Montag, 29. Oktober 2012

Schavan, die zweite, oder: Anette schrieb um

Ins Schwarze getroffen, wieder einmal ins Schwarze getroffen! Schavans Machwerk WAR eine Glosse, oder eigentlich keine Glosse, sondern ein kabarettistischer Text, eine Bühnennummer über Gott und die Welt, ein heiterer Monolog, den Annette dem Stuttgarter Renitenztheater, der Hausbühne von Keuler und Richling anbot. Dieses lehnte ab, der Text war eigentlich gar nicht so schlecht, aber die gute Frau ist einfach nicht komisch, vielleicht eine Lachnummer, aber nicht lustig. So demotiviert, verzichtete sie darauf, den "Kleinen Katzechismus" (wie sie es gennant hatte) dem Kommödchen oder den Stachelschweinen anzubieten, geschweige denn den Münchnern.
Anette schrieb um. Sie machte einen Roman daraus, denn jemand hatte ja schon bewiesen, dass man Philosophisches und Theologisches, ja die Gesamtübersicht über die geistigen Strömungen einer Epoche in einen Roman verpacken kann, sogar in einen Krimi, der nicht nur höchst spannend, sondern auch noch verfilmbar ist. Das ging aber schief, der Roman war einfach mies. Was daran lag, dass Schavan eben kein Eco ist, sie hat nicht das Format, die Bildung, den Esprit, oder um es anders zu sagen, um so etwas wie Der Name der Rose zu verfassen, muss man so intelligent wie Umberto sein, und das ist sie nicht. Hanser lehnte ab, Suhrkamp lehnte ab, Kiepenheuer lehnte ab. Und Books on Demand oder Verlage, die erst drucken, wenn man 5000.- Produktionskosten überwiesen hat oder versprochen hat, einmal pro Woche das Lektorat zu putzen, dafür war sie sich zu schade.
Annette schrieb um. Die dritte Fassung war ein populärwissenschaftliches Buch über ihre theologischen und philosophischen Fragestellungen. Und das war gar nicht so übel. Nur ist der Markt für solche Bücher relativ klein, es gibt einfach nicht so viele Kirchgemeinderäte, Theologische Arbeitskreise, Leiter von Seniorentreffs und Andachtshalter. Und manchmal sind die ganz radikal, dann lesen sie Ranke-Heinemann und manchmal sind sie sehr fromm, dann lesen sie Billy Graham. Ausserdem kam für "Licht und Dunkelheit" (so der bescheuerte Arbeitstitel) nur ein Verlag in Frage: Herder (nicht verwandt mit mir, ich schreibe mich mit "t", war in Freiburg so blöde wie in Basel Fischer oder Burkhard zu heissen). Herder lehnte ab.
Annette - nein, sie ging erst einmal auf eine lange Reise, sie wanderte durch die Wüste Gobi, meditierte am Tadsch Mahal, schwamm im Eriesee und ritt auf einem Bären zum Nordpol. Nach einem Jahr kam ihr bei den Pyramiden die glorreiche Idee: Eine Dissertation! Dass sie da nicht gleich daraufgekommen war! Einen Doktorvater müsste man doch finden. Und tatsächlich, schon nach zwei Tagen hatte sie ihren Betreuer. Denn Professoren haben gerne viele Doktoranden, das stärkt den Ruf, das gibt auch Geld, das schmeichelt dem Ego und macht sich gut bei der Vergabe von Preisen und Ehrungen. Das Problem war jetzt, dass die Schavan keine Ahnung mehr hatte, welche Texte von wo gekommen waren, ist ja auch fast nicht mehr möglich nach dem vielen Umschreiben. Also da ein bisschen getrickst, dort etwas angegeben, da ein wenig geschludert, dort eine Kleinigkeit ungenau. Am Ende ging sie nach der Devise Was ich nicht mehr als fremd erkenne, ist von mir vor. Den Rest kennen sie.
Im Renitenztheater läuft zurzeit das neue Hausprogramm Berliner Muppetshow. (Ist Ihnen die Ähnlichkeit von Merkel mit Miss Piggy noch nie aufgefallen?) Eine Viertelstunde wird unserer Anette gewidmet, und so ist sie doch dort angekommen, wo sie hin wollte: Auf der Kabarettbühne.

Freitag, 26. Oktober 2012

Hätte mein Fahrlehrer merken müssen, dass ich schlecht Auto fahren kann?


