Freitag, 27. September 2019

Bierbiker, Scuddy und E-Scooter


Gestern stiess ich auf www.pobo-online.de das ist die Online-Ausgabe des Popelheimer Boten, auf folgende interessante Meldung:
Letzten Montag wurde die Popelheimer Polizei zu einem heiklen Unfall gerufen; mehrere Scuddy-Touristen waren mit einem Bier-Bike zusammengestossen. Durch den heftigen Aufprall war das Bier-Bike gekippt und mehrere hundert Liter Popelheimer Altbier ausgeflossen. Zwei Bier-Biker und drei Scuddy-Touristen mussten zur Beobachtung ins Krankenhaus, ernsthaft verletzt wurde niemand.

Haben Sie verstanden, worum es in dem Text geht? Oder denken Sie, was unsere Strassen betrifft, immer noch in der Trias Fussgänger – Fahrrad (Velo) – Auto? Dann sind Sie nämlich so was von hoffnungslos im 20. Jahrhundert stecken geblieben. Unsere Innenstädte werden inzwischen von geschätzten 70 verschiedenen Mobilitätsmöglichkeiten bevölkert, und jedes Jahr kommen zwei neue hinzu. Ja, liebe Leserin und lieber Leser, man muss flexibel bleiben im Denken, unsere Welt wird komplexer! Wer noch von der Trias Fussgänger – Fahrrad (Velo) – Auto ausgeht, ist genauso hinterm Mars wie der- oder diejenige mit der Einteilung Fleischesser – Vegetarier (auch hier sind ja die Veganer, Fructarier, Rohköstler usw., usw., usw. dazugekommen) oder genauso hinter der Venus wie jemand, der oder die von den Programmen ARD, ZDF und Drittes redet.

Aber nun kurz zur Erklärung: Ein Bier-Bike ist eigentlich nichts anderes als eine Kneipentheke mit Rädern und Pedalen; an der Kneipentheke sitzt dann eine Horde Männer (oder Frauen?), tritt in die Pedale und säuft, grölt und singt laute Lieder und stört damit alle: Die Passanten, die Verkehrsteilnehmer und die Anwohner. Besonders beliebt sind Bier-Bikes bei den sogenannten Junggesellenabenden, Anlässe, die das BGB sowieso schon längst hätte verbieten müssen.
Scuddy-Touren sind Touristenführungen mit E-Gefährten, auf denen man steht und durch Bedienung eines Griffes Gas gibt und lenkt. Sie sind genauso lästig und blödsinnig wie Bier-Bikes, wer schon einmal warten musste, bis eine solche Deppentour vorbei war, kann das bestätigen, der einzige Vorteil ist, dass die Scuddy-Tour-Teilnehmer nicht singen (und auch kein Bier trinken können, man hat beide Pfoten am Lenkstab.)

Ein Freund von mir arbeitet bei der Stadtverwaltung einer deutschen Grossstadt und sollte vor ein paar Monaten eine Broschüre MOBILITÄT FÜR ALLE – WIE KOMMEN WIR ANEINANDER VORBEI herausgeben, er begann mit einer Liste der unüberschaubaren Möglichkeiten:
·         Fussgänger normal, Fussgänger mit Gehhilfe, Fussgänger mit Rollator
·         Inliner*, Skateboard
·         Fahrrad normal, Liegefahrrad, Tandem, Fahrrad mit Anhänger, E-Bike, E-Liegefahrrad (gibt’s das?), E-Bike mit Anhänger (gibt’s das?)
·         Rollstühle geschoben, Elektrorollstühle, Senioren-Golfplatzwagen
·         Trottinett, E-Scooter, Touristen-Scuddy
*für Altmodische: Rollschuhe

Dann brach er ab, gab auf und liess sich in eine gute Burnout-Klinik einweisen, inzwischen geht es ihm wieder ganz passabel, seinen Job in der Verkehrsplanung wird er aber nicht mehr ausüben, er hat sich in eine ruhigere Position versetzen lassen, in die Überwachung der Striplokale und Bordelle. Tatsächlich hat sich im Rotlichtmilieu in den letzten 100 Jahren weniger geändert als auf unseren Strassen in den letzten 20.

