Freitag, 28. Juli 2023

Der Kreuzwort-Kreuzweg

From: abo@buxtehuderblatt.de
To: rolf@herter.ch

Hallo, Rolf Herter!
Wir freuen uns, dass du dich für das Online-Abo des Buxtehuderblattes entschieden hast. Jeden Tag kannst du nun lesen, lesen, lesen und vieles mehr. Besonders natürlich die Informationen über die örtlichen Events und Shopping.
Mit freundlichen Grüssen, dein BB-Team

From: rolf@herter.ch
To: abo@buxtehuderblatt.de

Sehr geehrte Damen und Herren
Ich schreibe so, denn ich HASSE es, dass Sie mich duzen. Wir kennen uns nicht und ich bin ein Kunde von Ihnen und nicht Ihr Kumpel. Und wir sind auch nicht in einem Schwedischen Möbelhaus.
Ich wohne – das können Sie meinen Daten entnehmen – in Basel. Daher sind mir Shopping und Events in Buxtehude eigentlich egal. Sehr egal. Ich habe das Abo nur aus einem Grund genommen: Sie haben ein supertolles Kreuzworträtsel, das ich jeden Tag löse, und hierbei kann man die Funktion «Fehler anzeigen» nur aufrufen, wenn man ein Abo hat. Nun habe ich aber entdeckt, dass trotz Abo man mir diese Funktion verweigert. Bitte, könnten Sie dazu Stellung nehmen.
Mit freundlichen Grüssen Rolf Herter

From: abo@buxtehuderblatt.de
To: rolf@herter.ch

Hallo Rolf
Hast du schon die vielen Möglichkeiten entdeckt, die dir ein Abo bietet? Zusätzlich zu den vielen, vielen, vielen spannenden Artikeln hast du kannst du auch Podcast anhören, Videos anschauen, mit unseren Mitarbeitern chatten und tolle Rätsel lösen.
Dein BB-Team

From: rolf@herter.ch
To: abo@buxtehuderblatt.de

Sehr geehrte Damen und Herren
Noch einmal: Nicht duzen, bitte nicht duzen, und beantworten Sie bitte meine Frage. Ich möchte weder Ihre Artikel lesen, noch möchte ich Podcasts hören. Ich möchte auch keine Videos anschauen, oder chatten. Ich möchte das Kreuzworträtsel lösen und dann die Möglichkeit haben, zu sehen, welche Lösung Sie vorschlagen. Das ist vor allem lustig, wenn es mehrere gibt. («deutsche Vorsilbe»: «ver» oder «zer» oder «her»)
MFG

From: abo@buxtehuderblatt.de
To: rolf@herter.ch

Hallo Rolf
Tja, schade, dass du von unserem reichen Angebot an Texten, Musik, Chat, usw., usw. usw., usw., usw. keinen Gebrauch machen willst. Denn das alles ginge mit einem Plus-Abo (1 Euro im Monat), für die Fehler-Funktion bräuchtest du ein Deluxe-Abo (15 Euro im Monat). Bitte gib doch Bescheid, ob wir dich upgraden sollen.
Einen sonnigen Tag – dein BB-Team

From: rolf@herter.ch
To: abo@buxtehuderblatt.de

BITTE NICHT DUZEN!
Deluxe-Abo??????? 12 Euro im Jahr für eine simple Rätselfunktion wäre ja noch OK, aber 180 Euro? Zumal die Kreuzworträtselseite mich ja genau zu diesem Abo weitergeleitet hat, als ich «Fehler anzeigen» klickte. Das ist ziemlich windig, was Sie da treiben.
Stellen Sie sich vor, Sie fragen in einem Sportgeschäft nach roten oder orangen Badepants; und der Verkäufer schickt Sie an den Ständer mit 100 Badehosen, alle blau, schwarz, blauschwarz und schwarzblau. Und als Sie ihn zur Rede stellen, merken Sie, dass er natürlich genau wusste, dass Sie nicht fündig werden.
Bei YouTube gab es früher etwas Ähnliches: Wenn Sie einen Film kaufen wollten, wurden Sie an eine Site weitergeleitet, wo Sie Mitglied wurden, und dann hatten die den Streifen gar nicht. Inzwischen verboten.
Was Sie machen, ist genauso. Unlauter und gemein.
MnFG

From: abo@buxtehuderblatt.de
To: rolf@herter.ch

Hallo Rolf
Neu im Plus-Abo: Leckere Rezepte für jeden Tag.
Heute zum Beispiel: Spinat-Nudeln mit Randensalat.

From: rolf@herter.ch
To: abo@buxtehuderblatt.de

Sehr geehrte Damen und Herren
Ich kapituliere. Ich kündige Ihnen zum nächsten Termin. 6 Euro in den Sand geht noch

P.S.: Das ist alles nicht so ganz erfunden, ich erlebe gerade etwas Ähnliches mit einer anderen Zeitung

 

Dienstag, 25. Juli 2023

Der Blödsinn mit den Kontingenten

Liebe Leserin, liebe Leser

Wie kann man verhindern, dass einem die Besucherinnen und Besucher bei einer Ausstellung die Bude wirklich einrennen? Dass sie Schäden an Mobiliar und Wänden hinterlassen, weil die Druckerei und Drängelei so gross ist? Dass niemand die Bilder sehen kann, weil 100 Leute davorstehen? Na? Genau: Kontingente. Man lässt einfach pro Zeitfenster nur eine gewisse Anzahl von Leuten zu den Bildern. Das wird von vielen Galerien und Museen so praktiziert, man verkauft die sogenannten Time-Slots schon im Voraus. Und wenn der Andrang sehr gross ist – wie weiland im Rijksmuseum in Amsterdam – dann sind die Slots halt schon ganz früh weg, etliche haben dann halt Pech gehabt.

