Freitag, 31. Mai 2019

Ein Buchstabe macht es aus


Der Teilnehmer an der von mir geleiteten Fortbildung heisst Same Nikwobuanda. Ich erinnere mich, dass vor zwei Jahren ein Teilnehmer gleichen Namens die Einführung in die Ensembleleitung besucht hat, und als ich diesen in der Datei finde, spreche ich Herrn Nikwobuanda darauf an. «Aber das ist doch ein Nikwibuanda! Nikwibuanda ist Unterschicht, das sind Kanalarbeiter und Putzfrauen! Die Oberschicht heisst Nikwobuanda», meint er, als er mir über die Schulter auf meinen PC schaut. Ich muss zugeben, dass er Recht hat, vor zwei Jahren nahm ein Nbumu Nikwibuanda teil und jetzt eben Same Nikwobuanda. Aber komisch sind die schon, die Afrikaner, denke ich…

Aber dann fällt mir ein, dass es in Basel ja ganz genau so ist: Die «richtigen» Burckhardts schreiben sich eben genau so, mit CK und DT, die «falschen» eben nur mit K und D, die «richtigen» Vischers» schreiben sich eben exakt auf diese Weise, mit Veegeli-V (wie man hier sagt), und die «falschen» mit F; und die erste Frage bei der Nennung dieser Namen lautet dann eben auch «Mit CK/DT?» oder «Mit Veegeli-V?». Burckhardt und Vischer gehört zum «Daig», zu jener Gruppe alteingesessener Familien, die die Basler Oberschicht bildete und die heute noch den alten, ehrwürdigen Basler Dialekt spricht, die Parapli statt Rägeschirm und die Gugumere statt Gurke sagt.

In Freiburg war ich genauso ein «Falscher». «Herter mit T oder Herder mit D?» lautete die beständige Frage, und ich schreibe mich nun eben mal mit T. Was schade ist, denn die Verlegerfamilie Herder (Herder-Verlag, jene grossartige katholische Institution, die eben nicht nur die Vatikan-Übersetzungsrechte hat, sondern auch Küng, Drewermann und Ranke-Heinemann herausbrachte und sich jedes Mal auf einen heftigen Streit mit Rom einliess) ist so etwas wie Freiburger «Daig», Hautevolee, High Society des Breisgaus.

Und dann die Meyers, die Meiers, die Mayers und die Maiers. Jede Schreibweise behauptet von sich, die beste, die edelste, die wirklich wichtige und gute zu sein. Was man nicht feststellen kann, denn erforschen kann man nur die Häufigkeit, hier gilt folgendes Ranking: Meyer Platz 1, Meier Platz 2, Maier Platz 3 und Mayer Platz 4. Sind aber nun die am meisten verbreiteten die edlen oder gerade umgekehrt? Schwierig… (Es gibt übrigens ein Meier-Loch, dazu in einem anderen Post.)

Aber nicht nur bei Namen kommt es manchmal auf den Buchstaben an. Oft ist es nur ein S statt einem K, ein M statt einem N, oft ist es nur ein L, das da ist oder nicht, ein H, das fehlt, oft ist es eine Letter, ein Zeichen, das den Unterschied ausmacht.
Der wunderbare Zeichner Bernd Pfarr, der mit F. K. Wächter und Robert Gernhard zusammen die «Zweite Frankfurter Schule» bildete, bildet in einem seiner Cartoons ein Klassenzimmer ab, in dem die Schülerinnen und Schüler eine Guillotine aufgestellt und schon einen Jungen daruntergelegt haben. Der Lehrer, der mit aufgerissenem Mund in der Türe steht, hatte von den Kindern Fallbeispiele verlangt, und sie hatten Fallbeilspiele verstanden.   

