Donnerstag, 30. August 2012

Sandro Klon


Der neue Mister Schweiz hat die Abstimmung durch ein Gewinnspiel beeinflusst. Das ist grenzwertig, man könnte sogar von einem Titelkauf reden. Auf jeden Fall zeigt es wenig Feingefühl. Warum aber hat der Pizzabäcker so gar keinen Anstand und Takt? Weil er kein normaler Mensch ist. Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, dass Sandro Cavegn genauso aussieht wie die Sieger von 2010 und 2011? Das gleiche Lächeln, der gleiche männliche Viertagebart, die gleichen Arme und Schenkel, das gleiche (allerdings schon beeindruckende) Sixpack. Er ist genauso schnuckelig, genauso gebräunt, genauso gestylt wie seine Vorgänger. Sandro ist ein Klon.
Hergestellt – oder muss man geboren sagen – wurde der Sonnyboy im der Uni St. Gallen angegliederten Institute for Human Genetics (IHG), das die Schweiz seit Jahren mit menschlichen Klonen überschwemmt.
Der Schüler, der von Bern nach Luzern zügelt, wundert sich, dass er quasi den gleichen fiesen Sack als Klassenlehrer bekommt und nicht endlich einmal einen jungen, sportlichen, netten Pädagogen.
Der Kunde, dem man im Interdiscount sagt, man habe nur CD-Brenner und keine CD-Leser (jedes Gerät kann beides), geht in den MediaMarkt und trifft dort den gleichen Deppen wieder.
Auch die CEOs der verschiedenen Schweizer Unternehmen kann man nicht auseinanderhalten, gleiche Figur, Frisur, das gleiche Grinsen und der gleiche Gang.
Klone, wohin man schaut.
Klonieren ist einfach, billig und absolut sicher, nun ja, fast absolut sicher. Gelegentlich kommen Pannen vor, wir erinnern uns an den Fall der Coiffeuse, die entlassen werden musste, weil sie sich immer die Hände abschleckte, für Friseurkunden eine etwas eklige Sache. Sie war lange in psychatrischer Behandlung, völlig unsinnig, sie war ein Klon, bei dem zu viel Katze in die Genmasse gelangt war.
Das IHG nimmt übrigens Bestellungen entgegen, wenn Sie also jemand brauchen, der Ihnen lästige Dinge wie das Büro abnimmt, während Sie in der Badi liegen oder im Café sitzen, dann besuchen Sie die Homepage des IHG (www.double-for-everybody.ch)
In Reinach hat jetzt ein braungebrannter Traumkörperboy in einer Schreinerei angefangen. Er ist der Mister 2013.

 

