Dienstag, 30. August 2022

Alois und Mildred

Ich habe die beiden Personen im letzten Post Paul und Rina genannt.

«Du benutzt immer die gleichen Namen in deinen Posts.»
Das wirft mir ein Kumpel vor die Füsse, als wir über das Personal in meinen Texten reden. «Das stimmt überhaupt nicht», werfe ich zurück, und so werfen wir eine Zeit lang hin und her, bis wir auf die Idee kommen, via mein Dashboard und dessen Suchfunktion eine Kontrolle zu machen.
Und siehe da: So Unrecht hat mein Kumpel nicht. Karl, nur so als Beispiel, kommt x-mal vor, das liegt nun aber auch an diesem unsäglichen Lauterbach, ohne Corona und die Folgen hätte ich den Namen Karl wahrscheinlich nie verwendet. Aber bei anderen Namen ist es merkwürdig, komischerweise kommt Paul relativ häufig vor, Peter aber viel weniger. Dabei müssten doch Peter und Paul, die auf eine heilige Weise zusammengehören, die sogar einen Feiertag zusammen haben, paritätisch verteilt sein…
«Gut», sage ich zu meinem Kumpel, «gut, im nächsten Post brauche ich eine Frau und einen Mann, und wenn ich mich recht entsinne, habe ich Alfred und Mia noch nie benutzt.» Die Suchfunktion belehrt uns eines Besseren. Alfred kam 4x und Mia erstaunliche 14x dran. «Gut», so ich, «testen wir doch ähnliche Namen, also Al- und Mi-.»

Das Ergebnis sieht folgendermassen aus:

Alfred 4
Albrecht 3
Alfons 1
Alois 0

Mia 14
Milena 1
Michaela 2
Mildred 0

Das Paar wird also Alois und Mildred heissen.

Aber schon eine halbe Stunde später kommen mir Bedenken. Namen sind ja immer sprechend, Namen haben immer einen Touch, einen Geschmack, und es ist entscheidend, wie man die Figuren in einer Geschichte benennt. Könnten Sie sich vorstellen, dass ein weicher, femininer, schwuler (!) Hans Hansen der Fan von einem blonden, starken, blauäugigen Tonio Kröger ist? Sicher nicht. Es ist bei Mann natürlich auch umgekehrt. Büchner hat eine Weile umgestellt, bis die Geliebte Wozzecks Marie und die Nachbarin Margret hiess, zuerst war es umgekehrt. Der Name einer Figur ist also wichtig.
Nun aber: Alois und Mildred?
Es ist noch kein Wort geschrieben, aber schon geben wir dem Paar irgendwie keine Chance…

Alois, das klingt nach Tanzboden und Schuhplattler, nach Krachlederner und Seppelhut, das stinkt ein wenig nach Kuhstall, auf jeden Fall und ganz sicher süddeutsch (oder österreichisch). Mildred, das klingt norddeutsch, bebrillt und ein wenig verschnupft. Alois isst sicher zu viel und spricht auch dem Alkohol und der Pfeife zu, während Mildred zu ihren veganen Menüs eher Wasser – oder sogar Kamillentee – trinkt. Alois ist Bauer, oder Polizist oder Briefträger, Mildred Lehrerin, für Handarbeit und Französisch.
usw.
usw.

Hinzu kommt ja, dass wir bei allen Namen Bezugspunkte haben. Die können sehr persönlich sein, wenn sie sich gerade mit vielen Tränen und viel Streit von einem Horst oder einer Brigitta getrennt haben, werden Sie keinen Text lesen wollen, in dem ein Horst oder eine Brigitta eine wichtige Rolle spielt, die Hauptfigur wird Ihnen von vornherein unsympathisch sein.
Kann man von einem Oskar lesen, ohne dass man im Hintergrund eine kleine Trommel rattern und klingen hört?
Kann man von einer Lucrezia lesen, ohne dass ein goldgeschmücktes Bett mit einer Giftphiole daneben vor dem geistigen Auge auftaucht?
Kann man von einer Emilia lesen, ohne dass man Appiani und Marinelli mitliest?

Und so haben Alois und Mildred nun auch Leute im Schlepptau, für mich als Kind der 60er, das mit Preussler aufwuchs natürlich den Alois Dimpfelmoser, den etwas unterbelichteten Wachtmeister aus der Hotzenplotz-Trilogie, und Mildred Scheel, die Frau des «singenden Bundespräsidenten», die die Deutsche Krebshilfe gegründet hat.

Nein, Alois und Mildred sind keine gute Idee.

Vielleicht muss ich mehr das machen, was ich auch immer wieder schon praktiziert habe: Namen einfach erfinden, wenn Karl schon 30x vorkam, warum dann keinen Kral, Klar oder Lark?, Wenn Anne schon 40x erschien, warum dann keine Enna, Nena oder Nane? Und wenn ich bei Plorg oder Mula rote Linien bekomme, damit kann ich leben…

«Du benutzt immer die gleichen Namen in deinen Posts.»
Das wirft mir ein Kumpel vor die Füsse, als wir über das Personal in meinen Texten reden.

Gut, wir werden das ändern.

Haben Sie einen hübschen Vornamen?



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

Freitag, 26. August 2022

Rostige Rohre und unverputzte Wände

Ich war neulich zur Hochzeit meines Urgrossneffen Paul in Grossheimen-Schwarzbach, einer mittleren Stadt im Ruhrgebiet, eingeladen. Und da ich ja Urlaub hatte, plante ich nicht nur eine Übernachtung, sondern drei ein, dies ermöglichte mir einen Besuch in der örtlichen Galerie, das Anhören einer Aufführung von Musik der 2. Wiener Schule und (Sie ahnen es längst, Sie wissen es, ich muss gar nichts sagen…) den Besuch des Hallenbades.

