Freitag, 29. Juli 2022

Lumbung!

Mein Blog – so merkte ich jüngst in Kassel – krankt an zwei Dingen: Es ist zu wenig Beteiligung von Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser mit im Spiel und die Posts haben zu wenig mit dem Leben zu tun. Ja, die Trennung von Blog und Leben soll aufgehoben werden und ich will viel mehr Leute beteiligen.
Mit anderen Worten: Wir brauchen mehr Lumbung. (Es ist jetzt sehr spannend, dass WORD das Wort noch nicht kennt…) Für die, die sich mit der documenta 15 noch wenig auseinandergesetzt haben: Lumbung ist das Verteilen von übrigem Reis im Kollektiv und wurde im Vorfeld der Ausstellung vom Kollektiv Ruan Grupa (auch hier wieder rote Linie…) als Beispiel für gemeinsames Denken, Arbeiten und Feiern installiert.
Es hat also nichts mit «Humbug» zu tun.

Ich gehe also in den Park und fordere Menschen auf, etwas Lebensnahes zu einem Thema beizutragen. Und weil gerade als wir am Lumbung machen sind, ein Riesensturm aufkommt, einigen wir uns auf das Thema Wind / Sturm.
Und hier das Ergebnis:

Der Wind in meiner Seele – Der Wind in meinem Herzen.

Das Wasser, Salz und die Butter in einen Topf geben und kurz aufkochen lassen.
Das Mehl darüber sieben und auf niedrigster Stufe mit einem Löffel kräftig rühren, solange, bis der Teig zu einem Kloß geworden ist und sich leicht vom Boden des Topfes löst. Den Topf nun von der Kochstelle nehmen und das erste Ei unterrühren. So lange rühren, bis es sich vollständig mit dem Teig verbunden hat, erst dann nach und nach die anderen Eier hinzufügen. (Nicht alle mit einmal hineingeben)

Bei einem richtigen Sturm sollte man alle Türen und Fenster gut schliessen und notfalls mit Brettern verrammeln. Selbstverständlich dürfen keine Blumentöpfe o. ä. auf den Fensterbrettern sein. Die Festigkeit der Dachziegel kann nicht mehr überprüft werden, man kann also nur hoffen, dass die Dachdecker ihre Arbeit gut gemacht haben. Ebenso hofft man, dass die Gärtner die Bäume gut eingearbeitet haben…

Ich bin seit Jahren ein Fan von Wind, wenn es richtig weht, dann gehe ich auf die Strasse und lasse mir die Luft um die Ohren wehen.

Die Brandteigmasse nun in einen Spritzbeutel füllen, je nach gewünschter Größe die passende Tülle dafür auswählen, und diesen bei nicht zu knappen Abstand (Am besten bei normalen Windbeuteln so 4cm) auf ein gut gefettetes oder mit Backpapier belegtes Backblech spritzen. Die Windbeutel nun bei kräftiger Hitze (220°C Ober/Unterhitze oder 200°C Umluft) ca. 20 Minuten backen. Während des Backens nicht die Ofentür öffnen, da sonst das Gebäck zusammenfällt.
Nach dem Backen die Windbeutel komplett abkühlen lassen und dann nach Belieben füllen.

Der Wind in meinem Leben – der Wind in meinem Nacken.

Zum letzten Mal
Wird Sturmalarm geblasen!
Zum Kampfe steh’n
Wir alle schon bereit!
Schon flattern Fahnen über allen Straßen
Die Knechtschaft dauert
Nur noch kurze Zeit!

Der Hausbesitzer haftet für Schäden, die der Sturm an anderen Leuten hervorgerufen hat. So sollte man unbedingt eine gute Haftpflichtversicherung haben, wenn Passanten durch Blumentöpfe oder Ziegel getroffen werden.

Wind, Wind blase
Im Felde sitzt ein Hase.

So, das ist jetzt doch sehr nett, sehr bunt, sehr Lumbung, das eine ist etwas politisch, aber alles sehr lebensnah und heiter. Woher die Beiträge stammen, ob sie die Pärkler selbst schrieben oder irgendwo herhaben – ich kann das nicht alles kontrollieren.

