Dienstag, 30. November 2021

Neue Corona-Jobs

Ich habe am 1. Mai 2020, also im Frühling des letzten Jahres, einen Post über Corona-Berufe veröffentlicht. Auf einer fiktiven Homepage www.jobcorona.ch wurden vier Stellen angeboten: eine Stelle als Atemschutzberatin, eine als Corona-Detektiv, eine als Luxusessen-Auslieferer und eine als Videoberaterin.

Niemand hätte gedacht, dass die Krise im Winter 2021 noch so heftig da ist und niemand hätte gedacht, dass wirklich neue Jobs entstanden sind. Nein, nicht als Atemschutzberatin, als Corona-Detektiv, als Luxusessen-Auslieferer oder als Videoberaterin, aber einige Neuerungen hat es schon gegeben.
Beispiele?

Der/die Zertifikatskontrolleur(in)

Er oder sie steht an den Eingängen von Etablissements, die keine Kasse haben. (Wie zum Beispiel das Hallenbad Muttenz, ich habe ja schon erwähnt, dass ich dort ein Abo habe…)
Und er oder sie fühlt sich wie Gott. Das ist nun auch etwas Tolles, wenn man dasteht und wie beim Jüngsten Gericht die Schafe von den Böcken scheidet, oder hier die Zertifizierten von den Nichtzertifizierten. Man hat die Schlüssel des Himmelreichs, man ist Cerberus, man ist der Cherub vor der Paradiestür.
Dabei tut man gar nichts Weltbewegendes, man hält die Control-App an den QR-Code und überprüft dann das Lichtbilddokument. Braucht man dafür eine Ausbildung oder spezielle Intelligenz? Nein, den Vorgang könnte ein Lernbehinderter bewerkstelligen, jede Person, die es schafft, ein Handy zu halten und zu vergleichen, ob HERBERT HEINZ HODLER und HERBERT HEINZ HODLER die gleiche Person sind.
Und die Kontrollfunktion? Die Covid-Check-App können Sie sich auch herunterladen. Mit anderen Worten: JEDE und JEDER könnte da stehen, aber das Feeling ist ein anderes, man fühlt sich wie Gott, wie Cerberus, man fühlt sich am Eingang zum Elysium, zum Nirwana, zu Walhall, und kann alle, die kein Zertifikat haben, wieder in die Wüste schicken.

Der/die Impfmotivator(in)

Es ist eine altbekannte und vieldiskutierte Tatsache: Es sind noch zu wenig Leute geimpft. Nun gibt es drei Wege, die zu einer hohen Quote führen könnten:
Die Impfpflicht, eines der seltenen Wörter mit zweimal «pf» und der einzig ehrliche Weg. Ich habe am 26. Februar darüber geschrieben.
Die Daumenschraube, die man immer mehr anzieht, also von 3G in Museen und Restaurants bis zu 2G in Bus und Supermarkt, das heisst der Ungeimpfte/Ungenesene kann dann nicht mehr den ÖV benutzen und vor allem auch nicht mehr einkaufen, und kurz vor dem Hungertod wird er sich endlich impfen lassen…
Die Motivation. Hier kommt nun der neue Job ins Spiel. Man versucht mit aller Lustigkeit und Spasshaftigkeit locker vom Hocker die Menschen von der Spritze und der Nadel zu überzeugen. Das kann mit netten kleinen Sketschen sein, oder mit netten kleinen Tanzeinlagen, mit netten kleinen Liedern oder mit netten kleinen Filmchen, man verteilt Bildchen oder Bratwürste, Eiscreme oder Suppe, man gibt Kuchen und Kränze, man schenkt Lollis und Lebkuchen. Der Impfmotivator oder die Impfmotivatoren setzt hier den ganzen Charme, die ganze Kraft ein, um die Leute von dem Piks zu überzeugen. «Lasst euch impfen! Lasst euch impfen!», diese Botschaft kommt circa 500 Mal pro Tag mit einem Lächeln über die Lippen.

Der / die Impfer(in)

Auch beim nächsten Schritt werden natürlich enorm viele Leute gebraucht. Irgendwer muss den Leuten ja die Pikse verpassen. Aber darf man das denn, wenn man keine Pflegeausbildung hat? Wahrscheinlich schon, denn ein Diabetiker darf und kann sich ja auch selber spritzen, ohne eine Riesenausbildung zu haben, und so sind die Impfzentren ein fröhlicher Pool, wo sich pensionierte Pflegerinnen und angehende Ärzte, aber auch Kulturfritzen in Kurzarbeit, ehemalige Bäcker, wo sich Keramikerinnen und Dekorateure, arbeitslose Webdesigner und arbeitslose Schausteller versammeln und piksen, piksen, piksen, im Akkord, im Akkord, im Akkord.
Daneben braucht es natürlich dann auch wiederum Leute, die im Impfzentrum oder im Impfbus in der Administration arbeiten.
Und wenn man im Beobachter den entzückenden Artikel Die Gesichter der Impfmaschine liest, dann hat man das Gefühl, dass es keinen fröhlicheren und heitereren Arbeitsort gibt als solch eine Impfanlage.

Ich habe am 1. Mai 2020, also im Frühling des letzten Jahres einen Post über Corona-Berufe veröffentlicht.
Niemand hätte gedacht, dass die Krise 2021 noch so heftig da sein würde und niemand hätte gedacht, dass wirklich neue Jobs entstanden sind. Nein, nicht als Atemschutzberatin, als Corona-Detektiv, als Luxusessen-Auslieferer oder als Videoberaterin, sondern als Impfmotivatorin oder als Impfer oder als Zertifikatskontrolleurin.

Und Omikron wird noch mal ganz neue Jobs kreieren.





Freitag, 26. November 2021

Habemus Regierung

Da sitze ich am Mittwochabend noch über einem Post über die Bedeutung von Frankfurt, da kommt es wie ein Paukenschlag: Die Ampel steht. Es gibt einen Koalitionsvertrag. Ach, gucken Sie mal, das gibt jetzt ja unfreiwillig ein Gedicht:
Da kommt es wie ein Paukenschlag:
Habemus Koalitionsvertrag.