Es wird nun überlegt, ob man eine solche Kontingentierung auch bei Freibädern einführen könnte, damit alle Platz, alle Schwimmwasser, alle Spass und alle den Frieden haben. Und dass es nicht zu Szenen wie neulich in Neukölln kommt. Ein Japaner mag jetzt schmunzeln, in Tokio – Sie kennen vielleicht die Bilder – steht man ja einfach nur im Wasser, wir aber brauchen ein bisschen mehr Raum; nein, eine Kontingentierung wäre eventuell nicht schlecht, bei Corona liess man ja auch nur eine bestimmte Anzahl rein. Ich persönliche wäre als Abo-Inhaber eh dafür, nur noch Menschen mit Abo hineinzulassen, aber das steht auf einem anderen Blatt…

Wenn eine Schülerin oder ein Schüler mal frei nehmen möchte, zum Beispiel weil er oder sie am Abend vorher in ein Konzert geht, weil die Oma 80 wird, weil die Eltern heiraten, weil der Hund eingeschläfert wird oder was auch immer, dann steht eine gewisse Anzahl von Tagen, um das Konzert zu besuchen, um die Oma zu feiern, um Mama und Papa zu verheiraten oder das Tier zu verabschieden, zu Verfügung. Joker-Tage heisst das meistens. Auch dies eine sinnvolle Einrichtung. Und wenn ein ganz gewissenhafter Schüler, eine Musterschülerin merkt, dass er oder sie noch 7 Tage übrig hat, die man nicht verbrauchte, weil die Oma nicht feiern wollten, die Eltern schon getraut, Konzerte nicht anstanden und die Tiere gesund, dann geht man halt eine Woche shoppen, um die Joker-Tage nicht verfallen zu lassen.

Kontingente sind also toll. Nun kommen aber manche Leute auf finstere Ideen:
Könnte man zum Beispiel auch die Anzahl von Krankheitstagen einschränken?
Könnte man Versicherungsfälle kontingentieren?
Könnte man ein bestimmtes Kontingent von Flüchtlingen einführen?
Klare Antwort: Nein.

Joker-Tage kann man planen, Krankheit nicht. Stellen Sie sich mal vor, Sie hätten nur 14 Fehltage Kontingent; und sie bekämen etwas Ekliges, Langwieriges, Dauerndes. Pfeiffersches Drüsenfieber. Oder Gürtelrose. Oder einfach eine Grippe, bei der das Fieber einfach nicht weg geht. Nach 2 Wochen müssten Sie sich halbtot und blass und leichenschwach zur Arbeit schleppen. Das geht ja gar nicht. Und wenn Sie Pfeiffersches Drüsenfieber UND Gürtelrose UND eine Grippe bekämen, dann wären Sie die Stelle los. Nein, Krankheitstage sind nicht kontingentierbar, weil sie nicht planbar sind. Zur Oma können Sie sagen: Bitte den Geburtstag am Sonntag feiern, ich habe keine Jokertage mehr, zum Virus kann man das nicht sagen.

Genauso ginge das nicht bei Schäden. Stellen Sie sich vor, Ihre Assekuranz würde Ihnen schreiben: «…ist leider unser Kontingent an Wasserschäden schon aufgebraucht…» und wie macht man es dann bei Feuersbrünsten? Wie bei Fluten? Das hätte zum Beispiel im Ahrtal bedeutet, dass nur die ersten 200 Familien ihren Hausrat ersetzt bekommen. Nein, ein Kontingent ist hier Quatsch.

Und genauso Quatsch ist die Idee, nur eine bestimmte Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen. Herr Linnemann hat da etwas sehr, sehr, sehr, sehr missverstanden. Die Gesetze der zivilisierten Welt sehen vor, dass man Menschen, die in ihrer Heimat verfolgt werden, die vor Kriegen flüchten aufnimmt. Und zwar – und das ist ausdrücklich so – egal wie viele das sind. Stellen Sie sich vor, Sie sind als Schwuler aus einem arabischen Staat geflüchtet, und Sie erreichen die Deutsche Grenze und dort bekommen Sie zu hören: «…nein, tut uns leid, das Kontingent ist leider aufgebraucht, wenn Sie gestern gekommen wären…» Noch netter wäre es natürlich, wenn man noch Detail-Kontingente nach Asylgrund und Herkunft aufstellen würde: «…schade, einen Regimegegner aus dem Iran können wir leider nicht mehr nehmen, da ist das Kontingent voll, wenn Sie eine Lesbe aus Saudi-Arabien wären…»

Nein. Wie Viren und Bakterien halten sich Kriege, Vertreibung, Genozid, Verfolgung, Angst und Terror nicht an Kontingente. Und genauso wenig kann man hier Anzahlen festlegen.
Besucherinnen und Besucher von Bädern oder Ausstellungen kann man kontingentieren. Flüchtlinge nicht. Joker-Tage kann man einschränken. Krankheitstage nicht.

Vielleicht hat Linnemann ein Problem: An dem Tag, an dem in seiner Jugend die Intelligenz verteilt wurde, kam er zu spät, weil sein Fahrrad eine Platten hatte. Und als er dann als Letzter in der Schlange endlich drankam, sagte man ihm: «Sorry, das Kontingent für Intelligenz ist aufgebraucht. Tut uns leid. Arzt oder Jurist oder Philologe geht jetzt nicht mehr. Aber vielleicht Politiker…»

Freitag, 21. Juli 2023

Die Melker vom Alpstein

Jetzt haben wir uns so lange mit dem «Fremd»-melken» beschäftigt, dass wir das Fremd-«melken» ganz ausser Acht gelassen haben. Das Video hat ja tatsächlich zu einem Aufschrei geführt.