Beim Schliessen des Dokumentes meldet sich aber nun doch ein kleiner Mann im Ohr: Wie war das mit dem Bild in Kassel? Wie war das mit Kontrolle und Verantwortung?
Ich gehe die Texte noch einmal durch und googele ein wenig und erstarre: Das Kampflied ist die (leicht veränderte) 3. Strophe des Horst-Wessel-Liedes, des wichtigsten Songs der Nazis.
Katastrophe.
Das kann natürlich unmöglich so toleriert werden.

Vielleicht sollten wir das mit dem Lumbung doch noch einmal überdenken…









 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 26. Juli 2022

Rückerstattung für gemachte Reisen

Ich habe am Freitag, den 22. Juli am Badischen Bahnhof zwei Zugtickets zurückgebracht und das Geld wiederbekommen. Zwei Tickets, die wir natürlich benutzten, aber die nicht abgestempelt wurden. Es waren dies

Sonntag, 17. Juli Oldenburg (Ring – ich erwähnte es) – Kassel (documenta, noch einen Post wert)
und
Donnerstag, 21. Juli Frankfurt (Duchamp-Ausstellung u.a.) – Basel
(Das Ticket vom 19. Juli Kassel-Frankfurt war leider gestempelt.)

Als ich Freunden davon erzähle, gibt es ein Stirnrunzeln. Das sei, so mein Freund Hubert, doch eigentlich Betrug, ich habe ja diese Fahrt gemacht, würde also die DB um den Fahrpreis bescheissen. Meine Freundin Cara holt noch weiter aus, eine Schwächung des ÖV nutze nur der Autolobby, damit würde der CO2-Ausstoss nie gesenkt, nach ihrer Ansicht bin ich also mit meiner Rückerstattung in direkter Weise für das Abschmelzen der Polkappen verantwortlich. Holger, der sich gerade in einer sehr religiösen Phase befindet, sagt nur, ich käme direkt in die Hölle…

Es stellen sich mir zwei Fragen:
Erstens: Was habe ich für Freunde?
Zweitens: Habe ich ein schlechtes Gewissen?

Zu erstens: Alle meine Freundinnen und Freunde, nein, falsch, falsch, ganz falsch, diese drei sind keine Zugfahrer. Das wird für meine späteren Erläuterungen wohl sehr wichtig sein…
Zu zweitens: NEIN. Worauf sich schon die nächste Frage stellt, nämlich die, warum ich kein schlechtes Gewissen habe.

Ich habe kein schlechtes Gewissen, weil die DB mich schon Unsummen gekostet hat.

Nehmen wir nur einmal die Zeit, als ich in Lörrach wohnte. Wenn ich am Sonntag von meinem damaligen Partner heimfuhr, gab es immer zwei Möglichkeiten: Den ICE um (z.B.) 13.01 und dann in Basel die S-Bahn um 13.42. Der (viel billigere und zum Teil in meinem Monatsabo enthaltene) Regionalexpress um 13.15 hätte erst die S-Bahn um 14.42 erreicht, denn damals galt Stundentakt. Wenn der ICE jetzt Verspätung hatte, und da langten 15 Minuten, sass ich eine Stunde in Basel fest und nahm dann den 14.42 – das ICE-Ticket war für die Füchse.

Genauso blöd war die Entscheidung RE oder ICE, wenn der Schnellzug gerade so viel Verspätung hatte, dass der Regionaldingens auf ihn wartete. Häufig kaufte ich ein Schnellzugticket um einigermassen pünktlich nach Basel (ja, ab 2006 war es dann Basel…) zu kommen. Immer wenn ich dann mit meinem Teuerticket auf dem Perron stand, dann kam die Durchsage:
Der ICE XY ist für Regio-Abonnements freigegeben.
Auch hier wieder ein ICE-Ticket für die Katz.

Fünfzehn Jahre davor war es umgekehrt: Ich kam oft sehr, sehr, sehr, sehr, spät, zu nachtschlafender Zeit aus Basel heim. Und auch hier hätte alles wunderbar gepasst, wenn die DB keine Verspätung produziert hätte. Wenn der RE auf dem Gleis 1 einfuhr, dann sah man oben auf der Stadtbahnbrücke schon die Tramlinien kommen. Alle Fahrgäste legten nun einen Spurt hin, und manchmal klappte es und manchmal nicht. Wenn es nicht klappte, dann gab es die Möglichkeit Dönerbude oder Taxi. Die Möglichkeit, auf der Brücke 30 Minuten zu warten, ja, die gab es im Sommer. Im Winter riskierte man bei 5 Grad Celsius und Windstärke 9 eine sehr, sehr böse Grippe. Also Döner und Bier (damals 8,50 DM) oder Taxi (damals 15 DM).

