Freitag, 4. August 2023

Impressionen einer Julireise (2): Von Plüschtieren, Gummibooten und Zungenbrechern

Durch die Ostalb

Das klingt jetzt ein wenig nach «Durchs Wilde Kurdistan» (Karl May, Band 2 der Gesammelten Werke). Und tatsächlich ist die Ostalb ein wenig so eine Gegend. Die raue Heidelandschaft mit Wacholderbüschen und weissen Kalksteinen hat ein wildes, urwüchsiges Menschengeschlecht hervorgebracht. Dies zeigt sich schon an der Sprache; so hat ein Tübinger bei einigen Wörtern Mühe, ein Stuttgarter versteht vielleicht die Hälfte dessen, was einer oder eine aus Aalen, Heidenheim oder Ellwangen sagt, für einen Norddeutschen könnte ein Aalener, eine Heidenheimerin, ein Ellwanger genauso gut Chinesisch oder Chilenisch oder – wir machen das nette Spiel weiter – Kurdisch reden. Sie würden nichts verstehen. Wenn Ihnen Ihr Gegenüber im Zug sagt, dass er oder sie aus «Schdoaanaa» kommt, würden Sie dann verstehen, dass hier «Steinheim» gemeint ist? Na also.
Dennoch hat die Ostalb wichtige Exportartikel erdacht, einen haben Sie wahrscheinlich sogar irgendwo auf dem Dachboden. Sie glauben mir nicht? Gehen Sie mal zur Kiste «Kindheitserinnerungen». Ja, das kleine Plüschäffchen, der Plüschfuchs, die Plüscheule. Haben diese Knöpfe im Ohr? Na bitte, es sind echte Ostälbler. Steiff ® ist in Giengen an der Brenz. Übrigens: Die Knopf-im-Ohr-Tierlein, die Sie neulich Ihren Enkeln schenkten, sind wahrscheinlich Tunesier oder Thailänder, aber Sic Transit Gloria Mundi

Der Schwörmontag und «Nabada»

Und dann sind wir in Ulm.
Und es ist der 24. Juli.
Und niemand hat uns gewarnt.
Da ich Stuttgarter bin, ist es erstaunlich, dass eine so wichtige Tradition in der Landeshauptstadt, die ja nur 100 km entfernt liegt, nicht bekannt war: Am vorletzten Montag im Juli schwört – übrigens seit vielen Jahrhunderten – der (Ober-)Bürgermeister, dass er auch in den nächsten 12 Monaten der Stadt treu, fair und gut dienen wird. Heutzutage wird die «Schwörrede» meist zu einer «Rede zur Lage der Nation» benutzt.
Am Nachmittag fahren dann viele, viele, viele, viele Boote, Schlauchboote, Holzboote, Gummiboote, Nachen, Kähne, geschmückt und ungeschmückt, mit Wimpeln und ohne, mit 1, 2, 3 oder 4 Leuten die Donau hinunter. Ein Riesenspektakel. Ein herrlicher Quatsch. Ein Klamauk sondergleichen. Das Nabada ist in seinen Vorläufern seit dem 19. Jahrhundert belegt.
Ja, und dann am Abend: Gefühlte 10000 Menschen auf der Strasse, lauteste Musik, viel Alkohol, absolutes Remmidemmi. Zum Glück gehen die Fenster des «Hotel am Münster» nach hinten, und sie sind sehr dicht.
Wir hätten als Ruhebedürftige unsere Reise sicher anders geplant, aber – wie gesagt – niemand hatte uns gewarnt.

Der höchste Kirchturm der Welt

Ich war vorher schon dreimal in Ulm. Mit 10, mit 20 und mit 30 Jahren (also circa). Und viermal auf dem Münsterturm. Wie das? Das erste Mal, in den 70er Jahren rannte ich zweimal die 768 Stufen hinauf, ja, Tatsache, ich war so begeistert von dem Turm, von der Aussicht, von dem Abenteuer, dass ich meine armen, armen, armen Eltern zwang, am Nachmittag mit mir noch einmal auf den Turm zu steigen.
Diese Sachlage machte ich mir jetzt zunutze: Dieses Mal habe ich auf den Turm verzichtet, ich fühle mich zu alt und zu müde, um siebenhundertachtundsechzig Treppenstufen hochzulaufen. Statistisch komme ich also auf EINE Ulmermünsterturmtreppenstufenbesteigung, das ist doch nicht schlecht.
Natürlich ist das eine Milchmädchenrechnung, das ist wie die junge Frau, die «im Schnitt» immer 60 Euro für ein T-Shirt ausgeben will, und die, nachdem sie bei «Chez Jeanne» eines für 400 erstanden hat, noch zu Takko® rennt und sechs Stück für 5 Euro kauft und dann (fast) hinkommt.
Aber na gut…

…um Ulm herum…

Ja, so sagte man doch früher, «In Ulm und um Ulm und um Ulm herum», das war so ein Zungenbrecher. Und wenn man sagte, man sei in Ulm gewesen, dann sagte das Gegenüber «In Ulm und um Ulm und um Ulm herum». «In Ulm und um Ulm und um Ulm herum» war – je nach Sichtweise – eine unglaublich dämliche Sache oder ein Running-Gag. Ich fand es immer sehr doof. Zum Glück ist dieser ZB in den Tiefen der Zeit verschwunden und war auch in der Schweiz nie ganz heimisch, so dass ich jedem erzählen kann, ich sei in Ulm gewesen, ohne dass der oder die andere diesen übersuperdämlichen Satz sagt.
Um auf den Dienstag zurückzukommen: Mit Schwäbisch Hall passierte mir das Gleiche: Wenn ich erwähnte, ich wohne gerade in Hall, dann kam der Spruch «Auf diese Steine können sie bauen». Das war der Slogan der Bausparkasse.



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