Wenn man beim Autofahren von 30 auf 0 abbremst, drückt man die Kupplung, weil man ja im ersten Gang wieder anfahren muss. Wenn man von 150 auf 110 abbremst, tut man es nicht. Wäre ja auch Unsinn. Ich tat es trotzdem. Als mein Fahrlehrer dies bemerkte, war es eine Woche vor der Prüfung, und er bedeckte mich mit Flüchen. In die Schimpfworte flocht er noch ein, dass ich nicht parkieren könne und eben schon wieder zwei Vorfahrtsschilder übersehen habe und ich die Prüfung nie im Leben schaffen werde, es sei denn es geschähe ein Wunder, das der Sturmstillung, der Speisung der 5000 oder der Wasserverwandlung in Kana gleichkäme.
Ich war ein wenig erstaunt. Zu der Zeit unterrichtete ich schon einige Jahre Klavier, und ich wusste, was meine Schüler konnten und wo sie standen. Ich wusste zum Beispiel, dass Minchen den Bi-Ba-Butzemann zum nächsten Vorspiel nicht fertig bekäme und sie mit Und die Katze tanzt allein besser bedient wäre. Ich wusste, dass ich Mäxchen jetzt relativ zackig abgewöhnen müsse, den kleinen Finger wie ein Schwuler beim Teetrinken in die Luft zu strecken. Warum hatte mein Fahrlehrer diese Dinge nicht wahrgenommen und sie in time korrigiert?
Unterrichten, Lehren, Coachen, Trainieren, Betreuen heisst Bemerken, Wahrnehmen, Ansprechen, Verbessern.
Insofern kann ich auch die ganzen Promotionsaffären nicht ganz verstehen:
Natürlich war es OK, dass sich alle über den guten Guttenberg entrüsteten, aber sein Doktorvater? Hatte der ein Recht zu sagen, er sei entsetzt über die Arbeit? Hatte er sie überhaupt gelesen? Warum tritt ein Promotionsausschuss immer dann zusammen, wenn eine Dissertation angezweifelt wird und nicht BEVOR man ein summa cum laude verleiht? Wenn jetzt der Kopf von Frau Schavan rollt, sage ich „Hoppla!“, ich sage aber auch, wenn sie mich fragen werden, wer an den Hochschulen gehen muss: „Alle!“ Wenn eine wissenschaftliche Arbeit, die mehrere Jahre dauert, so geschlampt werden kann und es nicht bemerkt wird, hat die Unilandschaft ein massives, ein gewaltiges Problem.
Ich drücke die Kupplung übrigens bis heute, ich kann auch nicht parkieren, wer mit mir schon in den Ferien war, weiss, dass ich Parkplätze brauche, die so lang wie ein Fussballfeld sind und sich auf der rechten Seite befinden, zum Glück gibt es in der Vorsaison in Apulien und in der Nachsaison auf Menorca genügend solche Plätze. Das mit der Vorfahrt habe ich inzwischen kapiert. Einmal, an einem Tag, an einem holden Märzmorgen, machte ich alles richtig: Es war der Tag meiner Fahrprüfung. Also kommen Sie nicht auf die Idee, mir meinen Führerschein aberkennen zu wollen, es ging alles mit rechten Dingen zu.

P.S. Ja, ich habe aus der Seeräuberjenny zitiert, aber ich gebe keine exakten Quellen an, das ist eine Glosse! (Vielleicht ist das Ding von Anette ja auch eine, ich habe es nicht gelesen.) 