Und die Reservierungen! Ach, die Reservierungen! Die Reservierungen!
Ganz früher war die Platzreservierung im ICE im Preis inbegriffen. Das ist lange her, inzwischen heischt die DB 9,-- für einen Sitzplan. (Übrigens ist dann die nächste kostenlos, die übernächste kostet wieder, ist mir allerdings erst einmal passiert, da muss man relativ doof umsteigen müssen…) Also zahlt man 9 Euro und hofft dann, nicht stehen zu müssen. Dies ist auch der Fall, es sei denn
…der Wagen ist wegen kaputter Fenster gesperrt
…der Wagen ist wegen nicht funktionierender Klimaanlage gesperrt
…der Wagen existiert nicht
…als Ersatzzug wird ein TGV eingesetzt, der wesentlich weniger Plätze hat
…eine ausländische Familie mit 6 Kindern hat sich mit 14 Gepäckstücken auf 2 Vierergruppen breitgemacht, sie spricht weder Deutsch noch Englisch und das Zugpersonal ist ausser Stande sich durchzusetzen (Obwohl ja das Wort «reserviert» praktisch ein Internationalismus ist.)
…der Platz existiert und ist frei, allerdings mit Kaffee und Burger und Bier vom vorherigen Fahrgast im Sitz (nicht auf, sondern schon eingezogen)
Das alles ist mir schon passiert. Auf der Fahrt an die Saar vor 12 Jahren hatten wir Basel-Saarbrücken komplett reserviert und standen die ganzen 4 Stunden.

So, lieber Hubert, du Moralist, So, Cara, du Klima-Aktivistin. So, Holger, du Heiliger.
Wenn ich alles zusammenzähle, was die DB mich gekostet hat, dann gibt das eine Riesensumme. Und die hole ich mir zurück.

Das ist zwar juristisch fragwürdig, aber moralisch OK.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

    

 

Freitag, 22. Juli 2022

Boris und kein Ende

Manchmal bin ich ein wenig böse mit mir, dass ich Texte schon geschrieben habe, oder dass ich Texte falsch benutzt habe. Manchmal denke ich deshalb, ich muss gewisse Sachen noch einmal bringen, vor allem, wenn sie schon 7 oder 8 oder 9 oder 10 Jahre her sind.
Ich habe Boris Johnson einmal mit diversen Werken des englischen Humors in Verbindung gebracht. Im August 2019 schrieb ich:

Mister Johnson könnte nun aus jedem dieser Werke stammen und von jedem dieser Autoren erfunden sein. Er könnte als Cäsar-Parodie bei den Pythons auftauchen oder bei Adams mit seiner blöden Haartolle auf irgendeinem Planeten herumturnen. Dahl hätte ihn nicht besser erfinden können und Terry Prattchet auch nicht. Auch in einem Mr. Bean-Sketch würde er eine lustige Figur abgeben.
Das Blöde ist nun, dass er real ist.

Und dann habe ich im Jahre 2015 in einem langen Sermon eine ganze Szene aus einem Streifen beschrieben, habe allerdings die Sache damals auf Sepp Blatter bezogen:

In ihrem wunderbaren Film Ritter der Kokosnuss bringt die Englische Komikertruppe Monty Python eine herrliche Szene. Ein Ritter kämpft mit einem anderen, der allerdings den unschätzbaren Vorteil hat, auf einem Pferd zu sitzen. Da ein Reitritter – im Gegensatz zu einem Gehritter – von oben schwerten kann, ist bald schon der erste Arm ab. Ein Riesenfontäne Blut schiesst aus dem Stumpf, und der Zuschauer muss sich, um nicht vor Ekel zu sterben, klarmachen, dass es KEIN echtes ist.
Der inzwischen einarmige Gehritter lässt sich von der Tatsache, dass seine bessere Fechthand inklusive besseren Fechtarms auf dem Boden liegt, nicht entmutigen und haut mit der anderen los. Wieder ein Cut von oben, wieder schiesst Blut aus dem Stumpf, wieder ist ein Arm ab und wieder muss sich der Zuschauer durch ein Es-ist-doch-nicht-echt-Sagen entekeln.
Der Gehritter gibt nicht auf: Er fängt an, Reitritter und Reitross mit seinem Oberkörper zu rempeln. Nun zielt der andere ein wenig tiefer und schlägt dem Feind ein Bein ab. The same procedure beginnt, Bein am Boden, blutender Stumpf, Ekelvorbeugung.
Jetzt, spätestens jetzt müsste ein vernünftiger Gehritter, nein, ein Gehritter ist er nicht mehr, Gehen setzt zwei Beine voraus, er ist nun ein Hüpfritter, jedenfalls müsste ein vernünftiger Mensch sich ergeben, um Gnade flehen und betteln, denn der nächste Streich von oben könnte die Aorta oder die Lunge treffen. Der Hüpfritter rempelt aber weiter, auf einem Bein springend und versucht Reitritter und Reitross umzuwerfen.
Dem Pferdekerl bleibt nun nichts weiter, als dem anderen auch das zweite Bein zu nehmen. Und nun, auf dem Boden kauernd, ohne Arme und ohne Beine, eklig aus vier Stümpfen spritzend, sagt dieser die unglaublichen Worte:
„Sagen wir Unentschieden.“

