Montag, 31. August 2015

Ich will nicht geduzt werden - wir haben keine Schweine gehütet

Von einer unsäglichen Lust auf einen Kaffee übermannt, betrete ich einen Ami-Kaffeeladen in Oberhausen, nennen wir ihn mal zur Tarnung STURBACK®, und bestelle einen doppelten Espresso.
„Möchtest du schwache, mittlere oder starke Röstung?“
„Starke, und ich möchte gesiezt werden.“
Auf dem Gesicht der Barrista erscheint ein kleines Zucken, dann fährt sie aber unbehelligt fort:
„Möchtest du arabische oder afrikanische Bohnen?“
„Arabische, und bitte sagen Sie Sie zur mir.“
Wieder das Zucken, dann die Frage:
„Möchtest du den Espresso für hier oder to-go?“
„Ich möchte ihn für hier und ICH MÖCHTE GESIEZT WERDEN!“
Das Zucken im Barristagesicht verschwindet und macht einer ausgewachsenen Lähmung Platz:
„Das geht nicht, das ist gegen die STURBACK-Marketingstrategie.“
Ich frage süffisant, ob es nicht eine gute Marketingstrategie wäre, Kundenwünsche zu erfüllen? Das täten sie ja auch, entgegnet mir die Barrista, wenn ich zum Beispiel ins Internet wollte oder ein Glas Leitungswasser, wenn ich ein Spielzeug für mein Kind oder eine Tageszeitung wollte, all das sei kein Problem. Ich erwidere, dass ich keinen Bedarf nach Internet, Wasser, Spielzeug oder dem Tagblatt Rhein-Ruhr hätte und mein Wunsch eben sei, gesiezt zu werden.
„Nun, ALLE Wünsche erfüllen wir natürlich nicht.“
Die gute Frau sagt das in einem Ton, dass mir klar wird, mein Siezwunsch steht für sie auf einer Stufe mit irgendwelchen Obszönitäten. Als hätte ich sie gefragt, ob sie mit mir nackt duschen würde oder mich oral befriedigen. (Wobei das Siezen für mich ja schon eine mündliche Befriedigung darstellen würde.)
„Wissen Sie was, wir lassen das mit dem Kaffee. Es gibt in Oberhausen sicher noch einen zweiten Kaffeeladen.“

Wann hat diese hemmungslose Duzerei eigentlich angefangen?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich bin sehr für das Du bei Leuten, die ich kenne. Anderen, die einen früher einfach duzten, warf man entgegen, ob man eigentlich schon zusammen Schweine gehütet hätte? Und ich duze Menschen, mit denen ich schon Schweine hütete. Wobei „Schweine hüten“ hier für 1000000 Sachen stehen kann, angefangen von bescheuerten Matheklausuren über durchzechte Nächte bis zu Umzügen mit zu kleinen LKWs, von anstrengenden Proben über miserable Tourneequartiere bis zu nichtendenwollenden Sitzungen. Und mit den Barristas, mit den Kellnern, mit den Klamottenlädenleuten, mit den Jungspunds, die mir TRRÖLÖBÖ und BILBO und SITTOO und RAMSNU verkaufen (oder eher sagen, ob er oder sie in W13, F4 oder D11 liegt) habe ich eben nicht auf Mathe gelernt, keine Proben gemeistert und keine zu kleinen Umzugswagen beladen.

Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass ich Sie immer sieze?
Eben aus dem gleichen Grund: Wir haben noch keine Schweine zusammen gehütet. Einige von Ihnen kenne ich ja wirklich, und mit denen bin ich im Realleben auch per Du, eben weil wir schon Sachen erlebt haben, aber bei der schriftlichen Ansprache gilt für mich: Sie.

Warum meinen wir eigentlich, dass wahre Kooperation, wahre Zusammenarbeit, dass echte Zuneigung und echter Respekt nur mit dem Du funktionieren?
Die grosse Slawistin und Dostojewski-Übersetzerin Swetlana Geier empfing jede Woche einen Germanisten, mit dem sie ihr Wochenpensum durchging. Bei Tee und Gebäck diskutierten die zwei die jeweilige Sicht: Dies ist die beste Übertragung aus dem Russischen, aber geht das auch so im Deutschen? Was ist die dostojewkistisch beste Formulierung und was die deutschbeste Formulierung und bekommen wir das deckungsgleich? Die beiden älteren Herrschaften konnten dabei drei Stunden um einen Satz ringen.
Wenn das nicht Schweinehüten ist!
Aber die zwei blieben allezeit beim Sie – und sie waren ein unglaublich starkes Gespann.

