Freitag, 30. Mai 2014

Ehret die Populisten, sie haben es schwer!


Ein Rechtsruck bei den Europawahlen.

Überall in den europäischen Staaten sind auf einmal Parteien aus den Löchern gekrochen, von denen wir vorher noch nie etwas gehört hatten. Sie tragen so schöne Namen wie „Eigentliches Belgien“, „Sauberes Luxemburg“, „Hoch die Niederlande“  „P(r)olonia“,  und „Daenland daen Daenen“ und haben bis zu einem Viertel der Stimmen errungen. Manche sind so europakritisch, dass man sich fragt, was sie in einem Europaparlament überhaupt machen, aber da man sich seit Jahren ja auch fragt, was das Europaparlament überhaupt macht, ist das nicht so schlimm. 

Überhaupt:
Ehret die Populisten.
Sie arbeiten viel und haben einen verdammt harten Job.

Ich meine, wie anstrengend ist das denn, ständig beim Volk zu sein?
Der Populist schaut dem Volk aufs Maul, aber doch nicht nur in Zahnpasta-Reklame-Mäuler,  in wie viele hässliche, stinkende Münder mit wackligen Zähnen und klappernden Gebissen muss er da auch schauen? Er hört Volkes Stimme, aber das ist nicht immer ein Wohlklang, wie viele kreischende und brüllende, wie viel terzentremoliende oder bassgrummeldröhnende Organe erreichen da sein armes Ohr? Er muss am Puls der Massen sein, aber das ist kein leises Ticken, das stöhnt und stampft und tritt und marschiert, dass die eigenen morschen Knochen zu wackeln und zu zittern anfangen.

Es ist so verdammt anstrengend, immer wissen zu müssen, was das Volk hören will, um ihm das dann zu sagen.

Der Populist hat einen Terminkalender, der vor den Wahlen dermassen überquillt, dass er sich sehnt, endlich ins Parlament zu kommen und dort dem gepflegten Dolcefarniente zu frönen, vor allem in Strassburg, weil ja eh keiner mitbekommt, ob da überhaupt getagt wird.

Wollen Sie einen Auszug? Bitte sehr:
Der 4.3.2014 von Francois Gubler (FN Alsace)

8.00       Frühstück des Frauenvereins in Gebschwiler
11.00     Frühschoppen in Stupswiler
15.00     Versammlung der Jäger in Tuschwiler
18.00     Stammtisch in Lalingue
20.00     Stammtisch in Muerdingen

Und das ist nur ein Tag!!! Der Populist springt von Stammtisch zu Stammtisch, von Frühschoppen zu Frühschoppen, um ja keine Stammtischparole, kein Stammtischgerede, um ja keine Frühschoppenidee, kein Frühschoppengedankengut auszulassen. Der Populist kennt die Mehrzweckhallen seines Bezirkes so gut wie alle Beizen, und das sind viele, viele…

Parteien wie „Eigentliches Belgien“, „Sauberes Luxemburg“, „Hoch die Niederlande“  „P(r)olonia“,  und „Daenland daen Daenen“ sind daher dazu übergegangen, zusammen mit dem Mitgliedsantrag einen Bluttest zu verlangen, denn ein Populist braucht eine stramme Leber. Er muss nicht nur flink wie ein Windhund, zäh wie Leder und hart wie Stahl, sondern auch trinkfest wie ein Schwamm sein.

Zu diesem allen kommt aber noch eine Sache hinzu, die das Leben eines Gubler so verdammt hart macht: Er muss ständig so tun, als ob er ein Stammtischbruder wäre.
Denn er hört zwar die Leute über zu hohe Steuern und zu tiefe Renten und die vielen Ausländer klagen, und muss nicken und signalisieren, dass er versteht, dabei darf aber keiner merken, dass Gubler selbst keine finanziellen Sorgen hat, in einem ausländerfreien Banlieue wohnt und einen sicheren Job hat. Diese Verstellung ist auch anstrengend, weiss der Himmel.
 
Nein, die Leute von „Eigentliches Belgien“, „Sauberes Luxemburg“, „Hoch die Niederlande“,
 „P(r)olonia“,  und „Daenland daen Daenen“, die ständig auf der Jagd nach dem aktuellen Stammtischgerede, nach dem aktuellen Frühschoppengedankengut, nach der der aktuellen Mehrzweckhallenmeinung sind, haben ein schweres Leben.
Sie haben unseren höchsten Respekt verdient.
 

 

Montag, 26. Mai 2014

Hello, Mr. Rich oder: Luxusweibchen, Toyboys und Sugardaddies

Es gibt nicht nur bedrohte Tierarten wie das Hebräische Baumkänguru oder die Philippinische Muschelkröte, es gibt nicht nur gefährdete Pflanzenarten, Gebäude, Stadtbilder, es gibt nicht nur bald aussterbende Sprachen und Sitten, es gibt auch bedrohte Menschentypen.
Wo sind denn noch die echten Machos, die mit ihrem Porsche durch die Strassen kurven, die Marlboro lässig aus dem Fenster gehalten, behaarte Brust und Goldkettchen, die jedem Rock hinterherpfeifen und jeden Kellnerinnenhintern begrapschen?
Wo sind sie denn, die Altlinken, die mit Rauschebart und Pfeife im Mund in den Hinterzimmern der Studentenkneipen sitzen, die ihren Marx gelesen haben und mit ihm belegen können, dass die Ukrainer eben Nazis sind und daher Russland aus der Leninistischen Logik heraus Recht hat?
Wo sind sie denn, die Spiris im wallenden Indienkleid? Wo sind sie denn, die Punker mit Ratte an der Lederjacke und Sicherheitsnadel auf der Schulter (oder umgekehrt)? Und last but not least: Wo sind die echten Beamten geblieben, die sich noch nicht um Bürgerklienten kümmern mussten, sondern um das Entscheidende: Ihren Schreibtisch (8.00-8.15: Bleistiftspitzen, 8.15-8.30: Radiergummi bereit legen usw.)?

