Dienstag, 30. April 2024

Südamerika (3): Das Handy ohne Strom

Die moderne Welt ist eine Welt des Stromzugangs. «Charging» ist das Losungswort des 21. Jahrhunderts und wer da noch an «Charge» (im Sinne von Rang oder Amt) oder gar «Knallcharge» denkt, der liegt verkehrt. «Aufladen» heisst die Parole und wer das nicht kann, der ist verloren. Ich selbst wurde einmal zu einem Retter eines armen indischen Managers, der sein Ladekabel im Hotel in Zürich vergessen hatte und alles, alles, alles, alles, Ticket und Hotelreservation und Termin in Basel mit Ort usw. auf dem Tablet hatte. Ich konnte ihm ein Ladekabel geben und von Olten bis Basel erreichte er immerhin 32,7 % und seine Dankbarkeit wäre nicht grösser gewesen, wenn ich bei ihm Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht hätte oder einen Druckverband angelegt hätte – falls ich das überhaupt noch gekonnt hätte, aber das ist eine andere Sache.

Aufladen in Südamerika also. Als Reisevorbereitung hatte ich mir einen Welt-Adapter sowie eine Powerbank zugelegt. Der Welt-Adapter verspricht, jede Steckdose mit jedem Stecker verbinden zu können, man könne also ein indisches Gerät an eine kenianische Dose, ein kenianisches Gerät an eine bolivianische Dose und ein bolivianisches Gerät wiederum an eine indische Dose anschliessen. Ob der Rasierer aus Delhi nun in Nairobi in die Buchse passt und der Föhn aus Nairobi in Sucre funktioniert und die Zahnbürste aus Sucre wiederum in Delhi angeschlossen werden kann, kann ich nicht sagen, auf jeden Fall war der Welt-Adapter mit dabei. Ebenso die Powerbank, die nicht so originell ist, aber sehr praktisch, ein mobiler Zusatzakku, der mehrfach ein anderes Gerät laden kann.

All diese Dinge waren aber praktisch unnötig, denn die Schweizer Stecker passten in die Steckdosen dort, vor allem im Bus war das klasse, denn über jedem Platz war eine.

Wie grosse war jetzt der Schrecken, als mein Android nicht mehr lud. Und zwar in allem Kombinationen: Handy – Kurzkabel – Dose, Handy – Langkabel – Dose, Handy – Kurzkabel – Powerbank und Handy – Langkabel – Powerbank. Ein Versagen der Zusatzteile konnte also ausgeschlossen werden, man musste der grausamen, schrecklichen, harten und brutalen Tatsache ins Auge sehen. Die grausame, schreckliche, harte und brutale Tatsache lautete: Ich würde ein neues Handy brauchen.

Zu allem Überfluss passierte das nicht in der ersten Station Botucatu, sondern kurz vor Riversul. Zur Erklärung: Botucatu hat über 120000 Einwohner, eine Grossstadt mit Bischofssitz, Riversul ist – auch wenn das jetzt böse klingt – ein Dorf mit 5000 Leuten im Nowhere. Ich würde also sicher bis zu den nächsten grösseren Städten warten müssen. Solange (ich hatte noch 10% Akku) schaltete ich mein Android auf Super-Super-Super-Stromsparmodus, in diesem Modus ist nur noch Anrufempfang möglich, und auch dann kann man nur noch mit «ja», «ja» antworten, Fotos und Internet sind undenkbar.

Die ganze Geschichte nahm nun aber eine interessante Wendung. Denn es gibt in dem Ort – trotz seiner Kleinheit – einen Reparaturladen für Mobiltelefone. Im LP TEC-CELL Assistência Técnica nahm man sich meiner grossen Sorge an. Eigentlich gibt es sogar zwei Läden, denn auch im du iPhones wäre es wahrscheinlich gegangen, obwohl ich ja ein Android habe. Im LP TEC-CELL befindet sich übrigens auch noch ein Tisch, an dem Nägel gestylt werden. Das ist sehr praktisch, denn man (oder eher frau?) kann sich die Nails richten lassen, während man (frau) auf die Reparatur wartet. Auch dieses Nail-Studio ist nun nicht die einzige Einrichtung dieser Art in jenem kleinen Ort. Die flächendeckende Überziehung der Welt mit Handyshops und Nagelstudios scheint also auch im fernsten Winkel der Provinz Sao Paulo angekommen zu sein…

Der Besitzer nahm sich nun meines armen Androiden an. (Nein, nein, nein, ich habe mir parallel nicht die Nägel richten lassen, vor allem, weil ich ja zum Klavierspielen nach Riversul gekommen war und 10 Zentimeter lange Nägel, mögen sie auch noch so glänzen, sind beim Musizieren einfach unpraktisch.) Was war nun mit meinem Handy? Mein Huawei wurde genommen, mein Kabel, sie wurden zusammengesteckt, eingesteckt –
und…
und…
und…
alles funktionierte.