Montag, 22. Oktober 2012

Leicht renovierungsbedürftig


Ein Freund von mir hat sich neulich ein Haus angeschaut, 200m2, 6 Zimmer, Garten, Terrasse, Garage, Binningen (Nähe Allschwilerweiher), leicht renovierungsbedürftig, 200 000.-
Die Besichtigung, für die mein Kumpel sich extra freigenommen hatte, war ein Desaster. Die Fenster mussten vielen Fussbällen als Tor gedient haben, der Putz rieselte wie Schnee in einem Disney-Weihnachtsfilm, die Küche war mit einem Fettfilm überzogen, mit dem sie den Ärmelkanal hätte durchschwimmen können, Fussböden waren Wunschdenken, und als mein Kollege sich genervt an eine Wand lehnte, gab diese nach und riss damit auch die Zimmerdecke ein.
Was hatte er erwartet? 200 000.- und LEICHT renovierungsbedürftig?
Eine Freundin war neulich in der Türkei, 2 Wochen Vollpension + Flug 149.-
Auch hier ein Desaster: Ihr Zimmer blickte auf den örtlichen Schlachthof, daher die vielen Fliegen im Zimmer, die sich zwischen die Kakerlaken gesellten, der Strand, der sich nach einer Stunde Fussmarsch durch Steinwüste vor einem auftat, war wirklich schön, allerdings musste man, um noch einen Liegeplatz zu bekommen, den Steinwüstenspaziergang schon um 4.00 beginnen. Und das Essen? Im Roman Tricky Business serviert der Koch auf dem Casinoschiff Melody wochenlang das gleiche Essen, und die Mitglieder der schiffseigenen Tanzkapelle wetten auf das Ablaufdatum. Sie kontrollieren das, indem sie jeden Tag eine Plastikkarte im Kartoffelbrei versenken. So ähnlich war die Verpflegung. 
Was hatte meine Freundin erwartet? 2 Wochen für 149.-?
Muss ich noch von Silvio erzählen, der auf seinem Bettsofa (Möbeldiscount BILMÖB, 39.-) Rückenschmerzen bekommt, weil er in einer talähnlichen Senke liegt? Muss ich noch Angela erwähnen, die mit ihrer Klavierlehrerin (15 Franken die Stunde, kommt ins Haus) unzufrieden ist, weil sie nach einem Jahr immer noch bei Hier kommt der Bi-Bo-Bär ist? Muss ich noch von Roberto berichten, dessen Schnäppchen-Renault (1600.-, leichte Schäden an der Karosserie) inzwischen als weit verbreitetes Auto gelten darf, im wahrsten Sinne des Wortes, der Kofferraumdeckel liegt bei Freiburg, die eine Türe bei Karlsruhe, das eine Rad bei Worms?
Leute, es gibt einfach einen Preis, unter dem man eine Ware nicht bekommt. Jenseits dieser Marke wartet Schrott, Nepp und Gammelfleisch. Sparen ist gut, billig ist gut, aber bleiben wir realistisch: Es gibt keine Häuser für 200 000.- und keine Ferien für 149.-, wer wirklich sparen will, der bleibe in der Mietwohnung und mache Ferien im Joggeli, allerdings auch hier: 80.- Abo, 40.- Mietkasten, Kaffee und Pommes gehen extra. Umsonst ist der Tod - allerdings nur für den Gestorbenen.

Freitag, 19. Oktober 2012

Ist der Vandale ein Genie? oder: Posthum wird alles anders


Als ich in mein Schulzimmer komme, ist Bulbo gerade damit fertig geworden, meine Wand zu beschmieren. Er hat zunächst den Inhalt mehrerer Tintenpatronen darauf gespritzt, hat dann das Ganze mit nassem Gras verrieben und die Chausse mit Hühnerblut – wie zum Teufel kommt der Kerl an Hühnerblut? – ergänzt. Klar, was zu tun ist: Schulleitung, am besten Polizei holen, Tatbestand der Sachbeschädigung, Eltern zahlen und Bulbo kommt ins Time-Out.  Dann aber zögere ich. Man hat ja schon gehört, dass solche Typen später bekannte Konzept-, Video- oder Happeningkünstler werden und ihre spätere Biografie den Mist der frühen Jugend entschuldigt. Dann sind sie die Guten und die Lehrer und Erzieher die Bösen: Schon in der Schulzeit brach sich in Bulbo eine ungeheure Kreativität Bahn, was seinen unverständigen Lehrer immer wieder zu perversen Strafmassnahmen brachte. Oder: Das Genie Bulbos, das ihn zu Malereien auf Wänden und Tischen und zu grossangelegten Schulaktionen trieb, war nie durch spiessige Pädagogen zu bändigen.
Blüht mir das? Der Buhmann in einem Künstlerleben zu sein?
Das Problem ist, dass sich alle Durchbrüche, Umbrüche, Zer- und Querbrüche eines Genies erst posthum, und immer nur posthum darstellen. In der Situation hat das Umfeld Recht, im Nachhinein der Geist des Künstlers.
Jetzt mal ehrlich: Sind Sie Chef? Wie gehen Sie mit unerlaubter Urlaubsverlängerung um? Abmahnung? Kündigung? Zusammenscheissen? Sicher eines von den dreien. Warum ist dann der Fürstbischof Coloredo für Sie so eine Art Waldemort der Mozartvita, so eine Art Saruman des barocken Salzburg? Er war arbeitsjuristisch auf der korrekten Seite. Posthum, nur posthum stand er der Entfaltung eines grossen Geistes im Wege.
Und welche Mutter würde nicht gelegentlich einmal nachfragen, ob ihr Herr Sohn nicht doch daran denken könnte, sein Examen zu vollenden und eine Stelle anzunehmen, statt sich mit Nachhilfestunden knapp über Wasser zu halten und nebenbei Lyrik zu verfassen? Warum ist dann die alte Hölderlin die Narnia-Hexe der Literaturgeschichte, ein schreckliches Weib, das so zwischen Xanthippe und Hydra changiert? Posthum bemitleiden wir den so von der Mutter geplagten Friedrich, posthum.
Ich tue übrigens das Richtige: Ich hole den Kunsterzieher der Schule. Dieser schaut sich die Wand eine Weile an, redet mit Bulbo, fotografiert, macht sich Notizen und führt dann einige Telefonate. Zwei Tage später sind drei Beyelerleute damit beschäftigt, meine Tapete abzutragen, Sie können meine Wand auf der nächsten ART begutachten, ein Angebot von Brad liegt schon vor.
Uff! Dieses Mal alles richtig gemacht.