Noch einmal die Fakten: Zwei Wanderer haben im Alpstein eine dort grasende Kuh gemolken und die Milch in eine PET-Flasche gefüllt. Und sich dabei gefilmt. Und als die Bäuerin sie zur Rede stehen wollte, da waren sie schon weg.

Die Sache wurde jetzt von sämtlichen (?) Medien nach allen Seiten beleuchtet: Von einer juristischen, einer sicherheitstechnischen, einer ethischen und moralischen, usw., usw., usw. So, dass man sich ständig fragen musste: Haben wir keine anderen Probleme?

Juristisch ist die Sache völlig klar: Die Milch gehört den Wanderburschen nicht, es ist also Diebstahl. Diebstahl wie das Pflücken von Obst vom Baum am Wegesrand, wie das Mitnehmen von Kartoffeln vom Acker. Bei allen diesen Delikten, beim Fremdmelken, Unerlaubtpflücken, Kartoffelnmitgehenlassen, schreitet die Polizei normalerweise nicht ein. Sie hat nämliches wichtigere Dinge zu tun.
Nein, «Mundraub» ist das Fremdmelken nicht, auch nicht, wenn Sie die Milch sofort trinken. Auch das Pflücken nicht. Dieser Begriff ist nämlich abgeschafft. By the way: Kartoffelnmitgehenlassen konnte nie Mundraub sein, da haben sie recht. Sie mussten die Herdäpfel ja irgendwie garen…

Ein anderer Aspekt ist das Nachmachen (oder Nicht-nachmachen). In den Sozialen Medien ist es ja fast Sitte, dass sich jeder Unsinn zu einem Hype entwickelt.
Da stellt jemand ein Video auf Facebook, in dem er nachts über die Mauer des Freibades klettert und nackt im Becken badet. Und ca. 10000 Leute meinen nun, sie müssen das nachmachen und die Polizei hat alle Hände voll zu tun, die Freibäder der Nation von Nacktnachtbadern bzw. von Nachtnacktbadern zu retten.
Da stellt jemand einen Film auf Instagram, in dem sie einen Kuchen aus Mehl, gemahlenem Plastik, Öl, Zucker, zerstossene Aspirin und Hefe macht. Und 200000 Menschen backen das auch und die Kliniken sind voll mit Magenkranken.
Und jetzt hat man Angst, dass x Leute Kühe auf der Wiese melken. Insofern wird darauf hingewiesen, dass es gefährlich sein kann, ein fremdes Rind anzufassen und zu melken. Manchmal schlagen die Viecher nämlich aus, und das tut dann richtig weh, richtig.
Die Existenz solcher Warnungen zeigt, wie doof wir geworden sind. Normale Menschen haben einen gewissen Respekt vor den doch grossen und schweren Rindviechern; und die «Melker vom Alpstein» konnten offensichtlich mit Eutern umgehen (waren wahrscheinlich sogar vom Land), wenn also wirklich eine Nachahmungsgefahr besteht, ist die Gesellschaft total verblödet. Ich selbst würde um eine solche Kuh einen Bogen machen, froh, wenn sie mich in Ruhe lässt, ich würde sie nicht anfassen und nicht melken, da habe ich Angst.
Apropos: «Der Melker vom Alpstein» wäre doch ein super Krimi-Titel, aber wir wollen nicht abschweifen…

Der ethische Aspekt ist nun fast das Lustigste. Lassen wir noch einmal die Bäuerin zu Wort kommen:

«Ich war total erschüttert, als ich das sah», sagt die Bäuerin, wie ein Lokalsender berichtet. Der Vorfall sei eine «absolute Frechheit», so die Bäuerin, die anonym bleiben will. Die Touristen hätten der Kuh «respektlos ans Euter» gefasst.

Das hat nun leicht einen Touch von #metoo. Bei aller Ehrfurcht vor aller Kreatur: Ich würde einen Unterschied zwischen dem Berühren des Busens meiner Bürokollegin und einem Kuheuter. Wie fasst man denn ein Euter respektvoll an? Muss man die Kuh fragen und dann auf ein «ja» warten? Vielleicht war das Rind ja auch eine Performancekünstlerin, die, so wie in den 60er Jahren Wally Export in der Aktion «Tapp- und Tastkino» ihren Busen in einer umgeschnallten Kiste 12 Sekunden zum Begrapschen freigab, ihr Euter als Happening frei präsentierte?

Ganz viele Kühe werden übrigens gar nicht mehr von Menschen, sondern von Melkmaschinen oder von Melkrobotern gemolken.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Fassen die Melkroboter und die Melkmaschinen die Rinder mit dem nötigen Respekt an? Da hätte ich doch meine Zweifel. Oder ist es nicht sogar so, dass einer Kuh ein fremder Melker, also ein Fremdmelker, der immerhin doch ein Mensch ist, immer noch lieber als ein Roboter?
Hierzu müssten wir jetzt – wie zu vielen Fragen – die Rinder vernehmen.

Zwei Wanderer haben im Alpstein eine dort grasende Kuh gemolken und die Milch in eine PET-Flasche gefüllt.
Und damit eine Todsünde begangen.
Hoffentlich haben die Typen wenigstens die PET-Flasche korrekt entsorgt. Dann gibt es nur Fegefeuer und nicht gleich die Hölle.