Geräuschlos. Schnell. Effizient. So muss man die Verhandlungen beschreiben. Einerseits konnten alle am Tisch (oder an den Tischen, es wurde ja in mehreren Gruppen verhandelt) ihre zuckenden Daumen besänftigen, indem sie sich mantrahaft vorsagten: …nicht twittern…nicht twittern…nicht twittern…nicht twittern…nicht twittern, andererseits waren sie auch wirklich schnell. Man erinnert sich ja noch an 2017, erst die zähen Verhandlungen, die nach Jamaica führen sollten, dann die Absage, und dann unendlich langes Ringen für eine GroKo – ich hatte damals einen Post geschrieben, in dem ich Douglas Adams längste Party aller Zeiten in längste Koalitionsverhandlung aller Zeiten umschrieb, den machte mir Angie eigentlich durch die GroKo-Verkündung kaputt, ich habe ihn aber doch veröffentlicht…

Da sitze ich über einem Post, in dem Adorno und Horkheimer appelwoiselig fast in den Main fallen, als sie von Sachsenhausen auf die andere Seite torkeln,
Da kommt es wie ein Paukenschlag:
Habemus Koalitionsvertrag.

Er sieht gut aus, der Vertrag. Also, ich habe ihn natürlich nicht gelesen, ich meine, er sieht grafisch hübsch aus. ich denke aber, auch was drinsteht, das ist ganz nett. Sehr sozial, gut fürs Klima und mit vielen anderen netten Dingen. Einziges Problem ist, dass es sehr sozial, gut fürs Klima und mit vielen anderen netten Dingen nicht umsonst gibt, dass sozial, gut fürs Klima und mit vielen anderen Dingen eben etwas kostet (auch darüber habe ich geschrieben…). Aber Lindner, unser zukünftiger Finanzminister, der scheint ja mehrere Goldesel zu haben, der scheint das Eldorado gefunden zu haben, der hat noch irgendwo Diamantenminen in der Hinterhand, und mit den Goldeseln, dem Eldorado und den Minen wird er das alles finanzieren, vielleicht wird er auch Stroh zu Gold spinnen, und wenn das nicht klappt, hilft Rumpelstilzchen und holt sein Kind…

Da sitze ich über der Stelle, an denen Christine Lagarde einen ihrer wunderschönen Mäntel mit Senf bekleckert, weil sie gerade ein Frankfurter Würstchen isst,
Da kommt es wie ein Paukenschlag:
Habemus Koalitionsvertrag.

Auch die Regierung steht – fast. Kanzler ist klar, Vizekanzler ist klar, Finanzen und Aussen sind klar.
Beim Rest ist zumindest klar, welche Partei welches Ministerium bekommt. Und das erstaunt eigentlich schon etwas. Es ist also nicht so, dass eine Partei ein Ressort will, weil sie schon eine fähige Frau oder einen fähigen Mann in der Hinterhand hat, nein, erst wird aufgeteilt, dann wird gesucht. Was ist nun, wenn Partei X für Ressort Y eine tolle Person hätte, aber X nicht Y, sondern Z bekommen hat, und wenn Partei W für Z eine wunderbare Person hätte, aber nicht Z, sondern Y bekam? Dann hat man Pech gehabt.
Und Menschen, die Ahnung, aber kein Parteibuch haben?
Vergessen Sie es bei einer 3-Parteien-Konstellation.

Da schreibe ich (wieder einmal) über das entzückende japanische Hotel am Bahnhof, über die Lift-Videoüberwachung, die in die Lobby übertragen wird und die Toiletten, die Astronautensitzen ähneln,
Da kommt es wie ein Paukenschlag:
Habemus Koalitionsvertrag.

Eine Frage, die uns allen auf den Nägeln brennt, die Scholz aber noch nicht beantworten wollte:
Wird Lauterbach Gesundheitsminister?
Er ist in der richtigen Partei, ist Dr. med. und sicher ein fähiger Mann. Und bekannt – da hat er ja auch alles drangesetzt. Lauterbach ist «King of the Talkshows 2020», mit 30 Auftritten führt er die Rangliste an, ob Illner oder Lanz oder Maischberger, niemand kam um ihn herum. Gut, Herumgetalke muss er sich abgewöhnen, als Minister muss er nämlich arbeiten, und er sollte sich auch besser eine hübsche Sprecherin oder einen hübschen Sprecher zulegen, denn sein Gesicht (kann er nix dafür) will man nun wirklich nicht mehr sehen. Und seine Stimme (kann er auch nix dafür) will man auch nicht mehr hören.

Da sitze ich am Mittwochabend noch über einem Post über die Bedeutung von Frankfurt, da kommt es wie ein Paukenschlag: Die Ampel steht. Es gibt einen Koalitionsvertrag.

Und damit wünschen wir der neuen Regierung viel Glück.

Das wird sie nämlich brauchen.



Dienstag, 23. November 2021

Warum kann ich nicht schon abends meine Tasche packen?

Ich habe neulich über Sprichwörter geschrieben. Da war eines meiner Hass-Sprichwörter der schöne Satz

Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.

Der Unsinn wird vor allem deutlich, wenn man sich überlegt, was man am einem Morgen alles leisten muss:
Man muss aufstehen.
Man muss wach bleiben.
Man muss Zähne putzen, sich rasieren, duschen.
Man muss sich anziehen.
Man muss Kaffee trinken und frühstücken.
Man muss die Tasche packen.
Man muss die Tasche nehmen, Schuhe und Mantel anziehen und aus dem Haus gehen.

Alle diese Sachen – bis auf eine – kann man nicht heute besorgen, sondern muss sie auf den nächsten Tag verschieben.
Man kann nicht schon am Abend aufstehen, das geht schon logisch nicht. Man könnte natürlich wach bleiben, aber wer schon einmal nach einer Nacht, in der man nicht geschlafen hat, versucht hat, etwas Ordentliches zu leisten, der weiss, dass das praktisch unmöglich ist.
Zähne putzt man ja auch am Abend, aber über Nacht sammelt sich wieder widerwärtiges Zeug in der Mundhöhle an. (Woher kommt das eigentlich?) Das Gleiche gilt für das Rasieren und das Duschen: Man könnte es abends erledigen, aber nach 8 Stunden Schlaf wäre der Bart wieder gesprossen und der Körper müffelig (sic).
Trinken und Essen wäre am Abend natürlich möglich, aber man hätte am Morgen Hunger.
Und die Kleider und Schuhe? Wer schon einmal in voller Montur geschlafen hat, weswegen und warum auch immer, weiss, wie eklig man sich am Morgen fühlt.
Aus dem Hause gehen geht abends natürlich auch nicht...