«Charching» leuchtete auf, und die Zahl ging von 4% auf 5% und auf 6% und immer höher. All das kann nur als kleines, nein, als grosses Wunder bezeichnet werden. Wahrscheinlich hatte sich ein mikroskopisch winziges Staubkorn so quergelegt, dass es einen Kontakt zwischen Stecker und Buchse verhinderte, diese Buchse wurde nun noch einmal gereinigt und ich mit meinem Android in Ehren entlassen – ich durfte nicht einmal etwas bezahlen.

Ich war also wieder Teil der modernen Welt. Was wäre geschehen, wenn das «Wunder von Riversul» (wir wollen es mal so bezeichnen) nicht passiert wäre? Nicht auszudenken. Ich hätte mir in der nächsten Grossstadt ein neues Gerät kaufen müssen und allein die Installation meiner Apps hätte mich den letzten, allerletzten und allerallerletzten Nerv gekostet. Oder hätte ich ein dreiwöchiges Digital Detox gemacht? Das wäre schon wegen der vielen Informationen zur Reise (…Morgen 7.30 Lobby, mit Konzertsachen…) ziemlich blöde gewesen.

Die moderne Welt ist eine Welt des Stromzugangs. «Charging» ist das Losungswort des 21. Jahrhunderts und wer da noch an «Charge» (im Sinne von Rang oder Amt) oder gar «Knallcharge» denkt, der liegt verkehrt. «Aufladen» heisst die Parole und wer das nicht kann, der ist verloren.
Und zum Glück ging ich nicht in Brasilien verschütt.





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

Freitag, 26. April 2024

Südamerika (2): Die Exaktheit der Brasilianer

Die Brasilianer sind eines der exaktesten Völker der Erde.

Dieser Satz mag Sie jetzt zunächst einmal verwundern, aber nur, weil Sie wahrscheinlich einen anderen (einen falschen?) Begriff von «Exaktheit» haben.

Mit «Exaktheit» ist zum Beispiel nicht gemeint, dass ein Konzert, das auf 18.00 angekündigt wurde, auch wirklich um 18.00 stattfindet. Es kann um 18.30 oder auch um 19.00 starten, wobei «starten» nicht den ersten Ton bedeutet, sondern das erste Wort der Begrüssungsrede, die sehr ausgiebig alle Anwesenden und auch nicht Anwesenden erwähnt. Aber die verschobene Anfangszeit macht den Leuten eben gar nichts aus, es ist ja warm, man trifft Bekannte und kann ein wenig schwätzen, und solange man den typischen Becher mit Heisswasser und Mate-Blättern in der Hand hält, ist alles OK.

Mit «Exaktheit» ist auch nicht gemeint, dass eine Anmeldung in einem Hostel, in der bei drei Leuten vegane Kost, bei zwei Leuten glutenfreie Kost und bei einer Person verlangt wird, irgendeine Auswirkung auf das Frühstücksbuffet hat. Wozu hat man reichlich Früchte hingestellt? Und Papaya, Mango, Orange, Banane und Melone sind nur wahnsinnig lecker, nein, Papaya, Mango, Orange, Banane und Melone sind auch laktosefrei, glutenfrei und vegan. Ob Papaya, Mango, Orange, Banane und Melone allerdings genügend Kalorien beinhalten, steht auf einem anderen Blatt, aber gut, man muss halt genügend davon essen.

Worin äussert sich dann die Exaktheit der Brasilianer? In vielen kleinen Punkten:

In einem kleinen Café geht man an drei Tagen hintereinander einen Espresso trinken und ein Brownie essen. Die Brownies liegen auf einem Silbertablett und sind alle gleich gross geschnitten. Man könnte also das Süssteil – genauso wie den Kaffee – nach Stück berechnen. Dies wird aber als extrem unfair angesehen, denn die Teilchen differieren eben doch um ein bis drei Gramm. Daher wiegt die Verkäuferin jeden Brownie, bevor sie ihn verkauft. Und Sie zahlen am Montag 7 Reais 5 Centavos, am Dienstag 7 Reais 15 Centavos und am Mittwoch 7 Reais 25 Centavos. Völliger Quatsch, aber gerecht.
Und exakt.

