Freitag, 28. November 2014

Ich bin seitschrittlich



Uh, meine letzten beiden Posts waren etwas fortschrittsfeindlich.
Dabei bin ich gar nicht fortschrittsfeindlich, ich mag den Fortschritt. Ich mag aber auch den Rückschritt und den Seitschritt.
Mit dem Fortschritt ist es ja so eine Sache. Es ist manchmal überhaupt nicht klar, was fort- oder rückschrittlich ist.
Wer erinnert sich nicht an den CEO, der an der Aktionärsversammlung seine Shareholder mit den Worten begrüsste:
„Letztes Jahr standen wir am Rande des Abgrunds, aber heute sind wir einen Schritt weiter.“
Ist es fort-oder rückschrittlich, statt den modernen Instrumenten ALTE Instrumente zu verwenden, obwohl die Erfindung der Klappentechnik und des modernen Bogens von der Instrumentenbauerzunft sicher als Fortschritt angesehen wurde?
Was ist es, wenn man wieder regional und saisonal kocht, obwohl ja die Erfindung des Düsenjets, der die Erdbeeren aus Israel bringt, sowie die der Kühltruhe, die mir mein Sommergemüse bis Weihnachten aufhebt, ja sicher fortschrittlich waren?
Was geht voran und was zurück?
Stehen Sie mal auf und drehen sich um. Drehen Sie sich aber dann zurück, sonst können Sie nicht weiterlesen.
Haben Sie gemerkt? Vorne wurde hinten, und dann noch mal vice versa, so schnell geht das.

Ich glaube also durchaus an den Fortschritt.
Ich glaube auch an den Rückschritt.
Und:
Ich glaube an den Seitschritt.

Der Seitschritt ist die geheime, vernachlässigte Kraft, der Seitschritt ist das, wonach wir suchen sollten. Tanzen Sie? Ich meine jetzt richtig, nicht so rumzappeln in der Disco, sondern so schönes Tanzen, das, was wir mit dem bescheuerten Wort Standardtanz bezeichnen, wofür die Engländer aber den herrlichen Begriff ballroom dancing erfunden haben. Können Sie so was? Na, dann werden Sie doch wissen, dass ein Walzer, ein Cha-Cha-Cha, eine Rumba, dass ein Foxtrott oder Jive ohne mal ein gutes Schrittchen zur Seite einfach nicht geht, vor –seit – rück –seit usw.
Wenn Sie an ein Hindernis kommen, was machen Sie?
Sie gehen zur Seite und seitlich daran vorbei. Nicht?
Ach, Sie hopsen drüber, Sie hangeln sich an Mauern hoch und flugrollen über Parkbänke? Nein, das tun nur die Anhänger der Parcourbewegung, die gehen wirklich direkt von A nach B, sind also extrem fortschrittlich, und wenn man es kann, sieht es auch wirklich gut aus, wenn nicht, landet man superschön auf der Fresse oder auf dem Hintern und in einem der vielen Fail-Kanäle im Internet, auf denen man schadenfreudensselig Stürze und Unfälle beschlapplachen kann.

Oder  denken Sie nur an die Geschichte: Da hat ein junger Mann drei Tage durchgefetet, und dann muss er am Morgen des dritten Tages ganz hektisch aufbrechen, weil er am Abend einen dringenden juristischen Termin hat – seine Hinrichtung nämlich – und blödsinnigerweise hat er noch einen Kumpel als Pfand dagelassen.
bis er komme zu lösen die Bande
jedenfalls kommt er an den Fluss und der Fährimaa ist gerade in Kur und
kein Schiffer lenket die Fähre.
So, und nun geht er erstmal seitwärts, seitwärts, seitwärts , am Ufer mit  
wanderndem Stab
und erst als er sieht, dass die Brücke kaputt ist und er das Strassenverkehrsamt dreimal verflucht hat, stürzt er sich vorwärts in den Fluss  und
teilt ihn mit gewaltigen Armen und ein Gott hat Erbarmen.
Und wenn dem nicht so gewesen wäre, wäre er einfach ersoffen.
Fortschritt auf Teufel-komm-raus braucht manchmal eben dann göttliches Erbarmen.

Was sind denn aber nun die Seitschritte?
Wenn grenzenloses Multikulti fortschrittlich und Abschottung rückschrittlich ist, was ist der Seitschritt?
Wenn der Fortschritt in den Robotern auf fernen Kometen und der Rückschritt im Wir-entwickeln-jetzt-gar-nichts-mehr liegt, was ist der Seitschritt?
Ehrlich: Ich weiss es nicht.
Vielleicht müsste man beim nächsten Hindernis einfach mal zur Seite gucken.

