Dienstag, 29. Oktober 2019

Wie man Sportsstätten in Arabien füllt


Das Festival Neue Musik aus fernen Ländern in Krupplingen geht in die zweite Runde. Und dieses Mal wird sich auch die Gemeinde grosszügig beteiligen, 30.000.- hat der Gemeinderat gesprochen, nachdem man 2018 die Sache ein wenig vorsichtig beäugt hatte. Drei Konzerte hatte Jürgen Hoppmann, der junge Veranstalter, damals auf den Weg gebracht, und man hatte ihm gesagt, dass vor allem die Resonanz ein Kriterium für eine Förderung 2020 sein würde. Es war gewagt, in einer doch eher konservativ geprägten 30.000-Einwohner-Stadt ein solch avantgardistisches Programm anzubieten. Doch die Zuschauerbilanz war überwältigend:

Les Dissonances (Kammermusik aus Mali), Stadthalle               386 Plätze verkauft (von 410)
Povokatl i Gukatl (Musiktheater aus Bolivien), Kirche               207 Plätze verkauft (von 250)
Kammerorchester Osaka mit 5 Uraufführungen, Stadthalle         ausverkauft

Es scheint, als hätte der Stadtrat die Begeisterung der Krupplinger unterschätzt. Aber die Besucherzahlen sprechen ja für sich.
Oder?
Oder??
Was die Gemeinderäte nicht wissen, ist, dass Jürgen Hoppmann ein wenig getrickst hat, er hat ein wenig «aufgefüllt», hat ein bisschen geschummelt, ein wenig gemogelt. Zwei Wochen vor dem Festival waren 2018 nämlich noch ganz wenige Billetts erworben worden, der gute Organisator kam nun auf die Idee, Menschen in die Konzerte zu schleusen, die die Räume ein wenig voller machen sollten: Schüler («Neue Musik ist immer noch besser als Mathe»), Soldaten («wir hassen das, aber Befehl ist Befehl»), Randständige («in der Stadthalle ist es wenigstens warm») und uralte Menschen.
So wäre nun eine faire Bilanz für alle Konzerte:

Verkaufte Tickets       250
Schulklassen              322
Soldaten                     277
Randständige             156
Uralte                           65
Gesamt                      1070

Das Ganze also ein Riesenschwindel.
Was man Herrn Hoppmann zugutehalten muss, ist, dass er nur von einer anderen Sparte abgeguckt hat: Dem Sport.

Im Handball, Fussball, im Volleyball oder Hockey, in der Leichtathletik oder dem Schwimmen ist es ja inzwischen Mode, die Wettbewerbe in arabische Länder zu geben, in denen das Interesse der Menschen gleich null ist. So stellte sich bei der Leichtathletik-WM ausser Temperaturen, die heisser als in der Hölle sind und einer Luftfeuchtigkeit von gefühlten 120% auch das Problem, dass die Leute dort andere Sportarten lieben als wir: Falkenjagd und Kamelrennen. Eine Falkenjagd-WM oder ein internationaler Wettstreit im Kamelrennen hätte dort also volle Ränge gezaubert, nicht aber Handball, Fussball, Volleyball oder Hockey, nicht Leichtathletik oder Schwimmen.
Ja, und wenn dann halt ein Turnier in Dubai, Katar oder Saudi-Arabien, im Jemen oder sonst wo gar zu leer aussieht, dann wird schon einmal aufgefüllt. Zum Beispiel mit Soldaten, die können sich ja nicht wehren, die werden abkommandiert und müssen dann dort sitzen, ausserdem ist wahrscheinlich Hochsprung kucken immer noch angenehmer als Kletterübungen.

Warum vergibt man dann solche Veranstaltungen an die falschen Orte?
Natürlich sind die Verantwortlichen der Sportverbände bestochen, das ist klar, da muss man gar nicht darüber reden oder schreiben oder philosophieren, die Frage ist, warum die Araber unbedingt eine WM wollen, wenn es zu heiss zum sporteln ist und das Interesse in der Bevölkerung gleich null ist?
Geld? Selbst wenn man mit einer WM etwas verdienen würde, Geld, na ja, Geld haben die Ölscheichs genug. Ich glaube, es geht um so etwas wie Prestige, so etwas wie «Wir sind auch wer!»