Was mich so wundert, ist das: Ein Medikament, das im Handel auftauchen darf, hat sich die folgenden Fragen gefallen lassen müssen:
Bin ich nützlich und für wen?  
Bin ich gefährlich und für wen?
Wie wendet man mich an?
Ein Medikament ohne Wirkung, das aber scharlachrote Ausschläge verursacht und von dem nicht klar ist, ob man es essen oder auf den Arm schmieren soll, darf nicht verkauft werden.
Ganz anders bei den Fahrzeugen: Erst einmal wird fröhlich verkauft, dann überlegt man sich die Fragen:
Wo soll das Ding fahren? Strasse, Radweg, Trottoir?
Wo kann man es parkieren?
Welche Bedingungen muss der Fahrer / die Fahrerin erfüllen?
Diese Fragen könnte man sich aber auch VORHER stellen, bevor 10'000 solche Dinger in den Innenstädten herumturnen.

Ein anderes Problem ist das Nichtvorhandensein von gewissen Möglichkeiten. Wenn man diskutiert, ob z.B. E-Scooter auf die Radwege sollen, muss man sich überlegen, ob es überhaupt Radwege hat. 

Letzten Montag kam es in Popelheim zu einem Unfall; Scuddy-Touristen waren mit einem Bier-Bike zusammengeprallt. Durch den heftigen Stoss kippte das Bier-Bike gekippt und 250 Liter Popelheimer Altbier flossen aus. Zwei Bier-Biker und drei Scuddy-Touristen klagten über Übelkeit und Bauschmerzen und wurden im Popelheimer St. Alban-Spital untersucht, ernsthaft verletzt wurde niemand.

Was sind die nächsten Unfälle?
E-Scooter kollidiert mit Liegefahrrad?
Rollatorgänger mit Inliner?
LKW mit Rikscha?

Dienstag, 24. September 2019

Önologen-Quatsch


Es ist schon spannend, wie die Posts sich gerade verzahnen und wie ich in jedem Beitrag wieder etwas von anderen aufnehmen kann, so hat uns die Dieffenbachie zu der schwachsinnigen Nomenklatur in der Botanik geführt und dann das Wort blattpupsen zum Unvermögen der WORD-Germanisten, später stiessen wir dann beim Wort rostschimmern auf die Önologen.

Ach, die Weinkundler!
Von allen Formulierungs-Künstlern und Wortjongleuren sind sie die, die die Grenze zum Schwachsinn am weitesten überschritten haben. Keiner schreibt und redet einen solchen Stuss, keiner hat einen solch überbordend unsinnigen Stil wie sie.
Wollen Sie ein Beispiel?
Wir nehmen uns die Texte einer Homepage vor, auf der jeweils zwei Önologen je einen Wein besprechen, wir nennen die beiden Vollaffen A und B. 

A:
Gereiftes Rot mit besorgniserregenden Braunreflexen.
O Gott! Worum muss ich mir Sorgen machen? Brauche ich einen Schutzraum, Vorräte oder eine kugelsichere Weste?
Dann aber schon in der Nase der Eindruck von frischer Präsenz,
Präsenz oder nur der Eindruck? Ich habe 2 Stunden überlegt und komme nicht dahinter, was der Unsinn soll, entweder ist was da oder nicht, oder?
gereift zwar, aber auch einnehmend mit einem Hauch von Peperoni. Am Gaumen zeigen sich Kaffee- und Lakritznoten, auch Leder. Dahinter lauert jedoch eine noch sehr vife Brombeer- und Pflaumenmarmelade-Frucht.
Deshalb die Besorgnis, da lauert eine Frucht! Sie lauert wie ein Attentäter! Ich werde ihr ein Messer in den Leib rammen – in berechtigter Notwehr…
Elegant, seidig, relaxed, souverän. Ganz grosses und sehr zugängliches Bordeaux-Kino.
Ganz, ganz, ganz sehr grosses Sprachquatsch-Kino!

