Dienstag, 29. August 2023

quasi

Seit einiger Zeit rege ich mich ja darüber auf, dass mir WORD Wörter mit einer Linie unterlegt, die das Programm als «Füllwörter» brandmarkt. Sobald ich «ich habe übrigens gedacht» oder «er ist ja dann…» schreibe, erscheint eine blaue gestrichelte Linie und der Hinweis:

Versuchen Sie, Füllwörter zu vermeiden

Wobei es schon eine Frechheit ist, diese tollen kleinen Wörter als «Füllwörter» zu bezeichnen. Füllwort? Das klingt nach Wörtern, die man einfach in einen Satz hineinstopft, ohne dass sie den Sinn des Ganzen verändert. Das tun diese Wörter gerade nicht. Die Grammatiken bezeichnen diese deshalb auch als Modalpartikel, Negationspartikel, Gradpartikel, Ausdruckspartikel oder Gesprächspartikel…

Ich habe lange gedacht, dass der Grund, weshalb man Jagd auf diese schönen kleinen Wörtchen macht, wäre eine totale Fokussierung auf das Geschäftliche, Wissenschaftliche, auf das Unliterarische und Unlyrische. Heute denke ich aber, der Grund ist hauptsächlich die AI oder KI. Denn AI oder KI hat mit solchen Winzigwörtern ein klares Problem. Und wir müssen uns natürlich der AI oder KI anpassen und nicht umgekehrt…

Und so werden diese Wörter von AI und KI und WORD und Textprogramm gejagt:
…übrigens
…doch
…ja
…eigentlich

Das neueste Opfer der Jäger heisst «quasi»
Quasi.
Was für ein wichtiges, was für ein bedeutendes, was für ein zentrales Wort!
Absolut kein Füllwort!

«Quasi» wird mit den Bedeutungen an und für sich, annähernd, beinahe, eigentlich, entsprechend, etwa, fast, gewissermaßen, gleichsam, im Grunde (genommen), im Prinzip, in etwa, insofern, nahezu, nämlich, praktisch, prinzipiell, so, so gut wie, sozusagen, überhaupt, ungefähr, um es (mal) so zu sagen geführt.

Man stelle sich nur Sätze vor wie:

«Ich bin quasi der Eigentümer dieser Gartenlaube.» Das heisst doch, ich habe das (ungeschriebene oder sogar geschriebene) Nutzungsrecht, ich habe die Schlüssel, ich darf jederzeit dort sein, ich kann auch die Fenster bunt anstreichen, ich kann alles, nur nicht: Ich kann die Gartenlaube nicht verkaufen, denn ich bin NICHT der Eigentümer, ich bin es nur «quasi».

«Ich bin mit dem Roman quasi fertig». Das heisst doch, ich sehe Land, ich brauche nur noch drei Wochen, man KÖNNTE schon einen Termin für ein erstes Lektorengespräch ausmachen, ich werde keine neuen Figuren und keine neuen Orte einführen, ich sehe den Schlusssatz vor mir, aber wirklich FERTIG, so FERTIG, dass mein Lektor das Werk abholen könnte, bin ich eben nicht.

«Ich möchte die Zahlung noch ein paar Tage aufschieben, mein ausstehendes Honorar ist quasi auf dem Konto.» Heisst, das Geld ist eben NOCH NICHT auf dem Konto, es ist vielleicht angekündigt, vielleicht angesagt, vielleicht erwartet, aber es ist einfach noch nicht DA. Ich weiss nicht, ob die Stelle, der man eine grosse Summe schuldet, sich auf dieses Quasi-Spiel einlässt, das klingt doch sehr nach Ausrede…

Die Liste der Beispiele liesse sich bis ins Unendliche fortsetzen:
«Ich bin quasi der Chef.»
«Ich habe quasi promoviert.»
«Ich bin quasi Italienischer Staatsbürger.»
usw.
usw.

Nein, das schöne kleine Wort ist kein «Füllwort». Es ist wichtig, vielleicht kommt sogar ein Teil unserer Probleme daher, dass wir ständig das Echte mit dem Quasi verwechseln. Wenn eben Quasi-Experten uns eine Quasi-Lösung präsentieren und man uns unterstellt, wir seien ja quasi einverstanden, weil das ja quasi eine gute Sache ist, dann ist das eben nur quasi OK.

Seit einiger Zeit rege ich mich ja darüber auf, dass mir WORD Wörter mit einer Linie unterlegt, die das Programm als «Füllwörter» brandmarkt. Sobald ich «ich habe übrigens gedacht» oder «er ist ja dann…» schreibe, erscheint eine blaue gestrichelte Linie.
Und sie kommt eben auch bei «quasi», und ich bekomme eine Krise.

So, genug für heute. Ich lege mich jetzt aufs Sofa und höre ein wenig Musik.
Beethoven, Sonate op. 27 Nr. 2 in cis-Moll.
Mit dem völlig falschen Beinamen «Mondscheinsonate». Aber mit dem echten Untertitel

Sonata quasi una fantasia







 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 25. August 2023

Vorhersehbar!

Ich höre das wunderbare Musikstundenrätsel, das die wunderbare Katharina Eickhoff uns immer am zweiten Samstag des Monats in SWR2 stellt.
Im August 2023 ist das Thema «Sommerfrische in den Bergen». Nachdem die Lösungen der ersten Fragen «Richard Strauss» (der Wanderer in der «Alpensinfonie») und «Paul Hindemith» (Filmmusik zu «Kampf um den Berg») uns die Buchstaben S und U geliefert haben, denke ich, dass die gute Katharina jetzt eventuell uns wieder auf den Mont Ventoux schicken wird, denn sie ist ein erklärter Petrarca-Fan und hat die Besteigung im April 1336 schon zweimal verwurstet.
Und, Tatsache: Frau Eickhoff holt aus, erzählt vom italienischen Dichter in Frankreich und es geht auf den Gipfel des Provence-Berges. Ist ja auch toll, diese Besteigung – ich habe am 5. 3. 2019 ihr auch einen Post gewidmet.
Katharina Eickhoffs wunderbares Rätsel hat also (auch) eine gewisse Vorhersehbarkeit.

