Montag, 30. Dezember 2013

Jahresrückblick

Dieses Jahr war ein beachtliches Jahr.

Ich habe 100 musikalischen Proben vorbereitet und durchgeführt, 40 musikalische Auftritte, ich habe an 150 Sitzungen teilgenommen, 800 Unterrichtsstunden gegeben und 400 Stunden korrigiert. Ich habe 2000 E-Mails bekommen und 1000 geschrieben, ich habe 40 Protokolle, Bulletins und Ideenpapiere verfasst, 3000 Telefonate geführt und 1200 SMS eingetippt. 

Blödsinn, alles Blödsinn.
So geht das nicht.
Eine rein quantitative Übersicht macht keinen Sinn.

Wie viele der beachtlich vielen Aktionen hatten denn irgendeinen Nutzen? Von den 2000 Mails waren 1996 Spam, und meine E-Mails wurden wahrscheinlich auch nicht richtig gelesen. Von den 3000 Telefonaten waren 500 falsch verbunden, 500 Umfragen und Werbekampagnen, 500 überflüssig, weil man gleichzeitig noch eine E-Mail verschickt hatte, und so weiter, und so weiter…
Wenn man in Quantitäten denkt, könnte man noch viel höhere Zahlen angeben: Ich habe 730 000 Kalorien zu mir genommen, ich habe über 30 Millionen Sekunden geatmet, ich habe…

Blödsinn, alles Blödsinn.
Bei einer qualitativen Übersicht ist man allerdings in der Gefahr auf der anderen Seite des Rosses hinunterzufallen und depressiv zu werden:

Den Stein der Weisen wieder nicht gefunden.
Den Gral wieder nicht erreicht.
Wieder nicht in Atlantis gewesen.
Den Tractatus de vita, de mundo et de rebus restantibus, die Schriften von G’’alla bin P’hu’ww, den Versuch über eine ontologische Eschatologie und die sogenannten Tafeln von Uberstwwithhh wieder nicht verstanden.
Und noch einen ganzen Bücherschrank voll Sachen, die ein Eco gelesen und verstanden hat und ständig zitiert.
Keinen Meter, keinen Zentimeter, ja keinen Millimeter der Seligsprechung nähergekommen, von der Heiligsprechung ganz zu schweigen.

Wenn das aber so auch nicht geht, dann wird es schwierig. Jetzt müsste ich mich an einzelne Stunden, Tage, Minuten, Sekunden erinnern: Wo habe ich etwas begriffen, etwas dazugelernt? Wo war ein Moment, den ich behalten habe? Was hat mich beeindruckt, was hat mich weitergebracht? Wo habe ich mich vor Lachen weggeschmissen? Wann hat mir etwas Tränen entlockt?

Das geht dann so:
* am 5.1. einen Pudding völlig ohne Klümpchen hinbekommen
* am 7.1. eine für mich total neue Melodie in Mahler III gehört
* am 9.1. mich totgelacht, als mein Schüler im Dialog "In the Tourist Information" aufschrieb: "Are there any bitches in Chichester?"
*am 11.1. das ultimative Foto geschossen: Wand in Kleinbasel, reine Struktur
* am 13.11. von Harry in den neuen Griechen eingeladen worden (beste Moussaka der Welt)
*am 15.11. einen Satz von Adorno endlich kapiert
usw.

Machen Sie doch auch einmal eine solche Aufstellung! Da sitzen Sie nämlich lange.

Deshalb treffen wir nur auf Leute, die entweder mit riesigen Zahlenkolonnen um sich werfen oder das ganze Jahr als Scheissjahr abtun. Glauben Sie beiden Gruppen nicht.

Freitag, 27. Dezember 2013

Kann ich das umtauschen?


„Wie, du fährst am 26.12. in Ferien?“, fragt mich ein Kollege, „und bis 2.1.? Und wann gehst du umtauschen?“ Meine Antwort ist kurz und bündig: „Gar nicht. Ich muss nichts umtauschen.“ Der junge Mann seufzt: „Du Glücklicher. Ich brauche immer einen ganzen Tag, ich habe mir den 3.1. noch als Brücke dafür reserviert.“

Umtauschen. Der Volkssport Nr.1 zwischen den Jahren. Horden von Männern und Frauen, Teenies und Omas, Ehemännern und Ehefrauen, quer durch alle sozialen Schichten und Berufsgruppen stürmen mit wildem Geheul die Kaufhäuser, zücken Originalverpackungen und Quittungen, werfen sie auf die Theken und schreien die magischen 4 Worte durch den Laden:

„Können Sie das umtauschen?“

Dabei lassen sie alle Wut, allen Zorn, alle Enttäuschung über die verunglückten Geschenke, die sie ja eigentlich an den Schenkern oder den Beschenkten auslassen müssten, an den Detailhändlern aus, die mit stoischer Ruhe Originalverpackungen und Quittungen entgegennehmen und die passende Neuware suchen. Aber wehe, Originalkarton und Beleg fehlen, dann dürfen nämlich auch die Händler endlich einmal ihre Wut, ihren Zorn, ihre Enttäuschung über die dämliche Kundschaft an dieser auslassen und brüllen ihre 6 magischen Worte durch den Laden:

„So kann ich das nicht umtauschen!“

Und so tobt im Einzelhandel zwischen Stephans- und Dreikönigstag ein Krieg, denn nun ist ja auch das Fest der Liebe und des Friedens vorbei. Musste man zu ekligen Kunden VOR Weihnachten noch süsslich und lieb sein, darf man NACH Weihnachten endlich wieder muffig (wenn Verpackung und Beleg vorhanden) oder richtig böse sein. (wenn Hülle und Quittung fehlen)

Warum nun wird so viel umgetauscht?
Weil falsch geschenkt wurde?
Mitnichten.
OK, manchmal schon. Manchmal hat Oma nicht kapiert, dass es bei Elektronikzubehör auf jedes Zeichen ankommt und dass der TZR5656 und der DZR5656 nicht kompatibel sind. Manchmal kam einer auf die glorreiche Idee, einem fanatischen Jelinekianer das neue Buch von Elfriede zu kaufen, das jener natürlich seit Wochen im Regal hat, weil er es in Subskription bezieht. Manchmal hat auch jemand nicht gecheckt, dass Menschen ab- oder zunehmen und die oder der Beschenkte auf einmal in Grösse S passen oder in M eben nicht mehr hineinkommen. (Meistens sind die Veränderungen übrigens schon vor Jahren eingetreten, man hat sie nur ignoriert.)

Der wahre Grund liegt aber ganz woanders:
Das Tauschen ist ein menschlicher Urinstinkt.

 Die Menschen rennen seit Jahrtausenden durch die Lande und versuchen irgendwelche materiellen oder immateriellen Güter gegen andere einzuwechseln, immer in der Hoffnung, etwas Besseres, etwas Saftigeres, etwas Schöneres, Geileres zu erhalten, etwas, das mehr glänzt, schneller rollt oder besser tötet. Sagen, Märchen und Mythen, Epen und religiöse Schriften berichten davon. Da tauscht Adam Erkenntnis gegen paradiesisches Leben, da gibt Esau sein Erstgeburtsrecht gegen einen Teller Linsensuppe, da legt Wotan den Riesen den Ring in die Pranken um seine Schwägerin wieder zu bekommen. Hans im Glück tauscht das ganze Märchen hindurch, am Anfang hat er einen Goldklumpen und am Ende nix und in 1001 Nacht läuft ein Zauberer herum, der neue Lampen gegen alte tauscht, in der Hoffnung eine von den alten möge die Wunderlampe Aladins sein. Dazu kommen noch die unzähligen Frauen, die ihre unsterbliche Seele gegen die Liebe des Märchenprinzen herschenken: Undine (auch Rusalka genannt), die kleine Meerjungfrau alias Arielle, la Sylphide, Giselle und Arwen. Schaut man da aber mal genau hin, merkt man, dass viele einen miesen Tausch machen: Wie gut muss eine Linsensuppe sein, damit dieses Geschäft lohnt? Welcher einigermassen vernünftig denkende Mann gibt etwas her um seine Schwägerin wieder in die Arme zu schliessen, die meisten wollen sie doch los sein? Hans im Glück trägt seinen Titel ironischerweise: Er verschlechtert sich von Tausch zu Tausch, und die Märchenprinzen lohnen absolut nicht die Aufgabe der ewigen Seele.

Rein rechnerisch ist das auch klar. Bei Nichtgleichwertigkeit der Tauschobjekte machen 50% der Leute ein schlechtes Geschäft, einen miesen Tausch, den Fall, dass Milo auf dem Dachboden eine Geige und ein Mundstück und Malo eine Oboe und einen Bogen findet, die gibt es wirklich nur im Märchen.
Trotzdem wird getauscht, trotzdem gehört das Ich-gebe-dir-X-und-du-gibst-mir-Y zu den ältesten Ritualen der Erde.
Dennoch rennt die Menschheit durch die Welt und brüllt: „Wer tauscht…?“ Immer auf der Suche nach dem Schöneren, Besseren, Weiseren, immer bereit etwas für das angebliche Superobjekt herzugeben. Und deshalb stürmen auch dieses Jahr die brüllenden Horden die Kaufhäuser, Originalverpackung und Quittung in der Hand.

Aber ich behalte mein Erstgeburtsrecht, meinen Ring, meinen Goldklumpen und meine Seele und mache zwischen den Jahren lieber Ferien als mich in den Krieg zu stürzen.

Montag, 23. Dezember 2013

Wir wollen doch heute nicht über Politik reden


„Wir wollen doch heute nicht über Politik reden…“

Die Oma lächelt dich an und schaufelt dir noch eine Ladung Gans, drei Kellen Rotkohl und zehn Kroketten auf den Teller, denn sie weiss, wenn du isst, kannst du nichts sagen.

„Wir wollen doch heute nicht über Politik reden…“

Die Tante hebt beschwichtigend die Hände, nippt an ihrem Rotwein und giesst ihr Lächeln aus, ihr Lächeln, das schon drei Önkel ins Grab gebracht hat.

