Montag, 28. November 2011

Adventsstress

Soll ich Sie neidisch machen?
Ich habe schon alle meine Weihnachtsgeschenke, meine Kekse sind gebacken und meine Adventsdekoration steht – oder hängt, ganz wie Sie wollen. Wie ich das mache? Nun, das Zauberwort heisst Effektivität, aber Genaueres darf ich nicht sagen, mein Arbeitgeber hat gerade „Effektivitätssteigerung“ (was für ein blödes Wort) auf seine Fahnen geschrieben, und wenn man laut sagt, was man wie hinbekommt, ist man so jemand wie ein Akkord-Hoch-Treiber, ausserdem kann man effektiv backen und einkaufen, aber nicht „effektiv“ mit Menschen arbeiten, und das tue ich ja.
Jedenfalls, die Hardware für Weihnachten ist vorhanden, jetzt kommt der schwierige Teil: Besinnlichkeit.
Denn das ist Üble am Dezember: Wir rödeln wie die Wölfe, da sind Jahresabschlüsse zu machen, Notenabschlüsse, an der Uni herrscht Hochbetrieb und die Arztpraxen sind voll. Vom Einzelhandel will ich gar nicht reden, da sind 2/3 des Jahresumsatzes zu erreichen, vor allem, wenn man Spielzeug oder Düfte verkauft.
Und jetzt kommen die Leute und sagen: Verkehrt! Ihr dürft keinen Stress haben, ihr müsst euch besinnen, ruhig werden, Frieden und Freude empfinden, täglich in eine Kerze stieren und meditative Musik hören. Die Klage über den Weihnachtsstress gehört seit Jahren zum Repertoire.
Nun ist es sicher richtig, dass wir ein verkehrtes Jahr haben, die Bauern des 19. Jahrhunderts rissen sich im Sommer, wenn es hell und warm war, die Beine aus, im Winter war Ruhe, das Haus lag im Schnee begraben, man hatte wenig in der Hütte zu tun, man verkroch sich ins Bett und zeugte das nächste Kind.
Bei uns ist das jetzt anders, aber da kann ich nichts dafür, ich habe halt gerade Stress, aber der wird nicht weniger, wenn man mir ständig ein schlechtes Gewissen macht.
Also hört auf mit dem Lamento: Die Adventszeit sei nicht mehr besinnlich! Ihr macht die Leute noch mehr fertig: Sie können die Dezemberhektik nicht umgehen und haben zusätzlich ein mieses Gefühl.
Aber wenn Sie wirklich ein paar Tipps für die nächsten Wochen brauchen, hier meine 5 goldenen Adressen für einen friedlichen Dezember:
1.)             Bei http://www.want-to-be-eaten-goose.com/ finden Sie Gänse, die sich selber füllen und bereitwillig in den Backofen hüpfen.
2.)             Bei http://www.intelligent-christmastree.com/ finden Sie Tannenbäume, die sich selber schmücken.
3.)             Bei http://www.no-wishes-for-me.com/ können Sie sich eintragen, wenn Sie keine Karten möchten, sie müssen dann auch keine schreiben.
4.)             Unter http://www.unperfekt-cookies.com/ finden Sie Kekse, die wie selbst gemacht aussehen.
5.)             Unter http://www.i-love-you-without-presents.com/ finden Sie Partner, die ohne Geschenke glücklich sind.

Damit eine frohe Weihnachtszeit!

Donnerstag, 24. November 2011

auf Wolke 317


Da sitzen sie nun auf Wolke 317. Am Anfang will sich keine grosse Vertrautheit einstellen, eher ein vorsichtiges Abtasten, Vorantasten, Annähern, zu unterschiedlich die Charaktere, der korrekte Preusse und der süffisante Wiener. Besser wird es erst durch einen dritten, der auch noch auf die Wolke will, der nun aber gar nicht passt, strubbeliges Haar und schlecht sitzendes Engelskostüm, er trollt sich mit den Worten „Dann gehe ich halt auf die Schmuddelwolke.“ Das finden beide nun doch witzig, lachen laut, beschliessen sogar ihn „dort unten“ einmal zu besuchen, schliesslich auch er ein Meister des Wortes. Das Eis ist nun gebrochen, Gespräche beginnen, und man hat sich auch viel zu sagen: Zunächst die Sprache überhaupt, das Wort, die Dichtung, dann auch viele gemeinsame Bekannte in Fernsehen, Radio, Presse, und schliesslich: DIE MUSIK. Hier kann man tagelang fachsimpeln, war die Neunte unter Rattle besser oder unter Barenboim, und wie steht man zu Karajan und wie zu Harnoncourt? Und dann die Oper, Verdi, Puccini, Mozart und – natürlich! – Wagner, und immerhin hat der eine ja auch schon komponiert und der andere inszeniert.
Und so wächst dort oben eine Freundschaft, und bald fangen sie an zu blödeln, zu witzeln, zu fabulieren und leise tönt es von Wolke 317:

„Lieben Sie Opern?“
„Ich habe die Karte in einem Preisausschreiben gewonnen.“
„Also ich habe Opern schrecklich gern.“
„Der Firma Salamo – Salamo Bratfett, brat fettlos mit Salamo ohne.“
„Aber was die da reinschreiben, die Herrn...“
„Der Gewinner bekam eine Karte für eine kulturelle Veranstaltung.“
„das versteht man ja häufig nicht.“
„Man muss die Silben in die richtige Reihenfolge bringen.“

Das Diplom-Taubenvergiften, also das Taubenvergiften mit Diplom, mit Taubenvergifterdiplom unterscheidet sich erheblich vom normalen Taubenvergiften, also vom Taubenvergiften ohne Taubenvergifterdiplom.

Ich bringe sie um – morgen bringe ich sie um,
und dann muss ich die Pistolen vom Pistolenputzen holen.

Montag, 21. November 2011

nichts gemacht

Als ich in mein Klassenzimmer gehe, sehe ich einen Jungen auf der Bank vor dem Singsaal sitzen. Er hat seine Beine angezogen und gegen sein blaues Sweatshirt gedrückt. Trotzig-jugendlich blickt er aus dem Fenster. "Hast gestört, was?", pflaume ich ihn an. "Ich habe gar nichts gemacht." Unwillkürlich muss ich lachen. Als er mich erstaunt ansieht, erkläre ich ihm, dass ich deshalb lache, weil ich seit Wochen schon x Kinder auf der Bank gesehen habe, und alle hatten "nichts gemacht". Er grinst, gibt mir also ein kleines Stück Recht.
Aber ist er nicht ein wirkliches Kind unserer Zeit? Sind die Bänke unserer Welt nicht voll von Managern, Politikern, CEOs, Ministern, Chefärzten, die alle "nichts gemacht" haben und dennoch fies vor die Türe gesetzt wurden? Trotzig und wütend blicken sie aus dem Fenster, sie verstehen die Welt nicht mehr ob einer so harten Strafe, sie haben nichts oder fast nichts getan, sie haben nur ein bisschen, ein kleines bisschen bei der Dissertation geschummelt, sie haben nur ein bisschen, wirklich ein bisschen der Mitarbeiterin in die Hose gegriffen, sie haben doch nur ganz wenig Bestechungsgeld angenommen, ein wirklich kleiner Betrag. Und der Zeitgeist gibt ihnen noch Recht, es tut ihrer Beliebtheit keinen Abbruch, Dreck am Stecken zu haben, die Menschen sind auf ihrer Seite, es waren ja wirklich nur Kleinigkeiten. Überall Schweinerei, überall Mist, und niemand trägt die Schuld, manchmal kann man auch gleich den Maschinen die Schuld geben, die ja bockig, eigensinnig und gemein unseren Alltag sabotieren, all die Computer, Motoren, Kopierer, die uns einfach aus Bosheit "Technisches Versagen" und "Störungen im Betriebsablauf" bescheren, dabei sind es doch Menschen, die diese Geräte bedienen und eben richtig oder falsch bedienen. Und es sind auch Menschen, die die Maschinen warten - oder eben nicht warten, und wenn Handling und Wartung stimmen, ist es ein Fertigungsfehler, auch von Wesen aus Fleisch und Blut zu verantworten. Überall Schweinerei, niemand hat "etwas gemacht".
Der Bub sitzt noch da, als ich in die Zigipause gehe, immer noch in gleicher Haltung und mit dem gleichen Gesichtsausdruck, plötzlich kommt mir der alte Witz in den Sinn, bei dem der Angestellt sagt: "Ich habe doch nichts gemacht." und der Chef: "Eben". Vielleicht hockt der auch vor der Tür, weil er eben nichts gemacht hat, nicht mitgeschrieben, das Material nicht geholt, nicht mitgesungen. Manchmal ist es eben auch verkehrt, nichts zu machen, angesichts von so vielen Problemen und Baustellen auf dieser Welt. Manchmal müsste man etwas TUN.
Als ich aus der Zigipause komme, hat sich ein zweiter Bub dazugesellt. Seine Kapuze tief über die blonde Wuschelmähne gezogen, wartet er neben dem ersten. "Gestört?" "Ja", sagt er ganz ehrlich, "ich habe einen Schwamm geworfen." Allerdings muss er dann doch noch ergänzen: "Aber nur einen ganz kleinen, und nicht auf den Lehrer, und völlig nass war er auch nicht, und dann muss ich gleich raus."
Auch er ein Kind unserer Zeit.