Wenn man mit meiner Nichte, die im 9. Semester Architektur studiert, durch eine Stadt läuft, dann kann man mit 100%iger Wahrscheinlichkeit ihre Reden voraussagen.
Man läuft an einem Jugendstilhaus aus dem Jahr 1903 vorbei, an dem drei Ranken silbern angestrichen sind, und man weiss, dass sie jetzt erwähnen wird, dass an Jugendstilhäusern aus dem Jahr 1903 keine Ranken silbern angestrichen gehören, und dann räuspert sie sich und sagt: «An Jugendstilhäusern aus dem Jahr 1903 gehören keine Ranken silbern angestrichen.»
Und dann läuft man an einem Gebäude von einem offensichtlichen Schüler von Richard Meier vorbei, dessen weisse Bauten ja immer etwas Verschmuddeltes haben, wenn sie nicht regelmässig geputzt werden, und man weiss, sie wird genau das jetzt auch sagen und dann hebt sie an, redet und spricht: «Bauten aus der Richard-Meier-Schule MÜSSEN regelmässig geputzt werden, sonst sehen sie einfach nur schmuddelig aus…»
Vorhersehbar.

Aber ich kehre auch vor der eigenen Türe:
Nehmen Sie mich!
Gehen wir zum Griechen, und Sie denken, Rolf wird jetzt Dolmades und Moussaka bestellen – und ich bestelle genau das. Gehen wir zum Italiener, und Sie denken, Rolf wird jetzt Insalata Mista und Lasagne bestellen – und ich bestelle genau das. Gehen wir zum Thailänder, und Sie denken, Rolf wird jetzt Frühlingsrollen und ein Curry mit Erdnüssen bestellen – und ich bestelle genau das.
Und wenn Sie denken, ich habe heute Morgen (es ist Sonntag) erst einen Kaffee getrunken, dann zwei Patiencen gelegt und dann mein Französisch auf Duolingo geübt, dann…, dann…, dann liegen Sie genau richtig.
Auch ich bin absolut vorhersehbar.

Aber ist das eigentlich so schlecht?
Ich stelle mir einen Samstagmorgen vor, an dem nichts so wäre, wie man es sich am Abend vorgestellt hat: Die Sonne geht mit grüner Färbung nicht vor dem Wohnzimmerfenster, sondern vor dem Küchenfenster auf, die Kaffeemaschine, die komischerweise im Bad steht, liefert nur Cappuccino und spielt dazu auch noch «Mbube». Ich setze mich – nachdem ich ihn gefunden habe, denn er steht nicht im Büro, sondern im Esszimmer – an meinen Laptop. Dort heissen alle Dateien anders, und in SWR2 kommt um 9.00 eben nicht die Musikstunde, sondern eine Direktübertragung eines Metal-Festivals.
Nein.
Ich geniesse es schon, dass die Dinge am Morgen so sind wie immer, also vorhersehbar, die Sonne geht golden vor dem Wohnzimmerfenster auf, die Kaffeemaschine steht in der Küche und liefert Espresso, und sie spielt auch nicht «The Lion sleeps tonight» («Mbube» ist der Originaltitel). Mein Laptop steht im Büro und in SWR2 kommt um 9.00 die Musikstunde – am 2. Samstag des Monats mit dem Rätsel.
Vorhersehbarkeit hat also zwei Seiten: Einerseits langweilt sie uns manchmal, andererseits sind wir auf die angewiesen.

Ein weiterer Aspekt ist natürlich der Riesenaspekt der Dinge, die man wahrscheinlich gar nicht oder schwer vorhersagen kann:
Das Wetter und die Wetterereignisse
Die Wirtschaft und die Börsenkurse
Die Verbreitung von Krankheiten
Kriegsverlauf
usw.
usw.
Sie stutzen? Nun, horchen Sie doch einmal in «heute journal» oder «Tagesthemen», oder in «10 vor 10» oder «ZIB 2» einmal genau hin. Jedes Mal kommt ja irgendeine Expertin oder ein Experte, besonders beliebt sind zurzeit Wehrtechniker oder Militärstrategen, sie haben die Riesenphalanx der Virologinnen und Virologen abgelöst.
Und was ist ihr am meisten gesagter Satz? «… das lässt sich ganz schwer vorhersagen, weil…» Du liebe Güte, wenn sie Expertinnen und Experten sind, dürfen die dann so einen Spruch machen? Dass Dinge schwer vorherzusagen sind, weiss ich selber.

Vielleicht aber sollten die Medien auch viel mehr Dinge vorhersagen, die wirklich vorhersehbar sind. Schön wäre doch jeden Abend ein Satz, der uns trösten wird:

Morgen wird die Sonne wieder aufgehen.

Wäre doch sehr tröstlich.

      

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

P. S.:

Nein, ich sage Ihnen jetzt nicht, welchen Buchstaben von «Francesco Petrarca» Sie nehmen müssten, und ich sage Ihnen auch nicht, wie die Lösungen der anderen Fragen heissen. Sonst haben Sie das Lösungswort und schicken es ein und schmälern meine Gewinnchancen, man kann da nämlich wirklich gewinnen, 2015 habe ich zwei Karten für «Koma» gewonnen, nein, ich kam nicht ins Koma, das war die Oper von Herrn Haas.

 

  

Dienstag, 22. August 2023

Das Normale und das Besondere

Ich lese mit Schrecken in einem Internet-News-Blog:

Freitagabend in einem Gault Millau-ausgezeichneten Restaurant in Zürich. Zum Dreigänger gibts hier nicht nur die übliche Wein-, sondern auf Wunsch auch eine hybride- oder gänzlich alkoholfreie Essensbegleitung. Das Ganze wird auf der Karte mit «Stilvolle 0,0 %» angepriesen. Statt Prosecco zum Apéro gibts also Sparkling Tea aus Deutschland, statt Weisswein zur Vorspeise bekommen promillesensible Geniesserinnen Well Hirschbirne vom österreichischen Obsthof Retter ausgeschenkt und zum Hauptgang gibts Berliner Kolonne Null statt des obligaten Rotweins…

Ein paar Zeilen später wird sogar von einer «Generation Dry» gesprochen. Fazit des Ganzen ist: Saufen ist out, Saufen tun nur noch die Alten, die neue, hippe, junge und smarte Generation ist schön, sportlich, trainiert, clean, rauchfrei (das sowieso!) und jetzt auch bei 0 % Alkohol.