Montag, 15. Oktober 2012

M.J. und die neuen Wörter


Immer wieder werde ich gefragt, wer denn dieser ominöse M.J. sei. Der Komponist Michael Jari, dem wir die Schlager verdanken, mit denen die Petticoatgeneration in den Eisdielen die Jukeboxen fütterte, um dann vom Sonnenuntergang in Rimini zu träumen? Aber was hat der mit „deliziös“ zu tun? Oder meine ich vielleicht J.M.J., Jean-Michel Jarre, den ersten Elektroniker, dessen Oxgene den Kindern  der Petticoatgeneration  bis heute noch feuchte Nostalgieaugen macht? War Oxygene deliziös? Oder ist es gar Michael Jackson, der Popstar, der Moonwalk und den Ballgrap erfand, der sich kleine Jungs ins Bett holen wollte, und deshalb zur weissen Frau wurde, weil das dann ja harmlos ist? Delikat war sein Leben, aber deliziös?
Alles falsch, M.J. ist ein Schüler von mir, der Name bleibt geheim, aber dieser M.J. schrieb in seinen ersten Aufsätzen stets deliziös, von mir korrigiert, das sei ein altmodisches Wort, man schreibe heute delikat oder schmackhaft, beharrte er stur auf seinem Ausdruck, denn das klinge einfach besser, und manchmal passe auch nur diese Vokabel. Dann habe ich sie tatsächlich auch einmal benutzt, und ich stellte fest: M.J. hat Recht. Ein Linseneintopf mit Würstchen ist schmackhaft, ein Steak mit Sauce Bernadaise ist delikat, aber eine Pastete, gefüllt mit marinierten Pouletstücken und getrockneten Tomaten, auf einem Kräuterspiegel an Ruccola-Artischocken-Salat, das ist deliziös. Manchmal muss man sich auch gegen seinen Lehrer durchsetzen.
Überhaupt, die erfrischende, belebende Strategie meiner Schüler, einfach mal ein Wort zu setzen, nach dem Motto: Es wird schon existieren, wenn nicht, streiten wir ein wenig mit Herrn Herter, führt oft zu Katastrophendeutsch, aber manchmal, in kleinen germanistischen Epiphanien zu wunderbaren Bereicherungen unseres Lexikons.
Nur ein Beispiel: Der Uhu schleierte durch die Nacht schrieb H.R. Seine Begründung war herrlich: Schleiern sei so wie ein Schleier fliegen, also so sanft und langsam, man sage ja auch deshalb Schleiereule, und wenn eine Eule schleiere, dann ja wohl auch ein Uhu. Ich klärte ihn auf, dass das Wort nicht existiere und die Schleiereule wegen ihrer Kopffedern so hiesse, sagte ihm dann aber schliesslich: „Schön, dass du dieses Wort erfunden hast, es ist einfach wunderschön.“ Ist doch wahr! Ein Vogel, der wie ein Schleier durch den Nebel segelt, also schleiert, das ist doch deliziös ist es doch.
Manchmal fragt man sich, warum ein so herrlicher Satz wie In der meerigen Luft entmoosten muskelige, freibrustige Matrosen den  bemövten Hafen nicht geht.
Wir brauchen noch viel mehr Wörter, schöne Wörter, präzisere Wörter, Wörter, die es noch nicht gibt, aber die wir erfinden.
Übrigens ist mein PC schlimmer als jeder Deutschlehrer, er hat mir schon bei der Petticoatgeneration die erste rote Linie gesetzt, die zweite bei Nostalgieaugen, der Kerl akzeptiert wirklich nur das, was er kennt. Öde.