Es war – glaube ich – ein Fehler, diese herrliche Szene auf den korrupten Schweizer zu beziehen, vor allem, wenn ich Johnson eh schon mit den Pythons in Verbindung brachte.
Johnson ist ein dermassen impertinenter Mensch, dass es einem schon die Sprache verschlägt. Am 7.7.2022 verkündete er, dass er vom Amt des Parteivorsitzenden zurücktritt, und auch vom Amt des Premierministers, wenn ein neuer Vorsitzender gewählt ist (der nicht er ist…).
Jeder normale Politiker wäre schon längst von ALLEN – und das ist ja das Entscheidende – von ALLEN Ämtern zurückgetreten.

Lassen wir unsere Phantasie mal schweifen.
Was hätte passieren müssen, dass Boris jetzt schon von sämtlichen Mandaten die Finger gelassen hätte, dass er Downingstreet 10 geräumt hätte und sich in die Südsee zurückgezogen hätte?

1) Borislein ist ja über 50 Ecken mit sämtlichen europäischen Königshäusern verwandt. Er ist zum Beispiel ein Grossneffe 6. Grades der Queen, ist aber auch mit den Württembergern, den Oraniern, den Bernadottes und allen anderen verknüpft. Hätte es vielleicht etwas gebracht, wenn alle miteinander einen Brief geschrieben hätten, so im Stil von «wir wollen dich nicht mehr – du bringst Schande über alle Häuser», und darunter die Unterschriften von Beatrix, Carl Gustav, und, und, und, und…?

2) Der Brexit hätte nicht nur für leere Regale im Gemüsebereich gesorgt, sondern es hätten auch die ganz wichtigen Sachen gefehlt: Klopapier, Seife und Papiertaschentücher. Denn bei der Nahrung kann man ja mal umdenken, hat es kein Schwein, isst man Rind, hat es gar kein Fleisch, isst man Gemüse, man isst Nudeln, wenn der Reis fehlt, und man isst Schoko, wenn die Kekse nicht da sind. Aber aufs Klo muss man, waschen muss man sich und niesen auch, und wenn es an Klopapier, Seife und Papiertaschentüchern mangelt, dann wird es für die Politik schwierig…

3) Bei den Corona-Partys in Downing 10 hätte jemand wirklich heikle Sachen mitgefilmt und veröffentlicht: Boris strippt zu «God save the Queen», Boris wirft Bananenscheiben an die Wand, Boris versucht einen Plastikhund zu besteigen, Boris bohrt seinem Assistenten in der Nase…

4) Es wäre ein Schulzeugnis von ihm geleakt worden, bei dem man gesehen hätte, dass der Gute praktisch ein Analphabet ist.

Aber jetzt mal ganz ehrlich: Johnson hätte wahrscheinlich auch das ignoriert.
Vielleicht müsste man doch auf die gute alte Methode zurückgreifen, die jahrhundertelang in England funktionierte, ein paar gute Männer mit Schwertern bei Nacht, vorborgen hinter dem Vorhang und gut ist… 

Bei Shakespeare kann man das nachlesen.