Ich bin total entgeistert und erschrocken, ich bin total fertig und entsetzt.
Warum bin ich total entgeistert, erschrocken, total fertig und entsetzt? Weil ich, als ich aufhörte Alkohol zu trinken, alles, alles, alles, wollte, nur nicht hip sein. Ich wollte meinen Körper und meinen Geist wieder auf die richtige Bahn lenken, aber sicher nicht «in» sein.
Im Gegenteil: Ich hatte gehofft (gehofft!), ein 0 %-Konsum würde mir ein Merkmal geben, das mich von anderen unterscheidet, das mich herausstellt, das mich auszeichnet.
Nix da.
Pustekuchen.
Ätsch.

…Die Europäer trinken weniger Alkohol. Das hat eine Befragung des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung ergeben. Demnach ist der Alkoholkonsum seit Beginn der Pandemie in allen europäischen Ländern gesunken. Ähnliche Tendenzen lassen sich in den USA beobachten…

Wir suchen doch alle etwas, das uns aus der Masse heraushebt. Eine Art (oder Unart), ein Kleidungsstück, ein Hobby, ein Körper- oder Gesichtsmerkmal. Wir gewöhnen uns an, in einer bestimmten Art an die Nase zu tippen oder vor jeder Äusserung uns zu räuspern. Wir legen uns einen bunten Topf-Hut im Ugly-Style zu. Wir fangen an, interessante Klopapierrollen zu sammeln oder Hallenhalma zu spielen. Wir lassen uns ein altaztekisches Symbol auf den Arm tätowieren oder piercen uns die Ober- oder Unterlippe.
Was aber, wenn sich alle auf einmal an die Nase tippen und sich vor jeder Äusserung räuspern? Was, wenn alle auf einmal bunte Topf-Hüte im Ugly-Style tragen? (…was ja bald der Fall sein wird…) Was, wenn alle WC-Rollen sammeln und alle Hallenhalma spielen? Was, wenn die Mehrheit tätowiert und gepierct ist? (…was ja, glaube ich, schon der Fall ist…)
Nun, dann, ja dann hebt es uns aus der Masse heraus, uns NICHT an die Nase zu klopfen und NICHT «hmhmhmhm» zu machen, dann sind wir singulär, wenn wir KEINEN Eimerhut (so heissen die ja eher) tragen, sind wir etwas Besonderes, wenn wir Briefmarken sammeln oder Skat spielen, sind wir total zu erkennen, wenn wir KEIN Tattoo haben, KEIN Piercing und KEINE aufgespritzten Lippen.

Nehmen wir doch gerade mal die unsägliche Tätowierung: Sie zeigt uns auf doppelte Weise, wie das Besondere ins Gewöhnliche und das Gewöhnliche ins Besondere kippt: Wenn – wie so häufig bei Extrem-Tattoo-Fans – der ganze Körper gestochen ist, dann erscheinen die wenigen Stellen, an denen man die blasse, weisse, normale Haut sieht, wie hervorgehoben.
Und: Wenn alle Menschen tätowiert sind, dann fällt der Nicht-Tätowierte halt umso mehr auf…

Wie schafft man es nun, etwas Besonderes zu sein?
Ich sehe eigentlich nur zwei Möglichkeiten:

Die erste ist, eine quasi umgekehrte Trend-Nase zu haben. Also jeden Trend zu spüren, zu merken, zu registrieren und dann je umgekehrt mitzumachen oder eben nicht mitzumachen. Wollen Sie ein Beispiel? Gut: Sie bekommen (durch regelmässigen Socialmediakonsum) mit, dass alle Leute sich an die Nase fassen. Und das machen Sie nicht mit, ja Sie posten sogar Videos, in denen sie demonstrativ Ihre Hände zwei Minuten in die Höhe halten. Das machen Sie ein paar Wochen so, bis – und das merken Sie sofort, weil Sie ja wachsam sind – das erste Video auftaucht, indem ein Influencer genau das macht. Dann, ja dann, ja dann, ja dann fangen SIE an, sich an die Nase zu langen.
Die Methode funktioniert, aber sie ist sehr anstrengend. Logisch. Es ist genauso nervenaufreibend, jedem Trend hinterherzulaufen wie das Gegenteil zu tun…

Die zweite ist viel, viel entspannter: Sie machen das, was Sie immer tun, Sie bleiben bei einer Sache. Und das ist zunächst normal, dann ist es für ein Jahr wahnsinnig spannend und extravagant, dann ist es wieder normal. Beispiel: Sie tragen keine Ugly-Style-Eimerhüte. Was normal ist, weil niemand Ugly-Style-Eimerhüte trägt. Dann wird es für einen Herbst Mode und alle tragen Ugly-Style-Eimerhüte und SIE sind der Herausragende, der Besondere. Das ist ein wenig so wie das Berühmtsein-für-15-Minuten, von dem Warhol redete. Und ein Jahr später trägt niemand mehr Ugly-Style-Eimerhüte und Sie sind wieder normal. Nachteil: Sie sind nicht immer berühmt. Vorteil (wie gesagt): Viel entspannter.

Ich werde es genauso machen: Ich trinke keinen Alkohol mehr und rauche keine Zigaretten. Und ich hoffe, dass nach ca. 10 Jahren Fitness-Health-Wahn die Menschheit wieder exzessiv säuft und schlotet. Und ich die Promi-Persönlichkeit bin: «Rolf Herter? Das ist der Typ Ende 60, der keinen Alkohol trinkt und nicht raucht.»





Freitag, 18. August 2023

Der Speisenzubereitungsendeinformationspiepser

In der Fastfoodbude – eine pantomimische Groteske in 7 Bildern

Personen:
Hyr, ein Esslustiger
Har, ein Fastfoodbudenmitarbeiter

Ort und Zeit: Ein Fastfoodlokal in der Jetztzeit

Zwischen den Bildern jeweils ein Black von 30 Sekunden, das heisst, beim reinen Lesen bitte für eine halbe Minute die Augen schliessen.

Bild 1
Har steht allein hinter der Verkaufstheke. Hyr betritt die Szene und sieht Har. Har deutet auf einen Verkaufs-Bildschirm an der einen Seite.
Hyr: Ich hätte gerne…
Har: Bitte den Automaten benutzen.
Hyr: Aber…
Har: Bitte den Automaten benutzen.

Bild 2
Hyr steht nun vor dem Bildschirm, er drückt immer wieder darauf herum und murmelt vor sich hin.
Hyr: Wählen Sie eine Sprache…Deutsch…Wählen Sie eine Speise…Beilagen…Pommes Frites…Klein…Bitte bezahlen Sie mit der Karte…
Hyr zückt seine Kreditkarte und zieht sie durch den Schlitz
Hyr: Geheimzahl…645786234…nein…89745634…Ok…Bitte nehmen Sie einen runden Speisenzubereitungsendeinformationspiepser…
Er blickt Har an.
Hyr: Speisenzubereitungsendeinformationspiepser?
Har: Speisenzubereitungsendeinformationspiepser. Ich komme.

