Dienstag, 29. Dezember 2020

Wie tauscht man jetzt Geschenke um ? / Blogpause

Liebe Leserin, lieber Leser

Hatten Sie schöne Weihnachten? Sicher sehr stille, sehr friedliche, aber hoffentlich doch einigermassen schöne.
Ich schulde Ihnen noch die Auflösung des Rätsels – Sie erinnern sich? Das Nicht-Googeln-Können-Rätsels. Die erste Frage war einfach, das war natürlich die Heidi von Johanna Spyri, die Stadt, in der man sich nicht wohlfühlt, war Frankfurt und die weissen Tiere waren Geisslein; die Lösung der zweiten Frage war etwas schwerer, es war Schiffbruch mit Tiger von Yann Martel.

Ach, Sie möchten noch mehr? Ist lustig, gell, wenn man nicht einfach die Suchmaschine bedienen kann. Nun, ich habe durchaus noch mehr, ich habe ein ganzes Rätsel mit 11 Fragen und entsprechend einem 11buchstabigen Lösungswort, alle Fragen drehten sich übrigens irgendwie um Tiere.
Warum ich das jetzt nicht bringe?
Weil das ein Geschenk war, ein Geschenk für meinen damaligen Partner und ich kann so ein Geschenk jetzt nicht einfach ins Netz stellen.

Sie haben noch nie so ein Geschenk bekommen? Ein persönliches Rätsel? Nein? Aber vielleicht einen Kalender oder ein Fotobuch, auch ganz persönlich? Sehen Sie, das schon eher. Ich mache gerne so «selbstgebastelte» Sachen, Sie verschenken eventuell Selbstgestricktes, Selbstgehäkeltes oder Selbstgenähtes, oder Sie verschenken Selbstgebackenes oder Selbsteingemachtes. Letztere beiden Dinge habe ich natürlich auch schon verschenkt, erstere drei weniger, Selbstgestricktes, Selbstgehäkeltes oder Selbstgenähtes fällt bei mir weg, weil ich nicht stricken, häkeln oder nähen kann. Dann doch lieber Kalender oder gar Rätsel, auf jeden Fall selbstgemacht.

Aber egal, ob selbstgemacht oder selbstgekauft: Geschenke sollten ja etwas Persönliches haben, sollten auf den oder die Beschenkte(n) zugeschnitten sein, sollten nicht irgendein Kruscht sein, nicht irgendwelcher Müll.
Wenn schon Krawatte, dann muss man sich doch überlegen, welche Farbe, welches Muster ist der Beschenkte eher der Poppig-Bunt-Farben-Vögel-Pflanzen-Typ (wie übrigens jener Expartner…) oder der Seriös-Anthrazit-Und-Höchstens-Noch-Eine-Farbe-Typ?
Wenn schon Parfüm, dann muss man sich doch überlegen, soll es eher ein frisches, meerhaftes, maritimes und windwolkiges sein oder ein moschüses, schweres, bordellhaftes und puffiges?
Wenn schon CD, dann muss man doch wissen, macht man dem oder der anderen mit baskischem Singer-Songwriter eine Freude oder eher mit Ethno-Punk, erfreut man mit Lautenmusik aus dem 15. Jahrhundert oder mit dem kompletten LICHT von Stockhausen (und ich kenne zu jeder Kategorie Leute, denen ich das schenken würde, merkwürdig, nicht, was ich für einen schrägen Bekanntenkreis habe…)

Auf jeden Fall darf der eine Satz nie fallen:
MAN KANN ES JA UMTAUSCHEN.

Doch, der Satz darf fallen, aber er darf nur aus einem Grund fallen: Der oder die andere hat das Buch/die CD/die DVD schon, das kann ja dann leicht passieren, eben wenn man persönlich schenkt. Bei jenem Rätselrater mit den bunten Krawatten lag sogar auf einem Geburtstagstisch zweimal die gleiche CD, da war das gar nicht anders möglich, als diese CD schon zu haben, entweder er hätte von mir Links bündig, rechts flatternd – Robert Gernhardt spricht mit Reich-Ranicki über Lyrik bekommen, und hätte dann bei Lindes Päckchen (Links bündig, rechts flatternd – Robert Gernhardt spricht mit Reich-Ranicki über Lyrik) den Inhalt schon gehabt, oder Linde hätte ihm Links bündig, rechts flatternd – Robert Gernhardt spricht mit Reich-Ranicki über Lyrik geschenkt und ich hätte das Nachsehen gehabt.

MAN KANN ES JA UMTAUSCHEN.
Ja, aber nur aus obigem Grund, nicht, weil man am anderen vorbeigeschenkt hat, lieb- und gedankenlos gab und weder Phantasie noch Kenntnis einsetzte. Es soll ja sogar Familien geben, in denen man zum Geschenk schon die Quittung mitgibt, dass man…, ja
MAN KANN ES JA UMTAUSCHEN.

Und so pilgern in «normalen» Jahren am ersten Werktag nach Weihnachten Millionen von Leuten in die Warenhäuser, Kaufhäuser, in die Geschenkläden und Parfümerien, in die Boutiquen und Stores und tauschen um, tauschen um, tauschen um.
Und 2020?
Dieses Mistjahr war in Deutschland geschenketechnisch natürlich eine Totalkatastrophe. Erst hatte man keine Zeit, man rannte in die Läden und kaufte in Windeseile irgendeinen Mist, denn der Shutdown nahte, und..
MAN KANN ES JA UMTAUSCHEN.
Nein, dann kann man jetzt blöderweise eben nicht. Die Warenhäuser, Kaufhäuser, die Geschenkläden und Parfümerien, die Boutiquen und Stores sind zu. Und so müssen die armen Beschenkten den Mist bis Ende Januar horten und angucken, starren auf Poppig-Bunt-Farben-Vögel-Pflanzen-Krawatten, bis sie diese in Seriös-Anthrazit-Und-Höchstens-Noch-Eine-Farbe-Krawatten umtauschen können, ärgern sich über Parfüm, das frisch, meerhaft, maritim und windwolkig ist und das ein moschüses, schweres, bordellhaftes und puffiges werden soll und man seufzt, bis die baskischem Singer-Songwriter-CD eine mit Ethno-Punk, und bis die mit Lautenmusik aus dem 15. Jahrhundert eine mit LICHT von Stockhausen werden kann.

Dieses Mal geht umtauschen nicht.
Und 2021 schenken wir vielleicht einmal mit Nachdenken… 

Wir gehen wieder einmal in eine Pause. Quasi in einen Lockdown, aber nicht wegen Corona, sondern einfach so, eine schöpferische Ruhe. Am 2.2.2021 sehen wir uns wieder. Bis dahin eine gute Zeit udn einen GUTEN RUTSCH.



 

 

Freitag, 25. Dezember 2020

Googelitis

Frohe Weihnachten alle miteinander!

Ach, Sie haben das ZEIT-Rätsel gemacht? Ein paar Tage schon? Das ist interessant und lustig, gell? Wie viele Punkte hatten Sie im Schnitt?
Wie?
Sie hatten immer das Höchstergebnis, 8 Punkte? Wie haben Sie denn das gemacht?
Ach so.
Sie haben gegoogelt. Wie blöd ist denn das.

Ich könnte noch verstehen, dass man bei einem Quiz, bei dem es 5000.-- zu gewinnen gibt, zu einem solchen Hilfsmittel greift. Aber bei einem Quizspass, bei dem nur das eigene Wissen getestet werden soll, bei dem kein Preis winkt, kein Geld wartet, bei dem es nur um das Ich-weiss-so-viel-und-ich-bekomme-so-viel-mit-Gefühl geht, ist es nun wirklich das Letzte. Denn eben dieses Ich-weiss-so-viel-und-ich-bekomme-so-viel-mit-Gefühl stellt sich natürlich dann nicht ein. Nein, Googeln ist hier richtig doof.

Was sagen Sie? Sie können gar nicht anders? Wenn eine Frage auftaucht, dann zuckt ihr Finger zur Suchmaschine? Wenn im Gespräch ein Stichwort erscheint, dann reissen Sie Ihr Handy aus der Tasche?
Klare Diagnose: Sie haben die Googelitis, auch bekannt als Suchmaschinensucht, ebenfalls bekannt als Bissler-Syndrom. Der amerikanische Psychiater Joe…
Nein!
Sie sollen das jetzt nicht googeln! Nicht!
Das ist ja furchtbar, ich bin doch gerade dabei Ihnen zu erklären, wie es zu dem Namen kommt, das ist doch völlig bescheuert, wenn Sie einen Text zunächst nicht weiterlesen, und dann, wenn Sie weiterlesen, dann wissen Sie schon alles.

Also noch einmal:
Der amerikanische Psychiater Joe Bissler hat 2009 das Phänomen zum ersten Mal beschrieben. Seitdem hat sich die Forschung damit immer mehr und immer wieder beschäftigt und 2015 wurde die Suchmaschinensucht in die offizielle Liste der Psychischen Krankheiten der WHO aufgenommen.

Wer unter Googelitis leidet, kann nur durch einen harten Entzug Erlösung finden. Der Entzug erfolgt in mehreren Schritten:
1) Eine Woche offline – ja, Sie lesen richtig, sieben Tage muss man völlig ohne Internet, Mail usw. auskommen. Das geht natürlich nur, wenn man in einem Funkloch im Wald ist und gar nicht die Chance hat, irgendetwas im Netz zu machen.
2) Eine Woche Training mit einem Coach. Der Coach übt mit einem auf bestimmte Stichwörter nicht mit Google zu reagieren, sondern selber nachzudenken.

Diese ersten beiden Wochen macht man natürlich in einer der anerkannten Kliniken, zum Beispiel

Nein! Nein! Nein!
Nicht googeln!
Nicht googeln!
Sie sind nun wirklich ein hoffnungsloser Fall.
ICH sage Ihnen jetzt die beiden bekanntesten Kureinrichtungen:
Dr. Pfeffer – Klinikum in Bad Schwerborn (Odenwald) und Analogia – Klinik in Gubsen (Harz). Beide Einrichtungen sind nicht ganz billig, haben eine Erfolgsquote von 80%.

Die dritte Phase verläuft dann wieder im normalen Umfeld, man besucht aber je einmal pro Woche eine Therapiesitzung und eine Selbsthilfegruppe. In der Gruppe werden Erfolge und Misserfolge ausgetauscht, aber auch fröhlich gespielt, zum Beispiel Quiz mit nichtgooglebaren Fragen.
Gibt es nicht?
Oh doch. Hier zwei Literaturfragen, die Sie sicher nicht googeln könenn:

Es gibt viele Menschen, die sich in der bekannten Grossstadt am Main nicht wohlfühlen. Manche vermissen gute Luft, manche die Ruhe, manche vermissen eine gefahrlose Verkehrssituation und gutes Essen. Die wenigsten allerdings werden in jener Stadt kleine weisse meckernde Tiere vermissen. Unsere Romanheldin tut das aber aus ganzem Herzen. Wie heisst jenes Mädchen, das zum Symbol einer ganzen Nation wurde?

Es könnte eine gemütliche kleine Reise werden, wäre es ein etwas grösseres Verkehrsmittel und das Tier ein kleineres und niedlicheres. Auch dass die Wegstrecke weit und man zwangsweise auf dieses Verkehrsmittel gelangte, trägt nicht zur guten Laune bei; de facto ist der Raum eng und das Tier gefährlich. Wäre der Held nicht mit Tieren gross geworden, würde er kaum überleben. Wie heisst jenes Buch, das vor 17 Jahren die Bestsellerlisten stürmte?

