Dienstag, 29. Juli 2014

Schleswig-Holstein, das Appenzell / die Basilicata / das Panama Deutschlands


Als ich erzählte, ich würde jetzt vier Tage nach Kiel fahren, gab es zwei Reaktionen: Die einen fragten mich, was ich denn da im Norden vorhätte, die anderen, die geburtenstarken U-Comics-Leser meiner Generation brachten den Spruch: Ich faa jetzt nach Kieel - und ich sach noch, Wännä, mach das nich.
Ich sagte den einen, ich hätte vor, in der Ostsee zu schwimmen, ein wenig Meer zu geniessen und meine Erinnerung an Kiel aufzufrischen, wobei das ein glatter Euphemismus war, denn von meinen Aufenthalt 1973 hatte ich – ausser dem affenpottscheusslichen Marineheiligtum in Laboe – keine Bilder im Kopf. Den anderen sagte ich, die Gefahr platt bzw. im Krankenhaus zu enden, sei doch relativ gering, wenn man mit einer Monatskarte der Bahn reise, die selten mit LKWs zusammenstösst.

Nun war ich also in Schleswig-Holstein, das ich im Verlaufe des Textes mit SchleHol abkürzen werde.
SchleHol ist, von den  Stadtstaaten abgesehen, das kleinste Land der BRD. Alles ist irgendwie putzig, niedlich, spielzeugmässig, man könnte es geradezu als das Appenzell Deutschlands bezeichnen. Wer allerdings erwartet, dass hier auch buntbetrachtet (ich meine: in bunten Trachten) Tiere hoch- und runtergetrieben werden, wird enttäuscht. Es gibt zwar Tiere, Rinder und Schafe, aber wo soll man sie hochtreiben? Berge existieren nicht (Holsteinische Schweiz bezieht sich auf die Seen, nicht auf Gipfel) und auf die Deiche finden die Schafe allein, die Kühe wollen da gar nicht rauf. Es gibt auch keine Trachten, ausser die, die man für die Touristen aus dem Schrank holt oder sie gleich – so gab 1973 eine Fremdenführerin in Friedrichstadt (Eider) freimütig zu – neu zusammenstellt.

Wenn es ein volksmässiges Grossereignis gibt, ist es die monatliche Ankunft eines Schnellzuges. Der HBF Kiel ist nämlich ein Sackbahnhof mit sechs (!) Gleisen, der immer am 15. des laufenden Monats von einem ICE erreicht wird. Dann ist die ganze Stadt auf den Beinen, das Hafenmusikcorps spielt und der Fischereimännerchor singt, natürlich in Plattdeutsch, das sonst ziemlich verschwunden ist, Reden werden gehalten, Fähnchen werden geschwungen, und nach zwei Stunden fährt der ICE wieder nach Süden, witzigerweise nach Zürich. Die restliche Zeit kann man mit Bummlern nach Lübeck, Hamburg, Flensburg und Eckernförde.
So gross das Hallo beim Expresszug ist, so wenig beachtet der Kieler die Riesenschiffe, die ständig im Hafen rumdümpeln, mein „ah“ und „oooo“ beim Anblick der dreissigstöckigen Göteborg-Fähre wurde mit Verwunderung bedacht, ebenso verstand niemand, warum ich die Klappbrücke, die ans Ostufer der Förde führt, unbedingt beim Klappen fotografieren musste.

SchleHol ist also Meerland, allerdings hat es kein Meer so richtig allein. Die Bewohner des Landes schielen neidisch nach MeckPomm, das die richtige Ost- und nach Niedersachsen, das die richtige Nordseeküste hat, SchleHol liegt so kreuzweise zwischen beiden Meeren, es ist die Basilicata Deutschlands. Mit der Basilicata teilt es sich noch eine weitere Eigenschaft: Wie das Armenhaus Italiens ist das Land zwischen Eider und Lauenburg konstant pleite. Und wie die Mailänder den Mezziogorno loswerden wollen, wollen die Bayern sich von SchleHol trennen.
Was läge nun näher,  als die Lage zwischen den Meeren zu nutzen und sie mit einem Kanal zu verbinden? Der Nord-Ostseekanal ist eine der bedeutendsten Wasserstrassen Europas und das, was einem Logistiker zu Kiel einfällt. Anders formuliert: Das Wichtigste an SchleHol ist, dass man durch es durchfahren kann und viele Schiffer kennen es auch nur so. So gesehen ist das Ländchen nicht nur das Appenzell und die Basilicata, sondern auch das Panama der BRD.

Schleswig und Holstein gingen 1460 zusammen und produzierten dabei den Spruch Up ewig ungedeelt. Erstaunlicherweise hält diese Verbindung bis heute, im Gegensatz zu so manchen Staaten- und Länderbündnissen, Allianzen und Pakten. Die SchleHoler sollten da Kurse geben. Dass hier sehr friedlich kooperiert wird, zeigen auch die Vögel: Ich habe noch nie eine Amsel, einen Spatz, eine Taube und eine Möwe auf einem Quadratmeter gesehen, zum ersten Mal jetzt auf dem Europaplatz in Kiel.