Nun arbeitet Paul – wie seine Verlobte Rina – in der Werbung.
Und wenn man in der Werbung arbeitet, dann muss alles ein wenig schicker und hipper sein wie bei anderen Leuten, nur nicht normal und nur nicht gewöhnlich. So fand die Trauung in einem stillgelegten Wasserwerk statt, die Trauung ebenso wie der Apéro und das Essen. Eine witzige Location, die viel Platz bot, die einzelnen Abschnitte vorzubereiten und sich bei den Beiträgen auch akustisch als sehr angenehm erwies.
Der Predigttext war übrigens (Sie ahnen es längst, Sie wissen es, ich muss gar nichts sagen…) Johannes 4, 5-42, Jesus und die Frau am Brunnen, der Text, in dem Jesus über das «Wasser des Lebens» redet.

Weil Paul und Rina in der Werbung arbeiten, und weil da alles ein bisschen hip und schick ist, hatten sie auch keine gewöhnlichen Hotels organisiert. Ich war im Art-Hotel untergebracht, einem renovierten und umgebautem Stahlwerk, in dem jedes Zimmer anders gestaltet war. Das Besondere war, dass die tonnenweisen Reste, die man vor der Renovation vorgefunden hatte, zu Kunstwerken umgeschweisst worden waren, von denen in jedem Zimmer eines stand.
In Raum 103, in dem ich logierte, war das ein grosser Vogel aus Stahlblech, der an der Decke schwebte, ein wenig kitschig, ein wenig gewollt, aber was soll`s, das Bett war hervorragend und das Frühstücksbuffet sucht seinesgleichen.

Am nächsten Tag nun der Weg in die Galerie. Ich war nun nicht wenig erstaunt, dass auch die Städtische Galerie sich in einem Altindustriebau befindet, sie hat sich in einem E-Werk aus den frühen 50er Jahren etabliert.
Ich versuchte mich auf die Bilder (vor allem regionale Maler des 19. und 20. Jahrhunderts, sowie eine Ausstellung eines jungen Schwarzbacher Fotografen) zu konzentrieren, ich wurde aber von den rostigen Rohren und unverputzten Wänden sehr abgelenkt, und zwar nicht, weil sie so daneben waren, sondern weil ich seit dem vorherigen Tag nichts anderes als rostige Rohre und unverputzte Wände gesehen hatte und sie mich zu stören begannen.

Auch das Konzert am Abend (Sie ahnen es längst, Sie wissen es, ich muss gar nichts sagen…) fand nicht in klassisch-normalem Ambiente statt. Ich hätte mir für Schoenberg, Berg und Webern etwas Jugendstilmässiges, eventuell auch Gründerzeit gewünscht, oder sogar noch älter, ich fand mich aber in einem stillgelegten Hallenbad der 60er wieder, natürlich wieder Rohre, rostig, mehr als in den anderen Etablissements, wenig Unverputztes, dafür aber Kacheln, weiss, blau und schwarz, die meisten beschädigt und vergilbt.
Nie konnte ich mich weniger auf Pierrot Lunaire und die Variationen op.27 konzentrieren, einfach, weil das Gebäude in mir einen Brechreiz verursachte, den ich kaum unterdrücken konnte.

Vor der Abreise am nächsten Tag dann noch der Schwimmbadbesuch. Auch hier wieder (Sie ahnen es längst, Sie wissen es, ich muss gar nichts sagen…) Enttäuschung. Das Schwimmbad war in einer stillgelegten Eisengiesserei von 1880.
Hier war ich nun völlig vor den Kopf gestossen, denn wieso legt man das 1960 erbaute Städtische Hallenbad trocken und macht dann in einem Gebäude von 1880 ein Bad auf, während man das eigentliche Hallenbad für Konzerte nutzt?

Auf der Heimfahrt von Grossheimen-Schwarzbach via Essen, Köln und Frankfurt versuchte ich, ein Wort zu finden, das diese Tage beschreibt. Ich brauchte eine Weile, aber dann war es da.
Gleichförmig.
Gleichförmig, ja diese Tage waren in der ewigen Wiederholung gleichförmig gewesen, mit dem Hotel, das eigentlich ein Stahlwerk, der Trauungslocation, die eigentlich ein Wasserwerk, dem Museum, das eigentlich ein E-Werk, dem Konzertsaal, der eigentlich ein Hallenbad und dem Hallenbad, das eigentlich eine Giesserei sein sollte…
Gleichförmig.
Und das, obwohl doch alles so hip, so aufregend, so besonders, so speziell, so extravagant sein will.

Aber es ist doch nun mal so: Wenn alle Ausstellungen nicht mehr in Galerien stattfinden, dann ist die EINE, die es wieder tut, wahnsinnig modern. Wenn alle Konzerte nicht mehr in Konzertsälen stattfinden, ist das eine, das eben doch dort erklingt, wahnsinnig aufregend. Und in 10 Jahren wird eine Hochzeit in einer Kirche und im Nebenzimmer des Goldenen Ochsen das Hippeste sein, was es gibt.

Ich war neulich zur Hochzeit meines Urgrossneffen Paul in Grossheimen-Schwarzbach eingeladen. Und da ich ja Urlaub hatte, plante ich nicht nur eine Übernachtung, sondern drei ein, dies ermöglichte mir einen Besuch in der örtlichen Galerie, das Anhören einer Aufführung von Musik der 2. Wiener Schule und den Besuch des Hallenbades. Und dieser Aufenthalt hat mein Verlangen nach Eisenrohren und unverputzten Wänden für 30 Jahre gestillt.



Dienstag, 23. August 2022

Neue Hülle

Es gibt eine Hitliste der Sätze, die ich in den letzten Wochen am meisten gesagt habe.
Platz 3:
«Es geht mir gut.»
Platz 2:
«Ja, es ist sehr heiss heute.»
Platz 1
«Nein, ich habe kein neues Handy, ich habe eine neue Hülle.»

Woher das kommt? Nun, vielleicht daher, dass die Menschen einem nicht mehr ins Gesicht schauen oder auf die Kleidung, sondern auf das elektronische Gerät, das man in seinen Händen hält. Stimmt nicht? Doch, stimmt. Wir agieren nach dem Motto «Zeige mir dein Smartphone und ich sage dir, wer du bist». Wir bemerken nicht, dass unser Nachbar eine böse Wunde auf der Nase hat, aber wir sehen, dass er sich das neueste Samsung besorgt hat, wir bemerken nicht, dass unsere Nachbarin auf einmal blond ist, aber wir sehen das neueste Nokia in ihrer Hand. Und so ist das erste, was die Umwelt bemerkt: In Rolfs Händen ist etwas Graues! Ein neues Handy?