Und mit den Barristas, Klamottisten und TRÖLÖBÖ-Verkäufern will ich ja auch gar kein Gespann sein, unsere Beziehung darf enden, bevor sie angefangen hat, mit dem Servieren des Latte Grande Lowfat, mit dem Bezahlen meines S-Smartshirts, mit dem Einladen von BILBO oder SITTOO. Wir hüten keine Schweine.

Gleich gegenüber von STURBACK® finde ich ein Oma-Café mit Teppichen und Ölbildern, eines mit Marmortischen und Flechtwerklehnen-Stühlen, eines, wo die Bedienungen (die sich nicht Barrista nennen) noch Häubchen tragen und man beim Kuchenbuffet noch einen Zettel bekommt. (Die über 50jährigen werden sich erinnern, es war so ein Doppel-Zettelblock, ein Zettel kam auf den Kuchenteller, einen nahm man mit und gab ihn der Bedienung.)
Dort trinke ich meinen doppelten Espresso und freue mich wie ein Schneekönig über das: „Hier, IHR Espresso bitte.“
 

Donnerstag, 27. August 2015

Die Schulreise ist gut gegangen

Gestern war die Schulreise der Klasse 3A, die ich organisiert hatte. Es war ein herrlicher Tag, und alles ist gut gegangen – zum Glück. Wenn ich mir im Nachhinein den Plan ansehe, wird mir immer noch ganz schwindlig: Was hätte da alles passieren können!

Hier meine Nach-Gedanken:

7.45                       Besammlung SBB Schalterhalle
Das war schon sehr heikel, die Schülerinnen und Schüler einfach an den Bahnhof zu bestellen, man weiss doch, wer sich an Bahnhöfen rumtreibt, Stricher und Dirnen und Zuhälter, Diebsgesindel und Drogensüchtige, von Dealern ganz zu schweigen. Besser hätte ich die 14jährigen einzeln zuhause abgeholt. Aber zum Glück ging alles gut, keine und keiner wurde zwangsprostituiert oder hing schon um 7.47 an der Nadel.

8.03                       Abfahrt Gleis 14
9.10                       Ankunft Biel
Hammer, wie kann man in diesen Tagen eigentlich noch Zugfahren? Nach den Dingen, die im THALYS passiert sind? Jede Minute in diesem verdammten ICN bangte ich, dass jetzt gleich ein schwarzvermummter Unhold auf uns zuspringt und das Feuer eröffnet und hielt meine beiden Berettas im Anschlag, ich brauchte sie allerdings nicht.

9.52                       Weiterfahrt Zug und Standseilbahn nach Prêles
Auch so eine Fahrlässigkeit, mit so einer Funiculaire den steilen Berg hinauf, ohne sich vorher die Kontrollberichte der Fahrzeugdienststelle 2005-2015 zeigen zu lassen. Was wäre gewesen, wenn das Seil das Schicksal des Nornenseils der Götterdämmerung erlitten hätte und gerissen wäre? Wir wären mit 500 km/h zur Hölle gefahren und unten in Ligerz im Gebäude der örtlichen Weingenossenschaft zerschellt. (Immerhin ein schöner Todesort)

9.10                       Ankunft Prêles
                               Wanderung nach LaNeuville
Jedes Jahr verunglücken in der Schweiz ca. 100 Wanderinnen und Wanderer tödlich. Weitere 200 werden durch die REGA, die Rettungsflugwacht, schwerverletzt geborgen. Gut, der Weg am Jura-Südfuss geht angenehm abfallend durch Weinberge und Wälder, er ist breit und gekiest, es gibt weder Steilflanken noch Schluchten, aber man weiss ja nie…

13.25                     Abfahrt Schiff nach Biel
Die ganze Zeit, wirklich die ganze Zeit, jede Minute auf diesem Kahn sah ich die Bilder der klassischen Schiffskatastrophen vor mir: Titanic und Estonia, näher mein Gott zu dir und das Wasser dringt in Luken und Bullaugen, und wenn auch Titanic und Estonia sich in anderen Gewässern bewegten, und wenn auch die Zahl der Schiffsunglücke auf Schweizer Seen gegen Null geht, und wenn, dann ohne Todesopfer, der Teufel ist, wie man weiss, ein Eichhörnchen.