Die einzige Sache, die abends schon gehen würde, ist das Tasche packen, und das schärft man ja den Kindern schon ein, dass sie abends ihre Sachen schon packen und ihr Zeug richten.
Ich aber schaffe es nicht.
Einfach nicht.
Gar nicht.
Überhaupt nicht.

Es gehört zu den merkwürdigsten Dingen in meinem Leben, dass ich es noch nie geschafft habe, eine Tasche oder einen Aktenkoffer am Abend schon zu packen. Nicht dass das schlimm wäre, ich stehe immer früh auf, das habe ich ja neulich schon beglossiert und bepostet, es langt mir immer gut für alles, ich vergesse auch höchst selten etwas, aber dennoch ist es merkwürdig. Ich habe schon mit Psychologen und Therapeuten, habe mit Ärzten und Soziologen, habe mit Philosophen, Schamanen und Yogis, habe mit Helfern und Gurus geredet, aber alle Psychologen und Therapeuten, alle Ärzte und Soziologen, die Philosophen, Schamanen und Yogis, alle Helfer und Gurus konnten mir nicht helfen und meine Fragen nicht beantworten, nein, die Psychologen, Therapeuten, Ärzte, Soziologen, Philosophen, Schamanen, Yogis, Helfer, Gurus haben nur ziemlich viel Geld verlangt. Aber die Frage blieb:

Warum kann ich meine Tasche nicht am Abend packen?
Ich habe drei mögliche Erklärungsversuche:

Ich habe wahrscheinlich Angst, dass die Gegenstände, die ich in die Tasche tue, dort nicht bleiben, sondern irgendwo hingehen und Party machen. Ich habe in einem (sehr alten) Post über die Kugelschreiber und die Socken geschrieben, die wir ja immer wieder vermissen und die ich in einem Schränklein fand:
In meinem Flur roch es nach Hasch. Nach Cannabis. Nach Gras. Nach Coffeeshop. Dem Geruch nachgehend, stand ich bald vor jenem weissen Kästlein, das keinerlei Funktion hat, ausser meinen Flurspiegel zu tragen. Ich riss die Türen auf und traute meinen Augen nicht; in meinem Flurkästlein fand eine wüste Party, eine Orgie, ein Gelage der verlorenen Gegenstände statt.

Genauso habe ich Angst, dass sich die Welt über Nacht dermassen verändern könnte, dass das ganze Taschegepacke sich überholt. Was ist, wenn ich einen Regenschirm eingepackt habe, und beim Aufwachen strahlt die Sonne von einem blauen, wolkenlosen Himmel? Oder blöder: Was ist, wenn ich KEINEN Schirm in die Tasche tat, es aber am Morgen aus Kübeln schüttet? Was wäre, wenn die Welt gar nicht mehr steht, wenn Armageddon schon passiert wäre? Ginge ich dann mit gepackter Tasche zum Jüngsten Gericht?

Aber der logischste Grund ist wahrscheinlich der: Da ich verschiedene Taschen und Rucksäcke, Beutel und Koffer besitze, weiss ich nie, welche Taschen und Rucksäcke, Beutel und Koffer meiner Stimmung am nächsten Morgen entsprechen werden. Vielleicht habe ich den knallgelben Rucksack gepackt und fühle mich mehr nach mausgrauem Koffer, vielleicht habe ich den Pop Art-Beutel gepackt, aber um 7.00 am nächsten Tag wäre die Barocktasche viel richtiger…

Die meisten Dinge kann man nicht schon abends machen. Die einzige Sache, die abends schon gehen würde, ist das Tasche packen, und das schärft man ja den Kindern schon ein, dass sie abends ihre Sachen schon packen und ihr Zeug richten.
Ich aber schaffe es nicht.

Überhaupt nicht.





Freitag, 19. November 2021

Glasgow

Ja, und dann ist da noch das Schlussdokument der Klimakonferenz. Es gibt hier nichts schönzureden oder zu beschönigen: Glasgow war eine Katastrophe. So schön es war, dass – und lassen Sie sich das jetzt mal auf der Zunge zergehen – niemand mehr den Klimawandel abstreitet, angesichts der Tatsache, dass es eins vor zwölf ist, ist ein Packen-wir-es-irgendwie-und-irgendwann-einmal-an einfach zu wenig.
Einfach Mist.
Einfach nix.

Die Abschlusserklärung der Konferenz erinnerte mich sehr an die Vorsätze meiner Freundgendergapinnen (meine neueste Errungenschaft) für das Jahr 2021:

Holger wollte mehr Sport machen.
Tina wollte weniger trinken.
Susanne wollte weniger rauchen.
Bernd wollte mehr Obst essen.
Ralf wollte weniger Schokolade essen.

Alle meine Freundgendergapinnen haben ihre Ziele erreicht!

Holger geht inzwischen nicht nur am 2. Dienstag des Monats schwimmen, sondern auch am 4. Donnerstag. Er hat seine Frequenz also um 100% erhöht! Und wenn er in seiner roten Badehose durch das Wasser crawlt, dann fühlt er sich richtig gut – und sieht auch gut aus, denn sein Hintern ist noch ok, die Wampe ist ja dann unter Wasser, und um die wegzubekommen, müsste er JEDEN Dienstag und JEDEN Donnerstag schwimmen.
Tina hat ihr Quantum von 2 Flaschen Wein am Tag auf eine Flasche heruntergeschraubt, eine Reduktion um 50%. Aber auch hier natürlich nicht wirklich effektiv, wenn Tina abends ins Bett geht, ist sie nicht mehr sturzbetrunken, sondern nur noch betrunken, einer vernünftigen Arbeit am Morgen kann sie immer noch nicht nachgehen.
Genauso sieht es bei den restlichen drei meiner Freundgendergapinnen aus:
Susanne hat von 4 Päckchen Marlboro auf 2 Päckchen reduziert, das entspricht einer Verlängerung der Pause zwischen zwei Glimmstängeln von 2 auf 10 Minuten! Sie hustet immer noch genauso viel, aber nicht mehr so laut.
Bernd isst jetzt jede Woche einen Apfel, bislang war es einmal pro Monat, Steigerung auf das Vierfache! Aber auch hier: Es heisst halt nicht An apple a week keeps the doctor away sondern An apple a day keeps the doctor away.
Und Ralf? Er isst immer noch eine Tafel am Tag, ist aber sortenmässig von Kalim® auf Triret® umgestiegen, bei Triret® haben die Tafeln 10 Gramm weniger…