Bild 3
Har steht nun neben Hyr und diktiert ihm die Schritte, die Hyr dann ausführt.
Har: Sehen Sie, diese runden schwarzen Teile…ja, eines nehmen…und jetzt die Zahl darauf eintippen…ja, die 87…und jetzt warten Sie bitte, bis das Teil vibriert und leuchtet und piepst.
Hyr: Vibriert und leuchtet und piepst?
Har: Vibriert und leuchtet und piepst.

Bild 4
Hyr steht auf der einen Seite neben seinem Piepser, Har steht hinter der Theke.
Hyr: Und jetzt warten wir, bis mein Speisenzubereitungsendeinformationspiepser vibriert und leuchtet und piepst.
Har: Ja.
Hyr: Obwohl ich ja direkt sehe, wann Sie meine Pommes Frites in der Hand halten.
Har: Ja.
Hyr: Und obwohl Sie mich auch rufen könnten.
Har: Ja.
Hyr: Und obwohl ich der einzige Kunde bin.
Har: Ja.
Hyr: Gut, das ist lustig. Haben Sie ein Problem damit, dass ich einen Blog mit Glossen schreibe und Sie und mich verwursten werde?
Har: Nein.
Hyr: Gut.

Bild 5
Der Speisenzubereitungsendeinformationspiepser piepst, vibriert und leuchtet. Hyr geht zur Theke, wo ihm Har seine Pommes Frites überreicht.
Har: Guten Appetit.
Hyr: Danke

Bild 6
Hyr sitzt an einem Tisch und isst seine Pommes. Har werkelt hinter der Theke herum.

Bild 7
Hyr versorgt sein Tablett in einem Alttablettversorger.
Hyr: Auf Wiedersehen. Aber nun mal ganz ehrlich: Ich halte Sie nicht für dumm, Sie hätten doch auch den Kasten da ausschalten können, wenn Sie nur einen Kunden haben.
Har: Natürlich.
Hyr: Und wir hätten die ganze Sache mit Kreditkarte und Speisenzubereitungsendeinformationspiepser gelassen. Und Sie hätten mich auf die traditionelle Art bedient.
Hyr: Natürlich. – Aber hätten Sie dann eine Glosse gehabt??????

 

 

 

Dienstag, 15. August 2023

Michael Ende und die Zusammenarbeit mit der AfD

In der surrealistischen Geschichtensammlung «Der Spiegel im Spiegel – Ein Labyrinth» von Michael Ende wird in einer Story über einen Brückenbau berichtet:
Ein Volk baut seit Jahrhunderten an einer Brücke über einen Abgrund, der so weit ist, dass das Ende der (halben) Brücke sich im Nebel verliert. Niemand weiss, ob die Gegenseite auch baut oder ob es die Gegenseite überhaupt gibt.
Diejenigen, die glauben, dass die Gegenseite nicht existiert, nennen ihren Glauben die «Einseitigen», diejenigen, die glauben, dass das Gegenüber wirklich da, aber völlig unerreichbar ist, die «Halben». Beide Gruppen bauen aber weiter an der Brücke, immer weiter.

Schmeckt ein wenig nach Kafka? Schmeckt sehr nach Kafka, wie das ganze Buch aus dem Jahr 1983. (Es ist aber durchaus lesenswert.)
Völlig kafkaesk wird es nun, wenn berichtet wird, dass es trotz diesen Einstellungen zu regem Handel und Migration zwischen beiden Seiten kommt. Fuhrwerke, Karren, Menschen, Tiere kommen aus dem Nebel und verschwinden in den Nebel, daher oder dorthin, wo nichts sein kann…
Selbst Eheschliessungen gibt es zwischen den Brückenländern. Allerdings müsste ja der Part von der anderen Seite sein oder ihr Dasein erklären, er oder sie erklärt aber natürlich, nicht zu existieren oder nicht da zu sein.
So heisst es bei den «Einseitigen» in der Zeremonie: «Ich bin von nirgendwo gekommen, denn den Ort meiner Herkunft gibt es nicht. Darum bin ich niemand, und so nehme ich dich zum Manne (zur Frau).»
Bei den «Halben» wird gesagt: «Von dort, wo ich herkomme, konnte ich unmöglich kommen, darum bin ich nicht hier, und so nehme ich dich zum Manne (zur Frau).»

Dieser Ende könnte uns helfen, den Umgang mit der AfD korrekt zu gestalten.

Denn was macht Enrico Schilling (CDU) in seiner täglichen Politik? Der Arme ist Bürgermeister von Gräfenhainichen, der Nachbargemeinde von Raguhn-Jessnitz und sein dortiger Amtskollege ist Hannes Loth von der AfD. Die Parteilinie der Christdemokraten fordert, jegliche Zusammenarbeit mit der bösen Partei zu verhindern. Wie soll das aber nun aussehen zwischen zwei solchen Städten? Was soll Schilling in seiner Tagesarbeit machen? Gut, er könnte sich jeden Morgen in seinem Büro hinstellen und singen:

Ist Gott für mich, so trete
Gleich alles wider mich,
Sooft ich ruf' und bete,
Weicht alles hinter sich.
Hab' ich das Haupt zum Freunde
Und bin geliebt bei Gott,
Was kann mir tun der Feinde
Und Widersacher Rott'?

Damit würde er dem wichtigsten Sohn seiner Stadt huldigen, das brächte ihn aber auch nicht weiter. Nein, man muss ja so viele Dinge zwischen zwei Gemeinden klären, dass eine «Nicht-Zusammenarbeit» fast unmöglich scheint. Da gibt es vielleicht Schulen, Schwimmbäder, Museen etc., an denen sich der kleinere Ort (also Raguhn) beteiligen sollte, da gibt es Strassen und Buslinien, die von der einen Stadt in die andere führen, da gibt es dann auch noch Leipzig und Bitterfeld, die Riesenkommunen, gegen man die sich behaupten muss. Und in all den Fällen, Schulen, Schwimmbäder, Museen und Sportvereine, Strassen und Wege und Buslinien, Leipzig und Bitterfeld und der Landkreis, da muss man doch irgendwie kooperieren.
Aber wie?
Wie?