Dienstag, 19. Juli 2022

Impressionen aus Oldenburg III

DER KLEINE SUPERMARKT

«Mafila», so lese ich oben auf dem Gebäude, das nach einem Supermarkt aussieht, als ich auf der Suche nach eben einem solchen bin. «Mafila». Das klingt nach Mafia, die will man ja nicht unterstützen, aber als ich näherkomme, merke ich, dass es «Famila» heisst.
Famila® ist die norddeutsche Supermarktkette, und als ich sie betrete, trifft mich fast der Schlag: Der Laden ist gefühlte 30 Fussballfelder gross.
Die Auswahl überfordert mich in einem Masse, das mir die Tränen in die Augen treibt. Käse? Schon die Entscheidung, ob man zu den 19 Laufmetern Abgepacktem oder an die 16 Meter lange Theke (Nummer ziehen!) geht, lässt einen sich wie Herkules am Scheideweg fühlen. Der Scheideweg führt übrigens zur Famila®, ich weiss nicht, ob das ein Zufall ist. Marmelade? Es gibt jede Fruchtsorte, dazu Ingwer, Gurke, Pfeffer, Calamares und Karotte, jeweils vegan oder nicht vegan, mit 10%, 20%, 30% oder 50% Zucker. Brot? 12 Meter von Dinkel bis Chia, mit oder ohne Körner, Sesam oder Mohn. Und das Ganze ist nur der Food-Bereich. Man kann genauso Duschgel (231 Sorten), Zahnpasta (467 Sorten) oder Heftpflaster (325 Sorten) einkaufen.
Das komplette Ding ist eine totale Überforderung. Zumindest für mich – ich erwarte, irgendwo zusammengebrochene und weinende Oldenburger zu sehen, aber Fehlanzeige. Die Einheimischen meistern das tapfer.
Am Abend redet Frank immer vom «kleinen Famila» und da begreife ich, dass es neben dem 30 Felder grossen am Scheideweg noch einen «wirklichen grossen» Famila gibt, weiter draussen an der Autobahn.
Zu dem traue ich mich nicht hin.
Die Angst, für immer in dem Laden verloren zu gehen, ist zu gross.

WOHNUNG AB 800000.--

Wenn du etwas über eine Stadt wissen willst, dann studiere die Immobilienanzeigen.
Und so stehen wir eine Weile vor den Aushängen von Feddersen, Feddersen & Feddersen, Immobilien – Verkauf und Vermietung und lesen die Angebote. Auf den ersten Blick muss man sagen: Wirklich günstig ist Oldenburg nicht. Aber das hatten wir ja schon im letzten Post. Gut, fern am Deich gibt es schöne Villen mit 45 Hektar Grundstück. Aber da brauchst du dann schon wieder Minimum zwei Dinge: Ein grosses Auto und einen Gärtner…
Eine Anzeige fällt uns aber ins Auge:

SUCHEN
für solventen und netten Klienten
Altbauwohnung (Gründerzeit oder Jugendstil) in der Innenstadt
5 – 7 Zimmer
ab 160 qm
ab 800 000.--
Angebote an 01511 4545786

Das erstaunt uns jetzt doch einigermassen, denn es muss doch hier ein Schreibfehler vorliegen. Normalerweise will der Verkäufer ein Minimum und der Käufer bietet ein Maximum, es müsste also «bis…» heissen. Oder gibt es wirklich so reiche Leute, die nicht wohin wissen mit ihrem Geld?
Meine Erklärung heisst Geldwäsche. Da möchte jemand schmutziges Geld ins Reine kriegen, und da sucht er natürlich eine nicht zu grosse, unauffällige Wohnung, er muss aber minimalst achthunderttausend Euro losbekommen.
Vielleicht war mein Lesefehler mit der Mafi(l)a gar nicht so verkehrt… 