Freitag, 18. November 2011

Wo bist du gerade?

"Wo bist du gerade?", fragt mein Kollege am anderen Ende - ja, von was denn? am anderen Ende der Leitung kann man ja bei einem Handy nicht sagen, sagt man da "am anderen Ende der Funkstrecke"? Auf jeden Fall bin ich am Handy und der andere fragt: "Wo bist du gerade?".  Das sagt man jetzt so, früher sagte man "Guten Tag" oder "Hallo", die Bewohner einer Region in Alaska sagen "Ik''ust''wuuh'", was heisst "Bist du es?", aber das macht nur für eingemummte Inuit Sinn, jemand so zu begrüssen. "Wo bist du gerade?" fragt also mein Kollege und ich sage: "Sage ich dir nicht."
"Warum sagst du das nicht?" fragt der andere nun wiederum und ich höre fast, wie es in seinem Kopf rattert, wo steckt der Kerl, natürlich an einem peinlichen oder verbotenen Ort, ist er auf der Toilette, im Puff, ist er bei MacDonalds oder Burger King? Alle Möglichkeiten werden durchgespielt, Orte, Ämter, Lokale, Polizeiposten (haben sie ihn doch endlich verhaftet?) oder Ärzte. 
Dabei will ich einfach nur nicht ständig sagen müssen, wo ich bin, der Vorteil des Handys ist ja gerade, dass man nicht weiss, wo ich bin, eine grenzenlose Freiheit.
"Nun sag schon!", raunzt mein Gegenüber - auch wieder das falsche Wort, er ist ja gerade nicht gegenüber, da wüsste er wo ich bin: Am gleichen Ort wie er.
"Nein!", ich höre ein tiefes Brummeln. Meine Ortslosigkeit macht ihm Angst, so wie die Menschheit schon immer Angst vor dem nicht Greifbaren, dem Umherziehenden hatte, der Percht oder den Feen, den Fahrenden, den Spielleuten, vor Hexen und Menschen und wilden Tieren.
"Komm, sag, wo du bist", bettelt er jetzt. Und ich gebe klein bei: "Ich bin zuhause."
"Pffff...", hörbar enttäuscht muss mein Kollege jetzt alle Phantasien löschen, die er über mich zurecht gelegt hat, während des Anrufs bin ich also weder in Handschellen, noch in irgendeinem roten Plüschzimmer.
Jetzt endlich können wir besprechen, was zu besprechen ist, und es wird ein kurzes und informatives Telefonat.
Ich lege auf und verlasse das Geschäft, in dem ich SEIN Geburtstagsgeschenk gekauft habe. Ich konnte ja schlecht sagen: "Ich bin im..." Da wäre es ja keine Überraschung mehr gewesen.