Vielen Tourismusregionen geht viel Geld verloren, weil Postkarten falsch frankiert eingeworfen werden. Natürlich könnte man die betreffenden Schriftstücke mit dem Hinweis ZU WENIG PORTO! versehen, das Strafporto im Empfängerland eintreiben und dann in Sendeland zurückschicken, aber wer macht das schon? Brasilien hat hier einen Weg der Exaktheit, der solche Falschfrankatur einfach vermeidet:
Es gibt keine Postkarten zu kaufen, in praktisch keinem Laden.
Hat man in 3 Stunden Suche doch einen Laden gefunden, hat der keine Briefmarken. Denn es gibt gar keine.
Es gibt übrigens auch keine Briefkästen.
Gar keine.
Es gibt ganz, ganz, ganz, ganz wenige Postämter, «Correo» genannt, in denen ein mürrischer Beamter die Karten direkt abstempelt. Und einem klarmacht, dass man einen solchen Unsinn das nächste Mal gefälligst unterlassen soll. Man hat schliesslich ein Handy, man hat WhatsApp, oder Signal, oder Telegram, also soll man gefälligst elektronisch Fotos machen und die auch elektronisch verschicken.
Und nicht Correos mit solchem Unsinn wie Karten belästigen…

Schon bei der Einreise wird übrigens die Exaktheit vorgeführt. Der Pass eines jeden einzelnen Menschen wird begutachtet, beschnuppert, gedreht, gewendet, er wird angeschaut, gegen das Licht gehalten und abgeklopft. Nachdem man den Pass begutachtet, beschnuppert, gedreht, gewendet, angeschaut, gegen das Licht gehalten und abgeklopft hat, wird der Mensch befragt: Was ist der Zweck der Reise? Was ist das Ziel? Mag er Samba? Ist er katholisch? Hat er alle Fragen exakt beantwortet (die letzten beiden natürlich mit ja…), wird der Pass noch einmal begutachtet, beschnuppert, gedreht, gewendet, angeschaut, gegen das Licht gehalten und abgeklopft und erst dann gibt es den ersehnten Stempel.
Es müssten sich nun – so denken Sie – doch kilometerlange Schlangen bilden. Und da haben Sie recht: An brasilianischen Flughäfen bilden sich kilometerlange Schlangen. Das macht aber nichts, denn man hat Zeit, man kann ein wenig Rosenkranz beten – oder Samba tanzen.

Jede Person, die ein Schnellrestaurant (oder eine Raststätte) betritt, erhält ein Kärtchen (oder eine Art Badge). Alles, was im Schnellrestaurant (oder der Raststätte) konsumiert wird, wird auf dem Kärtchen (oder dem Badge) eingetragen. Bevor man das Etablissement nun verlässt, muss man abrechnen und beim Verlassen der Raststätte (oder des Schnellrestaurants) den Badge (oder das Kärtchen) wieder abgeben.
Eigentlich sehr praktisch. Nicht praktisch, wenn man nur aufs WC will. Oder nur kurz sehen, ob ein Bekannter im Gebäude ist. Oder irgendetwas anderes, was gratis ist – z. B. oft Kaffee aus einer Thermoskanne.
Also bilden sich auch hier lange Schlangen – aber noch einmal, man hat doch Zeit. Und beten oder Samba tanzen geht immer.

Die Brasilianer sind eines der exaktesten Völker der Welt. Das habe ich – glaube ich – nun deutlich genug gezeigt.

Ach, Sie wollen noch wissen, wie lange eine Postkarte braucht? Exakt gesagt: Am 9. April wurden meine Karten gestempelt.
Da sind sie noch nicht. Aber für die Strecke Basel – Leipzig braucht eine Weihnachtskarte auch vier Wochen.

Dienstag, 23. April 2024

Südamerika (1): Endlich wieder eine richtige Reise!

Liebe Leserinnen und Leser, Sie haben nun lange genug gewartet. Es gibt nun einige Posts über meine Reise – heute geht es um die Vorbereitungen.

Ich möchte einmal mit einer frechen Behauptung beginnen: Zu einer richtigen Reise gehören vier Dinge: Flug, Pass, Geld wechseln und Impfung. Eine Reise, die diese Faktoren nicht bringt, ist keine.
Insofern ist meine letzte Reise nach Hamburg ein Trip, eine Tour oder ein Ausflug gewesen, eben weil man für einen Trip, eine Tour oder einen Ausflug Flug, Pass, Geld wechseln und Impfung nicht braucht. An die Alster fährt man langweilig mit dem Zug, man zahlt mit diesen doofen Euros, die jeder Basler sowieso in der Tasche hat (obwohl es nicht seine Währung ist), man braucht keine Impfung und der Grenzübertritt erfolgt lautlos.
Aber nun! Aber nun! Aber nun! Berichten wir einzeln – und zwar chronologisch.

