Dienstag, 15. August 2023

Michael Ende und die Zusammenarbeit mit der AfD

In der surrealistischen Geschichtensammlung «Der Spiegel im Spiegel – Ein Labyrinth» von Michael Ende wird in einer Story über einen Brückenbau berichtet:
Ein Volk baut seit Jahrhunderten an einer Brücke über einen Abgrund, der so weit ist, dass das Ende der (halben) Brücke sich im Nebel verliert. Niemand weiss, ob die Gegenseite auch baut oder ob es die Gegenseite überhaupt gibt.
Diejenigen, die glauben, dass die Gegenseite nicht existiert, nennen ihren Glauben die «Einseitigen», diejenigen, die glauben, dass das Gegenüber wirklich da, aber völlig unerreichbar ist, die «Halben». Beide Gruppen bauen aber weiter an der Brücke, immer weiter.

Schmeckt ein wenig nach Kafka? Schmeckt sehr nach Kafka, wie das ganze Buch aus dem Jahr 1983. (Es ist aber durchaus lesenswert.)
Völlig kafkaesk wird es nun, wenn berichtet wird, dass es trotz diesen Einstellungen zu regem Handel und Migration zwischen beiden Seiten kommt. Fuhrwerke, Karren, Menschen, Tiere kommen aus dem Nebel und verschwinden in den Nebel, daher oder dorthin, wo nichts sein kann…
Selbst Eheschliessungen gibt es zwischen den Brückenländern. Allerdings müsste ja der Part von der anderen Seite sein oder ihr Dasein erklären, er oder sie erklärt aber natürlich, nicht zu existieren oder nicht da zu sein.
So heisst es bei den «Einseitigen» in der Zeremonie: «Ich bin von nirgendwo gekommen, denn den Ort meiner Herkunft gibt es nicht. Darum bin ich niemand, und so nehme ich dich zum Manne (zur Frau).»
Bei den «Halben» wird gesagt: «Von dort, wo ich herkomme, konnte ich unmöglich kommen, darum bin ich nicht hier, und so nehme ich dich zum Manne (zur Frau).»

Dieser Ende könnte uns helfen, den Umgang mit der AfD korrekt zu gestalten.

Denn was macht Enrico Schilling (CDU) in seiner täglichen Politik? Der Arme ist Bürgermeister von Gräfenhainichen, der Nachbargemeinde von Raguhn-Jessnitz und sein dortiger Amtskollege ist Hannes Loth von der AfD. Die Parteilinie der Christdemokraten fordert, jegliche Zusammenarbeit mit der bösen Partei zu verhindern. Wie soll das aber nun aussehen zwischen zwei solchen Städten? Was soll Schilling in seiner Tagesarbeit machen? Gut, er könnte sich jeden Morgen in seinem Büro hinstellen und singen:

Ist Gott für mich, so trete
Gleich alles wider mich,
Sooft ich ruf' und bete,
Weicht alles hinter sich.
Hab' ich das Haupt zum Freunde
Und bin geliebt bei Gott,
Was kann mir tun der Feinde
Und Widersacher Rott'?

Damit würde er dem wichtigsten Sohn seiner Stadt huldigen, das brächte ihn aber auch nicht weiter. Nein, man muss ja so viele Dinge zwischen zwei Gemeinden klären, dass eine «Nicht-Zusammenarbeit» fast unmöglich scheint. Da gibt es vielleicht Schulen, Schwimmbäder, Museen etc., an denen sich der kleinere Ort (also Raguhn) beteiligen sollte, da gibt es Strassen und Buslinien, die von der einen Stadt in die andere führen, da gibt es dann auch noch Leipzig und Bitterfeld, die Riesenkommunen, gegen man die sich behaupten muss. Und in all den Fällen, Schulen, Schwimmbäder, Museen und Sportvereine, Strassen und Wege und Buslinien, Leipzig und Bitterfeld und der Landkreis, da muss man doch irgendwie kooperieren.
Aber wie?
Wie?

Vielleicht hilft hier eine Ende-Formel:
Grundsätzlich sagt Schilling: «Es gibt keinen Bürgermeister in der Nachbargemeinde, daher kann ich mit keinem reden.» Dann kann man Gespräche ausmachen. Vor dem gemeinsamen (wöchentlichen) Gespräch gibt Schilling dann bekannt: «Ich werde mit dem Bürgermeister der Nachbargemeinde, den es nicht gibt, nicht reden, nicht kooperieren.»
Und jeweils nach den Treffen wird dann gesagt: «Wir haben kein Meeting mit dem Bürgermeister von Raguhn, den es nicht gibt, durchgeführt. Bei dem Meeting, das nicht stattgefunden hat, wurden diese Sachen vereinbart:…»

Also Kafkaeske Kooperation. Und damit die CDU-Zentrale zufrieden ist, schickt man regelmässig zerknirschte Verse nach Berlin:

Wo bist du, Sonne, blieben?
Die Nacht hat dich vertrieben,
Die Nacht, des Tages Feind.
Fahr hin! Ein andre Sonne,
Mein Jesus, meine Wonne,
Gar hell in meinem Herzen scheint.

Sie rätseln immer noch, von wem diese Texte sind, wer ist jener Meister, den in Gräfenhainichen geboren wurde?
Es war der wunderbare Liederschöpfer Paul Gerhardt.

 

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