Dienstag, 15. November 2011

Sabine und Michael

Nach meinem Post vom 11.11. erhielt ich einen dicken Brief von einem Paar aus Rapperswil, nennen wir sie Sabine und Michael. Sie mokierten sich über meine Idee, Ehen, die am 11.11.11 geschlossen wurden, könnten schiefgehen (ver-heiraten). Sie schickten ausser einem langen Schreiben eine DVD mit einer Fotostrecke ihrer an betreffendem Datum gefeierten Hochzeit. Sabines und Michaels Credo: Es ist alles nur eine Frage der Planung, auch Ehe und Beziehung.
Zugegeben: Die beiden haben an alles gedacht. Sie haben nicht nur schon vor zwei Jahren den Termin festgelegt, 11.11. 11 Uhr 11, im spätgotischen, absolut reizenden Zivilstandsamt von Rapperswil, sondern sich auch um den hübschesten und charmantesten Standesbeamten gekümmert. Sabine trägt ein phänomenales lachsrosa Kostüm, auf das von den Schuhen über das Handtäschchen bis zu den Ohrringen alles abgestimmt ist, er einen wunderbaren Smoking. Beide waren beim besten Coiffeur und im besten Kosmetikstudio, nicht in Rapperswil, sondern – natürlich – in Zürich. Nach der Trauung gibt es am Seeufer Dom Perignon und Schnittchen, auf denen Kaviar noch das Billigste ist, dann Fotoshooting am herbstlichen Wasser – auch das Wetter macht mit, später fährt ein Boot zu einem Seerestaurant, das ein Geheimtipp ist und auch bleiben soll. Das Menü würde hier alle Formate sprengen, nur soviel: Schon der Salat braucht auf der Speisekarte (handgeschrieben!) fünf Zeilen.
Es ist eben alles eine Frage der Planung.
Ach Sabine, ach Michael, ich hätte euch gewünscht, der Tag wäre erst eure Verlobung gewesen, und zwar eine völlig schiefgelaufene, der Sekt sauer, die Schnittchen trocken, über dem Zürichsee zäher Nebel und das Lokal nur aus einem Grund unbekannt: Weil es nichts taugt. Da wäre das wichtig geworden, was eine gute Beziehung ausmacht: Gelassenheit, Geduld, Humor, Witz, Langmut, Nachsicht, Improvisationstalent. Hättet ihr es geschafft, den Pseudo-Gourmettempel nach dem Salat zu verlassen und mit allen Gästen eine Pizzeria zu stürmen – Italiener flippen aus vor Freude, wenn sie una fidanzata sehen – ihr hättet es geschafft gehabt.
Es ist nicht alles eine Frage der Planung, sondern eine Frage der Atemtechnik, und zwar hier im Sinne von „Einmal-Tief-Durchatmen-Können“.
Das Leben ist nicht planbar.
Es gibt Krankheit, Finanzkrisen, es gibt Missgeschicke und schlechtes Wetter, es gibt Jobverlust und Neid von anderen, es gibt Krisen und Fehlkäufe. Und wenn du, Sabine, schon überlegst, ob du zur Bachelorfeier deines Kindes (in Planung) ein gelbes, und zur Masterfeier ein rotes Kostüm anziehen sollst, oder umgekehrt: Vielleicht bricht es mit 18 die Schule ab und wird Strassenmusiker, Schmuckhändler am Strand oder spiritueller Heiler. Und dann? Von Dingen wie Blind- oder Taubheit will ich gar nicht reden.
Das Leben ist unvorhersehbar.
Auf den Fotos seht ihr beide übrigens müde aus, was kein Wunder ist, wenn man früh am Morgen zum Frisieren und Spachteln um den halben Zürichsee muss.
Und studiert einmal die Statistiken der 8.8.08-, 9.9.09- und 10.10.10-Paare: Von denen sind sicher auch etliche schon geschieden.

