immer noch SPD-Mitglied, das Verfahren ist immer noch hängig und der Ausschluss nichts rechtskräftig.

Die BW-GRÜNEN haben es richtig gemacht: Einstimmiger Beschluss, den ungeliebten Boris Palmer, den Obsthändler-Oberbürgermeister von Tübingen zum Austritt aufzufordern. Er geht zwar nicht, aber die Partei hat ihre Meinung klar gesagt: Du gehörst mit deinen blöden Sprüchen nicht mehr zu uns, aber wenn du unbedingt bleiben möchtest, dann bleib halt. Sei so wie ein Partygast, der nicht gehen will, obwohl es schon 1.00 ist und die Gastgeberin schon ihre Feuchtigskeitsmaske draufhat, bleib, ohne Getränk und ohne Häppchen, ohne Gesprächspartner und ohne Unterhaltung.
Die AfD hat es falsch gemacht: Mit 7 zu 5 Stimmen jemand auszuschliessen, jemand, der in seinem Landesverband extreme Rückendeckung hat, und dann sich auf einen Zettel berufen, den man gar nicht mehr in den Fingern hat, das ist sehr, sehr, sehr, sehr dumm…   

Vorbild kann hier der Genosse Stalin sein. Der gute Josef Wissarionowitsch hat hier ein System entwickelt um allen Querdenkern, Quersagern, allen Rebellen und Nörglern, um allen Enfants Noirs und Furchtbaren Schafen, allen Unliebsamen, Ungeliebten und Nurgeduldeten zu zeigen, wo der Barthel den Most holt. Wie der Hase läuft. Wie die Sache geht. Ein für alle Mal.
Stalin praktizierte in zwei Schritten:
Erstens: Die Liquidierung.
Zweitens: Die Damnatio Memoriae.
Die betreffende Person wurde also nicht einfach aus der Partei ausgeschlossen, sie wurde auch daran gehindert, wieder neu einzutreten – Tote tragen nicht nur keine Karos, sie können auch keinen Aufnahmeantrag stellen. Wenn nun ein Aus-Schuss über den Genossen verhandelte und der Aus-Schuss einen Aus-Sch(l)uss besch(l)oss, dann war man ja schon ziemlich nahe am Schiessen; und so konnten viele Kinder und Witwen, viele Verwandte, Anhänger und Freunde sagen: „Vor vier Jahren wurde mein Vater/Mann/Bruder/Onkel/Genosse/Freund/Mentor/Kollege aus der KPDSU aus-geschossen.“

Nein.
Halt.
Stopp.
Konnten Sie eben nicht. Denn den Vater/Mann/Bruder/Onkel/Genossen/Freund/Mentor/Kollegen hatte es nie gegeben. Seine Geburtsurkunde unauffindbar. Aus Listen gelöscht. Auf Fotos nicht mehr drauf – und nur Lupen hätten hier Kratzspuren erkennen können, Josef Wissarionowitsch hatte die besten Retuschierer der Welt, und bei Filmdokumenten kam witzigerweise immer so ein blöder Wachsoldat vor die Kamera, wenn man den Vater oder Mann oder Vetter oder Paten oder Genossen oder Kameraden oder Kollegen hätte sehen können…

So muss man es machen. Tötet Boris Palmer, liebe BW-GRÜNEN. Tötet Andreas Kalbitz, liebe AfD. Und dann delete, löschen, in den Papierkorb, so dass, wenn in zwei Jahren jemand den Namen erwähnt, man einfach sagen kann: „Einen Menschen mit diesem Namen gab es nie bei uns.“
Aber nochmal stopp. Halt.
Ich glaube, eine richtige Damnatio Memoriae ist in unseren globalisierten und vernetzten Zeiten, in Zeiten von Google und Facebook, in der Epoche des Internets gar nicht mehr möglich. Die Spuren eines Politikers haben sich so weit verzweigt, dass die Existenz nicht mehr zu leugnen ist.

Übrigens eigentlich – trotz allem Datenklau und aller Überwachung – eine beruhigende Idee: Meine Existenz kann niemand ernsthaft leugnen, es finden sich Spuren, Bilder, Filme, es finden sich Dokumente und Dateien, die zeigen: Diesen Rolf Herter hat es doch gegeben. Das ist die angenehme Kehrseite einer sehr hässlichen Medaille.

„Sie sind aber doch eigentlich eher konservativ?“
„Ja, das führt zu endlosen Debatten und Streitereien auf den Versammlungen.“

Was aber nun machen mit solchen Streitern und Debattierern?
Lassen.
Denn Ausschlussverfahren ist mega-kompliziert.
Liquidieren geht zwar, ist aber in Mitteleuropa – das vergass ich oben zu erwähnen – dummerweise strafbar.
Und eine vernünftige Damnatio Memoriae ist nicht zu schaffen.