Die SBB hat alles probiert.
Rechts stehen – links gehen.
Sie hat die Handläufe der Rolltreppen grün und rot einfärben
lassen, hat grüne und rote Bänder auf den schwarzen Gummi geklebt, in Bern
liess sie sogar vom örtlichen Strickclub lange Schläuche in diesen Farben
erstricken, in Genf wurde gehäkelt und in Zürich von der Spielgruppe „Kleine
Monster“ mit Fingerfarben hantiert.
Rechts stehen – links gehen.
Sie hatte den 4.September 2013 zum Tag der Rolltreppe
erklärt, bei dem in Basel bei einer grossen Show auf der Passarelle für das
Konzept geworben wurde, einer der Hauptacts war der Auftritt der Teenieband
SMART, die sechs Jungs gaben hinreissend in hautengen roten und grünen T-Shirts
ein Jessie-Cover zum Besten:
Everybody walks on the left.Everybody stands on the right.
Can you feel it?
We do it for you this night.
Rechts stehen – links gehen.
Die SBB hat alles probiert.
Sie hat Zettel verteilt, die mit Fotos, auf denen glückliche
Leute lächelnd in der Schlange stehen und von glücklichen Leuten links überholt
werden, geworben. Zu jedem Flyer bekam man noch links- und rechtsdrehende
Kekse.
Rechts stehen – links gehen.
Die SBB hat einen Werbefilm gedreht, in dem die gleichen
Animationsfiguren, die uns im Flugzeug zeigen, wo das Gepäck hinkommt und wie
der Sicherheitsgurt funktioniert, uns in ihrem wippend-tuntenhaften Gang
vormachen, wie man eine Rolltreppe nimmt.
Rechts stehen – links gehen.
Die SBB hat alles probiert.Und es hat nix gebracht.
Immer noch pflanzen sich die Menschen auf die linke Spur,
lassen den rasenden Manager mit Aktentasche und Coffee to go erst einmal
warten, immer noch befinden sich Seesäcke, Skier, Koffer, Möbelstücke, befinden
sich Haustierboxen und Velos dort, wo man eigentlich vorbei will. Immer noch
müssen Omas wie Teenager zu zweit nebeneinander stehen, weil man sich ja so
viel zu sagen hat, und die Fahrt vom Dreiländereck ins Engadin sicher nicht
reichen wird. Immer noch werden verschiedene Taktiken ausprobiert, sich die
linke Seite freizukämpfen, da räuspern sich einige laut, da schreien manche:
„Rächts stoo – linggs goo“, da werden aber auch Menschen einfach zur Seite
gedrängt, da wird gestossen, getreten und auch mal ein Regenschirm als Waffe
eingesetzt.
Warum kriegen die Schweizer das nicht hin? Warum
funktioniert das, was in London, Paris oder Madrid möglich ist, in Zürich und
Genf nicht? In einem Land, das alles hinbekommt? Das die einzige
funktionierende Demokratie hat, das stattlich und wohlhabend ist? In einem
Land, das sich zu allem neutral verhält, aber dennoch ein wichtiger Partner
aller ist? In einem Land, das die Kräuterbonbons UND die Aliens erfunden hat?
Vielleicht, weil es der Schweizer Gemütlichkeit, der
sprichwörtlichen Ruhe und Besonnenheit so zuwider läuft. Wir hetzen den ganzen
Tag, müssen wir jetzt auch noch die Rolltreppe im Sturmlauf hoch? Und bringt
das Errennen der Rolltreppe wirklich so viel Zeitersparnis?
Wir machen den Test: Auf der Rolltreppe, die im Bahnhof
Basel SBB die Schalterhalle mit der Passarelle verbindet, braucht es stehend 54,67
Sekunden. Für das Laufen machen wir drei Proben: Erster Versuch 12,56 s,
zweiter 15,98 s und dritter 13,44 s. Das ergibt einen Mittelwert von 13.9933333 und eine durchschnittliche
Zeitersparnis von 40,6766667 Sekunden. Mal ganz ehrlich: Wer diese Zeit
braucht, um seinen Zug noch zu erreichen, hat ein Problem. Er sollte sich
überlegen, ob es nicht vernünftiger wäre, ein bisschen früher am Bahnhof zu
sein. Natürlich ist die Ersparnis gefühlt viel höher, aber 40 Sekunden können
wir uns schon Zeit nehmen.
Und so gilt ab heute die neue Kampagne
der SBB:
Slow down your life: Rechts stehen – und links auch.
Mal sehen, ob es dennoch einen Tag der Rolltreppe gibt und ob die Jungs wieder singen, diesmal mit verändertem Text.
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