So ist es gut und richtig, dass man sich auch um gefährdete Menschentypen kümmert. Die Millionärsgattin und Society-Lady Irina Beller will eine sehr interessante und farbige Spezies vor dem Aussterben bewahren:
Das Luxusweibchen.
Frauen sollten nicht arbeiten, schreibt Beller in ihrem Buch „Hello, Mr. Rich“, Frauen sollten sich bemühen, einen reichen Mann zu finden. – Nee, Leute, das ist kein Witz, ich erfinde das nicht! – In ihrem Ratgeber gibt Frau Beller nun Tipps und Tricks bekannt, plaudert aus dem Nähkästlein, schreibt über den Alltag und die Sorgen einer Frau, die es geschafft hat.

Abgesehen davon, dass die Sache einen entscheidenden Haken hat – wenn zu viele Frauen das Buch lesen, gibt es einfach zu wenig Reiche, das ist wie die Euromillionenzahlen rauskriegen und dann auf Facebook posten und die 1 000 000 Follower kriegen dann ein paar Franken – mich ärgert die Einseitigkeit des Buches. Woher nimmt Irina die Frechheit, dass es nur so funktionieren kann: Reicher Mann und Luxusweibchen, er die Kohle, sie das Shopping? Es gibt doch noch so viele andere Modelle, die hier aussen vor bleiben.

Oh, nein! Damit meine ich natürlich nicht eine „gleichberechtigte Partnerschaft“ von zwei Leuten, die beide Job und Lohn haben, so was – das hat die Vergangenheit gezeigt – ist zum Scheitern verurteilt. Aber es geht doch auch umgekehrt:
Sie ist eine Topmanagerin und hat einen 40 Jahre jüngeren, absolut blendend aussehenden Mann. Im Gegensatz zum Luxusweibchen ist der Toyboy auch viel leichter in der Haltung. Er braucht kein Gucci und Versace und Schmuck und Perlen und Handtäschchen, er braucht ein paar Sportklamotten und EINEN Anzug, wenn man doch mal essen geht (im Sommer trägt er eh nur den ganzen Tag Badehose). Der Toyboy benötigt einen Fernseher und eine Xbox, ausserdem sollte der Kühlschrank gefüllt sein (mit Bier). Die einzige weitere Investition sind Abos für Fitnessstudio und Solarium, denn schliesslich soll ja, wenn man von einem harten Arbeitstag bei der DROHAMAG heimkommt, etwas Athletisches, Adonishaftes, Bronzefarbenes am Pool liegen und nicht etwas Weisses, Schwabbeliges.
Genauso gut funktioniert auch die gleichgeschlechtliche Variante:
Der Sugardaddy lässt einen Lustknaben bei sich wohnen und bezahlt, was er so braucht – im Gegensatz zum Toyboy KÖNNTE hier auch wieder Fashion ins Spiel kommen, vor allem aber haufenweise Kosmetik – und der junge Mann gibt das, was er geben kann: Puren, reinen Sex.
Bei den Lesben heisst die Variante…
Moment mal! Gibt es die überhaupt? Ich habe noch nie davon gehört… Ich glaube, Lesben probieren es noch immer mit dem Katastrophenmodell „Gleichberechtigte Partnerschaft“, aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.
In einem Punkt hat Frau Beller allerdings absolut Recht: Eine Partnerschaft  braucht gemeinsame Basis.
„Wir haben beide die gleichen Interessen. Mein Mann liebt mich und ich liebe mich auch.“
Schöner kann man es nicht sagen.

Donnerstag, 22. Mai 2014

Rechts stehen - links gehen

Rechts stehen – links gehen.

Die SBB hat alles probiert.

Rechts stehen – links gehen.

Sie hat die Handläufe der Rolltreppen grün und rot einfärben lassen, hat grüne und rote Bänder auf den schwarzen Gummi geklebt, in Bern liess sie sogar vom örtlichen Strickclub lange Schläuche in diesen Farben erstricken, in Genf wurde gehäkelt und in Zürich von der Spielgruppe „Kleine Monster“ mit Fingerfarben hantiert.

Rechts stehen – links gehen.

Sie hatte den 4.September 2013 zum Tag der Rolltreppe erklärt, bei dem in Basel bei einer grossen Show auf der Passarelle für das Konzept geworben wurde, einer der Hauptacts war der Auftritt der Teenieband SMART, die sechs Jungs gaben hinreissend in hautengen roten und grünen T-Shirts ein Jessie-Cover zum Besten:
Everybody walks on the left.
Everybody stands on the right.
Can you feel it?
We do it for you this night.