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 18. Juli 2023

Fremdmelken

Manchmal muss ich bei der Lektüre eines Wortes richtig laut lachen.
So passierte es neulich wieder, als ich, im Tram sitzend, die folgende Passage las:

Eine Landwirtin hat zwei junge Wanderer beim Fremdmelken erwischt. Der Vorfall machte in der Alpstein-Region schnell die Runde. Auch in den sozialen Medien wird rege darüber diskutiert. Die Landwirtin erwischte die beiden Männer und wollte sie zur Rede stellen – da waren sie schon über alle Berge.

Es soll nun gar nicht um den Wirbel gehen, den dieses «Fremdmelken» ausgelöst hat – das ist einen eigenen Post wert – sondern um die schrecklichen Kompositionen, die das Wort «fremd» in unserer Sprache schon mitmachen musste.

Lange gab es vor allem ein Verb: «Fremdgehen». Damit war gemeint, dass man neben einer Beziehung eine weitere, andere, intime Beziehung pflegte. Das war in meiner Jugend nicht nur Thema von Klatsch und Tratsch und von vielen Filmen und Fernsehspielen, es war vor allem in Scheidungsfragen ein sehr, sehr, sehr, sehr, sehr spannendes Moment: Die Ehefrau, wurde sie beim «Fremdgehen» erwischt, wurde schuldig geschieden und stand dann quasi mittellos da. Kein Wunder, dass gefühlte 3000000000 Millionen Privatdetekteien nichts anderes taten, als Ehefrauen nachzuspüren. Und natürlich auch den Ehemännern, die gingen ja auch fremd, und dann hatte man eine Patt-Situation.

Kleine Randbemerkung: Dass der Handelsreisende R. aus S., der extrem viel unterwegs gewesen war (und damit seine Ehefrau vernachlässigt hatte), auf einer Scheidung OHNE Schuldfrage bestand, obwohl seine Gattin mit dem Arbeitskollegen H. aus S. spazieren und im Kino und im Café gewesen war, muss man ihm hoch anrechnen – im Jahre 1963!

Nach dem «Fremdgehen» kam dann das «Fremdschämen». Auch ein herrlich blödsinniger Begriff.
Denn Scham, Reue, Ergriffenheit und Betroffenheit sind Dinge, die ich ja eigentlich nicht für eine andere Person übernehmen kann. Aber es ist klar, was damit gemeint ist. Und durch die ständige Präsentation von eigenen Peinlichkeiten in den Sozialen Medien kommt man ja aus dem Fremdschämen nicht heraus. Auch früher kaufte die Tante zum Beispiel einen scheusslichvioletten Schal bei T&F, aber sie zeigte ihn nur im familiären Kreis und präsentierte ihn nicht auf Facebook. Auch früher fuhren Menschen nach Mallorca und legten sich an den Strand (die unglaublichen landschaftlichen und architektonischen Schönheiten ignorierend), aber sie liessen uns nicht via Instagramm an ihren Bäuchen-in-der-Sonne teilhaben…

Eine der schönsten Kompositionen ist auch die «Fremdwanne»; wir kennen sie aus dem unvergessenen Dialog der beiden Herren in der Badewanne:

«Wer sind Sie denn überhaupt?»
«Mein Name ist Müller-Lüdenscheidt.»
«Klöbner, Doktor Klöbner.”
«Angenehm.»
«Angenehm.»
«Können Sie mir sagen, warum Sie in meiner Badewanne sitzen?»
«Ich kam vom Pingpong-Keller und habe mich in der Zimmernummer geirrt. Das Hotel ist etwas unübersichtlich.»
«Aber jetzt wissen Sie, dass Sie in einer Fremdwanne sitzen und baden trotzdem weiter.»
«Von Baden kann nicht die Rede sein, es ist ja kein Wasser in der Wanne.»

Fremdmelken, Fremdgehen, Fremdgehen, Fremdwanne also.

Es ist aber umgekehrt spannend, dass in den Zusammenhängen, in denen der Wortteil «fremd» angebracht wäre, eben diese fünf Buchstaben immer mehr verschwinden. War es früher der «Fremdling», so ist es heute der «Mensch mit Migrationshintergrund», war es früher die «Fremdenpolizei», ist es heute das «Amt für Bevölkerungsdienste und Migration». Ändert das etwas? Nein. Warum vermeiden wir dann das Wort «fremd» genau in den Zusammenhängen?

«Fremd» ist ja per se nicht schlecht.
Die Sprache, das Essen, die Lieder und auch die traditionelle Kleidung meines Kollegen aus Sambia ist mir fremd – alles andere wäre eine grobe Lüge.
Japan ist für mich ein fremdes Land, seine Bilder, seine Musik und seine Gedichte sind mir fremd. Wir müssten aber gar nicht so weit gehen: Bei meiner ersten Party in der Schweiz stand ich wie ein Ochs vorm Berg auf der Tanzfläche, weil ich alle die Lieder nicht kannte, die die anderen von A-Z mitgrölten; da sie auf Mundart waren, hatte das deutsche Radio nicht gespielt.
«Ewigi Liebi» und «Ä Schwan so wiss wie Schnee» waren mir fremd.

So viel für heute.
Ach… Sie lesen jetzt nicht auch noch den «Postillon», gell?
Das wäre Fremdlesen.

P.S.:
Die Frau des Handelsreisenden war übrigens meine Mutter (ja, und Herr H. mein Vater). Meine Mutter, die am 15. Juli 100 geworden wäre.











Freitag, 14. Juli 2023

Sondervermögen. Sondervermögen?