«Nein, ich habe kein neues Handy, ich habe eine neue Hülle.»

Wie es dazu kommt? Nun, ich gehöre zu den Menschen, die etwas erst wegwerfen, wenn es kaputt ist. Auch, oder gerade, wenn der Gegenstand ein Elektronikteil ist. Immerhin produzieren wir ja viel zu viel Elektroschrott, 51,5 kg pro Haushalt und Jahr in der Schweiz, insgesamt 200000 Tonnen, das entspricht 6974 Raketen der Marke Apollo 11. Weil ich nun also kein Elektrowegwerfer bin, kommt es vor, dass eine Handyhülle VOR ihrem Inhalt ausgetauscht werden muss. Und meine rote Hülle für mein HUAWEI P20 war nur wirklich nicht mehr schön, ausgeleiert, abgewetzt und löchrig.

«Nein, ich habe kein neues Handy, ich habe eine neue Hülle.»

Ich also in einen MediaMarkt.
Wo mich ein junger Verkäufer mit Piercing und Pferdeschwanz ziemlich merkwürdig ansah. Für solch ein Gerät gebe es selbstverständlich bei ihnen keine Ersatzteile und kein Zubehör, so er, er könne für solch alte (!!!) Geräte auch nix bestellen. Wenn ich mit einer Vinyl-LP oder einer VHS-Kassette hereingelaufen wäre und ein Abspielgerät gesucht hätte, er hätte mich nicht blöder angeguckt.
So wird man im Buchhandel angeschaut, wenn man versucht, «Poppi und Puppi», jenes Büchlein, das man mit 6 Jahren so toll fand, für seine Urenkel zu bestellen. So wird man bei der DB angeschaut, wenn man probiert, eine S-Bahn-Fahrt nach Todtnau zu organisieren. (Die Strecke existiert seit 1967 nicht mehr…)
Der Verkäufer empfiehlt mir einen online-Shop, www.birnenschachtel.ch, das eine Seite, wo man auch uralte Dinge bekäme.

«Nein, ich habe kein neues Handy, ich habe eine neue Hülle.»

Birnenschachtel ist eine tolle Seite.
Auf Birnenschachtel finden ewiggestrige Menschen wie ich, die für ein Gerät, das jeder normale Homo Sapiens längst auf den Müll gekippt hätte, Zubehör en masse.
Sie müssten einen neuen Laptop kaufen, weil er nicht mehr laden kann? Birnenschachtel hilft.
Sie bräuchten ein neues Handy, weil ihr Kopfhörer nicht mehr tut. Birnenschachtel ist da.
Sie sollten einen neuen Drucker anschaffen, weil er sich nicht mit dem neuen Computer verbinden kann? Birnenschachtel ist an Ihrer Seite.

«Nein, ich habe kein neues Handy, ich habe eine neue Hülle.»

Und noch einmal gesagt: Ich bin kein Technikfeind, ich bin ein Wegwerffeind. Oh, ich spreche jetzt nicht das Sprüchlein von meinem Grossvater, der zu seiner Hochzeit… Das ist nämlich Quatsch. Nur die Armen, die Dörfler, die Bauern, die bekamen zur Hochzeit Dinge, die sie ein Leben lang hielten. Die Schicken und Reichen warfen alle 10 Jahre ihre gesamte Einrichtung weg. Als Louis XVI kam, kam Louis XV auf den Müll, als Empire kam, kam Louis XVI auf den Müll, usw. usw.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde dann Wegwerfen zur Möglichkeit für alle – das Wirtschaftswunder manifestierte sich auch im «Wegschmeissen für alle».
Es gibt einen Spot aus den 60ern, in dem eine glückliche amerikanische Familie Dinge in die Luft und hinter sich wirft. Müllmachen war in.
Ja.
Ja.
Und jetzt haben wir den Mist.

Es gibt eine Hitliste der Sätze, die ich in den letzten Wochen am meisten gesagt habe.
Platz 3:
«Es geht mir gut.»
Platz 2:
«Ja, es ist sehr heiss heute.»
Platz 1
«Nein, ich habe kein neues Handy, ich habe eine neue Hülle.»

Ja, ich habe wirklich für mein alten Huawei P20 eine neue graue Hülle bestellt.

Und bin stolz drauf.

 

 

 

 

 

Freitag, 19. August 2022

x Jahre x - feiern Sie mit!

50 Jahre Galerie Schmidt-Mysoff-Holakowski – feiern Sie mit!
30 Kosmetikstudio Bleibendschön – feiern Sie mit!
40 Jahre Metzgerei Meier Uzwil – feiern Sie mit!
25 Jahre Autohaus BMW Heimiswil – feiern Sie mit!

Flattern Ihnen auch ständig solche Zettel ins Haus? Also, früher bin ich ja zu allen diesen Feten hingegangen. Nicht, weil mir langweilig war oder ich soziale Kontakte gesucht habe, nein, es gab schlicht und einfach Gratisalkohol. Jetzt ist das alles ein wenig obsolet geworden.
Nun können Sie einwenden, dass es bei den Jubiläen 50 Jahre Galerie Schmidt-Mysoff-Holakowski, 30 Jahre Kosmetikstudio Bleibendschön, 40 Jahre Metzgerei Meier Uzwil und 25 Jahre Autohaus BMW Heimiswil ja auch antialkoholische Getränke umsonst gibt, aber leider sind solche Etablissements bei der Auswahl von 0,0%-Drinks relativ fantasielos, es gibt einen wunderbaren Merlot, einen wunderbaren Fendant, einen erstklassigen Sekt, aber M-Budget-Mineralwasser und M-Budget-Orangensaft.
So haben sich die Besuche der Jubiläen auf Null geschraubt.