„Wir wollen doch heute nicht über Politik reden…“

Ich glaube, nach „Kinder, was haben wir es wieder gemütlich“ und „ich platze gleich“ ist dieser Satz der dritthäufigste an diesem Tag, den wir heute feiern, Weihnachten, das Fest der Liebe und des Friedens. Und einmal im Jahr will man doch auch Frieden in der Runde haben, will nicht, dass Heinz seinen Schwager Ruedi als „vaterlandslosen Multikulti-Depp“ beschimpft und umgekehrt Ruedi Schwager Heinz als „neofaschistischen Fremdenfeind.“ Einmal im Jahr will man doch Liebe und Harmonie erleben, und da stört es ganz gewaltig, wenn Tante Isabelle für vier neue Grossflughäfen in der Innerschweiz plädiert und gleichzeitig ihre Nichte Caroline die Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Appenzell komplett unter Naturschutz stellen will. Einmal im Jahr sollen doch bitte die Abstimmungsvorlagen und Referenden draussen bleiben.

„Wir wollen doch heute nicht über Politik…“

Wobei sich die Frage stellt, über was man dann reden soll. Was kann gesagt, gemeint, gedacht werden, was kann in die Runde geworfen und im Raum stehen bleiben, was kann geäussert, gemurmelt, verkündet werden, das nicht über kurz oder lang zu Debatten führt? Das Wetter? Da kann doch Greenpeacler Urs sofort wieder zum CO2 kommen und eine Klimaschutzdiskussion vom Zaun brechen. Die Wehwehchen, von denen Tante, Gross- und Urgrosstante ja genug haben? Da ist man doch auch sofort bei der Gesundheitspolitik, der Pharmalobby und der Förderung von Naturheilverfahren, ein Themenkreis, bei dem Grossnichte Bianca Shihuna (ihr Sannyasin-Name heisst so viel wie „die Wundenschliesserin“) sehr schrill werden kann. Es gibt praktisch gar kein Thema, das nicht irgendwie in einen Grosszusammenhang gestellt werden könnte.

„Wir wollen doch heute nicht über…“

Und was bedeutet es denn, wenn Weihnachten das Fest der Liebe und des Friedens ist? Bedeutet es nicht gerade, dass man auch an die denkt, die keinen Frieden und keine Liebe erleben? Wo ist Frieden und Liebe in Ländern, in denen Volksgruppen, Machthaber, Demonstranten, Soldaten, Polizisten und Studenten auf einander losgehen? Und was ist mit Kindern, die in einem Land ohne Krieg zwar von der ganzen Familie geliebt werden, aber schlicht und einfach verhungern? Ist das nicht aber schon wieder eine ungeheuer politische Aussage? Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir ja nicht auf einem einsamen Stern leben, sondern irgendwie mit drin hängen?

„Wir wollen doch heute nicht über Politik reden…“

Jetzt bist du mal ruhig, Tante Eusebia. Wir reden heute über Politik! Den ganzen Abend! Ein sinnvolles Weihnachtsgeschenk könnte hier sogar ein Moderator sein. Denn vielleicht kann Fest der Liebe und des Friedens ja auch bedeuten, dass man über Politik redet, aber fair, zuhörend, verstehend, eben mit Liebe, die man ja auch als Achtung übersetzen kann und eben mit Frieden, ohne Fäuste, Beleidigungen und Angriffe.
Und möglicherweise merkt man an diesem Heiligen Abend, dass die Wahrheit sehr häufig in der Mitte liegt: Da kapieren Heinz und Ruedi, dass die Position „Lasst die ganze Welt kommen, Platz ist genug da, und damit sich alle wohlfühlen, bauen wir Reis und Maniok an und lernen Türkisch und Xhosa.“ genauso blödsinnig ist wie „Wir schmeissen alle raus, deren Vorfahren nicht beim Rütlischwur dabei waren.“ Da checken Isabelle und Caroline, dass ein Ausbau von Kloten eventuell unvermeidlich ist, und dafür müssen dann auch ein paar Bäume gefällt werden, dass aber umgekehrt die Flughäfen Altdorf, Stans und Sarnen Schnapsideen sind, die nur den Bauunternehmern nützen.
Und wenn so etwas passiert, dann hat das Fest der Liebe und des Friedens doch seinen Namen verdient.

„Wir wollen heute über Politik reden.“

 

Donnerstag, 19. Dezember 2013

Weihnachten ist nichts für Kinder


Die Kinderlein, die da kommen sollen und zum Kripplein und die sehen sollen, was da in heiliger Nacht geschah, die Kinder, denen man sagt, morgen gebe es was und man werde sich freu’n, die Kinder, die dem Klingglöckchenklingelingeling die Tür öffnen sollen, die Kinder, die Kleinen, die Buben und Mädchen, für sie ist Weihnachten nicht gemacht. Ja, gegen alle Lieder und Gedichte und Geschichten und Bilder sage ich: Weihnachten ist kein Fest für Kinder.

Kinder sind bei den ganzen Vorbereitungen der kolossale Störfaktor, der Mutti an den Rand des Wahnsinns und Papi in die Kneipe treibt.
Schon allein ihr Aufenthalt während des Heiligen Vor- und Nachmittags ist ein Problem, denn eigentlich sind sie überall im Weg. Im Wohnzimmer muss Papa den Tannenbaum mit den grünen Blättern aufstellen, damit am Weihnachtsbaum die Lichter brennen, und das kostet Papa eine enorme Konzentration und Anstrengung und da kann er sich wirklich nicht mit den Anliegen seines Filius herumschlagen, der nicht an sein Lieblingsspielzeug herankommt. In der Küche werkelt Mama mit hochrotem Kopf, Gans, Punsch, Salat, Kuchen, Dessert, alles noch nicht fertig, und dann stellt sie erschrocken fest, dass ihr noch Backpulver und Pfeffer ausgegangen sind und dann kommt Töchterlein und will einen Zopf frisiert haben.
Da kann man doch verstehen, wenn den Eltern dann mal der Kragen platzt und sie ein wenig rumbrüllen.
Schliesslich steckt man sie ins Kinderzimmer, wo sie bis zur Bescherung fernsehen, denn es gibt ja - Gott sei Dank - im Kinderkanal ein Weihnachtsprogramm.  

Die lieben Kleinen funktionieren aber auch überhaupt nicht so, wie die Eltern sich das ausgemalt haben. Da hatte man Bilder im Kopf, Bilder von liebreizenden blonden Geschöpfen mit Pausbäckchen und Kugelaugen, die den ganzen Tag strahlen und lachen, Bilder, die sich in Kombination mit Weihnachtsbaum, Lichterglanz und Kerzenschimmer zu Kompositionen steigerten, gegen die Dezembertitelblätter von Familie und Hund, Kochen und Bügeln, Fabiola, Annakatarina und Frau mit Schrank überhaupt nicht anstinken konnten. Aber schon letztes Jahr schrammte man knapp an der Katastrophe vorbei, weil Bubele und Madele nicht ganz süss Putzigagele machten, sondern Lärm und Dreck und sich überhaupt nicht richtig über ihre Geschenke freuten. Und dass, obwohl alle Präsente speziell pädagogisch wertvoll, teuer, formschön, abwaschbar und vollkommen zweckfrei waren, gell.
Und dieses Jahr hat der Sohnemann schon am 3. Advent verkündet, dass er KEIN Weihnachtsgedicht aufsagen will, die anderen in seiner Klasse müssten das auch nicht, und die Tochter weigert sich beharrlich, ihre beiden Lieder auf der Geige vorzuspielen, will dieses Mal das traute hochheilige Paar auch schlafen und die Christenheit sich nicht freuen lassen. Dabei hat man mit beiden stundenlang gepaukt, geübt, hat sie mit Taschengelderhöhung bestochen oder mit Zimmerarrest das Training durchgesetzt.
Ein ganz heikler Punkt ist natürlich auch der Dresscode, denn zum Zwei-glückliche-Kinder-mit-glänzenden-Augen-Fresko gehört selbstverständlich Stoffhose und Rentierpulli für Fritzchen und ein allerliebstes Rüschenkleidchen für Lieschen, Kleider, die man nur noch in ganz speziellen Läden bekommt, die noch Sinn für Geschmack und Feierlichkeit haben. Nun muss man befürchten, dass die Kleinen, wenn sie schon ihren Kulturpflichten nicht nachkommen, auch die Kleidervorschriften missachten werden.
Nein, Weihnachten ist kein Fest für Kinder. Denn die lieben Kleinen, die da zum Kripplein kommen und dem Klingglöckchenklingelingeling die Tür aufmachen sollen, haben eines noch nicht kapiert: Der Heilige Abend ist das Fest der Verstellung, ein Fest der Komödie und des Rollenspieles. Da lobt man alles, ist zu allen nett, freut sich über sinnlose Geschenke, zieht eine Krawatte an, weil die Schwiegermutter das eben so gern hat und streitet sich einmal im Jahr mit dem Schwager nicht über die Einwanderungspolitik.
Kinder sind nicht so, Kinder sind rebellisch, unangepasst, autonom, sie lügen und heucheln nicht, sie wollen sich ehrlich freuen und ehrlich nicht freuen, sie passen in kein Alle-Jahre-wieder-Schema. Daher hier 5 Tipps für den 24.12.:
1.)    Ein Elternteil geht mit den Kiddies bis 16.00 ins Spassbad.
2.)    Die Geschenke (zumindest einen Teil) kauft man irgendwann MIT den Kleinen.
3.)    Sie dürfen das vortragen, was sie wollen (Rap, Breakdance, Trommeln) oder auch nix.
4.)    Sie dürfen das tragen, was sie wollen.
5.)    Die Eltern sagen den ganzen Abend keinen einzigen Satz, der mit „Als ich jung war…“ beginnt.

Sie waren auch nicht anders.

Montag, 16. Dezember 2013

Jeder kann alles oder: das Höllenkabinett


Es gibt einen alten Witz über die Verteilung der Ämter im Jenseits: Im Paradies übernehmen die Franzosen die Küche, die Italiener sind die Liebhaber, die Engländer die Polizisten und die Deutschen organisieren alles. In der Hölle kochen die Briten, die Deutschen sind für die Liebe zuständig, die Franzosen sind die Organisatoren und die Italiener stellen die Polizei.