Auflösung gibt es nächstes Mal.

Dienstag, 22. Dezember 2020

Nicht nachdenken!

Hallo, liebe Leserinnen und Leser, wir machen ein kleines Quiz. Aber bitte gehen Sie, ausser dass Sie sich die Fragen überlegen, ein wenig auf die Metaebene und beobachten sich, beobachten, wie lange und warum Sie überlegen.

Erste Frage:
Wie hiess der Vorgänger von Donald Trump?
A) Joe Biden
B) Barack Obama
C) Hillary Clinton
D) George W. Bush

Zweite Frage:
Wann wurde John Lennon ermordet? Am 8.12. vor
A) 20 Jahren
B) 30 Jahren
C) 40 Jahren
D) 50 Jahren

Dritte Frage:
Wie heisst der Übersetzer/die Übersetzerin von «Maschinen wie wir» von Ian McEwan?
A) Bernhard Robben
B) Manfred Allié
C) Brigitte Große
D) Maja Pflug

Die Lösungen lauten B), C) und A).
So, aber nun zu unseren Beobachtungen.
Ein normaler Mensch würde folgendem Schema folgen: Bei der ersten Frage würde er oder sie 0 Sekunden überlegen und B) wählen, denn die Antwort ist klar. Bei der zweiten Frage würde er ca. 30 Sekunden überlegen und dann wahrscheinlich die richtige Antwort wählen, bei der dritten Frage würde er oder sie wiederum 0 Sekunden überlegen und dann raten – richtige Antwort eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 4.

Aber Sie?
Warum haben Sie bei der ersten Frage so ewig nachgedacht? Meine Güte, 3 Minuten und 15 Sekunden? Ach so, Sie haben Verrat gewittert, Sie dachten, das ist (wieder einmal) eine Fangfrage? Guter Mensch, Sie tun mir leid. Es ist nicht überall eine Falle, nicht überall eine Fangfrage, es nicht überall Verrat und Hinterhalt, manchmal ist die Welt ganz ehrlich, ganz einfach, ganz simpel zu lösen. Vielleicht sollten Sie mal in eine Rückführungstherapie, vielleicht waren Sie in Ihrem früheren Leben Caesar oder Leonidas, waren irgendein englischer König der Yorks, Lancasters, Tudors oder Stuarts, der einem Komplott zum Opfer fiel? (Also praktisch jeder…)
Nein. Die Antwort war hier ganz einfach, es war Barack Obama. Und: Der Irre im Weissen Haus kann sehr viel bestreiten, er kann den Wahlausgang anfechten, er kann behaupten, dass überall betrogen wurde, er kann bestreiten, dass Biden sein Nachfolger wird, er kann sogar sagen, dass er gar keinen Nachfolger haben wird, aber er kann nicht ändern oder leugnen, wer sein VORGÄNGER war. Selbst Donny kann die Vergangenheit nicht ummodeln.

Bei der zweiten Frage ist Ihnen – wahrscheinlich wie mir, ich hätte auch viel länger als 30 Sekunden gebraucht – sicher das eigene Alter in die Quere gekommen. Nehmen wir an, Sie sind so alt wie ich, stolze Mitte 50, dann wäre der Mord vor dem Komplex der Dakota-Apartments in Ihre Schulzeit gefallen, und so war es ja auch. Aber dann wäre ja die Schulzeit auch 40 Jahre her…? Kann doch nicht sein. Sind wir wirklich schon so ALT? Nein, sicher ist das Ereignis erst 20 Jahre her und wir sind 20 Jahre jünger.
Sind wir aber nicht. Wir sind so alt, wie wir sind.
Und der Ex-Beatle wurde am 8. Dezember 1980 von Mark David Chapman erschossen. Eine spannende Frage wäre allerdings noch, warum alle Attentäter in den USA zwei Vornamen haben: John Wilkes Booth (Lincoln) und Harvey Lee Oswald (Kennedy).

Nun zur dritten Frage: Warum haben Sie hier nachgedacht? 14 Minuten? Bei manchen Fragen muss man doch einfach zugeben: Ich weiss es nicht, ich kann noch so viel nachhirnen, ich weiss es nicht.
Ich weiss nicht, wie die Hauptstadt von Burkina Faso heisst.
Ich weiss nicht, wie der Torwart von Manchester heisst.
Ich weiss nicht, wie die Formel von Novalgin® geht.
Wahrscheinlich haben Sie so lange gewartet, ob Sie ein Name passiv anspringt. Aber ich war so gemein, dass Sie sicher schon alle Namen eventuell gelesen haben; sind Sie Diogenes-Leserin oder Diogenes-Leser sind Ihnen alle schon einmal begegnet: Der Herr Robben übersetzt McEwan, Manfred Allié überträgt McCarten, Brigitte Große ist für Frau Nothomb verantwortlich und die andere Dame für Andrea De Carlo.
Also: Hier half nur raten.

Machen Sie doch morgen einmal das tägliche Quiz der ZEIT. Hier finden Sie auch genau die 3 Typen. Manchmal weiss man es genau. Manchmal muss man Nachdenken und eingestehen: Man ist ALT. Manchmal muss man raten – und das gelingt mir verrückterweise bei den Fussballfragen, und von Fussballfragen habe ich so viel Ahnung wie von Afrikanischer Geografie oder chemischen Formeln.





Freitag, 18. Dezember 2020

Muss Weihnachten Kitsch sein?

O weh! Diesen Post hätte ich vor dem anderen bringen müssen, denn Weihnachten fällt ja aus. Aber er ist zu schade zum Wegwerfen, ich bringe ihn dennoch: 


Mein Freund Paul hat einen tollen Job. Er macht Backgroundchor-Texte. Er arbeitet für alle grossen Studios und Produzenten der Welt, er verdient eine Menge Geld und hat schon eine Villa in Malibu und eine in Davos. Und wenn Sie jetzt sagen, er tue eigentlich nichts, dann irren Sie sich gewaltig. Es ist nämlich ganz entscheidend, ob bei einem Song wie Love, Love and Nothing but Love die Backvocals
oo – aa – oo – aa – oo
oder
aa – oo – aa – oo – aa
oder gar
ooa – ooa – ooa – ooa - oooooo
singen.
Das macht nämlich einen ganz anderen Eindruck, eine ganz andere Atmosphäre und das Texten dieses Backgrounds braucht viel Musse und Fingerspitzengefühl.

Zu den grossen Erfolgen Pauls gehört der Background von Roy Orbisons Only the Lonely, jene Zeile, die Sie sicher im Ohr haben:
Dum-dum-dum-dumdy-doo-wah
Aber auch der Geniestreich mit dem Background von Games without Frontiers von Peter Gabriel war seine Idee. Viele konnten die von Kate Bush geträllerte Zeile nicht verstehen, die meisten hörten
She`s so frontious
aber das Adjektiv existiert im Englischen nicht. Man war auch in der völlig falschen Sprache. Frau Bush sang nämlich auf Französisch das Gleiche wie Herr Gabriel auf Englisch:
Jeux sans frontières

Manchmal ruft mich Paul an, wenn er einen Rat braucht. So auch neulich. Sein Problem war das folgende: Er brauchte einen guten Background-Text für eine Neuaufnahme mit Video von Silent Night, gesungen zu der jeweils dem Wort Night entstehenden Dreischlagnote und er schwankte zwischen den Varianten
shoo – shoo – ba – shoo
gloom – glam – glam – gloom
und
shei – raa – lei – shee
Ich kramte ein wenig in meinem Gedächtnis: Am 24. Dezember 1818 führten die Autoren Gruber und Mohr das Lied als Duett mit Gitarre zum ersten Mal auf, in der Dorfkirche von Oberndorf (Salzburg), das ist wohl Fakt, dass sie das taten, weil eine Maus die Orgelschläuche kaputtgebissen hatte, ist nur eine Legende, aber eine schöne.
Auf jeden Fall: Ein einfaches Lied, ein schlichtes Lied, und so riet ich Paul, die Backvokalisten doch einfach nur summen zu lassen, bocca chiusa, wie der Fachmann sagt.

So einfach sei das nicht, so Paul, der Backgroundtext müsse auch zur Location des Videos passen. Und diese Location wurde mir als Lobby eines Hotels beschrieben, bestückt mit folgenden Dingen:
Drei grosse Nordmanntannen, 5 Meter gross und drei Meter breit, behängt mit Goldkugeln und Goldlametta
Zehn Adventskränze mit Silberkerzen, mit violetten, roten, blauen und grünen Kugeln bestückt
Fünf Kunststoffschneemänner, über und über mit Silberstaub besprüht
Zwanzig Mistelzweige von allen Decken und Türöffnungen hängend
Ich kann es mir vorstellen.
Und mir graust es.

Manchmal wäre doch weniger mehr. Manchmal wäre es doch schön, bei der Advents- und Weihnachtsdekoration nicht zu übertreiben. Zum Beispiel einen Adventskranz mit schlichten weissen Kerzen und sonst nichts und an den Fenstern je einen Herrnhuter Stern. Aus und Ende.

Jetzt werden Sie einwenden: «Ja, aber EINMAL im Jahr darf doch ein bisschen Kitsch sein, EINMAL im Jahr darf man doch ein wenig zu viel an Silber, Gold, ein bisschen too much an Flitter und Flatter und Glitzer und Glotzer, an Weihnachten darf es doch nun wirklich kitschen und klatschen…»
Aber, ich bitte Sie!
Inzwischen kitscht es doch das ganze Jahr. Wir starten mit geschmacklosen Schweine- und Schornsteinfegerfiguren, hässlichen Hufeisen und kitschigen Kleeblättern, um uns dann über den Valentinstag (rote Herzen! rote Herzen! rote Herzen! rote Herzen!) zum Karneval durchzuarbeiten, bei dem sowieso jeder Geschmack abhandenkommt, dann ist ein wenig Ruhe, bis an Ostern wieder alle Dämme mit Goldeiern und lila Hasen brechen. Im Sommer verschicken wir Postkarten mit fotoshopblauen Stränden und im Herbst dann solche mit fotoshopbunten Blättern und selbst Allerheiligen, das früher noch einigermassen seriös war, ist inzwischen eine Orgie von widerlichen Kerzen und übertriebenen Gestecken.

Nein. Weihnachten braucht nicht kitschig zu sein, das ganze Jahr ist es inzwischen. So könnte gerade Weihnachten ja eine kitschfreie Zone werden.

Ich habe Paul vorgeschlagen, mit mir ein Video zu machen, das in einer schlichten Dorfkirche die Originalversion von Stille Nacht zeigt, und er wählt einen ganz schlichten Backgroundtext. Das Angebot mit dem Kitschvideo soll er ablehnen, mit seinen 30 Millionen auf dem Konto kann er sich das leisten. Allein für eine Variante des Dum-dum-dum-dumdy-doo-wah bekam er 2000000.—
Dieses ist nämlich auch von ihm:

Weine nicht, wenn der Regen rinnt
damm damm – damm damm
Hier ist einer, der zu dir hält
damm damm – damm damm











Dienstag, 15. Dezember 2020

Weihnachten fällt aus

 Weihnachten 2020 fällt aus.

Und nun herrscht nicht nur Trauer und Schmerz, herrscht nicht nur Jammer und Gram, herrscht nicht nur Weh und Sorge – was das Deutsche an Wörter für Negatives kennt, aber die Deutschen sind fürs Jammern ja bekannt – nein, es gibt eine Reihe von Leuten, die den Ausfall des Heiligen Abends durchaus begrüssen.