Vielleicht hilft hier eine Ende-Formel:
Grundsätzlich sagt Schilling: «Es gibt keinen Bürgermeister in der Nachbargemeinde, daher kann ich mit keinem reden.» Dann kann man Gespräche ausmachen. Vor dem gemeinsamen (wöchentlichen) Gespräch gibt Schilling dann bekannt: «Ich werde mit dem Bürgermeister der Nachbargemeinde, den es nicht gibt, nicht reden, nicht kooperieren.»
Und jeweils nach den Treffen wird dann gesagt: «Wir haben kein Meeting mit dem Bürgermeister von Raguhn, den es nicht gibt, durchgeführt. Bei dem Meeting, das nicht stattgefunden hat, wurden diese Sachen vereinbart:…»

Also Kafkaeske Kooperation. Und damit die CDU-Zentrale zufrieden ist, schickt man regelmässig zerknirschte Verse nach Berlin:

Wo bist du, Sonne, blieben?
Die Nacht hat dich vertrieben,
Die Nacht, des Tages Feind.
Fahr hin! Ein andre Sonne,
Mein Jesus, meine Wonne,
Gar hell in meinem Herzen scheint.

Sie rätseln immer noch, von wem diese Texte sind, wer ist jener Meister, den in Gräfenhainichen geboren wurde?
Es war der wunderbare Liederschöpfer Paul Gerhardt.

 

Freitag, 11. August 2023

Die Springformen-Geschichte

Wir haben unsere Nachbarin (unsere neue Nachbarin) zum Kaffeetrinken eingeladen; also brauchen wir einen Kuchen und ich will einen backen; zum Backen braucht man eine Form, und hier beginnt unsere Geschichte.

Wir haben nach der letzten Backaktion unsere grossen Formen entsorgt, sie waren aus Teflon und dann doch sehr zerkratzt.
Teflon ist der Name, unter dem die Firma DuPont® die Chemikalie Polytetrafluorethylen, ein unverzweigtes, linear aufgebautes, teilkristallines Polymer aus Fluor und Kohlenstoff, auf den Markt brachte.
Teflon wurde dem dummen Volk, das sich fragte, warum die Menschheit auf den Mond fliegen muss, statt sich um die wirklichen Probleme wie z. B. Hunger zu kümmern, immer als DAS Beispiel von Durch-die-Weltraumfahrt-mögliche-Technik gesagt. Niemand fragte sich, ob Polytetrafluorethylen, das unverzweigte, linear aufgebaute, teilkristalline Polymer aus Fluor und Kohlenstoff, nicht möglich gewesen wäre, OHNE Armstrong auf die Krateroberfläche zu schicken.
Teflon, das Wunderwerk von DuPont®, war ein tolles Ding, nichts briet an, nichts haftete, nichts blieb dreckig, man durfte halt nie, nie, nie, nie, nie mit einem spitzen Ding in einer Teflonpfanne oder Teflonbackform kratzen. Denn: Polytetrafluorethylen, das unverzweigte, linear aufgebaute, teilkristalline Polymer aus Fluor und Kohlenstoff ist eigentlich giftig. Also in Wahrheit ein absurdes Unding.
Und obwohl man sich so Mühe gab, irgendwann waren doch alle Pfannen und Formen verkratzt…

Ich brauchte also eine Springform, für einen Kuchen schöner Grösse (und für meine Rezepte) Ø 30 cm oder Ø 32 cm. Und die gibt es in Basel nicht. Grösste Grösse für Springformen ist scheints in der Schweiz Ø 26 Zentimeter.
Warum ist das so?
Warum sind Eidgenössische Backformen kleiner als deutsche?
Warum?
Ich kann mir das nur so erklären: Diesseits der Grenze denkt man pragmatisch: Wenn ich als Paar ein weiteres Paar zum Kaffee einlade, dann isst jede und jeder bei der üblichen 12-Einteilung eines runden Kuchens drei Stück. Und drei Stück eines Kuchens mit 26 cm Durchmesser sind hier absolut genug. Wer aus Freude über meine Kaffeeeinladung mehrere Tage nichts gegessen hat, für den habe ich dann immer noch ein paar Packungen Kekse im Schrank…
Ganz anders auf der anderen Seite: In der BRD ist ein Sonntagskuchen kein Zweck an sich, sondern ein Statussymbol. Das war schon immer so, stellen Sie sich doch eine Einladung in den 60er Jahren vor Augen: Da ist die neue GROSSE Wohnung mit dem neuen GROSSEN Fernseher, in der Garage das neue GROSSE Auto, hinter dem Haus der neue GROSSE Garten und auf dem Tisch eine GROSSE Torte. Sie hat 6 Schichten, ist 14 Zentimeter hoch und 32 Zentimeter im Durchmesser. Natürlich schreit der Besuch beim Anschneiden: «O, bitte nur ein kleines Stück!» und erhält dann ein schmales Teil und die Hälfte der Torte bleibt übrig, aber es geht ja nicht um pragmatisches Speisen, es geht um ein Statussymbol-Zeigen.
Daher sind Schweizer Rundkuchen kleiner und man muss für Springformen Ø 30 cm oder Ø 32 cm über die Grenze.

Ich finde tatsächlich am Freitagabend um 18.15 im Internet ein Haushaltswarengeschäft in Weil am Rhein, wir nennen es Steingut-Palast Kurz, und da Google Maps ja praktischerweise auch die Telefonnummern veröffentlicht, kann ich dort anrufen.
Das Telefonat mit der Verkäuferin des Steingut-Palast Kurz gehört zu den nettesten Dingen, die ich in den letzten Wochen erlebt habe. Ich erkundige mich, ob sie die von mir gewünschten Dinge hätten, und ich werde über die Welt der Kuchenformen aufgeklärt:
Es gibt Springformen, Springbleche und Wähenformen, Springformen (mit abnehmbarem geradem Rand) gibt es bis Ø 28, Springbleche (mit abnehmbarem leicht schrägem Rand) und Wähenformen (mit nicht abnehmbarem Rand) bis Ø 32.
Ich bin völlig geplättet. Diese Frau ist eine Fachverkäuferin, die weiss, wovon sie redet. Sie gehört damit zu einer sehr selten gewordenen Spezies, allerdings betreibt – genauso wie der WWF die Erhaltung der tierischen Arten betreibt – die WTO ihre Ausrottung. Aber ich bin total begeistert.
Alle (!!) Formen, so ergänzt sie, seien in allen (!!) Grössen vorrätig (!!).