 

Freitag, 12. Oktober 2012

Rezeptgläubigkeit


In Küche und Keller -  irgendwie erinnern mich solche Zeitschriftennamen immer an die Stelle in Notting Hill, in der sich Hugh Grant als Reporter von Pferd und Hund ausgibt, und Julia Roberts fragt, ob in ihrem neuen Film, der in einem U-Boot spielt, gejagt werde – fand ich ein Rezept für einen deliziösen (Grüsse an M.J.) Nuss-Mandel-Kuchen:
 
300g Mandeln (gerieben)
300g Nüsse (gerieben)
300g Mehl
100g Butter
1 Ei
4 Teelöffel Zimt
4 Teelöffel Kardamom
2 Teelöffel Curry

Ich muss gar nicht weiterlesen, das ist natürlich Schwachsinn, die Mischung ergibt niemals einen Kuchen, ich sehe das Ganze förmlich vor mir: eine streuselige, körnige Masse, die mit einem Teig nichts zu tun hat, zudem schlagen die Gewürze alles Nussige und Mandlige tot, vielleicht könnte man das Zeug als eine Art Granulat zu einer Tandoori-Speise reichen.
Wieso aber spricht eine innere Stimme zu mir, ich solle es doch ausprobieren? Zu mir, einem erfahrenen Backer, der doch weiss, dass hier ein Fehler vorliegt? Das Zauberwort heisst REZEPT. Es ist ein Rezept, sagt der kleine Mann im Ohr, Rezepte können doch nicht falsch sein.
Wir sind rezeptgläubig.
In keiner Generation waren die Buchläden so mit Ratgebern, Lebenshilfe, Psychorezepten und Partnerschaftsliteratur überschwemmt. Es gibt Rezepte für meine Spiritualität, für meine Ehe, Rezepte gegen krumme Wirbelsäulen und schiefe Zähne, Rezepte gegen Stress, Rezepte für Glück und Wohlbefinden, Rezepte gegen Mobbing, Rezepte für mehr Begabung.
Die Rezeptgläubigkeit hat sich schlimmer als SAS und Schweinegrippe verbreitet.
Machen wir die Probe und lesen zum Stichwort „Wie geht der Kopfschmerz weg“ quer:
Morgens vor dem Frühstück ein rohes Ei mit Ingwer und Schüsslersalz. – An einen Fluss oder einen See setzen und an etwas Schönes denken. – Viermal mit dem rechten Fuss das linke Nasenloch berühren. – Vor jeder Mahlzeit ein Glas Apfelstieltee (?). – Mit dem Partner bei Vollmond einen Kreistanz machen. – Amalgam raus! – Kein Fleisch mehr! – Mehr Sport! – Mehr Mozart hören!...
Abgesehen davon, dass einige Ratschläge so blöde gar nicht sind – Bewegung z.B. ist nie verkehrt – werden die Kopfschmerzen erst dann vergehen, wenn der abendliche Wodkakonsum auf eine Flasche reduziert wird.
Rennen Sie also nicht bei jedem Problemchen in die Buchhandlung, um dreizehn Ratgeber zu kaufen. Sie helfen damit nur – den Verlagen. Meistens gibt es kein Rezept, oder die Rezepte sind falsch.
Küche und Keller entschuldigt sich übrigens im aktuellen Heft für den Fehler. Das Rezept sei für ein Granulat zu einer Tandoori-Speise. Na also.