Ich werde jedenfalls jetzt ein wenig tanzen.
Eine Samba.
Huch, da stelle ich fest, dass speziell bei ihr noch ein Auf-und-Ab dazukommt!
Tja, es ist eine bunte Welt, sie ist dreidimensional, hat ein vorne und hinten und zwei Seiten, und ein oben und unten! Und der Kopf ist auf dem Hals beweglich, dass man ihn drehen kann.

Dienstag, 25. November 2014

Türme

In seinem unvergleichlichen Theaterstück Wir sind noch einmal davongekommen lässt Thornton Wilder das aufmüpfige Dienstmädchen sagen: "Mrs. Antrobus, ich sage es nicht gerne: Aber Sie sind keine schöne Frau.“ Analog dazu begrüsse ich jeden Morgen den Roche-Turm mit: "Roche-Tower, ich sage es nicht gerne: Aber Sie sind kein schönes Gebäude." Der Rocheturm ist von einer Hässlichkeit, die nur durch grosse Anstrengung erreicht werden kann, ja, da hat ein Architekt lange studieren und Praktika machen müssen, da hat lange gelernt und geübt werden müssen, um diese Geballtheit, diese Ballung von Geschmacklosigkeit zu erreichen, von nichts kommt nichts. Besonders hässlich wirkt der Turm, wenn er aus einem solchen Blickwinkel wahrgenommen wird, dass er mit dem Münsterturm zusammen ein Ensemble bildet, nein, das kann man jetzt so nicht sagen, sie bilden eben kein Ensemble, sondern der eine zerstört und kaputtisiert die Schönheit des anderen.

Dass die Chefetage der Firma das Machwerk toll findet, erstaunet nicht: Sie müssen es ja auch nicht anschauen, wenn sie drin hocken und wohnen tun sie eh in einem Bungalow im Jura, weit, weit weg.
Da fällt mir der Witz ein, der in Lörrach gemacht wurde: Wer hat den schönsten Arbeitsplatz? OB Heute-Bluhm, sie muss das Rathaus nicht sehen…

Ja, die beiden Schwarzungetüme sind auch so ein Thema, man hatte ja gedacht, nach der Errichtung der widerlichen Halbwolkenkratzer Messeturm (Basel) und Rathaus (Lörrach) hätte man die Pläne, das schöne Basel zu einem zweiten Frankfurt zu machen aufgegeben. Die beiden Türme erinnern ja sehr an die zwei Türme aus Herr der Ringe, die die Inkarnation des Bösen sind: In Mordor sitzt der Urböse Sauron, in Isengard sitzt sein Vasall Saruman. Wer nun wer in der Dreiländereckgeschichte ist, bleibt fraglich.
Aber ist nicht auch die Babylonische Sprachverwirrung in Basel eine Frucht des Turmbaus? Früher redeten alle Baseldytsch, und die Wiesentäler auf der anderen, der alemannischen Seite redeten quasi gleich.
Es hatte aber alle Welt eine Zunge und Sprache.
Dann baute man die zwei schwarzen Böser-Geist-Türme und die Dialekte drifteten auseinander, je mehr Türme man plante, umso mehr hörte man Balkansprachen, Chinesisch, Englisch, Italienisch und (ganz schlimm) Schriftdeutsch. Inzwischen kann es ja passieren, dass am Barfüsserplatz ein Albaner einen Japaner auf Französisch anspricht, dieser auf Portugiesisch antwortet, der Albaner Lateinisch probiert, der Japaner Chinesisch versucht, usw. bis man sich auf Niederländisch einigt, weil beide schon in Amsterdam gearbeitet haben.

Nein, nein, der Roche-Turm ist hässlich und zu meinem grossen Schrecken wird er noch viele Freunde bekommen: Den Claraturm, den Messeparkhausturm und eine zweite Scheusslichkeit auf dem Roche-Gelände. Alle von einer Schrecklichkeit, die alles überbietet, was man an grausamen Dingen gesehen hat.
Ach, Blasius! Du hast über die Wolkenkratzer der Chemie gedichtet:
Da dachtest du an fünfstöckige Häuser und nicht an ein Rheinhattan.

Ich würde ja milde auf die wüsten Gebäude blicken, wenn es in ihnen das gäbe, was wir brauchen, nämlich bezahlbaren Wohnraum. Gerade das gibt es aber eben nicht. Natürlich werden die Luxusappartements im Claraturm mit ihren grossen Fenstern, Parkettboden, Whirlpool und goldener Küche bezahlbar sein - von denen, die im Roche-Turm arbeiten, von Otto Normalverbraucher nicht.

In seinem unvergleichlichen Theaterstück Wir sind noch einmal davongekommen lässt Thornton Wilder das aufmüpfige Dienstmädchen sagen: "Mrs. Antrobus, ich sage es nicht gerne: Aber Sie sind keine schöne Frau.“ Analog dazu begrüsse ich jeden Morgen den Roche-Turm mit: "Roche-Tower, ich sage es nicht gerne: Aber Sie sind kein schönes Gebäude."