Natürlich transportiert dieser Witz nur dumme Klischees, aber ein Körnchen Sinn ist dran: Man sollte Dinge tun, die man kann. So wird der Gesangsverein Frohlust einen Vorstand wählen, in dem Ueli das technische Ressort übernimmt, weil er Schreiner ist, und die Vreni, die auf der Bank schafft, die Kasse. Ich selbst mache in allen Gremien, in denen ich arbeite, irgendwas mit Schreiben, Quartalsbulletin bei den Chordirigenten, Protokoll in Allschwil usw. Niemand würde mich an etwas Technisches heranlassen, wenn die ganze Sache nicht in die Luft fliegen soll.

Nun sollte man denken, dass die Leitung eines Staates noch ein wenig heikler ist als die Leitung eines Gesangsvereins oder eines Fachverbandes, etwas schwieriger als eine Sekundarschule oder eine Musikkapelle, das heisst hier sollten Leute ans Werk, die ihre Sache verstehen, aber weit gefehlt. Der Schacher um Ministerposten hat mit Qualifikation so wenig zu tun wie Grossbritannien mit Küche oder Italien mit Polizei. Und das, obwohl man – im Gegensatz zu allen Vereinsämtern – als Ministerin oder Minister auch noch Kohle kriegt, man könnte hier sogar Externe holen, die in ihrer Arbeit sich als qualifiziert erwiesen haben. Nein, nein, beim Posten-Partei-Roulette sind die Anforderungsprofile so tief gelegt, dass jeder alles machen kann:

Jeder, der schon einmal im Ausland war, kann Aussenminister werden.
Jeder, der schon einmal im Inland war, kann Innenminister werden.
Jeder, der schon einmal beim Arzt war, kann Gesundheitsminister werden.
Jeder, der schon einmal Zug gefahren ist, kann Verkehrsminister werden.

Selbst wenn man Juristen, Ärzte, Techniker und Ökonomen in der Runde der Geier, die um die Posten kreisen, hat, heisst das nicht, dass diese auch ein ihrem Sachverstand angemessenes Ressort bekommen.
Ein Beispiel?
Ich finde, wenn man das völlig unnötige Amt eines Verteidigungsministers überhaupt besetzt (Wieso eigentlich Verteidigung? Müsste es nicht Ministerium für Katastrophenschutz und Auslandseinsätze heissen? Oder Kriegsministerium, weil ja auch die grössten Wortverdreher inzwischen zugeben, dass es in Afghanistan ein Kriegseinsatz ist?) also, wenn man das Amt schon besetzt, müsste nicht die Minimalst(!)qualifikation darin bestehen, schon einmal beim Bund gewesen zu sein? Einmal eine Kaserne von innen gesehen zu haben? Wissen, wie eine Truppe funktioniert? Wissen, wo die Chancen und Probleme liegen? Vielleicht sogar über den Rekruten hinausgekommen zu sein? Insofern ist Frau von der Leyen nicht ganz die optimale Person. Nicht, weil die kleine Bärin eine Frau ist, sondern weil sie keine Ahnung hat, was beim Militär passiert. Sie wäre als Ärztin eine gute Gesundheitsministerin.

Aber beim Schacher, beim Skat, beim Poker um Posten und Ämtli kann man auf so etwas wie Sachkenntnis eben keine Rücksicht nehmen. Da gilt der hohe Posten in der richtigen Partei und sonst nichts.

Also wandeln wir doch unseren Witz von vorher ab: In der Hölle ist ein Offizier Gesundheitsminister, der alle Kranken sowieso für Weicheier und Drückeberger hält, ein Chefarzt Verteidigungsminister, der den Soldaten alle anstrengenden Sachen aus Gesundheitsgründen verbieten wird, Sachen wie Robben, Marschieren und Kämpfen. Ein Jurist wird Verkehrsminister, worauf das Bahnfahren noch komplizierter wird und ein Verkehrsingenieur übernimmt die Justizbehörden, die daraufhin neue Rolltreppen und Fahrstühle bekommen.
 
Wir haben also vier Jahre Hölle vor uns.

Freitag, 13. Dezember 2013

Was tun am Freitag, den 13.? oder: Die Ratschläge der Weisen


Was macht man an einem solchen Unglückstag wie heute? Ich meine, was tut man und tut man nicht, was darf man, was unterlässt man? Welche Dinge sind absolut tabu und welche sind vielleicht gar nicht so riskant? Wer kann einem helfen, wenn einen die Frage plagt, ob man irgendetwas völlig sein lassen muss und vor allem was das denn ist?
Ich gehe zu einem indischen Heiler. Er sagt mir, dass er mir am Ende der Sitzung einen, aber nur einen Ratschlag mit auf den Weg geben könne, vorher mir aber Kraft spenden werde. Er nimmt mich eine halbe Stunde in den Arm, wobei er ca. 550 mal „So much love“ flüstert. Dann kassiert er 400.-Sfr und spricht die Worte: „Donnn’t go wid de Gerrrmannn Raillwei.“
Gut, denke ich, einen halben Wochenlohn ärmer, gut, denke ich, das ist ein weiser Rat, aber das versteht sich ja von selbst, niemand fährt mit der DB, es sei denn, man ist lebensmüde oder hat wirklich keine andere Wahl. - Dabei sind es gar nicht die Zugverspätungen und –ausfälle, an die hat man sich schon gewöhnt, es ist die Perfidie, sich immer eine neue Schweinerei auszudenken. So kam neulich ein zu kleiner Ersatzzug, der auch schon voll war, wir alle hinein, Methode Ölsardine und dann sagt die Lautsprecherstimme, der Zug sei zu voll und die, die jetzt ausstiegen, bekämen 25 Euro, so war dann ich einer der Bösen, ich war schuld, dass wir nicht fuhren und nicht die DB, das ist perfide.
Ich gehe, weil ich ja immer noch einen Tipp brauche, zu einer Kinesiologin. Sie drückt eine ganze Weile an meiner Hand herum (ausgestreckter Arm, Sie kennen das, Sie leisten Widerstand oder geben nach) und meint dann, sie spüre eine Abneigung gegen Finanzen und Internet. Ich solle an einem Freitag, den 13. bloss kein E-Banking verwenden und auch nicht mit Aktien spekulieren. Dafür berappe ich 700.-Sfr. Die war gar nicht so schlecht, die Frau, denke ich, gar nicht so schlecht, meine Abneigung hat die richtig gut gespürt, aber weil ich diese Abneigung habe, mache ich ja eben gar kein E-Banking und  habe auch keine Anteilscheine. Auch diese Auskunft, die so viel gekostet hat wie eine Woche Inselferien, hat mich nicht weitergebracht.
Aller guten – guten? Warum in aller Welt guten? – Dinge sind drei. Also gehe ich noch zu einem Astrologen. Der rechnet eine Weile herum, teilt mir dann mit, Venus und Uranus würden irgendwie im Quadrat Tango tanzen, während Neptun und Mars dazu die Bongos schlügen, ganz verstehe ich das auch nicht, und dann verkündet er: „Am Freitag keinen ungeschützten Sex mit fremden Partnern.“ Dafür will er übrigens 1 ¼  Wochenlöhne bzw.  1.42857143 Inselferien. Der Mann hat natürlich einen kompletten Dachschaden und ich sollte ihn sofort bei der Aids-Hilfe verpfeifen, denn laut seiner Denke muss es ja dann auch Sternkonstellationen geben, an denen man getrost den Gummi weglassen kann, und die gibt es eben nicht. Dabei ist gar nicht immer das Schlimmste zu befürchten, es gibt ausser HIV noch viele andere blöde Dinge, manchmal juckt es nur 30 Tage wie die Hölle, aber wenn man das vermeiden kann, warum nicht…

Was nun aber?

Ich beschliesse, am Freitag, den 13. einfach besonders vorsichtig zu sein.

Und jetzt kapiere ich auf einmal, warum man den Unglücksfreitag eingeführt hat: An einem solchen Tag sind alle ein wenig achtsamer, vorsichtiger, risikounfreudiger, alle passen ein bisschen mehr auf, sind ruhiger, gelöster, machen weniger Hektik und Chaos. Und begreifen eventuell, dass es auch so geht. Da fährt das notorische Bleifusspedalschwein einmal nicht 80 km/h innerorts und 200 km/h ausserorts und merkt, dass es auch so ans Ziel kommt. Da wirft der notorische Chaot noch einmal einen Blick in die Stube, bevor er geht und entdeckt dieses Mal die noch brennenden Adventskranzkerzen, dieses Mal bleibt die Hütte stehen. Da liest der Zehnfinger-Schnellschreib-Mailer seinen Elektrobrief noch einmal durch, und merkt, dass diese 30 Sekunden eine gut angelegte Zeit sind, wenn man damit ein dauerhaftes Zerwürfnis vermeiden kann. Da wird überall landauf, landab ein wenig mehr geplant, nachgedacht, da werden die Dinge erst einmal erwogen und dann getan, da wird erst das Grosshirn und dann der Greifapparat in Bewegung gesetzt. 

Und ganz, ganz ehrlich, liebe Freunde: Wäre das nicht eine tolle Sache, erst einmal nachzudenken?

Insofern freue ich mich auf den heutigen Tag.

Montag, 9. Dezember 2013

Das wahre Problem ist das Auspacken

Ich habe nun endlich das wahre Problem von Weihnachten gefunden – und gelöst.

Das Problem ist nicht die Weihnachtsfeier.
Das Problem ist nicht das Wünschen.
Das Problem ist nicht das Schenken.
Das Problem ist nicht der Gabentisch.

Das Problem ist das Auspacken.

Also, erst packen wir die Geschenke aus und dann hört Opa seine Weihnachtsplatte, dann sagt Dicki sein Weihnachtsgedicht auf und dann machen wir es uns gemütlich.