Rechts stehen – links gehen.
Die SBB hat alles probiert.

Sie hat Zettel verteilt, die mit Fotos, auf denen glückliche Leute lächelnd in der Schlange stehen und von glücklichen Leuten links überholt werden, geworben. Zu jedem Flyer bekam man noch links- und rechtsdrehende Kekse.

Rechts stehen – links gehen.

Die SBB hat einen Werbefilm gedreht, in dem die gleichen Animationsfiguren, die uns im Flugzeug zeigen, wo das Gepäck hinkommt und wie der Sicherheitsgurt funktioniert, uns in ihrem wippend-tuntenhaften Gang vormachen, wie man eine Rolltreppe nimmt.

Rechts stehen – links gehen.
Die SBB hat alles probiert.
Und es hat nix gebracht.

Immer noch pflanzen sich die Menschen auf die linke Spur, lassen den rasenden Manager mit Aktentasche und Coffee to go erst einmal warten, immer noch befinden sich Seesäcke, Skier, Koffer, Möbelstücke, befinden sich Haustierboxen und Velos dort, wo man eigentlich vorbei will. Immer noch müssen Omas wie Teenager zu zweit nebeneinander stehen, weil man sich ja so viel zu sagen hat, und die Fahrt vom Dreiländereck ins Engadin sicher nicht reichen wird. Immer noch werden verschiedene Taktiken ausprobiert, sich die linke Seite freizukämpfen, da räuspern sich einige laut, da schreien manche: „Rächts stoo – linggs goo“, da werden aber auch Menschen einfach zur Seite gedrängt, da wird gestossen, getreten und auch mal ein Regenschirm als Waffe eingesetzt.

Warum kriegen die Schweizer das nicht hin? Warum funktioniert das, was in London, Paris oder Madrid möglich ist, in Zürich und Genf nicht? In einem Land, das alles hinbekommt? Das die einzige funktionierende Demokratie hat, das stattlich und wohlhabend ist? In einem Land, das sich zu allem neutral verhält, aber dennoch ein wichtiger Partner aller ist? In einem Land, das die Kräuterbonbons UND die Aliens erfunden hat?

Vielleicht, weil es der Schweizer Gemütlichkeit, der sprichwörtlichen Ruhe und Besonnenheit so zuwider läuft. Wir hetzen den ganzen Tag, müssen wir jetzt auch noch die Rolltreppe im Sturmlauf hoch? Und bringt das Errennen der Rolltreppe wirklich so viel Zeitersparnis?
Wir machen den Test: Auf der Rolltreppe, die im Bahnhof Basel SBB die Schalterhalle mit der Passarelle verbindet, braucht es stehend 54,67 Sekunden. Für das Laufen machen wir drei Proben: Erster Versuch 12,56 s, zweiter 15,98 s und dritter 13,44 s. Das ergibt einen Mittelwert von 13.9933333 und eine durchschnittliche Zeitersparnis von 40,6766667 Sekunden. Mal ganz ehrlich: Wer diese Zeit braucht, um seinen Zug noch zu erreichen, hat ein Problem. Er sollte sich überlegen, ob es nicht vernünftiger wäre, ein bisschen früher am Bahnhof zu sein. Natürlich ist die Ersparnis gefühlt viel höher, aber 40 Sekunden können wir uns schon Zeit nehmen.

Und so gilt ab heute die neue Kampagne der SBB:
Slow down your life:
Rechts stehen – und links auch.
Mal sehen, ob es dennoch einen Tag der Rolltreppe gibt und ob die Jungs wieder singen, diesmal mit verändertem Text.

Dienstag, 20. Mai 2014

Schöne neue (????) digitale Welt


Mischa sitzt mit seinem Tablet im Klassenzimmer und schiebt wie wild Karten auf seinem Bildschirm hin und her. „Kennen Sie das?“, fragt er, als er sieht, dass ich ihm von hinten über die Schulter schaue. „8x8“, entgegne ich, „man muss die Asse freispielen und dann darauf aufbauen, darf aber nur Karten umlegen, die unten an die Kolonnen passen. Zweimal darf der Stapel durchforstet werden.“ „Ich denke, Sie machen keine Computerspiele?“ „Junger Mann“, grinse ich, „ich habe dieses Ding schon gelegt, da warst du noch nicht einmal in Planung. Unter anderem entsinne ich mich, dass ich 8x8 mal einen Tag lang am Strand von Cannes gespielt habe, am Tramperstrand wohlgemerkt, auf einem Badetuch, das war 1982.“ „Und wie?“ „Mit Karten, mein Sohn, mit Karten, ich hatte ein Mini-Canasta-Blatt immer im Rucksack.“ Als Mischa mich ungläubig anglotzt, lege ich noch einen drauf: „Meinst du, ihr Digital Natives habt irgendwas Neues entwickelt? Ihr bildet die Welt ab, die es gab, nur geschickter, schneller und besser.“