Donnerstag, 20. November 2014

Jungs wollen mit Technik spielen

Jungs wollen mit Technik spielen.
So zum Beispiel Ted.
 
Als Ted drei war, begann er sich für Konstruktionen zu interessieren. Da Lego ihm schon viel zu blöd war, schrie nach Baukästen, bei denen er schrauben und be-muttern, bei denen er verbinden und trennen, bei denen er Schraubenzieher, Sechskant und Drehschlüssel einsetzen konnte. Und er bekam CONSTRUXA, MECHANIXA und TECHNIXA und schraubte, be-mutterte, er verband und trennte und setzte seine Werkzeuge ein, den Schraubenzieher, den Sechskant und den Drehschlüssel.

Mit 12 erwachte dann sein Sinn für die wissenschaftlichen Basteleien, und er schrie nach mehr und er bekam mehr: den KLEINEN PHYSIKUS, den KLEINEN CHEMIKUS, den KLEINEN ELEKTROTECHNIKER und natürlich am Weihnachtsfest das wunderbare Spiel WIR BAUEN EIN ATOMKRAFTWERK, bei dem es, wenn man etwas falsch macht, auch zu einer richtig netten Explosion kommen kann, da fallen die Tiere um, da fallen die Leute um, ein Spiel für die ganze Familie. Sein Wissen und seine Fähigkeiten explodierten förmlich, er wollte basteln und konstruieren und forschen und er schrie nach einem Bastel-, Konstruier- und Forschungsplatz und seine Eltern schickten ihn in eine Jugendgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, nachdem er im ganzen Haus die Lampen, die Küchengeräte und Staubsauger auseinander- und umgebaut und die Badezimmerwaage mit dem Kühlschrank vernetzt hatte (sehr zum Ärger seiner diätgefährdeten Schwester)


Mit 18 wollte er dann unbedingt Panzer und Raketen bauen, weil da so viel interessante Technik drin ist, man bedenke nur, einen Punkt auf 300 Meter genau treffen, es kracht auch so schön, und dann fallen die Tiere um und dann fallen die Menschen um. Dann besann er sich aber und merkte, dass Waffen zwar technisch hochspannend, aber halt doch Waffen sind, die Schaden anrichten, und er wandte sich anderen Dingen zu:

Er wollte nun etwas Sinnvolles für die Menschheit machen, etwas, was die Leute nicht zerstört, sondern weiterbringt, sie fördert und stützt.

Zum Bespiel etwas mit Teilchen.

Oder mit Weltall.

Er entschied sich für Weltall, studierte in München, dann in Berlin und machte in Berkeley seinen Doktor, kam nach Deutschland zurück und tat sich mit anderen zusammen, die genauso dachten wie er.

Wie sie früher nach ELEKTRIKUS und CHEMIKUS gequengelt hatten, quengelten sie jetzt nach Raketen und Robotern, sie schrien nach Computern und Messgeräten, nach Boden- und Raumstationen, hatten sie als Dreijährige beim Anblick von Konstruktionskästen und Bauklötzen „mehr, mehr, mehr, mehr…!“ geschrien, schreien sie jetzt bei 4 Milliarden Fördermitteln „mehr, mehr, mehr, mehr…!“ Und wie man ihnen als Kind keinen Wunsch abschlug, so schlägt man ihnen auch jetzt keinen Wunsch ab, wenn die Knaben nur spielen können und ruhig und glücklich sind, sie könnten ja auch Waffen bauen, und da fallen dann die Tiere um und die Leute um, ein Spiel für die ganze Familie.

So sitzen also in Darmstadt hunderte Leute und lassen einen Roboter auf einem Kometen herumfahren, so wie sie früher am See den Spielzeugjeep fahren liessen ("links, links, du musst links drücken, lass mich mal - nee, is meiner...) und wir alle freuen uns mit ihnen, dass das gute Stück jetzt erst mal eine Weile nix sendet, weil der Akku leer ist, macht nix, passierte früher auch. Das, was empfangen wurde, ist jedenfalls ungeheuer spannend und wichtig und bringt die Erkenntnis über die Enstehung des Weltalls weiter, sagen jedenfalls die grossen Spielbuben und wie sie uns früher den Aufbau ihres CONSTRUXA-Turmes erklärten, erklären sie jetzt den Aufbau des Weltalls, mit heissen, fast glühenden Backen, in der fiebrigen Begeisterung, die nur Kinder haben.

Jungs wollen mit Technik spielen.
Lassen wir sie.
Sie könnten auch Waffen bauen - siehe oben.
Sie könnten auch Bürotürme bauen - dazu am Dienstag. 