Was gibt es sonst in SchleHol? Die es gerne süss haben, können einen Tag in Lübeck sich mit Marzipan vollstopfen, die Literaturinteressierten können einen Tag durch die Stormstadt Husum wandeln. Für Musikliebhaber gibt es ein Festival, von dem ich aber abraten möchte: 50 DM kostete mich damals das Ticket, 60 DM das Taxi, denn das Konzert fand in einer Scheune statt (der besondere Reiz der Sache), meine dünne Hose war bald vom Stroh zerstochen (Insider hatten Lederhosen an)und ich konnte die Hammerklaviersonate nicht so geniessen, weil die Katze des Bauernhofes ständig auf meinen Schoss wollte.

Nun bin ich also im ICE 77 auf der Heimfahrt (jetzt wirklich, die Nummer im vorigen Post war falsch, Gruss an meinen Erzengel) und es geht mir blendend: Ich habe Sonne genossen, bin im Meer geschwommen und Bilder der Stadt auf meinem Laptop und in meinem Kopf.
Und in einen LKW bin ich auch nicht geraten, toi, toi, toi.


Donnerstag, 24. Juli 2014

Bin ich unsichtbar?


Drei Packungen Tomaten. Drei Packungen Zuchetti. Zwei Salatgurken.

Ich stehe an der Theke des Zugbistros im ICE 77 nach Hamburg und warte. Warte auf einen Doppelespresso. Also eigentlich warte ich darauf, dass die beiden Damen, die mit dem Einräumen von Waren beschäftigt sind, mich wahrnehmen und meine Bestellung aufnehmen.

Zwei Tüten Gemischter Salat. Zwei Tüten Grüner Salat. Vier Tüten Radicchio.

Wir möchten Sie noch auf unseren Gastronomischen Service hinweisen: Es ist Kaffeezeit. Gönnen Sie sich einen frischgebrühten Kaffee oder Espresso und ein Süsses Teilchen nach Wahl im Restaurant und Bistro im Wagen 9.

Will ich ja! Will ich ja! Aber dafür müsste ja mal eine bemerken, dass ich dastehe.
Ein Kellner kommt herein und liefert dreckiges Geschirr ab, auch er sieht mich nicht. Inzwischen sind 10 Minuten vergangen.

Zwei Flaschen Italienische Salatsauce. Drei Flaschen Französische Salatsauce.

Vielleicht bin unsichtbar geworden, wie die Leute in manchen Geschichten und Sagen? Unsichtbar, sodass ich für alle Luft bin und sie durch mich hindurchsehen? Eventuell schauen die beiden Madamen durch mich auch durch wie durch Glas? Die Nymphe Echo wurde damit bestraft, dass sie nicht mehr zu sehen war und nur noch Sätze wiederholen konnte. Für was strafen mich die Götter?

Ein Blumenkohl. Ein Wirsing.

Wenn sich ein Arzt im Zug befindet, bitte in Wagen 3. Wir haben einen Notfall.
Das ist es: Ich bin gestorben! Mein Körper sitzt weiterhin an seinem Platz und der unsterbliche Rest steht hier. Deshalb sieht mich keiner. Aber hat man jemals gehört, dass bei Nahtoderfahrungen Kaffee getrunken wurde? Habe ich bei Kübler-Ross nie gelesen. Ausserdem sitze ich in Wagen 1.
Ich lebe also noch. Inzwischen sind 20 Minuten vergangen.

500g Camembert. 500g Salami. 500g Schinken.

Plötzlich wendet sich die Dame zu mir: „Hallo, wir mussten unbedingt die Ware einräumen, die wir in Frankfurt gekriegt haben, wird sonst schlecht. Was kann ich für Sie tun?“
Ich werfe in die Runde, dass ich seit einer Ewigkeit hier stehe und echt Angst hatte, unsichtbar oder tot zu sein.
„Ich habe Sie gesehen, ich habe Sie schon bemerkt.“
„Ja, aber…mal ein Lebenszeichen, so wie: Bin gleich bei Ihnen?“

Warum schaffen wir es nicht, einfach mal zu signalisieren, dass wir den anderen bemerkt haben? Kein Mensch muss eine Mail mit 30 Fragen innerhalb von vier Minuten beantworten. Aber wie wäre es mit dem Hinweis
Muss nachdenken. Melde mich übermorgen.
Niemand erwartet von einem Verkäufer im Sportshop, dass er drei andere Kunden stehen lässt und mit einer Flugrolle oder einem Salto über zwei Fussballtore und vier Zelte zu Ihnen hinfliegt. Aber wie wäre es mit einem Lächeln:
Habe Sie gesehen. Komme gleich.
Sonst bekommen nämlich Leute das Gefühl, wirklich unsichtbar zu sein. Oder tot.

Der Espresso, der doppelte, war übrigens wirklich gut.
Als ich ihn getrunken hatte, schlich ich mich davon.
„Hallo“, rief die Frau, „Zahlen noch.“
So wird man also gesehen.

 

 

Montag, 21. Juli 2014

Liebe LuL

Liebe LuL,

ich möchte heute mit Ihnen…
Sie wundern sich über die Anrede?
Nein, das hat nichts mit dem Chatkürzel *lol* zu tun, ich will Sie auch nicht zulallen oder einlullen, LuL bedeutet Leserinnen und Leser. Abgeleitet habe ich das von Lehrerinnen und Lehrer, man liest das gelegentlich, was man sehr häufig liest, ist SuS für Schülerinnen und Schüler.