Lassen Sie mich Ihnen hier ein paar vorstellen:

Pfarrer Günter Greber ist glücklich. Ja, jetzt wundern Sie sich wahrscheinlich, ausgerechnet ein Pfarrer. Aber Pfarrer Greber hat einfach keine Lust mehr, Menschen, die ein einziges Mal im Jahr in die Kirche gehen, dann den treuen Seelen die Plätze wegnehmen, einen tollen Gottesdienst mit viel Kerzen, viel Schmuck. wunderbarer Musik und einer rhetorisch ausgeklügelten Predigt zu präsentieren. Er würde ihnen viel lieber zubrüllen: „Geht heim! Ihr glaubt doch eh an nix! Wo seid ihr an Ostern? Wo seid ihr an Pfingsten? Wo seid ihr an einem NORMALEN Sonntag? Wisst ihr überhaupt, was wir heute feiern? Geht heim, niemand braucht euch hier!“ Und Pfarrer Greber hätte Lust, den 24.12. ganz spartanisch zu machen, und dann an Pfingsten einen Gottesdienst mit viel Kerzen, viel Schmuck. wunderbarer Musik und einer rhetorisch ausgeklügelten Predigt zu präsentieren.

Weihnachten 2020 fällt aus.

Mark ist glücklich. Er kann nicht heim zu seinen Eltern (so die Lesart seiner Eltern). Er muss nicht heim (so seine Lesart). Es war das letzte Jahr so dermassen ermüdend, die Fragen und Ermahnungen von Mama und Papa zu ertragen. Warum er immer noch nicht mit dem Studium fertig sei, warum er immer noch rauche, warum er die Wäsche nicht mehr heimschicke, man wisse doch, in den Studentenwohnheimen werde die einem doch ständig von der Leine geklaut, ob er auch ordentlich esse und genügend schlafe, ob er auch Sport mache und an die frische Luft gehe, er sehe doch ein wenig blass und müde aus…
Nein, dieses Jahr darf Mark am Studienort bleiben. Corona sei Dank.

Weihnachten 2020 fällt aus.

Auch Susanne wird glücklich sein, also nicht wirklich glücklich, aber auch nicht so unglücklich wie in den vergangenen Jahren. Sie wird allein sein, aber sie wird nicht als einzige allein sein. Es ist viel besser, allein vor dem Fernseher zu sitzen und Erdnüsse zu knabbern, wenn alle allein vor dem Fernseher sitzen und Erdnüsse knabbern, als allein vor dem Fernseher zu sitzen und Erdnüsse zu knabbern, wenn die anderen gemeinsam am gedeckten Tisch sitzen, ein opulentes Mahl essen und exzellenten Wein trinken. Susanne wird nicht sehnsüchtig nach den erleuchteten Fenstern schauen, wo gedeckte Tische mit opulenten Mahlzeiten und exzellenten Weinen sind, sondern sie wird sich normal fühlen, ganz normal.

Weihnachten 2020 fällt aus.

Auch Alex und Ron werden glücklich sein. Als alleinstehende Männer ohne Familie waren sie am 24.12. immer mit Dienst dran, sie sind (wie man in Deutschland sagt) Zugschaffner oder (wie man in der Schweiz sagt) Kondukteure. Sie konnten es zwar immer so deichseln, dass sie gemeinsam eine Tour hatten und nach Dienstschluss um 22.00 noch anstossen konnten, aber das war natürlich kein ganzer Ersatz. Ja, sie hatten auch schon überlegt, ob sie sich als Paar deklarieren sollten und so um ein gemeinsames Feiern zuhause bitten sollten, aber – sie sind einfach nicht schwul. Nun, dieses Jahr sind sie zwar auch wieder am 24. Dezember eingeteilt, aber dieser 24. Dezember wird einfach ein normaler Tag sein, ein ganz normaler mit ganz normalem Dienst.

Weihnachten 2020 fällt aus.

Ulrike und Horst sind glücklich. Dieses Jahr wird am Heiligabend, der ja dieses Jahr ein unheiliger Abend sein wird, ihre Ehe nicht aufs Spiel gesetzt. 2019 stand es auf der Kippe, ob ihre Beziehung die Weihnachtszeit überleben wird. Alle Spannung, die sich das Jahr über aufgebaut hatte, entlud sich am Vierundzwanzigsten. Als ihr das Essen nicht gelang und er das falsche Geschenk besorgt hatte, da flogen auf einmal Sätze wie „Du bekommst auch nie etwas hin!“ und „Du hörst nie zu, wenn ich etwas möchte!“ durch das festliche geschmückte Zimmer und auf einmal waren alle nicht gesagten Sätze da und der Streit fand erst ein Ende, als die Nachbarn sich beschwerten.

Weihnachten 2020 fällt aus.

Und auch der Weihnachtsmann ist froh.
Echt?
Ja, er hasst seinen Job schon lange. Denken Sie mal nach, eine 100%-Stelle, deren Jahresarbeitszeit an einem einzigen Tag absolviert werden muss…
2020 geht er in Kurzarbeit und die Arbeitslosenkasse zahlt seinen Lohn.

Weihnachten 2020 fällt aus.
Oder wird auf Ostern oder Pfingsten oder auf den Valentinstag oder den 1. Mai verschoben.
Merkel und Berset werden das bald entscheiden.



 

Freitag, 11. Dezember 2020

Lieber Alex Capus oder: Auch Basler können schreiben

Lieber Alex Capus

seit Jahren verfolge ich Ihr Werk mit grossem Interesse. Nein, das klingt jetzt nicht gut, mit grossem Interesse kann man ja auch einen Autounfall oder die schlechte Wetterlage verfolgen… Sagen wir es anders: Seit Jahren lese ich mit Begeisterung Ihre Bücher. Sie können etwas, was nicht alle Autoren können, nämlich spannend erzählen, und wenn es dann auch noch wahre Geschichten sind, dann hat man noch einen riesigen Informationsschub. Ich frage mich die ganze Zeit, woher Sie eben diese nehmen, denn ein Buch wie zum Beispiel die Himmelsstürmer erfordert ja eine gigantische Recherche-Arbeit, also nur das Lesen, und dann muss man die Geschichten ja auch noch schreiben, und dann führen Sie auch noch eine Beiz und haben Familie, aber vielleicht schlafen Sie nicht, kann ja sein…

Ich bin ein Basler, der in Solothurn arbeitet, also eigentlich ein Wahl-Basler, ich habe einen deutschen Migrationshintergrund, was man meinem Namen nicht sofort anmerkt, Rolfs gibt es ja auch in der Schweiz, auch Herter ist in der Ostschweiz, vor allem im Thurgau, ein gebräuchlicher Name, aber Sie hätten – so nehme ich an – auch gegen einen Knut Feddersen, der ja seinen Migrationshintergrund nicht verleugnen kann, keine Vorbehalte. Nun, jedenfalls, ich arbeite in Solothurn in einem pädagogischen Institut, in dem übrigens auch Ihr Sohn (wenn meine Informationen stimmen) einmal gearbeitet hat. Auf dem Heimweg (der Hinweg geht über Moutier – solange der Weissensteintunnel noch offen ist) habe ich immer eine gewisse Wartezeit in Olten, da ich dort die S-Bahn nach Muttenz nehme, wo sich «mein» Schwimmbad befindet. Diese Wartezeit verbringe ich oft in der Bücherecke des Kiosk, und weil ich mich ja nicht immer nur aufwärmen kann, kaufe ich auch manchmal ein Buch – und werde meiner Stammbuchhandlung, dem Olymp&Hades, untreu. Bei einem dieser Wärme-Käufe fiel mir Ihr Buch über Olten in die Hände, das Sie mit Franz Hohler und Pedro Lenz zusammen gemacht haben.
Es ist grossartig! Ich durfte in den wunderbar erzählten Texten viel über Stadt und Geschichte lernen und auch die Fotos von André Albrecht sind exzellente Stimmungsbilder. Sehr geschmunzelt habe ich über Ihren Text, in dem Sie die Menschen charakterisieren, die am Bahnhof Olten auf den Perrons warten, wo die Züge nach Zürich, Bern, Basel oder Solothurn warten. Wenn ich auch den Hinweg über Olten machen würde, würde ich ja auf Gleis 8 warten, und das Folgende träfe – Ihrer Meinung nach – auf mich zu: Im sozialen oder pädagogischen Bereich arbeiten (stimmt), Frühstück dabei (hier stimmt nur der Kaffee in der Thermoskanne) und Sandalen und Freitag-Tasche (stimmt gar nicht!).

Was mich nun aber ein wenig erstaunt, mich ein wenig ärgerlich macht, mich ein bisschen erzürnt oder mich ein winziges My sauer macht, ist diese Passage

Fast alle Deutschschweizer Schriftsteller sind aus Olten. Ich vermute, die tun uns etwas ins Trinkwasser.

Das gefällt einem Basler, gut einem Wahl-Basler, einem Basler mit deutschem Migrationshintergrund nun gar nicht so. Was ist mit einem Urs Widmer? Was ist mit einem Claude Alain Sulzer? Wollen wir einen Dominik Bernet einfach unter den Tisch fallen lassen? Einen Lukas Holliger? Oder: Sie reden ja nur von der männlichen Form, aber wir haben in Basel auch Schriftstellerinnen, wollen wir wirklich Irina Brezná aussen vor lassen? Eine Zoe Jenny nicht erwähnen? Die Website des Buchhauses Bider&Tanner nennt fast 50 Basler Schriftstellerinnen und Schriftsteller, gut, da sind auch so Populärschreibfiguren wie Minu und Yvette Kolb dabei, aber ziehen wir die Obskuren ab, dann sind es sicher noch 30.
Nein. da hat Basel wohl doch auch etwas zu bieten. Genauso wie wahrscheinlich Bern oder Zürich.

Die beiden grössten Autoren hatten übrigens auch nichts mit Olten zu tun:
Der gute Friedrich kam zwar nicht so weit weg von Olten zur Welt, in Konolfingen, aber was ist in der Schweiz schon weit weg? Jedenfalls bewegte er sich dann eher von Olten weg, in die Romandie, ins Welschland, an den See nach Neuchâtel.
Und Max? Sicher ist der vielgereiste Weltbürger mal in Olten umgestiegen (wer ist das nicht?), aber zu seinen transatlantischen Abenteuern reiste er ja wohl eher über Kloten Airport. Und – mal ganz ehrlich – ob es an der Aare zu einem solch romantischen Abenteuer wie in Montauk gekommen wäre? Das ist doch zweifelhaft, da braucht es sicher doch den Atlantik.

Was mich aber interessieren würde, ist das mit dem Trinkwasser.
Bislang erstreckt sich mein literarisches Werk auf kürzere Texte. Was meinen Sie, lieber Alex Capus, wenn ich nach Olten zöge und das dortige Wasser tränke, würde ich dann grössere Dinge zustande bringen? Endlich den grossen Roman? Ein langes Theaterstück? Ein Epos? Oder wenigstens eine 200 Seiten lange Novelle? Was mich allerdings etwas abschreckt, ist der Nebel. Sie schreiben ja selbst, dass nur gebürtige oder in Olten aufgewachsene Menschen den Nebel vertragen. Wahl-Oltner hätten Mühe damit.

Lieber Alex Capus, vielleicht laden Sie mich mal in Ihre Beiz ein und wir können diese Dinge besprechen.
Auf jeden Fall: Schreiben Sie weiter, ich freue mich auf jedes neue Buch von Ihnen.