Mischa speichert und schliesst 8x8, dann schiesst er kurz ein Foto von mir. „Jetzt gucken Sie mal her!“ Er nimmt das Bild und fängt an mein Konterfei zu verzerren. Meine Nase wandert unters Kinn, mein Mund zieht sich zu den Ohren und meine Augen erscheinen eines frontal und eines seitlich. „Na?“ Mischa hält mir mein Porträt vors Gesicht. „Kubismus“, konstatiere ich, „Kunstrichtung der 20er Jahre, Picasso, Braque, solltest du in Kunstgeschichte eigentlich schon gelernt haben. Die haben genauso Bilder gemacht, daher kommt die Idee. Und komm mir jetzt bitte, bitte nicht mit einem Selfie. Das Selbstporträt ist so alt wie die Malerei, nein, falsch, seit es Spiegel gibt.“

Mischa schliesst sein Verzerrungsprogramm und geht zu WIKIPEDIA. Als er mit seinem Pfeil auf das Zufallsprogramm fahren will, fange ich an zu lachen: „Aber das blöde Zufallsteil ist doch gerade deshalb dabei, weil die Leute es vermisst haben, dass sie das Lexikon drei Seiten zu weit vorne aufschlugen und sich beim Weiterblättern irgendwo festlasen. Wenn sie nach zwei Stunden den Brockhaus zumachten, hatten sie vergessen, was sie eigentlich wollten, aber eine Menge gelernt.“

„Gibt es gar nichts Neues?“, seufzt Mischa resigniert.
Ich glaube nicht. Man hat ja auch ganz bewusst die Bezeichnungen der alten Sachen übernommen, Schreibtisch, Ordner, usw., damit die Leute sich gleich wohlfühlen. Irgendwann werden die Ursprungsdinge verschwunden sein, und man wird gar nicht mehr wissen, warum eine Sache auf dem Computer so und so heisst. Werden die Kids in dreissig Jahren noch wissen, warum es „Diaschau“ heisst? Werden sie denken, das heisst „die A-Schau“ oder es von „sieh an“ ableiten, wenn es gar keine Dias mehr gibt? Werden sie noch wissen, warum bei Powerpoint „Folien“ gemacht werden, wenn die Hellraumprojektoren ausgestorben sein werden?

Manchmal weiss ich ja schon selbst nicht mehr, wie etwas früher hiess oder funktionierte. Wie hat man eigentlich früher Kaffee gemacht? Wie hat man kommuniziert ohne E-Mail? Wie hat man Musik gehört? Wie kam man an Reiseinformationen?
Fakt ist, dass es Kaffee, Kommunikation, Tonträger und im Voraus gebuchte Reisen schon gab.
Das hat das 21. Jahrhundert nicht erfunden.
Das müssen sich die Youngsters gar nicht einbilden.
Mischa also…

Ach so, hier noch die Auflösung für unsere ganz jungen Leser:
Kaffee hat man mit Kaffeefilter, Filterpapier und Pulver gemacht. War klasse, wenn man dagegen stiess, in Hall haben wir mal eine Stunde die Küche geputzt.
Briefe durften damals noch von Privatpersonen und nicht nur von  Spendenbettlern und Werbern verschickt werden.
Musik kam von Kassetten, und trotz der ca. 100 Stunden meines Lebens, die ich mit Wiederaufwickeln verbracht habe: Wer von den Kiddies wird sich noch erinnern, wer ihm welches mp3 geschickt hat? Ich kann mich noch an Kassetten erinnern und wer sie mir aufgenommen hat, z.B. an einen Mix, der genial geschnitten war, da kamen, als Ellas „Where is the man for me…? verklungen war, direkt die Herren in der Badewanne. (Gruss nach Augsburg)
Reiseprospekte bestellte man der Tourist-Information. (Adresse war im Reiseführer.)

Mischa also schaut mich traurig an: „Nichts Neues?“ „Nichts Neues unter der Sonne“, antworte ich, „sagt schon der Kohelet. Nicht mal das Mobbing habt ihr erfunden, das habt ihr mit Cybermobbing auch nur verfeinert.“ „Nichts Neues“, seufzt der junge Mann und schliesst sein Tablet.
Aber ich weiss, was ich heute Abend machen werde: 8x8 legen an meinem neuen Esstisch. Mit echten Karten, die man anfassen kann. Ich glaube, ich habe sogar noch das alte, fettige, speckige Spiel, das schon mit bei InterRail war.

Donnerstag, 15. Mai 2014

JA und NEIN-Parolen für Sonntag

Hier kommen sie, meine Parolen für den 18.5.:

GRIPEN: ein klares JA

Die Russen fliegen überall mit ihren verdammten Flugzeugen herum und die Schweiz soll keine Möglichkeit haben, die Saukerle aus der Luft zu holen? Was tun wir denn, wenn die Sowjets auf einmal über der Limmat kreisen? Gut, sie müssen auf dem Weg zum Matterhorn irgendwie durch NATO-Gebiet, aber seit wann verlassen wir uns denn auf die NATO? Das sind doch alles Schlappschwänze, die haben doch nix in der Hose, Weicheier allesamt. Nein, nein, selbst wenn alle Italiener, Franzosen und Deutsche schlafen: Im Rhonetal ist Ende für die Iwans. Dazu brauchen wir Kampfjets.