Dienstag, 18. November 2014

Putin und der Koala

Irgendetwas stimmt nicht.
Ich blicke angestrengt auf das Bild und die Schlagzeilen in den 20min. Putin kuschelt da mit einem australischen Eukalyptusfresser, dazu steht: PUTIN NUR MIT KOALA AUF SCHMUSEKURS.
Irgendetwas stimmt nicht.
Ich starre noch eine Weile, dann wird mir klar:
Der Koala.
Er fühlt sich nicht wohl. Seine Krallen versuchen verzweifelt über die Schulter des Oligarchen ins Freie zu gelangen und in seinen Augen lese ich nackte Angst. Hätte es eine Denkblase, stünde darin:
BLÖDE MENSCHEN, DIE EINEN EINFACH PACKEN. ICH WILLWEG.ICH WILL WEG.
Das stimmt nicht.

Irgendwie scheint es nicht zu klappen mit dem guten Putin und seinen Menschlichskeitsfotos. Der Koala sieht nicht glücklich aus und als er neulich der Frau des Chinesischen Staatspräsidenten ganz charmant, ganz nett, ganz kavaliermässig und gentlemenlike eine Decke über die Schulter legte - ach, ich hab ihr ja nuuuur eine Decke auf die Schuuuulter gelegt - da wurde das im Reich der Mitte sehr, sehr übel aufgenommen, dort ist das nämlich zu viel der Nähe und wird als Fauxpas gesehen.
Irgendwie scheint das nicht zu klappen bei Putin, er sollte seine PR-Berater feuern oder zumindest mal zu einer Fortbildung schicken.
Dabei will er doch nur das eine, er will, dass wir den Menschen, den Netten, den Charmeur, den Tierfreund, den Kuscheligen, den Schmusigen in ihm sehen. Hätte er - was er sicher nicht hat - ein bisschen historisches Wissen, dann wüsste er ja auch, dass da schon mal ein Tierlieber war, da gab es ja mal jemand, der sich mit Hunden ablichten liess, er war nicht nur tierlieb sondern auch kinderlieb, seine Tierliebe und seine Kinderliebe waren sprichwörtlich und bekannt.
Ein amerikanischer Kabarettist müsste jetzt umformuliert werden:
Somebody who hates children and coalas can't be a bad person.

Aber irgendwie machen das ja alle Politiker.
Sie gehen in Bierzelte, sie streicheln Tiere, sie lassen uns beim Arztbesuch und im Zirkus dabei sein, sie zeigen ihre menschlichste und netteste Seite, da müssen Koalas, Katzen, Hunde, Kinder herhalten, da sieht man heimische Küchen (Barbara Bush is baking) und Wohnzimmer.

Wer erinnert sich nicht mit Grauen an die Ferienbilder vom Wolfgangsee? Obwohl, so genau erinnere ich mich nicht, hat sich Kohl wirklich beim Baden fotografieren lassen oder träume ich das? Gibt es wirklich Bilder von Dr. Helmut in Badehose? Hat er seinen doch spektakulären Bauch wirklich ohne Zweireiher in die Kamera gestreckt?
Abgeschossen hat den Vogel ja Thatcher, die uns nicht nur mit zum Friseur nahm, wo Megatonnen von Hairspray auf ihre Dauerwelle gesprüht wurden, so dass Tomaten und faule Eier einfach an ihrer Frisur abprallten, nein sie nahm auch einen Besen in die Hand und liess sich vor downing street 10 ablichten, nach dem Motto: Sie ist auch eine ordentliche Hausfrau und fegt vor ihrem Haus, so als ob der Amtssitz nicht ca. 100 Leute Personal hätte.

Alle tun es.
Così fan tutti.

Nein, nein, stopp! Eine nicht.
Danke, Angie, dass du uns mit den peinlichen Ich-bin-ja-so-ein-normaler-kuscheliger-Mensch-Fotos verschonst.
Du bist da zu seriös dazu.

Irgendetwas stimmt nicht.
Ich blicke angestrengt auf das Bild und die Schlagzeilen in den 20min.
Irgendetwas stimmt nicht.
Ich starre noch eine Weile, dann wird mit klar:
Der Koala.
Er fühlt sich nicht wohl.

Wir auch nicht, Wladimir, wir auch nicht!

Freitag, 14. November 2014

Warum hat Beate Uhse nicht den Friedensnobelpreis bekommen?


Immer wenn ich am Überlegen bin, was ich als nächstes schreiben soll, immer wenn ich das Gefühl habe, alles sei schon bepostet, alles sei schon versatirt, beglosst, bewitzt, also immer wenn ich auf einen dummen Spruch oder eine törichte Aussage hoffe, dann fliegt mir eine zu, ganz von selber und auf dem Silbertablett. Immer wenn man denkt, alles sei schon gesagt und besprochen, dann macht einer einen Satz wie:

„Befriedigte Männer sind friedliche Männer.“

Dass Locher ein Kirchenmann ist (evangelisch!) und dies zum Thema Prostitution sagt, macht die Sache besonders schön.