 14.30                     Ankunft Biel Schiffanlegestelle
                                Fussmarsch zum Strandbad (ca. 10 Minuten)
                                Aufenthalt im Strandbad
Auch hier wieder eine total heikle Situation. Nun, alle können schwimmen und der See ist flach (nach 40 Metern kann man noch stehen) und es hat vier Bademeister, die Bieler Eltern schicken ihre Vierjährigen ins kühle Nass und meine waren 14. Aber was wäre gewesen, wenn eine oder eine beim Hineinlaufen so ungeschickt stürzt, dass er oder sie mit dem Kopf unter Wasser gerät und bewusstlos ist und keine Kollegin oder kein Kollege in Sicht? Mich schaudert…

17.20                     Abmarsch Strandbad
17.49                     AbfahrtBiel
18.53                     Ankunft Basel SBB
Hier machte ich nun wirklich drei Kreuze, als alle wieder gesund und munter in Basel waren.

Vielleicht grinsen Sie nun, aber als Lehrer steht man immer mit einem Fuss im Grab und mit einem Bein im Gefängnis. Da ist es total egal, ob gesunder Menschenverstand oder grotesker Leichtsinn gewaltet hat. – Auch das gibt es natürlich, und ich halte Freeclimbing an der Eiger-Nordwand mit Jugendlichen für nackten Wahnsinn, genauso wie 2km-Seedurchquerungen.

Aber es wird so kommen, dass eine Schulklasse das Klassenzimmer, das Schulgebäude nicht mehr verlässt. Obwohl: Die meisten Todesfälle gab es in den letzten Jahrzehnten IM Schulareal. Columbine und Winnenden lassen grüssen.

 

Vielleicht stellen wir ja bald auf Homeschooling mit Skype um.

Technisch kein Problem.

 

Dienstag, 25. August 2015

Zäune und Mauern (und Grenzwälle)



Jakob Sporr hat sich ein Haus gebaut. So ein richtig schönes, mit grünen Fensterläden und einem Walmdach, mit weisser Aussenfarbe und einem herrlichen Garten. In diesem Garten wächst nicht nur der perfekte Rasen und blühen Rosen und Tulpen, es hat auch Obstbäume und Weinranken, nebst ein paar Beeten mit Erdbeeren und Sellerie.  Insgesamt ein Schmuckstück also, sein Heim und weil es SEIN Heim ist und sein Heim sein Kastell, baut Jakob einen Zaun um das Ganze, der ungebetenen Besuch davon abhalten soll, sein Heim, sein Haus und seinen Garten zu betreten. Nun lassen sich Staubsaugervorführer, Weinhändler und Versicherungsvertreter, genausowenig wie Sektenleute davon abhalten, das Gartentor zu öffnen und hineinzugehen. Immer wieder ist Jakob Sporr also damit konfrontiert, dass ihm Staubsauger vorgeführt, Weine eingeschenkt und Policen angedreht werden sollen, dass ihm das Heil in Jehova, Mormon, in Krishna oder Allah präsentiert wird.

Jakob verändert nun die Gartentüre so, dass dort die Sprechanlage ist und Staubsaugervertreter, Versicherungsagenten, Weinhändler und Mormonen sich erst bei ihm melden müssen, wenn sie den Garten durchqueren wollen. Was die Sprechanlage nicht leistet: Sie verhindert nicht, dass Unverfrorene einfach über den Zaun steigen. Da sind Liebespaare, die Selfies vor seinen Rosenbüschen schiessen, schliesslich sind es die schönsten der Stadt, da sind Böse, die ihm eine Birne klauen, Jakob Sporr ist KEIN Ribbeckianer und verschenkt kein Obst, wo kämen wir da hin, und da sind die verfluchten Nachbarskinder, denen permanent der Ball, der Frisbee oder ein anderes Wurfgerät in seinen Garten fliegt.