Wenn man also kein klares Ziel definiert, dann ist man immer auf der Gewinnerseite. Nein, halt, nicht ganz!
Holger hätte das Schwimmen auch ganz sein lassen können, Tina hätte auf drei Flaschen oder auf zwei Flaschen Whiskey steigern können, bei Susanne hätten es fünf Päckchen und bei Bernd GAR KEIN Apfel werden können und Ralf hätte auf Dilnt® umsteigen können, wo die Tafel 40 Gramm mehr hat.
Gut.
Schön.
Aber Verbesserung sieht anders aus.

Und so ist es eben auch mit der Schlusserklärung von Glasgow. „Wir wollen die Kohle reduzieren.“ Das ist ein so netter Satz, eine so entzückende Sentenz, ein so tolles Vorhaben, aber dieser nette Satz, diese so entzückende Sentenz, dieses so tolles Vorhaben bringt halt nix, gar nix, weil dieser entzückende Satz, diese so nette Sentenz, dieser Spruch, dieser Slogan, dieses so tolle Vorhaben keinerlei konkrete Ziele festlegt.
Kohle reduzieren – Bis wann? Und wie viel?
Es bringt nichts, sich das hehre Ziel von Null-Kohlekraftwerke-auf-der-Welt zu setzen, wenn Null-Kohlekraftwerke-auf-der-Welt im Jahre 2150 erreicht wird. Bis dahin lebt England vom Ganzjahres-Beachtourismus und in der Sahara hat es 70 Grad, bis dahin ist auf dem Gebiet des Aletschgletschers ein Palmengarten und Den Haag und Venedig liegen auf dem Meeresgrund.
Genauso wenig bringt es aber, von den 2485 KoKWs auf der Welt 10 zu schliessen, und das aber sofort…

So bitter es ist: Wir brauchen drastische Massnahmen und die sofort.

Ja, und dann ist da noch das Schlussdokument der Klimakonferenz. Es gibt hier nichts schönzureden oder zu beschönigen: Glasgow war eine Katastrophe. So schön es war, dass – und lassen Sie sich das jetzt mal auf der Zunge zergehen – niemand mehr den Klimawandel abstreitet, angesichts der Tatsache, dass es Eins vor Zwölf ist, ist ein Packen-wir-es-irgendwie-und-irgendwann-einmal-an einfach zu wenig.
Einfach Mist.
Einfach nix.




Dienstag, 16. November 2021

Sprichwörter

Kennen Sie diese Sprichwörter?

Wer länger schläft, ist ausgeschlafen.
Wir arbeiten langsam und gediegen, und was nicht fertig wird, bleibt liegen.
Das Wichtigste am Leben ist Spass und Vergnügen.

Wahrscheinlich kennen Sie sie nicht, es gibt sie auch gar nicht.
Es wären ja auch sehr untypische in der deutschen Sprichwortkultur. Die deutsche Sprichwortkultur besteht normalerweise aus moralinsauren, Zeigefinger erhebenden, spasslosen und düsteren Sentenzen, die deutsche Sprichwortkultur macht uns klar, dass das Leben ernst und bitter ist und man sich verdammt anstrengen muss, um nicht unter die Räder zu kommen. Die deutsche Sprichwortkultur ist kein Garten der Lüste, sondern ein Acker voller Steine und Disteln.
Ich möchte heute vier dieser schlimmen Gesellen genauer unter die Lupe nehmen.

WAS HÄNSCHEN NICHT LERNT, LERNT HANS NIMMERMEHR.

Ein ganz, ganz grosser Blödsinn. Dieser Satz wird gesprochen, um den Schülerinnen und Schülern möglichst viel Druck zu machen. So nach dem Motto: Wenn du jetzt nicht dahinter gehst, dann landest du in der Gosse. Er stimmt aber keineswegs. Hunderte, wenn nicht Tausende, wenn nicht Millionen von fröhlichen Senioren, die die Ferienkurse und Volkshochschulen bevölkern, strafen das Wort vom Hänschen Lügen. Da ist Biba, die mit 80 noch Italienisch gelernt hat, und nun zu ihrer ersten grossen Tour durch die Abruzzen und die Marken aufbricht, da ist Bert, der mit 78 nach 40 Jahren Brustschwimmen einen Crawl-Kurs besucht, da ist Carola, die mit 83 noch Harfe zu spielen beginnt. Zugegeben: Es geht im AHV-Alter ein wenig langsamer, aber es geht.
Ich selbst habe mit 40 Niederländisch gelernt, gerade bin ich am Französisch, ich habe meinen Führerschein mit 26 gemacht und habe mich spät, sehr spät, extrem spät mit dem Computer befasst. Was wartet auf mich, wenn ich 80 bin? Vielleicht ein Zeichen- und Malkurs, so unbegabt, wie meine hässlichen Grundschulbilder aussehen, kann ich gar nicht sein…

WAS DU HEUTE KANNST BESORGEN, DAS VERSCHIEBE NICHT AUF MORGEN.

Auch so ein Quatsch.
Stellen Sie sich vor, Ihre To-Do-Liste für die kommende Woche hat 72 Zeilen, Arbeiten und Erledigungen, die im Durchschnitt eine halbe Stunde brauchen, die meisten dieser Arbeiten und Erledigungen, nämlich 60, könnten Sie am Montag abarbeiten oder erledigen, aber da der Montag keine 30 Stunden hat, müssen Sie auf Dienstag und Mittwoch schieben, das Sprichwort macht also schon rein rechnerisch keinen Sinn.
Es gibt aber auch noch einen weiteren Grund:
Manchmal hat man für Arbeiten und Erledigungen noch keinen Drive, keinen Groove, keinen Antrieb, und diese Arbeiten und Erledigungen würden dann HEUTE richtig blöd und MORGEN vielleicht gut.
Und dann gibt es noch die vielen Dinge auf der To-Do-Liste, die sich erübrigen:
Kuchen für Tante Gerda ----- sie ist krank geworden
Regenschirm kaufen ----- ein Hoch ist gekommen
Brief an M. schreiben, dass er endlich T. schickt ----- M. hat T. geschickt
usw.
usw.
Nein, wenn man alles heute erledigen will, dann hat man morgen ein Burnout.