MINDESTLOHN: Ein klares NEIN

1000.- im Monat spornen an, spornen an, sich weiterzubilden, zu kämpfen, nach oben zu streben, der Frosch, der im Milchfass strampelt und nicht ertrinkt, weil es Butter wird. Welcher Tellerwäscher wäre Millionär geworden, wenn er als Tellerwäscher zu viel verdient hätte? Ist es nicht ein herrliches Gefühl, irgendwann auf der Terrasse einer 65 Zimmer-Villa mit Blick auf den Lago Maggiore zu sitzen und bei einem Sundowner dem Partner zu sagen: „Weisst du noch, unsere kalte Mansarde in Bern, wo wir wochenlang nur Tütensuppen assen? Das waren noch Zeiten.“

PÄDOPHILE: Ein klares NEIN

Man denke hier doch nur mal an die Sportclubs. Wenn verurteilte Pädophile nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen, müssten die Vereine von allen Trainern einen Strafregisterauszug haben. Der Turnverband dazu: „Ein beträchtlicher Mehraufwand.“ Ausserdem: Können wir überhaupt noch so heikel sein? Wir finden doch bald eh niemand mehr, der mit den kleinen, wilden, unerzogenen Monstern arbeiten will.


HAUSÄRZTE: Ein klares NEIN

Wir brauchen eh keine Ärzte mehr. Es gibt das Internet, meine Diagnose stelle ich selber, laufe in die Klinik, wo ich mich selbst an einen Apparat anschliessen kann. Blutabnehmen? Heimarbeit, ins Labor schicken kann ich das auch und die Analyse kommt per SMS. Hautausschlag? Foto machen, per E-Mail schicken, das Programm dort wertet aus und sendet gleich eine Salbe. Das Programm sitzt natürlich bei Novartis oder Roche, was haben Sie denn gedacht?

ERLENMATT-TRAM: Ein klares NEIN

Die Strecke soll ja nur der Anfang eines Riesenausbaus des Tramnetzes sein. Und da heisst es: Wehret den Anfängen. Tramschienen sind absolut unästhetisch, sie sind eine Todesfalle für Velofahrer und sie sind permanent dreckig. Haben Sie mal in so eine Schiene hineingeschaut? Da graust es Ihnen! Seit dem man vor Jahrzehnten den Beruf des „Ritzenschiebers“ abgeschafft hat, werden doch nirgendwo die Gleise richtig gepflegt. Da gammelt der Müll herum und lockt die Ratten an. Nein, Strasse ist besser als Schiene, die kann man wenigstens putzen.

RHEINPROMENADE: Ein klares JA

Grossbasel braucht seinen Uferweg, seine Sonnenzone, seine Riviera. Sonst kommen die nämlich immer ins Kleinbasel rüber und strecken ihre hässlichen Körper vor dem Hotel Krafft in die Sonne. Und wer sich jetzt wundert, das habe bei mir vor vier Monaten ganz anders geklungen, der oder dem muss ich sagen, ich hielte es mit Konrad Adenauer:
Was geht mich mein dummes Gerede von vorgestern an.

Dienstag, 13. Mai 2014

Die Lese-App



Original, fahr hin deiner Pracht!
Wer kann was Kluges, wer was Dummes denken,
Das nicht die Vorwelt schon gedacht.

Nein, Mephi, das ist nicht ganz richtig so.
Es müsste heissen:

Glosse, fahr hin in deiner Pracht!
Man kann noch was Blödes schreiben,
Die Umwelt hat es schon gemacht.

Die Lese-App!
Die Lese-App!
Das sollte doch ein dummer Scherz sein. Jetzt habe ich aber am Samstag in SWR2/Wissen einen Beitrag über QS (Quantified Self) gehört, in dem eine junge Engländerin über ihre Lese-App berichtete. Sie trägt alle gelesenen Bücher ein und die App überprüft, wertet aus, macht Internetrecherche,  gibt weitere Lesetipps usw. Sie sei, so sagte die Lady, immer der Meinung gewesen, sie lese Bücher von sowohl männlichen als auch weiblichen Autoren/Autorinnen und auch die Helden der Bücher seien zur Hälfte auch HeldINNEN. Jetzt habe aber die App ihr gezeigt, dass sie vor allem Bücher von „male authors with male heroes“ konsumiere.

Meine Güte. Ehrlich gesagt, ich hätte das auch ohne App rausgekriegt. Normalerweise gibt es eine Klappe, auf der der Autor/die Autorin kurz vorgestellt wird. Da finde ich die folgenden Informationen:

1 Vorname
2   Bild (nicht immer)
3   Personalpronomen im Text

Das reicht meistens schon. Gut, nehmen wir an, die Person, die das Buch verfasst hat, hat so einen blöden Vornamen wie Roxer. Oder Bilbi. Oder Tzshfru. Oder Andrea, das ist nämlich im Italienischen ein Männername, das wird übrigens ganz witzig, wenn eine Andrea einen Italiener heiratet, der dann seiner Verwandtschaft tausendmal erklären muss, dass er NICHT das Ufer gewechselt hat.
Wenn also der Name nicht identifizierbar ist, dann haben wir vielleicht ein Foto. Da kann man ja auch gelegentlich sehen, ob Männlein oder Weiblein. Es sei denn, wir sehen eine Frau mit Bart im langen Abendkleid.
(Kleiner Exkurs: Ich habe mich schlappgelacht, dass ein PR-Profi geäussert hat, die Conchita Wurst sei „erfrischend authentisch“, ein ganz neuer Begriff von Echtheit. Oder sind inzwischen nur noch die Kunstfiguren echt?)
Gut, wenn also Roxer Bart und Wimperntusche hat, wenn Bilbi Schnauz und Bluse aufweist, wenn Tzhfru eine behaarte Männerbrust durchscheinen lässt, aber Lippenstift aufgemalt hat, dann hilft uns eventuell das Personalpronomen.
(Für meine Leser, die sich mit Deutsch nicht so gut auskennen: ich/du/er/sie/es/wir/ihr/sie)
Wenn dann da also steht:
Seit 2004 lebt sie mit einer Katze und zwei Hunden auf einem Bauernhof bei Bremen.
Dann ist das eine Frau, klar?