Nun ist Jakob gezwungen, sich einen Hund anzuschaffen. Hasso, ein Deutscher Schäferhund, wird die Liebes- und Diebespaare, die Nachbars- und andere Kinder schon davon abhalten, in das geheiligte Reich einzudringen. An die Pforte kommt ein Schild VORSICHT BISSIGER SCHÄFERHUND und gut ist.
Denkt man. 
Aber als Jakob eines Abends heimkommt, liegen ein paar Tramper in seinem Garten und schlafen, neben sich Hasso, dieser einen grossen Haufen Knackwürste mampfend. Der Hund ist – ähnlich wie Politiker und FIFA-Präsidenten – bestechlich, korrupt bis zum Platzen. Jakob überlegt kurz, in die USA  auszuwandern, wo er sich einfach eine Waffe anschaffen könnte, die jeden tötet, der seinen Rosen und Birnbäumen, seinen Beeten und Ranken, der Haus und Garten nahe käme, aber er hat keine Greencard. Und so zieht er einfach eine 10 Meter hohe Mauer hoch und krönt sie oben mit einem weiteren Meter Stacheldraht.

Zäune.
Mauern.
Grenzwälle.

Die Menschen lieben Zäune und Mauern und Wälle und die ganze Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte von Schranken. Schon bei der Vertreibung aus dem Paradies wird eine Mauer um Eden gebaut. Und wie bei Jakob scheint die Mauer nicht auszureichen, denn es wird ja noch der Erzengel quasi als Wachhund vors Tor gestellt.
In der weiteren Historie finden sich Stadt- und Burgmauern, Zäune und Wälle, wir bekommen den römischen Limes, der die Germanen fernhalten sollte und wir bekommen die Grosse Mauer in China. Alle stets auch mit Wachtürmen für Soldaten versehen. Ach ja, und die Deutsch-Deutsche Mauer, die aber eine Ausnahme darstellt, sollte sie doch die Bürger IM Land einsperren und nicht Fremde von AUSSEN abschrecken.

Nun werden wieder Mauern und Zäune gebaut, dass die Asylanten und Flüchtlinge, alle die Neger und Araber, die schon im Nachbarland sitzen, nicht in unser Refugium einschwemmen. Aber wie das Jakob-Beispiel zeigt, wird das nicht genügen. Wer sein Leben in einem rostigen, überladenen und löchrigen Kahn aufs Spiel gesetzt hat, wer unter Hochgefahr das Mittelmeer passiert hat, wird der sich durch Zäune abhalten lassen? Müsste man nicht, wenn man schon Mauern baut, auch gleich Wachtürme setzen und notfalls schiessen? Oder wenigstens, wenigstens Pitbulls auf die Neger und Araber jagen?

Die gute, aber radikale Lösung wäre allerdings, gleich das ganze Mittelmeer zu umzäunen. Und zwar ringsum, von Gibraltar über Nizza und Rimini, über die Peloponnes und Tel Aviv bis nach Tunesien und Marokko. Dann käme man nämlich weder von Afrika raus noch in Italien oder Griechenland rein.
Der klitzkleine (sic) Nachteil wäre, dass man nicht mehr baden könnte, oder nur durch bestimmte Tore, die dann von Soldaten mit Gewehren und Hunden bewacht würden, aber das müsste man schon in Kauf nehmen, es gibt ja auch noch die Ost- und die Nordsee.

Auch Jakob hat sich einen kleinen Nachteil eingehandelt: Er hat weder in der Stube noch in seinem rosenbekränzten und weinumrankten Garten Licht.
Aber er fühlt sich so, wie er sich schon lange nicht gefühlt hat:

Sicher.

Freitag, 21. August 2015

Chemikaliengläubigkeit

OHNE ALUMINIUMSALZE lese ich auf der Werbetafel einer Waschlotion. OHNE ALUMINIUMSALZE also, die Waschlotion hat keine ALUMINIUMSALZE und da denke ich natürlich als erstes, wie gut, dass es endlich eine Seife OHNE ALUMINIUMSALZE gibt, denn sicher habe ich meiner Haut bislang durch diese schrecklichen Substanzen  fürchterliche Dinge zugefügt. Erst in einem zweiten Schritt wird mir klar, dass ich ja bisher gar keine Ahnung hatte, dass es ALUMINIUMSALZE gibt, geschweige denn, was sie bewirken oder verhindern. Allein die Tatsache, dass diese Waschlotion ausdrücklich daraufhin weist, OHNE ALUMINIUMSALZE zu sein, bringt mich gegen diese Salze auf, empört und verstört mich, ohne zu wissen, was diese Dinger eigentlich machen.