AUSFLÜGE

Wohin fährt man an ringfreien Tagen? Es waren dieses Mal immerhin fünf. Gut, auch Oldenburg bietet eine Menge, aber wenn man schon in der Gegend ist, dann…
…fährt man nach Bremen. Zum Roland und zu den Stadtmusikanten. Und man lässt im «Viertel» bei einem Espresso die studentisch-lockere Atmosphäre auf sich wirken. Und geht dann im Schnoor essen, wobei man aufpassen muss, dass man nicht zu viel zu sich nimmt, denn es sollen in den winzigen Gässlein (Breite gefühlt 30 cm) schon Leute stecken geblieben sein.
…fährt man nach Worpswede. Allerdings nur, wenn man Maske tragen will, denn dort ist FFP2-Pflicht. Nach Hausrecht. Wegen Enge. Wir lassen es deshalb sein.
…fährt man nach Leer. Endlich war ich einmal in Ostfriesland, da hatte ja man schon eine Menge davon gehört, aber Leer ist weder voller doofer Leute noch eine doofe Stadt. Es ist sehr schnuckelig.
…fährt man nach Dangast. Und nach Dangast fährt man aus zwei Gründen: Den übergrossen Penis gucken, die Skulptur von Eckart Grenzer stellt das Folgende dar: Direkt an der Hochwassergrenze aufgestellt (Dem Land das Meer – Dem Meer das Land), versinnbildlicht das Meer das weibliche Element – demnach das Land das männliche. So kommt es durch die Gezeiten zur Begegnung, oder Umarmung der Geschlechter. (na ja…) Die zweite Sache, die nach Dangast lockt, ist der legendäre Rhabarberkuchen im Kurhaus, den angeblich schon die Brücke-Maler schätzten, die einige Sommer hier arbeiteten.

So, nun endlich Schluss mit dem Norden. Ab Freitag wieder andere Themen.

Freitag, 15. Juli 2022

Impressionen aus Oldenburg II

WAS IST IM FLÖTENTEICH?

Als mein Expartner die Ferienwohnungen buchte, hat er sicher nicht genau diese genommen, weil sie in der Nähe einer Bademöglichkeit liegen. Als ich aber in Google Maps die Kreyenstrasse nachschlage, bin ich sehr erfreut, in 800 Meter Entfernung den Flötenteich zu finden. Am zweiten Morgen gehe ich auf dem Weg zum Frühstücksbrötchenbäcker dort vorbei.
Ich frage eine Frau mit Hund, ob das Schwimmen in diesem Gewässer erlaubt sei. Sie sagt mir, ja, erlaubt sei das schon, aber das Wasser sei brackig und entig und trübe, und weil das Wasser brackig und entig und trübe sei, würde sie nicht empfehlen in diesem brackigen und entigen und trüben Wasser zu baden.
Ich tue aber genau das. Ich finde eine schöne Stelle und stelle fest, dass das Wasser zwar flach und trübe, aber sehr angenehm ist, nur der Boden ist ein wenig sumpfig, sodass man beim Rausgehen dreckige Füsse bekommt.
Zwei Tage später bin ich wieder dort. Nun spricht mich ein Rentner mit Hund an und rät mir auf das Dringendste ab. Der Boden des Sees sei voller Scherben, denn die Jugendlichen, die hier feiern, würfen ihre Flaschen hinein. Nun könnte man ja allenfalls noch sagen, dass der See brackig und entig und trübe sei, aber dass Flaschen in einem moorigen Untergrund bersten, das will nicht in meinen Kopf.
Nun frage ich mich also: Warum wollen alle Oldenburger, dass niemand im See badet? (Denn es tut auch niemand.) Ich kann es mir nur so erklären, dass der Flötenteich ein zu hütendes Geheimnis birgt. Ein Geheimnis auf dem Grund in der Mitte des Teiches, und weil der See durchweg nur 70 cm tief ist, würde ich relativ schnell darauf kommen.
Was birgt der Flötenteich?
Den letzten Schatz des Oldenburger Reiches?
Leichen?
Dokumente?
Ich forsche nicht weiter, denn der Abrate-Vehemenz zu urteilen scheint auch der Zorn der Oldenburger schrecklich zu sein.

GELD

Oldenburg ist teuer. Und damit meine ich nicht, dass ich das Gefühl habe, viel Geld auszugeben. Das tue ich nämlich nicht, denn alle deutschen Preise sind für uns Schweizer gesunken, der Franken ist auf einem – vor 12 Monaten nicht vorstellbaren – Kurs von 0,99 Euro.
Nein, ich stelle mir vor, ich hätte hier Lohn oder Rente und müsste hier die Dinge bezahlen. Das wäre schwierig. Aber dennoch, es wimmelt in der Oldenburger Innenstadt von kleinen, schicken Läden (keine Ketten), wo die Sachen edel und gut, aber auch teuer sind, es gibt Super-Gourmet-Lokale mit entsprechenden Preisen und auch der Ring ist nicht so billig, wie ich es erwartet habe.
Oldenburg hat keinen Hafen und keine Industrie, es wird nichts produziert oder zu Tage gefördert, wo hat die Stadt ihr Geld her?
Das eben kann ich mir nicht erklären. In der Kleinen Burg sitzt ein Paar am Nachbartisch, er ist ca. 18 und sie auch, beide sind schick angezogen und essen das 4 Gang-Menü. Selbst in Basel wäre das sehr, sehr, sehr, sehr ungewöhnlich. Verwaltungs- und Beamtenstadt, sagt Frank, den wir am Dienstag zum Essen treffen, wir kennen ihn sehr lange und er ist ein Ur-Oldenburger. Verwaltung und Beamte, das bringt scheints Geld.
Wäre das nicht eine Lösung für die gesamte europäische Finanzmisere? Wir machen 50% der Bevölkerung zu Verwaltern und Beamten und die andere zu Dienstleistern. Irgendwie geht in meinem Kopf zwar die Rechnung nicht auf, aber ich bin vielleicht zu wenig Finanzexperte…