Lassen wir doch noch einmal Jürgen Kruppmann zu Worte kommen:
«Das Festival Neue Musik aus fernen Ländern soll zeigen, dass innovative und gelungene neuere Klassik eben nicht nur in Donaueschingen, Witten oder Darmstadt erklingen kann, sondern dass eben auch ein Krupplingen aus dem Schatten anderer Städte heraustreten und dem interessierten Publikum ein unvergleichliches Hörerlebnis bieten kann.»
(Krupplinger Lokalradio vom 10.10.2019)

Die Katze beisst sich in den Schwanz: Wo ist denn nun das interessierte Publikum? Wenn wir davon ausgehen, dass viele alle drei Konzerte besuchten, dann sind das 80 Nasen. Und diese 80 Interessenasen könnte man 2020 mit zwei Luxuscars nach Donaueschingen oder Witten fahren und ihnen dort sogar noch einen Hotelzuschuss geben, und das würde nicht einmal 30.000.- kosten.


  


Freitag, 25. Oktober 2019

Eine Trennung löst nicht alle Probleme


Marissa hat Probleme. Marissa hat so viele Sorgen und Nöte, dass sie sich an einem Sonntag bei einer Tasse Kamillentee an den Küchentisch setzt und alles einmal aufschreibt:

Wohnung (der Streit mit der Nachbarin ist eskaliert)
Arbeit (der neue Chef gibt mir keine anspruchsvolle Arbeit mehr)
Gesundheit (hoher Blutdruck und Magenbeschwerden, psychosomatisch)
Beziehung zu Jochen (irgendwie ist die Luft raus und wir gehen uns nur noch auf die Nerven)

Jetzt sieht Marissa klarer und sie macht sich noch eine Tasse Kamillentee und ruft ihre Freundin Helga an, Helga ist Coach und kann Dinge auf den Punkt bringen. Helga hört sich die vier Punkte an und sagt dann klipp und klar: «Es ist völlig eindeutig, du musst bei Punkt 4 beginnen, trenn’ dich von dem Kerl, dann geht’s dir wieder gut und die Arbeit klappt und du wirst gesund, und das Wohnungsproblem hast du auch gelöst…»

Zwei Monate später wohnt Marissa wieder allein. Jochen und sie haben in Frieden ihre Beziehung beendet und sie ist ein paar Wochen später ausgezogen. In der neuen Wohnung hat sie keinerlei Probleme mit nervigen Nachbarn, sie hat keine nervigen Nachbarn, oder besser gesagt: Sie hat überhaupt keine. Da das Haus ausser ihrer winzigen Wohnung – natürlich hat Marissa sich verkleinert – nur aus Büros besteht, ist ab 17.00 und am Wochenende keiner da, ja, und das beunruhigt sie manchmal schon ein bisschen. Vor allem nachts heimkommen hat immer etwas Alptraumhaftes.

Auf der Arbeit läuft es auch nicht besser, sie bekommt immer noch das Drecksgeschäft wie Postversand, Kaffeekochen, Ablage und Akten sortieren. Und zwar nicht, weil der neue Chef ihr nur Postversand, Kaffeekochen, Ablage und Akten sortieren zutraut, sondern er gibt ihr Postversand, Kaffeekochen, Ablage und Akten sortieren, weil er sie einfach nicht mag. Er mochte sie nicht als Teil des Paares Jochen/Marissa, aber er mag sie auch als Single nicht, und ob sie morgens aus der (doch sehr schön gewesenen) Gründerzeitwohnung mit hohen Decken oder aus ihrem Bürohochhauskabuff kommt, ist ihm auch egal.

Und die Gesundheit? Marissa musste sich eingestehen, dass der hohe Blutdruck und die Magenschmerzen vielleicht doch auch mit ihren 2 Päckchen Zigaretten und einer sehr fetten und vitaminarmen Ernährung zusammenhängen und nicht nur psychosomatisch sind.
Und dann…
Und dann…
Und dann, wenn sie nach einem schrecklichen Arbeitstag in ihrer kleinen Wohnung sitzt und der Blutdruck steigt und der Magen schmerzt, dann hätte sie doch jetzt wieder gerne Jochen bei sich, den Jochen, der zwar kein Hengst im Bett war und kein Adonis, der manchmal ein wenig langweilig und ein wenig spiessig sein konnte, aber der immerhin eine Schulter hatte (hat?), an der frau sich herrlich ausweinen kann.