Ich bin – wie alle meine Mitbürgerinnen und Mitbürger – ein absolut chemiehöriger Mensch. Steht auf einer Tube OHNE …, dann gehe ich davon aus, dass hier giftige, gärende und gallige Sachen weggelassen wurden und bin dem Hersteller sehr dankbar dafür. Steht auf einer Packung MIT …, dann gehe ich davon aus, dass hier gesunde, gute, glatte und grossartige Dinge hineingetan wurden und bin dem Hersteller wiederum sehr verbunden.
Ahnung habe ich keine.
Es könnte ja sein, dass ALUMINIUMSALZE etwas ganz, ganz Notwendiges sind und der Waschlotionsproduzent sie einfach vergass und jetzt den Spiess hinterlistig umdreht, genauso, wie man bei der falschen Hinzufügung von etwas hinterher behaupten könnte, das gehört so. Abgesehen davon, dass gewisse Stoffe zuerst gepriesen, dann verteufelt wurden, so stand bis 1980 stolz MIT AMONIAK auf den Schrubbemitteleimern und dann auf einmal, die Stinkechemikalie war auf den Index gesetzt worden, OHNE AMONIAK.

Wie chemiehörig ist der Mensch?
Machen wir den Test.

Ich betrete das Vegan-Makrobiotische Restaurant MAISKORN in Freiburg-Wiehre. Ich bestelle einen Grüntee, etwas Rüben-Ingwer-Suppe und einen Tofu-Lauch-Erdbeer-Auflauf. Beiläufig frage ich den Kellner im sanskritbedruckten Batikshirt: „Ist da Natriumchlorid in dem Auflauf?“ „Wo denkst du hin?“ (im MAISKORN wird man geduzt, dazu zu einem späteren Zeitpunkt mehr) „natürlich nicht.“

Ich gehe später zu MUSTAFAS'S' DÖNER (man beachte die gekonnte Falschschreibung, die Mustafa allerdings von deutschen Kollegen abgeschaut hat), bestelle ein Dürüm mit allem und mit scharf und frage beiläufig, ob sich im Essen Wasserstoffoxid befinden könnte. „Niemals, da achten wir sehr genau darauf“, sagt Mustafa, „du kannst da ganz sicher sein.“

Mein dritter Besuch gilt einer USA-Fastfoodkette, wo die junge Dame im einheitlichen Schürzchen-Häubchen-Dress auf meine Frage, ob eventuell, möglicherweise oder vielleicht ins Essen Kohlenstoffverbindungen hineingeraten sein könnten, sofort kreischt: „Wir sind ein 1A-Restaurant und werden aus den USA 1A kontrolliert und unsere Speisen sind 1A und die Getränke auch 1A und natürlich ist da kein Kohlenstoff drin.“

Experiment geglückt. Denn, wenn die Serviceleute recht hätten, würde ja im Vegantempel nicht nur völlig salzlos gekocht, sondern auch allem Gemüse das eigene Restsalz entzogen, Natriumchlorid ist Kochsalz. Dann würde Mustafa sein Rindfleisch und sein Grillgemüse so dörrtrocknen, dass sich keinerlei Wasser in den Speisen befände, denn Wasser ist EINE Art des Wasserstoffoxids. Und bei USA-Fastfood hat man oft das Gefühl, dass es sich um Plastik handelt, aber eben nur das Gefühl. Ich glaube nicht, dass im Dresschen-Schürzchen-Häubchen-Etablissement nichts von Tier oder Pflanze kommt, überall da ist Carboneum drin.

Nein, alle die Leute sind hereingefallen. Wenn ich leicht pikiert frage, ob die oder eine andere Chemikalie im Essen ist, dann denkt man nicht mehr nach. Kann ja nur Bäh sein.
Umgekehrt fallen wir auf Dutzende von Mango-, Gurken-, Tomaten-, auf Senf- und Orangen-, auf Pflaumen- und Litschiextrakte herein, von denen wir glauben, sie würden etwas bewirken.