Wir machen ein kleines Quiz:
Welches ist das Original? Ich gebe Ihnen vier Varianten mit möglichen Erklärungen.

a)      Wer jetzt kein Haus hat, baut sich eines mehr.
Das ist ein Ausspruch aus der John Cage-Schule, ganz im Sinne von Ich habe nichts zu sagen, aber das sage ich dann ganz deutlich. 
b)      Wer jetzt ein Haus hat, baut sich eines mehr.
Werbung der Bausparkasse Wüstenrot® zu Zeiten der Hochkonjunktur, um (neue) Kunden für den Bau eines Zweithauses oder den Ankauf eines Chalets (für Nichtschweizer: Ferienhaus) zu begeistern und so Geld verleihen zu können.
c)       Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
So depressiv! Ein trübes Herbstgedicht eines trübsinnigen Dichters, nach dem Motto: Sommer vorbei, alles aus, no future, hängt euch am besten auf.
d)      Wer jetzt ein Haus hat, baut sich keines mehr.
Die logischste Variante. Wenn der Soll-Zustand erreicht ist, muss keine Operation mehr durchgeführt werden.

 Nicht nur bei Namen kommt es manchmal auf den Buchstaben an. Oft ist es nur ein S statt einem K, ein M statt einem N, oft ist es nur ein L, das da ist oder nicht, ein H, das fehlt, oft ist es eine Letter, ein Zeichen, das den Unterschied ausmacht.

In diesem Sinne: Bis zum nächsten Post der Dienstag-Freitag-Gosse.

P.S.: Für die nächste Fortbildung hat sich ein Herr Nikwobuandi angemeldet, das scheint in Kenia so was wie Meier/Meyer/Mayer/Maier zu sein…

P.P.S.: Natürlich Glosse!

P.P.P.S.: c) ist richtig!! Herbsttag von Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Dienstag, 28. Mai 2019

Alles provisorisch!


Holger ist vor einem Jahr in seine jetzige Wohnung gezogen und lebt immer noch mit einigen Provisorien.
Stopp.
Das ist jetzt sehr euphemistisch, es müsste heissen: Holger ist vor einem Jahr in seine jetzige Wohnung gezogen und lebt immer noch nur mit Provisorien. Der Koffer auf dem Boden ist natürlich kein Kleiderschrank und auch die Matratze auf dem Boden ist kein Bett. Der Camping-Klapptisch ist ein Provisorium und die Campingstühle sicher auch. Dass er sich morgens einen Nescafé macht, ist ein Provisorium, bis er endlich einen Kaffeeautomaten kauft und die Billig-Kochtöpfe, in denen er Tütensuppen kocht, sind es auch.
Wenn Holger dann morgens an der provisorischen Bushaltestelle steht (Bauarbeiten) und sich zur provisorischen Endhaltestelle (Strassenbau) fahren lässt und in der provisorischen Bahnhofshalle (Baumassnahmen) sich am provisorischen Kiosk (Umbau) ein Sandwich holt, dann denkt er so über sein Leben nach.
Die Wohnung, in der er aufwuchs, war eigentlich auch nur provisorisch. Sie hatte zwar Kleiderschränke, Tische, Stühle, hatte Betten und Gardinen, es gab eine Kaffeemaschine und in der Küche gab es echte Pfannen und Töpfe, aber auf ewig wollte man in der provisorischen Bleibe nicht hausen. Wahrscheinlich, so denkt er, begann das mit den provisorischen Sachen schon viel früher. Sein Vater war nämlich auch nur so eine Art Provisorium, ein Provisorium, bis der grosse, stolze Prinz käme, der Prinz, von dem Holgers Mutter die ganze Pubertät geträumt hatte, der Märchenprinz mit Sixpack und Bizeps, mit viel Geld und noch viel mehr Charme, aber bis der käme, nahm man sich halt den 160 cm grossen, leicht untersetzten Angestellten, der zudem noch ein wenig introvertiert war. Und weil seine Mutter es nicht schaffte, endlich zum Frauenarzt zu gehen und sich die Pille verschreiben zu lassen, machte sie provisorisch Knaus-Ogino… und dann kam Holger.
Nach der obligatorischen Schulzeit war eigentlich fast klar, dass Holger erst mal etwas provisorisch macht, und bei diesem provisorischen Job in einer Currywurst-Bude ist er nun auch schon 15 Jahre geblieben. (Die Currywurst ist, so denkt Holger oft, ja auch nur aus einer provisorischen Lösung entstanden, als nämlich Herta Heuwer diese Sauce zusammenmixte, weil es im Nachkriegsberlin keinen Senf gab…) Holger hat auch eine provisorische Freundin, bis das Topmodel mit Promotion, die Frau mit unendlich Geld und unendlich Charme auftauchen wird; allerdings benutzt er Kondome, damit nicht das Gleiche wie bei seinen Eltern passiert und das sind sogar – man höre und staune – LOVEPUT extra strong® aus der Drogerie und nicht irgendwelche Tütlein als Provisorium.