Man sieht aber nun auch solche Zettel:

100 Jahre Schwarzbacher Salami – feiern Sie mit!
60 Jahre Troptrup Scheuermilch – feiern Sie mit!
85 Jahre Zuber Heftklammern – feiern Sie mit!
75 Jahre Dodo Duschgel – feiern Sie mit!

Wie um alles in der Welt soll ich das nun alles feiern? Ok, für die Salami könnte ich ja noch eine Salami-Fete machen, Freundinnen und Freunde einladen und festen, es gibt Salami-Pizza, Salami-Spaghetti, Salamibrote, Salamiciabatta und Salami-Salat, sehr spassig, das Blöde ist nur, dass sich 50% meines Bekanntenkreises vegan oder vegetarisch ernähren, dass also hier Salami-Pizza, Salami-Spaghetti, Salamibrote, Salamiciabatta und Salami-Salat auf grösste Ablehnung stossen, wie aber feiere ich Scheuermilch? Soll ich bei jedem Schrubben «Happy Birthday» singen? Und 85 Jahre Zuber Heftklammern? Ich sehe mich förmlich meine Noten tackern (für die Schweizer: bostitschen) und beim jedem Klack ein «juhu» oder «halleluja» oder «hurra» in die Luft schreien. Und für das Duschgel mache ich eine Schaumparty in meinem Badezimmer?
Fragen über Fragen…

Eine der schönsten Aufforderungen hat mein Partner vor etlichen Jahren gelesen:

75 JAHRE HAKLE – FEIERN SIE MIT

Das war natürlich besonders schön. Wie feiert man Toilettenpapier? Vielleicht fing ja mit diesem Feieraufruf die Normalisierung des WC-Papiers einher, das wäre ja ein interessanter und schöner Zug gewesen. Mir fällt nämlich auf, dass in den letzten Jahren die Menschen ganz offen Grosspackungen Klopapier nach Hause tragen. Das wäre in meiner Jugend undenkbar gewesen, niemals hätte man
offen sichtbar Klopapier eingekauft
offen sichtbar Klopapier transportiert
offen sichtbar Klopapier gelagert
Was ja richtig doof ist, denn es ist der Gebrauchsartikel, den jeder benutzt und jeder kaufen muss. Aber in den 60ern und 70ern, ja, auch noch in den 80ern war da so eine Verschämtheit. Vielleicht erinnert sich die Generation Ü50 noch an die gehäkelten Klorollen-Überzüge auf den Hutablagen der Autos. Ein totaler Unsinn, denn es wusste ja jeder, was unter dem lila oder orangen oder grünen oder braunen Häkelungetüm war…
Wie also Hakle® feiern?
Vielleicht, indem man darauf scheisst. (sit venia verbo). Damit wäre Klopapier das einzige Produkt, das man mit Draufscheissen feiert.

Eine ganz besonders tolle Ankündigung las ich die letzten Tage, und sie war Anlass für den Post:

150 JAHRE WOLFGOTTESACKER – FEIERN SIE MIT

Nun ist das Jubiläum eines Friedhofs etwas ganz Spezielles (auch und eventuell gerade wenn es einer der schönsten der Schweiz ist).
Wird es nun in Basel einen «Dia de Muertos» geben? Ein Fest mit Kostümen auf dem Friedhof, Wein auf den Grabsteinen und Tanz zwischen den Gräbern? Eine rauschende Fete mit allen Arten von Drogen und lauter Musik, wo Plastikskelette an den Ruhestätten der Basler Hautevolee schwingen?
Man darf gespannt sein, aber angesichts der reformierten Strenge und protestantischen Verpapptheit, die hier am Rheinknie herrscht, eigentlich undenkbar…

So, genug für heute, jetzt mache ich mir einen löslichen Kaffee von SCHMUMI®, und dabei werde ich ein wenig tanzen, denn die feiern 50 Jahre.
Feiern Sie doch mit!





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 16. August 2022

Posts und Predigten

Der 9 Euro-Post sollte eigentlich eine Predigt werden.
Und das kommt so:

Mein Freund Urs ist Pfarrer. Wir treffen uns vielleicht alle 2, 3 Wochen einmal zum Abendessen, und bei den Terminen reden wir dann (wirklich) über Gott und die Welt. Solange ich noch Alkohol trank, floss da auch reichlich Fendant oder Merlot.
Bei einem dieser Treffen und nach – ich muss das leider so zugeben – etlichen Flaschen Wein, kamen wir auf unsere Schreibereien, meine Glosse und seine Predigten. Wir entdeckten, dass wir häufig den gleichen Trick anwenden: Wir gehen von einem Punkt, einer Begebenheit, einer Kleinigkeit, einer Frage aus, und aus diesem Punkt, dieser Begebenheit, dieser Kleinigkeit, jener Frage heraus versuchen wir, allgemeinere Sätze zu finden. Und wir entdeckten auch, dass wir manchmal nicht weiterkamen, dass Punkt, Begebenheit, Kleinigkeit oder Frage wie in der Luft hingen und strampelten.
Ja, und da kamen wir auf die Idee (Schnapsidee? Wohl eher eine Wein-Idee, vielleicht auch eine Bier-Idee…) uns Textanfänge zu gegenseitig zu senden, wenn wir nicht weiterkommen.

So hatte ich vor ca. einem Jahr einen Anfang, der in der Luft hing:

In den Sommerferien waren wir im deutschen Rheinfelden. Wir hatten einige Besorgungen zu machen, die es nur im Deutschen gibt und wollten auch noch in eine Galerie. Ja, und natürlich das legendäre Eis im «Venezia» schlecken. Als ich nun die Hauptstrasse entlanglief, fiel mir etwas auf: Die gegenüberliegenden Häuser waren an allen Punkten der Strasse gleich weit voneinander weg, die Strasse war überall gleich breit.

Das war natürlich ein bescheuerter Anfang.
Denn selbstverständlich sind ALLE Strassen und ALLE Innenstädte so gemacht, JEDE Strasse sollte immer die gleiche Breite haben und Häuser (es sei denn, einige sind vorbegärtent und einige nicht) sollten IMMER den gleichen Abstand haben. Welche Erkenntnis sollte und konnte ich jetzt daraus entwickeln? Ich kam nicht weiter.
So schickte ich den Textbeginn an Urs. Und siehe da: Als Predigt funktionierte es.