Hallo, Familie Hoppenstedt, hört ihr nicht zu? Ich sagte gerade, das Auspacken sei das Problem. Und ich spreche nicht von den ca. 23 Kubikmetern Papier, Tüll, Schleifchen, Zellophan, Pappe und Tesafilm, die an einem 24.12. zusammenkommen und jeden Mülleimer, jede Altpapiertonne, jeden Abstellraum und jeden Schrank sprengen. Ich spreche vom Vorgang des Auspackens.

Nein, erst sagt Dicki sein Weihnachtsgedicht auf, dann schauen wir uns die Weihnachtssendung im Fernsehen an, dann packen wir die Geschenke aus und dann machen wir es uns gemütlich.

Haaaaaaaaaaalloooo, Familie Hoppenstedt! Ihr hört nicht zu. Das Auspacken, der Vorgang des Papieraufreissens, des Tesaabmachens, des Schleifchenzerschneidens, das ist das Problem.
Und warum?
In der Zeit vor dem Heiligen Abend wird man ja stets gefragt, was man sich zu Weihnachten wünsche. Antwortet man jetzt nicht ausweichend („Dir fällt bestimmt etwas Nettes ein.“) oder wünscht sich Belangloses wie Krawatten und Düfte, sondern antwortet ehrlich, wünscht sich das, was man wirklich will, liegen unter dem Tannenbaum etwas andere Präsente. Da hat sich der 18jährige Sohn 150g Schwarzer Libanese gewünscht, die ein Jahr jüngere Tochter eine Geschenkpackung Fliegenpilze, Mutti wollte einen Vibrator, weil Papi… na ja, wahrscheinlich stressbedingt, aber er bringt’s nicht mehr so… und Vati ganz viel Viagra, denn er befürchtet,  Mutti will jetzt irgendwann ein Hilfsmittel. Der 13jährige Sohn hat auf seinen Wunschzettel ganz im Stile von Oscar Wilde geschrieben: „Ich bin nicht anspruchsvoll, ich freue mich über jedes Geschenk, das erst ab 18 ist.“
Und das soll nun zu den Klängen von Stille Nacht und Adeste Fideles im Kerzenschimmer ausgepackt werden? Wo doch auch Opa und Oma, Uropa und Uroma da sind und die sehr strenge Tante Isolde, die schon die obengenannten Wörter nicht über die Lippen bringt? Nimmt man das nicht lieber eingepackt mit ins stille Kämmerlein und freut sich dort, dass endlich mal ein Herzenswunsch erfüllt wurde?
Ein anderes Szenario geschah letztes Jahr, als ich Söhnen von befreundeten Familien das Buch Ich knall euch ab von Morton Rhue schenkte, in dem er in Einzelberichten einen (erfundenen) Amoklauf analysiert. In Familie 1 hatte der Sohn kaum ausgepackt, als die Eltern es sehen wollten, den Roman als gewaltverherrlichend und amokanstiftend ansahen und das Buch sofort konfiszierten. (Und mir eine böse Mail schrieben, in dem mir der Kontakt mit ihren Kindern untersagt wird.)
In Familie 2 hatte der Sohn kaum ausgepackt, als die Eltern es sehen wollten, das Buch als das erkannten, was es ist, ein literarisch gekonntes und pädagogisch wertvolles Stück Literatur, nur wollte der Sohn es jetzt nicht mehr lesen, weil er in einem Alter ist, in dem man eben keine literarisch gekonnten und pädagogisch wertvollen Bücher möchte. Hätten sie nicht sofort auspacken müssen, hätten beide das Buch verschlungen.
Also bleiben dieses Jahr die Gaben vom Gabentisch unausgepackt. Jeder kann sich das wünschen, was er WIRKLICH will.  Und wenn die strenge Tante Isolde sagt, es rieche hier so süsslich, dann sagt der 18jährige Sohn: „Wahrscheinlich arabische Gewürze, ich koche doch so gerne.“

Nein, wir machen es so: Erst sagt Dicki sein Weihnachtsgedicht auf und Opa hört die Weihnachtsplatte, dann machen wir es uns gemütlich und dann packen wir die Geschenke aus..
 
Ach, Hopfenstedts! Bei euch ist Hoppen und Malz – äh – Hoppenstedts, bei euch ist Hopfen und Malz verloren. Und das Verpackungsproblem habt ihr ja auch nicht in den Griff bekommen, alles ins Treppenhaus ist zwar genial, aber weil das alle schon gemacht haben, stürzt die ganze Papierflut in euren Korridor.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Krupp-Bauknecht (ein Gedicht für den Nikolaus)

Liebe Eltern, liebe Kinder, ihr sucht noch ein wirklich schönes Gedicht für den Nikolaus? Hier habe ich eines für euch. Und zwar die Urform jenes Poems, das wir in der biedermeierverkitschten Fassung von Theodor Storm kennen und das im Original nicht Knecht Ruprecht sondern Krupp-Bauknecht heisst. Geschrieben wurde es vom deutschen Lyriker Emanuel Friedrich Duddel (1820-1848), der zu den von der Literaturwissenschaft sträflich vernachlässigten Grössen des Vormärz gehört. Er wurde am 24.12.1820 in Bonn geboren und starb am 6.12.1848 während eines Barrikadenkampfes in Berlin.

Von City-downtown komm ich her
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr.
Allüberall auf den Kaufhausspitzen
Sah ich Leuchtreklame blitzen.
Und droben aus dem Himmelstor
Sah die Göttin Eukonomia hervor.
Und wie ich so fuhr mit der Strassenbahn
Rief sie mit lauter Stimme mich an:
„Krupp-Bauknecht“, rief sie, „mein CEO,
starte dein Auto und mache mich froh.
Alte und junge, wie sie auch leben,
Wollen nun wieder Geld ausgeben.
Die Werbung fängt zu leuchten an,
Das Girokonto ist aufgetan,
Und bald schwebe ich hinab auf Erden
Denn es soll wieder Weihnachten werden.“
Ich sprach: „O Göttin der Bilanzen,
Ich bin am Umeinandertanzen!
Ich muss nur noch in diese Stadt,
Wo’s viel solvente Leute hat.“
„Hast denn die Skonti auch bei dir?“
Ich sprach: „Die Skonti, die sind hier.
Denn auch ein Dreck verkauft sich glatt,
Gibt man den Leuten fett Rabatt.“
„Hast auch die Mahnungen bei dir?“
Ich sprach: „Die Mahnungen, die sind hier.
Wer stundet bis Sankt Stephanus,
Für den bleibt nur der Gnadenschuss.“
Eukonomia sprach: „So sei’s!
Krupp-Bauknecht, eine gute Reis‘!“
Von City-downtown komm‘ ich her
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr.
Nun sprecht, wie ist’s hier bei euch, Leute?
Seid ihr solvent?
Oder gar

Pleite?

 

 

 

 

Dienstag, 3. Dezember 2013

Im Freibad zugenommen und in der Unibibliothek nichts gelernt


Ricardo und Florian trafen sich nach der Sommer- und Herbstpause zum ersten Mal wieder in ihrer Stammkneipe. Die beiden kennen sich vom Lehramtsstudium, aber während Ricci schon das erste Jahr unterrichtet und jetzt die Sommerferien (und Herbstferien) genossen hatte, war Flo kurz vor dem Examen.
„Mensch, bist du braun“, begrüsste er den Kollegen, „allerdings hast du auch zugenommen." “Stimmt“, gab Ricardo zu, „dabei war ich jeden Tag im Schwimmbad. Und du? Du siehst müde und blass aus. Fit für die Prüfungen?“ „So lala. Ich hab echt wenig gelernt. Dabei war ich jeden Tag in der Bibliothek. Wenigstens habe ich keine zusätzlichen Kilos.“
Beim ersten Bier versuchten die zwei Kumpels zu analysieren, wie man im Freibad aus der Facon kommen und in der UB nichts lernen kann.

Dabei ist die Lösung denkbar einfach: Wir verwechseln Anwesenheit mit Aktion. 
Nehmen wir doch gerade mal die Badi: Sie wollen in den Sommermonaten endlich etwas für ihre Fitness tun und kaufen sich ein Abonnement für das örtliche Freibad. Schon beim Betreten fühlen Sie: Hier ist ein Ort, an dem Sie sich runderneuern werden, denn wo Sie hinschauen, sehen Sie durchtrainierte, muskulöse und bronzefarbene Körper. Sie schwimmen eine Länge, plantschen noch ein wenig am Rand und legen sich in die Sonne. Nach einem Stündchen haben Sie unbändige Lust auf Pommes – Pommes rot-weiss, oder „Schranke“ wie die Norddeutschen sagen. Sie sonnen danach noch ein bisschen, schwimmen und plantschen noch eine kurze Zeit und gleiten die Rutschbahn hinab und… jetzt muss es ein Eis (Magnum Mandel) sein. Am nächsten Tag zeigt die Waage 500g mehr.
Denn: Der Anblick des Wassers verbrennt keine Kalorien, das Berühren des Wassers verbrennt keine Kalorien, das Hinabrutschen auch nicht. Einzig etliche Längen, schnell hintereinander durchpflügt, führen Sie in den sogenannten aeroben Bereich, in dem Sie Fett verbrennen, zum Beispiel das von Majo und Ketchup.
Und was ist mit den schlanken und muskulösen Leuten? Die sind meistens 17, und mit 17 hat man noch Träume - und einen anderen Körper.

Genauso wie in der Badi ist es in der Bibliothek. Die Anwesenheit allein bringt nichts. Auch wenn man das Gefühl hat, 5000 Meter Weisheit müssten doch irgendwie auf magische Weise abstrahlen, es ist nicht so. Auch das Anhäufen auf dem Pult bringt nix, nicht einmal das Durchblättern, Sie kommen nicht drum herum, Sie müssen die Bücher wirklich lesen - und verstehen!