Was für eine Aussage!

Wir müssen hier die Kultur- und Sozialgeschichte, ja die Geschichte überhaupt völlig umschreiben. Nicht die Cäsaren und Khans, die Könige und Kaiser, die Herrscher und Gewaltherrscher und Diktatoren waren das Problem, nicht die Säbelrassler und Überfaller, es waren ihre Frauen (oder Männer – auch das gab es.) Die Schuld liegt also bei Poppea, bei der Pompadour, bei der Beauharnais und Frau Braun, der Schwarze Peter liegt bei Königinnen, Maitressen und Lustknaben, sie alle waren einfach zu schlecht im Bett.
Man stelle sich vor, wie ein Römischer Kaiser schweissüberströmt in sein Kissen fällt und zu seiner Kaiserin sagt: „Schönste, wir bauen jetzt in Atrania noch eine Mauer und dann ist gut, Globicalia wird nicht mehr erobert.“
Man stelle sich vor, wie ein Hunne über die weissbespritzten Muskeln seines Leiboffiziers streicht und sagt: „Wir gehen zurück in den Osten, nach Basel müssen wir nicht mehr.“
Man stelle sich vor, wie Napoleon, nach einer Liebesnacht am Fenster stehend, Josephine noch schlafend in den Seidenlaken, in die Morgendämmerung blickt und denkt: „Ich will gar nicht nach Moskau.“
Wie viele Kriege und Eroberungen hätten verhindert werden können, wenn die Mächtigen genügend und guten Sex gehabt hätten!

Umgekehrt scheint Henri Dunant, scheinen Mahatma Gandhi und Martin Luther King ein intensives und erfülltes Liebesleben gehabt zu haben. Umgekehrt scheint jeder Friedensnobelpreisträger ein Experte auf dem Gebiet der Lust und des Tantra gewesen zu sein. Warum haben sie ihre Erfahrung nicht mitgeteilt, warum haben sie nicht darüber geredet, geschrieben? Aber halt mal, jetzt müssten aber eigentlich auch die Frauen (und Männer) von ihnen genannt werden, oder in Wahrheit müssten diese die Preise und Lorbeeren, die Ehrungen kriegen. Oder schicken wir doch gleich die Puffmütter und Escort-Damen nach Oslo, alles gipfelt also in der Frage:

Warum hat Beate Uhse nicht den Friedensnobelpreis bekommen?

Ein völliges Umdenken in der Sozial-, Sonder- und Präventionspädagogik: Gewalttätige Schüler, Mobber, Abripper,  Schläger und Treter, die Kerle, die sich ständig prügeln und schlagen, die ihre Aggressionen rauslassen müssen, brauchen einfach nur guten Sex. Schaffen wir also die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, die Psychologen und Jugendpsychiater ab und stellen wir ein paar vernünftige Halbweltdamen ein. Wenn man überlegt, dass das Sondersetting für den Gewalttäter Carlos, das nichts gebracht hat, 29.000.- im Monat kostete und  man für 2000.- bis 3000.- ihm einfach eine Nutte pro Tag organisieren und so einen Friedliches-Lamm-Carlos erhalten hätte können, wird man ganz krank…

Schliesst die Klöster!
Sie sind Horte des Unfriedens und der Gewalt. Wenn man sich vorstellt, wie viele unbefriedigte und sexuell nicht ausgelastete Männer oder Frauen dort auf einem Haufen wohnen, wird einem ganz schwindlig. Da müssen ja Prügeleien und Schlägereien, da muss ja Geschrei und Gebrüll an der Tagesordnung sein. Merkwürdig ist, dass in allen Abteien und Klostergemeinschaften, in denen ich war (Mariastein bei Basel, Mehrerau bei Bregenz, Einsiedeln, St. Gerold in Vorarlberg u.v.m.) eine himmlische Ruhe und ein herrlicher Friede war. Aber wahrscheinlich sind die Mönche und Nonnen im Ernstfall gute Schauspieler(innen). Warum allerdings gestresste Manager zu Exerzitien ins Kloster gehen, bleibt ein Rätsel.

Sie sehen, wie fundamental wir alle hier umdenken müssen. Die Gesellschaft muss nicht nur die Geschichte neu schreiben, sondern sich komplett verändern.

So, und jetzt gehe ich in den Puff. Ich will ja morgen auch wieder ein friedlicher und geduldiger Lehrer und Chorleiter sein.

 

Dienstag, 11. November 2014

Herbstmesse - ein Statussymbol für Superreiche?