Dienstag, 8. Dezember 2020

Wir brauchen wieder Zivis

Als ich vor 36 Jahren (ja, liebe Leserin und lieber Leser, ich gebe hier einmal ganz frech mein Alter – zumindest ungefähr – preis…) meinen Zivildienst anfing, da galten wir Zivis noch als Drückeberger. Bekiffte, unmännliche, faule Unstaatsbürger, die sich ihrer Verpflichtung, das Heimatland zu beschützen und zu verteidigen, entziehen. Und man fand da natürlich immer ein Beispiel von jemand, der „bei der Stadtjugendhilfe einfach im Büro sitzt“. Dass es die gleichen Jobs auch beim Bund gab, wurde natürlich verschwiegen. Mein Freund Peter hat sich bei der Materialverwaltung in der Kaserne Stetten wahrlich auch kein Burnout geholt…

Ich bekam immerhin noch ein wenig Bewunderung, wenn ich erzählte, wo ich arbeitete, nämlich mit geistig behinderten Kindern in einem Heim in Schwäbisch Hall, wenn ich aber blöderweise dann auch noch erwähnte, dass ich a) ein Einzelzimmer hatte und es b) keinen Zapfenstreich, dann schmolz die Bewunderung dahin wie Schnee im April. Mein Luxusleben erklärte sich aber nicht aus dem Wunsch des Staates, allen Verweigerern ein Dolce Vita zu bieten, sondern aus den Arbeitsbedingungen. Wir Zivis hatten nämlich – im Gegensatz zu den Soldaten – keine gemeinsamen Arbeitszeiten. Der eine von acht Männern, der um 7.00 auf der Gruppe sein musste, hätte alle auf der Stube geweckt. Ja, und der Zapfenstreich? Den gab es – dem Gesetz nach. Aber die Leitung des Sonnenhofes Schwäbisch Hall e.V. hatte einfach keine Kapazitäten, um zu überprüfen, ob alle Zivis um 22.00 im Bett seien. Sie war glücklich, wenn alle KINDER gesund, trocken und glücklich in ihren Bettchen lagen…

Gut. Und dann kam die Idee auf, den Wehrdienst abzuschaffen. Und das Geschrei war gross. Nicht bei den Militärfanatikern. Nein. Bei den sozialen Einrichtungen. Denn man hatte sich inzwischen daran gewöhnt, einen Haufen motivierter Arbeitskräfte zu haben, die die Krankenhäuser, Altenheime und Behindertenwohngruppen schlicht und einfach nichts kosteten. Null. Nada. Essen und Schlafen und Sackgeld bezahlte der Bund. Und nun riefen die Krankenhäuser, Altenheime und Behindertenwohngruppen: «Wenn es keine Soldaten mehr gibt, wo kommen dann die Zivis her, die Zivis, die wir brauchen?» Aus den Drückebergern, bekifften, unmännlichen, faulen Unstaatsbürgern, die sich ihrer Verpflichtung, das Heimatland zu beschützen und zu verteidigen, entziehen, waren auf einmal staatswichtige Leute geworden. Wir waren – damals gab es das Wort noch nicht – systemrelevant.

Und dann kam man auf die Idee mit den Freiwilligen. Na ja. Das «Freiwillige Soziale Jahr» lässt halt die aus, die klare berufliche Ziele haben, früh Karriere machen wollen, die mit guten Noten und sicheren Ausbildungsplätzen. Und die ohne klare berufliche Ziele frühe Karriere, guten Noten und sicheren Ausbildungsplätzen, die machen dann Dienst in Krankenhäusern, Altenheimen und Behindertenwohngruppen; so nach dem Motto: Mein Studium der Vergleichenden Assyriologie mit Nebenfach Genderliteratur führt eh in die Arbeitslosigkeit, also zögere ich beides noch ein wenig hinaus, Hartz IV und die Vergleichende Assyriologie mit Nebenfach Genderliteratur.

Nein.
Man hätte es ganz anders machen müssen:
Alle jungen Männer machen ein Soziales Jahr. Und wer unbedingt zum Bund will, darf auch das. Allerdings muss er diesen Wunsch vor einer Kommission erläutern, eine umgekehrte Gewissenprüfung also, eine Gewissensprüfung vice versa, umgedreht und mit anderen Vorzeichen. Da wäre man dann solche Sachen gefragt worden:
«Stellen Sie sich vor, Sie stehen an der deutschen Grenze und bewachen diese mit gezücktem und entsichertem Gewehr und dann kommen vier verdurstende Flüchtlinge. Was machen Sie?»
Und wer jetzt sagt: Gewehr weglegen und denen Wasser geben, der kann es grad vergessen.

Wie sehr die Zivis fehlen, merkt man jetzt in Pandemie-Zeiten.
Es gibt ja Aufgaben in Krankenhäusern, für die man nicht unbedingt eine vierjährige Ausbildung braucht: Betten machen und Essen verteilen, Gesichter waschen und Leuten aufs WC helfen. ich weiss, dass die Pfleger auf ihre genormte, straffe und gefalzte Bettentechnik stolz sind, aber, ich bitte Sie: Das kann man lernen. Auch Essen verteilen, Gesichter waschen und Leuten aufs WC helfen kann man lernen. Und wenn Essen verteilen, Gesichter waschen, Betten machen und Leuten aufs WC helfen von «Ungelernten» übernommen würde, dann entsteht oder entstünde Luft. Immerhin werden in einem Spital mit 400 Betten täglich 400 Laken gewurschtelt und 1200 Tabletts mit Normal-, Spezial-, Diät- oder Schonkost verteilt.

All das weiss man und wusste man. Es gibt seit Jahren zu wenig Pflegepersonal und jede Viruswelle – ich sage ausdrücklich jede – bringt die Spitalleitungen ins Schwitzen.
Also:
Führt die Wehrpflicht wieder ein. Aber: Wer keinen Platz in der Kaserne findet, hat dann nicht einfach «keinen Dienst». Er geht in Krankenhäuser, Altenheime und Behindertenwohngruppen und wird dort Betten machen und Essen verteilen, Gesichter waschen und Leuten aufs WC helfen. Wobei in Altenheimen und Behindertenwohngruppen auch noch Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spielen und Mikado-Spielen dazukommt.
Aber auch hier:
Für Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spielen und Mikado-Spielen muss man keine Pflegefachkraft sein.

Freitag, 4. Dezember 2020

Das Ständemehr oder: Wir finden jede Regel gut, sofern sie nicht zur Anwedung kommt

Kennen Sie, liebe Leserin, lieber Leser den SSW? Nein, das ist weder ein Fussballclub noch eine Automarke, der SSW ist der Südschleswigsche Wählerverband, die Partei der dänischen Minderheit, die im Kieler Landtag von der 5%-Hürde befreit ist. Toll, nicht? Einfach so ins Parlament. Einfach in den Kieler Landtag, hereinspaziert, da hatte Vivi Bach schon recht:

Das Leben meint es gut mit Dänen
und mit denen,
denen
Dänen nahestehen.

Stimmt aber so nicht ganz. Erstens gilt diese Nicht-5%-Klausel für alle anerkannten Minderheitenparteien, und dann müssen sie mindestens so viele Stimmen erringen, wie für die Zuteilung des letzten regulären Mandates notwendig sind.
Der SSW sitzt seit 1947 im Landtag an der Förde, im Parlament am Nord-Ostsee-Kanal und niemand kümmerte sich gross drum, das waren halt die Dänen, oder natürlich Deutsche dänischer Abstammung, die 1-4 Sitze von 70 belegten, die waren so was die Pflanzen im Aquarium, die es halt auch braucht. Bis…
bis…
bis…
Bis sie 2012 eine Regierungskoalition mit SPD und Grünen eingingen und damit als Zünglein an der Waage eine CDU-Regierung verhinderten. Nun scholl es anders von der rechten Seite, Schlagzeilen nicht ganz so schlimm wie diese, aber fast:

SOLLEN AUSLÄNDER UNSERE PARLAMENTE DOMINIEREN?
NICHT GEWÄHLT, ABER REGIEREN?
KOMMEN BALD TÜRKEN UND JUGOS DURCH DIE HINTERTÜR IN DEN BUNDESTAG?

Man sieht: Es gibt Gesetze und Regelungen, Spielregeln und Abmachungen, die keinen stören, wenn sie nichts bewirken und nicht in Erscheinung treten.

So übernimmt der Kirchenchor Gümmigen (NW) bei Chorreisen, Essen und Ausflügen eigentlich die Kosten für seinen Leiter, das steht so im Arbeitsvertrag und auch in den Chorstatuten, aber als der neue Dirigent Tim im Restaurant nicht zahlen will, ist das Geschrei gross, seine Vorgänger hatten – trotz Anrecht – immer selber gezahlt, kein Wunder, sie waren Gymnasiallehrer und machten den Chor als Nebenamt, Tim lebt von 3 Chören und ein paar Klavierschülern.

So hat es beim Sportverein Hunzgen (AG) die komische Regelung, dass beide Pfarrer des Ortes im Vorstand Sitz ohne Stimme haben (warum auch immer); auch dies ein Gesetz und eine Regelung, eine Spielregel und Abmachung, die keinen stört, weil noch nie ein Pfarrer oder Priester davon Gebrauch machte. Nun aber – o weh – taucht der neue Reformierte auf, und er redet sogar mit! Eine Katastrophe.

Und da ist dann auch noch der Denkmalbeauftragte der Stadt Wolpersheim (Wolper), der bei allen Entscheiden des Gemeinderates ein seit 1970 verbrieftes Vetorecht hat. Auch dies nie ein Problem, nie eine Sorge, nie ein Streit, Wolpersheim dehnt sich nach allen Seiten aus – mit Neubauten natürlich, bis man…
Bis man an den Zuller-Hof kommt, ein Bauerngut aus dem Jahre 1456, das nun nicht einem Einkaufszentrum weichen darf – Veto des Denkmalschützers.

Und so grübeln der Kirchenchor Gümmigen, ob er den verdammten Arbeitsvertrag ändern muss, der Sportverein Hunzgen, wie er den verdammten Pfarrer ausschliessen kann, und Wolpersheim, wie man das verdammte Vetorecht cancelt.

Wir haben in der Schweiz nun die gleiche Situation: Bei Volksabstimmungen – die kleine Erklärung muss für die nichtschweizer Leserinnen und Leser sein – braucht es die Mehrheit der Stimmen (Volksmehr) und die Mehrheit der Kantone (Ständemehr). Eine alte, gute Regelung, die verhindert, dass die grossen Kantone die kleinen einfach über den Tisch ziehen. Eine alte, gute Regelung, die niemand in Zweifel zieht, denn meistens decken sich die Entscheidungen.

Nur neulich nicht. Da wäre die Konzernverantwortungs-Initiative mit 50,7% knapp durchgekommen, wenn nicht ein mounteveresthohes, ein dinosauriergrosses Ständemehr das verhindert hätte.
Und prompt…
Und prompt…
Und prompt wettern die Linken gegen den «Alten Zopf» des Ständemehrs.

Es gibt Gesetze und Regelungen, Spielregeln und Abmachungen, die keinen stören, wenn sie nichts bewirken und nicht in Erscheinung treten.

P.S. Das Bündnis SPD-Grüne-SSW ging unter den Namen Dänen-Ampel, Schleswig-Holstein-Ampel, rot-grün-blaue Koalition, Küstenkoalition und Gambia-Koalition in die Geschichte ein. Schon wegen dieser wunderbar blödsinnigen Namen lohnte sich doch der Ärger.