Freitag, 11. November 2011

11.11.2011

Was haben Sie heute an diesem denkwürdigen Tag gemacht? Geheiratet? Den oder die Richtige? Oder sich ver-heiratet? Für viele ist der 11.11. ja der Anfang einer fröhlichen und wilden Zeit, nennen wir sie Fasching, Fasnet, Fastnacht, Kaneval oder wie auch immer, so auch für mich: Ich habe eine Pappnase auf und höre "Das Beste aus 50 Jahren Mainz bleibt Mainz" (12 CDs im Schuber für 39.90.-). Dabei komme ich ein bisschen ins Nachdenken:
Früher war der 11.11. eine willkommene Unterbrechung des Trauermonats November. Aber seit die Triade Reformationsfest - Allerheiligen - Allerseelen durch Halloween ersetzt wurde, haben wir nur noch Trubel, man schlägt sich eine direkte Brücke von der Weinlesezeit bis zu einer früh beginnenden Weihnachtszeit, die auch nur noch Party ist: Lampen blinken, Kunstschnee fällt, es wird erlesen gespeist und aus dem Radio tönt Musik, die wegen ihrer Tanzbarkeit ausgesucht wird (Last Christmas I gave you my heart...). Wir haben den November abgeschafft, und das ist ganz natürlich, denn wir haben ja auch den Tod scheinbar überwunden: Wir machen Anti-Aging, Gehirnjogging und Aquafit, wir essen cholesterin- und lactosefrei, wir sind alle schrecklich gesund und unsterblich. Neulich machte ich folgende Rechnung auf: Menschen, die 90 Minuten Sport pro Woche machen, leben drei Jahre länger, ziehe ich die zwei Jahre ab, die Raucher früher das Zeitliche segnen, bleibt ein Jahr, das ich länger da sein darf. Aber länger als was?
Die 80 Jahre Lebenserwartung sind ein Durchschnittswert. Für jeden 110jährigen müssen Menschen früher sterben. Und das tun sie auch. Ich habe schon etliche Freunde verloren, die in meinem Alter waren (Ich bin 46).  Der Tod existiert immer noch.
Ihnen ist das zu düster? Aber das ist doch das Problem: Menschen älterer Zeiten nahmen das Sterben als normal, als zum Leben zugehörig hin, wir halten das Thema für schrecklich, dunkel, düster und tabuisieren es. Man kann es sogar sehr wild und ausgelassen angehen. Dies tun die Mexikaner an ihrem "Tag der Toten": Man isst und singt auf dem Grab eines geliebten Menschen: Tequilla fliesst in Strömen, als Sensenmänner Verkleidete stürmen vorbei, Plastikskelette werden geschwenkt und Düfte verbreitet.
Das wäre doch etwas für Sie? Aber wenn Sie den ganzen November nicht ertragen, fliegen Sie lieber nach Gran Canaria, bis zur Weihnachtsparty, damit Sie ja nicht zur Besinnung kommen, wobei Besinnung ja auch etwas mit Sinnen zutun hat, sprich mit den Dingen, die wir riechen, schmecken, hören, fühlen und sehen. Schaltet Sie Ihre Sinne ab: Es könnte sein, dass Sie an Dinge geraten, die unserer Spass- und Stylegesellschaft widersprechen. 
So, jetzt gehe ich ins Bett. Vielleicht wache ich morgen gar nicht auf, ich kann mich ja auf die 80 Jahre nicht verlassen. Also nehme ich die Pappnase ab, ich will so nicht in die Ewigkeit. Da laufen schon genügend Pappnasen herum.

Dienstag, 8. November 2011

Lisztkekse

2006 schrieb ein Musikjournalist in der FAZ über die übertriebenen Feierlichkeiten zum Mozartjahr: „Man ist so genervt, man möchte mit Mozartkugeln werfen!“. Mit was wirft man im Lisztjahr? Ich habe mir dafür Lisztkekse gebacken, nach eigenem Rezept, mit viel Cognac (dem Lieblingsgetränk des Alkoholikers Liszt) und so wie seine Musik: trocken, zuckersüss und absolut ungeniessbar. Und ich werfe. Mein Radio hat schon einige Dellen, mein Parkett ist kaputt und neulich ging eine Fensterscheibe zu Bruch. Aber ich höre nicht auf.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich habe nichts gegen Jubiläen, aber muss denn das ganze Radioprogramm, die ganze Presse darauf abgestimmt sein? Muss man einen Politiker auch fragen, wie zu Liszt steht und muss man sich überlegen, was Liszt zu Atomkraft, Nahostkonflikt oder Finanzkrise gesagt hätte? Geht nicht mal wieder ein Mittagskonzert ohne die Pilgerjahre oder eine der schrecklichen Sinfonischen Dichtungen?
Mir graut vor dem nächsten Goethejahr. Ich hatte eigentlich vor, bis dahin auf die Aleuten auszuwandern, habe aber jetzt erfahren, dass dort eine Steinerschule gegründet wird, und die bringen dann Faust I und II in Deutsch, Englisch und allen Inuitsprachen – mit Eurythmie. Das ganze wird zudem live auf Radio Aleuta übertragen. (Ohne Eurythmie natürlich, Sie Witzbold) Zum Glück ist das erst 2032, ich habe also noch etwas Zeit für die Suche.
So, nun muss ich meine Kekse holen, im Radio kommt „Forum Buch“, mit 12 Neuerscheinungen zum Thema Liszt. Und wenn Sie in den nächsten Tagen von hinten Gebäck an den Kopf bekommen, haben Sie vielleicht ein Wort wie „Hinterlist“ oder „To-do-Liste“ gesagt, ich reagiere inzwischen auf jede Art von L-I-S-T-Verbindung, nichts für ungut.