Ich hatte am letzten Sonntag einen wunderschönen Tag, und das für wenig Geld. Ich war – jetzt werden Sie staunen – im Festspielhaus Baden-Baden, und zwar in einem Konzert des SWR-Sinfonieorchesters. Ich hatte mir auch noch überlegt, ob ich auf die Herbstmesse gehen sollte, aber die Finanzen entschieden dagegen: Ich konnte mir einen Messebesuch schlicht und einfach nicht leisten.
Sie glauben mir nicht? Lassen Sie mich die Rechnung aufmachen:

Eintrittskarte                                     35.-
Fahrt Nahverkehr (Bahncard)        30.-
Döner zum Z’nacht                             5.-
Pausengetränk                                    4.-

_______________________________

  Gesamt                                             74.- Euro

Man fragt sich natürlich, warum das Ticket so günstig war, es war halt nur das SWR-Orchester und nicht die Wiener, Berliner oder Amsterdamer, nicht Rattle oder Barenboim oder Thielemann, sondern nur Franz Xavier Roth, der ganz unprofessionell ohne Stab dirigierte. Dennoch spielten die Musiker wundervoll (Klassiker der Moderne und ein neueres Stück von Haas) und man darf sich darauf freuen, wie wundervoller das noch wird, wenn dieses Orchester mit dem Stuttgarter fusioniert ist, denn – wir kennen das von vielen Firmen – eine Fusion ist per se das Gelbe vom Ei des Kolumbus, der Jackpot, die Königslösung, weil die Besten der einen Gruppe mit den Besten der anderen Gruppe ein noch besseres, noch effizienteres, noch grandioseres, noch leistungsstärkeres Team bilden, kommen Sie mir jetzt nicht mit unwichtigen Gegenbeispielen wie die CIBA-Sandoz-Fusion, Ausnahmen bestätigen die Regel.

Ich erlebte einen wunderschönen Tag, und das für wenig Geld. Ich hatte mich zum Glück gegen die Herbstmesse entschieden, einen Messebesuch hätte ich mir schlicht und einfach nicht leisten können. Ein Kollege von mir war auf der Messe und hat an einem Nachmittag sein Wochenbudget aufgebraucht.
Als er ankam, trank er erst einmal ein Cüpli und stellte dann fest, dass er schon keine Scheine mehr im Portemonnaie hatte, also danach zum Geldautomaten und etwas Knete ziehen. Einmal Fliegender Teppich und einmal Freier Fall – wir sprechen hier von Vergnügungszeiten von unter 5 Minuten – liessen seinen Geldvorrat schon wieder so schrumpfen, dass ein weiterer Weg zum Self-Service-Banking unumgänglich war. Danach brauchte er ein Bier und eine Wurst. Von den Preisen her hatte man das Gefühl, das Bier wäre in einem achtjährigen Spezialverfahren von *****-Brauern mit Goldkellen in Teakholzfässer geschöpft worden und die Wurst sei eine vom Kobe-Rind, serviert auf Premium-Dijon-Senf-Bett mit handgedrechseltem Sauerteigbrötchen. War aber nur Feldschlösschen und Chlöpfer vom Grosshandel. Ein drittes Mal also Geld holen, denn nun wollte er auch noch ein bisschen Spass haben, drei Taeuber-Arp und zwei Giacometti lagen in seiner Börse, als er sich auf den Weg zu Kettenkarussell, Boxautos, Krake, Hula-Hoop und Wirbelwind machte, ein paar Münzen lagen drin, nachdem er nach dem Höhen-, Tiefen- und Geschwindigkeitsrausch nochmal ein Bier getrunken und einen Luftballon für sein Enkelkind gekauft hatte (17.-Sfr, das ist jetzt kein Witz!). Es reichte dem guten Mann gerade noch für die Parkgebühren.

Reden wir also nicht von Kultur für reiche Leute – am Stadttheater Basel bekommen Sie die Tickets auch bald nachgeworfen, damit überhaupt noch jemand in den Reihen sitzt.
Ich hatte am letzten Sonntag einen wunderschönen Tag für wenig Geld, aber werde ich das mit Festspielhaus Baden-Baden und SWR-Sinfonieorchester jedes Mal so halten können?
Muss ich mir nicht überlegen, im nächsten Herbst auf die Messe zu gehen, damit es nicht heisst: Bei ihm sprechen die Finanzen dagegen, er kann sich einen Messebesuch schlicht und einfach nicht leisten?
Die Herbstmesse Basel ist zum wahren Statussymbol geworden.
Ich werde ab Sommer auf meinen Messesonntag sparen müssen, ich will ja nicht immer der Hungerleider sein, der ins Festspielhaus fährt.