Es langt also nicht, irgendwo zu sein, Sie müssen etwas tun.
Sie lernen in Frankreich kein Wort Französisch, wenn Sie keine Kommunikation betreiben. 
Sie lernen keinen Chopin, wenn Sie einen Flügel im Wohnzimmer und die Noten im Bücherschrank haben.
Sie - und jetzt wird es spannend - regieren nicht, auch wenn Sie an der Regierung sind, aber nichts machen. Es genügt nicht, den Finanzsektor zu besetzen, man muss die Finanzen auch sanieren. Es reicht nicht, das Wirtschaftsministerium zu leiten, die Wirtschaft sollte auch etwas davon haben. Es langt nicht, der Verkehrsminister zu sein, man muss sich auch um den Verkehr - immer wachsend, immer brodelnder, immer bedrohlicher - kümmern. 
So hat die Grosse Koalition die besten Voraussetzungen, um etwas zu bewirken: Sie hat fast 2/3 der Stimmen, ist breit abgesichert im Volk. 
Aber jetzt muss auch was passieren! 
Jetzt! 
Ihr könnt alles durchsetzen, also setzt auch was durch! 
Jetzt!
Sonst geht es euch nach vier Jahren wie den beiden Studienkollegen. Sonst habt ihr auch in der UB nix gelernt und im Bad zugenommen.

Donnerstag, 28. November 2013

Bitte keine Koalitionsverträge in der Weihnachtszeit!


Es ist nicht zu fassen. Nun hat mir Angie meinen schönen Post für heute kaputtgemacht. Ich hatte mir so etwas Witziges zur Länge der Koalitionsverhandlungen ausgedacht, und nun unterschreiben die Heinis einfach so ihr Dokument. Hätten die nicht bis nächste Woche warten können? Wenn die Sache eh schon ewig gedauert hat, wäre es ja auf ein, zwei Tage nicht angekommen. Aber manchmal sind Politiker dann doch schneller, als man denkt.
Ich hatte vorgehabt, den unvergleichlichen Text aus Douglas Adams Das Leben, das Universum und der ganze Rest über die längste Party aller Zeiten auf die längsten Verhandlungen umzuschreiben. Verdammt, ICH HABE ALLES SCHON GESCHRIEBEN, und jetzt zücken Merkel, Steinbrück und der Bayer ihre Stifte und malen einfach ihre Kritzel aufs Papier.
Hier ein paar magere Auszüge von meinem Supertext:

Die längste und erfolgloseste Koalitionsverhandlung aller Zeiten geht jetzt in die vierte Generation und immer noch macht niemand Anstalten irgendein Dokument zu unterschreiben. Irgendjemand hat mal einen Kugelschreiber gezückt, aber das ist nun auch schon wieder elf Jahre her, und einen Nachahmer hat es nicht gegeben…

Vor kurzem hat es vor den Toren geknallt und geblitzt, und man ist der Auffassung, dass es von Schlachten herrührt, die sich Rebellen und Milizen in dem seit Jahrzehnten unregierten Land liefern…

Eines der Probleme, und zwar eines, das immer schlimmer wird, ist, dass alle Leute bei dieser Konferenz die Kinder oder Enkel oder Urenkel der Leute sind, die schon zu Anfang nicht unterschreiben wollten, und aufgrund der ganzen Chose von Zuchtwahl, regressiven Erbanlagen und so weiter heisst das, dass die Leute, die jetzt verhandeln, entweder fanatische Diskutierer sind oder Schwachsinn plappernde Idioten oder, öfter und öfter,  beides…

Die Gesamtlänge der Gespräche – Sie erinnern sich: Es wurde ja erst mit Rot UND Grün ein bisschen sondiert, dann noch einmal mit beiden sondiert, und dann endlich erst überhaupt in gültige Verhandlungen  eingestiegen – hat nun doch ein grosses Problem aufgetan:
 
Man ist zu weit in die Weihnachtszeit hineingeraten.

In der Advents- und Weihnachtszeit wird nicht nur die klare Ratio, der Verstand, das Kalkül, das Denken ausser Kraft gesetzt – ich bitte Sie, wer kann unter der konsequenten Beschallung mit Jingle Bells noch irgendeinen sinnvollen Gedanken fassen? Wer kann eine gute Entscheidung treffen, wenn vor dem Fenster zehn blaue Engel und zehn rote Nikoläuse im Sekundentakt um die Wette blinken? – die Advents- und Weihnachtszeit ist die Zeit der Grosszügigkeit, der Freude, der Liebe, des Schenkens. In diesen Tagen denkt man nicht ans Geld.
Bubi will ein Fahrrad mit Platinrahmen und 56-Gang- Schaltung? Es ist doch nur einmal Weihnachten, kriegt er halt zum Geburtstag weniger. Ein Truthahn am 24. und eine Pute am 25.? Natürlich, man gönnt sich ja sonst nichts. Einmal im Jahr will man doch nicht jeden Cent umdrehen, will man nicht ans überzogene Konto denken, einmal es sich gutgehen lassen. Und dann wird halt aus dem Parfüm für 350.- schnell ein Duft für 580.-, da wird dem Kindlein zusätzlich zu Velo und Spielkonsole noch eine Skiausrüstung gekauft. Ja, und spenden muss man natürlich auch, an CARE und BROT FÜR ALLE und an den WWF und an die AKTION MENSCH, alle bekommen auch schnell ein Zehnernötlein, denn wir sind ja gute Menschen und Christen und man zeigt damit, dass einen der Mammon nicht im Griff hat. Und irgendwann merkt man, dass das 13. Gehalt, das so genannte Weihnachtsgeld, gar nicht gereicht hat…

In dieser Atmosphäre sollte man keine Koalitionen schmieden.
Denn was da jetzt in Berlin herausgekommen ist, mutet einem an wie der Sack vom Nikolaus: Da gibt es Rente früher, Rente für Mütter, Steuererlass für Kleinhunde und Grosskatzen, Mindestlohn, natürlich Kultur- und Bildungsförderung, da gibt es Geld, Geld, Geld. Man gönnt sich ja sonst nichts, es ist nur einmal Weihnachten und an die Frage, wo das ganze Geld herkommen soll, denken wir lieber nicht. Das Volk scheint von Lebkuchenduft und Glühwein benebelt, es merkt gar nicht, dass die Weihnachtsgeschenke der Grossen Koalition nur durch Steuererhöhungen oder Schulden zu finanzieren sind. Und Schulden wollte man doch abbauen? Aber Wörter wie Ausgeglichener Haushalt gehören eben nicht ins Vokabular der Weihnachtszeit. 
Daher sollte man immer im Frühjahr wählen, damit, wenn die K-Verhandlungen doch Adamsche Ausmasse erreichen, nicht in der Zeit der offenen und grosszügigen Herzen Verträge geschmiedet werden, in denen es um die Zukunft eines Landes geht. Denn eines ist klar: Der Januar kommt bestimmt.

 

  

Montag, 25. November 2013

Das Böse bleibt


Wer war August von Kotzebue?
Sie haben 10 Sekunden  Zeit für die ausführliche Antwort, Sie können noch nicht tauschen, einen Joker einsetzen oder jemand anrufen.
Nun?
Was sagen Sie? „So’n  Dichter, wo erschossen worden ist…“ Na ja, das ist teilweise richtig. Aber arbeiten Sie einmal an Ihrem Deutsch, das Relativpronomen heisst der. Kotzebue – wurde der nicht sicher die ganze Zeit auf dem Schulhof gehänselt wegen seines Namens, ich meine, das klingt doch verdammt nach Kotzbub ? – war der meistgespielte Autor seiner Zeit, er hat ca. 50 Theaterstücke verfasst, darunter Der Rehbock, der die Vorlage zu Lortzings Wildschütz bildet.
Was uns aber immer nur einfällt, ist, dass er 1819 vom Studenten Carl Ludwig Sand erschossen wurde; und dass das irgendwie etwas mit der Deutschen Revolution zu tun hat, was, weiss ich auch nicht so genau.
Aber es ärgert mich. Weil wir nämlich damit Sand Recht geben. Der Mord, auf unzähligen Stichen, Bildern, Lithografien festgehalten, hebt beide, den schlampigen, unrasierten Jüngling, den sonst keine Sau kennen würde, und den Starautor, den heute auch niemand mehr kennen würde - er wird nicht mehr gespielt - in die Unsterblichkeit.
Böses Tun, das beiden nützt, langfristig gesehen, kurzfristig waren natürlich beide tot, Kotzbub, sorry, Kotzebue durch die Kugel und Sand durch den Strang.
Also habe ich doch auch Chancen eine gewisse Berühmtheit zu erlangen. Und zwar nicht durch etwas Schönes, Anregendes, Grossartiges, Liebes, sondern durch etwas Böses.
Und es gibt zwei Möglichkeiten.
Was?
Nein, das Quiz ist vorbei, ich werte Ihre Antwort nicht, Sie sind keine Runde weiter und haben auch keine 50.- gewonnen.
Also noch mal zu den Möglichkeiten:
1) Ich lasse mich erschiessen. (War mal ein Lied von Ideal: Komm, wir lassen uns erschiessen.) Ich werde die nächsten Wochen damit zubringen, ausländerfeindliche und  inländerfeindliche, homophile und homophobe, bigotte und antikirchliche Posts zu verfassen, ich werde alle provozieren, ich werde Neger, Eskimo und Zigeuner schreiben, und irgend jemand kommt doch dann hoffentlich auf die Idee, mir eine Kugel durch die Stirn zu jagen. Wichtig ist, dass jemand filmt und das Ganze ins Internet stellt.
2) Die zweite Möglichkeit: ich erschiesse irgendeinen Künstler, der sonst in die Bedeutungslosigkeit verschwindet. Ich werde hier keine Namen nennen, weil das als Drohung ausgelegt werden kann, aber es gäbe genug. Popmusiker, die nicht live singen können, sämtliche Skihütten-Musik-Stars, Regisseure, die nicht in die Musik der Opern reinhören und solche, die ständig aus dem Off singen lassen.
Sie finden mich heute zynisch?
Vielleicht. Aber die Welt ist zynisch. Mich ärgert einfach, dass das Böse so viel mehr Bestand hat als das Gute. Stellen Sie sich vor, jemand hätte den Altnazi Filbinger bei der Eröffnung eines Volkfestes umgelegt. Filbinger wäre heute ein Heiliger, es würden Strassen, Plätze, Schulen und Hallen nach ihm benannt. Gibt es aber irgendwo eine Corrie-ten-Boom-Strasse? Nein. Die Holländerin hat ja auch nur ein paar Juden versteckt und das KZ überlebt. Dabei hätten alle die Menschen, die unter Lebensgefahr Leben retteten, das verdient. Wann wird der nächste Grossbau Schindler-… getauft?
Also vergessen wir ab heute doch alle Namen, die nur durch das Böse tradiert werden.
Aber nicht, wenn Sie zu einem Quiz fahren.
Da könnte die 5.Frage lauten: Wer war Lee Harvey Oswald?
Richtig, der Mörder von Kennedy.