Es ist ja nun auch schwierig, eine korrekte Anrede zu finden.
Früher war es einfacher, da sprach man (!!!!) die Männer an und die Frauen fühlten sich einfach mit angesprochen. Oder auch nicht, war eh egal. In einem privaten Pflegedienst wurde die Sache einmal umgedreht: Die Geschäftsleitung teilte mit, da man zu 90% weibliches Personal beschäftige, werde in Zukunft  nur die weibliche Form benutzt, die Männer seien jeweils mitgemeint. Grosser Aufstand bei den beiden Krankenpflegern (2 von 30!): Sie würden sich ganz und gar nicht angesprochen fühlen und es sei eine Schweinerei, nur noch von Krankenpflegerinnen und Mitarbeiterinnen zu reden; dies zum Thema Das andere Geschlecht ist auch gemeint.
Wie also nun? Immer Leserinnen und Leser zu schreiben ist mir zu lang, das würde jeden Post um ein Viertel verlängern, ein Viertel, in dem aber keine fundamental wichtige Aussage gemacht wird.
Leser/-innen oder Leser und –innen?
Das sieht doch so aus, als ob den Frauen etwas fehlt. Ja, geschenkt, machen Sie den Witz, Sie dürfen jetzt sagen, den Frauen fehle wirklich etwas Entscheidendes, damit zeigen Sie aber, dass für Sie das Ding zwischen Ihren Beinen Ihr zentraler Körperteil ist und nicht etwa das Herz oder die Lunge, ohne die niemand leben kann, oder noch entscheidender: Das Hirn. Aber wahrscheinlich haben Sie mehr Penis als Hirn, sonst würden Sie nicht so Sprüche machen.  
Zurück zum Binnen-I? LeserInnen?
War mal gross Mode, das sah immer sehr schön aus bei Begriffen wie InnenarchitektInnen oder AussenministerInnen, aber der Bringer ist das auch nicht.
Also ein neuer Versuch:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wieso eigentlich sehr geehrt? Ausser dem Deutschen macht keine Sprache so einen Purzelbaum, mit dem der ach so konfuse Begriffe der Ehre ins Spiel gebracht wird:
Ladies and Gentlemen
Signori e Signore
Dames et Messieurs
Dames en Heren
Warum müssen wir die Leute auch noch ehren, und zwar sehr ehren? Ehre, wem Ehre gebührt, aber gebührt denn allen immer die Ehre?
Und was machen wir eigentlich mit Leuten, die sich nicht damenhaft oder herrenhaft benehmen? Ich sehe ja nicht, was Sie gerade machen, aber wenn Sie gerade in der Nase popeln und dann den Finger in den Mund stecken, dann sind Sie beileibe keine Dame und auch kein Herr.
Also Frauen und Männer?
Das hat jetzt wieder so einen Unterton.
Wenn ich das ein paar Mal hintereinander sage, möchte ich mir nicht nur einen Masskrug voll Bier holen und eine Wagnerplatte auflegen, nein, mein Schnauz zuckt ganz komisch und ich will in Polen einmarschieren.
Geht also auch nicht.

Der Redner, der nicht wusste, ob er von Geschätzten Kollegen, Liebem Publikum oder Hochverehrter Festgesellschaft reden sollte, rettete sich früher in eine Formel, der sich niemand entziehen konnte, weil der Zustand auf alle Zuhörerinnen und Zuhörer zutraf:
Liebe Anwesende

Anwesend sind Sie ja, denn Sie sind auf meiner Seite. Das können Sie nur, wenn Sie mit dem Internet verbunden sind. Also heisst die Formel ab heute:

Liebe Onliner

*lol*

Donnerstag, 17. Juli 2014

Die Schwimmbad-Rumsteher

Wie Sie wissen, oder vielleicht wissen, bin Schwimmer. Ich schaue, dass ich jeden Tag meine 500m abarbeite und ich bin ständig auf der Suche nach neuen Schwimmbädern, Baggerseen, Waldseen, Küstenstreifen, Badestellen und Ufern. Einige gehören allerdings zu meinen uralten Bekannten wie zum Beispiel das Rüsselsheimer Waldschwimmbad, ein kiefernwaldumsäumter See mit herrlichem Sandstrand und glasklarem Wasser. Nun müsste man eigentlich denken, dass an einem Sonntag im Sommer so ein Bad rappel-, knülle- und stopfvoll ist. Ist es aber nicht. Am 6.7. betrug der Abstand zum nächsten Badetuch ca. 30 Meter.
Ging man dann ein wenig umher, entdeckte man Familien, mittlere und ältere Ehepaare, Mädelsgruppen und Singles um die 50. Wer komplett fehlte, waren junge Männer zwischen 17 und 25. Ein Blick in den Spielplan: Nein, am Sonntag um 13.00 wurde kein Spiel übertragen, es fand auch keines statt. Wo war diese Generation? Hier half nun ein weiterer Blick auf die Landschaft, die ich Ihnen kurz beschreiben muss: Der Waldsee ist an 2/3 seines Ufers von dichtem Schilf bewuchert, an dem restlichen Drittel führt Sand direkt ins Wasser. Hinter dem Schilf liegen Leute auf leicht schrägem Grund, der dahinter von einem Weg und dem Kieferwald begrenzt wird.
Keine Möglichkeit also, das zu tun was junge Männer im Schwimmbad normalerweise machen:
Rumstehen.
Rumstehen und sich zeigen.
Platz wechseln.
Rumstehen.
Rumstehen und sich zeigen.
Sie glauben mir nicht? Gehen Sie doch mal ins Gartenbad St.Jakob! Die Herren schwimmen nicht, sie liegen nicht in der Sonne, sie trinken keinen Kaffee, sie rutschen nicht, sie spielen keinen Fussball oder beachen.
Sie stehen rum.
Sie stehen rum und zeigen sich.
Sie wechseln den Platz.
Und stehen wieder rum.
Stehen rum und zeigen sich.
Wo sollen diese jungen Kerle in einem Etablissement wie dem Waldschwimmbad stehen? Im Schilf? Im Wald? Im Wasser? Auf dem Waldweg? Nein, sie brauchen eine weite Liegewiese oder einen klar abgegrenzten Beckenrand.
Wo sie rumstehen können.
Und deshalb sind die in Rüsselsheimer Freibad, das sicher – ich war noch nie dort – ein stinknormales Gartenbad mit Chlorbecken und Pommesbude ist.
Nun muss man für diese Herren auch ein wenig Verständnis aufbringen. Sie haben den ganzen Winter im Studio geschuftet, haben Gewichte gestemmt und Seile gezogen, sie haben ihren Nacken, ihre Arme und ihre Beine trainiert, haben Bi-, Tri- und Quadrizepse angehäuft, sie haben ihren Bauch definiert, Six-, Eight- und Tenpacks produziert und geschaut, dass das Nabelloch flach genug wird. Sie haben so viel Zeit, so viel Mühe, so viel Blut, Schweiss und Tränen investiert, dass man das Ergebnis doch einfach zeigen muss und sich an den bewundernden und neidischen Blicken mitlifegekrister Geschlechtsgenossen (mich eingeschlossen, mich eingeschlossen, gebe ich ehrlich zu) aufgeilt.
Das Dumme ist, dass das Zeigen des Adonisleibes alles verbietet, was im Bad Spass macht:
Schwimmen – unter Wasser sieht man nix.
Ballspielen – die Felder sind viel zu abgelegen.
Kaffeetrinken – der Tisch verdeckt Six-, Eight- und Tenpack, und ausserdem gibt die Flüssigkeit im Bauch wieder eine hässliche Wölbung.
In der Sonne liegen – Im Liegen sieht jeder einigermassen Schlanke passabel aus, sogar ich, und man will ja den Unterschied zu 50jährigen Grufties zeigen, solchen die nicht ins Studio gehen, oder höchstens zu KIESER®, aber das ist ja für einen richtigen Workouter, einen Workoutoholic ja kein Studio, sondern eine Reha-Klinik.
So stehen die jungen Herren rum.
Und zeigen sich.
Und wechseln den Platz.
Und stehen rum.
Und zeigen sich.
Gut, mir sind die Schwimmbadrumsteher immer noch lieber als die Lebenden Statuen in den Fussgängerzonen, wenn ich die sehe, bedauere ich immer, dass ich Uwe Klings Känguru nicht bei mir habe, das schmeisst die immer vom Sockel und jagt sie. Ich brauche keine Polizisten und keine Sicherheitsleute, die rumstehen, ich brauche keine Ehrendamen und Ehrenknaben und sonstige Verschönerinnen und Verschönerer. Ich brauche nicht mal einen Eckensteher, obwohl der ja in Berlin zur Kultfigur wurde.
Denn ein Gutes haben die Adonisse des Gartenbades: Sie lassen mir meine Bahnen frei, meinen Liegeplatz, meine Cafeteria, mein Volleyballfeld.
Sie stehen ja rum.
Und zeigen sich.
Wenn sie also über 40 sind und ihr Körper nicht mehr ALLEN gezeigt werden muss, wenn sie bei KIESER® waren und nicht in der SUPER-GYM®, wenn sie ein deutliches Nabelloch haben und nur ein Two- oder gar ein Zeropack, dann empfehle ich Ihnen das Rüsselsheimer Waldschwimmbad: Es ist eines der schönsten Bäder, die ich kenne.

