Freitag, 11. August 2023

Die Springformen-Geschichte

Wir haben unsere Nachbarin (unsere neue Nachbarin) zum Kaffeetrinken eingeladen; also brauchen wir einen Kuchen und ich will einen backen; zum Backen braucht man eine Form, und hier beginnt unsere Geschichte.

Wir haben nach der letzten Backaktion unsere grossen Formen entsorgt, sie waren aus Teflon und dann doch sehr zerkratzt.
Teflon ist der Name, unter dem die Firma DuPont® die Chemikalie Polytetrafluorethylen, ein unverzweigtes, linear aufgebautes, teilkristallines Polymer aus Fluor und Kohlenstoff, auf den Markt brachte.
Teflon wurde dem dummen Volk, das sich fragte, warum die Menschheit auf den Mond fliegen muss, statt sich um die wirklichen Probleme wie z. B. Hunger zu kümmern, immer als DAS Beispiel von Durch-die-Weltraumfahrt-mögliche-Technik gesagt. Niemand fragte sich, ob Polytetrafluorethylen, das unverzweigte, linear aufgebaute, teilkristalline Polymer aus Fluor und Kohlenstoff, nicht möglich gewesen wäre, OHNE Armstrong auf die Krateroberfläche zu schicken.
Teflon, das Wunderwerk von DuPont®, war ein tolles Ding, nichts briet an, nichts haftete, nichts blieb dreckig, man durfte halt nie, nie, nie, nie, nie mit einem spitzen Ding in einer Teflonpfanne oder Teflonbackform kratzen. Denn: Polytetrafluorethylen, das unverzweigte, linear aufgebaute, teilkristalline Polymer aus Fluor und Kohlenstoff ist eigentlich giftig. Also in Wahrheit ein absurdes Unding.
Und obwohl man sich so Mühe gab, irgendwann waren doch alle Pfannen und Formen verkratzt…

Ich brauchte also eine Springform, für einen Kuchen schöner Grösse (und für meine Rezepte) Ø 30 cm oder Ø 32 cm. Und die gibt es in Basel nicht. Grösste Grösse für Springformen ist scheints in der Schweiz Ø 26 Zentimeter.
Warum ist das so?
Warum sind Eidgenössische Backformen kleiner als deutsche?
Warum?
Ich kann mir das nur so erklären: Diesseits der Grenze denkt man pragmatisch: Wenn ich als Paar ein weiteres Paar zum Kaffee einlade, dann isst jede und jeder bei der üblichen 12-Einteilung eines runden Kuchens drei Stück. Und drei Stück eines Kuchens mit 26 cm Durchmesser sind hier absolut genug. Wer aus Freude über meine Kaffeeeinladung mehrere Tage nichts gegessen hat, für den habe ich dann immer noch ein paar Packungen Kekse im Schrank…
Ganz anders auf der anderen Seite: In der BRD ist ein Sonntagskuchen kein Zweck an sich, sondern ein Statussymbol. Das war schon immer so, stellen Sie sich doch eine Einladung in den 60er Jahren vor Augen: Da ist die neue GROSSE Wohnung mit dem neuen GROSSEN Fernseher, in der Garage das neue GROSSE Auto, hinter dem Haus der neue GROSSE Garten und auf dem Tisch eine GROSSE Torte. Sie hat 6 Schichten, ist 14 Zentimeter hoch und 32 Zentimeter im Durchmesser. Natürlich schreit der Besuch beim Anschneiden: «O, bitte nur ein kleines Stück!» und erhält dann ein schmales Teil und die Hälfte der Torte bleibt übrig, aber es geht ja nicht um pragmatisches Speisen, es geht um ein Statussymbol-Zeigen.
Daher sind Schweizer Rundkuchen kleiner und man muss für Springformen Ø 30 cm oder Ø 32 cm über die Grenze.

Ich finde tatsächlich am Freitagabend um 18.15 im Internet ein Haushaltswarengeschäft in Weil am Rhein, wir nennen es Steingut-Palast Kurz, und da Google Maps ja praktischerweise auch die Telefonnummern veröffentlicht, kann ich dort anrufen.
Das Telefonat mit der Verkäuferin des Steingut-Palast Kurz gehört zu den nettesten Dingen, die ich in den letzten Wochen erlebt habe. Ich erkundige mich, ob sie die von mir gewünschten Dinge hätten, und ich werde über die Welt der Kuchenformen aufgeklärt:
Es gibt Springformen, Springbleche und Wähenformen, Springformen (mit abnehmbarem geradem Rand) gibt es bis Ø 28, Springbleche (mit abnehmbarem leicht schrägem Rand) und Wähenformen (mit nicht abnehmbarem Rand) bis Ø 32.
Ich bin völlig geplättet. Diese Frau ist eine Fachverkäuferin, die weiss, wovon sie redet. Sie gehört damit zu einer sehr selten gewordenen Spezies, allerdings betreibt – genauso wie der WWF die Erhaltung der tierischen Arten betreibt – die WTO ihre Ausrottung. Aber ich bin total begeistert.
Alle (!!) Formen, so ergänzt sie, seien in allen (!!) Grössen vorrätig (!!).

Am nächsten Tag bin ich in Weil am Rhein. Die Fahrt hin und retour kostet mich ca. 8 Franken, denn die Strecke Grenze – Weil/Bahnhof ist im GA nicht enthalten. Ich komme mit dem Generalabonnement zwar auf alle Schweizer Berge und über den Bodensee nach Lindau oder Friedrichshafen, aber nicht den Kilometer nach Weil. Nun gut. Leider bin ich auch noch viel zu früh da.
Weil am Rhein ist ein Unort, auf einer Skala 1 bis 10 (1 = sehr scheussliche Stadt und 10 = schöne Stadt) liegt das erwähnte Schwäbisch Hall bei 12 und Weil am Rhein bei -2. Die hässlichen 60er Jahre-Bauten wurden durch hässliche 70er Jahre-Bauten ergänzt, dann ersetzte man die hässlichen 60er- mit hässlichen 80er-Bauten und hoffte, das neue Jahrtausend würde besser. Da hatte man aber scheints kein Geld mehr. Alle Versuche, die Hässlichkeit durch kleine Brunnen, Skulpturen, Pflanzkübel usw. zu mildern, verstärken sie nur noch. Ich trinke einen (schlechten) Kaffee vor einem Plastikstuhl-Café und blicke auf die Sparkasse, und freue mich, dass ich bald wieder wegdarf.

Aber ich will ja zum Steingut-Palast Kurz. Dort werde ich schon erwartet, man erinnert sich an mein Telefonat und hat mit zwei Griffen mir alles vorlegt. Ich erstehe zwei Springbleche in den Durchmessern 30 und 32 Zentimeter. Aus Emaille! Man kann darauf schneiden! Begeisterung.

Die Story ist übrigens komplett wahr.
Der Kuchen (ein Kirschen-Schoko-Kuchen) ist wunderbar geworden – und manchmal bereue ich es, dass die Glosse auf Fotos verzichtet…





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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