 

Donnerstag, 21. November 2013

Die glückliche Hausfrau in den Fünfzigerjahren


Das Bild der glücklichen Hausfrau, die in ihrem Fünfzigerjahrelook an ihrem nagelneuen Herd steht und ihren glücklichen Kindern (Bub, 5 J., Mädchen, 3 J.) zusieht, wie sie in ihren nagelneuen Klamotten glücklich spielen, während sie ein wohlschmeckendes und gesundes Mittagessen zubereitet.
Einige Leser und Leserinnen (!!!) sagten mir, das sei doch eigentlich ein sehr schönes Bild. Ist es  auch, ein harmonisches, nettes, idyllisches, freundliches Bild. Genauso schöne Bilder sind zum Beispiel auch Fotografien von doppelten Mondregenbögen oder Einhörnern, genauso schöne Bilder sind Fotografien von Lehrern, die vor 35 adretten, aufgestellten und hochmotivierten Schülern stehen oder Fotografien, die die sonnendurchflutete Küste von Wales zeigen: Alles Fake.
Abgesehen davon, dass die Mama (wir nennen sie jetzt mal Monika) vielleicht nicht jeden Tag AVON-präpariert und GARD-frisiert die Küche betritt, in farblich auf die Tischdecke abgestimmter Kittelschürze – für wen soll sie sich auch stylen, es sieht sie eh den ganzen Tag niemand – ich glaube, das Problem werden die Kinder sein. Nicht weil Kinder böse sind, weil sie gemein sind, weil sie alles zerstören, kaputtmachen wollen, weil sie Bestien sind, sondern weil sie Kinder sind.
Da plant man zum Beispiel einen harmonischen Sonntag, mit Echt-, Gross- und Nenntanten, Tramfahrt bis zur Endhaltestelle, kurzer Spaziergang und dann am See schöööön Kaffee und Kuchen, und der blöde Bub bekommt im Tram einfach Durchfall, ab nach Hause, den Bengel in die Badewanne und Kaffee am heimischen Esstisch, war dann auch ganz schön. (Der Bub war natürlich ich, wahre Geschichte)
So wird Monika vielleicht zusehen, wie – ach die Kleinen brauchen ja auch noch Namen – Thomas (5) und  Annika (3) sich streiten, zoffen, prügeln, wie das Geschwister halt manchmal tun. Vielleicht ist die Kleine einfach noch zu klein, um die Spielregeln von GEISTERSTUNDE zu kapieren, und zieht mit Hugo, auch wenn kein Gespenst auf dem Würfel ist, und Thomas ist aber auch noch zu klein, um zu kapieren, dass seine Schwester nicht einfach hammerblöd ist, sondern einfach zu jung. Vielleicht fegt Tommy dann die Spielsteine vom Tisch oder steckt Annika einen in die Nase, was dann nochmals Geschrei auslöst.
Vielleicht probiert Thomas aber auch aus, wie das eine Wort ankommt, das er im Kindergarten gehört hat und so klingt durch die teure, mit modernsten Schränken und Geräten designte Küche nicht nur die Stimme von Connie Francis aus dem Radio, sondern auch ganz laut:
„FICKEN“
Auf jeden Fall, die Idylle ist kaputt, Monika muss einschreiten, muss den Herd zwei Minuten verlassen, das nutzt die Milch zum Überkochen – Milch kocht leicht über, da muss man immer dabei bleiben, dies für die Männer, die nicht Teilzeit arbeiten – Monika fegt dann mit dem Hechtsprung, den sie zum Herd macht auch noch sämtliche Salate, Brote und Kaffeetassen vom Küchentisch.
Übertreibe ich?
Ich übertreibe nicht.
Hausfrau und Mutter in Reinkultur ist ein anstrengender Job.
Wenn der Job nämlich so wäre, wie die Männer es darstellen – friedliches Heim, den ganzen Tag Ruhe, kein Stress, freie Zeiteinteilung und volle Harmonie – dann würden die Männer ihn sich unter den Nagel reissen, Männer reissen sich alles unter den Nagel, was ihnen etwas bringt.
Also revidieren Sie bitte ihr Bild und stimmen Sie übermorgen für den Gegenvorschlag:
Geld vom Staat für Kinderbetreuung, wenn beide Partner je 50% arbeiten und 50% zuhause sind.

Leider hat ihn niemand formuliert.

 

Montag, 18. November 2013

Eine(r) von beiden bleibt bei den Kindern - ein Pronomenproblem


Nein, es gehe doch überhaupt nicht darum, die Frauen wieder an den Herd zu schicken. Ich verstünde alles immer falsch, sagt man mir. Es gehe überhaupt nicht darum, wenn jetzt in Deutschland und der Schweiz darüber diskutiert würde, dass man Paare, die ihre Kinder zuhause erziehen, finanziell unterstützen soll. Es ginge nicht darum, das Bild der glücklichen Hausfrau heraufzubeschwören, die in ihrem Fünfzigerjahrelook an ihrem nagelneuen Herd steht und ihren glücklichen Kindern (Bub, 5 J., Mädchen, 3 J.) zusieht, wie sie in ihren nagelneuen Klamotten glücklich spielen, während sie ein wohlschmeckendes und gesundes Mittagessen zubereitet.

Es ginge darum, dass jemand (!) bei den Kindern bleibt. Eine(r) von beiden (!) oder beide (!)  soll/sollen die Kinder betreuen, statt sie in die böse KiTa zu stecken. Abgesehen davon, dass ich nicht verstehe, warum KiTa böse ist und Schule gut, Eltern, die ihre Kinder auch später zuhause haben und sie unterrichten, bekommen kein Familiengeld, Erziehungsgeld, Betreuungspauschale, Herdprämie, sondern die Polizei auf den Hals, haben wir hier doch ein Problem, ein pronominales Problem, ein Pronomenproblem, wir kürzen das jetzt Propro ab.

Und „einer von beiden“ ist ein klassisches Propro.

Das einzige, was sicher ist, ist mein Ich. (Wenn ich nicht gerade bei Frisch bin und nicht weiss, ob ich Gantenbein oder Enderlin sein soll.) Schon bei „wir“ wird es schwierig. Wir brauchen… Wer ist „wir“? Wir Schweizer? Wir Deutschen? Wir Einwohner? Wir Christen? Wir Menschen?
Was heisst nun einer von…/jemand?
Das Propro steckt hier darin, dass man alle Möglichkeiten offen lässt, die de facto aber nicht offen sind.
„Jemand war eingeteilt“, schreibt mein Chef, als zu einem wichtigen Termin niemand von uns da ist, da aber wir zwei uns das Projekt  teilen, schiebt er mir das in die Schuhe, und ich lasse mir nicht gerne etwas in die Schuhe schieben, ausser vom Nikolaus, da beruht das auf gegenseitigem Einverständnis.
Propro.
„Jemand bleibt bei den Koffern, und ihr beide geht `was zum Essen holen“, sagte meine Mutter auf dem Heidelberger Bahnhof zu meinem Vater und mir. Entzückend. Trotz ihrer Schüchternheit brach ihre Berliner Schnauze doch manchmal durch.
Propro.
„Einer von uns soll auf diesem Platze bleiben“ war ein Spruch, den Grafen und Barone im Morgengrauen auf nebligen Wiesen sprachen, wenn die Kiste mit den Pistolen schon offen war. Dabei meinten sie doch sicher den anderen, denn wer erschiesst sich bei einem Duell schon selber? (Es sei denn, man ist ein verrückter Philosoph in einer Lungenklinik.)
Propro.
Wenn es nun heisst „eine/einer von beiden“ oder „beide“, muss doch gefragt werden:
Wer wird es denn sein?
Wie viele Hausmänner kennen sie?
Wie viele Männer, die 50% arbeiten?
Wie viele Männer, die Teilzeit arbeiten?
Wie viele Paare, bei denen beide zuhause sind?
 (Geht eh nur bei Berufserben, Lottogewinnern und Bankräubern, die nicht gefasst wurden.)
Lassen wir uns doch nicht täuschen: Es werden am Ende wieder die Frauen sein und wir marschieren zu Swing- und Schlagerklängen zurück an den Nierentisch.
Back to the Fifties!
Und wenn sie mir jetzt vorwerfen, ich würde polemisieren, kann ich nur sagen:
Tja, da hat heute wieder jemand richtig Dampf abgelassen.  