 

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Dienstag, 15. Juli 2014

Agentin ihrer Majestät

Ich muss auf der Fahrt nach Leipzig kurz auf die Zugtoilette. Kommt vor, und weil ich nicht lange zu weilen gedenke, lasse ich meinen Laptop an. Als ich mich nach getaner Erledigung wieder auf meinen Platz schlängele, sehe ich, wie die reizende junge Dame auf dem Platz neben mir gerade ihren lila manikürten Hände von meinem Computer nimmt und etwas in ihre Vuilton-Tasche steckt. Ich öffne mein Schweizer Armeemesser und während ich mich setze, halte ich es unbemerkt in ihre Flanke. „Sie rücken jetzt sofort den Stick oder die CD oder was auch immer raus und sagen mir, was das soll.“Die Frau legt schweigend einen USB-Stick auf den Tisch, schweigt aber weiter.
Ich wiederhole meine Frage und erhöhe den Druck meines Schweizermessers: „Was soll das? Für wen arbeiten Sie?“ Scheinbar überzeugt mein rotes Klappargument, sodass sie nun doch den Mund aufmacht: „GFL.“ „Was ist das?“ „Geheimdienst des Fürstentums Liechtenstein.“ „Das Ländle hat einen Geheimdienst?“ „Natürlich. Jedes Land hat einen Geheimdienst.“ „Ich dachte, das erledigen die Eidgenossen für euch.“ „Pah, dann müssten wir denen ja rückhaltlos vertrauen, allein in Zürich sitzen 40 von uns.“ „Vierzig? Wie viele seid ihr denn?“ „Um die Tausend, und das ist ja gerade das Problem, es gibt auf der Welt einfach zu viele Agenten, und deshalb kommt es zu solch blöden Aktionen.“
Das Thema interessiert mich und ich lade Angela, so heisst die Agentin seiner Majestät des Fürsten Hans-Adam, zu einem Umtrunk ins Zugbistro ein. Ach so, das Messer, wo ist das Messer? Natürlich längst wieder in meiner Hosentasche. Also ins Bistro. Bei einer guten Flasche Dôle fängt Angie an zu erzählen:
„Ich nehme an, der Ordner AKTUELLE DOCS, den ich kopiert habe, enthält keinerlei Verwertbares, trotz der interessanten Überschriften.“
Dem kann ich nur zustimmen: „Ausser Arbeitsblätter für meine Musikschüler über # und b, Molltonarten, Tasteninstrumente usw. vor allem Texte, die dann in meinem Blog erscheinen.“
Angela nimmt einen tiefen Schluck: „Siehst du, das ist es ja gerade. Wir Agenten müssen, da wir ja viel zu viele sind, ständig zeigen, dass es uns braucht. Wir müssen tonnenweise, kilometerweise, hektoliterweise Informationen beschaffen, und das mit geheimdienstlichen Methoden, sonst wären wir ja überflüssig. Es wäre also viel einfacher, dass man deinen Blog liest, aber das wäre eben nicht spionistisch genug. Jeder Agent auf der Welt rennt also hinter irgendwelchen Leuten her, beschattet sie, stalkt sie, zapft ihr Telefon an, öffnet ihre Post und schreibt dann einen ellenlangen Bericht. In dem steht dann zum Beispiel: Zielperson betritt um 8.34 den COOP und kauft dort 2 Bananen, 1 Kekspackung (mit Schokolade) und 1 Flasche Cola, sie bezahlt bar (20 Franken-Schein) und verlässt  um 8.49 den Laden…“
Ich erwähne, dass ich solche Listen aus dem Buch von Wallraff kenne und dass Wallraff ja auch irgendwann ans Autofenster des seit Tagen vor seinem Haus stehenden Volvo klopfte und dem Mann anbot, zu ihm raufzukommen und ihn die Sachen, die ihn interessierten, einfach zu fragen. Christa Wolf berichtete übrigens Ähnliches von jenseits der Mauer.
Angie seufzt: „Eine Katastrophe! Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen das passiert, müssen psychologisch betreut werden. Erst einmal wird einem die Illusion genommen, dass man unbemerkt ist, und dann werden einem noch Infos angeboten, die man auf so einfachem Wege nicht erhalten darf, man gefährdet sonst die eigene Existenz.“
Mir kommt ein Gedanke: „Und die Geschichte an der Spree?“ „Genau das Gleiche. Natürlich könnten die USA einfach im deutschen Aussenministerium anrufen und fragen, an was man gerade so dran ist, aber das würde ja keinen Dienst mit einem Monatsbudget von 5,6 Milliarden Dollar rechtfertigen. Ausserdem ist die CIA so gross, dass man mit den tausend Unter- und Neben- und Geheimabteilungen den Überblick längst verloren hat.“
„Wie in BOURNE IDENTITY?“ „Der Film untertreibt, es ist viel schlimmer.“
Ich leere die Flasche und bestelle eine weitere Pulle Walliserwein.

„Und warum macht die Politik dem Spuk nicht einfach ein Ende und dreht den Geldhahn zu?
„Weil kein Politiker der Welt es wagen würde. Es würde sofort heissen, er gefährde die Sicherheit, liefere das Land den Feinden aus und richte es zugrunde. Politischer Selbstmord.“

„Macht dein Job eigentlich Spass?“ Angela grinst: „Natürlich, und wenn du so fragst…“
Die zweite Flasche Dôle war zu viel, die zweite Flasche war zu viel.
Sie ahnen es: Seit diesem Tag bin ich Agent des GFL.

Donnerstag, 10. Juli 2014

Ist ein 7:1 ein wirklich hi(y)sto(e)risches Ereignis?