DER FRÜHE VOGEL FÄNGT DEN WURM.

Auch wieder so ein Ding, das von calvinistischem, arbeitsamen und strengem Denken nur so strotzt, in die gleiche Reihe gehört zum Beispiel
MÜSSIGANG IST ALLER LASTER ANFANG
Diese Sätze wollen uns vermitteln, dass jede Minute, die wir zu lange in den Federn sind, uns direkt in die Hölle führt, Ausschlafen ist Sünde, raus aus den Betten und ans Tagwerk!
Dabei weiss man inzwischen, dass es sogenannte Lerchen (Menschen, die morgens ihr Hoch haben) und sogenannte Eulen (Menschen, die abends ihr Hoch haben) gibt. Wenn nun eine Eule sich um 6.00 aus den Daunen quält, fängt sie eben keinen Wurm, sondern muss ihre ganze Energie aufbringen, um ihre Augen offen zu halten…

DER APFEL FÄLLT NICHT WEIT VOM STAMM

Komischerweise benutzen wir diesen Satz immer nur negativ, so im Sinne von: Er/sie ist genauso schlimm wie sein/ihr Vater, seine/ihre Mutter. Es könnte ja auch positiv werden, wenn die Eltern grosse Begabungen hatten und man hat die auch.
Aber auch dieses Sprichwort ist totaler Blödsinn.
Oft fällt der Apfel eben weit vom Stamm. Der Sohn des Massenmörders kann ein reizender Mensch sein, und die Tochter der Lyrikerin kann keinen einzigen Vers herausbringen.

Die deutsche Sprichwortkultur besteht normalerweise aus moralinsauren, Zeigefinger erhebenden, spasslosen und düsteren Sentenzen, die deutsche Sprichwortkultur macht uns klar, dass das Leben ernst und bitter ist und man sich verdammt anstrengen muss, um nicht unter die Räder zu kommen. Die deutsche Sprichwortkultur ist kein Garten der Lüste, sondern ein Acker voller Steine und Disteln.

Arbeiten wir doch nun an fröhlichen, heiteren Sprichwörtern, wie zum Beispiel:

DER FISCH BRAUCHT DIE FLOSSE, DER MENSCH BRAUCHT DIE GLOSSE.













Freitag, 12. November 2021

The Man with the Hammer

Holla hatte vor etlichen Jahren gesundheitliche Probleme, sie hatte immer kalte Hände und leichte Kopfschmerzen. Ihre Freundin Hilla riet ihr, zu einer Kinesiologin zu gehen, vielleicht litte Holla an einer Amalgamallergie, und die Kinesiologin könne das herausfinden. Sie selbst, so Hilla, litte an Jucken im Bauchbereich und kalten Füssen, und die Kinesiologin habe das mit dem Amalgam herausgefunden und sie, Hilla, liesse sich jetzt das Amalgam herausnehmen.
Holla ging also zur Kinesiologin, diese diagnostizierte durch ihre typischen kinesiologischen Methoden eine Amalgamvergiftung und empfahl eine Sanierung. Holla machte dies aber dennoch nicht, als sie zwei Dinge herausfand:
1) Bei Hilla blieben die kalten Füsse und das Jucken, auch als das ganze Amalgam herausgebohrt war.
2) Die Kinesiologin empfahl jedem und jeder, also wirklich ALLEN das mit dem Amalgam, ihre Diagnose war immer die gleiche.

Helga spielt nicht nur in einer Blasmusik, nein, sie ist sogar die Präsidentin und als solche gehört es zu ihren Aufgaben, nach einem Wettbewerb mit Stiller Bewertung zum Gespräch zu gehen. (Für die Nichtkenner der Musikszene: Bei einer Stillen Bewertung gibt es keine Punkte, sondern man wird zu einem Expertengespräch aufgeboten, bei dem ein Juror kommentiert, lobt und kritisiert, erklärt was und vor allem wie es besser gemacht werden kann.)
Bei den Musiktagen in Bad Schlönborn, bei dem Helga und einige ihrer Mitspieler zum Gespräch mit dem Experten Dudl Dudelheimer gehen, ist Helga aber einigermassen enttäuscht und verwundert. Dudl Dudelheimer schwatzt ziemlich um den Brei rum, sagt nicht klar, was gut und was schlecht war, er schwafelt und salbadert, kommt dann aber zum Schluss auf einen ganz konkreten Punkt: Die Klarinetten brauchen ein dickeres Blättchen.
Ein paar Tage später erfährt Helga, dass Dudelheimer das zu jedem Verein gesagt hat, anscheinend ist er Klarinettist und spielt gern auf dicken Blättchen…

Hulda, eine Freundin von mir, träumt viel. Und sie kann sich am Morgen meist an Traumfetzen erinnern. Mal sind es Albträume, mal sind es Stressträume, oft aber auch schöne, paradiesische, urlaubshafte Träume, häufig sind ihre Träume erotisch und häufig auch gewaltsam. Ihre Palette ist also gross, feststeht nur: Sie träumt. Obwohl Hulda genügend schläft, ist sie tagsüber oft müde. Um das abzuklären, schickt ihre Hausärztin sie in ein Schlaflabor.
Das Schlaflabor stellt fest, dass die junge Frau unter einer Schlafapnoe leidet und verkauft ihr eine Schlafmaske. Als ich Hulda ein paar Wochen später treffe, bin ich völlig entsetzt: «Hulda, du träumst doch jede Nacht, das heisst, du bist in der REM-Phase, also schläfst du tief genug! Was ist das für ein Quatsch!» Hulda bringt die Maske zurück und macht noch einmal ein grosses Blutbild. Der Übeltäter heisst Vitamin B12.