Ein ganz kurzer Text, ein sogenannter Kurzklappentext, könnte jetzt wirklich kein solches Pronomen aufweisen, aber wie steht es mit dem ganzen Buch? Kann man ein Buch durchlesen ohne zu merken, ob es eine Heldin oder ein Held ist? Selbst wenn es ein Ich-Erzähler ist, wird der nicht irgendwann angesprochen? Kommt man auf 350 Seiten ohne Namen aus?
Und wenn die redende Person auf 350 Seiten nur durch den Dschungel robbt und die einzigen anderen Figuren Schlangen, Affen und Kolibris sind (ein sauspannendes Buch wäre das), wie findet dann meine App das raus? Fragt sie den Autor/die Autorin über Facebook an, was man sich bei der Titelfigur gedacht hat?

Nein, gute Frau, es würde genügen, die Bücher in ein kleines Büchlein, ein sogenanntes Bücher-Büchlein zu notieren. Wenn du ganz chic sein willst, kannst du dir so ein Schon-Hemmingway-Hat-So-Ein-Ding-Benutzt-Notizbuch für ca. 50 Franken kaufen, aber es geht auch mit einem von ALDI.
Denn Vorsicht!
Deine Lesegewohnheiten sind auch ein Datenpaket und du musst dich nicht wundern, wenn dauernd Werbung für Romane VON Frauen ÜBER Frauen dir ins Haus flattern.

Ich aber gehe beschwingt in den Tag, mit dem guten Gefühl, dass, egal was ich mir auch noch so Schwachsinniges ausdenke, es garantiert schon irgendwo gemacht wird.

P.S. Bitte lesen Sie auch unbedingt den reizenden Kommentar von Josi!

Freitag, 9. Mai 2014

Mein in Zahlen gepresstes Ich

Haben Sie gestern Sport gemacht?
Ja?
Ach, Sie sind gestern geschwommen, genau wie ich. Welche Strecke? 1 km, gut, das ist anständig. Wie lange haben Sie dafür gebraucht? 20 Minuten, das ist ziemlich schnell, auf jeden Fall akzeptabel. Aber wissen Sie auch, wie viele korrekte Beinschläge Sie gemacht haben? Wie viele im richtigen Winkel nach hinten gezogene Armschläge? Wie viel Meter Sie bei der Wende gewonnen haben? Nein? Dann wissen Sie eigentlich gar nichts, übrigens genau wie ich, ich weiss das auch nicht, ich fühle mich nach einem Schwumm - oh gesegnetes Schweizerdeutsch, das du für mein Hobby ein Nomen hast! - einfach gut, aber das genügt natürlich nicht für ein optimiertes Leben.
Wir bräuchten Q.S.
Haben Sie sich gestern gesund ernährt? Was haben Sie gegessen? Na, kommen Sie, seien Sie nicht so schüchtern! Zum Frühstück Müsli? Gut. Zum Lunch ein Putensandwich? Noch besser. Am Abend Fisch mit Blechkartoffeln und Salat? Sie sind doch ziemlich grossartig. Aber:
Wie viele Kalorien haben Sie in Ihren Organismus gepumpt?
Wie viele Nährstoffe? Wie viel Vitamin A, B, C, X13, V14 und Z20? Wie viele rechts- und linksspiralige Schalsäuren? Und wie viele vierfachgesättigte Furmsäuren, die ja bekanntlich für den korrekten Herzrhythmus zuständig sind?
Sehen Sie, Sie haben keine Ahnung. Ich auch nicht, bei mir gab es Spargel, Kartoffeln, Schinken und eine leichte Sauce, aber wie viel vierfachgesättigte Furmsäure ich in meine Adern blies, weiss ich auch nicht.

Wir bräuchten Q.S. - The Quantified Self

 „The Quantified Self“ ist ein Netzwerk aus Anwendern und Anbietern von Methoden sowie Hard- und Softwarelösungen, mit deren Hilfe sie z.B. umwelt- und personenbezogene Daten aufzeichnen, analysieren und auswerten. Ein zentrales Ziel stellt dabei der Erkenntnisgewinn u.a. zu persönlichen, gesundheitlich- und sportlichen, aber auch gewohnheitsspezifischen Fragestellungen dar. (so Wikipedia)