Freitag, 4. November 2011

Deutsche Utopien III/2

in memoriam Heinrich Böll


Für ein Treffen auf EU-Ebene hat Angela Merkel etwas Besonderes organisiert. Bei einem Stadtspiel sollen sich die Delegationen mit 200.- Euro einen Tag durchschlagen, sollen sich ernähren und etwas kaufen, all das, um den Wert des Geldes wieder neu kennen zu lernen. Bei Tee und Gebäck im Kanzleramt wird schon erregt diskutiert: Wo gibt es billigen Kaffee, wo bezahlbares Brot, wo sind die besten Flohmärkte? Fröhlichkeit beherrscht die Szene, leicht scheint die Aufgabe, fast zu leicht, Kaffee und Brot muss ja zu bekommen sein und auch Märkte, auf denen man handeln kann, muss es ja in einer grossen Stadt geben.
Am Abend Ernüchterung: Müde und hungrig trudeln Italiener, Franzosen und auch die Deutschen ein, machen sich über die von der Bundeswehr gekochte Gulaschsuppe her, schwer war der Tag, zu teuer der Kaffee, das Brot und die Flohmärkte unauffindbar. Das Geld floss ihnen durch die Hände, ungewohnt der Umgang mit dem, was sie eigentlich verwalten.
Klare Sieger die Osteuropäer, die sofort weit über die ehemalige Grenze fuhren, in kleine, muffige Eckkneipen, wo es aber saftige Buletten und herrliche Kartoffeln gab, billig der Kaffee, bezahlbar das Brot, Nachschlag wurde gereicht, Schnaps ausgeschenkt, und später zog die Wirtin noch einen Kuchen aus dem Ofen. Es reichte auf dem Flohmarkt (Wedding) sogar noch für Bücher: Heine, Brecht, auch Böll, und eine Erstausgabe von „Haus ohne Hüter“ stellt sogar einen richtigen Wert dar.
Schwer war die Aufgabe, zu schwer, ganz gescheitert die Griechen, die sich ihr Geld stehlen liessen und nicht betteln wollten.
Unbedingter Wunsch nach baldiger Wiederholung bei allen: Geld wurde wieder real, eine Grösse für die man Essen, für die man Kaffee und Brot bekommt, notwendig so eine Übung, bitter notwendig.
Angela Merkel sagt zu, im nächsten Jahr wieder einzuladen.

Dienstag, 1. November 2011

Prophet

Einige Leser haben vielleicht bemerkt, dass mein letzter Post am nächsten Tag fast identisch als reale Geschichte in 20min erschien.  Dort ging es zwar um Facebook und um ein Bild eines französischen Malers, aber die Story war die gleiche. Wer mir jetzt aber mit "grandiosem Zufall" kam, beleidigte mich.
Ich bin ein Prophet.
Ich bin ein Visionär, ein Augur, ein Haruspex, ich habe den Siebten Sinn und das Zweite Gesicht.
Ich schliesse die Augen und sehe: Im Spiegelhof stehen an den Schaltern 7-9 gerade nur Ausländer. Ich schliesse die Augen und sehe, was mein Kumpel Franz gerade macht.
Warum ich diese Fähigkeit nicht ausnutze? Zum Beispiel für Casino oder Lotto? Weil ich die Staatlichen Lotterien von Uruguay, Litauen und dem Vatikanstaat schon ruiniert habe und 15 Croupiers wegen mir im Gefängnis sitzen - man unterstellte ihnen Manipulation und gemeinsame Kasse.
Warum ich nicht die Wahlen vorhersage? Aber das tue ich doch. Sachen wie Nölle-Allensbach sind nur Tarnung. Das Einzige, was sich meinem Zugriff entzieht, sind die Finanzmärkte. Hier muss jeder Augur die Waffen strecken. Wie auch jeder Politiker und jeder Volkswirt.
Ich schliesse noch einmal die Augen und sehe an den Schaltern 7-9 noch immer keinen Schweizer. Es sind die Counter für Migration. Und Franz lebt an der Pazifikküste der USA.