Ich gehe bald in die Ferien.
Nein, nichts Grosses. Nichts Spektakuläres. Ein bisschen in den Schwarzwald. So ein wenig abschalten, ein wenig schwimmen, ein wenig wandern. Im Schlosshotel Hohe Tanne bei Freudenstadt. Kennen Sie nicht? Ist relativ neu.
Schauen Sie sich gerade die Bilder an? Ja? Was meinen Sie? Ach, Sie vergleichen das mit Brenners Park-Hotel? Das ist eine Jugendherberge dagegen. Mit Schlosshotel Bühlerhöhe? Das ist ein Wirtshaus im Spessart, wenn man Hohe Tanne damit vergleicht. 80 qm grosse Suite, zwei 50 Meter grosse Pools (indoor und outdoor), Küche ******* oder 30 Punkte, Anreise mit dem Helikopter möglich usw., usw., usw., usw.
Sie fragen sich, wie ich mir das leisten kann? Ich sage nur:
Sondervermögen Urlaub.

Ich habe mir auf der ART ein Bild gekauft. Nein, nichts Grosses. Nichts Spektakuläres. Ein kleines Mobile, so eines in Rot und Schwarz.
Doch, doch, ein Calder. Aber ein kleiner.
Schauen Sie sich gerade die Bilder an? Ja? Was meinen Sie? Schön, nicht? Ach, Sie rechnen gerade herum. Nun, ein grosser Calder ist unbezahlbar. Der kleine war mit 800 000,-- ein Schnäppchen, da ist mir der nette Herr von Gagosian sehr entgegengekommen.
Sie fragen sich, wie ich mir das leisten konnte? Ich sage nur:
Sondervermögen Kunst.

Die dritte Sache ist dann noch meine geplante Schönheits-OP. Die steht zwar erst 2025 auf dem Plan, aber ein paar Punkte stehen doch schon fest:
- Fettabsaugen an Hals und Hüfte.
- Nasenbegradigung.
- Verkleinerung und Glättung der Ohren.
- Straffung der Wangenpartie.
Der Arzt, der das machen wird, ist eine Koryphäe. Er hat schon 13 Topmodels, 40 russische Oligarchengattinnen, 41 ukrainische Oligarchengattinnen, Operndiven, Fernsehmoderatoren usw., usw., usw., usw. unter dem Messer gehabt.
Sie fragen sich, wie ich mir das leisten können werde? Ich sage nur:
Sondervermögen Schönheit.

Mit dem Sondervermögen ist es so eine lustige Sache.
Eigentlich gilt ja die Regel: Man kann nur so viel ausgeben, wie man eingenommen hat. Die Bilanz muss stimmen. Wenn Sie also zum Beispiel 7000 Franken (nach Steuern) verdienen, davon 2000 für die Miete ausgeben, 1000 für die Krankenversicherung und ihr GA, 2000 für das tägliche Leben, dann bleiben Ihnen im Jahr 24000 Franken für Urlaub, Kunst oder Schönheit. Damit ist nichts Grosses drin. Es sei denn, Sie haben ein Sondervermögen. Also Geld, das in der normalen Bilanz nicht auftaucht. Das irgendwie aus einem schwarzen Loch gerade in Ihre Hände hüpft.
Aber woher?
Ich sehe nur drei Möglichkeiten:
Erbschaft.
Glücksspiel.
Kriminelle Aktivitäten.

Wie macht das aber nun das Finanzministerium mit dem Sondervermögen? Ich habe zunächst erwogen, da kurz reinzulaufen und die Leute zu fragen, fand dann aber das, was ich neulich über Habecks Schuppen schrieb: Das sieht aus wie ein Knast. Abweisend, hermetisch zu, mit festen Mauern und vergitterten Fenstern. Da läuft niemand rein und schaut, was da eigentlich getrieben wird. Der einzige Unterschied ist: Das BWM ist ein Gründerzeitgebäude, das BFM ist ein Nazi-Gebäude, sonst sehen sie gleich aus.

Wie geht das nun mit den Milliarden? Wie kann ein ganzer Staat Geld bekommen, das nirgendwo auftaucht? Wie geht das mit dem Erben, dem Lotto und der Kriminalität?
Nun, die BRD hat ja die DDR «beerbt»; allerdings war das eher eine Erbschaft, die man hätte ablehnen sollen, viel Gewese, aber nix wert. Alles in allem eine Pleite.
Lotto? Ich stelle mir gerade vor, wie bei den internationalen Konferenzen, G7 und G8 und G9 und G10, bei WEF und FWE und EWF die Finanzminister in ein Staaten-Casino gehen, wo sie mit den Steuergeldern Roulette spielen. Und Lindner hat mehrfach eine Milliarde auf EINE Zahl gesetzt. Schöner Gedanke. Sehr schöner Gedanke. Könnte aber auch schiefgehen.
Mit den kriminellen Aktivitäten wird es aber schwieriger, was wäre «Schmuggel» im Staatenzusammenhang? Was «Drogenhandel»? «Raub» wäre eigentlich Krieg, und das haben die Deutschen ja leider schon genug probiert.
Nein.
Es wird nicht erklärbar, wo das Geld für ein Sondervermögen herkommt.

Jetzt möchten Sie aber gerne noch wissen, wie das mit meinem Sondervermögen aussieht. Ehrliche Antwort: Gelogen. Ich werde eine kleine Reise nach Schwäbisch Hall – Ulm – Stuttgart machen und in normalen Hotels wohnen. Das letzte Kunstwerk, das ich gekauft habe, war eine Arbeit einer Japanerin in einem Basler Kunstraum für 300,-- und eine Schönheits-OP mache ich mit fast 60 sicher auch nicht mehr.
Ich mache es wie immer: Ich gebe so viel aus, wie ich verdiene.