Aber Jochen hat nicht lange gefackelt und sich eine Neue gesucht, eine Neue, die bald auch in die 4-Zimmer-Jugenstilwohnung einziehen wird. Jochen ist passé.
Vielleicht war Helgas Rat doch nicht so gut gewesen….

Was lernen wir aus der Geschichte?
Manchmal wäre es doch gescheit, die Überlegungen über einen längeren Zeitraum zu machen als die Länge von zwei Tassen Kamillentee, und sich dann genau diese Fragen zu stellen:
Sind die Probleme unabhängig voneinander?
Gibt es Ursachen und Wirkungen?
Welches Problem verschwände, wenn ein anderes gelöst würde?
Was bliebe unverändert?
Gibt es EIN Grundsatzproblem?

Das sollten zum Beispiel nicht nur Männer und Frauen sondern auch alle Länder tun, die irgendwo wegwollen. Man könnte auch hier eine schöne Liste machen und käme zum Beispiel auf:
Arbeitslosigkeit
Wirtschaftsschwäche
Fehlende Infrastruktur
usw.
Und dann müsste man sich ehrlich fragen: Welche Dinge liegen wirklich daran, dass wir noch in der EU / bei England / in Spanien sind? Welche Probleme würden sich lösen, wenn wir nicht mehr in der EU / bei England / in Spanien sind? Welche Probleme blieben, obwohl wir nicht mehr in der EU / bei England / in Spanien sind?  Wollen wir nach klarer Analyse immer noch weg aus der EU / von England / von Spanien?
Separation ist kein Allheilmittel. Man kann sie einfach wollen, aber es werden nicht automatisch mehr Arbeitsplätze entstehen, es wird nicht sofort die Wirtschaft wachsen und Autobahnen aus dem Boden spriessen.
Abgesehen davon, dass zum Beispiel ein unabhängiges Schottland und ein unabhängiges Katalonien nicht automatisch in der EU wären.

Marissa hat übrigens beschlossen, zwei Tage Home-Office zu machen. Dies könnte ein paar Probleme lösen: Sie sähe ihren Chef nur noch Montag bis Mittwoch und sie könnte sich in den Büros rundum ein wenig umsehen. Dort hat es wunderbare Kaffeeautomaten, angeblich auch ein paar Jobs, und auf jeden Fall in der Agentur grad neben ihr einen Layouter mit einem Wahnsinnsbody und glühenden schwarzen Augen…


Dienstag, 22. Oktober 2019

Die heruntergekommenen Musen


Ich sitze vor meinem Laptop und mir fällt nichts ein.
Gar nichts.
Überhaupt nichts.
Soll ich mal wieder was über Trump schreiben? Ausgelatscht. Oder über die SPD? Gibt es die überhaupt noch? Soll ich mal wieder den Brexit thematisieren? Oder die AfD?
Ich sitze vor meinem Laptop und mir fällt nichts ein.
Gar nichts.
Überhaupt nichts.
«Na», sagt mein Kumpel neben mir, «hat dich die Muse nicht geküsst?» «Die Musen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren», sage ich, und beginne zu erzählen.