(Predigttext: Das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner, Lukas 18, 10-14)
In den Sommerferien war ich in Bad Säckingen. Wir hatten einige Besorgungen zu machen, die es nur im Deutschen gibt und wollten auch noch in ein Museum. Ja, und natürlich das legendäre Vanille-Eis im «Roma» schlecken. Als ich nun die Hauptstrasse entlanglief, fiel mir etwas auf: Die gegenüberliegenden Häuser waren an allen Punkten der Strasse gleich weit voneinander weg, die Strasse war überall gleich breit.
Überall der gleiche Abstand. Liebe Gemeinde, wir haben alle den gleichen Abstand, die gleiche Entfernung zu Gott. Egal, ob wir viele gute Taten oder wenig gute Taten vollbringen, ob wir fromm sind oder nicht, ob wir Kirchgänger sind oder nicht. Der Abstand ist gleich.
Aber Gott hat in Jesus diesen Abstand überbrückt…

Es ist erstaunlich, dass das nun geht. Aber es fiel mir auf, dass in Predigten genau das geschieht, was ich vorhin belächelt habe, da wird eine totale Belanglosigkeit und ein totaler Allgemeinplatz so speziell gemacht, dass der Predigthörer denkt, es handele sich eben um eine spezielle Erfahrung des Pfarrers.
Da will man über die Schönheit von Gottes Schöpfung reden, und da braucht man Blumen, und da hat man in den Ferien in der Stadt W im Park X eine Y-Blume in der Farbe Z gesehen, und es hört sich so an, als ob Y in Z nur in der Stadt W im Park X gedeihen, dabei hat jede Gärtnerei 2000 im Gewächshaus.
Da will man über die Angst reden, und da hat einen in den Ferien in der Stadt W auf dem Platz X ein Y-Hund angefletscht, so als ob es fletschende und bellende, beissige (sic) Ypsilons nicht auch in den heimischen Strasse gäbe…
Achten Sie mal auf solche Predigtanfänge, wenn Sie das nächste Mal in die Kirche gehen. Ach so, machen Sie gar nicht. Dann schalten Sie halt mal nicht ab, wenn im Radio «Das Wort zum Tag» oder «Das Geistliche Wort» kommt und achten Sie auf die Predigten.

Ja, und so wollte Urs eben neulich eine Predigt über das «Scherflein der Witwe» (Markus 12, 41-44) schreiben und begann so:

Hatten Sie bisher einen schönen Sommer? Sind Sie auch ein wenig herumgefahren? Mit öffentlichen Verkehrsmitteln? Mit dem 9 Euro-Ticket?
Also, wir haben unser Juli-9 Euro-Ticket weidlich genutzt. Wir waren in Köln unterwegs, wir sind von dort nach Bonn, Aachen und Düsseldorf gereist, danach benutzten wir das Ticket in Frankfurt und Darmstadt.
Ja, das Geld und seine Verwendung ist immer ein Thema gewesen…

Und dann kam Urs nicht weiter, denn in der Scherflein-Geschichte geht es ja um eine völlig andere Sache, und so schickte er mir das Ding und ich machte einen Post daraus.
War sicher lustiger.









Freitag, 12. August 2022

Der 9 Euro-Irrtum

Hatten Sie bisher einen schönen Sommer? Sind Sie auch ein wenig herumgefahren? Mit deutschen Verkehrsmitteln? Mit dem 9 Euro-Ticket?
Also, wir haben unser Juli-9 Euro-Ticket weidlich genutzt. Wir waren in Oldenburg unterwegs, wir sind von dort nach Bremen, Leer und Dangast gereist, danach benutzten wir das Ticket in Kassel, Frankfurt und Stuttgart. Allerdings – das muss man deutlich sagen – war das 9 Euro-Ding für uns eine zusätzliche Erleichterung, wir wären niemals mit dem Auto die Tour gefahren, was vor allem daran liegt, dass wir gar kein Auto haben. Nein, wir hätten sonst 1-, 2-, 3- oder 4-Tage-Tickets gekauft, für 1, 2, 3 oder 4 Zonen des Oldenburgischen, Kassler, Frankfurter oder Stuttgarter Verkehrsverbundes, das wäre gegangen, wäre aber sehr umständlich gewesen.
Wir haben also kein CO2 gespart, sondern hatten es einfach einfach. (Schönes Wortspiel, ich bekomme die rote Linie…)

Nun kommt aber das Interessante (oder eben nicht Interessante):
95% der Leute, die das 9 Euro-Ticket benutzt haben, haben dafür nicht das Auto stehen lassen, sondern haben es entweder anstatt eines Monatstickets gebraucht oder haben ZUSÄTZLICHE Fahrten gemacht. Und diese ZUSÄTZLICHEN Fahrten, diese 9 Euro-Spontanreisen, diese ÖV-Spritztouren, diese Billigfahrten ins Blaue, sind ein Riesenproblem.
Denn:
Diese ZUSÄTZLICHEN Fahrten, diese 9 Euro-Spontanreisen, diese ÖV-Spritztouren, diese Billigfahrten ins Blaue haben (natürlich) den CO2-Verbrauch erhöht.
In der Summe heisst das:
Das Neuneuroticket hat das Umweltproblem vergrössert. Was nicht geplant war.

Es stellen sich nun zwei Fragen:
Erstens: War das nicht immer schon, von vornherein und die ganze Zeit klar?
Zweitens: Wenn das schon immer, die ganze Zeit und von vornherein klar war, warum hat man es dann gemacht?

Stellen wir uns einmal vor, Sie wollen die Sauferei in Ihrer Gemeinde verringern. Die Sauferei, die zum Problem geworden ist, weil Betrunkene randalieren, weil sie dennoch Auto fahren und weil sie die nächtliche Ruhe stören. Nun haben Sie eine grandiose Idee: Alle nichtalkoholischen Drinks werden 3 Euro günstiger verkauft. Tolle Idee, aber sie wird nix bringen, wenn überhaupt, werden die Leute zusätzlich zum Bier noch Wasser trinken. Oder sie werden sich für 1,50 eine Cola bestellen, in die sie dann ihren Wodka kippen. Glaubt wirklich irgendein Mensch, dass ein gestandener Alkoholiker sich vom Saufen abbringen lässt, wenn man ihm gratis Mineralwasser spendiert?