Dienstag, 1. Dezember 2020

Legasthenie die Dritte - noch einmal 4 schöne Verleser

Ach, warum verlese ich mich ständig? Sind es die Augen, brauche ich eine neue Brille? Ich glaube kaum, meine Augen sind noch gut, meine Dioptrien haben sich in den letzten Jahren nicht gross verändert, ich denke, es kann nicht an meinem Sehvermögen liegen. Warum verlese ich mich dann? Warum lese ich gewisse Buchstaben unkorrekt, warum drehe ich Wörter um, warum macht mein Hirn ständig andere Bedeutungen? Bin ich zu schusselig, zu tüddelig, zu unkonzentriert, bin ich mit meinen Gedanken immer im Wunderland, im Neverland, sind meine Neuronen mit Alice oder Peter Pan unterwegs und wenn ich dann einen Satz oder ein Wort lese, dann gibt es einen Un-Sinn? Ich weiss es nicht, aber es geschieht. Hat schon Catull gesagt: Nescio, sed fieri sentio et excrucior. Nun, gemartert werde ich dadurch nicht wirklich, aber manchmal nervt es ein wenig. Gut, aber dafür bieten meine Verleser immer wieder schöne Post-Vorlagen. Hier sind wieder einmal 4 ganz schöne:

DR NUMERO EIS CHLAUE
also «Die Nummer Eins klauen» lese ich im Kiosk. Es ist ein grosses Schild mit dem Bild des wohl beliebtesten Kaugummis in der Schweiz. Darunter sind mehrere Pappschalen mit einer Fülle dieser Kaugummis, in Mint, in Erdbeere, in Zimt, in Zitrone usw., usw. Ich stutze: Fordert man mich wirklich auf, Kaugummis zu stehlen? Ich habe noch nie etwas geklaut, keinen Kaugummi im Supermarkt und keine Unterhose im Kaufhaus, ich habe noch nie gestohlen, keinen Radiergummi in der Papeterie und keine Cola an der Tankstelle. Dies hat zwei Gründe: Meine Ehrlichkeit und meine Ungeschicklichkeit. Ich halte einerseits das Einhalten des Siebten Gebotes für eine gute Sache und andererseits weiss ich, dass ich erwischt, ertappt, geschnappt würde. Ich werde immer erwischt, ertappt, geschnappt, schon beim Lügen, man kommt mir auf die Schliche, also würde es beim Klauen sicher auch passieren. Ich weiss, dass man wegen des «Kicks» klaut, stiehlt, raubt, aber ich habe diesen «Kick» nie gebraucht. Aber wenn der Kiosk mich AUFFORDERT zu klauen, ist es dann überhaupt Diebstahl? Ist ein Diebstahl mit Erlaubnis nicht ein totaler Widerspruch? Eine Contradictio in Adiecto?
Aber natürlich steht da:
DR NUMERO EIS CHAUE («Die Nummer Eins kauen»)

FÜR GANZE KINDER ANHALTEN
lese ich auf einem Plakat am Bahnhof SBB. Für ganze Kinder? Was ist das? Und was sind dann «halbe Kinder»? Gut, man bezeichnet Kinder gerne etwas abwertend als «halbe Portionen», aber das wäre ja dann doppelt gemoppelt. Ich erkläre es mir eher so: Der Mensch, also auch das Kind, besteht ja aus Leib und Seele, Leib und Seele, die zusammengehalten werden müssen, zum Beispiel durch Brot und Wein, oder bei Kindern durch Pommes und Cola, denn man sagt ja «Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen». Ein ganzes Kind wäre dann ein Kind, bei dem die Seele noch im Körper steckt, ein halbes eines, das zum Teil nur noch Seele und zum anderen Teil nur noch Körper ist. Hiesse dann übersetzt: Wenn das Kind schon tot ist, brauchst du für den Körper nicht anhalten, und auch die Seele darfst du überfahren. Kann doch aber nicht sein? Niemand würde eine Kinderleiche überrollen und damit den gerade verstorbenen acht- oder neunjährigen Körper entstellen und schänden? Und bei der Seele? Kann man die überhaupt überfahren? Wahrscheinlich nicht. Nun lese ich noch einmal genau. Da steht nämlich:
FÜR KINDER GANZ ANHALTEN

ANCHORAGE – DRUCKGRAFIK UND ZEICHNUNG
lese ich auf einer Ankündigung der Galerie Trümpy-Holignano. Ich stutze und krame in meinem Hirn. Und werde fündig. Anchorage ist die grösste Stadt des US-Bundesstaats Alaska. Also Kunst aus dem ganz hohen Norden, aus dem Eis, aus der Kälte. Klingt spannend. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es im Nordstaat der USA eine rege Kunstszene gibt. Aber gut, scheint so zu sein. Was macht nun Alaska-Kunst aus? Ist sie eher weiss geprägt oder auch stark durch die indigenen Völker bestimmt? Ist Alaska-Kunst farbig, bunt und fröhlich, gerade als Ausgleich zu Schnee und Eis, oder nimmt sie eben Schnee und Eis in das Kunstwerk hinein, sodass es viel monochromes Weiss gibt, so wie bei Robert Ryman? Sicher ist, dass bei Minustemperaturen von 30 Grad Landschaftsfotografie und Landschaftsmalerei schwierig macht, wer guckt bei -50° gerne durch einen Sucher? Niemand, wahrscheinlich würde man sogar am Okular festfrieren. Wie kann ich mir nun Anchorage-Kunst vorstellen? Muss ich aber gar nicht, denn auf dem Zettel steht das Wort für eine Hängung, eine Ausstellung aus eigenen Beständen, die Galerie Trümpy-Holignano macht eine
ACCROCHAGE – DRUCK UND ZEICHNUNG

DEN EINKAUF HABEN WIR AUSSERBÖRSTLICH GETÄTIGT
schreibt mir meine Bank. Es schon verrückt, dass die mir bei jeder Aktie, die sie für meinen Altersfonds einkaufen, schreiben, aber man hat mir erklärt, dass sie das müssen. Zur Beruhigung für Sie, liebe Leserinnen und Leser: Ich habe einen Fonds gewählt, der sich auf KMU und Schweizer Unternehmen beschränkt, mein Geld steckt also nur indirekt in den grossen Schweinereien der Welt, nicht direkt in einem regenwaldvernichtenden US-Multi. Und Schwein bringt mich auf den Punkt: Meine Bank hat «ausserbörstlich» also «ausserhalb der Borsten» gekauft. Borsten. Schweine haben Borsten. Wenn nun die UBS hier ausserhalb ihrer Borsten agiert, dann heisst das dann doch ganz ehrlich: «Sonst sind wir Schweine. Sonst sind wir fiese und dreckige Schweine. Aber jetzt haben wir einmal einen anständigen Einkauf getätigt.» Aber würden sich Bänker selbst als Schweine bezeichnen? Nein. Denn da steht wirklich
DEN EINKAUF HABEN WIR AUSSERBÖRSLICH GETÄTIGT



 

 

Freitag, 27. November 2020

Die schrecklichen kleinen Entscheidungen

Mein Zug erreicht den Bahnhof Basel SBB. Ich klappe mein Buch zu, aber nicht ohne vorher das Leseband auf die aktuelle Seite zu legen, zusätzlich lege ich ein Buchzeichen hinein und klappe den Schutzumschlag um. Ich habe die Seite 54 von Himmel und Speck also dreifach markiert.
Der Mann, der mir gegenübersitzt, schaut mich mit grossen Augen an: «Also, einmal würde doch genügen.» Ich muss lachen: «Natürlich würde es das. Aber ich kann mich nicht entscheiden. Manchmal hat es gar nix, dann lege ich sogar irgendeinen Kassenzettel hinein, aber gebundene Diogenes-Bücher sind schrecklich, da hat es Leseband UND Umschlag UND sie legen immer noch ein Kärtchen mit einem Spruch darauf hinein, und weil ich mich partout nicht entscheiden kann, benutze ich halt Leseband UND Umschlag UND Kärtchen.»
«Hmmmm», macht der Mann nur. «Was meinen Sie», fahre ich fort, «warum ich beim Italiener stets Insalata mista und Lasagne, beim Asiaten stets Flühlingslollen und ein Hühnchencurry und beim Griechen stets Dolmades und Moussaka bestelle?» Der Mann grinst: «Wahrscheinlich, weil das Lesen einer Speisekarte mit mehr als fünf Gerichten Sie vollständig überfordert?» «Weil ich mich nicht entscheiden könnte, also ist die Entscheidung immer schon vorher gefallen.»
Der Mann lacht: «Wenn ich so recht nachdenke, dann habe ich schon ähnliche Situationen erlebt. Neulich konnte ich mich einfach nicht entscheiden, ob ich vom Centralbahnplatz mit der Linie 2 über Kirschgarten zum Bankverein oder mit der 8, 10 oder 11 über den Aeschenplatz fahren sollte, immer stellte ich mir vor, wo eventuell ein interessantes Schaufenster wäre, das ich dann verpassen würde, wenn ich die andere Route nähme – am Ende bin gelaufen, und zwar nicht irgendein Tramgleis entlang, sondern quer durch die Gassen.
Und kürzlich verpasste ich eine Vernissage, weil ich nicht entscheiden konnte, ob ich mein weisses Yomahoto-Hemd oder meinen grünen La Hostique-Pulli anziehen soll…» «Eben, und da wäre einfach meine Methode, IMMER mit dem 2er zum Bankverein zu fahren und zu Vernissagen IMMER das Yomahoto-Hemd anzulegen.»
Wir lachen beide.

Inzwischen sind wir natürlich auf der Rolltreppe, aber wir sind nicht nur in Basel, sondern auch bei Du angelangt – welch schönes Zeugma – der neue Bekannte hat sich als Luryn vorgestellt. Ich lade Luryn auf einen Kaffee ins Blue Train ein, die Entscheidung fällt auch nicht schwer, weil ich immer ins Blue Train gehe.
Bei zwei Espressi kommen wir wieder auf unser Thema zurück. «Wenn du jetzt meinst», sage ich zu Luryn, «dass ich in meinem Leben so überhaupt nichts gebacken kriege, dann liegst du falsch. Alle grossen Entscheidungen habe ich in nullkommanix getroffen. Als ich 2018 kurz vor einem Burnout stand, da brauchte ich einen Tag, um zu sagen: Ab 2019 nur noch 60% schaffen. Und als mein Partner anrief und sagte, die Wohnung unter ihm werde frei, da sagte ich sofort zu – und ich hatte die Wohnung noch nicht einmal gesehen – er kannte sie allerdings.» Luryn grinst: «Das ist aber normal, grosse Entscheidungen treffen sich immer leichter.»

Hat Luryn recht? Sind grosse Entscheidungen wirklich immer leichter?
Vielleicht.

Stellen Sie sich einmal vor, Murgistan und Forgistan streiten sich um das 40 Quadratkilometer grosse Gebiet des Surkutales, in dem die Dörfer Ghu, Ghast, Gholl und Gham liegen. Nun müsste und könnte und sollte man viele kleine Entscheidungen treffen: Wird Ghu murgisisch und Ghast forgisisch oder umgekehrt? Was passiert mit Gholl und Gham? Soll man eventuell Unter-Gham und Ober-Gham teilen, immerhin liegt der obere Teil 400 Meter höher? Was geschieht mit dem Sirk-Wald und mit der Tigu-Heide? Und weil eben kleine Entscheidungen so schwierig sind, wird beschlossen, das Surkutal komplett einem der beiden Länder zuzuschlagen – dummerweise beschliessen das beide Staaten, Murgistan findet, es gehört ganz ihnen und Forgistan findet das auch. Ein langer und zäher Krieg beginnt, bei dem die marginale Bedeutung der Zone, die Dörflein Ghu, Ghast, Gholl und Gham haben alle weniger als 300 Einwohner und im Boden hat es zwar Nährstoffe für Mais und Saubohnen, aber keine Erze. Ja, und der letzte Tourist war vor 10 Jahren an der Surku.