Dienstag, 28. August 2012

Zuschläge

Wir machen ein kleines Quiz:
Welche dieser Zuschläge gibt es?
a) Gepäckzuschlag im Taxi
b) Kochzuschlag in der Ferienwohnung
c) Mürzzuschlag in Österreich
Na?
Es gibt alle drei, allerdings ist Mürzzuschlag kein Extrapreis fürs Mürzen, sondern eine Stadt, die Geburtsstadt von Elfriede Jelinek.
Aber auch die anderen beiden gibt es. In Bayreuth zahlen Sie 50 Cent dazu, wenn Sie mit Gepäck ein Taxi besteigen, obwohl das ja häufig gerade der Grund ist, nicht mit dem Bus zu fahren. Und sollten Sie nach dem Tristan oder dem Lohengrin gleich heimreisen wollen, müssen Sie folgende Rechnung aufmachen: Grundgebühr 2,90.- + Gepäck 0,50.- + Festspielhügelzuschlag 1.- + Nachtgebühr 1.-. Macht 5,40 Euro und man ist noch keinen Meter vorangekommen...
In Bregenz wollten wir zum Frühstück Eier kochen und fanden keinen Topf. Bei der Vermieterin erhielten wir einen, mit der Bemerkung, sie würde Pfannen und Töpfe nicht in die Wohnung tun, weil Kochen einen Aufpreis verlange, Eierkochen sei aber gratis. Dabei war das Appartement mit 160.- nicht gerade billig...
Zuschläge, wohin man schaut. Ein Flug für umme? Schauen Sie erst einmal, was alles dazu kommt. Ryan Air überlegt, ob für Sauerstoffmasken und Schwimmwesten etwas verlangt werden kann. Erdnüsse zum Bier? Fragen Sie erst einmal, ob und was die kosten, im UNTERNEHMEN MITTE drei Franken, auch wenn Sie zu dritt inzwischen beim xten Bier sitzen.
Der Staat ist besonders erfinderisch, keine Steuer, keine Abgabe, keine Gebühr, die nicht schon zumindest angedacht gewesen ist. Dabei geht es oft nur um die Machtdemonstration, in vielen Gemeinden kostet das Eintreiben der Hundesteuer mehr, als sie bringt.
Atmen ist bislang noch überall gratis, aber auch das kann sich ja noch ändern, wenn in Hotels der Meerblick berechnet wird, wird vielleicht auch das tiefe Luftholen in der herrlichen salzigen Brise mit 20 Cent pro Luftzug in Rechnung gestellt. Beim Hotelausgang steht dann eine Machine, die den Salzgehalt in ihren Lunge scannt.
Dabei könnte man es so einfach machen: Sie berechnen den Zusatz allen und lassen die Summe bei denen weg, die ihn nicht nutzen. Das klingt schon ganz anders. Also: Ein Euro billiger ohne Koffer, 20 Euro billiger bei Nichtbenutzung der Küche. Man nennt das Skonto.
Es ist genau das Gleiche, aber psychologisch eben völlig anders. Meine neue Brille war 3% günstiger bei Barzahlung, zu sagen, Rechnungstellen kostet extra, wäre sehr ungeschickt.
Nun wollen Sie sicher noch wissen, was denn nun das Mürzen ist, für das man extra zahlt. Tut man gar nicht, der Fluss Mürz schlägt sich einer Richtung zu, heisst, er macht einen Knick.
Diese Info kostet Sie jetzt allerdings 2 Franken, Rechnung kommt in den nächsten Tagen.

Donnerstag, 23. August 2012

Pussy Riot II: Mirjam

Der Pussy Riot-Virus greift um sich: Neulich trat in Wladiwostok eine junge Frau vor die Ikonenwand und sang die folgenden Zeilen, a capella und mit samtener Stimme:

Mein Verstand und mein Gefühl preisen Gott.
Er hat meine Chancenlosigkeit als Frau gesehen und sich erbarmt.
Alle zukünftigen Generationen werden sagen, dass ich Glück hatte.

ER schmeisst die Machthaber aus dem Amt und gibt der Unterschicht Macht.
ER weist Eitle und Eingebildete in ihre Schranken und unterstützt Menschen mit sozialem Denken.
ER nimmt den Reichen ihre Kohle weg und gibt die an die Sozialhilfeempfänger.

Die Frau wurde sofort verhaftet, denn die Gemeinde hatte sehr schnell begriffen, wer da aus dem Amt geschmissen werden sollte. Die Befragung erwies sich allerdings als schwierig. Die junge Dame hatte keine Dokumente bei sich, gab als Namen Mirjam, Tochter der Anna, als Geburtsort Nazareth, als Wohnort "über den Wolken" und als Alter 2000 Jahre an. Sie beteuerte, das Lied schon oft gesungen und nie Schwierigkeiten bekommen zu haben, sie hätte nur den Text ein wenig an die heutige Sprache angepasst. Ja, sie verstieg sich sogar zu der Behauptung, ein Arzt namens Lukas habe es aufgeschrieben und es sei in einem kirchlichen Buch zu finden. Diese Behauptung war so absurd, dass schallendes Gelächter ausbrach, Gott sei auf der Seite der Regierungen, ob sie das nicht wisse?
Ihr konnten keine Kontakte zu Pussy Riot nachgewiesen werden. Zu dem Liede der Punkgruppe äusserte Mirjam, sie fände es provokant, aber interessant, allerdings hätte man doch als Adressaten eher Joseph, den Patron der Werktätigen, des Proletariats, nehmen sollen.
Mirjam kam in Untersuchungshaft.
Am nächsten Tag war die Zelle leer. Wie ihr die Flucht gelang, bleibt unklar.