B:
Mittleres, ins Orange-Braune ziehendes Rubinrot mit hellen Rändern. In der Nase beeindruckende St-Estèphe-Typizität
Ok, ok, das Wort «Typizität» existiert. Aber ist es nicht ein blöder Ausdruck? Ist es nicht bescheuert «du hast Basel-Typizität» zu sagen statt «du bist ein typischer Basler»?
mit Aromen nach Zedernholz, Leder, Tabak und Bouillon, aber wenig Frucht und minimalen oxidativen Anflügen.
Wahrscheinlich werden die Leute sogar diese ganzen Aromen schmecken. Die Frage ist nur: Warum? Weil man die wirklich schmeckt oder weil man sie schmeckt, weil man es vorher gesagt bekam? Wahrscheinlich das zweite.
Am Gaumen dann voll da: extraktreich, breit und ausladend bei traumhafter Eleganz und Länge und allerhöchstem Genussfaktor. Befindet sich auf dem absoluten Peak – und das nach 31 Jahren in der Schöppli-Flasche!


A:
Die Vignerons Catalans sind ein Zusammenschluss von rund 1000 (!) Winzerinnen und Winzern, die rund 10'000 Hektaren (!) bewirtschaften und vorwiegend Weine im Billigsektor produzieren. Der Red Domus mit viel Toasting,
«Toasting» ist ein Begriff aus der Popmusik, es bedeutet einen im Reggae verwendeten Sprechgesang, gut, wenn man genug von dem Red Domus getrunken hat, ist man vielleicht wirklich am Toasten.
sehr viel Frucht, etwas Pfeffer und stoffiger Opulenz.
Das Wort stoffig existiert jetzt wirklich ganz und gar nicht. Die Önologenfraktion interessieren aber solche Details nicht, jedes Nomen wird hier mit einem -ig versehen: stoffig, rosinig, rumig, ginig, orangig. Natürlich sind diese Wortbildungen im Deutschen möglich, aber muss man alles machen, was möglich ist? 
Dabei durchaus gut strukturiert, nicht zu üppig. Die Gerbstoffe dürften ihn sogar noch etwas zulegen lassen. Moderner, gekonnt gemachter Spasswein für sehr wenig Geld.

B:
Mittleres Granatrot. Umwerfende Nase mit Reifenoten, Frucht und leichten Röstaromen vom zurückhaltenden Holzeinsatz. Am Gaumen fruchtig und mundfüllend, aber noch ziemlich gerbstofflastig. Die Länge und die Eleganz gehen diesem professionell vinifizierten Wein etwas ab.
Verben mit -ieren bedeuten, dass mit einer Sache etwas gemacht wird oder eine Sache zu etwas gemacht wird. Heisst das also, dass Wein mit Wein verschnitten wurde oder dass Traubensaft zu Wein wurde? Gibt es nicht-vinifizierten Wein?

Fazit:
Lieber A, lieber B!
Schön, dass ihr Weine probiert und schön, dass ihr Notizen macht. Klar auch, dass ihr nach dem Probieren besoffen seid. Sollte aber das Ausarbeiten der Notizen nicht am nächsten Tag und nüchtern, ausgeschlafen und mit einer Tasse Kaffee erfolgen? Würde eurer Sprache guttun.

Freitag, 20. September 2019

Warum arbeiten bei WORD keine Germanisten?


Den folgenden Text haben Sie diese Woche gelesen, was Sie nicht gesehen haben, waren die roten Schlangenlinien mit dem WORD unbekannte (also wahrscheinlich falsch geschriebene Wörter) unterlegt hat. Ich markiere Ihnen diese einmal fett:

Spätsommerzeit ist Pilzzeit! Und so stehe ich mit einem vollen Korb bei meinem Lieblingspilzkontrolleur Jumbi. «Quirlhüpfender Dreckling», er nimmt den ersten Pilz in die Hand, «sehr schmackhaft, in Butter dünsten und ein wenig Majoran.» Beim zweiten Pilz schüttelt er den Kopf: «Rostschimmernder Grünling, hochgiftig, schon der erste Bissen befördert dich ins Jenseits.» Der dritte wiederum begeistert ihn: «Schlüpfriger Blaudunstling, eine Seltenheit, eine Delikatesse! Egal ob mit Rahm, als Gratin oder als Salat – ein Gourmetpilz!» Es folgen etliche Normalpilze, die wir schweigend zur Seite legen, bis der letzte Pilz noch einmal seine Aufmerksamkeit erregt: «Blattpupsender Hopsling, sehr guter Speisepilz, aber keinen Alkohol dazu, sonst hast du drei Stunden die übelsten Magenkrämpfe.»