Wenn nun Holger morgens an der provisorischen Bushaltestelle steht (Bauarbeiten) und sich zur provisorischen Endhaltestelle (Strassenbau) fahren lässt und in der provisorischen Bahnhofshalle (Baumassnahmen) sich am provisorischen Kiosk (Umbau) ein Sandwich holt, und über Provisorien  nachdenkt, dann macht er einen entscheidenden Fehler:
Er vergleicht Äpfel mit Birnen.
Die Bauarbeiten werden am 15.6. beendet sein und sein Bus wird wieder von der normalen Haltestelle abfahren. Ebenso wird der Strassenbau am 1.7. ihr Ende finden, auch die Endhaltestelle liegt dann wieder am normalen Platz. Am 2.8. schliesslich wird die neue Bahnhofshalle eingeweiht und mit ihr die neuen Kioske. Es gibt also Provisorien, die sind notwendig und richtig, aber diese Provisorien sind zeitlich begrenzt.
Genauso gibt es solche, die sich als toll und super herausstellen, wie die Currywurst. Auch als es wieder Senf gab, hatte man die Sauce von Frau Heuwer einfach liebgewonnen, und man wollte gar nichts mehr anderes haben.
Diese Provisorien kann man nicht mit denen Holgers vergleichen. Sein Job, seine Wohnung, sein Bett, sein Nescafé, sein Koffer usw. sind weder besser noch unterliegen sie irgendeiner zeitlichen Begrenzung.

Warum aber halten sich so viele provisorische Dinge?
Das ist eine der Fragen, mit der sich die Psychologie erst seit ca. 15 Jahren beschäftigt, das Stichwort heisst Prokrastination (von lat. cras = morgen), Aufschieben, wir schieben es auf morgen und morgen schieben wir es dann auf übermorgen, immer weiter und weiter.

Gestern hat Holger im Bus ein religiöses Traktat gefunden, in dem stand:
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. (Offenbarung 21,1)
Dies hat Holger in seinem jetzigen Leben eher bestärkt, denn, so dachte er:

Ist die ganze Erde nicht auch ein Provisorium?












Freitag, 24. Mai 2019

Die unbändige Lust, das Falsche zu tun



So habe ich mir am Montag den neuen Roman von Tommy Jaud gekauft, Der Löwe büllt, und das, nachdem ich letztes Jahr meine sämtlichen Jauds, Einen Scheiss Muss Ich, Überman, Hummeldumm, Millionär, Resturlaub und Vollidiot im Gartenbad St. Jakob in der Gratis-Freihand-Bibliothek ausgesetzt hatte. Tommy Jaud liest man nämlich kein zweites Mal und es ist auch kein Autor, der in die Sammlung eines Germanisten gehört. (Da ich alphabetisch ordne, steht Jaud neben Jelinek und sieht da aus wie eine Plastiktulpe neben einer botanisch seltenen und wertvollen Pflanze.) Dennoch bin ich am Montag hingegangen und habe mir den neuen Jaud gekauft. Die unbändige Lust das Falsche zu tun.

Die gleiche Lust, das gleiche Verlangen, der gleiche Trieb überkommt uns, wenn wir irgendwo in der Innerstadt etwas Warmes essen wollen und wir zwischen Burger King ® und MISTER WONG® schwanken. Aber warum schwanken wir? Rein ernährungstechnisch ist der Entscheid zwischen fettigen Hamburgern mit versalzenen latschigen Pommes und einem im Wok fein zubereiteten Curry doch völlig klar, aber dennoch streben wir manchmal zum Ami und bestellen einen Whopper und Fritten. Die unbändige Lust das Falsche zu tun.