Dienstag, 21. August 2012

nulla poena...

Heute sprang mich die Nachbarskatze einmal wieder an. Sie nimmt dann immer Anlauf, springt mir auf die Schulter und schleckt mich ab, nebenbei durchnässt sie meine Kleider und lässt überall ihre Haare. Wenn sie dann von mir abgelassen hat, blüht mir ein einstündiges Reinigungsritual: Duschen mit Kernseife, alle Kleider in die Wäsche: Ich bin Katzenallergiker. Sämtliche Interventionen beim Nachbar scheiterten, also war ich heute auf der Polizei. Die Antwort war ernüchternd, man könne da nichts machen, es gebe da kein Gesetz, Katzen können tun und lassen, was sie wollen und der Nachbar könne auch nicht immer aufpassen. Für mich ist so ein Verhalten aber grobe Körperverletzung.
Nulla Poene sine lege, ohne Gesetz keine Strafe. Dies wurde vielen Menschen gesagt, zum Beispiel Fred H.aus D., dem 1980 ein Mann hinterherlief und winkte, keine Bedrohung, keine Gefahr, der Gestörte rannte nur den ganzen Tag Fred nach und schwenkte seine Hand. Die Polizei war machtlos: Es gab noch kein Gesetz gegen Stalking.
Paula G. aus R. wurde 1979 ihre Bankkarte gestohlen, dummerweise kannte der Dieb den Code und war damit für den Automaten der rechtmässige Besitzer der Karte, man konnte ihn nur für unerlaubtes Ausleihen belangen, die Gesetze waren noch nicht geändert.
Ich gab aber keine Ruhe und fand einen Passus: Ein Tier, das einen Menschen bespeichelt, darf getötet werden. Die Zeilen stammen aus dem Jahr 1620, offenbar aus Pestzeiten, wo solche Tierschmusereien schnell Gevatter Hein auf den Plan riefen, und wurden scheinbar nie gelöscht. Ein so genanntes "dumblaw", das man einfach vergessen hat, so darf man in Florida in Hotels keine Orangen schälen und in Alabama dürfen geschiedene Frauen am Sonntag nicht Fallschirm springen, Gesetze, die einmal Sinn machten, heute aber perverse Relikte sind.
Als ich mit meinem Katzenparagraph zu den Behörden ging, bekam ich gesagt, so einfach ginge das nicht, man könne nicht etwas wollen und dann einfach ein Gesetz suchen...
Interessanterweise findet man, wenn eine Tat oder Sache politisch wird, sehr schnell ein Gesetz, das zutrifft, notfalls aus dem 7.Jahrhundert. Wenn drei Punkmädels eine Kathedrale stürmen, muss einfach verurteilt werden, da sagt niemand, es gebe kein Gesetz, das passt. Gottesdienste stören und gegen Putin sein ist eine Schweinerei, da finden wir schon etwas. Hier gilt nicht "nulla poena sine lege", sondern: die Strafe ist klar, den Paragraphen werden wir schon finden. Und wenn wir Glück haben, steht dann auch noch ein wunderbar hohes Strafmass im Gesetz.
Ich habe die Katzengeschichte übrigens auf meine Weise gelöst, ich beschmiere meinen Hals mit einer Creme, die Katzen absolut nicht mögen, das Auftragen von Halscreme ist ja, soviel ich weiss, noch erlaubt.