Am nächsten Tag bin ich in Weil am Rhein. Die Fahrt hin und retour kostet mich ca. 8 Franken, denn die Strecke Grenze – Weil/Bahnhof ist im GA nicht enthalten. Ich komme mit dem Generalabonnement zwar auf alle Schweizer Berge und über den Bodensee nach Lindau oder Friedrichshafen, aber nicht den Kilometer nach Weil. Nun gut. Leider bin ich auch noch viel zu früh da.
Weil am Rhein ist ein Unort, auf einer Skala 1 bis 10 (1 = sehr scheussliche Stadt und 10 = schöne Stadt) liegt das erwähnte Schwäbisch Hall bei 12 und Weil am Rhein bei -2. Die hässlichen 60er Jahre-Bauten wurden durch hässliche 70er Jahre-Bauten ergänzt, dann ersetzte man die hässlichen 60er- mit hässlichen 80er-Bauten und hoffte, das neue Jahrtausend würde besser. Da hatte man aber scheints kein Geld mehr. Alle Versuche, die Hässlichkeit durch kleine Brunnen, Skulpturen, Pflanzkübel usw. zu mildern, verstärken sie nur noch. Ich trinke einen (schlechten) Kaffee vor einem Plastikstuhl-Café und blicke auf die Sparkasse, und freue mich, dass ich bald wieder wegdarf.

Aber ich will ja zum Steingut-Palast Kurz. Dort werde ich schon erwartet, man erinnert sich an mein Telefonat und hat mit zwei Griffen mir alles vorlegt. Ich erstehe zwei Springbleche in den Durchmessern 30 und 32 Zentimeter. Aus Emaille! Man kann darauf schneiden! Begeisterung.

Die Story ist übrigens komplett wahr.
Der Kuchen (ein Kirschen-Schoko-Kuchen) ist wunderbar geworden – und manchmal bereue ich es, dass die Glosse auf Fotos verzichtet…





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 8. August 2023

Impressionen einer Julireise (3 und last): Von Chatbots, Mobiles und Stuttgart 21

Ach, die Technik!

Stuttgart, die Landeshauptstadt, ist die letzte Station unserer Reise. Seit vielen Jahren ist das Grünanlagen-Gasthof-Hotel am Marienplatz unser Stammquartier. Wie bei den Hotels in Schwäbisch Hall und in Ulm bekommen wir (also ich, Schmailie) ein paar Tage zuvor die Aufforderung zu einem Online-Check-in; das ist gar nicht so unpraktisch, weil alle Angaben bei der Ankunft schon im Hotel sind. Blöd ist, wenn man gewisse Angaben dort gar nicht machen kann und man dann beim Grünanlagen-Gasthof-Hotel am Marienplatz nur mit einem Chatbot zu tun hat. Hier ein kleiner Ausschnitt aus unserer einstündigen «Konversation» – ich muss das in Gänsefüsschen setzen.

Chatbot: Based on your recent conversation, how would you rate your experience with our messaging service?
Ich sende viermal das rote, wütende Emoji.
Chatbot schreibt viermal: We are sorry to hear you are not satisfied with our service.
Ich: You can`t be sorry. You are a machine.
Dann meldet sich neu eine andere Chabotin: Welcome back, Rolf! I`m a chatbot named EMMA. How may I assist you today?

Zum Lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre. An der Rezeption klärt mich dann ein netter junger Herr auf: Die E-Mail, die ich nicht eingeben könne, gehöre zu meinen Stammdaten, ich sei ja registrierter Kunde, und die Stammdaten, Name und E-Mail sollten nicht verändert werden. So weit, so gut. Das Dumme sei nun, dass die Funktion WEITER genauso die Mailadresse verlange. Ihre IT-Abteilung sei daran, dieses Problem zu lösen.
Ich juble – wie stets, wenn ein Technikproblem wirklich wegen der Technik und nicht wegen meiner Blödheit existiert…

An- und Abreise (ein Drama in 2 Akten)

Von Ulm HBF nach Stuttgart Marienplatz und von Stuttgart Marienplatz nach Karlsruhe HBF (dort schliesst sich unser Reisekreis) sollte kein Problem sein: Mit dem Zug nach Stuttgart HBF, dann Tram 5, 6, 7 oder 15 bis Charlottenplatz, dort Linie 1 oder 9. Zurück genau umgekehrt.
Es sollte kein Problem sein.
Da ist aber Stuttgart 21, und dieses Chaos, diese ewige Baustelle, diesen Fussmarsch von 10 Minuten, diese Strapaze sollte man umgehen. Jeder, der zurzeit den Kontakt mit dem Hauptbahnhof der Landeshauptstadt vermeiden kann, tut dies. («zurzeit» bedeutet übrigens: Von vor 10 Jahren bis zu einem Zeitpunkt zwischen 2030 und 2040)
Wir nehmen also den Regionalzug ab Ulm, der ist ja eh schon bezahlt, steigen in Bad Cannstatt aus, laufen ein kleines Stück zum Wilhelmsplatz und nehmen die Tramlinie 1 direkt bis zum Marienplatz.
Auf der Rückreise die folgende Idee: Bus 40 zum Feuersee (3 Stationen), dort die S-Bahn bis Bietigheim, dann ist man auf der Route nach Karlsruhe. Das kühne Vorhaben scheitert an der reparaturbedingten Sperrung der Stammstrecke, also jenes Abschnitts HBF bis Schwabstrasse, den ALLE sechs Linien befahren.
Wahrscheinlich hatte man 2013 einmal bei Planung gefragt, ob, wenn man 2023 die Stammstrecke renoviert, Stuttgart 21 fertig sei, und die 21-Macher haben den S-Bahn-Machern gesagt: «LÄNGSTENS».
Also nun doch via HBF und die (gefühlten) 5 Kilometer laufen. Und immer wieder der «Blick durch den Zaun», und immer wieder die Feststellung: Es hat sich seit dem letzten Mal (Ostern 2023) nicht wirklich etwas getan. Dort hatte sich übrigens seit Sommer 2022 nichts getan.
Ich glaube nicht, dass ich die auf den Computeranimationen dargestellte Prachtsituation noch erleben werde…