Also lassen Sie uns morgen loslegen.
Sie haben keine Lust?
Ich bitte Sie, wir können doch nicht ewig so weiterwursteln.
Eine App mit Nahrungsrechner gibt es gratis, wir müssen da nur "500g Pellkartoffeln" eintippen, den Rest macht die Software.
Einen Schrittzähler werfen einem die Sportgeschäfte ja fast nach, einen Pulsmesser und ein Blutdruckmessgerät zahlt uns, wenn wir Glück haben, die Kasse.
Schwieriger wird es mit dem Arm- und Beinschlagaufzeichner, denn diese Teile sollten ja, wenn es sie überhaupt gibt, wasserfest sein. Aber dafür vernetzen wir uns ja: Irgendwer auf der Welt weiss da sicher weiter. Und ich freue mich schon drauf, nicht nur in Badehose, Badekappe und mit Schwimmbrille, sondern mit vier um meine muskelbepacken Oberarme und Schenkel geschnallten Bändern im Joggeli zum Becken zu tappen, und jeder wird sehen: Hier kommt kein Plantscher! Hier kommt jemand, der die Sache ernt nimmt.

Sie wollen immer noch nicht?
Sie haben noch nicht begriffen, um was es geht?
Selbstoptimierung. Was wir machen, sollte perfekt sein. Unsere Zeit soll optimal genutzt sein. Unsere Nahrung sollte die perfekte Zusammenstellung von Nährstoffen sein. Sport hat aufgehört frisch, fromm, fröhlich und frei zu sein, Sport soll effektiv, energetisch, elaboriert und enervierend (im postiven Sinne) sein.
Und wenn Sie sich jetzt fragen, wo hier Lust und Genuss und Fun bleiben, es gibt auch hier eine App, die Ihnen genau sagt, wie viel Genuss Sie sich heute erlauben können.

Also auf geht´s! Ich will Sie morgen nicht ohne Schrittzähler sehen.

Übrigens funktioniert Q.S. in allen Bereichen. Darum für die, die eine Leseoptimierungsapp haben:
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Montag, 5. Mai 2014

Ein paar Tipps für straffreie Gewaltausübung


Haben Sie auch manchmal so eine Wut im Bauch? Sind Sie so richtig sauer, erzürnt, dass Sie die Zähne fletschen und grummeln und toben? Möchten Sie dann nicht auch manchmal etwas kaputtmachen, etwas zerstören, einschmeissen, aufschlitzen, möchten Sie nicht manchmal mit Stühlen werfen und Wände beschmieren, Steine in Schaufenstern deponieren und Häuser anzünden?
Also ich möchte das manchmal.
Aber Vorsicht: Sachbeschädigung ist eine Straftat und kann Sie –  von einer Anzeige mal ganz abgesehen – sehr, sehr teuer zu stehen kommen. Deshalb lasse ich das auch, weil ich keine 5000.- für aufgeschlitzte Polster übrig habe.

Hier aber kommen ein paar Möglichkeiten, wie Sie Ihre Gewalt zum Zuge kommen lassen könnten, ohne dass Ihnen etwas passiert:
·         Wenn Sie ein Loch in eine Wand bohren möchten, tun Sie das auf einer öffentlichen Toilette, ich meine die Sanitärtrennwand (heisst wirklich so). Werden Sie ertappt, sagen Sie, Sie seien schwul und erklären das gebohrte Loch als Glory Hole. Beschimpfen Sie den Ordnungshüter als homophob und intolerant und drohen Sie mit der örtlichen Szene und der Gay Media. Es wird Ihnen nichts passieren.
·         Behaupten Sie, Ihre Sachbeschädigung sei Kunst, sei ein Happening, eine Aktion, eine Interaktion. Setzen Sie z.B. einen Armeejeep nicht nur in Brand, sondern singen Sie gleichzeitig die Allerheiligenlitanei und klopfen den Rhythmus des „ora pro naobis“ dazu, Ende einer Dienstfahrt. Sie glauben mir nicht? Wenn eine nackte Frau auf dem Marktplatz Eier aus ihrer Vagina rutschen lässt, ist das ein Öffentliches Ärgernis, tut sie das vor den Toren der ART COLOGNE ist das Kunst, auch wenn sie gar kein angemeldeter Messebeitrag ist.
·         Wenn Sie Fensterscheiben zerschlagen möchten, tun Sie das vermummt und verteilen Sie Flugblätter gegen das WEF, die G8 (ich meine nicht das Turboabitur!), die Umweltverschmutzung, die Atomkraft, den Euroraum oder die Weltraumaufrüstung. Achtung: Das kann – je nach politischer Couleur Ihres Haftrichters – auch sehr in die Hosen gehen. Man hat schon für ein paar angesteckte Matratzen etliche Jahre Zuchthaus verhängt.
·         Reisen Sie in ein Land, in dem es nicht auffällt, was Sie alles kaputtmachen, weil eh alle am Schlagen, Treten, Schiessen, am Schlitzen, Beschmieren, Hauen, Stechen, Graben sind. Dorthin, wo der gesunde Menschenverstand in Urlaub gefahren ist, dorthin, wo die Menschen sich nur noch wie die Affen benehmen. Zum Beispiel in die Ukraine. Vorsicht: Es kann sein, Sie werden erschossen. Aber Sie sterben dann wenigstens nicht mit Wut im Bauch, sondern entspannt und ausgetobt.