Erstaunlich, nicht?
Gut, Wörter wie Jumbi oder quirlhüpfen sind klar, WORD hasst solche Wortgebilde und straft einen sofort. Interessanter ist das Wort Pilzzeit. Googeln Sie es einmal, dann kommen Sie zu etlichen Websites wie https://www.experto.de/praxistipps/wann-ist-pilzzeit.html (Ja, liebe Leserin, lieber Leser, die gibt es jetzt wirklich, ist einfach hier kein Link, denn Sie sollen ja meinen Post weiterlesen und sich nicht auf den nächsten Pilzausflug vorbereiten…) Pilzzeit ist ein normales, gebräuchliches Wort, eine Zusammensetzung aus Pilz und Zeit, ein – wortbildungstechnisch gesprochen – Determinativkompositum mit der Bedeutung «Zeit für Pilze».
Genauso interessant wie das Unterlegen eines solchen Normalo-Wortes mit der üblen roten Schlangenlinie ist das NICHT-Unterlegen anderer Wortgebilde. Finden Sie blattpupsen einen gebräuchlichen Ausdruck? Google findet das nicht:
keine treffer für blattpupsen
Rostschimmern wird auf einer einzigen Seite benutzt und zwar auf einer Weinseite (also eine Homepage über Weine, nicht eine, wo man weint…). Gut, die Site wird von einem Önologen gemacht und Önologen haben ja bekanntlich eh einen totalen Hau, was Wortschöpfungen betrifft, die sind ja noch tausendmal schlimmer als ich, mit Wörtern wie rosiniert-oxidativ (ich bekomme die rote Schlangenlinie!) oder alkoholisch-rosinige (Schlangenlinie!!!!).
Über die Sprache von Weinproben und Weinbüchern müsste man auch mal einen Post schreiben.

Wer also macht die Wortlisten bei WORD? Mit Sicherheit kann man sagen:
Es sind keine Germanisten.
Es sind keine Linguisten.
Es sind keine Deutschlehrer.

Das Gleiche gilt übrigens für die blauen Schlangenlinien. Schauen wir uns einmal diesen Satz an (er stammt aus dem Post über Computer-Hotlines):
Und nun startet das Drama in mehreren Szenen, das Sie wahrscheinlich alle kennen.
Die Formulierung ist völlig korrekt, aber WORD möchte hier ein «dass».

Nun werden Sie sagen, alles doch gar nicht so schlimm, man kann ja Deutsch, man kann die Korrektur auch ausschalten, man hat einen Verstand, aber ich als Deutschlehrer muss Ihnen da leider widersprechen. Da sitzen nun arme Schüler von mir am PC und korrigieren ein Pronomen-Das in ein Konjunktion-Dass, obwohl sie eigentlich dachten richtig zu denken, aber WORD kann ja nicht so falsch liegen…
Bei der Pilzzeit bekommen Sie übrigens – wie bei ganz, ganz, ganz vielen Komposita den Korrekturvorschlag
Pilz Zeit
Das ist nun eine Sache, die im Deutschen einfach nicht geht, wer zum Teufel hat den WORD-Machern eingeredet, dass man einfach zwei Hauptwörter nebeneinandersetzen kann?
Strassenpudding geht und Strassen-Pudding geht, aber Strassen Pudding geht nicht, Nebelorange geht und Nebel-Orange geht, aber Nebel Orange geht nicht.

Ich habe neulich in SWR2 einen Beitrag über die Armut in L.A. und im Silicon Valley gehört. Das ist jetzt kein Witz, in der reichsten Gegend der USA gibt es enorm viele Leute, die knapp über oder unter dem Existenzminium leben. Es herrscht bei den IT- und Internetgiganten dort nämlich eine 2- Klassen-Gesellschaft: Die IT-Leute, die Programmierer und Webdesigner haben horrende Löhne, bekommen Firmenwagen gestellt und essen fast gratis in Kantinen, die von *****-Köchen geleitet werden. Die anderen Angestellten haben Hungerlöhne, kommen mit dem Bus und müssen sich ihren Lunch mitbringen; zu diesen «anderen» gehören Putz- und Wachleute, Kantinenpersonal, Bürogummis und…
ganz offensichtlich Sprachberater, Germanisten, Romanisten, Sinologen usw. und gernerell Linguisten.
Vielleicht sollte man die Menschen, die sich um das Sprachtechnische von WORD kümmern, ein wenig besser als die Putzfrau zahlen.