Dienstag, 9. Oktober 2012

Rücktrittsrede


Rücktritte sind zurzeit wieder sehr im Trend. So ist zum Beispiel der Rheinland-Pfalz-Baron Beck ganz unerwartet gegangen, aus gesundheitlichen Gründen, und nicht, wie er betont, wegen des Nürburgrings. Gut, aber vielleicht hängt das ja auch zusammen, psychosomatisch, vielleicht ist ihm das Ganze auf den Magen geschlagen. Wenn man auf Herz und Nieren geprüft wird, wenn man nicht frei von der Leber weg reden kann, wenn man dann Gift und Galle spuckt, dann bekommt man ein flaues Gefühl in der Magengegend, dann hat man Bauchschmerzen, dann verdaut man die Sache nicht so leicht…
Ich habe für Beck eine Abschiedsrede geschrieben, die auch andere Damen und Herren verwenden könnten. Sie besteht aus wenigen, aber klaren Bausteinen und man erhält so verschiedene Varianten:

1 Schweren Herzens lege ich heute mein Amt als ___________ nieder
2 Es gibt Menschen, die mir mangelnde Qualifikation und Missbrauch meiner Macht vorwerfen.
A Diese Leute sind zutiefst im Unrecht.
3 Es gibt Menschen, die meine Amtsführung und mein Engagement geschätzt haben.
B Diese Leute sind zutiefst im Recht.
4 Ich habe alles getan,
C um _____________ wirtschaftlich, sozial und kulturell voranzubringen.
5 Ich habe nichts getan,
D um mich persönlich zu bereichern und eigenen Vorteil zu erwirtschaften.
6 Ich freue mich nun auch darauf, wieder mehr Zeit für ________________ zu haben.

So kann man es vor der Pressekonferenz sagen. Die ehrliche Variante sieht dann so aus:

1 Schweren Herzens lege ich heute mein Amt als ___________ nieder
2 Es gibt Menschen, die mir mangelnde Qualifikation und Missbrauch meiner Macht vorwerfen.
B Diese Leute sind zutiefst im Recht.
3 Es gibt Menschen, die meine Amtsführung und mein Engagement geschätzt haben.
A Diese Leute sind zutiefst im Unrecht.
4 Ich habe alles getan,
D um mich persönlich zu bereichern und eigenen Vorteil zu erwirtschaften.
5 Ich habe nichts getan,
C um _____________ wirtschaftlich, sozial und kulturell voranzubringen.
6 Ich freue mich nun auch darauf, wieder mehr Zeit für ________________ zu haben.

Freuen wir uns auf den Politiker, der als erster die ehrliche Fassung wählt. Kandidaten gibt es genug.

Freitag, 5. Oktober 2012

Sacco, Vanzetti und der Altlinke


Ich hatte in der Studikneipe in Marburg gerade meinen Salat serviert bekommen, als es vom Nachbartisch auf einmal dozierte: „Das in Moskau ist ein Schauprozess, so wie die in Syrien oder im Iran oder sonstwo durchgezogen werden. Seit Sacco und Vanzetti 1917 in Alabama gehängt wurden, hat sich nichts geändert.“ Ich wandte mich um und sah einen Typ Mensch, den ich für ausgestorben hielt: Den Altlinken. Wallemähne, Marxbart, Selbstgedrehte in der Hand, sass er inmitten seiner Jüngerinnen und Jünger und lehrte. Ich konnte mir mit geschlossenen Augen seine Wohnung vorstellen, Holzboden, Seyfriedposter, Papyrus und viel, viel, viel Batik. Ich weiss nicht, warum ich in diesem Moment der Hafer ritt und der Teufel stach, oder war es umgekehrt, ich drehte mich zu ihm und sagte: „So, die waren unschuldig, weiss man das denn genau?“ Der Altlinke schaute mich an und brummte: „Du als Spiesser natürlich nicht. Aber sie wurden zu Unrecht ermordet.“ Nun musste ich doch entgegnen, dass ich kein Spiesser sei, ich sei sogar lange in der linken Szene unterwegs gewesen, und natürlich wisse ich, dass die Unschuld von Sacco und Vanzetti zum progressiven Wissenskanon gehöre, aber ich hätte eben nie die Story wirklich studiert, wie die meisten meiner Genossen. „Wenn du mal links warst, hast du dich aber ganz schön zum Negativen verändert.“ Ich legte noch einen drauf und sagte: „Ich habe mich verändert, im Gegensatz zu dir, du bist ja von 1975 direkt in die Gegenwart gehüpft, aber älter und reifer werden, heisst für mich eben immer mehr die Dinge zu hinterfragen. Hast du mal die Texte von der Meinhof wirklich gelesen, wie faschistoid und menschenverachtend das ist? „Und natürlich darf geschossen werden“ erinnert doch sehr an „morgen wird zurück geschossen“.  Hast du damals den NATO-Doppelbeschluss wirklich im Kopf gehabt oder hast du nur dagegen demonstriert?“
Nun guckt er, als würde ich gerade einen Frosch gebären und gleichzeitig Puccini singen.
Auf solch einen rechten Scheiss habe er keinen Bock.
Natürlich, die Keule kommt immer. Er habe, so der Altlinke, die „Geschichte der Anarchie“ gelesen, 3 Bände von Piet Bompfer, einem Historiker, aber eben einem der dialektisch-materialistisch arbeite. Und Sacco und Vanzetti seien unschuldig gewesen.
Nach dem Essen ging ich sofort in die UB und deckte mich mit Büchern über die beiden Italoamerikaner ein. Und zwar rechte, linke und neutrale Literatur. Schon bei den Klappentexten merkte ich, dass das Wissen unseres Rauschebartes nicht so doll war. Sacco und Vanzetti starben 1927, und zwar nicht in Alabama, auch wenn das passen würde, sondern in Massachusetts, und durch den Elektrischen Stuhl.
Es lebe das ideologisch gefärbte Halbwissen.