Der Calder auf dem Schlossplatz

Vor dem wunderbaren Kunstmuseum Stuttgart, das wir als letzte Station der Reihe Würth – Weishaupt – HFG – Ravensburg besuchen, steht eine herrliche grosse Plastik von Alexander Calder. Was die wenigsten wissen: Das Museum kam viel, viel, viel später und wurde quasi hinter das Mobile gebaut.
«Crinkly avec disque rouge» wurde 1979 angeschafft und kostete damals 1 Million D-Mark (also umgerechnet 500000 Euro). Ich war 14 und habe die Diskussionen lebhaft mitbekommen. Empört war der Stuttgarter Bürger. Empört, wie man eine solche Unsumme für ein farbiges Stahlding ausgeben könne. Empört, weil jeder Schlosser von Kaltental es genauso hinbekommen hätte. Empört, weil hier Steuergelder verschwendet wurden.
usw.
usw.
Wenn man den heutigen Preis ansieht, der – es ist natürlich nicht auf dem Markt, aber interpoliert – im dreistelligen Millionenbereich liegt, muss man sagen: Kaum ein Kommunalpolitiker hat eine solche Rendite bei irgendeiner Anlage erreicht. Und wenn die Stadt mal Geld braucht, irgendein Ölscheich… Er müsste nur den Transport bezahlen.

Und hier endet unsere Fahrt. Wir kamen am 30. 7. (pünktlich! pünktlich!) zuhause an.

 

 

 

 

 

Freitag, 4. August 2023

Impressionen einer Julireise (2): Von Plüschtieren, Gummibooten und Zungenbrechern

Durch die Ostalb

Das klingt jetzt ein wenig nach «Durchs Wilde Kurdistan» (Karl May, Band 2 der Gesammelten Werke). Und tatsächlich ist die Ostalb ein wenig so eine Gegend. Die raue Heidelandschaft mit Wacholderbüschen und weissen Kalksteinen hat ein wildes, urwüchsiges Menschengeschlecht hervorgebracht. Dies zeigt sich schon an der Sprache; so hat ein Tübinger bei einigen Wörtern Mühe, ein Stuttgarter versteht vielleicht die Hälfte dessen, was einer oder eine aus Aalen, Heidenheim oder Ellwangen sagt, für einen Norddeutschen könnte ein Aalener, eine Heidenheimerin, ein Ellwanger genauso gut Chinesisch oder Chilenisch oder – wir machen das nette Spiel weiter – Kurdisch reden. Sie würden nichts verstehen. Wenn Ihnen Ihr Gegenüber im Zug sagt, dass er oder sie aus «Schdoaanaa» kommt, würden Sie dann verstehen, dass hier «Steinheim» gemeint ist? Na also.
Dennoch hat die Ostalb wichtige Exportartikel erdacht, einen haben Sie wahrscheinlich sogar irgendwo auf dem Dachboden. Sie glauben mir nicht? Gehen Sie mal zur Kiste «Kindheitserinnerungen». Ja, das kleine Plüschäffchen, der Plüschfuchs, die Plüscheule. Haben diese Knöpfe im Ohr? Na bitte, es sind echte Ostälbler. Steiff ® ist in Giengen an der Brenz. Übrigens: Die Knopf-im-Ohr-Tierlein, die Sie neulich Ihren Enkeln schenkten, sind wahrscheinlich Tunesier oder Thailänder, aber Sic Transit Gloria Mundi

Der Schwörmontag und «Nabada»

Und dann sind wir in Ulm.
Und es ist der 24. Juli.
Und niemand hat uns gewarnt.
Da ich Stuttgarter bin, ist es erstaunlich, dass eine so wichtige Tradition in der Landeshauptstadt, die ja nur 100 km entfernt liegt, nicht bekannt war: Am vorletzten Montag im Juli schwört – übrigens seit vielen Jahrhunderten – der (Ober-)Bürgermeister, dass er auch in den nächsten 12 Monaten der Stadt treu, fair und gut dienen wird. Heutzutage wird die «Schwörrede» meist zu einer «Rede zur Lage der Nation» benutzt.
Am Nachmittag fahren dann viele, viele, viele, viele Boote, Schlauchboote, Holzboote, Gummiboote, Nachen, Kähne, geschmückt und ungeschmückt, mit Wimpeln und ohne, mit 1, 2, 3 oder 4 Leuten die Donau hinunter. Ein Riesenspektakel. Ein herrlicher Quatsch. Ein Klamauk sondergleichen. Das Nabada ist in seinen Vorläufern seit dem 19. Jahrhundert belegt.
Ja, und dann am Abend: Gefühlte 10000 Menschen auf der Strasse, lauteste Musik, viel Alkohol, absolutes Remmidemmi. Zum Glück gehen die Fenster des «Hotel am Münster» nach hinten, und sie sind sehr dicht.
Wir hätten als Ruhebedürftige unsere Reise sicher anders geplant, aber – wie gesagt – niemand hatte uns gewarnt.

Der höchste Kirchturm der Welt

Ich war vorher schon dreimal in Ulm. Mit 10, mit 20 und mit 30 Jahren (also circa). Und viermal auf dem Münsterturm. Wie das? Das erste Mal, in den 70er Jahren rannte ich zweimal die 768 Stufen hinauf, ja, Tatsache, ich war so begeistert von dem Turm, von der Aussicht, von dem Abenteuer, dass ich meine armen, armen, armen Eltern zwang, am Nachmittag mit mir noch einmal auf den Turm zu steigen.
Diese Sachlage machte ich mir jetzt zunutze: Dieses Mal habe ich auf den Turm verzichtet, ich fühle mich zu alt und zu müde, um siebenhundertachtundsechzig Treppenstufen hochzulaufen. Statistisch komme ich also auf EINE Ulmermünsterturmtreppenstufenbesteigung, das ist doch nicht schlecht.
Natürlich ist das eine Milchmädchenrechnung, das ist wie die junge Frau, die «im Schnitt» immer 60 Euro für ein T-Shirt ausgeben will, und die, nachdem sie bei «Chez Jeanne» eines für 400 erstanden hat, noch zu Takko® rennt und sechs Stück für 5 Euro kauft und dann (fast) hinkommt.
Aber na gut…

…um Ulm herum…

Ja, so sagte man doch früher, «In Ulm und um Ulm und um Ulm herum», das war so ein Zungenbrecher. Und wenn man sagte, man sei in Ulm gewesen, dann sagte das Gegenüber «In Ulm und um Ulm und um Ulm herum». «In Ulm und um Ulm und um Ulm herum» war – je nach Sichtweise – eine unglaublich dämliche Sache oder ein Running-Gag. Ich fand es immer sehr doof. Zum Glück ist dieser ZB in den Tiefen der Zeit verschwunden und war auch in der Schweiz nie ganz heimisch, so dass ich jedem erzählen kann, ich sei in Ulm gewesen, ohne dass der oder die andere diesen übersuperdämlichen Satz sagt.
Um auf den Dienstag zurückzukommen: Mit Schwäbisch Hall passierte mir das Gleiche: Wenn ich erwähnte, ich wohne gerade in Hall, dann kam der Spruch «Auf diese Steine können sie bauen». Das war der Slogan der Bausparkasse.