Genauso ist es mit Einkäufen, wir wissen, dass uns das himmelblaue T-Shirt erstens von der Farbe her nicht steht und zweitens viel, viel, viel und nochmal viel zu eng sein wird. Und dennoch kaufen wir es, getrieben von jener Lust, angefeuert von Drüsen und Hormonen, und geben es, nachdem wir uns daheim 10 Minuten im Spiegel betrachtet und uns schlapp gelacht haben, in die Kleidersammlung. 

In keinem Buch ist die unbändige Lust das Falsche zu tun so schön beschrieben wie in Alte Meister von Thomas Bernhard. Die Hauptfigur Reger lädt dort den Ich-Erzähler Atzbacher in eine Vorstellung des Zerbrochenen Kruges ins Burgtheater ein, obwohl Reger immer seine Ablehnung sowohl gegen das Stück als auch gegen die Bühne kundgetan hat. Es sei, so Reger, eine verrückte Idee, eine harmlose Spinnerei, eine nicht zu verstehende Absurdität, und das Buch schliesst dann mit den Worten:
Tatsächlich bin ich mit Reger am Abend in das Burgtheater in den Zerbrochenen Krug gegangen.
Die Vorstellung war entsetzlich.

Nun werden Sie sagen, das sei doch alles nicht schlimm. Es schade niemand und sei nicht ungesetzlich, den neuen Tommy Jaud zu kaufen, einen Hamburger zu essen oder das falsche Shirt zu kaufen. Oder sogar sich Kleist im Burgtheater anzusehen.
Gewiss.
Gewiss.
Aber setzen wir die ganze Sache mal auf eine andere Ebene:

Wenn Sie das Angebot einer russischen Oligarchin erhalten, die für Aufträge Sie im Wahlkampf unterstützen will, dann sollten Sie ein gutes Neuroleptikum einnehmen, eines, das das Zittern im Körper wegnimmt und die Drüsen abstellt, eines, dass den Schweissausbruch verhindert und Sie wieder in den Normalzustand versetzt, eines, das die unbändige Lust das Falsche zu tun einfach stoppt. Und Sie sollten nicht nach Ibiza fliegen, es könnte das Ende Ihrer Karriere sein – und nebenbei auch noch eine Regierungskrise auslösen.

Und wenn Sie Präsident eines grossen Landes sind und eine sehr hübsche Praktikantin haben, dann sollten Sie genauso vorgehen, weil Sie wissen, dass Sie a) Ihre Frau betrügen, b) es auffliegen wird und c) eine Menge Ärger damit bekommen. Sie sollten jener Lust keinen Raum geben und sich eventuell sogar eine andere Praktikantin (oder einen Praktikanten) suchen.

Und wenn Sie Machthaber in Xenistan sind, das seit 15 Jahren mit Yolistan Krieg führt, und wenn Ihnen der Yolistanische Machthaber nun endlich ein vernünftiges Angebot macht, und wenn sogar die UN und die EU mit im Spiele sind, Sie aber die unbändige Lust haben, Yolistan weiter zu bombardieren und noch zwei weitere Städte auszuradieren, dann sollten Sie dieser Lust nicht nachgeben. Etliche tausend Menschen werden Ihnen dankbar sein.  

Manchmal hat man eine unbändige Lust das Falsche zu tun. Ich weiss nicht, woher dies kommt, welches Organ oder welche Drüse da im Spiele ist, auch die Psychologie hat sich noch wenig dazu geäussert, aber es gibt Momente, da wird man von dieser Lust gepackt, der Körper zittert und dann macht man etwas total Verrücktes, Absurdes, etwas Schwachsinniges und Blödes.

Der neue Jaud ist übrigens wieder einer von den besseren. Nicht so schlimm wie die vorigen.