Donnerstag, 16. August 2012

Job als Ausmister

Herrn
Oberbürgermeister Dumpflinger
Schmiergasse 7
809777 Dunkelheim

Basel, den 17.8.2012

Sehr geehrter Herr Dumpflinger,

Ihr Angebot ehrt mich. Sie haben meinen Blog gelesen und bieten mir nun einen Job als Ausmister, wie sie mir schreiben, gehen Sie im Oktober in Ruhestand und möchten Ihrem Nachfolger ein leeres Büro hinterlassen. Die Bezahlung mit 500.- pro Tag, Kost und Logis im Wittelsbacher Hof, dem ersten Haus am Platze, ist grosszügig und absolut OK.
Was mich zögern macht, ist die Tatsache, dass Sie alle, alle, aber absolut alle Unterlagen dem Schredder überantworten wollen. Gäbe es nicht ein paar Protokolle, Dossiers, Briefe, Notizen, Belege, die man eventuell archivieren sollte? Oder vielleicht sogar nach deutschem Beamtenrecht archivieren muss?
Herr Dumpflinger, lassen Sie mich Klartext reden: Die Sache hat ein Gschmäckle. Ich will Ihnen nichts unterstellen, aber die Angelegenheit ist merkwürdig. Wenn Ihre Spesenbelege in Ordnung sind, können wir Sie aufheben. Wenn Ihr 5-wöchiger Mexikoaufenhalt ein Urlaub war, müssen wir schreddern, klar. Aber dann machen wir uns eigentlich strafbar. Wenn die Briefe der örtlichen Wirtschaftslobby wirklich nur Glückwünsche zur Goldenen Hochzeit enthielten, können Sie weg, wenn gewisse Förderungsthemen angesprochen werden, wird es heikel.
Herr Dumpflinger, ich kenne Sie nicht und Sie sind sicher ein anständiger Mensch, auch wenn Sie damit in Ihrer Partei ein Unikum wären.
Aber man hat halt schon so viel gehört... Die Unterlagen über den Neonaziskandal hätten sich nicht in den Schredder gehört, und die Staatsanwaltschaft war ja bei Mappus, bevor er irgendetwas vernichten konnte. Seit Jahren wird in Deutschland gemistet, weggeworfen, gelöscht, was Klarheit in unklare Fälle bringen könnte. Oder die Existenz von Akten wird einfach geleugnet, wie die 4000 Ordner zu München 1972, jahrelang wurde dem Staat Israel gesagt, es seien keine Dokumente vorhanden, den Raum 245 in der Bayrischen Staatskanzlei gab es einfach nicht.
Herr Dumpflinger, ich glaube, ich bin nicht Ihr Mann. Ich habe Bedenken, in eine blöde Geschichte hineinzugeraten, und das möchte ich nicht.

mit vorzüglicher Hochachtung
Rolf Herter

P.S. Haben Sie sich eigentlich überlegt, was passierte, wenn ich gewisse Sachen statt zu schreddern  posten würde?
P.P.S. Ich kenne genügend Leute mit weniger Skrupel. Darf ich Ihr Angebot nach Palermo oder Wladiwostok weiterleiten?