Ich gehe in den nächsten Supermarkt und kaufe mir, nein nicht die Lotion OHNE ALUMINIUMSALZE, die kaufe ich erst, wenn ich weiss, was ALUMINIUMSALZE überhaupt sind, ich kaufe mir eine Dose Ölsardinen.
Eine Dose Sardinen, auf deren Packung gross OHNE JEGLICHE KONSERVIERUNGSTOFFE steht.
Was nun auch wieder ein herrlicher Quatsch ist, denn das Öl um die Fische soll ja konservieren. 

Und Natriumchlorid wird wahrscheinlich auch drin sein.

Dienstag, 18. August 2015

Der Hilfsbereite Klugscheisser

Douglas Adams lässt im vierten Band seiner Anhalter-Trilogie (!!) Macht’s gut und Danke für den Fisch Wonko den Verständigen auftreten. Wonko hat ein sehr ungewöhnliches Haus, innen besteht es aus Gartenbeeten, Kies, Wasserspielen und Bänkchen, die Wände sind in rauem Aussenputz gehalten, aussen hängen Bilder und stehen Möbel und die Wände sind mit Tapeten beklebt. Wonko hat, wie er sagt, die Welt, die Menschheit, die Erde in eine Anstalt gesperrt und lebt nun selber AUSSERHALB DES IRRENHAUSES. Der Gedanke, dies zu tun, sich von der Blödheit der Menschheit auf immer zu trennen, kam ihm beim Lesen der Hinweise auf einer Packung Zahnstocher.  Dort wird genau erklärt, wie ein Benutzer oder eine Benutzerin die kleinen Holzstäbchen zu verwenden habe.

Etwas Vergleichbares habe ich jetzt in einem Reiseführer für die Stadt München gesehen. Dort wird dem Tourist und der Touristin die Handhabung eines Fahrkartenautomaten erklärt. Der – hier frei zitierte – Text, den man unter der Rubrik Transport und unter der Unterrubrik Öffentlicher Verkehr findet,  lautet folgendermassen:

Bitte wählen Sie ein Fahrtziel oder eine Tarifverbundszone. Im Sichtfenster auf Augenhöhe wird der zu zahlende Betrag angezeigt. Werfen Sie nun Münzen in den dafür vorgesehenen Schlitz. Der Betrag verringert sich, bis alles gezahlt ist und 0,00 im Sichtfenster erscheint. Dann wird der Fahrschein oder allenfalls das Restgeld im Ausgabefach ausgegeben.

Der Reiseführer scheint seine Leserinnen und Leser für ganz schön doof zu halten. Abgesehen davon, dass die unlösbare Aufgabe ja die Wahl des richtigen Fahrscheines ist (Zone 1 oder 2 oder 3 oder XXL oder doch GANZES TARIFGEBIET???), geht er wohl davon aus, dass noch niemand einen Automaten bedient hat. Die meisten haben aber ja schon irgendwann eine solche Kiste bedient, sei es einen Kaffee-, einen Park-, einen Schleckzeug- oder einen Gepäckaufbewahrungsautomaten. Natürlich, ganz gelegentlich verirren sich Aborigines in die Metropole, die dann ohne Hilfe hilflos wären, aber sind die nicht eh illiterat oder können zu mindestens kein Deutsch?

Wer glaubt wirklich, dass die im Fenster erscheinende Zahl eine Uhrzeit oder ein Datum ist? Wer versucht wirklich, in den Schlitz zusammengefaltete Scheine statt Münzen zu stopfen und wer kann, wenn beim Einwurf von 2 Euro die Schrift von 3,20 auf 1,20 sackt, die Korrelation nicht herstellen?
Wer ist wirklich so blöd?
Gehören die Leserinnen und Leser des München-Guides auch im Irrenhaus eingesperrt und müssten sie ihr Leben ausserhalb des Blickfeldes von Wonko fristen?

Darum geht es aber gar nicht.