Und hier der beste, der ultimative Tipp:

·         Mischen Sie sich unter Fussballfans. Als Teil der Fankultur können Sie fast alles machen. Wollen Sie zum Beispiel in Zügen Notbremsen ziehen, mehrfach, damit das Bremssystem zerstören, wenn der Zug hält, den Bahnhof besetzen und die Wagen demolieren? Kein Problem. Die SBB wird toben, die Vereine beschuldigen, FCB, FCZ und GC werden mit den Achseln zucken, die Polizei wird niemand konkret gesehen haben und das Ganze wird im Sande verlaufen. Passieren wird nichts.

Wer aber vor Gewalt zurückschreckt, kann sich auch verbal austoben.
Leserbriefe schreiben.
Beschwerdebriefe schreiben.
Oder Glossen schreiben.
Und grundlos Leute beleidigen.

Dann bis bald, Sie dummes Stück Dreck.
 

 

Freitag, 2. Mai 2014

1.Mai 2014: Die CEOs drohen mit Streik

Der erste Mai, der Tag der Arbeit, ist traditionell ein Tag, an dem über Lohn und Bezahlung nachgedacht wird. Natürlich ist hier Lohnabbau und Lohnkürzung ein ganz heikles Thema. Daher war es nur selbstverständlich, dass sich an diesem Tag der Arbeit, dem 1.5.2014, sich die zu Wort meldeten, die am stärksten von den Lohnbeeinträchtigungen betroffen waren und sind:
In Brüssel demonstrierten ca. 500 Topmanager gegen die Deckelung ihrer Boni und Löhne. Es war schon rührend, wie hier Grössen aus ganz Europa, Tops aus Pharma, Metall, Hightech und Bau standen, Teppichetagenleute, CEOs, Verwaltungsratsvorstände, Hand in Hand, Seite an Seite und Transparente hochhielten wie:
"Weg von unseren Boni!"
"Minder go home!"
"1:12 ist keine Lösung!"
"Kein Lohnabbau in den oberen Etagen!"
"Nur ein goldener Fallschirm ist ein guter Fallschirm!"
Dazu sangen sie We shall overcome und We shall not be moved
Als Redner hatte man Daniel  ("Golden Danny")Vasella, den Ex-Novartischef eingeladen, der unter dem stürmischen Applaus der Menge darlegte, wie schwierig die Situation für Tops geworden ist. Er erklärte, dass die Allgemeinheit sich gar nicht vorstellen könne, mit welchen Lebenshaltungskosten ein CEO sich herumschlagen müsse. "Wer von den linken Heinis", so Vasella, "weiss denn, was eine Jacht kostet, was sie an Benzin braucht, wer kennt denn die Immobilienpreise in Monte Carlo, wer weiss denn, was wir für einen 1987er Chateau Libelle hinblättern müssen? Wir kommen doch jetzt schon mit dem Geld nicht zurecht, wie soll denn das in Zukunft gehen, wenn wir nicht gerade ein Appartement in Zürich aufgeben?"
Vasella schloss sein bejubeltes Referat mit einer klaren Drohung. Wenn die Allgemeinheit die Tops als Freiwild nicht aufgeben und weiter jagen werde, werde es zum Streik kommen.

Autsch.

Ich weiss nicht, ob Danny hier nicht etwas angerührt hat, bei dem der Schuss hinten losgehen kann.
Klar, in einem kleinen Betrieb, wäre ein Chefstreik die Katastrophe. In einem Betrieb, wo der Chef oder die Chefin die meiste Ahnung haben, der Meisterbrief vorhanden ist, wo er oder sie das beste Deutsch kann, am besten organisieren, am besten führen. Ich weiss nicht, ob José und Natascha, die in einer Putzfirma arbeiten, alle Aufträge auch an Land ziehen könnten. Die Putzfrau der Exfirma meines Vaters hätte das nicht gekonnt, sie konnte kein Wort Deutsch man musste auf die Gegenstände und Flächen zeigen und entsprechende Bewegungen machen.
Was aber in mittleren, grossen und sehr grossen Firmen?
Hier könnten zwei Dinge passieren.
Einerseits könnte man das Fehlen des Chefs, das Streiken der Teppichetage gar nicht bemerken. Suter schreibt in seinen BUSINESS CLASS-Kolumnen von Tops, die erst Wochen nach ihrem Herzinfarkt in ihren Büros gefunden werden.
Das Zweite ist aber das Wahrscheinliche: Ohne den Chef ginge es viel besser. Wenn keine Energie mehr für Firmenkäufe, Strategiepläne, Zukunftskonzepte, für Meetings, für Prognosen, für Gespräche, für Ideen verschleudert würde, wenn schlicht und einfach gearbeitet würde, ohne dass irgendjemand von oben E-Mails mit dem tollen Titel "DURAMAG 2016!!!!!" verschickt, dann wäre das gar nicht schlecht.
Insofern ist Danny's Spruch eine gefährliche Sache.
Nein, CEOs, Tops, Manager, Kader werden nicht streiken. Und damit fehlt ihnen das entscheidende Druckmittel um ihre Lohnforderungen durchzusetzen. Sie werden sich langfristig mit einer Lohneinbusse von 50% abfinden müssen. Von 30 Millionen auf 15 Millionen. Und vielleicht müssen sie das Appartement in Monaco verkaufen. Und sich mit dem in New York begnügen.

Immerhin das haben die Arbeiter den Tops voraus: Sie kriegen den 1.Mai effektiver hin.