Und vielleicht sollten die Staaten es auch so machen.

Dienstag, 11. Juli 2023

Der Gesangsverein Dirtwyl und die deutsche Bundesregierung

Der Gesangsverein Dirtwyl (TG) muss eine absolut notwendige Statutenanpassung machen. Es heisst nämlich dort an mehreren Stellen:

«…wird per Post verschickt…»
«…wird per Post informiert…»
«…wird rechtzeitig per Post versandt…»

Natürlich ist das in den heutigen Zeiten nicht mehr ganz modern. Es sollte also vielleicht heissen:

«…wird per Post oder E-Mail verschickt…»
«…wird per Post oder E-Mail informiert…»
«…wird rechtzeitig per Post oder E-Mail versandt…»

Eigentlich ganz logisch.
Dennoch nimmt sich der Vorstand eine Stunde Zeit, um über diese Sache zu diskutieren. Folgende Fragen stehen im Raum:

Kann man alle Dokumente so präparieren, dass man sie elektronisch verschicken kann?
Ist der «Auch-Post-Versand» nicht ein Weg vom «Nur-Post-Versand» zum «Nicht-Post-Versand»?
Hat der Aktuar einen Computer?

Der Vorstand beantwortet die Fragen mit Ja, Nein und Ja und schlägt der Generalversammlung die Annahme der Statutenänderung vor.
Die GV des Gesangsvereins Dirtwyl (TG) diskutiert dann noch folgende Fragen:

Kann man alle Dokumente so präparieren, dass man sie elektronisch verschicken kann?
Ist der «Auch-Post-Versand» nicht ein Weg vom «Nur-Post-Versand» zum «Nicht-Post-Versand»?
Hat der Aktuar einen Computer?

Die GV beantwortet nach zweistündiger Diskussion die Fragen mit Ja, Nein und Ja und nimmt dann die Statutenänderung einstimmig an.

So.
So weit so gut.
Jetzt denken wir: Wenn ein simpler Verein eine so simple (selbstverständliche) Änderung der Statuten so sorgfältig diskutiert, so dass alle es verstehen, so dass alle mitkommen, so dass alle dahinterstehen, so dass alle es tragen, so dass alle mitreden und mitentscheiden, wie lange müsste dann ein Parlament über ein Gesetz reden und diskutieren, so dass alle es verstehen, so dass alle mitkommen, so dass alle dahinterstehen, so dass alle es tragen, so dass alle mitreden und mitentscheiden?
Eine Woche? Zwei Wochen? Drei Wochen?

Gestatten Sie, dass ich kichere.
Ein deutscher Abgeordneter musste per Gerichtbeschluss durchsetzen, dass das Heizungs-Gesetz im deutschen Bundestag nicht vor der Sommerpause durchgepeitscht wird. In zwei Stunden. Und das war nicht das einzige Ding; seit Corona regieren viele Parlamente immer noch im Krisenmodus. Alles schnell, alles hektisch, alles in letzter Minute.

Natürlich kann im System ohne Volksentscheid eine Regierungskoalition jedes Gesetzt mit ihrer Mehrheit durchbringen. Insofern müsste man die Meinung der Opposition gar nicht hören. Dann aber ist es keine Demokratie mehr. Und: Wertvolle Kritik und Ergänzung geht verloren.
Wenn allerdings die Opposition die Mehrheit in der zweiten Kammer hat, kann sie dort Gesetze blockieren, und dann hat man eine schöne Patt-Situation.

Warum aber ist das so? Warum braucht ein Gesetz in der Vorbereitung so lange und dann muss es schnell, schnell, schnell, schnell, schnell, schnell gehen?
Um das herauszufinden, müsste man in ein Ministerium hineingehen und den Menschen dort bei der Arbeit zugucken. Also schauen, was die da wirklich treiben. Im Habeck-Schuppen schaffen ca. 2000 Menschen. Was tun die da den ganzen Tag? Ein paar von denen hätten doch ein handwerklich gut gemachtes Gesetz in nützlicher Frist hinbekommen müssen.
Aber schauen Sie sich mal ein Bild von dem Habeck-Laden an: Das sieht aus wie ein Knast. Abweisend, hermetisch zu, mit festen Mauern und vergitterten Fenstern. Da läuft niemand rein und schaut, was da eigentlich getrieben wird.

Vielleicht sollte die BRD-Regierung eine Exkursion nach Dirtwyl (TG) machen. Muss aber gar nicht in die Schweiz sein. Denn diese Statutenänderung wurde auch bei ganz vielen deutschen Vereinen gemacht. Und überall hat man sich Zeit gelassen.
Und die Parlamente (nicht nur das deutsche!) sollten das auch tun.









 

 

 

 

  

Freitag, 7. Juli 2023

Wie sagt man "Va pensiero" an?

Neulich traf ich Horik, einen Freund, der beim Kulturradio arbeitet. Er war relativ verzweifelt, denn der Redakteur der Sendung, in der sonntags von 6.00 bis 8.00 Musik gespielt wird, hatte ihm ein Ei gelegt: Den Gefangenchor aus Nabucco. Wie sagt man ein solches Stück – das ja ein einem Kultursender gar nicht gespielt werden sollte – auf die richtige Art an? Mein armer Freund hatte sich drei Moderationen zurechtgelegt:

Das Lied Va, pensiero, sull’ali dorate („Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen“, auch als Gefangenenchor oder Freiheitschor bezeichnet) ist ein Chorwerk aus dem dritten Akt der Oper Nabucco von Giuseppe Verdi. Das Libretto stammt von Temistocle Sera, der Psalm 137 zum Vorbild nahm. Der Chor der Hebräer, die in Babylonien gefangen sind, beklagt das ferne Heimatland und ruft Gott um Hilfe an. Der Chor gilt als berühmtester aller Verdi-Chöre.
Sie hören Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Leitung von Sir Donald Runnicles.