Ist ein 7:1 ein historisches Ereignis?
Ein hysterisches ist es allemal, Tränen und Wut bei den Brasilianern, Verletze, Demolation - Freude und Jubel bei den Deutschen, Party ohne Ende.
Aber ein historisches?
Um dem nachzugehen müssen wir ein wenig in die Zukunft schauen:

Im Jahre 2233 schreibt (wird schreiben?) der Schweizer Historiker Beat Stimpfli:

Wenn wir die Quellenlage des Jahres alter Zeitrechnung 2014 als repräsentativ betrachten, und wir können nichts anderes tun, müssen wir den Sieg Deutschlands (heute Kanton Mitteleuropa) über Brasilien (heute Kanton Südamerika West) mit 7:1 im Fussball (Ballspiel der Vergangenheit) als wichtigstes Ereignis der Jahre 2010-2020 betrachten. Es scheint mir, als ob mit diesem Fussball die entscheidenden Fragen der Vorherrschaft erörtert wurden, und nicht mit Diplomatie, Geheimdienst, Waffen oder Krieg.

Als kurze Erklärung: Stimpfli redet von "alter Zeitrechnung" und meint damit den Gegensatz zur "neuen Zeitrechnung", die ab dem kompletten Kauf des Globus durch die Eidgenossen im Jahre 2187 gezählt wird, daher rühren auch die Kantonsbezeichnungen. Fussball war inzwischen fremd geworden (wird sein?), die National- (=Global-) Sportarten sind/werden sein Hornussen, Schwingen, Orientierungslauf und alle Arten des Schneesports.
Irrt Stimpfli?
Natürlich, aber ein Historiker kann nur die Quellen sammeln, deuten und wiedergeben, und im Falle des Juli 2014 scheinen alle Ereignisse vor dem 7:1 zurückzustehen. Selbst in SWR2 Kultur kommt der erste Beitrag zur Löw-Elf, BILD bringt 7 Seiten mit Bildern der Tore (ganzseitig), von Twitter, Facebook, Google, Moogle, Foogle ganz zu schweigen.
Und genauso wie wir, wenn wir zur Hochzeit Sigiswalds des Überbissigen mit Philippina der Schmollmündigen Gästelisten und Speisefolgen finden und zur Hochzeit von Baas Brutsch mit Jette Kibbel eben nur einen Kirchenbucheintrag, annehmen, dass eben Sigiswald bedeutender war als Baas, muss Stimpfli annehmen, dass eben nichts wichtiger war als dieses 7:1.
Ich lese gerade das wunderbare Buch Kossenblatt von Günter de Bruyn, in dem er die Geschichte eines Märkischen Schlosses nachzeichnet. Und auch er berichtet mehr von den Schlossherren als von den Dienern, weil auch er - ein meisterhafter Rechercheur - auf die Quellen des 15., 16. und 17. Jahrhunderts angewiesen ist.

Stimpfli MUSS annehmen, dass die Ereignisse, die zeitlich rundum des Sieges passierten, reine Lappalien waren:

* ISIS-Kämpfer erbeuten Uran
* US-Geheimdienste spionieren in deutschen Ministerien
* Israel bombardiert Gaza-Streifen

Und so ist der Rückschluss, dass ausser Fussball keine politischen Mittel existiert hätten, absolut folgerichtig. Stimpfli, Professor für Alte Geschichte (Geschichte vor dem GROSSEN AUFKAUF, Anm. d. Red.) in Bern (Kanton Hauptland - (die komplette heutige Schweiz, Anm. d. Red.)) kann nicht anders urteilen, wenn er die Quellen korrekt sichtet und deutet.
Und das ist vielleicht ein Problem unserer Zeit: Wir produzieren eine für Historiker späterer Saecula furchtbare Quellenlage: Sigiswald (70 Quellen) war als Landesherr bedeutender als Baas (1 Quelle; Kirchenbuch), heute ist das nicht so.
So hält (wird halten) Stimpfli auch Bieber (3.000.000 Follower) für wichtiger als Angie (3.000 Follower)

Also, liebe Leute: Damit nicht so eine Quellenschieflage entsteht, kommen wir mal wieder zum Tagesgeschehen zurück. Es passiert nämlich so allerlei auf dieser Welt, was gar nicht schön ist, vielleicht bemerken wir das auch mal wieder.

Das 7:1 ist ein hysterisches Ereignis.
Ein historisches ist es nicht, es sei denn, wir machen es dazu.





Montag, 7. Juli 2014

Suárez lehrt uns beissen

Der Rezensent der Popeldorfer Allgemeinen ist mit der Carmen-Premiere nicht zufrieden, die Musik habe keinen Schwung, die Regie keinen Einfall und die Carmencita eine zu brave Stimme. Er titelt im Feuilleton:
BIZET OHNE BISS.
Regula Blümli, die Chefin der GUHAMAG ist unzufrieden mit einem ihrem Mitarbeiter, wenn eine Sache gerade Schwierigkeiten macht, dann lässt er sie liegen, oder er wird krank oder er sucht einen Dummen, der es erledigt. Beim Quartalsgespräch macht die Chefin klar, dass das nächste Projekt von ihm jetzt komplett durchgezogen werden müsse:
DA MUSST DU DICH JETZT DURCHBEISSEN.
Die Ortsgruppe Mallstädt der Freiheitlich-Sozial-Ökologischen Partei (FSÖP) beschliesst auf ihrer Juni-Konferenz, bei den Gemeinderatswahlen 30% anzustreben:
WIR WERDEN ZÄHNE ZEIGEN.