MOIN, MOIN

In Oldenburg spricht man Niederdeutsch.
Das ist jetzt natürlich ein totaler Quatsch, weil Niederdeutsch, Plattdeutsch die EIGENTLICHE Sprache wäre, die meisten Bewohner aber reden einfach Deutsch und bei vielen ist man froh, wenn sie überhaupt Deutsch können. Gepflegt wird aber die heimische Sprache, Frank ist in einem Konversationskurs der VHS, in dem sie einmal in der Woche nur Platt reden.
Kommen Sie mir bitte jetzt nicht mit dem Niederländischen. Das ist etwas völlig anderes. So lustig es klingt: Über der Grenze in Midwolda, Winschoten oder Scheemda könnte ich mühelos verstehen und reden, hier im Deutschen kann ich es nicht.
Die einzige Redewendung, die man sich angewöhnt ist «Moin, Moin».
Hartnäckig und verbissen hält sich das Gerücht, dass die Oldenburger, Hamburger und Friesen den ganzen Tag Morgen hätten, also auch am Abend einen guten Morgen wünschen. Das ist Blödsinn, «moin» heisst einfach «schön», man wünscht also einen «schönen…» und der oder die Angesprochene ergänzt die Tageszeit.
Und auch hier wieder Heimatgefühl: In der Schweiz macht man es genauso: Man wünscht «e schöne» (oder in Basel «e scheene») und der Rest wird ergänzt.
Sprachlich ist das eine wunderbare Sache, denn Redner und Hörer können auch völlig aneinander vorbei denken. Der eine hört «einen schönen…» und der andere meint aber «einen schönen… Hautausschlag».

So viel für heute. Am Dienstag die dritte und letzte Tranche.

Dienstag, 12. Juli 2022

Impressionen aus Oldenburg

WARUM OLDENBURG (IN OLDENBURG)?

Ich habe ja schon ein paar Male über die ehemaligen deutschen Fürstentümer geschrieben, über die Anhalter und Nassauer, über die Hohenzollern und Lauenburger, nun also Oldenburg. Oldenburg in Oldenburg, so der völlig bescheuerte Name, Oldenburg in Oldenburg, also Oldenburg als Hauptstadt des ehemaligen Kleinstaates Herzogtum Oldenburg, der Zusatz um es von dem Oldenburg in Holstein (auch so ein ehemaliger Kleinstaat) zu unterscheiden.
Heute ist Oldenburg ein Teil des Landes Niedersachsen, Niedersachsen, nicht von «nieder» wie «niedere Motive» oder «niedere Gedanken» oder «niederträchtig», sondern einfach «tiefer gelegen», Bundesland Niedersachsen mit Hauptstadt Hannover, wo man (von Basel kommend) auch in den IC nach Ostfriesland umsteigt.
Der Oldenburger sieht sich aber noch nicht als Ostfriese, er oder sie tendieren noch mehr zur Weser (also Bremen) als zur Ems und damit nach Leer.
Was treibt einen nach Oldenburg? Natürlich der Ring, jener Ring, der mehrfach coronaverschoben wurde und jetzt endlich stattfindet – ich habe darüber gepostet – und ziemlich gut ist, denn als ehemaliges Fürstentum hat Oldenburg ein Staatstheater.
Und damit Schweizer sich richtig heimisch fühlen, ist die Kulisse ein Alpendorf bzw. ein Alpenbauernhof.