Donnerstag, 14. November 2013

Schlupflöcher

Wie kam der Fuchs in den Hühnerstall?
Wieso vermehren sich die Karnickel wie die Karnickel trotz Karnickelkäfigen?
Wie konnte das Meerschweinchen abhauen?
Schlupflöcher!
Wie kommt das Silberfischchen in die Wohnung?
Wie schafft es die Motte in die verschlossene Packung?
Schlupflöcher!
Kein Zaun ist so fest, keine Maschen so dicht, dass man nicht durchkäme.
Schlupflöcher - im übertragenen Sinn - entstehen, wenn man bei Regeln und Gesetzen etwas übersehen hat.
So erlaubt der Inselstaat Pgischi-Poschgi seit 2007 die Verpartnerung, hat aber vergessen, den Bigamie-§ zu ändern. § 2345 des BGBPP lautet: "Es ist verboten, 2 Ehen gleichzeitig zu führen." Und bei dem neuen §4765 BGBPP heisst die Präambel "Die Verbindung zwischen 2 Personen gleichen Geschlechts heisst nicht Ehe, sondern eingetragene Partnerschaft."
So darf ein Heteromann keine zwei Frauen haben, wohl aber ein Bisexueller einen Ehemann und eine Ehefrau. Pgischi-Pogschi ist zum Bi-Paradies geworden.
Pia streicht in der Aufgabe 3 des Orthographie-Tests "Korrigiere die Sätze" die schwierigen Wörter einfach durch und ersetzt sie durch einfache. So wird aus Der Attlet springt weit nicht Der Athlet springt weit, sondern Der Sportler springt weit. Und der Lehrer muss ihr die Punkte geben. Natürlich wird der Inselstaat bald den §2345 ändern und der Lehrer von Pia seine Aufgaben besser formulieren, aber das ist immer Zukunft. Ein Schlupfloch wird immer nur entdeckt, wenn es benutzt wird. Und dann braucht es eine Weile, um es zu schliessen.
Wenn das Kind in den Brunnen...
Deutsche Banken haben den deutschen Staat um Milliarden beschissen, wahrscheinlich zu 50% unter Ausnützung legaler Schlupflöcher, zu 50% mit illegalen Mitteln.
Ja, und wenn die 1:12-Initiative durchkommt, wird man sofort nach Schlupflöchern suchen.
Da wird dann z.B. ein überteuertes Gutachten beim CEO in Auftrag gegeben. Wenn der jetzt fit ist, kopiert er irgendwas zusammen, Tabellen, Grafiken, Textbausteine und wer will denn sagen, ob Die BOGAMAG im 21.Jahrhundert wirklich 100.000.- wert ist?
Ist der CEO sehr frech, schreibt er als Zukunftsanalyse auf ein einziges Blatt:

42

oder vielleicht auch

KEINE PANIK

Was ihn als klaren Adams-Fan kennzeichnet, aber auf der Aktionärsversammlung doch ein wenig Ärger bringen könnte.
Warum aber hauen eigentlich nicht alle Tiere ab? Die Hühner zum Beispiel? Weil die wissen, innerhalb des Zaunes ist Fressen, draussen ist der Fuchs. Die wollen gar nicht in die weite Welt. Und so ist zu hoffen, dass - 1:12 hin oder her - es auch anständige Menschen gibt, die nicht alle Schlupflöcher ausnützen.
Aber vielleicht bin ich da ein Träumer.

Montag, 11. November 2013

Mein Erzengel oder: Gleichbleibende Qualität

Die Erzengel haben ja gar nichts mit Erz zu tun. Der Name entstand durch eine Umbildung, die der Fachmann als Volksetymologie bezeichnet: Erzengel sind eigentlich Archengel, also Altengel, modern formuliert Senior Angels. Wenn sie nicht gerade Drachen verkünden, diese seien schwanger oder Jungfrauen die Köpfe abschlagen (oder war es umgekehrt?), wenn sie nicht gerade am Paradies die Einlasskarten kontrollieren, wenn sie nicht gerade in deutschen Dramen Unsinn verzapfen - ich bitte Sie, lesen Sie einmal den Prolog zu Faust I, ich habe über 17.000 Sonnenuntergänge erlebt und es hat nie gedonnert - wenn sie also dies alles gerade nicht tun, dann passen sie auf die kleinen Engel auf. Und kleine Engel machen ja so viel Unsinn! Schauen Sie sich mal ein barockes Fresko an: Die Hälfte von den kleinen geflügelten Knaben hat doch eindeutig ADHS. Die Erzengel oder Archangeli ermahnen nun, strafen, loben, kontrollieren und machen vor.
Es ist nun nur allzu logisch, dass mein Hauptlektor den Namen eines Erzengels trägt. Er findet jeden Fehler, jedes fehlende oder falsche Komma, jede falsche Grossschreibung, er schlägt Flüsse und Städte nach, und wenn ich eine Insel wie Pgischi-Poschgi erfinde, dann darf ich im nächsten Post nicht etwa Pogschi schreiben, mein Erzengel merkt das sofort.
Immer wieder kommt der Hinweis, der letzte Post sei nicht so gut gewesen, und ich solle doch auf gleichbleibende Qualität achten.
Gleichbleibende Qualität.
Das ist bei einer kreativen - oder darf ich sogar künstlerischen Arbeit sagen? - gar nicht so einfach. Ich kenne keinen einzigen Musiker, Maler, Schriftsteller, Architekten, Regisseur, keine einzige Komponistin, Zeichnerin, Autorin, Baumeisterin, Theaterfrau, bei dem oder der alle Arbeiten gleich gut sind. Selbst Bach und Mozart, selbst Renoir und Picasso, selbst Schiller und Mann, alle haben auch Mist abgeliefert. Nehmen wir doch gerade Schiller, sein Fiesco war so schlecht, dass bei der ersten Lesung vor den Schauspielern schon diese davonliefen, der Fiesco ist also ein Fiasko.
Wie schafft man gleichbleibende Qualität?
Eigentlich nur, indem man Prozesse standardisiert, Abläufe regelt, klare Anweisungen aufschreibt, im Grunde genommen industriell produziert. So werden eben Lindt-Pralinen immer gleich süss und Kambly-Kekse immer gleich mürbe. So ist eben jede Rolex technisch einwandfrei und jeder Mercedes gleich schnell.
Das geht aber bei Glossen nicht.
Das geht vielleicht bei Lyrik, da kommt dann so etwas heraus:

Angst
Vor...
Angst
Vor...
Angst
Vor...     

(Bitte entsprechende Wörter wie Welt, Gesellschaft, mir, dir, allen einsetzen und das Ganze drei Strophen lang)

Habe ich wirklich einmal in einem Programmheft gelesen. Und als ich mich wunderte, warum ein Dramaturg so etwas ins Programmheft nimmt, stellte ich fest, dass er der Dichter war.
Aber vielleicht liegt hier die Lösung: Immer gleich gut geht nicht, aber immer gleich schlecht geht immer. Das heisst, wo auch immer wir gleichbleibende Qualität fordern, wird das Niveau sinken, weil sich niemand mehr traut, einmal über sich hinauszuwachsen, nach den Sternen zu greifen, einen Geniestreich zu liefern, den Himmel offen zu sehen.
Sagen wir also nie einem Kind: "Das erwarte ich jetzt aber immer von dir! Hinter diese Stufe fällst du mir nicht zurück! Jetzt aber immer so gut wie heute!" Ein Kind, das immer 4,5 bringt, macht weniger Sorgen, es hat aber den gleichen Schnitt wie eines, das ständig zwischen Note 3 und 6 hin und her pendelt.
Und selbst die kleinen Engel spielen ihre Harfen nicht immer gleich gut, manchmal spielen sie auch einfach falsch. Wenn sie aufgeregt sind, weil bald Weihnachten ist, oder traurig, weil die Karwoche naht.
Nur die Erzengel, die sind perfekt. Aber dafür sind sie ja auch Erzengel.




Donnerstag, 7. November 2013

E-Mail-Terror


Ach, diese E-Mails ständig, kaum hat man einen halben Tag nicht den PC angehabt, ist schon wieder alles voll! Hier mal eine Ladung, die nur gestern von 15.00-17.00 reingekommen ist:

info@theater-aachen.de                           Newsletter III/2013
info@theater-luebeck.de                           Newsletter IV/2013
info@theater-muenchen.de                       Newsletter III/2013
kundendienst@medipharm.com               So ejakulieren Sie wieder einen Meter weit
haaber@ifolor.ch                                       Herr Herter, jetzt Kalender für 2014 machen
Huber@sbb.ch                                           Planen Sie jetzt Ihre Schulreise, Herr Herter
hiber@hotel.com                                        Herr Herter, jetzt nach Berlin oder Bonn
info@pharmimed.com                                Einen Meter weit und viel mehr Sperma
grindel@sek-allschwil.ch                            Vertretung Französischstunden
tubel@sek-allschwil.ch                               RE: Vertretung Französischstunden
fobel@sek-allschwil.ch                             RE: Vertretung Französischstunden
grindel@sek-allschwil.ch                          AW:RE: Vertretung Französischstunden
vertrieb@pharmadok.ch                           zwei Stunden Erektion
studentenbüro@unibas.com                   Neue Öffnungszeiten
studentenbüro@muhotross.de                Neue Öffnungszeiten
studentenbüro@unifrbg.de                      Neue Öffnungszeiten
verkauf@marphidem.com                        2 Std. Erektion, 1m Ejakulation, viel Sperma

Das ist zum Mäusemelken, da wird der Hund in der Pfanne verrückt, da wird man wahnsinnig, da könnte man die Wände hochgehen, das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht.
Aber wenn wir die Ganze einmal genau durchgehen: Ich bin selbst schuld.
Alle die Newsletter, Werbesachen, Infos, Prospekte habe ich irgendwann einmal bestellt. Oder nicht abbestellt, was auf das Gleiche hinausläuft. Es gibt da nämlich so Dinger zum Anklicken, man findet sie nicht sofort, aber sie sind da, da kann man sagen: Nein, ich möchte nichts mehr von euch hören. Wenn man gedankenlos einfach bestellt, ist das, wie wenn man gefragt wird: "Milch in den Kaffee" und schlecht zuhörend ja sagt, und sich dann wundert, warum der Kaffee so beigefarben ist.
Den Studentenbüros an allen Unis, an denen ich einmal war und die laufend irgendwelches Zeug schicken, müsste ich halt mal mitteilen, dass ich dort nicht mehr studiere. Wobei es schon erstaunt, wie ich in den Verteiler von Freiburg geraten bin. In meinem Examensjahr 1992 lief noch nix über die Elektronikpost.
Und die zweideutigen Angebote? Oder viel mehr eindeutigen? Also die eindeutig zweideutigen? (Kleiner Exkurs: sagt man in der Polizeisprache wirklich, Sie wurden in einer eindeutig zweideutigen Situation angetroffen.) Der Ramsch zeigt, dass mein Spamfilter nicht funktioniert, denn solch zweideutige, oder eindeutige oder eindeutig zweideutige Vokabeln muss er erkennen. Ein schlechter Spamfilter ist wie eine abgeschlossene Tür, neben der ein Schlüssel hängt oder ein Wachhund, der den Einbrecher anwedelt und ihm die Hand schleckt. Und niemand kann den Spamfilter auswechseln oder verbessern ausser: Genau, ich selber, moi, I myself.
Schwieriger wird es mit den Kollegen, die noch nicht begriffen haben, dass man bei der Kommunikation gezielt vorgeht und auswählt. Denn eigentlich würde es genügen, wenn die Fachgruppe Französisch sich mit der Vertretungsfrage befasst. Und man muss auch nicht allen immer antworten. Hier hilft nur geduldiges Erklären, Ermahnen, Ermuntern, aber wenn ich mich nicht drum kümmere, schickt der Kollege weiterhin immer alles an die ganze Welt.
Es taucht noch die Frage auf, ob Französisch nicht auch im Filter hängenbleiben sollte.
Aber das ist ein anderes Paar Stiefel.
Hören wir also auf zu jammern, dass wir sooooooooooo viele E-Mails bekommen. Gehen wir ans Abbestellen, schlüpfen wir aus den Verteilern und sagen wir allen Kollegen, Freunden und Verwandten: Man muss nicht immer allen antworten.







