Donnerstag, 27. Oktober 2016

Ehret mir die Reflexe!



Sie alle kennen diesen Vorgang: Wenn Sie eine Datei schliessen möchten, an der sie etwas gemacht haben, und sei es das Hineinsetzen und spätere Wieder-Hinausstreichen eines Kommas (wie Oscar Wilde), dann meldet der Computer sofort:

Möchten Sie die Änderungen an «……………………………» speichern?

Speichern

Nicht speichern

Abbrechen

Das ist sehr nett von ihm, denn ohne diese liebe Nachfrage würde man vielleicht die Dinge in den Orkus werfen, an denen man in der letzten Stunde gearbeitet hat. Überhaupt ist mein Laptop ja der höflichste Mensch, den ich kenne, es hat nie schlechte Laune, es begrüsst mich jeden Morgen mit «Willkommen»; und «Willkommen» sagt es auch, wenn ich eine Word-Datei nach einer Weile wieder öffne: «Willkommen zurück – machen Sie da weiter, wo Sie aufgehört haben…» (Wo eigentlich sonst???)

Nun arbeiten wir in der Schule mit MAC und die allerneueste Apple-Version bot mir, als ich zum ersten Male dort speicherte das Folgende an:

Möchten Sie die Änderungen an «……………………………» speichern?

Nicht Speichern

Speichern

Abbrechen

Vielleicht ist «Abbrechen» auch in der Mitte, auf jeden Fall ist das Gegenteil links.
Zum Glück war das Entscheidende blau unterlegt, sonst wäre mein Text wirklich in den Hades gewandert.
Was denken sich die Macher von solchen Programmen? Hocken die zusammen und überlegen, wie sie ihre Kunden am besten ärgern können? So nach dem Motto: «Du, ich hab’ eine Superidee, wir tauschen mal «Speichern» und «Nicht Speichern», da kommen die Leute total draus, da wird dann laufend auf das Falsche geklickt, ein Heidenspass, ein Riesenklamauk.»

Nun ist es nicht so, dass ich nicht lesen kann. Natürlich kann ich ein Verb mit einem Negationszusatz von einem Verb ohne Negationszusatz unterscheiden. Aber meine Hand will beim neuen Mac immer noch zum falschen Button. So wie ich mich immer noch aufrecht seitlich im Schlafzimmer gegen die Wand recke um dann zu merken, dass der Ganzkörperspiegel seit 7 Wochen im Flur steht.
«Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.»
«Das ist so ein Reflex.»
Wieso sagen wir das immer mit so einem negativen Unterton? Als ob wir dumm, unflexibel, als ob wir ewiggestrig und scheisskonservativ, als ob wir innovationsunfreudig und zukunftsbremsend wären? Also ob ein Reflex etwas ganz Arges wäre, etwas, das uns hindert mal frisch und neu zu denken?

Leute!

Verachtet mir die Reflexe nicht und ehrt mir ihre Kunst!
Stellen Sie sich vor, Sie müssten, während Sie einerseits die Schilder auf der Autobahn studieren und andererseits dem Versuch des LKWs neben Ihnen, Sie an die Leitplanke zu drücken, ausweichen, auch noch überlegen, wo das Gas ist und wo der 4. Gang. Sie kämen nicht weit – bis zur Leitplanke. Stellen Sie sich vor, Sie müssten während des entscheidenden Arbeitsessens mit dem CEO der KUZUMAG ständig überlegen, wie man ein Messer hält, wie man die Gabel benutzt und wie Sie ein Weinglas an die Lippen bringen. Den Vertrag mit der KUZUMAG könnten Sie knicken – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.
Ein Torwart, der bei jedem auf ihn zurasenden Ball die Liste «oben-Hände rauf/Mitte-fangen/unten-kicken» durchecken würde, taugte nicht einmal für die Regionalliga. Er wäre als Torpfosten besser aufgehoben. Ein Dirigent, der während in WO Kantate 1 gejauchzt und frohlockt wird, sich ständig überlegen müsste, wie denn ein Dreierschlag geht, hätte ausgejauchzt.

Machen Sie mal den Test und sagen sich beim Treppensteigen vor, was Sie jetzt zu tun haben. Es geht kaum mehr. Überlegen Sie sich beim Anziehen der Armbanduhr, wie die einzelnen Schritte gehen. Sie bekommen sie kaum mehr an.
Im Lehrgang für Zivildienstleistende im Heimbereich, veranstaltet von der DIAKONIE, teilten wir uns am vierten Tag in Gruppen auf, um jeweils einen halben Tag in der Welt unserer zukünftigen Schützlinge zu verbringen. Gruppe 1 fuhr im Rollstuhl, Gruppe 2 hatte 6 Stunden die Augen verbunden, Gruppe 3 verstopfte sich die Ohren und kommunizierte mit Zeichen und Gruppe 4 (meine Gruppe) überlegte bei jedem Vorgang genau, was zu tun ist. Beim Essen, Waschen, Anziehen, beim Spazierengehen, Türen öffnen und Zähne putzen. Es war höllisch. Aber so anstrengend sind die einfachsten Verrichtungen für schwer geistig behinderte Menschen.

