Donnerstag, 22. Mai 2014

Rechts stehen - links gehen

Rechts stehen – links gehen.

Die SBB hat alles probiert.

Rechts stehen – links gehen.

Sie hat die Handläufe der Rolltreppen grün und rot einfärben lassen, hat grüne und rote Bänder auf den schwarzen Gummi geklebt, in Bern liess sie sogar vom örtlichen Strickclub lange Schläuche in diesen Farben erstricken, in Genf wurde gehäkelt und in Zürich von der Spielgruppe „Kleine Monster“ mit Fingerfarben hantiert.

Rechts stehen – links gehen.

Sie hatte den 4.September 2013 zum Tag der Rolltreppe erklärt, bei dem in Basel bei einer grossen Show auf der Passarelle für das Konzept geworben wurde, einer der Hauptacts war der Auftritt der Teenieband SMART, die sechs Jungs gaben hinreissend in hautengen roten und grünen T-Shirts ein Jessie-Cover zum Besten:
Everybody walks on the left.
Everybody stands on the right.
Can you feel it?
We do it for you this night.

Rechts stehen – links gehen.
Die SBB hat alles probiert.

Sie hat Zettel verteilt, die mit Fotos, auf denen glückliche Leute lächelnd in der Schlange stehen und von glücklichen Leuten links überholt werden, geworben. Zu jedem Flyer bekam man noch links- und rechtsdrehende Kekse.

Rechts stehen – links gehen.

Die SBB hat einen Werbefilm gedreht, in dem die gleichen Animationsfiguren, die uns im Flugzeug zeigen, wo das Gepäck hinkommt und wie der Sicherheitsgurt funktioniert, uns in ihrem wippend-tuntenhaften Gang vormachen, wie man eine Rolltreppe nimmt.

Rechts stehen – links gehen.
Die SBB hat alles probiert.
Und es hat nix gebracht.

Immer noch pflanzen sich die Menschen auf die linke Spur, lassen den rasenden Manager mit Aktentasche und Coffee to go erst einmal warten, immer noch befinden sich Seesäcke, Skier, Koffer, Möbelstücke, befinden sich Haustierboxen und Velos dort, wo man eigentlich vorbei will. Immer noch müssen Omas wie Teenager zu zweit nebeneinander stehen, weil man sich ja so viel zu sagen hat, und die Fahrt vom Dreiländereck ins Engadin sicher nicht reichen wird. Immer noch werden verschiedene Taktiken ausprobiert, sich die linke Seite freizukämpfen, da räuspern sich einige laut, da schreien manche: „Rächts stoo – linggs goo“, da werden aber auch Menschen einfach zur Seite gedrängt, da wird gestossen, getreten und auch mal ein Regenschirm als Waffe eingesetzt.

Warum kriegen die Schweizer das nicht hin? Warum funktioniert das, was in London, Paris oder Madrid möglich ist, in Zürich und Genf nicht? In einem Land, das alles hinbekommt? Das die einzige funktionierende Demokratie hat, das stattlich und wohlhabend ist? In einem Land, das sich zu allem neutral verhält, aber dennoch ein wichtiger Partner aller ist? In einem Land, das die Kräuterbonbons UND die Aliens erfunden hat?

Vielleicht, weil es der Schweizer Gemütlichkeit, der sprichwörtlichen Ruhe und Besonnenheit so zuwider läuft. Wir hetzen den ganzen Tag, müssen wir jetzt auch noch die Rolltreppe im Sturmlauf hoch? Und bringt das Errennen der Rolltreppe wirklich so viel Zeitersparnis?
Wir machen den Test: Auf der Rolltreppe, die im Bahnhof Basel SBB die Schalterhalle mit der Passarelle verbindet, braucht es stehend 54,67 Sekunden. Für das Laufen machen wir drei Proben: Erster Versuch 12,56 s, zweiter 15,98 s und dritter 13,44 s. Das ergibt einen Mittelwert von 13.9933333 und eine durchschnittliche Zeitersparnis von 40,6766667 Sekunden. Mal ganz ehrlich: Wer diese Zeit braucht, um seinen Zug noch zu erreichen, hat ein Problem. Er sollte sich überlegen, ob es nicht vernünftiger wäre, ein bisschen früher am Bahnhof zu sein. Natürlich ist die Ersparnis gefühlt viel höher, aber 40 Sekunden können wir uns schon Zeit nehmen.

Und so gilt ab heute die neue Kampagne der SBB:
Slow down your life:
Rechts stehen – und links auch.
Mal sehen, ob es dennoch einen Tag der Rolltreppe gibt und ob die Jungs wieder singen, diesmal mit verändertem Text.

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