 

 

 

 

Donnerstag, 6. November 2014

Der Angriff der Promoter

Wenn ich am Mittag von Solothurn, wo meine erste Arbeitstaghälfte stattfindet, in Basel ankomme, stelle ich mir stets nur die eine Frage:

Wem muss ich heute wieder ausweichen?

Und damit meine ich nicht die Spätpubertierer, die der Ansicht sind, die Passarelle sei eine Halfpipe und mit Skateboards auf mich zurasen, ich meine nicht die Flugbegleiter, die mit ihren Rollköfferlein immer eine so elegante Kurve ziehen, dass sie den Samsonite-Porsche direkt in meiner Kniekehle platzieren, ich meine auch nicht die vielen Leute, die so spät aus dem Haus gegangen sind, dass der ICN nach Bern-Thun-Spiez nur noch durch einen Spurt erreichbar ist, der Usain Bolt vor Neid erblassen liesse, auch wenn man das bei ihm natürlich schlecht sähe.

Erst recht meine ich nicht alle die Zeitgenossen, die mich schlicht und einfach nicht erblicken, weil sie, das Tablet vor den Augen, ihre SMS checken oder unbedingt erfahren müssen, was die Paltrow in ihrem Lifestyle-Blog GOOP als aktuellen Cocktail empfiehlt. Ja, bei den Ich-bin-gerade-online-weichen-Sie-mir-aus-Typen habe ich sogar immer die leise Hoffnung, der junge Mann, der in zwei Sekunden in mich reinknallt, läse die Dienstags-Freitags-Glosse, ich würde ihm meinen Sturz und alle Prellungen verzeihen.

Nein, ich meine nicht alle diese Leute, ich meine die, die sich mir gemein und mutwillig in den Weg stellen und mir etwas geben wollen:

Die Promoter.
 
Am Montag ist die Passarelle mit Männern in Teddykostümen bevölkert, die auf mich zuspringen, mich umarmen und mir kleine Honigproben in die Hand drücken (Promotion von Langnese®), am Dienstag verteilen junge Damen in prallen Dirndln Weisswurstproben (Promotion von ALDI® – Bayrische Woche). Am Mittwoch will man mir Shampoo ins Haar reiben, und weil es Karottenshampoo ist, ist alles orange: Die Overalls der Promoter, ihre Haare, ihre Schuhe, ihre Gesichter, sie verteilen orange Handzettel und natürlich sind auch die Fläschchen in dieser Farbe. (Promotion von GARD®)

Für den Donnerstag hat sich TUI® zur Be-Werbung ihrer Winterflüge auf die Bahamas und nach Tunesien etwas reizend Nettes einfallen lassen: Die jungen Leute, die Passarelle, Ein- und Ausgänge bevölkern, tragen Bikini oder Badehosen, allerdings sind sie nach fünf Stunden promoten so blaugefroren, dass der Werbeschuss ein wenig nach hinten losgeht.

Am Freitag stürzen dann zwei Gruppen auf mich zu, eine von links, eine von rechts. Nestlé®schenkt mir kleine Joghurtdrinks, die mich - probiotisch wie sie sind - gesund, fit, glücklich, reich, schlank, berühmt und sorglos machen sollen. Müllermilch® – schenkt mir kleine Bananenmilchflaschen, die mich - lactosefrei wie sie sind -   gesund, fit, glücklich, reich, schlank, berühmt und sorglos machen sollen. Ich kann, da beide Gruppen den jeweiligen Ausweichpfad versperren, mich nur auf den Boden werfen und zwischen den Beinen der Nestler und der Müllerer hindurchkrabbeln.

Es stellt sich die Frage, ob es die anderen Fahrgäste auch so nervt, aber nichts da: Am Montag winkt ein Mann allen Kumpels: "He, lasst euch kuscheln, und Honig gibt's auch noch!" Am Dienstag werden die Weisswürste den Dirndln aus den Händen gerissen und noch vor dem 12-Uhr-Läuten gezuzzelt, am Mittwoch reiben sich die Damen die orangene Masse direkt in die Haare und spülen sie am nächsten Brunnen aus, am Donnerstag nimmt man gleich 15 Prospekte, dass die Schönen in die Wärme kommen. Am Freitag wird sofort getrunken und geschlürft, denn gesund, fit, glücklich, reich, schlank, berühmt und sorglos will ja jeder sein.

Und warum?

Wir werden wahnsinnig vor Glück, wenn wir etwas gratis, etwas umsonst, etwas geschenkt bekommen. Da sind wir auf der Stufe des Tieres stehen geblieben. Wenn man dem Affen eine Banane hinhält, schreit er vor Glück, wenn man uns eine Gratisprobe hinhält, bekommen wir Orgasmen. Dass wir, wenn uns das Produkt gefällt, von unserem günstigen auf ein sauteures umsteigen werden, stört unser Glück nicht.
Es sind Danaergeschenke.
Aber die Trojaner fielen ja auch auf den Trick herein: Das Pferd war gratis.