Verachtet mir die Reflexe nicht
Und ehrt mir ihre Kunst.

Insofern ist die Platzänderung des «Speichern» beim neuen Mac eine richtige Bösartigkeit. Die Macher haben hier ihre ganze Schlechtigkeit aufgeboten und tief reingeschlagen. Und wahrscheinlich sind sie hinterher in die Kneipe und haben sich volllaufen lassen, tiefbefriedigt, wieder einmal etliche Kunden so richtig unglücklich gemacht zu haben. Und wenn ich es gewusst hätte, und wenn ich hätte hexen können, hätte ich ihnen den Schluckreflex weggehext.

Dienstag, 25. Oktober 2016

Ein interessanter Abend mit dem starken Putin, Frau Beller?



Heute in 20min unter der Rubrik «Geschmacksache» ein Interview mit Irina Beller.

Neben vielen dummen und unnötigen Zeilen und Informationen – sie kann nicht kochen, trinkt zuerst Bier, dann Champagner und dann Rotwein und weiss nicht, was der teuerste Restaurantbesuch war, weil immer ihr Mann Walter zahlt – sticht das Folgende ins Auge:

Mit wem würden Sie gerne einmal ein gemeinsames Abendessen verbringen?
Mit Vladimir Putin, weil er für mich die interessanteste und stärkste Persönlichkeit ist.

Ich schliesse meine Lider und atme kurz durch. Ich bin noch gar nicht wach. Ich bin am Träumen, ich liege noch im Bett und denke, ich hätte diese Zeilen eben gelesen. So etwas kann ja vorkommen. Ich öffne die Augen und schaue noch einmal auf die Wurfzeitung. Dort steht aber noch immer:

 Mit wem würden Sie gerne einmal ein gemeinsames Abendessen verbringen?
Mit Vladimir Putin, weil er für mich die interessanteste und stärkste Persönlichkeit ist.

Gut, dann halt. Wieder einmal muss man sich dem Schwachsinn dieser Welt stellen.
Frau Beller möchte ihre Abende mit interessanten Persönlichkeiten verbringen? Nun, ich hätte einige zu bieten. Mein Freund Toppy zum Beispiel, dessen Paranoia ihn dazu treibt, in jedem Restaurant zunächst den Tisch nach Abhörgeräten abzusuchen, dann jeden Bissen mit unglaublichem Misstrauen zu kauen und am Ende das Dessert in die Küche zurückzuschleudern, weil er sicher ist, man habe ihm Zyankali unter die Mousse gemischt. Mein Bekannter Rodi zum Beispiel, ein Künstler, der zu Essen grundsätzlich im völlig versauten Malerkittel erscheint und sich sofort am Tisch eine Zigarre ansteckt. Mein Freund Hibbo zum Beispiel, dessen ekklesiogene Neurose ihn dazu treibt, schon beim Apéro auf den Tisch zu springen und eine Predigt über Hosea 6,12 zu beginnen.

Sind nicht auch alle Serienkiller und Attentäter interessante Persönlichkeiten? Alle Sektenführer und Ideologen? Alle Mafiosi und Drogenbosse? Alle Spinner und Spanner, alle Exhibitionisten?
Ich verbringe meine Abende auch gerne mit interessanten Personen. Aber interessanten und NETTEN Leuten, und wenn ich mich zwischen interessant und nett entscheiden muss, dann fällt die Wahl auf nett.

Aber noch mehr als das erste stört mich das zweite Adjektiv. Eine starke Persönlichkeit. Sogar superlativisiert: Die stärkste Persönlichkeit.
Hier werden doch wieder einmal Dinge auf die bescheuertste Art verwechselt. Wenn der eine Politiker sich einer fairen Wahl stellt und, wenn er verliert, seine Niederlage eingesteht, dann ist das Stärke, wenn der andere Politiker seine Gegner zuerst mund- und dann herztot macht, um den Posten zu behalten, dann ist das schwach. Wenn ein Staatsmann Vielfalt in seinem Land schätzt und liebt, wenn es bunt und fröhlich und schrill und queer sein darf, obwohl er selber vielleicht andere Ansichten hat, dann ist das stark, wenn der Staat ein Einheitsbrei ist, in dem alle dem grossen Chef zujubeln, dann ist das schwach. Wenn man internationale Konflikte mit Diplomatie löst, ist das kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Aber Diplomatie heisst eben auch Zugeständnisse machen.