Montag, 13. August 2012

Sprache ausmisten


Ferienzeit ist Ausmistzeit! Ich liebe es, aufzuräumen und Dinge zu entsorgen. Wenn ich irgendwo begonnen habe, wenn der Impuls gesetzt ist, gibt es für mich kein Halten mehr. Diesmal war der Startschuss mein Chorarchiv in Münchenstein, es folgten mein gesamtes Klassenzimmer, mein Kleider- und Kühlschrank, usw. Drei Säcke Altkleider kamen zu den TexAid-Containern, zehn Krawatten mussten weichen, Berge von Altpapier verschwanden. Herrlich!
Sie würden das auch gerne tun, es geht aber irgendwie nicht? Sie hängen zu sehr an den Dingen? Sie dürfen getrost sein: Nur ein Germanist muss Bücher im Gestell haben, die er nicht schätzt. Wenn Sie also den Zauberberg zum dritten Mal abgebrochen haben: Ab damit in die Brocki. Die Hosen, die irgendwann einmal wieder passen werden, werden genau das eben nie tun, es sei denn, Sie machen sechs Wochen Nulldiät: Hinein in die Altkleidersammlung. Und die vier Vasen, die Sie aufheben, weil Erbtante Erna sie geschenkt hat und ja an einem schönen Tag in der Wohnung stehen könnte? Erna ist inzwischen 95, fast blind, sie sitzt im Rollstuhl und dieser Rolli steht zu allem Überfluss in Mecklenburg-Vorpommern, die Wahrscheinlichkeit, dass Erna einfach so mal im Zimmer steht, tendiert gegen Null. Also fassen Sie sich ein Herz.
Oder Sie machen erst einmal das, was ich als Krönung des Aufräumens die nächsten Wochen mache:
Sprache ausmisten.
Nein, nein, nein, das gibt keinen Wir hassen Anglizismen-Post, solche Dinge überlassen wir Herren wie Sick, die ja damit ihre Brötchen verdienen, und ganz ehrlich, manche Sachen haben einfach englische Ausdrücke, weil sie aus den USA kommen. Wie andere Wörter aus dem Finnischen oder Arabischen. Sie gehen doch auch nicht in die Schwitzkammer, um hinterher sich eine Braunheissbrühe zu genehmigen. Und was würden die Schweizer sagen, wenn in Deutschland von Schmelzkäsescheiben, Käsetunke, Getreide-Obst-Brei und Bratkartoffelkreis die Rede wäre? Wer hat’s erfunden? Die Eidgenossen, und deshalb heisst es auch Raclette, Fondue, Müesli und Rösti.
Nein, wir entfernen die schlimmsten Wörter der deutschen Sprache:
1.)    Eigentlich
Was soll das heissen, eigentlich, mir oder dir eigen, in Wirklichkeit? Eigentlich bin ich ganz nett, eigentlich bin ich ganz ehrlich, eigentlich… Ich betrat neulich eine Wohnung, die eigentlich ständig aufgeräumt werde, nur eben die letzten Tage, man wisse ja, wie das sei, und auf dem Boden lag eine Zeitung mit der Schlagzeile GUTTENBERG TRITT ZURÜCK. Eigentlich formuliert eine Ausnahme zur nicht überprüfbaren Regel. Daher wurde dem Athleten, der eigentlich ein guter Läufer und Springer war, und neulich auf Rhodos sei er 9 Meter gesprungen, zugerufen: Hic Rhodos, hic salta (hier ist Rhodos, hier springe!)
2.)    Nur
Bei mir müsst ihr zuhause nur zwei Stunden für die Schule arbeiten. Sagt der neue Lehrer. Wir haben uns dieses Mal nur für drei Wochen Nizza entschieden. Sagt die Society-Dame. Sie bekommen nur drei Jahre. Sagt der Richter. Das Wort nur setzt einen Massstab, der verheerend ist, wenn er völlig vom eigenen abweicht. Für viele Schüler ist schon eine Stunde zu viel, Nizza ist für viele Menschen schon nicht bezahlbar und die drei Jahre sind für den Angeklagten der Hammer, wenn der Freispruch fast sicher war. Nur zu verwenden erinnert immer an den Boten, der in den Räubern Moor zusichert, wenn er sich jetzt ergebe, werde der Fürst es grossherzig beim Rade bewenden lassen.(Moor werde nur gerädert ohne vorherige sechsstündige Folter)
3.)    Doch
Auch dieses Wort setzt Sie immer ins Unrecht. Da passiert doch XY heisst immer: Das habe ich schon gesagt, das ist doch ganz klar, du hörst einfach nicht zu, du passt nicht auf, ich kommuniziere alles immer ganz eindeutig, aber du… Probieren Sie es aus, erfinden Sie eine Sache und sagen Sie dann: Da ist doch die Feier bei Herrn Meier.
So, jetzt gehen Sie zu Ihrem DUDEN und streichen die drei Wörter.
GEHT NICHT? SIE HABEN IHN ENTSORGT? WEIL SIE NIE REINSCHAUEN? SO WAR DAS OBEN NICHT GEMEINT! HOLEN SIE BLOSS IHREN DUDEN WIEDER AUS DER PAPIERMÜLLTONNE!