Stellen wir uns einmal vor, Sie wollen die Lesekultur fördern und die Handysucht bremsen. Nun treiben Sie immense Geldmittel auf und starten eine Wahnsinns-Aktion: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gemeinde fahren alle Haushalte ab und schenken allen Leuten ein Buch. Was wird passieren? Ein minimal, minimalst, ein winziger, ein winzigster Teil wird Ihnen sagen: «Danke, ich wollte immer schon mehr lesen, jetzt tue ich es mal…». Ein grösser Teil hat das Buch schon oder (Supergau für den Buchhandel!) spart sich nun den Kauf, den man tätigen wollte. Der grösste Teil nimmt das Buch und legt es ab, zu den drei Büchern, die man schon hat (darunter die damals vom Pastor aufgezwungene Traubibel).

Stellen wir uns einmal vor, Sie setzen den Eintritt der örtlichen Schwimmbäder auf null. Wie viele Couchpotatos locken Sie damit ins Hallenbad, um 25 oder 50 Meter-Bahnen zu ziehen? Niemand. Die Jedentagschwimmer frohlocken, sie sparen sich wertvolles Geld, die Nichtsportler bewegen sich keinen einzigen Zentimeter vom Sofa weg.

Stellen wir uns einmal vor…
Stellen wir uns einmal vor…
Stellen wir uns einmal vor…
Ich denke, Sie haben es kapiert.

Es ist nicht das Geld, das Menschen hindert, statt dem Auto den Bus zu nehmen. Es ist nicht der Preis, der einen veranlasst Schnaps statt Wasser zu trinken. Es sind nicht die Ausgaben, die einen vom Buch weg zum Handy treiben und es liegt nicht an den Kosten, dass nicht mehr Leute Sport machen.
Insofern wird in allen Fällen nur die Klientel gefördert, die eh auf der eigenen Seite ist.

Hatten Sie bisher einen schönen Sommer? Sind Sie auch ein wenig herumgefahren? Mit deutschen Verkehrsmitteln? Mit dem 9 Euro-Ticket?
Also, wir haben unser Juli-9 Euro-Ticket weidlich genutzt. Wir waren in Oldenburg unterwegs, wir sind von dort nach Bremen, Leer und Dangast gereist, danach benutzten wir das Ticket in Kassel, Frankfurt und Stuttgart.
Aber Sie und ich haben wahrscheinlich kein Zehohhzwei eingespart.

Schade.





 

Dienstag, 9. August 2022

Sommerkonzerte


Es ist wieder einmal Sommer und damit: Es ist wieder einmal Festspielzeit. Und so sucht sich jedes Orchester, die Bremer, die Hamburger, die Oldenburger oder die Kieler oder die sonstwie Philharmoniker, ein schönes Ambiente und macht ein Sommerkonzert.

Das Ambiente, vor dem das Orchester, die Bremer, die Hamburger, die Oldenburger oder die Kieler oder die sonstwie Philharmoniker, konzertiert, ist am besten ein Schloss, ein barockes Anwesen mit Park und Springbrunnen, ein Anwesen, das man dann während des Konzertes auf die heftigste Weise beleuchten kann, in Rot und Blau und Grün und Orange und Lila, das ist zwar geschmacklos und kitschig, aber den Leuten gefällt der Kitsch, das Rot und Blau und Grün und Orange und Lila, und seien wir ehrlich:
Für Menschen, die nach Donaueschingen oder Witten gehen, für Menschen, die daheim Lachenmann hören, sind solche Sommerkonzerte nichts.

Das Orchester braucht nun eine Dirigentin oder einen Dirigenten, sowie Solistgendergapinnen.
Beim Dirigat greift man oft auf das in den Kirchen beliebte Muster des Kanzeltausches zurück und macht einen Pulttausch, das heisst, die Bremer werden vom Hamburger, die Hamburger werden vom Oldenburger, die Oldenburger werden vom Kieler und die Kieler werden vom Bremer Maestro geleitet. Das bringt Abwechslung und lässt einen einmal ein anderes Gesicht sehen.
Bei den Solistgendergapinnen setzt man auf Vokales, vor allem auf Sängerinnen, die – es ist ein Sommerkonzert – endlich einmal ihre rote, blaue, grüne, orange oder lila Sommergarderobe präsentieren können, luftig und leicht in Tüll (ohne Tränen) und Seide, passend zu der Beleuchtung der Schlösser, und dass manche – wie Böll es so herrlich ausdrückt – Dekolleté mit oben ohne verwechseln, was macht es, es ist Sommer.
Man kann natürlich auch den schmalzfrisierten französischen Cellisten holen, der trotz seiner Frisur und den eigenartigen Ringen an rechtem Ringfinger und rechtem Kleinen Finger richtig gut ist, und sicher spielt er dann als Zugabe die Melodie von Myroslav Skoryk, ein Stück, das zwar mit seinem dadadada daaaaa da da da unglaublich simpel gestrickt ist und auch unglaublich kitschig, aber das passt ja wieder gut zu der roten, blauen, grünen, orangen oder lila Beleuchtung der Kulisse und ausserdem ist der Komponist Ukrainer, und da muss man das Stück ja mögen…