Dienstag, 1. August 2023

Impressionen einer Julireise (1): Von Tickets, Schrauben und Salz

Das Deutschland-Ticket

Vom 20. Juli bis 30. Juli waren wir im Süden Deutschlands unterwegs. Von Basel über Karlsruhe und Heilbronn nach Schwäbisch Hall, dann von Hall über die Ostalb nach Ulm, dann von Ulm durch das Filstal nach Stuttgart, von dort via Karlsruhe nach Hause.
Da viele Strecken nur von Bummlern befahren werden und wir auch in den Städten den ÖV benutzten, war das Deutschland-Ticket unser ständiger, zuverlässiger und wunderbarer Begleiter. Ein wenig mulmig war mir am Anfang, denn theoretisch müssten alle die Busfahrer, Schaffner und Kontrolleure zusätzlich zum Ticket einen Ausweis verlangen, und durch die unmögliche Homepage stimmten bei uns beiden die PLZ nicht (40520 Basel statt 4052) und bei mir das Geburtsdatum. Und immer erinnerte ich mich an jene (fingierte) Polizeikontrolle, bei der folgender Dialog entstand: «Geburtsdatum?» «5. Juni 1943, äh, 5. Juli.» «So sicher sind Sie da aber nicht? Steigen Sie mal aus.» Das war die Verhaftung Baaders 1970.
Fakt war nun, dass die meisten Busfahrer schon beim Zücken des Deutschlandtickets uns durchwinkten, manchmal genügte ein Satz «Wir haben das Deutschlandticket…»
Dies zeigt wieder einmal, wie weit die Politik in Berlin vom wirklichen Geschehen in der Landschaft entfernt ist: In den eh schon verspäteten Bus steigen 20 Leute ein, davon haben 8 das DT, nun müsste der Chauffeur, der sowieso schon auf Kohlen sitzt, nicht nur die Fahrkarten, sondern auch die Personalausweise kontrollieren. Keine Chance.
Warum hat man nicht eine durchziehbare Chipkarte – mit Foto! – gemacht? Wissen die Götter.

Würth, der Kunstsammler

Die Kunstsammlung des Schraubenhändlers ist gross. Sehr gross. Und schön ist, dass er diese an mehreren Orten kostenlos dem Publikum zeigt: In den beiden Museen in Künzelsau, in der Johanniterkirche in Hall und in der Schwäbisch Haller Kunsthalle.
Beim näheren Hinsehen erstaunt dann aber doch, dass viele Werke nicht die erste Qualität haben und viele sogar fragwürdig sind. Gut, bei 20000 Objekten können auch gut ein paar faule Eier dabei sein, aber es sind viele. Grund ist einfach die Menge, Würth kauft zu viel.
Warum ist das so?
Ein Blick ins Internet belehrt uns: Er hat schlicht und einfach zu viel Geld, das ist wie bei einer Hotelerbin, die mit 20 Kreditkarten je 30000 Dollar shoppen geht, das gibt dann auch viel Fummel, der gleich in die Kleidersammlung wandert. Würth kommt auf ein Vermögen von 31 Milliarden Euro, da kann er natürlich allein von den Zinsen eine Menge ausgeben. Eine Graphik im Wert von 15000? Eine Skulptur für 130000? Alles Portokasse.
31 Milliarden.
In Worten: Einunddreissig Milliarden.
Wir dachten immer, wir hätten in Basel reiche Leute. Wir machen den folgenden Witz: Wenn Herr Würth und Frau Oeri sich treffen, denn sie ist ja auch Kunstsammlerin und die zwei kennen sich sicher, dann muss der Hohenloher die Baslerin immer einladen, denn mit nur 8 Milliarden auf der Bank gehört sie beim ihm zur «armen Bekanntschaft»…

Die Premiere auf der Treppe

In Hall wird auf den Kirchenstufen Freilichttheater gespielt. Ein Ereignis, das sich lohnt. Bei der Premiere von «Maria Stuart» am 20. 7. haben wir allerdings noch ein spezielles Spektakel: In den ersten Reihen springen vier Männer mit verkabelten Ohren umher, es muss also irgendein prominentes Wesen im Publikum sein. Mein Partner neben mir behauptet, er habe die weisse Stoppelfrisur des Landesvaters gesehen. Ich bezweifle das, aber ob der Security muss ja ein Zu-Bewachender da sein. Bei der Begrüssung wird es dann aufgeklärt, es ist in der Tat, tatsächlich und wirklich Winfried Kretschmann. Als Schirmherr der Freilichtspiele Schwäbisch Hall ist er zur Schiller-Premiere mit Gattin erschienen.
Was mich allerdings so erfreut, ist, dass der Ministerpräsident von B.-W. eben nur vier Männlein zu seiner Bewachung braucht. Das war in Deutschland nicht immer so, eben ein Jahr nach jenem Tag im Jahr 1970 wäre eine so unbedenkliche Teilnahme unmöglich gewesen. Allein alle die Fachwerkhäuser rings um den Markt böten ja eine wunderbare Schusslinie…

Hall und das Salz

Schwäbisch Hall ist eine der schönsten Städte der Welt. Kann ich nicht anders sagen. Die wunderbaren Gassen, Häuser, Brücken verdankte die Gemeinde einem kleinen Brunnen am Fluss Kocher aus dem Wasser quoll, aber nicht H2O allein, sondern satt getränkt mit einem Stoff, den man braucht und der damals sehr teuer war: Salz.
Hall wäre also vergleichbar mit einer heutigen Stadt, die ein Lithium-Vorkommen hat. Oder seltene Erden. Oder Mangan.
Aber:
Wenn Salz heute so billig ist und überall zu haben, warum verwendet man dann in der Chip-Industrie nicht einfach NaCl statt Mangan? Oder statt Lithium? Oder statt seltener Erden?
Aber wahrscheinlich bin ich da zu doof…

Am Freitag geht es über die Ostalb weiter nach Ulm.