               




Freitag, 10. August 2012

Ich will mehr bezahlen!


Ich kaufe gerne bei H&M und NEW YORKER. Ich mag die Stile, die Farben, die Hosen machen meine Hüfte schlank und die Shirts schmeicheln meinem Oberkörper, ich trage auch gerne die neueste Mode, ich fühle mich in den Klamotten jung, frech dynamisch und selbstbewusst.
Ich weiss aber, es gibt ein Problem: Die Kleidungsstücke werden alle in Asien für Hungerlöhne gefertigt. Warum ich dann nicht in politisch korrekten Läden kaufe? Weil mir da der Stil nicht gefällt. Ich halte mich nicht fit und dünn, um dann meinen Body in Batikschlabber und Kaftane zu hüllen. Allerdings bin ich auch bereit, für meine Kleidung mehr zu zahlen, wobei das gar nicht nötig wäre, da die Herstellungskosten eh nur wenige Prozent vom Preis ausmachen, über 90% gehen für Transport, Ganzgross-, Gross-, Zwischen- und Endhandel drauf,  eine Verdoppelung der Löhne im Herkunftsland würde den Preis praktisch nicht verändern. Trotzdem starte ich die Aktion „ICH ZAHLE EINEN FRANKEN MEHR.“
Tag 1, H&M:
Vor mir liegen zwei Jeans, ein Kapuzenshirt, drei Hemden, zwei Shorts und zwei Packungen Boxers. Ich zähle zusammen und strahle die Verkäuferin an: „Das sind nach Adam Riese 10 Kleidungsstücke. Ich möchte pro Teil einen Franken mehr zahlen, den sie an die Arbeiter im Herstellerland weiterleiten. Hier, sehen Sie, ich gebe Ihnen einen Zehnfrankenschein.“
„Das geht doch nicht.“ „Warum nicht? Sie nehmen das Geld und leiten es weiter, Sie wissen, das in Bangladesch die Arbeiter das im Monat bekommen, was hier in der Stunde verdient wird.“
Hinter mir schon Murren und Getuschel, der hält den Betrieb auf, was soll der Scheiss…
„Aber wenn ich abends zu viel Geld in der Kasse haben, unterstellt man mir, ich habe etwas bewusst nicht boniert und wollte das Geld mitnehmen.“
Stimmt, habe ich nicht bedacht. Ich zahle unter den Flüchen der Schlange hinter mir den normalen Preis und verlasse den Laden.
Tag 2, NEW YORKER
Andere Verkäufer, andere Klamotten, gleiches Spiel, gleiches Scheitern.
Tag 3 H&M
Ich bin klüger geworden. Diesmal rufe ich gleich den Geschäftsführer. Ich schildere ihm mein Problem, weise auf den Kleiderberg vor mir – ich muss jetzt mal ausmisten, schliesslich kaufe ich jeden Tag zehn neue Teile – und strecke ihm ein Kuvert entgegen. Der Geschäftsführer hört aufmerksam zu, er lobt meine Weitsicht und verspricht, alles in die Wege zu leiten. Er nimmt den Umschlag und steckt ihn ein. Aber in dieser Bewegung, in diesem Einstecken, in der Art, wie er nach der Sache greift, erkenne ich den Betrug. Das Geld wird in eine der vielen schwarzen Kässlein wandern, die in den Büros herumstehen und nie ankommen.
Tag 4 NEW YORKER
Diesmal Geschäftsführerin, andere Klamotten, gleiches Spiel, gleiche Lüge.
Tag 5
So, jetzt maile ich an die Zentralen. Und zwar an beide. Deutlich, klar, eindeutig: Wie kann ich mehr bezahlen?
Tag 6
Antwort der PR-Stellen: Geht nicht, aus buchhalterischen, zollrechtlichen und diversen anderen Gründen. Sie schlagen mir aber vor, das Geld an ein Hilfswerk zu spenden. Verdammt, wie blöde sind die denn eigentlich, ich will doch eben kein Almosen geben, sondern Lohn.
Tag 7
Grübeln: Vielleicht müsste man Tag 3 und 4 wiederholen, aber mit ganz vielen Leuten in verschiedenen Städten, und mit Presse…