Überall ist von Biss, von Beissen, von Zähnezeigen die Rede, überall soll durchgebissen, zugebissen, soll geschnappt, gekaut werden. Überall werden intakte Schneidezähne, Backenzähne, Hauer, Beisser, überall werden Stift-, Mahl- und Eckzähne gefordert.
Und jetzt tut es mal einer, dann ist es auch nicht recht. 

Suárez spielt Fussball mit Biss, er beisst sich durch, er zeigt Zähne, na und? Wieso ist es völlig legitim, beim Fussball dem Gegner ein Bein zu stellen, ihm in die Eier zu treten, wieso ist es OK, den Anderen zu boxen, zu knuffen und ihm den Arm zu verdrehen, aber nicht ihn zu beissen? Die engen Trikots, die seit dieser WM sämtliche Sixpacks der Spieler zeigen, haben ja nicht die Funktion, eben diese herrlichen Bauchmuskeln zu präsentieren, sondern das Am-Shirt-Packen zu verhindern. Das heisst, man geht schon davon aus, dass Fussballspieler die anderen ständig am Leibchen rupfen. 

Wahrscheinlich ist die Beisserei des Herrn  Suárez auch gar keine Aggression, sondern ein Akt von Liebe und zärtlicher Hingabe, der einfach missverstanden wird. Das Beissen, Knabbern und Kauen ist traumsymbolisch ja stellvertretend für Sexualität – daher kommen Redensarten wie Ich habe dich zum Fressen gern und ich möchte dich vernaschen. In Sartres Geschlossene Gesellschaft wird der Kellner am Anfang nach einer Zahnbürste gefragt, die es in der Hölle natürlich nicht gibt, was das Fehlen jeglicher Lust und Leidenschaft darstellt. Jedenfalls,  Suárez will eventuell eigentlich seine Liebe, seine Hingabe, seine Zärtlichkeit demonstrieren und wird permanent missverstanden. 
Was wird er, der ja nun gesperrt ist, in nächster Zeit machen? Wird er wirklich in den Kosovo gehen, der von der FIFA nicht anerkannt ist und wo auch beissende Fussballspieler spielen (und beissen) dürfen?

Er muss keine Angst haben. Sind die Fussballverbände auch relativ borniert und langweilig, was Kommunikation mit dem Kieferapparat anbelangt,  Suárez wird eine Position finden. Sei es in der Wirtschaft, wo man nicht so zimperlich ist, sei es in der Politik, wo es eh hart zugeht. Was sind da nicht schon Diplomaten die Treppe heruntergeschleudert oder aus dem Fenster geworfen worden, was hat man da nicht schon an den Ohren gezogen, mit Fäusten geschlagen oder auf das Pult gehauen. (Wer erinnert sich nicht an Chrustschow,  der dazu seinen Schuh auszog und ihn benutzte.)
Vielleicht geht unser Beisser auch in die Werbung und macht Reklame für Haftcreme oder Zahnpasta, das wäre doch ein herrliches Bild: Seine Zähne und darunter der Spruch (die Grufties erinnern sich)
DAMIT SIE AUCH MORGEN NOCH KRAFTVOLL ZUBEISSEN KÖNNEN.

Das Beste wäre,  Suárez macht eine Beissschule auf, in diesem Institut können dann alle die trainieren, die Probleme mit dem Beissen haben, das SUAREZ-BITING-INSTITUTE®
So werden dann die Popeldorfer Theaterleute dort geschult, auf dass beim nächsten Wozzeck die Marie richtig schön totgebissen werden und der Rezensent BERG MIT BISS schreiben kann. (Dass der Held dann eigentlich seine Zähne verlieren und diese statt des Messers im Wasser suchen müsste, ist ein kleineres Problem.)
Am SUAREZ-BITING-INSTITUTE® lernen auch die GUHAMAG-Mitarbeiter sich durchzubeissen, so fest, dass man in Zukunft die PC-Kabel extra sichern muss. Und die Mallstädter FSÖP erzielt ungeahnte Erfolge, ihre Mitgliederzahlen explodieren, dank einer beissfreudigen Werbestrategie:

UND WILLST DU NICHT GENOSSE SEIN
SO BEISS ICH DICH INS LINKE BEIN.