Seit 2017 gibt es im Kanton Schwyz bei den Kindern und Jugendlichen einen rasanten Anstieg der Fälle von Asperger-Syndrom. Dafür nehmen seit vier Jahren die ADHSler ab.
Warum das so ist, weiss niemand, aber es gibt eine Vermutung, Dr. Hubert Fischli, der Kantonspsychologe bis 2017, hatte über ADHS promoviert, sein Nachfolger, Dr. Helmut Weiss, schrieb seine Doktorarbeit – das können Sie jetzt leicht erraten – über das Asperger-Syndrom.

Nette Geschichten, werden Sie sagen.
Nette Geschichten.
Das Schreckliche aber ist: Alle diese Geschichten sind mehr oder weniger wahr, nur mit anderen Personen zu anderen Zeiten.
Holla bin ich selbst, weil ich feststellte, dass irgendwie alle, die zu einer Kinesiologin gehen, dann ihr Amalgam rausmontieren lassen, und weil es bei den Freundinnen Evi und Chris nix gebracht hatte, sagte ich alle Zahnarzttermine ab. Inzwischen sind übrigens alle alten Plomben draussen, weil sie ersetzt werden mussten…
Das mit dem Klarinettenblättchen ist übrigens auch mir passiert, ich war «nur» der Dirigent, aber der Experte sagte genau das – ich habe seinen Namen vergessen.
Hulda ist in Wirklichkeit eine Schülerin von mir. Sie erzählt mir selbstverständlich nicht ihre Träume, die kenne ich nicht, aber sie sagt, sie träume sehr viel. Weil sie immer so müde ist, soll sie in ein Schlaflabor, aber ich bestehe darauf, dass es andere Gründe geben muss.
Und das mit den Psychologen stimmt auch, nur ein anderer Kanton und es sind Frauen.

To a man with a hammer, everything looks like a nail.

So schreibt Mark Twain. Und der Spruch ist ja auch sehr treffend. Er beschreibt das, was man als «Betriebsblindheit» bezeichnen könnte.

Für den Mann mit dem Hammer sieht alles wie ein Nagel aus.

Das Problem ist, dass es bei Hammer und Nägeln, sprich bei Gegenständen vorkommen kann und irgendwie nicht ganz so schlimm ist, bei Menschen einfach nicht passieren sollte und nicht passieren dürfte.
Wer mit dem Hammer die Scheibe putzt, macht wahrscheinlich Scherben daraus, gut, die bringen Glück und es gibt ja auch Glaser. Wer jemand zu einer Amalgamsanierung rät, die aufwändig – und auch gar nicht so ungefährlich – ist, einfach weil das ihr ständiger Rat ist, die ist eine Schlimme.
Wer mit dem Hammer versucht zu sticken, wird wahrscheinlich keine Tischdecke zustande bringen, wer aber Jugendliche falsch therapiert, der ist ein Monster, weil er den jungen Menschen Lebenszeit stiehlt.

Nein, in Pädagogik und Psychologie, in Bewertung und Medizin sollte es keine «Menschen mit Hammer» geben.



Dienstag, 9. November 2021

Die Lösung des Papierproblems

Es gibt Probleme und Fragen, die ganz einfach zu lösen oder zu beantworten sind. Das sind wenige, sehr wenige, extrem wenige, aber es gibt sie.

Die Frage, warum so unglaublich viele japanische Touristen in Frankfurt a. M. herumlaufen, beschäftigte mich zwar lange, aber die Lösung war ganz simpel und extrem einfach: Die Japaner kommen am Rhein-Main-Airport an und beginnen dort ihre BRD-Reise, ebenso fliegen sie von dort auch wieder ab, d.h. von 10 Nächten in Deutschland schlafen sie zwei in der Nähe des Römers.

Die Geschichte mit den Zündhölzern finde ich nicht im Internet, so kann ich nur hoffen, dass die Story, die mein Vater mir erzählte, wahr ist: Der schwedische Zündholzkönig Ivar Kreuger hatte einen Wettbewerb ausgelobt, wie man mehr Effektivität bei den Schachteln erreichen könne, die Reibfläche war abgenutzt, bevor das letzte Hölzchen angezündet war. Kreuger dachte natürlich an eine chemische Formel, das hohe, sehr hohe, extrem hohe Preisgeld bekam aber ein junger Mann, der schrieb: «Machen Sie zwei Reibflächen an die Schachtel.»

In meinen Musik-Klausuren zum Thema Instrumentenkunde stellte ich in meinen Klassen immer die folgende Frage: «Ein Geiger hat ein Volkslied in D-Dur, ein Klarinettist (Klar. in B) dasselbe Volkslied in C-Dur. Wie kommen die beiden zum gemeinsamen Musizieren?» Auch hier war die Lösung denkbar simpel: Sie müssen die Stimmen tauschen, wenn der B-Klarinettist, der immer ein Ton tiefer klingt, D-Dur spielt, wird es C-Dur, was der Geiger dann hat…

Zurzeit erschüttert ein Problem den deutschen Buchmarkt: Es gibt zu wenig Papier für die Bücher. Da die meisten Papierhersteller zunächst Verpackungsmaterial machen und mit dieser Verpackung den Internetversandhandel beliefern, ist für die Druckereien nicht genug Papier da. Hülle sei zurzeit wichtiger als Inhalt, so wird ein deutscher Verleger zitiert.

Aber wie bei den Japanern in Frankfurt, wie bei den Streichhölzern, wie bei den beiden Musikern ist auch hier die Lösung ganz einfach, ganz simpel:
Man muss die Texte auf die Verpackungen drucken.

Nun staunen Sie, was? Halten Sie es gar für unmöglich?
Nun, das Einfachste wäre es natürlich, wenn man für die Pakete und Päckchen, für die Sendungen und Auslieferungen kurze, knappe Texte nehmen würde. Hier würden sich zum Beispiel Kalendergeschichten eignen, aber auch Lyrik, Aphorismen und kleine Storys, man müsste die Autorinnen und Autoren dazu anhalten, entsprechende Literatur zu produzieren, vielleicht, ja, vielleicht und eventuell würde sogar ein spezielles neues Genre entstehen:
Der Verpackungs-Text.

Der Verpackungs-Text könnte dann auch auf den Absender, den Adressaten und den Inhalt des Päckchens Bezug nehmen, so würde, wenn Herr Schmid aus Waldenburg bei Amazon ein Kochbuch bestellt, im Text der Schmied auf der Burg im Wald für die Amazone einen Hammel braten.
Und wenn Frau Schneider aus Freiburg bei Quelle ein Paar Schuhe bestellt, dann würden im Text den Schneider ein Paar magische Schuhe in die Freiheit und zur Quelle tragen.
Und wenn…
Ich denke, Sie haben verstanden.