Dienstag, 7. August 2012

Der Osten wird nicht fertig


Nach Wismar war ich in Halle und während in der Hansestadt alle Häuser frisch renoviert, die Strassen gepflegt und die Parkanlagen üppig begrünt waren, sah ich an der Saale doch noch Etliches, was zu tun wäre: Da blätterte der Putz von den Fassaden, da fehlte der Teer auf den Strassen, da waren ganze Gebäude am Einstürzen, abgeriegelt und mit Graffiti beschmiert, da sah ich hohle Fensterrahmen und ausgehängte Türen. Wohlgemerkt, nicht überall, aber doch auch. Der Osten wird und wird nicht fertig. Warum?
Ich stellte diese Frage der Bedienung in einem Café und benützte, damit ich mich nicht als Wessi outete, einen leichten Emil-Steinberger-Slang.  Die Antwort haute mich um: „Ihr Schweizer seid schuld! Ihr bunkert das ganze Geld in Zürich und dann kommt nie als Touristen hierher!“ Ich wollte schon Luft holen, um zu sagen, dass ja jeder auch sein Geld wieder holen kann und dass viele, viele meiner Bekannten schon Rad-, Bus- und Fusstouren durch Mecklenburg oder die Mark gemacht hätten, da fängt sie an zu lachen: „War nur ein Witz! Aber doch mal origineller als die üblichen Schuldzuweisungen: Der Westen zahlt zu wenig Soli, der Osten gibt den Soli falsch aus, der Westen will nur verdienen, es herrscht immer noch sozialistischer Schlendrian, die Finanzkrise kam dazwischen, die Eurokrise kam dazwischen, das heisst ja eigentlich sind die Griechen schuld, wir haben zu viel Ausländer im Osten, wir haben zu viele Ausländer im Westen, wir haben zu viele Wessis im Osten, wir haben zu viele Ossis im Westen..“
„Und woran liegt es dann?“, will ich wissen.
Sie grinst: „Ganz einfach. Es war einfach so viel zu tun. Es ist ja nicht so, dass in Halle oder Leipzig nichts passiert, es gibt sogar sehr viel Neues, und da zähle ich die neuen Ideen wie Kooperationen und Alternativgeld ausdrücklich dazu, es geschieht halt nicht von heute auf morgen.“
Ich will nun doch wissen, wer die Schuld trägt.
„Wenn Sie hier ein Kaffeetrinken für 50 Personen bestellen und bei Ihrem Eintreffen ist nichts parat, dann ist das eigentlich der Fehler vom Chef, der muss die Arbeitsmenge kennen, muss Personalaufwand und Zeitablauf planen, dafür kriegt er die Kohle und hat ein eigenes Büro.  Und wenn um 15.30 nicht eingedeckt ist und kein Kuchen gebacken, liegt das nicht an den Angestellten und nicht am Material, sondern an seiner Peilung.“
Also – wenn es überhaupt um Schuld geht – der Fehler lag bei den damaligen Verantwortlichen, es wurden halt doch nicht binnen weniger Jahre „blühende Landschaften“, schade ist nur, dass man die Verpeilung nie zugegeben hat. Ein herzhaftes „Hallo Leute, hab mich verschätzt, geht doch ein bisschen langsamer“ wäre wohltuend gewesen. Allerdings wollte vor zwanzig Jahren natürlich auch niemand eine Blut, Schweiss und Tränen-Rede hören. Die ehrlicher waren, wurden nicht gewählt.
Als ich gezahlt habe, blickt die Bedienung mich noch einmal an und sagt: „Wann ist ein Land eigentlich fertig, im Sinne von komplett, von in Ordnung? Wenn alles renoviert ist oder wenn jeder sein Auskommen hat oder wenn die Menschen glücklich sind? Denken Sie darüber mal nach.“
Was ich versprach.