Montag, 1. Oktober 2012

Luxus


Nachdem alle meine dtv-Böll-Bände inzwischen nur noch eine Blättersammlung waren und die Haltegummibänder in meinem Bücherregal so hässlich aussahen, nachdem ich, wenn ich z.B. Ansichten eines Clowns am Strand las, Panik vor jeder Minimalböe hatte, nachdem ich mir auch nicht mehr sicher war, ob Haus ohne Hüter noch die Seiten 105-110 besässe, nachdem sich Gruppenbild mit Dame von der Terrasse des Joggeli wie einst die Flugblätter der Weissen Rose als Papierregen auf die Sonnenanbeter ergossen hatte, entschloss ich mich doch zur Anschaffung der Böll-Gesamtausgabe, 20 Bände im Schuber, sorgfältig kommentiert und lektoriert, Kiepenheuer und Witsch, 750.- Euro.
Als ich meinem Freund Moritz davon erzählte, stöhnte er kurz auf und meinte: „Hast du im Lotto gewonnen? Du bist und bleibst eben ein Luxusmensch.“ Moritz bewohnt in Zürich-Altstetten eine 6-Zimmer-Wohnung, weil er als „Mensch, der im Grossraumbüro fast eingeht, zu Hause Platz zum Atmen braucht“ (genauer 200qm) und fährt einen Lamborgini, weil „der ÖV in Zürich wirklich nicht akzeptabel  ist“. Seine Wochenenden verbringt er am Lago Maggiore oder im Wallis, weil ihm die Decke seiner Protzwohnung auf den Kopf fällt. Dafür hat er ein GA, denn sein Schlitten findet in den engen Dörfern keinen Platz.
Und dieser Mensch bezeichnet mich als Luxuswesen? Ich glaube, der Begriff des Luxus ist sehr dehnbar. Wir bezeichnen gerne das als Luxus, was wir nicht verstehen, und natürlich sind es immer die anderen, die ihr Geld zum Fenster hinauswerfen, WIR geben unseren Stutz ja nur für Dinge aus, die absolut notwendig sind, wie z.B. ein Auto in Zürich. Und genauso lief es auch: Als ich begann, Moritz die Kosten einer Gesamtausgabe gegen die eines Lamborgini aufzurechnen, stöhnte er: „Ja, soll ich denn mit dem Tram nach Rapperswil fahren?“ Als ich entgegnete, dass keine Strassen- aber eine S-Bahn führe, und die könne er sehr wohl benutzen, war er endgültig eingeschnappt.
Dabei sind – betrachten wir doch einmal die Dinge von ganz anderer Warte – Moritz und ich Luxureboys, es gibt genügend Menschen, die sich weder ein Auto, noch teure Bücher oder Opernkarten leisten können, und, weltweit gesehen, gelten folgende Sachen als Luxus: Sauberes Wasser, Schulbildung, Dach über dem Kopf, Essen und andere Dinge. Wir alle, auch die Ärmeren hier haben ein Luxusleben.
Ich habe mich jetzt doch für eine Sparmassnahme entschieden: Ich nehme den Böll ohne Goldschnitt und Grieshaber-Illustration, der kostet dann nur 700.-.