Stellen Sie sich vor, da muss die Stadt Wirklingen sich um ihr vergammeltes Rathaus kümmern. Auch hier kippt eine ganze Wagenladung an Entscheidungen auf die Räte: Sind die Wasserleitungen noch zu retten? Was ist mit der Elektrizität? Soll die Wandmalerei des ortansässigen Künstlers Dolf Duder erhalten werden? Braucht es einen Ausbau des Ratsaales? Braucht es mehr Büros? Oder weniger?
Auch hier hat man keine Lust auf kleine Entscheidungen und trifft eine grosse: Kompletter Abriss und Neubau.

Und ein wenig ist es auch so bei Corona: Jedes Schutzkonzept ist eine Summe aus diversen Entscheidungen, jede Bestimmung sagt zu einer Sache ja und zu einer anderen Sache nein. Da könnte man sogar bei jedem Museum eine Extra-Entscheidung treffen. Da kann man dem Heimatmuseum, das zwar oft nicht gut besucht ist, in das sich aber einmal in der Woche eine Horde Rentner-Ausflügler ergiesst, eben diese Rentner verbieten, da kann man der Kunsthalle ihre Sammlung offen lassen, den nächsten Blockbuster (Pollock komplett – erwartete Besucher 20000) natürlich untersagen. Aber auch hier: Grosse Entscheidung. Alles dicht.

Luryn hat recht. Er ist ein kluger Mensch. Übrigens auch ein netter. Wir haben Telefonnummern ausgetauscht und werden uns bald einmal treffen.
Die Frage ist nur wo.
Schon wieder so eine Entscheidung.


Dienstag, 24. November 2020

6 Methoden, um Trump aus dem Weissen Haus zu kriegen

Wie bringt man Trump aus dem Weissen Haus? Das wird im Januar die schwierige Frage. Donny macht ja keine Anstalten aus seiner Residenz auszuziehen. Aber Joe Biden sollte irgendwie Präsident werden können. Wie geht man vor? Hier eine kleine Auswahl aus verschiedenen Vorgehensweisen, wobei jeweils Vor- und Nachteile diskutiert werden.

Die FBI-Methode

Die Methode ähnelt dem Vorgehen bei Einsätzen gegen Schwerverbrecher. Das Weisse Haus wird umstellt, aus dem Megafon erklingt: "Mr. President, das Haus ist umstellt. Bitte legen Sie die Waffe weg kommen Sie mit erhobenen Händen heraus. Anderenfalls müssen wir das Haus stürmen."
Vorteil: Klare Verhältnisse. Das FBI hat eingegriffen, man kann Trump dann auch sofort verhaften und vor Gericht stellen. Es gibt keine Diskussion und keine Verzögerung.
Nachteil: Es könnte, wenn Trump (und seine Getreuen?) zurückschiessen zu Toten und Verletzten kommen. Eine Amtseinführung von Biden auf blutbeschmierter Tribüne und vor einem White House mit Einschusslöchern wäre irgendwie unschön.

Die Victoria`s Angel-Methode

Man lässt zwölf Models in Unterwäsche vor dem Weissen Haus herumtanzen, solange, bis Donny sie sieht und natürlich – er steht ja auf weibliche Körper und ist auf der reinen Männerschiene durchaus ansprechbar – ins Freie kommt. Dann laufen sie neckend und lachend davon und der geile Alberich oder Falstaff hinterher. Irgendwann merkt er, dass dies eine Falle war, aber da ist Joe längst drin.
Vorteil: Es kommt zu keiner Gewalt und keinen Toten, es ist einfach ein Trick, um ihn aus dem Haus zu locken.
Nachteil: Die Methode ist ein wenig frauenfeindlich und man müsste absolut sicherstellen, dass der Expräsident die Models nicht erwischt.

Die Feuer-Methode

geht wie eine Kombi der beiden oberen: Man legt Feuer im Weissen Haus. Donny ist nun alles, aber kein Märtyrer. Er wird, wenn Rauch und Schwaden und Flamme und Feuer um ihn zingeln, sicher nicht im Hause bleiben und sich verbrennen lassen. Spätestens, wenn seine Haare angesengt werden, dann wird er rauskommen. Immerhin gibt er angeblich pro Jahr 70 000.—für seine Frisur aus.
Vorteil: Trump wird unverletzt das Weisse Haus verlassen, aber ein wenig Strafe ist es eben doch: Kleine Rauchvergiftung, Todesangst, Herzrasen…
Nachteil: Das White House wird nun wirklich beschädigt, und die schwarze Ruine bietet nun wirklich keine schöne Kulisse für den zukünftigen Präsidenten.

Die Blue House-Methode

Der Präsident MUSS nicht im Weissen Haus sein. Er MUSS auch nicht in Washington wohnen. Der Papst war ja auch nicht immer in Rom, sondern eine Weile in Avignon. Die Methode geht nun so, dass man in Philadelphia ein blaues Präsidentenhaus baut und den Trumpie einfach in Washington lässt.
Vorteil: Unblutig, ohne Schwierigkeiten und Ärger
Nachteil: Man müsste einige Gesetze und Regeln ändern, wenn das Staatsoberhaupt nicht mehr in der Hauptstadt wohnt – oder würde Philadelphia dann gar Hauptstadt?

Die «Wir sind die Neuen»-Methode

Durch eine Kellertür werden Joe Biden und seine Frau ins Weisse Haus geschleust, und nun bewohnen sie eine Weile mit den Trumps zusammen das Weisse Haus. Wenn die Trumps frühstücken, sitzen die Bidens frech mit am Tisch, ebenso beim Mittagessen und beim Dinner. Wenn Trump an seinem Tisch im Oval Office sitzt, sitzt Joe natürlich auch mit dabei. Irgendwann wird Trump so genervt sein, dass er geht.
Vorteil: Sehr trickreich und sehr witzig, Trump kann nichts machen, er kann nicht die Polizei holen, da ER ja unrechtmässig im White House hockt.
Nachteil: Sehr nervenaufreibend für Biden, der eben seine Nerven ja für andere Sachen brauchen würde.

Die Hunde-Methode

Im Weissen Haus waren immer Hunde. Nur unter Trump nicht, er scheint keine zu mögen. Die Hunde-Methode geht nun wie die obige, nur dass man zunächst die beiden zukünftigen "First Dogs" Major und Champ ins Haus lässt. Sie werden Donny schon vertreiben.
Vorteil: Ebenfalls trickreich und witzig.
Nachteil: Aus Tierschutzgründen abzulehnen, die Tiere halten Trump sicher nicht aus.

Egal, welche Methode man anwendet: Gehen muss Trump auf jeden Fall.





Freitag, 20. November 2020

Die Corona-Pfeile oder Tesa steckt hinter Corona

Neulich musste ich in Muttenz eine halbe Stunde totschlagen.
Eigentlich ein komischer Ausdruck, „die Zeit totschlagen“, was soll das eigentlich heissen, wie kann man Zeit, die ja gar nicht existiert, totmachen, ermorden, meucheln, und was geschieht dann mit der toten Zeit, aber nun gut, lassen wir das mal so stehen, man sagt einfach so, es ist eine der ganz komischen Redewendungen, wir fangen noch einmal so an:
Neulich musste ich in Muttenz eine halbe Stunde totschlagen. Und das kam so: Ich kam von Solothurn kommend via Olten zum Bahnhof Muttenz, dort wäre um 14.20 ein Bus zum Hallenbad gefahren, das ich dann um 14.30 erreicht hätte, aber bis 15.00 ist Altersschwimmen und da lässt man mich – trotzt meiner grauen Haare und meiner Lebensweisheit – nicht hinein. Ich hatte also drei Möglichkeiten:
1. Am Bahnhof Muttenz eine halbe Stunde dumm herumstehen und Maulaffen feilhalten (wieder so ein schrecklich blöder Ausdruck, eine dumme Phrase, eine seltsame Redensart…)
2. Im Schwimmbad-Café einen doppelten Espresso trinken und durch die Scheibe, die zum Sprungbecken geht, knackigen jungen Kerlen beim Jumpen zugucken.
3. Den Bus nehmen, Muttenz Dorf aussteigen und dort zwei Erledigungen machen (der Basler nennt so ganz reizend «Kommissionen»)
Ich entschied mich für das Dritte, denn es war kalt am Bahnhof und ich hatte gar keine Maulaffen dabei, und im Schwimmbad-Café hätte es wohl einen Espresso, aber im Sprungbecken keine knackigen Kerle gegeben, denn es war ja – Sie erinnern sich – Seniorenschwimmen.

In Muttenz Dorf waren nun zwei Dinge zu tun: Auf der Bank Überweisungen machen und Geld abheben und beim DENNER ein paar Tuben Hautcreme kaufen, denn ich hatte beim Packen meines Schwimmbeutels gemerkt, dass mein Hautcremevorrat zur Neige ging. Auf der UBS ging alles gut, der Multimat-Scanner akzeptierte meine Überweisungsvordrucke und der Geldautomat spuckte, wie gewünscht, neun 20 Franken-Scheine aus, das Problem kam dann erst beim DENNER. Auch da ging zuerst eigentlich alles super, ich fand drei Tuben Bodylotion, ich ging zur Kasse und zahlte, ich wollte hinausgehen und:
Da!
Auf dem Boden war ein aufgeklebter Pfeil!
Und er zeigte nach rechts! Also wieder hinein!
Als coronamassnahmentreubefolgender Mensch kam für mich natürlich nicht in Frage, den Pfeil einfach zu ignorieren und in die Gegenrichtung hinauslaufen, nein als coronamassnahmentreubefolgender Mann folgte ich coronamassnahmentreubefolgend dem Pfeil und ging wieder in den Laden, in der Hoffnung, nach einem weiteren Einkauf wäre der Pfeil einfach nicht mehr da.
Was natürlich nicht so war. Nachdem ich nun ein paar Schokokekse gekauft hatte, bezahlt hatte, stand ich wieder an der Stelle und wieder zeigte der Pfeil in den Shop hinein. Wieder kam für einen coronamassnahmentreubefolgenden Bürger ignorieren nicht in Frage. Ich überlegte kurz, es wie Mephisto zu machen: Leute zunebeln, Ratten rufen und die Biester das Bodensymbol wegnagen lassen. Kam aber nicht in Frage, denn ich wusste schlicht und einfach nicht wie. Ich kannte die Zaubersprüche für Traumnebel und Rattenruf nicht, und bin auch gar nicht der Teufel…

Also wieder hinein in den Laden. Beim dritten Bezahlen, ich kaufte einfach noch ein Päckchen Zigaretten, sprach mich die Kassiererin an. Was denn mit mir los sei, ob ich vergesslich sei, oder ob ich ein anderes Problem habe… ich klagte ihr mein Leid, wenn es so weiterginge würde ich bis zum Jüngsten Tage, bis in alle Ewigkeit, bis Armageddon im DENNER herumlaufen. «Ach, der Pfeil», sprach sie, «den dürfen sie einfach ignorieren.» Dies hielt ich nun für eine Falle. Nachher stünde am Ausgang so ein Security-Mensch und würde mich als coronamassnahmennichtbefolgenden Kerl einfach verhaften. Ich liess mir das schriftlich geben und mit einem Zettel

Dieser Mann erhält von der Firma DENNER das Recht, den Pfeil am Ausgang zu ignorieren und den Laden in entgegengesetzter Richtung zu verlassen.

konnte ich endlich wieder auf die Strasse.