Neulich sass ich auch mal so wieder mit Schreibhemmung und ohne Inspiration, so düster und dumpf am Schreibtisch, da dachte ich, ich rufe mal die Muse an, und zwar im Sinne von «mit der Stimme zu einer Gottheit flehen» und nicht von «telefonieren». Als ich aber dann Luft holen wollte, um meine Stimme zu erheben, erschien auf einmal eine Telefonnummer auf meinem Laptop: 0800 567 3418765 (30 ct/Min.) Also so was! Jetzt ist ein Musen-Anruf nun doch ein Musen-Telefonat, und gratis ist es auch nicht. Ich wähle die Nummer und nach 10 Minuten Warteschleife (…bis dahin ist Ihr Anruf kostenlos…) meldete sich Thalia. Glück gehabt! Als Muse der Komödie schien sie mir genau die Richtige. «Hallo Thalia», säuselte ich, «kannst du kommen und mich küssen?» «Mmmmm, du schreibst ja eher so politisch, so gesellschaftlich, das ist Geschichtsschreibung, gehört ins Ressort von Clio.» «Dann hol mir mal bitte Clio an den Apparat.»
Clio hielt sich dann aber auch für nicht zuständig, meine Themen, Brexit, AfD, Klima, SPD, usw., usw., usw. seien doch nun wirklich Tragödien und fielen damit ins Gebiet von Melpomene.
Nun erkannte ich, was ich beim Betrachten alter Friese und Mosaiken schon längst hätte bemerken müssen:
Die Musen sind stinkefaul. Auf keiner Darstellung und auf keiner Abbildung tun sie irgendwas, sie räkeln sich nur malerisch um Apollo herum und lächeln süffisant. Nie ist eine irgendwas am Machen oder Arbeiten. Räkeln, Faulenzen, Lächeln, das ist ihr Metier.
«Hallo, ihr faulen Racker», brüllte ich jetzt in den Hörer, «eine von euch kommt jetzt her und küsst mich, das ist schliesslich euer Job.»

Eine halbe Stunde später erschien dann doch Thalia. Anscheinend hatten die Damen sich nun doch geeinigt, dass Glossen in den Bereich der Komödie fallen. Thalia ging als erstes an meine Hausbar und schenkte sich einen Whiskey ein, sie hockte sich auf meinen Besuchersessel und packte ihre Marlboro aus. «Rauchen bitte auf dem Balkon», knurrte ich, aber das war ihr völlig wurscht, sie zündete ihre Kippe an und es blieb mir nichts anderes übrig, als den Aschenbecher zu holen, die gute Frau – so schätzte ich sie ein – hätte erbarmungslos auf meinen Teppich geascht. Sie nahm einen tiefen Schluck Jack Daniel’s und fragte dann nuschelnd: «Was schreibst’n so?» «Noch gar nichts, ich warte ja noch auf den Musenkuss!» «Ja, klar, muss mich nur noch ‘n Moment entspannen.»
«Von was?», dachte ich, «von was, du faule Schlampe?», behielt dann aber doch diesen Gedanken für mich und sprach ihn nicht aus.

Nach 35 Minuten, 7 Marlboros und 4 (!) Gläsern Whiskey kam er dann endlich:
Der Musenkuss.
Der Musenkuss war ein Schmätzchen auf die Backe, wie man es einer ungeliebten Tante beim Abschied gibt, ohne Empathie, ohne Leidenschaft und ohne Subtilität.
Und damit verschwand Thalia, nicht ohne sich die Erdnüsse, die ich ihr auf den Besuchertisch gestellt hatte, in die Hosentasche abzufüllen. Ja, Hosentasche, denn natürlich hatte die Muse kein wallendes weisses Gewand getragen, sondern ein lila Top und Jeans, und zwar die geschmacklose Variante mit industriell vorgefertigten Löchern.

Nein, die Musen sind nicht mehr, was sie mal waren.
Oder sind sie das nicht mehr, was sie NOCH NIE waren?
Fakt ist ja, dass ab dem 20. Jahrhundert die Dichter sich andere Inspirationsquellen suchen mussten:
·         Ausgedehnte Road-Trips in klapprigen Autos
·         Marihuana, Koks, LSD oder Absinth
·         Sexuelle Ausschweifungen und SM-Praktiken
·         Internet (was, den Vorteil hat, dass man dort wie Helene Hegemann gleich alles copypasten kann…)

Ich sitze vor meinem Laptop und mir fällt nichts ein.
Gar nichts.
Überhaupt nichts.
Soll ich mal wieder was über Putin schreiben? Ausgelatscht. Oder über die CDU? Gibt es die überhaupt noch? Soll ich mal wieder den Klimawandel thematisieren? Oder die AfD?
Ich sitze vor meinem Laptop und mir fällt nichts ein.

Aber jetzt merke ich, dass mir die Komödien-Schlampe eigentlich – ohne dass sie es wollte – doch einen guten Post beschert hat.