Mit was für einer Programmidee, mit was für einer Dramaturgie gestalten die die Bremer, die Hamburger, die Oldenburger oder die Kieler oder die sonstwie Philharmoniker nun ihren Auftritt? Hier sitzen nun findige Leute im Hintergrund und überlegen sich eine Reihenfolge, einen Ablauf und eventuell einen roten Faden.
Und hier wird nun gesündigt, was das Zeug hält.
Vielleicht wäre es wirklich die beste Methode, einfach alles bunt zu mischen, ohne jede klare Dramaturgie, so haben es die Franzosen am 14. Juli gemacht, Motto «anything goes» und so hatte auch die Freiburger GMD einmal ein Sylvesterkonzert untertitelt (das übrigens doch eine ausgeklügelte Dramaturgie hatte…) Vielleicht wäre das richtig.
Ganz doof sind Motti wie «Eine Reise durch Europa», das ist so ein Quatsch-Motto, unter dem man alles unterbringt, denn natürlich hat jeder Komponist eine Nationalität und manche Stücke auch so eine Überschrift, und wenn dann die Polnischen Tänze von Jaques van der Hals erklingen, einem niederländischen Komponisten mit französischer Mutter, der in Wien lebte und das Stück in England schrieb, wobei er für seine Polnischen Tänze ungarische und rumänische Volksweisen zugrunde legte, dann hat man wirklich fast ganz Europa untergebracht.
Was wären sonst noch für Motti (un)denkbar?
Tiere.
Bitte nicht, man hört hier schon den Hummelflug und den Schwan und was sonst noch so an Tieren in der Musik herumspringt, einen innermusikalischen Zusammenhang bekommt es nicht.
Jahreszeiten?
Farben?
Liebe?
Hören wir auf, uns die Programme vorzustellen, sie werden alle schrecklich.

Egal wie nun das Programm aussieht, für das Ende muss man sich etwas Besonderes überlegen. Was spielen nun die Bremer, die Hamburger, die Oldenburger oder die Kieler oder die sonstwie Philharmoniker zum Schluss des fulminanten Abends? Geografisch unkundige Menschen werden nun hier die Nordseewellen, die an den Strand schwappen vorschlagen, müssen aber hier enttäuscht werden, ginge nur für Hamburg, Oldenburg und Bremen liegen im Binnenland und Kiel an der Ostsee. Lassen wir die Frage unbeantwortet, in Wien ist es klar, immer das Wiener Blut, und dass am 14. Juli von Radio France unter dem Tour d`Eiffel die Marseillaise erklingt, dürfte wohl auch niemand bezweifeln.

Es ist Zeit der Sommerkonzerte, und die Bremer, die Hamburger, die Oldenburger oder die Kieler oder die sonstwie Philharmoniker haben sich Schlösser gemietet, die sie in Rot und Blau und Grün und Orange und Lila erstrahlen lassen. Und wir freuen uns auf viel schöne Musik.

Hoffentlich.



 

 

 

 

 

Freitag, 5. August 2022

Das Hitze-Tagebuch

Donnerstag, 4. August 2022

5.00
Ich erwache und muss auf die Toilette. Eigentlich – so merke ich – wäre jetzt eine gute Zeit aufzustehen, es ist angenehm kühl und frisch, nein, ist es nicht, aber mit 22˚ noch erträglich. Was einem Aufstehen entgegensteht: Ich bin noch sehr müde. Also noch einmal schlafen gehen…

7.30
Ich erwache. Ich schliesse in meinem Arbeitsbereich unten auf und öffne heftig Türen und Fenster, während dort der Morgenwind durchweht, trinke ich auf dem Balkon meinen Morgenkaffee.

8.00
Das Heftiglüften hat ein wenig etwas gebracht, aber nicht ganz wirklich. Ich schliesse in meinem Arbeitsbereich Türen, Fenster und Rollläden. Ich setze mich an meinen Computer, checke meine Mails, mache das Zeit- und drei Kreuzworträtsel und übe mein Französisch. Dann gucke ich die Prognosen für den heutigen Tag: Schlechte Nachrichten, um 14.00 werden 39 ˚ erreicht werden.

8.15
Ich versuche spontan, einen Termin bei meinem Bankberater zu bekommen. Herr Schläpfer scheint am Telefon zu grinsen: Er sei bis Mitte der nächsten Woche ausgebucht, und ausserdem hätten wir doch vor zwei Wochen alle meine Anlagen, Säulen, Versicherungen und Fonds optimiert. Er wolle mir nichts unterstellen, aber ob ich nur auf eine Stunde in seinem Air Condition-Büro aus sei, bei angenehmen 22˚, auf die Idee seien eben schon einige andere Leute gekommen…
Ok, einen Versuch war es wert.

9.30
Ich gehe schwimmen.
Im kalten Wasser ist es sehr angenehm, aber das geht ja auch nicht ewig. Nach meinen zehn 50m-Längen ziehe ich mich wieder an. Was ich sonst nach dem Schwimmen mache, ist bei (gefühlten) 40˚ ausgeschlossen: Einen Kaffee trinken und in die Sonne liegen. Ein Heissgetränk treibt mir schon beim Gedanken an es die Schweissperlen auf die Lippe und in der Sonne würde ich nicht eine schöne Bräune bekommen, sondern einschrumpeln wie ein Wiener Würstchen, das zu lange auf dem Grill war.

10.15
Ich habe einen super Ort gefunden: Die Tiefkühltruhe bei der MIGROS®. Dummerweise entdeckt mich ein junger Verkäufer, zieht mich raus und droht mir im Wiederholungsfall ein Hausverbot an.

10.25
Das gleiche Szenario bei COOP®.

10.35
Das gleiche Szenario bei ALDI®.

11.30
Ich sitze im Bus 38 nach Wyhlen Siedlung. Ich hatte schon vor Wochen den Drang, mal diese Buslinie über die Grenze bis zur Endhaltestelle zu fahren, so, als ob dort etwas Besonderes, etwas Feines, etwas Gutes auf mich wartet, so wie der Topf Gold am Ende des Regenbogens. Und nun weiss ich es:

In Grenzech und in Wyhle
Tuet ´s so härrlich kyhle
(apokryphe Strophe des Schwarzwälder im Breisgau von Hebel)

Dann aber kommt der Hammerschlag: Ab Grenze müsste ich einen medizinischen oder FFP2-Lappen vor dem Gesicht haben. Wie bescheuert ist das denn? Bis Hörnli Grenze habe ich ja meine Aerosole auch verbreitet, aber gut, ich steige noch in der Eidgenossenschaft aus…

Kurze Zwischengedanke für Leute, die mein Tagebuch gerade (erlaubt? unerlaubt?) mitlesen: Ich mache deshalb keinen AKW-Gag, weil in Wyhlen (deutsche Rheinseite ca. 10 km von Basel entfernt) keines steht, das berühmte Ding ist in Wyhl am Kaiserstuhl.