Am Samstag, den 12. März, standen das Symphonieorchester und der Chor des ukrainischen Opernhauses Odessa vor dem verbarrikadierten Konzertsaal, um ein Konzert für den Frieden zu geben. Die Musiker spielten vor dem Opernhaus aus dem 19. Jahrhundert ein Musikprogramm, darunter "Va, Pensiero" aus Verdis Oper Nabucco. "Va, Pensiero", auch bekannt als "Chor der hebräischen Sklaven", wird im dritten Akt der Oper gesungen, als die Israeliten gefangen genommen und in Babylon gefangen gehalten wurden. Ergreifend enthält der Refrain den Text "Oh mein Land so schön und verloren!". Die Videos des Konzerts wurden vom Journalisten Alonso aufgenommen.
Heute hören Sie aber nicht diese Aufnahme, sondern Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Leitung von Sir Donald Runnicles.

Sie erinnern sich vielleicht: Es war 1972, als Schlagersänger Freddy Breck, nach einigen erfolglosen Versuchen, die Idee zu einem Hit hatte, der sein Leben verändern sollte. Verdis Gefangenenchor aus der Oper Nabucco wollte er in ein neues, modernes Schlagergewand hüllen. Die Plattenfirma war anfangs skeptisch, bot dann aber sogar den Botho Lukas Chor mit 74 Sängerinnen und Sängern sowie ein ganzes Orchester zur Untermalung auf. Das Ergebnis war zunächst umstritten und wurde «überall auf der Welt» von den Radiostationen vorerst geächtet. Ein Radiomoderator soll sogar auf Sendung gesagt haben: «Den folgenden Titel von einem neuen Sänger namens Freddy Breck hören Sie nur zwei Mal, nämlich das erste und das letzte Mal!» Dann zerbrach er die Scheibe am Mikrofon und warf sie hörbar in den Papierkorb. Aber Freddy Brecks Hit war da schon nicht mehr aufzuhalten. «Überall auf der Welt» wurde millionenfach verkauft. Weitere Hits wie «Bianca», «Rote Rosen» oder «Der grosse Zampano» sollten folgen. Heute hören Sie aber nicht diese Aufnahme, sondern Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Leitung von Sir Donald Runnicles.

Horik seufzt.
Das sei so schwierig, meint er, wie könne man auch ein so abgedroschenes Stück immer noch auf die Liste setzen.
Die erste Ansage sei simpel und korrekt, aber eben todlangweilig. Das locke keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Da könne man den Hörerinnen und Hörern gleich Wikipedia vorlesen.
Die zweite sei natürlich aktuell, aber fast zu aktuell, und er werde sich auf jeden Fall zwischen alle Stühle und in die Nesseln setzen. Die einen würden ihm vorwerfen, Teil einer Militärpropaganda zu sein, die anderen «Russischer Angriffskrieg» und den Hinweis vermissen, dass mit genügend deutscher Panzern und Flugzeugen der Chor nicht mehr gesungen werde müsste…
Und die Breck-Story, frage ich, die sei ja echt witzig.
Ja, meint Horik, aber eben schon lange her, man müsse doch auch Leute unter 40 ansprechen, und für die sei «Bianca» eben keine Melodie mehr, die sie kennen.
Wobei «Bianca», so witzele ich weiter, eigentlich eine italienische Melodie sei, die dann von Tschaikowski verwurstelt wurde, und hier könne man doch über Ukraine – Va pensiero – Breck – Bianca – Tschaikowski – Russland wieder einen Riesenbogen basteln. Vielleicht noch den «Sir» Runnicles zusammen mit diversen Offizieren britischen Armee nennen, die auch diesen Titel haben.

Aber Horik ist nicht zu Spässen aufgelegt.
Er mault noch eine Weile und trollt sich dann seines Weges.
Ich denke selber noch lange über eine passende Ansage nach, bin dann aber zwei Tage später über Horiks Moderation echt erstaunt:

Es gibt überall Mobbing. Auch hier im Sender. Zum Beispiel ein so abgelutschtes Stück wie Va Pensiero aufs Programm zu setzen. Das ist Mobbing am Hörer. Und Mobbing am Mensch am Mikrofon, der nicht weiss, wie man den Mist ankündigt. Gut, hier also der Gefangenchor aus Nabucco, musiziert von Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Leitung von Donald Runnicles. ICH habe ihn nicht ausgesucht.

Ich treffe Horik drei Tage später. Es gab, so er, einen Riesenärger. Dann aber wurde wegen ganz, ganz, ganz, ganz vieler Zuschriften eine Kündigung ausgesprochen. Nein, nicht er. Der Musikredakteur, der die Auswahl trifft, muss seinen Hut nehmen.
Damit konnte man z.B. auch noch Dinge wie «Die Halle des Bergkönigs» verhindern.

P.S. Die drei ersten Ansage-Texte hatte Horik (wie ich merkte) aus dem Internet.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 4. Juli 2023

Entschuldigung, aber die Statussymbole...

Entschuldigen Sie, mein Herr. Excuse me, Sir. Sorry, Meneer. Scusa, Signore. Excusez-moi, Monsieur.
Ich weiss nicht, welche Sprache Sie sprechen, daher probiere ich es mal auf Deutsch.
Ich drängle mich sonst nicht so nah an Menschen vorbei, aber das musste jetzt sein, weil Sie sonst meine Statussymbole nicht bemerkt hätten.