Und auf der Strasse kam mir die Erleuchtung: Tesa! Tesa, damit die Beiersdorf AG stecken hinter dem Hochspielen der Corona-Pandemie! Nicht Bill Gates, nicht die Finanzwelt, nicht die Pharmahalunken, nein: Tesa!
Die müssen doch Millionen, nein Milliarden verdienen, wenn überall geklebt wird, Trennlinien, Wartelinien, Pfeile, in Rot, in Gelb, in Blau, breit, schmal, Trennlinien, Wartelinien, Abstandslinien, Pfeile, es ist, glaube ich, noch nie so viel geklebt worden.
Und jetzt kommt es: Trotz mehrfacher Nachfragen in Norderstedt (Tesa-Zentrale) hat die Firma nicht geantwortet! Auf keinen Anruf, keinen Brief und keine Mail. Das zeigt doch ganz klar, dass die etwas zu verbergen haben…

Durch diese Erkenntnis, diese neue Theorie (Verschwörungs-Theorie?) in Höchststimmung gebracht, erreichte ich das Hallenbad. Dort stellte ich fest, dass coronabedingt zurzeit gar kein Seniorenschwimmen stattfindet.



Dienstag, 17. November 2020

Liebes booking.com die Zweite

 Liebes booking.com

Ich habe dir schon einmal geschrieben. Damals ging es darum, dass ich dir klarzumachen versuchte, dass ich nicht die Zeit und das Geld habe, ständig zu verreisen und auch weder Knete noch genug Ferien, jede Reise beliebig zu verlängern. Es ging auch darum, dass ich bestimmte Städte von einem Stützpunkt aus mache und nicht Hotels in Mainz, Frankfurt und Wiesbaden brauche.

Nun muss ich mich wieder einmal bei dir melden. Seit Tagen schickst du mir Angebote, ich nehme an, einfach um bei mir im Gedächtnis zu bleiben. Nun bist du nicht so zynisch, mir Offerten für meine meistgewählten Ziele zu senden, weil du weisst, dass ich da Corona-Probleme bekomme: Du schreibst nichts von Frankfurt, Berlin, Stuttgart oder Den Haag, nein du willst mich – mit 25% Ermässigung und immer KOSTENLOSER STORNIERUNG – nach Bern oder Luzern befördern.

Bern oder Luzern.
Liebes booking.com, du weisst, wo ich wohne. Für einen Trip mit jeweils einstündiger Fahrt brauche ich kein Hotel. Ich habe ein Generalabonnement, das weisst du vielleicht nicht, aber selbst ohne jegliche Ermässigung kämen die Transportkosten auf 82.-, und das wäre immer noch günstiger als jegliches Hotel – ausser dem Schuppen für 35.--, bei dem wahrscheinlich die Kakerlaken in der Dusche tanzen, der Putz von den Wänden rieselt und man als Aussicht das rot blinkende Schild des Stripschuppens gegenüber hat.

Abgesehen davon:
Was sollte ich in der Bundesstadt? Ins Museum gehen? Darf ich kichern? Zum Glück habe ich die aktuellen Präsentationen im Kunstmuseum und im Zentrum Paul Klee schon gesehen, im Moment sind beide Gebäude geschlossen. Soll ich ins Theater, ins Konzert oder in die Oper? Keine Chance – alles dicht. Gut, in Luzern könnte ich ins Museum, aber das liegt genau beim Bahnhof und da kann ich gemütlich hin, 3 Stunden zu den Bildern, noch einen Apéro und dann gemütlich wieder heim.

Was sagst du? Ich soll mir die Städte einfach einmal…ANSCHAUEN? Jetzt nochmals deutlich gesagt: Luzern und Bern liegen gaaaaaaaaaaaaaaaanz nah, kapiert? Ich kenne diese Städte, war in beiden schon ca. 30x und werde mir da kein Zimmer nehmen.
Ach so.
Du meinst, ich soll einfach mal so überhaupt irgendwo hin. So nach dem Motto: Entspannen, entschleunigen, Tapetenwechsel, Burnout-Prophylaxe?
Klartext:
Ich bin entspannt. Ich bin entschleunigt. Ich bin von einem Burnout so weit entfernt wie die Erde vom Sirius. Im Gegenteil: Ich würde gerne arbeiten. Ich hätte gerne meine Jungs bei Mahler III betreut, ich würde gerne für das Adventskonzert üben und ich würde gerne das Geübte präsentieren, ich würde gerne dirigieren, korrepetieren usw. ich habe nicht zu viel Stress, ich habe zu wenig.
Und zum Thema Tapetenwechsel:
Alle Tapeten auf den Fotos der Hotelzimmer gefallen mir nicht. Am schlimmsten ist diese Seventies-Revival-Tapete in orange und braun. O meine Güte! So eine hatte ich in meinem Jugendzimmer. Ich glaube, wenn ich in so einer Umgebung aufwache, dann bekomme ich wieder Pubertätsakne und fange an, Bee Gees zu singen: NIGHT FEVER, NIGHT FEVÄÄÄR: Nein, da bleibe ich doch bei meiner weissen Raufaser. Wenn ich einen Wechsel brauche, dann hänge ich zwei Bilder um.

Wenn ich aber ehrlich bin, dann bringst du mir doch noch weitere Sachen: Wellness im Engadin zum Beispiel. Hier ergibt sich aber ein Problem anderer Art: Ich kann mir die 579.—für eine Nacht/2 Personen im Hotel Gold in Sils nicht leisten, nein, das ist jetzt nicht ganz korrekt, ich WILL mir das nicht leisten.
Liebesbooking.com, Wellness hat doch was mit Wohlbefinden, Wohlfühlen, hat was mit Rundumseligkeit, mit Entspannung, Wellness hat was mit Fallenlassen, Sorgenabgeben, hat was mit Lächeln und Duft und Klang und Zärtlichkeit zu tun. Und das leiste ich mir wieder, wenn Corona vorbei ist.
Wenn ich mir vorstelle, dass der Masseur mich nicht anlächelt, wenn er mich begrüsst (natürlich lächelt er, aber unter der der Maske sieht man das ja nicht) und ich auch nicht zurücklächeln kann (oder ich kann es, aber man sieht es nicht), wenn ich mir dann vorstelle, dass es im Raum nicht nach ätherischem Öl, sondern nach Desinfektionsmitteln riecht, und wenn ich mir dann noch vorstelle, dass der Masseur, nicht Duftöl, sondern Desinfektionsöl auf meinen Rücken reibt, und natürlich behalten wir beide die Maske an, dann kommt mir das kalte Grausen…
Nein, die 579,-- geben wir aus, wenn es keine Corona-Wellness mehr ist.

Liebes booking.com
Maile mir nicht mehr.
Ich weiss, du tust das, weil du dich in Erinnerung rufen willst. Das ist nicht nötig. ich bin nicht dement und habe keinen Alzheimer, ich habe auch keine Amnesie, wenn ich wieder einmal ein Hotel brauche, werde ich nicht 10 Stunden lang überlegen: «Wie hiess noch einmal die Plattform, auf der ich immer Zimmer gebucht habe?» Und wenn, dann würde ich in meinen Mails ja eine Bestätigung von dir und damit deinen Namen finden.
Maile mir nicht mehr.
Von Bern, Zürich und Luzern fahre ich abends (KOSTENLOS!) heim.
Und Wellnessen macht zurzeit einfach keinen Spass.

Freitag, 13. November 2020

Die total überfüllten Museen wären Corona-Hotspots



Ich bin – das habe ich vielleicht schon einmal geschrieben – ein grosser Listen-Fanatiker. Auf meinem Computer befindet sich eine To-Do-Liste, eine Geburtstagsliste, eine Monatsbilanz (Finanzen) und eine Kulturliste. In dieser Kulturliste stehen in der linken Spalte die Bücher, die ich lese, in der mittleren Ausstellungen und Museen, die ich besuche und in der rechten Konzerte, Theater und Film. Für dieses Jahr sieht die linke Spalte gut aus, 65 Bücher bis jetzt, darunter, das muss ich zugeben, auch ein paar sehr schmale, die rechte natürlich ist mager – was sollte man im April, Mai und Juni auch machen ausser ein paar schöne DVDs anschauen? Ordentlich ist die mittlere, die Museumsspalte, bis auf ein grosses Loch im Frühjahr. Im Oktober stehen da folgende Einträge:

Museum für Gegenwart: Isa Genzken / Continuously Contemporary (Neukäufe Sammlung) /
Beuys-Raum
Tinguely-Museum: Taro Izumi
Forum Würth: Dieter Roth / A bis Z (Künstlerbücher)
Historisches Museum: Zeitsprünge / Grenzfälle
Kunstmuseum Bern: El Anatsui / Sammlung

Diese Häufung hatte den Grund, dass wir nicht nach Berlin gefahren sind, wir hatten Angst, nach der Rückkehr in Quarantäne zu müssen. Inzwischen – Ironie des Schicksals – müssten wir schon an der Spree in die Abschirmung. Aber die wunderbaren Schweizer Museen haben uns vollumfänglich entschädigt.

Blöd waren nur die Wartezeiten: Vor dem Gegenwartsmuseum standen 500 Leute und wir warteten 3 Stunden, vor dem Tinguely waren es 600 und wir harrten 4 ½ Stunden aus, bis wir hineindurften. Vor dem Forum Würth bescherten uns 300 Leute 120 Minuten und vor dem Historischen Museum 200 (nur) 90. Rekord war Bern mit 1000 Wartenden und 5 stehend verbrachten Stunden.

Glauben Sie nicht?
Ok – ok – ok – ok
Es ist auch gelogen. Also, bis und mit dem dritten Absatz stimmt alles, exakt und genau. Das mit dem Warten ist Quatsch. Einzig vor dem Tinguely war eine Schlange von 20 Menschen, es war eigentlich meist gähnend leer, ausser in der platzmängelnd aufgebauten (aber sauguten) Grenzfälle-Ausstellung über die Schweiz 1933-1945, im Forum Würth waren wir dafür allein.

Insofern ist es der letzte Schwachsinn, eine himmelschreiende Absurdität, in Deutschland die Museen zu schliessen. Glaubt wirklich irgendein Virologe, man könne sich in den Pinakotheken, dem Sprengel-Museum, man könne sich in der Schirn oder dem Städel, glaubt wirklich jemand, man könne sich in der Staatsgalerie Stuttgart oder dem Gropiusbau ANSTECKEN? Kaum ein Ort ist virologisch so unbedenklich wie ein Museum. Das gilt natürlich nicht für die Hammerausstellungen, die von den Kuratoren lächelnd als «Blockbuster» bezeichnet werden, Ausstellungen wie
Rembrandt – seine letzten 20 Jahre
Pollock – das komplette Werk
Monets Seerosen
Bei der Picasso-Ausstellung im Beyeler letztes Jahr brach z.B. das Garderobensystem zusammen und man liess die Leute mit Jacken und Taschen hinein. Aber deshalb wird ja meistens eine Online-Vorbuchung gemacht, eben um solchen Ansturm ein wenig zu bündeln.
Also:
Frau Merkel, öffnen Sie die Museen. Sofort.