DIE LIMOUSINE VOR DER KIRCHE

Wir beschliessen einen Einkaufsbummel in der Garda Gourmet Weinbar – aber keine Angst, ich bin standhaft, stets und immer noch, es gibt Espressi und eine Holunderlimo (die allerdings wunderbar im langstieligen Glas serviert wird) und Kekse, die (wahrscheinlich) aus der benachbarten «Kekserei» stammen. Die neugotische Lamberti-Kirche konnten wir nicht besichtigen, denn dort wird bald eine Hochzeit stattfinden.
Zwei missmutige Frauen in schlechtsitzenden (weil zu engen) Kleidern hetzen vorüber und wir philosophieren eine Weile über die Tatsache, dass Hochzeiten ja etwas Fröhliches, Heiteres sein sollten und diese beiden Frauen irgendwie gezwungen waren, an der Hochzeit teilzunehmen, und dass wir froh sind, dass keine «Pflichthochzeiten» mehr auf uns warten. Unsere Neffen und Nichten haben nicht vor zu heiraten, denn dazu fehlt ihnen eine Grundvoraussetzung: Ihre Existenz.
Die Braut kommt an: In einer Stretchlimousine.
Nun ist der einzige Mensch, den man in einer Stretchlimousine erträgt, schon tot, es war jener Reeder mit der unglaublichen Brille: Ari Onassis. Sonst gehen die Dinger gar nicht – und sie gehen schon gar nicht vor einer evangelisch-lutherischen Kirche.
So ein 8 Meter langes Ding symbolisiert alles das, wogegen eine Kirche sein sollte: Es hat einen Energieverbrauch, der jeder Bestimmung spottet, Fridays… war da was? Nach uns die… Bis wir alt sind, hebt die Erde ja noch. Das Onassis-Teil steht aber auch für Geld (das wir haben und andere nicht) und steht für eine grenzenlose Eitelkeit, die ja immerhin früher bei den katholischen Brüdern und Schwestern eine Todsünde war. Man kann nur hoffen, dass der Pastor, der die Trauung anberaumte und jetzt gleich vollziehen wird, von der Limousine nichts gewusst hat und sie nicht etwa gar noch ERLAUBTE…

DER TÜRKISCHE BARBIER

Ich habe es vor den Ferien nicht geschafft zum Friseur zu gehen. Und hier habe ich Zeit. So gehen mein Partner und ich von der Ferienwohnung in Nadorst los, denn wir haben vom Bus aus etliche Barbierläden gesehen. Und hier beim türkischen Barbier, der mir wunderbar die Haare auf 10mm kürzt, mir die Augenbrauen richtet und Nase und Ohren mit Wachs von Härchen befreit, ja, hier im Barbershop á la Izmir, da fühle ich mich richtig zuhause. Denn in Basel gehen die Herren, die nicht unbegrenzt Geld haben, ja auch über die Brücke nach Kleinbasel zu einem der serbischen, türkischen, albanischen oder arabischen Barbiere, um sich dort den Kopf richten zu lassen. Wäre mein Figaro ein echter Norddeutscher gewesen, ich hätte mich fremd gefühlt.
Ist das nicht seltsam? Ist das nicht sehr merkwürdig, dass mir so heimelig wird, wenn die Coiffeure in diesem Laden untereinander in einer mir nicht verständlichen Sprache reden und nicht etwa Plattdeutsch? Man müsste den Heimatbegriff völlig neu definieren.

DIE UNDURCHSCHAUBAREN BUSLINIEN

Unsere Ferienwohnung liegt an der Buslinie 304 von Ofenerdiek nach Bümmerstede. Abgesehen von diesen herrlichen Namen, über die allein man ja schon ewig posten könnte, die Linienführung ist für uns undurchschaubar. Hin- und Rückweg werden in der Innenstadt auf unterschiedlichen Routen genommen, was in der Übersicht (die kein Mensch versteht) aussieht, als würden alle Busse (die anderen fahren nämlich genauso) im Kreis fahren.
Es entspinnt sich nun eine Diskussion, ob Oldenburg ein speziell unverständliches ÖV-Netz hat oder ob man daheim sich an die verrückten Linienführungen gewohnt hat. Natürlich ist letzteres der Fall: In Basel fährt der 36er auf verschiedenen Routen durchs Gundeli, 15er und 16er kreuzen sich auf allerliebste Weise und der 1er verwandelt sich auf der Dreirosenbrücke in den 14er. All das kennt man einfach – und in 7 Tagen werde ich das Busnetz für die gewöhnlichste Sache der Welt halten.

Am Freitag mehr aus dem Norden.