Freitag, 4. Juli 2014

Der versteckte Zwangswunsch



Dieses Jahr werde ich es in den  Grossen Ferien besser machen: Ich werde mich vom Erholungsstress fernhalten.
Sie wissen nicht, was Erholungsstress ist?
Ganz einfach: Der Stress, sich innerhalb ein paar Wochen wieder zu einem fitten, tauglichen, erholten, zu einem brauchbaren, kraftstrotzenden Menschen zu machen. Der Stress sich nach 35 Tagen so zu fühlen, als sei man durch einen Jungbrunnen geschwommen, rundumerneuert, generalrevidiert, braungebrannt.
Der Stress, die Zeit, die einem zu Verfügung steht, voll und ganz der Erholung zu widmen.
Sie denken doch nicht etwa, die Bemerkungen der Chefs und Kollegen, der Mit- und Umwelt zu Beginn des Sommers seien Wünsche, nein, es sind Befehle.
„Erhole dich gut!“ ist immer noch ein Imperativ und heisst: Komme bitte so wieder, wie wir dich ab August brauchen: Tauglich für 20-Stunden-Tage, ausgeglichen, belast- und einsetzbar.
Die Welt ist voll von solchen Befehlsformen, ich nenne sie den versteckten Zwangswunsch. (VZW) Wir setzen VZW ein, wenn wir uns nicht mit irgendwelchen Sorgen oder Nöten anderer belasten möchten. „Habe einen schönen Tag!“ heisst doch auch: „Hoffentlich hast du heute einigermassen brauchbare 24 Stunden, weil ich nämlich so gar keine Lust habe, morgen dein Genörgel anzuhören, also nimm den Tag, wie er kommt, er wird schon schön sein, und wenn nicht, dann schweige bitte darüber: Habe einen schönen Tag.“
VZW
„Have fun!“  schreien einem die Kalifornier ins Ohr und meinen damit: „Wir sind hier im Sonnenmekka der USA, nicht im Depri-New York, hier ist kein Platz für düstere Lyrik und Philosophie, hier das Fitnessstudio der Tempel und der Strand der Heilige Berg, hier trägt man sein Sixpack at the beach spazieren, spielt Volleyball und Frisbee, bis die Haut so bronzefarben ist, dass man sie abends in der Cocktailbar zeigen kann, also komme BITTE nicht auf die Idee hier irgendwie melancholisch zu sein, LÄCHELN, LÄCHELN, LÄCHELN, sonst können wir sehr unangenehm werden.“
VZW
„Enjoy your meal!“ heisst es dann abends im Restaurant, also: „Wir haben uns so viel Mühe gegeben, das Essen schmeckt dir, kapiert, wir wollen nichts anderes hören! Für Beschwerden haben wir keine Zeit, also MAGST du ab heute dein Essen ein bisschen schärfer, du MAGST ab heute Erdnüsse und du MAGST Ingwer, verstanden?“
VZW
Beim VZW geht es immer nur um die Bedürfnisse, um das Wohlergehen und Wohlsein des Sprechers. Weil ICH keine Lust habe, mich mit irgendwelchen Problemen zu belasten, soll es der Welt gut gehen, und weil Wünsche so schwach sind, befehle ich es.
Die VZWler (Versteckte Zwangswünscher) unserer Breiten haben „Erhole dich gut!“ in ein ganzes Arsenal von Teilbefehlen aufgesplittet, von denen jeder einzelne einen unter totalen und grausamen Erholungsstress setzt:
„Schlaf jetzt aus in den Ferien!“
Natürlich wache ich regelmässig in der arbeitsfreien Zeit um 4.00 auf, und statt mir einen Kaffee zu machen, mich auf den Balkon zu setzen und auf den Sonnenaufgang zu warten, im wohligen Wissen, nach dem Lunch einen dreistündigen  Mittagsschlaf machen zu dürfen, wälze ich mich bis 8.00 schlaflos im Bett und stehe wie gerädert auf – und habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so ja viel weniger erhole.
„Mach mal ein paar Tage gar nichts.“
Natürlich verspüre ich nach ein paar Tagen die Lust, meine Notensammlung aufzuräumen, ganz nach dem Motto meiner Oma
Hast du zur Arbeit grade Mut
Geh frisch daran, dann wird sie gut
Aber statt die drei Stunden dranzusetzen, setze ich mich jetzt mit einem Kaffee auf den Balkon und warte auf den Sonnenuntergang und verbrauche meine ganze Energie damit, mich in meinem Liegestuhl zu halten. Nach drei Stunden stehe ich wie gerädert auf – und habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so ja viel weniger erhole.
„Fahr mal weg!“ „Mach mal Tapetenwechsel!“
Was soll denn das nun? Ich wohne in weisser Raufaser, die es überall hat, die Gefahr, am Urlaubsort in ein Zimmer mit ebenfalls weisser Raufaser zu geraten und damit den Tapetenwechsel zum Flop zu machen, ist relativ gross. Ausserdem bin ich Pendler, ich fahre jeden Tag weg.
Nein.
Nein.
Nein.
Ich bin nicht mehr bereit mich den VZW zu beugen und werde jeden Erholungsstress vermeiden. Ich werde um 4.00 aufstehen und jeden Tag eine Kleinigkeit arbeiten, wenn ich Lust habe.
Und wenn ich keine Lust dazu habe, werde ich NICHT wegfahren, wozu habe ich denn eine schöne Wohnung, wenn ich sie nicht endlich mal geniessen kann?
Die Situation ist paradox: Wenn Sie sich darauf einstellen, dass ich im August müde und kaputt wieder erscheine, und Sie mir versprechen, damit umgehen zu können, es zu ertragen, dann wird das eben nicht passieren und ich werde rundumerneuert, generalrevidiert, kraftstrotzend, werde braungebrannt und gejungbrunnt  (oder heisst es junggebrunnt) antanzen.
Versprechen Sie es?

P.S. Ich habe Ihre Klagen übrigens auch satt, ich sollte die Glosse daher auch mit dem Satz
„Haben Sie viel Vergnügen!“ beginnen.
Kein Wunsch.
Ein Befehl.