Nun wird jemand einwenden, dass man ja erreichen will, dass die Leute zuhause bleiben und nicht geballt auf der Strasse herumrennen. Aber selbst wenn die 30 Menschen, die an einem Werktagvormittag die Kunsthalle Mannheim besuchen, alle gleichzeitig kommen, ist es immer noch keine grosse Traube.

Und kommen Sie mir bitte nicht mit den Online-Sammlungen. Die sind ein so toller Ersatz wie eine CD für einen Konzertbesuch oder wie Kartoffelbrei aus der Packung. Die sind ein solcher Ersatz, wie ein Zoom-Meeting einer für ein reales Treffen ist oder ein Wald-Video für einen Spaziergang. Abgesehen davon, dass es Bilder gibt, bei der eine Farbe in alle Richtungen changiert und die auf dem Foto einfach NUR schwarz oder NUR rot sind, ist die Gewaltigkeit eines Gemäldes durch nichts aufzuwiegen.
Ich kannte das berühmte Mädchen mit seinem berühmten Ohrring schon lange, aber als ich im Mauritshuis in Den Haag zum ersten Male (von vielen) vor ihm stand, da verschlug es mir den Atem: DIESES Bild hatte ich noch nie gesehen.
Umgekehrt hatte ich auch den liegenden Goethe in der Campagna x-mal angeschaut, aber die Fehler, die Maler Tischbein gemacht hat, sah ich erst in live: Goethes Beine sind zu lang und zwei linke. (Ich habe übrigens im Sommer in Kassel ein Bild seines Onkels gesehen, das stimmte auch nicht, und auch das Charlotte von Kalb-Portrait seines Vetters hat Unregelmässigkeiten bei den Armen, ich glaube die hessische (weitverzweigte!) Malerfamilie konnte einfach keine Anatomie malen...)

Frau Merkel, öffnen Sie die Museen.
Und, liebe Frau Sommaruga und lieber Herr Berset, kommen Sie nicht auf die Idee, sie zu schliessen. Das wäre ein Totalschwachsinn. Ersten Ranges.



 

 

Dienstag, 10. November 2020

Das Trump-Syndrom: Es darf und kann nicht sein!

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.
C. Morgenstern

Holger trödelt wieder einmal herum. «Schatziputzi», nörgelt Marja, seine Angetraute, «beeile dich ein bisschen, wir kommen zu spät zum Bahnhof.» Holger wirft einen Blick auf die Uhr: Es ist 17.30, um 17.45 geht der Zug. «Die Uhr geht vor.» «Das ist eine nigelnagelneue Funkuhr, die geht nicht vor.» Als sie um 17.50 den Bahnhof erreichen, ist der Zug weg.

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.

Olga steigt von der Waage. 98 Kilogramm! Das wären 20 mehr als beim letzten Wiegen – und sie hat die letzten Monate fast nichts gegessen (meint sie). Olga dreht ein wenig an der Justierung herum, schüttelt die Waage ein wenig und steigt noch einmal drauf. 98 Kilo. Olga kontrolliert die Waage noch einmal, steigt noch einmal drauf, es bleiben achtundneunzig – sie wird eine neue Waage brauchen, denn das Ergebnis kann nicht stimmen…

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.

Marco hat sich nun schon das siebte Lineal gekauft. Im erigierten Zustand misst sein Schwanz (keine Entschuldigung für das Wort, er denkt genau das) nach diesen falschen Massgeräten 14 Zentimeter und das wäre ein Zentimeter weniger, wie Aaron behauptet zu haben. Und das kann nicht sein und darf nicht sein. Marco packt das neueste Lineal aus und macht sein bestes Stück steif. Dieses Metermass muss es nun bringen – oder Aaron lügt…

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.

«Die Einladung bitte.» «Die habe ich vergessen, aber ich stehe auf der Liste, Dr. Klöbner.» «Ein Doktor Klöbner steht nicht auf der Liste.» «Haben Sie genau geschaut?» «Ich habe genau geschaut.» «Schauen Sie noch einmal.» (langes Rascheln, Blättern, Suchen) «Sie stehen nicht drauf.» «Rufen Sie im Sekretariat an.»

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.

Wir leiden alle, aber auch wirklich alle unter dem Trump-Syndrom. Wenn wir Trödler sind, dann geht die Uhr vor, wenn wir zu fett sind, stimmt die Waage nicht, ist die Penislänge unkorrekt, liegt es am Lineal und stehen wir nicht auf der Einladungsliste, dann hat das Sekretariat einen Fehler gemacht.
Wir haben im Test nicht versagt, nein, der Lehrer hat falsch korrigiert. Der böseste und gemeinste Raser wird stets betonen, dass alle Radaranlagen der Polizei nicht richtig arbeiten.
Und der Fussball, ach, der Fussball!
«Wir haben 3:2 gewonnen, weil der Schiri uns einen Elfmeter gegeben hat, der uns nicht zustand, es war kein Foul.» Haben Sie diesen Satz schon einmal gehört? Sicher nicht. Ganz sicher nicht. Es ist doch so: Wenn wir gewinnen, war der Schiri professionell, fair und gerecht, wenn wir verlieren, war der Schiri unprofessionell, unfair und ungerecht, und wir haben allen Grund ihn zu beleidigen und ihm zu drohen: Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht…

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.

Und warum nenne ich das das Trump-Syndrom? Weil sich an Donnie das so glasklar zeigt, was bei uns allen der Fall ist: Schuld sind immer nur die anderen.
Es ist unmöglich, dass ich die Wahl verliere, also muss der Fehler im System liegen, die Briefwahlstimmen sind gefälscht, man hat mich um meinen Sieg gebracht. Nun ist es aber so:
So normal sein Verhalten auch ist, so wenig darf es ausleben, weil er in keiner normalen Situation ist. Es ist ein Unterschied, ob man schreit «Wahlbetrug» oder man es auf Twitter schreibt. Es ist ein Unterschied, ob John Mixter aus Alabama es seinen 50 Followern sagt oder der Präsident seinen Millionen. Und es ist ein Unterschied, ob die Follower einfach mitfluchen oder mit Gewehren bereit stehen.
So paradox es klingt: Wir alle dürfen unserem Trump-Syndrom frönen, nur der Namensgeber nicht.

Ich hoffe, viele Leute lesen diesen Post. Den letzten haben 8765 Leute gelesen. Natürlich gibt mir blogger.com eine viel, viel kleinere Zahl an, aber die zählen einfach falsch, die unterschlagen Klicks…

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.











Freitag, 6. November 2020

Eine Wahl ist kein Minigolf-Spiel

 

Hubsi und Pupsi haben Minigolf gespielt. Kennen Sie, oder? Dieses Spiel, bei dem man so kleine Bälle durch Torbögen, über Berge und Loopings in ein Loch am Ende der Bahn befördern muss. Gut, und am Ende sieht der Zettel, auf dem beide die benötigten Schläge eintragen, so aus:

 

Bahn

Hubsi

Pubsi

1

7

1

2

7

2

3

5

3

4

6

3

5

6

1

6

5

4

7

5

4

8

6

4

9

7

4

10

7

2

11

6

3

12

7

2

13

5

3

14

6

3

15

6

1

16

7

1

17

5

2

18

5

2

 Wer hat gewonnen? Natürlich Pubsi. Man muss gar nicht zählen, man sieht es auf den ersten Blick. Hubsi hat keine Zahl kleiner als 5, also mindestens 90, Pubsi hat keine Zahl grösser 4, also höchstens 72. Punkt und aus. Natürlich zählen beide vielleicht trotzdem, Pubsi, weil er mit seinem Ergebnis (45)
angeben will und Hubsi, weil er beim nächsten Mal sich über JEDES bessere Ergebnis als 108 freuen wird. Aber zählen muss man nicht.
Ich höre Herrn Trump frohlocken? Mr. President, a national election isn`t a Minigolf Game.

Nehmen wir doch lieber die Wahl des Präsidenten des Männerchores Latterbachen (SO). Obwohl der Amtsinhaber Hans-Ruedi Bürki extrem beliebt ist und sein Amt gut führt, wird eine korrekte Wahl durchgeführt – und nicht einfach nur geklatscht. Es wird ein Tagespräsident bestimmt, denn Bürki kann seine Wiederwahl ja nicht einfach selber leiten, es werden Stimmenzähler bestimmt und dann kommen die entscheidenden Fragen: „Wer ist für die Wiederwahl?“ 78 Stimmen. „Wer ist dagegen?“ 0 Stimmen. „Enthaltungen?“ Drei – Bürki selbst, sein Sohn und sein Bruder, man wollte keine familiäre Mauschelei. Wenn also in einem kleinen, unbedeutenden Verein in einer unbedeutenden Region eines unbedeutenden Kantons eines unbedeutenden Landes…

Nein.
Es ist für ein demokratisches Land eine so undenkbare, eine so absurde, es ist eine so widersinnige und verrückte Forderung, die Stimmauszählung zu stoppen, dass einem der Atem stehen bleibt. Natürlich scheint es merkwürdig, dass nun immer mehr Demokraten-Stimmen „auftauchen“, aber es gibt ja eine ganz eindeutige Erklärung: Die Briefwahl wurde vor allem von Biden-Wählern benutzt. Die Idee, dass man in den Raum mit den nicht ausgezählten Bögen einfach ein paar Tonnen dazu schiebt, entspringt einem 007-Denken, nicht der Realität.

Ja, natürlich gibt es da auch diese Diner-Kellnerin, die uns im Fernsehen ihre Wahl-App entgegenstreckt, auf der ihr gesagt wird, dass ihre Stimme nicht gezählt wurde. Aber sie hat die einfachste Möglichkeit ausser Acht gelassen: Sie hat nicht korrekt abgestimmt. Es ist für mich ein Rätsel, ein Mysterium, es ist eine Sache, die ich nicht verstehe und begreife, aber bei jeder Wahl gibt es ungültige Stimmen. Es kann doch nicht so schwer sein, einfach EIN Kreuzchen an einem bestimmten Ort zu machen, aber manche Leute schaffen das nicht. Und wer der Versuchung nicht widerstehen konnte, auf seinen Wahlzettel
 

MAKE AMERICA GREAT AGAIN

zu notieren, hat eben diesen Wahlzettel damit ungültig gemacht. Und um es klar zu sagen, Mr. President, das geht nicht gegen die Republikaner, auch ein

BLACK LIVES MATTER

macht die Stimme ungültig.

Dass Amerika überhaupt darüber diskutiert, ob man alle Stimmen auszählt, zeigt, dass Trump die USA in Richtung einer Diktatur geführt hat. Ich glaube, dass der gute Donnie eh mit Wehmut und Neid in Richtung seiner Freunde in Russland, Belarus, Nordkorea und China schaut. In Russland, Belarus, Nordkorea und China ist das so einfach, da ist schwupps ein gutes Ergebnis da und in Russland, Belarus, Nordkorea und China hätte man Biden einfach einen Tee angeboten. Wobei die Bilder aus Minsk zeigen, dass es so einfach dann auch nicht ist…

Jede Stimme muss gezählt werden.
Und allein die Diskussion darüber ist eine schlimme, schlimme, schlimme Sache.

Weil ich meinem Erzengel keine Steilvorlage bieten will, habe ich die Ergebnisse von Hubsi und Pubsi noch einmal nachgezählt. Sie stimmen. Das ist etwas, das beide Kandidaten verlangen können: Bei minimaler Differenz kann man noch einmal auszählen – Zählen stoppen geht nicht.