Pass

Einen Pass hatte ich mir im Jahre 2018 zugelegt, aus der einfachen Erkenntnis heraus, dass man als Deutscher in der Schweiz verloren ist, wenn das Portemonnaie gestohlen wird. Darin befinden sich nämlich der Personalausweis und die CH-Aufenthaltsgenehmigung. Beide sind gegenseitig füreinander notwendig, das heisst, wenn man beide verliert, bekommt man keinen deutschen Ausweis ohne Schweizer Bewilligung und keine Schweizer Bewilligung ohne deutschen Ausweis. Ein echtes Catch 22-Problem, das einen als Sans-Papier zurücklässt. Also braucht man einen Pass, der jetzt richtig zur Geltung kommen würde. Er würde – o Hoffnung, o Freude, o Jubel – sogar etwas erhalten, was in meiner Jugend der grösste Spass war und was man in der blöden EU nicht mehr bekommt: Einen Stempel, einen – ich liebe das Amtsdeutsch! – Sichtvermerk.

Impfung

Für kein Land, das ich besuchte, musste man speziell geimpft sein. Und ich rede hier nicht von den Corona-Zeiten, in denen einem jede Tour sowieso vergällt wurde und in denen man eigentlich ohne Impfung gar nicht aus dem Hause durfte. Nein, ich rede von richtig schlimmen Dingen wie Gelbfieber. Gelbfieber wird durch eine Mücke übertragen und ist manchmal tödlich, jährlich sterben 30 000 Menschen daran, von den 200 000 Infektionen finden 90% in Afrika statt, wenn man nicht stirbt, klingen die Symptome nach einigen Tagen ab. (Im Todesfall sind sie übrigens auch vorbei.)
Das klingt jetzt eigentlich ganz harmlos, ist aber egal, denn Uruguay lässt niemand ohne die Impfung ins Land. Also war ich am 28. Dezember im Basler Tropeninstitut, in meinem alten Wohnquartier, um die Ecke meiner alten Behausung. Im Januar zog das Tropeninstitut dann um die Ecke meiner neuen Wohnung ein – es scheint mir zu folgen. Was hat es mit mir noch vor? 
Ich hatte übrigens den Termin so gelegt, dass ich danach drei Tage im Bett hätte bleiben können (es ist eine Lebendimpfung), aber nichts passierte.

Geld wechseln

Das Wechseln von D-Mark in Francs, von D-Mark in Gulden, das Umtauschen von Mark in Schilling, Lire, Peseten oder Franken gehört zu den schönsten Erinnerungen. Denn das Wechseln von D-Mark in Francs, von D-Mark in Gulden, das Umtauschen von Mark in Schilling, Lire, Peseten oder Franken bedeutete: Ferien, Reisen, Freizeit, tolle Erlebnisse. Der Euro hat das alles zunichte gemacht. Aber jetzt! Wie spannend war das, zum SBB zu fahren und Real einzuwechseln, der Plan war ja, brasilianische Real zu haben, die später in uruguayische Pesos und diese dann in argentinische Pesos zu tauschen. Gut, der Real ist wenig wert, der U-Peso ist nichts wert, und der A-Peso ist überhaupt und total gar nix wert, aber ich habe immer gerne Bargeld in der Tasche. Kreditkarten? Natürlich dabei, aber ich habe schon so viele Chinesinnen erlebt, die im Marktcafé verzweifelt ihre Hu-Chang-Wong-Karten, Chang-Hu-Wong-Karten und Wong-Hu-Chang-Karten präsentieren und die alle nicht funktionieren. Nein, es wenig Münz im Sack zu haben, das war mir wichtig. Zumal die Real unglaublich schön aussehen, sie haben so niedliche Tiere drauf, Tiere wie Jaguar, Löwenäffchen, Zackenbarsch oder Reiher, wirklich, wirklich goldig.

Flug

Ein Flug unter zwei Stunden ist kein Flug. So simpel muss man das sagen. Ein richtiger Flug ist einer, bei dem man 3 Filme schaut, zweimal sich durch die abgepackten Teile eines Menüs frisst, 4 Stunden schläft und dann hat man immer noch Zeit, Zeit, Zeit, Zeit. Wobei die Qualität der Filme in dem Masse zugenommen hatte, in dem das Essen schlechter wurde. Ich habe "Capote" gesehen, einen wunderbaren ruhigen und bildschönen Streifen über den Autor, der nichts mit den Terminators 1 bis 60 und den Zeichentrickmist zutun hat, den die Fluggesellschaften früher anboten…

So war es also endlich wieder eine richtige Reise, eine Reise, die alle Faktoren enthielt und mir die Passbenutzung, ausgiebiges Impfen, wunderbares Geldwechseln und einen superlangen Flug bescherte.

So viel für heute, am Freitag geht es dann in Brasilien los.