Was aber ist mit Romanen, mit richtig langen, mit Schwarten, die 1000 Seiten übersteigen, mit langen Geschichten wie Der Zauberberg oder Doktor Faustus, langen Machwerken wie die Suche nach der verlorenen Zeit oder dem Mann ohne Eigenschaften? Gut, es stellt sich die Frage, ob man so lange Bücher überhaupt schreiben muss, aber auch hier gibt es eine Lösung:
Kleiner Druck.
Ein Designlabel in Berlin – und das ist jetzt nicht erfunden – druckt den ganzen Faust, und zwar 1 UND 2, auf ein riesengrosses Plakat, das man sich dann ins Zimmer hängen kann. Witzigerweise lassen sie in der Mitte eine weisse Stelle, um die die Buchstaben dann herumfliessen, und die hat die Form eines Pudels. Es wäre also durchaus möglich, den Zauberberg oder Doktor Faustus, die Suche nach der verlorenen Zeit oder den Mann ohne Eigenschaften auf ein Packpapier zu drucken.
Zugegeben:
Die Schrift ist schon sehr, sehr klein…

Es gibt Probleme und Fragen, die ganz einfach zu lösen oder zu beantworten sind. Das sind wenige, sehr wenige, extrem wenige, aber es gibt sie.

Und so wird man, wenn man in Zukunft im Internet etwas bestellt, nicht nur die Lieferart und den Weg der Bezahlung wählen, sondern auch den Text, der auf der Verpackung stehen soll:

Liefern:
O Click & Collect                O Nach Hause

Zahlen:
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Freitag, 5. November 2021

Die Namen der Hochs und Tiefs

In grauer Vorzeit glaubten die Menschen an Götter. Sie hatten eine Menge, denn die einzelnen waren jeweils für verschiedene Sachen zuständig: Die Weisheit, den Krieg, die Liebe und den Ackerbau. Oder oft noch viel differenzierter, allein beim Wetter gab es zig: Die Göttin der Winde, den Gott der Blitze, da gab es die Göttin der Morgenröte und einen Gott für Hochwasser und Nicht-Hochwasser. Das alles war sehr praktisch, weil man wusste, wenn die Hütte überschwemmt wurde, war Zkolotl schuld, und Zkolotl musste man anklagen, aber fürs nächste Mal Zkolotl mehr opfern…

Dann kamen die monotheistischen Religionen und die Sache wurde einfacher und schwieriger zugleich: Ein Gott war für sanften Wind und harten Regen, für Sonne, Nebel, für Hitze und Frost, war für lauten Donner und silbernen Blitz zuständig. Wenn nun der eine Bauer noch Sonne für seine Tomaten und der andere Regen für seine Erbsen braucht, was tut man dann?
Aber die christlichen Missionare hatten hier Abhilfe: Es gab zwar nur einen Gott, aber Heilige mit verschiedenen Zuständigkeitsbereichen. Nun wusste man wieder, wen man anrufen musste. Im Falle Hochwasser oder eben Nicht-Hochwasser St. Nepomuk. Der steht auf den Brücken (oft als sehr schöne Statue) und passt auf das Wasser auf.
In einem wunderschönen schwäbischen Gedicht von Sebastian Blau wird zu ihm gebetet, dabei bitten die Rottenburger Katholiken, dass, wenn sich das Hochwasser nun gar nicht vermeiden lasse, dann solle man mit der Überschwemmung bei den „Gogen“, den Tübingern anfangen:

Ond loht se halt
mit aller Gwalt
s Hochwasser et verklemme',
noh hao' en Ei'seah', guater Ma'
ond fang mit überschwemme'
e bißle weiter donne' a':
dia Goge' nemmets et so gnau,
en deane ihren saure' Wei'
därf wohl e' bißle Wasser nei'
- ond evangelisch send se ao...

Dann kam – endlich! – die wissenschaftliche Meteorologie mit all ihren schönen Namen, da kamen Cirren und Wirren und Irren, da kamen Nimbi und Bimbi und Limbi, da kamen so schöne Kombinationen wie Nimbocirrostratucumulus und Cirrostratocumulonimbus und Nimbostratocumulocirrus, da entdeckte man die Hochs, die sich immer auf den Azoren verstecken, und die Tiefs, die auf Island hausen. Da wurde Luftdruck, Feuchtigkeit und Temperatur gemessen, und es wurden Wetterkarten erstellt.
Alles hatte nun eine physikalische Basis.

Dachte man.

Denn man hatte nicht mit der Sturheit und Rückwärtsgewandtheit der Leute gerechnet. Sie wollten keine anonymen Ereignisse, sie wollten keine unbenannten Cirren, Wirren und Irren, keine anonymen Nimbi und Bimbi, keine namenlosen Nimbocirrostratucumuli, keine unbezeichneten und Cirrostratocumulonimbus und Nimbostratocumulocirrus, Hochs und Tiefs.

Und so tragen seit 1954 Hochdruck- und Tiefdruckgebiete Namen. Was der grösste Schwachsinn ist, denn der moderne Mensch hatte sich ja gerade von Göttern und Heiligen gelöst, nun hatte man es wieder mit Personen zu tun, das Ganze wurde wieder höchst unwissenschaftlich.

So sagte der Bronzezeitmensch: «Fast wäre meine Hütte weggerissen worden, aber weil ich Zkolotl eine Geiss und einen Hasen geopfert habe, zog der Sturm und der Wind an meiner Hütte vorbei. Zkolotl sei Dank!»;
und der Mensch des Mittelalter sprach: «Als der Regen fiel, beteten wir zu St. Nepomuk und er lenkte das Hochwasser an unserem Hause vorbei» und eventuell fügt er noch verschmitzt wie die Rottenburger hinzu: «Es hat den evangelischen Nachbarn getroffen.»
Und der Mensch der Neuzeit spricht: «Manfredo ist an mir vorübergezogen» oder «Sybille hat mein Anwesen voll getroffen» oder «Hubert hat mich ruiniert».

Wie blöde ist denn das.