13.00
Ich habe Hausverbot in der MIGROS®.

13.00
Ich habe Hausverbot im COOP®.

13.00
Ich habe Hausverbot im ALDI®. Aber nun kommt mir die Idee: Ich greife den Mitarbeiter tätlich an, ich schreie umeinander, zerstöre Glas und vernichte Gemüse. ALDI® holt die Polizei.

14.30
Bingo! Der Polizeiposten Kannenfeld ist klimatisiert. Und die Zellen sind im Keller.
Hätte man gleich draufkommen können.

21.00
Nach endlosen Verhören und Wartezeiten in der Zelle darf ich heim. Inzwischen kann man es in der Wohnung auch aushalten. Und morgen soll es ja Gewitter geben…



 

 

 

 

 

Dienstag, 2. August 2022

Update über Nacht

Ich lese in meinem morgendlichen religiösen Text:

So sorget nicht um eine Heutigung. Die Heutigung wird kommen, sie wird kommen, ohne dass ihr das bemerket. Die Heutigung wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Wie der Tau nach der Dämmerung, wie die Lerche am Morgen singt, so wird die Heutigung da sein.
aus: Das Connimum des Fluxius (345 n. Chr.)

Was meint der im heutigen Syrien gelebt habende Heilige und frühe Denker der Kirche?
Gut, man kann das Ganze philosophisch-logisch sehen: Das Heute kommt auf jeden Fall, und es kommt, ohne dass ich es merke, wenn ich aufstehe, ist es sicher heute, so wie es beim Einschlafen ja auch heute war…
Aber meint Fluxius wirklich das? Oder ist es ein ganz und gar prophetisches Wort? Was könnte er noch mit «Heutigung» meinen? Wenn ich «heutig» mit «aktuell» oder «modern» übersetze, dann käme ich auf «Aktualisierung» oder «Modernisierung». Oder…oder…oder…ganz hip mit «Update».

So sorget nicht um ein Update. Das Update wird kommen, sie wird kommen, ohne dass ihr das bemerket. Das Update wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Wie der Tau nach der Dämmerung, wie die Lerche am Morgen singt, so wird das Update da sein.

Könnte doch auch sein.
Und tatsächlich, als ich zu meinem Handy gehe, hat es wieder einmal ein Update bekommen. Ohne dass ich es bestellt habe. Ohne dass ich es wollte, ohne dass ich es programmierte. Das Gerät ist von der Version 456.978634367.65 zur Version 456.978634367.66 weitergegangen.

Gut, lasst sehen was die Version 456.978634367.66 von der Version 456.978634367.65 unterscheidet:

Zunächst einmal natürlich Nummern eingeben, erst die SIM-Karte und dann die Tastatur entsperren, SIM 1379 und Tastatur 456258, ergibt ein schönes Bild zusammen. Aber was ist denn das? Bei beiden Malen singt ein Chor von Schlümpfen im Disco-Stil

Pin stimmt, Pin stimmt
Pin stimmt, stimmt, stimmt
Sie stimmt, die Pin, sie stimmt, die Pin

Ich hoffe, man kann das deaktivieren. Das ist ja grauenhaft.
Was gibt es weiter bei 456.978634367.66?

Apps, die man schliesst und wegschiebt, verschwinden nicht einfach nach oben. Nein, eine Ecke faltet sich auf und das Ding schwebt in den Bildhintergrund. So, als ob in 1001 Nacht ein fliegender Teppich gestartet wird. Da ich als Bildschirmbild den Flötenteich (Sie erinnern sich, Oldenburg, der mit den Geheimnissen…) habe, entgleitet jede App malerisch über das Wasser und entschwindet im Wald.
Sehr reizvoll.
Aber komplett unnötig.

Mein Timer hat eine neue Farbe. Nun läuft nicht mehr ein schwarzer Zeiger eine schwarze Uhr entlang, nein, ein roter Zeiger läuft eine blaue Uhr entlang. Einigermassen scheusslich, aber zum Glück sind die Sekunden noch gleich lang. (Ist, glaube ich, auch auf der ganzen Welt gleich, oder nicht? Aber man weiss ja nie.)

Nun aber zur Wetter-App. Hier hat 456.978634367.66 ganze Arbeit, und zwar dumme und widerliche Arbeit geleistet. Die Temperaturen sind nun plötzlich alle in Fahrenheit, das ist ziemlich blöd, weil ich schlecht im Umrechnen bin. Zusätzlich sind die Wetterlagen nun auch akustisch dargestellt. Es war ja schon doof, dass bei «Regen» im Hintergrund die Fäden bzw. Schnüre niedergingen und bei «Schnee» dieser auch zu sehen war, aber jetzt ist es völlig blöd, man hört Wind, Donner, Blitz, Regen usw. So als ob man nicht wüsste, was eine Wettersituation ist.

Aber nun wird es ganz heikel: Meine Wetter-App hat neue Orte, die ich nicht heruntergeladen habe, sondern die ich auf Google Maps gesucht oder für die ich bei booking.com gesucht habe. Nun mache ich die Probe aufs Exempel und füge in meiner Wetter-App die X-Städte (Buxtehude, Castrop-Rauxel und Xanten) hinzu. Aufgeregt öffne ich meinen Mailaccount und siehe da: Es ist auch umgekehrt, ich habe für die X-Städte (Buxtehude, Castrop-Rauxel und Xanten) Hotelangebote bekommen.
456.978634367.66 hat mich und alle meine Apps mit allen möglichen Sites vernetzt.

Und ich konnte es nicht verhindern. Denn wie schreibt der heilige Fluxius in seinem «Connimum» (einer Schrift, die übrigens in keinem Bücherschrank fehlen sollte…)

So sorget nicht um eine Heutigung. Die Heutigung wird kommen, sie wird kommen, ohne dass ihr das bemerket. Die Heutigung wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Wie der Tau nach der Dämmerung, wie die Lerche am Morgen singt, so wird die Heutigung da sein.