Wenn ich am Mittag von Solothurn, wo meine erste Arbeitstaghälfte stattfindet, in Basel ankomme, stelle ich mir stets nur die eine Frage:
Wem muss ich heute wieder ausweichen? 
Daran wird sich so schnell nichts ändern.

Dienstag, 4. November 2014

Andalusien V (und letzt): Nun will ich ein Denkmal

Ich war zwei Wochen im schönen Süden Spaniens, ich habe mit dem heutigen fünf Posts geschrieben: Nun will ich ein Denkmal, es kann ja ein kleines sein, vielleicht eine Büste in einem netten Park in Córdoba, eine kleine Statue an der Küste, einen kleinen Brunnen in Sevilla. Gut, ich will nicht wählerisch sein, man könnte auch eine Tafel aufhängen oder eine Strasse nach mir benennen, vielleicht auch ein Café oder eine Fahrschule.

Warum ein bisschen Ferien machen und ein bisschen posten gleich mit einem Denkmal belohnt werden soll? Weil alle eines haben.

Die Andalusier lieben Denkmäler. Im Hafenpark in Málaga stehen sie so dicht, dass die Makaken von Gibraltar, kämen sie vom Felsen weg ohne gültigen Pass, dort vom Kopf eines Bürgermeisters auf die Schulter eines berühmten Komponisten, von dort auf die Brust eines Dichters und dann auf den Rücken eines Offiziers springen könnten, und dann den ganzen Weg zurück. Überall in den andalusischen Städten stehen Statuen von Männern und Frauen in ziemlich verrenkter Position mit wild gedrehten Händen da, es ist die Galerie der Flamencotänzerinnen und -tänzer.

Aber auch dem Fremden, der einmal im Süden Spaniens weilte, wird ein Denkmal gesetzt, dabei ist es völlig wurscht, ob er Tage, Wochen oder Monate da zubrachte.
Nach Rainer Maria Rilke ist in Ronda eine Strasse, ein Eiscafé und eine Fahrschule benannt - und er hat natürlich sein Denkmal. Liest man dann im Reiseführer nach, bekommt man mit, dass der Gute 3 Monate in Ronda war und den Ort mit nur einem Satz in seinem Werk erwähnt, mehr nicht. Gut, Rondaer Elegien klingt auch echt blöd.
An der Strandpromenade in Málaga sitzt Hans Christian Andersen, er war gerade mal vier Wochen dort, macht nix, Denkmal muss sein.

Das Ganze ist natürlich eine Werbestrategie: Der Reisende denkt, wenn der Promi XY schon da war, dann ist das was, dann muss ich da auch hin, ich will über das Pflaster gehen, über das XY schritt und im Restaurant speisen, wo schon XY seinen Fisch zerteilte.
Ob XY in Z glücklich war - was soll's.
So bringt es Valdemossa auf Mallorca fertig, mit Chopin und Sand zu werben, ja  die beiden haben nicht nur ein Denkmal, sie werden jeden Tag zu Geld gemacht. Dass Chopin in jenem Winter depressiv und lungenkrank war, stört keinen, ja sogar das Buch von George Sand, Ein Winter auf Mallorca, wird in 15 Sprachen verkauft, obwohl Madame an Malle, Valdemossa und vor allem den Einwohnern kein, aber auch kein einziges gutes Haar lässt.

Napoleon hatte auf Elba nur einen Wunsch: Weg hier! Heim! Und setzte diesen Wunsch auch relativ bald in die Tat um. Hindert die Elben (ich nenne sie so) nicht daran, die Tage des Bonaparte zu Geld zu machen, als ob der gute Empereur auf der Insel eine Kur gemacht hätte.

Wir sind einfach promisüchtig. Wir schlafen im gleichen Gasthaus wie Goethe und lesen nicht vorher in Dichtung und Wahrheit, ob der Geheimrat nicht furchtbar ablästerte.
Wir essen im gleichen Gasthof wie Spitzweg und schauen nicht nach, ob er nicht ein Bild gemalt hat, auf dem die Wirtsstube wie ein Drecksloch aussieht.
Wir wollen eben über das Pflaster gehen, über das XY schritt.
So lockt Ronda an jeder Ecke mit seinem Rilke, dazu noch mit Hemingway (H-Terrasse, H-Supermarkt, H-Denkmal, H-Park) und Orson Welles (W-Burger, W-Tapas, W-Denkmal, W-Schwimmbad), denn ein Ort, an dem Rilke, Welles UND Hemmingway waren, kann ja nicht schlecht sein.

Nun, wenn also ein so denkmal- und tafelfreudiges Volk wie die Andalusier mir jetzt nicht irgendetwas widmet, habe ich etwas verkehrt gemacht.