Original, fahr hin deiner Pracht!
Wer kann was Kluges, wer was Dummes denken,
Das nicht die Vorwelt schon gedacht.
Nein, Mephi, das ist nicht ganz richtig so.
Es müsste heissen:
Glosse, fahr hin in deiner Pracht!
Man kann noch was Blödes schreiben,
Die Umwelt hat es schon gemacht.
Die Lese-App!
Die Lese-App!
Das sollte doch ein dummer Scherz sein. Jetzt habe ich aber
am Samstag in SWR2/Wissen einen Beitrag über QS (Quantified Self) gehört, in
dem eine junge Engländerin über ihre Lese-App berichtete. Sie trägt alle
gelesenen Bücher ein und die App überprüft, wertet aus, macht
Internetrecherche, gibt weitere
Lesetipps usw. Sie sei, so sagte die Lady, immer der Meinung gewesen, sie lese
Bücher von sowohl männlichen als auch weiblichen Autoren/Autorinnen und auch
die Helden der Bücher seien zur Hälfte auch HeldINNEN. Jetzt habe aber die App
ihr gezeigt, dass sie vor allem Bücher von „male authors with male heroes“
konsumiere.
Meine Güte. Ehrlich gesagt, ich hätte das auch ohne App
rausgekriegt. Normalerweise gibt es eine Klappe, auf der der Autor/die Autorin
kurz vorgestellt wird. Da finde ich die folgenden Informationen:
1 Vorname
2
Bild (nicht immer)
3
Personalpronomen im Text
Das reicht meistens schon. Gut, nehmen wir an, die Person,
die das Buch verfasst hat, hat so einen blöden Vornamen wie Roxer. Oder Bilbi.
Oder Tzshfru. Oder Andrea, das ist nämlich im Italienischen ein Männername, das
wird übrigens ganz witzig, wenn eine Andrea einen Italiener heiratet, der dann
seiner Verwandtschaft tausendmal erklären muss, dass er NICHT das Ufer
gewechselt hat.
Wenn also der Name nicht identifizierbar ist, dann haben wir
vielleicht ein Foto. Da kann man ja auch gelegentlich sehen, ob Männlein oder
Weiblein. Es sei denn, wir sehen eine Frau mit Bart im langen Abendkleid.
(Kleiner Exkurs: Ich habe mich schlappgelacht, dass ein
PR-Profi geäussert hat, die Conchita Wurst sei „erfrischend authentisch“, ein
ganz neuer Begriff von Echtheit. Oder sind inzwischen nur noch die Kunstfiguren
echt?)
Gut, wenn also Roxer Bart und Wimperntusche hat, wenn Bilbi
Schnauz und Bluse aufweist, wenn Tzhfru eine behaarte Männerbrust durchscheinen
lässt, aber Lippenstift aufgemalt hat, dann hilft uns eventuell das
Personalpronomen.
(Für meine Leser, die sich mit Deutsch nicht so gut auskennen:
ich/du/er/sie/es/wir/ihr/sie)
Wenn dann da also steht:
Seit 2004 lebt sie mit einer Katze und zwei Hunden auf einem
Bauernhof bei Bremen.
Dann ist das eine Frau, klar?
Ein ganz kurzer Text, ein sogenannter Kurzklappentext,
könnte jetzt wirklich kein solches Pronomen aufweisen, aber wie steht es mit
dem ganzen Buch? Kann man ein Buch durchlesen ohne zu merken, ob es eine Heldin
oder ein Held ist? Selbst wenn es ein Ich-Erzähler ist, wird der nicht
irgendwann angesprochen? Kommt man auf 350 Seiten ohne Namen aus?
Und wenn die redende Person auf 350 Seiten nur durch den
Dschungel robbt und die einzigen anderen Figuren Schlangen, Affen und Kolibris
sind (ein sauspannendes Buch wäre das), wie findet dann meine App das raus?
Fragt sie den Autor/die Autorin über Facebook an, was man sich bei der
Titelfigur gedacht hat?
Nein, gute Frau, es würde genügen, die Bücher in ein kleines
Büchlein, ein sogenanntes Bücher-Büchlein zu notieren. Wenn du ganz chic sein
willst, kannst du dir so ein Schon-Hemmingway-Hat-So-Ein-Ding-Benutzt-Notizbuch
für ca. 50 Franken kaufen, aber es geht auch mit einem von ALDI.
Denn Vorsicht!
Deine Lesegewohnheiten sind auch ein Datenpaket und du musst
dich nicht wundern, wenn dauernd Werbung für Romane VON Frauen ÜBER Frauen dir
ins Haus flattern.
Ich aber gehe beschwingt in den Tag, mit dem guten Gefühl,
dass, egal was ich mir auch noch so Schwachsinniges ausdenke, es garantiert
schon irgendwo gemacht wird.
P.S. Bitte lesen Sie auch unbedingt den reizenden Kommentar von Josi!
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