Dienstag, 5. Mai 2020

Die grossen Zeiten der Logistik (sind vorbei!)



Lieber IKEA-Kunde,

Dein vor 7 Wochen bestellter Artikel ist jetzt unterwegs. Er wird morgen zwischen 12.37 und 13.37 bei dir abgegeben. Da wir aufgrund der Corona-Krise die Logistiker und auch dich schützen möchten, hast du die Möglichkeit uns einen sicheren Ort anzugeben, an dem wir das Paket abstellen würden. Bitte wähle aus folgenden Möglichkeiten:

Hauseingang

Briefkasten

Haustüre

Treppe

Rückseite Haus

Blumentopf


Mit lieben Grüssen
Dein IKEA-Team

Spannend, denke ich. Es wäre zwar noch interessant gewesen, warum eine einfache Box 49 Tage braucht – eine ganze Fastenzeit. Es wäre auch nett, wenn die Schweden dieses Scheiss-Duzen (s.v.v.) endlich mal aufhören würden, aber die Präzision der modernen Logistik ist schlicht und einfach beeindruckend. Da wird nicht zwischen 12.30 und 13.30 geliefert, nein, präzis zwischen 12.37 und 13.37. Und man kann einen Abstellplatz aussuchen. Aber was kreuze ich nun an? Bei mir ist der Hauseingang, also auch die Türe – gibt es bei uns eigentlich Hauseingänge OHNE Türen, haben wir das von den Schweden übernommen und gibt es in Bullerbü Eingänge nur mit Vorhang? – bei den Briefkästen und da ist auch noch eine Treppe. Mutig, mutig, liebe Brüder, denke ich und kreuze «Hauseingang» an.  

Als ich um 14.15 vom Spazierengehen zurückkomme, ist kein Paket da. Aber ich habe eine Mail in meinem Posteingang:


Lieber IKEA-Kunde,

Wir haben um ca. 12.20 versucht, deine Bestellung auszuliefern. Dies war aus folgendem Grund nicht möglich:

Adresse ist nicht existent

Adresse ist nicht zugänglich

Hauseingang ist nicht existent

Hauseingang ist nicht zugänglich
XXXXXXXXXXXX

Bei Fragen kontaktiere 0800 787 6565 434
Mit lieben Grüssen
Dein IKEA-Team

Nun wird es spannend, denke ich, nun wird es spannend. Wieso schreiben die – abgesehen von dem oben erwähnten Scheiss-Duzen (s.v.v.) – von «circa» 12.20? Um warum zwanzig nach Zwölf? Sollte das Paket nicht EXAKT zwischen 12.37 (also nicht 12.36, 12.35, usw. und erst recht nicht 12.20) und 13.37 abgegeben werden? Und was war mit meinem Hauseingang? Der war sicher zugänglich, denn wir sind 10 Parteien im Haus, und die müssen ja von (exakt!) 00.00 und (exakt!) 23.59 hinaus- und hineinkommen können. Ich rufe also die 0800 787 6565 434 an.
Nach 45 Minuten Vertrösten und 78 mal «Strangers in the Night» anhören – ich habe über Hotlines ja auch schon glossiert und gesatirikt – habe ich endlich die Info: Es sei ein «böser Hund» auf der Treppe gesessen.
Lucrezia!
Ach, Lucrezia, du böses Tier!
Lucrezia ist die Hündin meiner Nachbarin Lola. Lola, die ich nun auch sofort aufsuche.
Lola bestätigt mir, dass sie mit Lucrezia Gassi gehen wollte, dann etwas vergessen hatte und nochmal in den 5. Stock fuhr. In dieser Zeit, es seien aber keine 10 Minuten gewesen, habe Lucrezia auf der Treppe gewartet. Während wir noch am Reden sind, kommt Lucrezia aus der Wohnung, schaut mich schmachtend an, streift um meine Beine und leckt ein wenig zärtlich an meinem Fuss. Nein, ich habe keine Angst vor ihr, denn…
denn…
Denn Lucrezia ist eine Zwergpudeldame.

Ach, denke ich ein paar Stunden später, SIC TRANSIT GLORIA MUNDI.
Es ist nicht alles besser geworden in der Logistik. Gut, in meiner Jugend
……konnte niemand beim Absender sagen, ob das Päckchen schon losgegangen ist.
……konnte niemand dir eine genaue Lieferungs-Zeit sagen.
……konnte man keinen Abstellort angeben.
……konnte kein Mensch seine Lieferung «nachverfolgen».
Aber die Briefträger waren Helden!
Sie kamen zu Fuss (und nicht im Elektrokärrelein wie jetzt), sie kamen bei Wind und Wetter, bei Hagel und Sturm, sie kamen bei Blitz und Donner, sie erschienen bei Schnee und Graupel, bei Tornado und Meteoritenfall. Und sie nahmen es mit jedem Hund auf, keine Dogge war ihnen zu gross und kein Schäfer zu bissig, kein Boxer war ihnen zu gefährlich und kein Bernhardiner zu mächtig. Notfalls wurde mit Waffen gearbeitet, die Pöstler hatten Schleudern, Blasrohre und Pfefferspray dabei, und notfalls auch mal einen Colt.
Ja, das waren noch Zeiten!

Ich werde Spenden sammeln für ein Denkmal:
DEM TAPFEREN BRIEFTRÄGER
Es wird so ähnlich aussehen wie der Tell in Bern.

Also natürlich: Spenden sammeln nach Corona, jetzt hat ja niemand Geld übrig.   





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