Donnerstag, 2. August 2012

Hummelflug in Olympia


Das IOC gab gestern in einer viel beachteten Pressekonferenz  bekannt, dass eine neue Olympische Disziplin in den Kanon aufgenommen wurde. In der Vorrede wurde noch einmal betont, wie schwierig es sei, den Reigen der Sportarten zu erweitern. Einerseits muss eine klare Konkurrenz stattfinden und das Ergebnis messbar sein, deshalb haben es die New Games mit ihrem heiteren Wir haben alle Spass nicht geschafft, andererseits muss die Disziplin medienträchtig und publikumswirksam sein. So kämpft der Weltschachbund seit Jahren vergeblich, Schach ist einfach zu langweilig zum Anschauen, auch das Brockianische Ultrakricket, das ja hinter Mauern gespielt wird, wird es nie unter das Olympische Feuer schaffen. Ein dritter wichtiger Punkt ist die Verbreitung in allen Ländern, so flogen schon Sportarten wieder raus, weil immer das gleiche Land gewann. Daher schafft es auch der OL nicht, es wäre zu öde, wenn man sich nur fragen würde, ob dieses Mal Schweden Gold und die Schweiz Silber bekäme, oder das Ganze umgedreht.
Dann holte das IOC Atem und verkündete: Ab London 2012 gibt es Instrumentales Schnellspiel als Olympische Disziplin. Ein Sturm der Entrüstung brach los, das sei jetzt wirklich der totale Schwachsinn, eine unglaubliche Schnapsidee, dafür gebe es ja schliesslich Musikwettweberbe.
Ich gebe dem IOC Recht: Instrumentales Schnellspiel (IS) ist klar und messbar. Jeder Violinist kann Ihnen sagen, wie rasant er den Hummelflug schon gespielt hat, und wie seine Bestzeit sich zu Haifez (1‘6‘‘), Menuhin (1‘7‘‘) und Oistrach (59‘‘) verhält, auch wenn er behauptet, es käme ihm auf Klang und Ausdruck an. Jede Pianistin, auch wenn sie noch so sehr beteuert, der Minutenwalzer sei ein schwungvolles und heiteres, aber kein Tempostück, wird probieren, ihn wirklich in einer Minute zu spielen. Ob Oktavsprünge, Läufe oder Arpeggien: In der Musik gilt schneller, höher, weiter.
IS ist medienträchtig und publikumswirksam, und da es auch in der Klassik längst auch aufs Aussehen ankommt – warum ist Lang Lang so viel erfolgreicher als der hundertmal bessere Sokolow? – wäre es dann auch reizvoll, die Athleten, denn IS ist nichts für Künstler, in hautenge Trikots und kurze Leibchen zu stecken, damit sie ihre durchtrainierten und muskelbepackten Körper nicht mehr in Abendkleid und Frack verstecken müssen.
IS wird auf der ganzen Welt betrieben, auch wenn Korea zurzeit klar die Führung innehat. Ob in New York, Berlin oder Moskau, überall auf dem Globus schrauben die jungen Leute ihre Metronomgewichte Stück für Stück hinunter und fragen sich: Schaffe ich heute Chopin op.10/4 in 3 Minuten? Daher ist das Argument der Gegner auch Quatsch, es gebe doch Musikwettbewerbe. Im Gegenteil, wenn IS endlich in Olympia ist, können sich Tschaikowski-und Chopinwettbewerb wieder der Musik widmen. Dann kann man die grossartige Leistung eines jungen Pianisten würdigen, der ein bisschen langsamer, aber ausdrucksvoll spielt, nennen wir doch das heikle Wort: Mit Seele. Musik braucht Seele, Geist, Herzblut, und das alles ist nicht messbar.
IS wird übrigens zunächst in den Kategorien Streichinstrument und Klavier angeboten, wobei die Bratscher ausgeschlossen sind. Instrumentales Schnellspiel auf einer Viola wäre nun wirklich eine absurde Sache.