Eine starke Persönlichkeit.
Wenn man Psychogramme der entscheidenden Diktatoren des 20. Jahrhunderts erstellt, wird man entdecken, dass sie eben keine starken oder stärksten Personen waren.
Sie alle überspielten nur eine tiefe Unsicherheit, einen fundamentalen Liebeshunger mit ihrem Gehabe.
Von Ming Don Bung, dem ehemaligen Machthaber von Süd-Dahaou, ist z.B. bekannt, dass er einmal aus heiterem Himmel zehn Mitarbeiter köpfen liess, weil er so schlecht geschlafen hatte. Und er hatte so schlecht geschlafen, weil er beim Zubettgehen seinen Kuschelteddy nicht gefunden hatte.
Von Bubn Babn, einem afrikanischen Diktator, gibt es Fotos mit dem Daumen im Mund, Fotos, deren Macher er natürlich gekillt hätte, wenn er von der Existenz dieser Aufnahmen gewusst hätte.

Mit wem würden Sie gerne einmal ein gemeinsames Abendessen verbringen?
Mit Vladimir Putin, weil er für mich die interessanteste und stärkste Persönlichkeit ist.

Tja, Frau Beller, schade, dass Sie nicht z.B. Daniel Barenboim genannt haben. Mit Wagner in Israel zu kommen, das Konzert zu unterbrechen und dann aber mit den Leuten 2 Stunden diskutieren, das ist stark. Mit Musikern verfeindeten Lagern zu orchestern ist stark und interessant.
Das Ganze hat nur einen Schönheitsfehler:

Persönlichkeiten wie Barenboim wollen mit Ihnen nicht essen.
Was man verstehen kann.
    

Freitag, 21. Oktober 2016

Trump ist ein Kind des 20. Jahrhunderts



Meine Generation erinnert sich bestimmt noch an folgenden Song:

Ich sah ein schönes Mädchen
Im letzten Autobus
Sie hat mir so gefallen
Da gab ich ihr ‘nen Kuss
Doch es blieb nicht bei dem einen
Das fiel mir gar nicht ein
Und hinterher hab’ ich gesagt,
Sie soll nicht böse sein:

Rote Lippen soll man küssen
Denn zum Küssen sind sie da
Rote Lippen sind dem 7. Himmel
Ja so nah…

Heutzutage würden man dieses Lied als sexistisch bezeichnen. Stellen Sie sich einmal vor: Ein Mann sichtet eine Frau im letzten Bus, also um ca. 0.30, er küsst sie ungefragt, er küsst weiter, er kommt überhaupt nicht auf die Idee, sie möchte vielleicht nicht belästigt werden, und er entschuldigt sich mit der Begründung, dass sie eben so schöne Lippen habe und schöne Münder eben auch ungefragt geküsst werden müssten.
Interessant ist die Argumentation; weibliche Lippen sind also zum Küssen gemacht. Sie sind NICHT zu dem gemacht, zu dem männliche Lippen gemacht sind. Nämlich z.B. Essen (Frauen sollen schlank sein), Pfeifen (Männer pfeifen Frauen nach, nicht umgekehrt) oder Reden (Das Weib schweige in der Gemeinde).
Der Text dieses Liedes ist also schwer daneben, aber das würde niemand interessieren, denn der Songtext ist gefühlte 50 Jahre alt. In meiner Jugend dachte man da eben noch ein wenig anders. Da waren die Kurven der Weiber eben Kurven für die Männer, da waren die Lippen der Frauen eben zum Küssen und nicht zum Reden, da war der Po eines Mädchens eben reizvoll für den Jungen, der ihn ansah – und meistens auch anfasste.

Interessant ist, dass wir in USA einen Kandidaten haben, der scheinbar ähnliche Ansichten hat. Auch für Trump sind immer noch rote Lippen zum Küssen und nicht zum Reden da, auch für ihn sind Frauen immer noch Freiwild.
Oder anders formuliert:

Donny ist in den 70ern steckengeblieben.

Jetzt stellt sich die Frage, in welchen anderen Punkten Donny ebenfalls vierzig Jahre hinterher ist.

Hat Trump mitbekommen, dass der 1. Weltkrieg vorbei ist?
Hat er gecheckt, dass auch der 2. vorbei ist?
Hat er die Amokläufe der letzten Jahre notiert und weiss, dass nicht mehr alle Amis der Meinung sind, jeder müsse 17 Waffen zuhause haben?
Hat er begriffen, dass der letzte erfolgreiche Einsatz der Welfrieden-Truppe US-Army der in der Normandie war?
Hat er gesehen, dass sich die Einstellungen zur Homosexualität in den letzten dreissig Jahren geändert haben?
Hat er...?

Ich glaube nämlich nicht.
Und so wünschen wir uns eine Präsidentin, die voll in der Jetztzeit angekommen ist!!!

P.S. Die Varianten des Liedes, in denen ein Mann einen Mann kussüberfällt oder eine Frau einen Mann (oder eine Frau) sind zwar aktueller, aber genauso daneben!