Das Drängeln kam Ihnen deshalb komisch vor, weil in der Ersten Klasse eigentlich so viel Platz ist.
Die Erste Klasse war ja früher selber ein Statussymbol, das jetzt ja leider verkommen ist. Ja, in der guten alten Zeit vor 100 Jahren, da war die Bahnwelt noch in Ordnung. Die ganz Armen fuhren überhaupt nicht mit der Eisenbahn (wohin auch?), die untere Mittelschicht fuhr 3. Klasse (mit Holzsitzen), die obere Mittelschicht fuhr 2. Klasse und nur die wirklich Reichen fanden sich in der 1. Klasse ein.
Heute, wo Kreti und Pleti in den Waggons sitzt, ist selbst die Polsterklasse nicht mehr rein. Ich weiss, ich weiss, ich weiss, die CO2-Geschichte. Aber – nun mal ganz ehrlich gesprochen – die beste CO2-Ersparnis wäre doch, wenn die meisten Menschen zuhause bleiben würden, also vor allem die, die früher in der 3. Klasse gelandet wären.
Ist meine Meinung.

Entschuldigen Sie, mein Herr. Excuse me, Sir. Sorry, Meneer. Scusa, Signore. Excusez-moi, Monsieur.
Ich weiss nicht, welche Sprache Sie sprechen, daher probiere ich es mal auf Deutsch.
Ich drängle mich sonst nicht so nah an Menschen vorbei, aber das musste jetzt sein, weil Sie sonst meine Statussymbole nicht bemerkt hätten.

Sie haben sicher meine absolut perfekte Rasur bemerkt. Und Sie haben als Kenner sicher auch bemerkt, dass ich kein Nassrasierer bin. Eine solche Trockenrasurperfektion – das wissen Sie sicher – ist nur mit einem Tokoyondo XD-7654 zu erreichen. Wissen Sie doch, oder?
Der Tokoyondo XD-7654 ist mit seiner Hypertechnik und seinem stolzen Preis von 879,99 der absolute Rolls-Royce unter den Rasierern, mit einem Gillette® oder Braun® nicht zu vergleichen. Schon optisch nicht, aber um diesen Mega-Rasierer zu bewundern, müsste ich Sie in mein Badezimmer bitten – oder zu etwas, was den Besuch meines Badezimmers impliziert, aber das wird jetzt die totale Anmache, und so hübsch sind Sie auch nicht.

Excusez-moi, Monsieur.
Ich drängle mich sonst nicht so nah an Menschen vorbei. Aber es geht hier um Statussymbole.

Aber mein Parfüm müssen Sie doch auch riechen können, oder?
Wild Bossa Nova von Cantulli®, das ist übrigens gar nicht das teuerste Parfüm, das auf dem Markt ist. Ist natürlich ein Statussymbol, mit fast 400 Franken, ist aber im Vergleich zu Edeldüften, die in Flacons aus Diamanten und Gold kommen und damit von 100000 Dollar bis zu 1000000 Dollar reichen, eher ein Billigprodukt.
Riechen Sie die Noten von Minze, Lemon, Moschus, Oleander und Erdbeeren? Ja, das ist Wild Bossa Nova, der wohl originellste Duft von Cantulli®, jenem Mailänder Labels, bei dem auch der Florentinische, Römische und Neapolitanische Adel einkauft.

Sorry, Meneer. Ich habe mich wirklich in der leeren Ersten Klasse ziemlich an Sie rangequetscht, aber sonst hätten Sie meine Statussymbole nicht mitbekommen.

Haben Sie meine Brille bemerkt?
Nein? Du liebe Güte, wozu trage ich den eine? Denken Sie, ich hätte nicht schon an Augenlasern gedacht oder ich besässe keine Kontaktlinsen? Ich trage diese Brille, eine Bolvani Brillant®, weil sie ein Statussymbol ist, teuer wie ein Rennwagen, Gestell aus Platin, hyperentspiegelt, selbsttönend usw., eine Bolvani Brillant® wurde u.a. vom Hauptdarsteller in mehreren Bond-Filmen getragen.
Und meine Uhr bemerkten Sie auch nicht?
Und meine Krawatte?
Mein Jackett?

Excuse me, Sir. Aber ich muss mich so wüst an Ihnen vorbeidrängeln. Scusa, Signore. Aber sonst würden meine Statussymbole nicht bemerkt.

Ach…
Sie sagen, statt mich an Menschen in der leeren Ersten Klasse heranzuschubsen sollte ich meine Statussymbole einfach im Internet posten? Ein Foto von meinem Rolls-Royce-Rasierer? Vom 400 Franken teuren Flakon? Von meiner Brille? Von meinem Anzug und von meiner Uhr? So macht man das heute? Und ich könnte sogar meine Statussymbole zeigen, die Sie hier gar nicht mitbekommen? Meine 5 Millionen-Villa mit Tenniscourt, Pool und Park? Meinen Rennwagen?

Entschuldigen Sie, mein Herr. Excuse me, Sir. Sorry, Meneer. Scusa, Signore. Excusez-moi, Monsieur.
Ich weiss gar nicht, wie das geht. Ich bin ein Kind des 20. Jahrhunderts, immer noch. Sie werden es mir zeigen? Im Gegenzug nehme ich einen Abstand von 2 Metern ein – weil sie Wild Bossa Nova® nicht mehr vertragen?
Deal.

Ich weiss immer noch nicht, welche Sprache Sie eigentlich sprechen, aber:
Danke, Mein Herr.
Thank you, Sir.
Dank u wel, Meneer.
Merci, Monsieur.
Mille Grazie, Signore.