Montag, 4. November 2013

48.000 im Monat


Sind 48.000.- im Monat ein guter Lohn? Wie man es nimmt. Mit 48.000 Franken kann man sich eine schöne Wohnung kaufen, kann Reisen machen, man muss seine Klamotten nicht am Wühltisch aufsammeln und kann sicher auch mal deliziös essen gehen. Man ist in der Lage, sich ein Auto zu kaufen, und weil man ja umweltbewusst ist, leistet man sich auch noch ein Generalabonnement 1.Klasse. Vielleicht sind in der Wohnung keine Marmorsäulen und goldene Türklinken drin, aber dafür muss man Bischof sein. Vielleicht ist auch die Reise zur Pgischi-Poschgi-Insel (geht nur mit Sonderflug samt Mietpilot) nicht jedes Jahr drin, aber: Wer will schon jedes Jahr nach Pgischi-Poschgi?
48.000.- sind ein anständiges Gehalt, da kann man jetzt nicht dran rumdeuteln. Wie ich auf 48.000 komme? Nun, die 1:12-Initiative will, dass der Höchstlohn im Unternehmen nur das Zwölffache des tiefsten Lohnes betragen darf, und das wäre bei einem Mindestlohn von 4.000 eben die genannte Summe.
Aber wenn ich jetzt so dran rumüberlege, kommen mir Bedenken.
Achtundvierzigtausend sind das Sechsfache meines Monatslohnes. Und „mal 6“, das kann ich mir irgendwie vorstellen, das ist irgendwie im Bereich des Denkbaren. 6 Schnitzel auf einem Teller, 6 Tafeln Schokolade, 6 Jeansjacken, 6 Bücher, das gibt noch ein Bild, das gibt ein Foto, z.B. 100 kann ich nicht überschauen, nicht abzählen, nicht begreifen. Und damit rückt die Summe, die ein CEO absahnt, in den Bereich des Vorstellbaren, des Normalen. Und genau das will natürlich keiner aus der Teppichetage.
Wir sind oben nämlich von falschen Voraussetzungen ausgegangen: Wir haben postuliert, man bräuchte Geld um ein ordentliches Leben zu führen.  Man braucht Geld für viele andere Dinge, aber vor allem ist ein Statussymbol. Und um den Abstand zu einem Normalo wie mich herzustellen, ist das Sechsfache meines Lohnes schlicht und einfach zu wenig. Da braucht es schon das Dreihundertfache, das Vierhundertfache, das Fünfhundertfache. Da müssen es eben Marmorsäulen sein, und zwar aus dem  gleichen, mit dem Michelangelo gearbeitet hat. (Das ist ja das Problem mit unserem Limburger,  er hat nicht begriffen, dass ein kirchliches Amt schon genügend Status ist, so dass man keine Symbole mehr braucht. Oder anders formuliert: Das Statussymbol sollte das goldene Kreuz, nicht die goldene Türklinke sein.)  
Eine Reise nach Pgischi-Poschgi erfüllt auch nicht den Zweck, zu zeigen, wer man ist, da muss man schon die ganze Insel kaufen, aber das ist mit lumpigen 48.000 auch nicht drin. Man benötigt schlicht und einfach immer das Teuerste. Kleinwagen? Wäre gar nicht unpraktisch, wenn man im Grossraum Zürich arbeitet (Parkplatz!), statussymbolistisch ist aber ein Cadillac. Rolex? Trägt heutzutage schon jeder Droschkenkutscher, statussymbolistisch ist eine Audemars Piquet. Essen gehen im „Schwanen“ in Hummiswil, wo unglaublich lecker, dazu saisonal und regional gekocht wird? Hat der einen Stern, hat der einen Punkt? Nee? Also vergessen wir’s.
Die 1:12-Geschichte wird dazu führen, dass niemand mehr den Job eines CEO machen will. Denn wozu nimmt man den ganzen Stress auf sich, wenn nicht dazu, ein Vermögen in der Garage oder am Handgelenk zu haben. Und wenn niemand mehr den CEO-Posten belegt, kommen Leute an die Macht, denen es egal ist, was sie für einen Status haben, die lebensnah, pragmatisch, bescheiden und unkompliziert sind, und – ich bitte Sie! – das würde ja die ganze Wirtschaft umkrempeln.
Sind 48.000.- ein guter Monatslohn? Wie man es nimmt.

 

Donnerstag, 31. Oktober 2013

Wo liegt Thaleischweiler-Fröschen?

Zu den grossen Diskussionsthemen der Sprachforscher gehört die Frage: Ist Humor übersetzbar? Kann man Heinz Erhard, OTTO, Robert Gernhard oder gar Loriot in eine andere Sprache übertragen? Oft natürlich nicht, weil ein Wortspiel in einer anderen Zunge nicht klappt. Übersetzen Sie doch mal das: "Es ist soeben etwas Furchtbares eingetreten - nämlich ich. Und ich heisse nicht nur Heinz Erhard, sondern Sie auch herzlich willkommen." Diese Konstruktion (Bildungsprotzer nennen sie Zeugma) ist nicht übersetzbar. Aber manchmal geht es. Als neulich ein Kollege behauptete, die Englische Fernsehansage  könne man nur in Deutsch aufsagen, musste ich widersprechen. Wenn man in einem englischen Text statt der unaussprechlichen englischen Namen eben unaussprechliche deutsche Namen nähme, könnte das sehr wohl gehen.
Da würden dann Herr und Frau Kräuter-Schächtele in Thaleischweiler-Fröschen wohnen, mit dem jüngsten Sohn Eberhard-Benedikt, die zwei Kusinen Anna-Katharina und Chantal-Hilaria Feierling-Rombach kämen aus Hiddenhausen-Schweicheln und Hochdorf-Marktzeuln.
Ausser den Vornamen ist übrigens alles echt. Wie kommt man auf so bescheuerte Ortsnamen?
Auf verschiedene Arten und alle sind gleich doof.
Die eine Art verdanken wir der deutschen Gemeindereform, und zwar egal, ob bei Juxhausen-Lachheim Lachheim ein Stadtteil von Juxhausen ist, oder ob die beiden Gemeinden fusioniert haben. Wir erinnern uns:
In den 70ern kam der deutsche Staat auf eine tolle Idee: Grössere Verwaltungseinheiten. Also schickten sie wie weiland der Kaiser Augsutus Boten in die Provinz und liessen verkünden: "In 5 Jahren haben alle Gemeinden 8000 Einwohner, wer es zum Stichtag nicht geschafft hat zu fusionieren oder zu wachsen, wird zwangseingemeindet."
Nun begann ein überaus wildes, hektisches und chaotisches Treiben. Da schlossen Dörfer Zwangsehen, gegen die die Beziehung von Sieglinde und Hunding eine reine Liebesheirat war, da zogen Gemeinden wie Umkirch scheusslichste Hochhäuser hoch und warben kurz noch 700 Einwohner an. Da wurde gefeilscht, gemarktet, geschachert. Da versprach man Dörfern, die man eingemeinden wollte, Tennishallen, Schwimmbäder, Kunsteisbahnen, Merkzweckhallen, Kinos, Einkaufscenter und Teddybären. So kann es sein, dass in der Stadt Pixheim das Hallenbad eine kleine Planschkloake ist, aber im Stadtteil Puschelbüren weit draussen ein Sportbad mit 50m-Bahn und 10m-Sprungturm steht. Oder dass eine Stadt wie Freiburg ungefähr zwei Schwimmbäder pro Einwohner hat, Bäder, die man sich übrigens nicht mehr leisten kann.
Hat die Gemeindereform etwas gebracht? Vereinfacht? Kosten gespaart? Es gab nie eine neutrale Analyse - wann gibt es die schon bei staatlichen Massahmen - aber es war auf jeden Fall ein Riesenklamauk.
Die andere Art der Doppelnamen ensteht durch Bahnhofsteilung.
Hier haben dann Juxhausen und Lachheim einfach die gleiche Zugsstation. Aber Vorsicht! Wer denkt, er komme vom Bahnhof mühelos in beide Orte, irrt sich oft. Klar ist nur, dass die Station gleich weit von beiden Gemeinden liegt, das können auch 5 Kilometer sein. Die Bahn ist da nämlich sehr erfinderisch. Früher hielt der IC in Bonn und man fuhr mit einer S-Bahn in einer Viertelstunde nach Siegburg. Heute hält der ICE in Siegburg und Sie fahren mit dem selben Bähnchen nach Bonn. Weil der Bahnhof aber nun Siegburg/Bonn heisst, hat man das Gefühl, der Bahnhof läge nahe der Bonner Innenstadt, als hätte Mehdorn die beiden Gemeinden irgendwie näher zusammengeschoben, was natürlich Quatsch ist.
Wer also nun bei der nächsten Reise an den Namen im Fahrplan verzweifelt - müssen wir in Dubingen-Horsten nach Teegolf-Friesing umsteigen oder in Dubingen-Friesing nach Teegolf-Horsten? - weiss, warum.
Ach, Schweizer: Bitte hört auf zu lächeln! Ist Dottikon-Dintikon (zwischen Lenzburg und Wohlen) nicht genauso bescheuert?