Immer wenn ich am Morgen die Treppe zu Gleis 10 hinuntersprinte und versuche, mir einen Platz im Zug zu sichern, stelle ich fest, dass die Abteile, die sich vor Abfahrt des Zuges an der Treppe befinden, schon relativ voll sind. Ich muss immer ein wenig durch den Zug laufen, um leere Plätze zu finden.
Ist das normal?
Ein Forscherteam hat sich nun der Sache angenommen. Rund um den Ordinarius für Verkehrsplanung der Universität Erlangen, Prof. Dr. Dr. Hartmut Schöller, hat eine Gruppe von Assistenten, Dozenten, Doktoranden und Diplomanden eine Studie erstellt. Die 700 Seite starke und 3000000 Euro teure Schrift sagt nun ganz klar, dass Passagiere, wenn sie eine Treppe hinunterlaufen, eher sofort in den Zug steigen und dort Abteile belegen, als dass sie noch am Zug entlanggehen.
Für die Studie wurden 70 Tage lang 50 Bahnhöfe beobachtet und dort ca. 10000 Reisende befragt.
Das ist natürlich erfunden und totaler Blödsinn.
Aber gehen wir einmal auf die Metaebene.
Nein, keine Angst, die Metaebene ist nichts Schlimmes, das ist keine Wildnis mit Schlangen oder so eine Hochebene in 6000 Meter Höhe, auch keine Schneewüste oder ein Hitzeplateau, «auf die Metaebene gehen» heisst, wir schauen uns selber beim Diskutieren und Denken zu. Das ist so, wie wenn man aufgrund eines guten Joints sich selbst im Liegestuhl sitzen sieht. Von oben. Nur eben ohne Joint.
Also auf der Metaebene: Sie haben das geglaubt – oder fast geglaubt. Warum haben Sie das geglaubt?
Antwort: Weil diese Studie die 3 Kriterien erfüllt, die für solche Schriften gelten:
Erstens
Sie müssen möglichst teuer und aufwändig sein.
Der Leiter muss auf jeden Fall ein Lehrstuhlinhaber sein, es müssen in der Liste möglichst viele Doktortitel auftauchen und für Hilfsarbeiten werden nur, ausschliesslich und absolut notwendigerweise Menschen im Hauptstudium verwendet. Der Arbeitslose von der Strasse könnte sich ja verzählen oder zwei Daten verwechseln.
Zweitens
Sie müssen das als Ergebnis vorweisen, was jedes Kind schon weiss – oder was so einleuchtend und klar ist, dass niemand daran zweifeln würde. Wenn dann Otto Normalverbraucher oder Ottilie Normalverbraucherin aufmuckt und meint, das sei doch alles völlig klar, ja dann wird die Wissenschafts-Keule herausgeholt und geschrien: «Ja, aber jetzt können wir es endlich wissenschaftlich belegen!»
Drittens
Das Ergebnis muss einen Sachverhalt zeigen, der keinerlei Konsequenzen nach sich zieht und einen Missstand benennen, für den man keine Abhilfe schaffen kann.
Auf unseren fiktiven Fall bezogen hiesse das:
Der Aufwand war riesig, rechnet man pro Bahnhof 3 – 4 wissenschaftliche Mitarbeiter, dann wurden nach Adam Riese zwischen 84000 und 112000 Arbeitsstunden aufgeschrieben (Bahnhöfe mal Tage mal Acht mal Anzahl der Mitarbeiter).
Das Ergebnis ist so klar, dass man schreien könnte: Menschen kommen die Treppe herab und steigen in den Zug, daher füllen sich die Abteile von dort her.
Abhilfe gibt es keine, entweder müsste zu jedem Zugteil eine Treppe führen, oder der Zug müsste ständig seine Position wechseln.
Aber das ist nun leider nicht nur bei fiktiven Beispielen so.
Ich gebe bei Google «Handynutzung Kinder» in die Suchmaschine ein und stosse auf das Ergebnis mehrerer Studien (mehrerer! mehrerer! mehrerer!): Schon Kleinkinder nutzen das Smartphone – und: die Nutzungszeit nimmt mit dem Alter zu. Hätten Sie nicht gedacht, gell? Ich dachte auch immer, dass 15jährige weniger am Handy sind als 5jährige…
Ich erinnere mich an ein Lumpenlied aus Pfadi-Zeiten, das immer noch aktuell scheint:
Die Wissenschaft hat festgestellt, festgestellt, festgestellt
Dass Marmelade Fett enthält, Fett enthält.
Drum Essen wir auf jeder Reise, jeder Reise, jeder Reise
Marmelade eimerweise, eimerweise.
(es folgen beliebig viele Strophen mit anderen Substanzen…)
Immer wenn ich am Morgen die Treppe zu Gleis 10 hinuntersprinte und mir versuche, einen Platz im Zug zu sichern, stelle ich fest, dass die Abteile, die sich vor Abfahrt des Zuges an der Treppe befinden, schon relativ voll sind. Ich muss immer ein wenig durch den Zug laufen, um leere Plätze zu finden.
Und das ist ein völlig logischer Sachverhalt.