Lange war es ja so, dass alle Hochs männlich und alle Tiefs weiblich waren. Da haben aber die Frauen irgendwann reklamiert. Jetzt gibt es Männer-Hoch-Frauen-Tief-Jahre und ein Frauen-Hoch-Männer-Tief-Jahre. Da war natürlich die frühere Regelung einfacher, da wusste man immer, was was ist. Sie war zwar frauenfeindlich, aber praktisch. Heute muss man wissen, ob man sich in einem Männer-Hoch-Frauen-Tief-Jahr oder in einem Frauen-Hoch-Männer-Tief-Jahr befindet.

Dieses Jahr ist zum Beispiel Frauen-Hoch-Männer-Tief-Jahr. Wenn Sie sich also auf Beowulf freuen, dann leben Sie ein wenig hinter dem Mond, denn was ein Männertief in NRW und Rheinpfalz angerichtet hat, sollten Sie gesehen haben.

Früher glaubten die Menschen an Götter, die für das Wetter zuständig waren.
Dann kam der eine Gott und in seinem Schlepptau Heilige mit Zuständigkeiten.
Heute haben die Hochs und Tiefs Namen.
Dies zeigt, wie weit die Menschheit gekommen ist.





 

Dienstag, 2. November 2021

Ansagen 2: Das falsche Band

Ich habe neulich einen Post über Ansagen veröffentlicht.
Nun habe ich noch zweimal etwas mit Ansagen erlebt, das ich Ihnen nicht vorenthalten will. Und diese beiden kleinen Storys sind wirklich wahr.
Also:
Sie sind wahr im Sinne von: Sie sind wirklich passiert, sie sind echt, sie sind in unserer Zeit, auf unserer Erde passiert, man hätte sie – wenn man eine Kamera gehabt hätte – filmen können, es gäbe – wenn man sie auftriebe – Augen- und Ohrenzeugen, das Ganze hielte jeder wissenschaftlichen Überprüfung stand. Beide Storys sind wahr im Sinne von „wahr“ und nicht im Trump-Sinn, nicht im Sinne von Fakten aus der Auswahl von mehreren möglichen Fakten.
Gut.
Hier also die Geschichtlein:

Ich steige in Binningen an der Endhaltestelle Kronenplatz aus der Linie 2. Es muss an einem Montag gewesen sein, denn nur am Montag gehe ich ins Hallenbad Spiegelfeld, weil „mein“ Hallenbad Muttenz montags geschlossen hat. Aus dem Lautsprecher kommt folgende Ansage:

Liebe Fahrgäste, bitte beachten Sie, dass im öffentlichen Verkehr eine Maskenpflicht gilt.

Ich stutze. Ich stutze noch einmal. Welchen Sinn macht die Ansage jetzt, nachdem der 2er seine Fahrt beendet hat? Eigentlich keinen. Müsste man das Ganze nicht im Konjunktiv formulieren, so im Sinne von „…es hätte eine Maskenpflicht gegolten…“? oder will man Fahrgäste, die ohne Maske aussteigen, darauf aufmerksam machen, dass sie das nächste Mal eine Maske anlegen? Nein, eine solche Ansage NACH der Fahrt macht keinen Sinn.

Ebenso die zweite Anekdote:
Ich stehe in der Linie 11, die in diesem Moment vom Aeschenplatz zum Bankverein fährt. Da ich am Bankverein aussteigen will, stehe ich relativ nahe an der Tür. Plötzlich erschreckt mich eine Ansage:

Bitte geben Sie die Türen frei, damit wir weiterfahren können.

Hier stutze ich nicht sofort. Als pflichtbewusster Mensch, als preussisch Erzogener, als treuer Bürger springe ich sogleich einen Meter zurück. Dann erst stutze ich: Der Wagen fährt doch, warum muss ich zurücktreten? Oder will man mir androhen, man würde ANHALTEN, wenn ich an der Tür bleibe? Und würde man das auch wirklich tun?

Zwei Geschichten, zwei Ansagen.
Und eine Wahrheit: Die Lösung ist ganz einfach, hier hat jemand zum falschen Zeitpunkt auf den falschen Knopf gedrückt. Und das falsche Band zur falschen Zeit ausgelöst. Diesem jemand ist natürlich kein Vorwurf zu machen, es ist der Fahrer oder die Fahrerin. Diese Menschen haben selbstverständlich wichtigere Dinge zu tun als Tonbänder korrekt abzuspulen, sie müssen schauen, dass das Tram richtig abfährt und hält, auf querlaufende Fussgänger, querfahrende Velofahrer und wilde Autos achten, dabei noch immer wieder überprüfen, ob im Wageninnern keine Schlägerei ausbricht.
Blöd sind solche Fehler doch.
Ganz doof sind Ansagen, die die nächste Haltestelle verkünden, die dann nicht stimmt. Ortsunkundige steigen dann 1-2 Haltestellen zu früh aus.

Wie ist das Problem zu beheben?
Ganz sicher nicht mit der Koppelung von Ansagen an bestimmte Haltestellen. Wenn Sie nämlich jeden Tag hören

Ritterstrasse – Kavaliere helfen Müttern mit Kinderwagen.

dann gehen Sie davon aus, dass nur in der Ritterstrasse geholfen wird. Im Ernst, die Ansage gab es wirklich einmal und ich dachte als Kind, dass nur bei dieser Haltestelle Männer aufspringen und die Wägen herausheben, und dass deshalb alle Frauen dort ihre Läden, ihren Friseur und ihre anderen Orte haben, weil eben nur dort ihnen geholfen wird.

Nein.
Die Lösung ist ein im Wagen befindlicher Ansager oder eine im Waggon seiende Ansagerin. Diese oder dieser könnten dann ihre Sprüche auch gleich anpassen.

Hey, hässlicher bärtiger Alter! Keine Maske? Hast Du ein Attest? Zeig das mal her, und wehe, es ist gefälscht!
Hey, Schlampe im grünen Rock! Geh von der Tür weg, wir wollen losfahren.

Und wenn Sie jetzt sagen, dass sei doch viel zu teuer: Wir leisten uns gerade auch Menschen, die nicht anderes machen, als vor Einrichtungen rumzustehen und Zertifikate zu kontrollieren.
Der Tram- und Busansager wäre ein prima Job für Wiedereinsteiger nach Langzeitarbeitslosigkeit.