Der Münchenführer möchte die Reisenden vor einer Spezies schützen, die ich als Hilfsbereite Klugscheisser bezeichne und mit HKS abkürze. Manchmal braucht man nämlich 1,2,3 oder 4 Sekunden um eine Sache anzusehen und eventuell auch das zu tun, was man als „try and error“ bezeichnet: Halt, so geht es nicht, aber so geht es. Hier kommt einem der HKS meistens zuvor. Bevor man begriffen hat, dass man Zone 2 benötigt, ist der HKS schon herbeigesprungen und hat die Taste gedrückt. Bevor man den Schlitz suchen konnte, hat der HKS einem die Münze aus der hand gewunden und eingeworfen. Bevor man den Aufreissfaden einer Packung orten konnte, hat einem der HKS das Plastik aus der Hand gerissen und geöffnet. Bevor man irgendetwas tun konnte, hat es der HKS erledigt. Er tut das IMMER mit dem Bewusstsein zu helfen, aber auch mit dem Bewusstsein der Klügere zu sein und IMMER, IMMER, IMMER mit einem hämischen Grinsen. Er oder sie reisst einem Flaschen, Dosen, Speisekarten, Wanderkarten, Handys und Tablets aus der Hand und macht es selber. Er oder sie entreisst Ihnen das Kochgerät und macht weiter, dabei ist es egal, dass sie die Speise schon 100mal gemacht haben und auch noch der Gastgeber sind. (So geschehen an meinem 50. Geburtstag)

Um es klar zu stellen: ich habe nix gegen Hilfsbereitschaft. Ich finde hilfsbereite Leute das Tollste von der Welt. Der HSK ist aber nun gerade nicht hilfsbereit im engeren Sinne. Vor schwerem Tragen, sperrigen Sachen, vor Schweiss, Blut, Tränen und Anstrengung hütet er sich wie der Teufel vor dem Weihwasser. Er wird gerade nicht die schwere Kommode beim Umzug tragen, er wird leichte Tüten nehmen, aber den Trägern nebenbei erklären, wie man es zu machen hat. Er wird der alten Frau nicht ihre Einkäufe nach Hause bringen, aber er wird erläutern, wie es ergonomisch am geschicktesten geht. Wenn es um Hilfe geht, die Mühe macht, ist der HKS weit, weit, weit weg.

So wie Wonko in seinem Haus und das Beruhigende ist: Auch die HKS sind INNERHALB DES IRRENHAUSES.

 

    

Freitag, 14. August 2015

Wir machen Kinderangebote, weil wir keine Kinder mögen!

Liebe Eltern,

ist es nicht toll, wie viele Angebote es für ihre Kleinen gibt? Da gibt es Kindertheater und Familienoper, da gibt es Theaterpädagogik, Kinderkonzerte, Stillkonzerte, Babykonzerte und Kuschelkonzerte. Es gibt Kindermuseen und Kinderausstellungen, es gibt Museumspädagogik und Babyführungen, Stillführungen und Kuschelführungen.
Da gibt es kinderfreundliche Hotels, babyfreundliche Schwimmbäder, da gibt es Familienferien, Familientouren, Familienausflüge, da gibt es Familienabteile in den Zügen und Babyzonen in den Kaufhäusern.

Ihre Kleinen dürfen also Mozart, Schubert und Brahms hören, während sie Da-da-da-da machen und ein wenig herumlaufen oder vielleicht auch einfach schlafen. Ihre Kleinen können in den 40.000-Kugeln-Pool springen, wenn sie keine Lust mehr haben, zwischen BOEGEBOEG (Schrank, braun,  3 Türen, 195.-) oder ROMSNUN (Schrank, schwarz, 4 Türen, 215.-) zu entscheiden. Ihre Kleinen bekommen einen Rothko oder Pollock nicht nur erklärt, sie dürfen ihn auch nachmalen und im Künstlerkittel schrecklich wild mit Farbe panschen und sich ganz wie Mark oder Jackson fühlen. (Allerdings ohne Alk und Joint). Und im Familienabteil darf Mäximiliän (der Vater anglisiert das gewöhnliche Maximilian) lange Diskussionen beginnen, ob er den ALNATURA-Dinkelbrei überhaupt will, ob er ihn jetzt will und ob es nicht Alternativen zu ALNATURA-Dinkelbrei gegeben hätte. Und er darf laut diskutieren und wild diskutieren und notfalls die Dinkelpampe ein wenig gegen die Wand werfen.

Liebe Eltern!
Verfallen Sie jetzt aber bitte, bitte nicht einem Denkfehler!
Der Denkfehler ist nämlich, dass Sie meinen könnten, wir alle seien so kinderlieb.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind nicht kinderlieb, wir mögen Ihre Kleinen nicht, wir finden sie weder putzig noch niedlich.
Wir haben alle die Familienkonzerte, Kinderopern, alle die Kuschelmuseen, alle die Babyzonen und Familienabteile erfunden, weil wir ihre Kleinen eben da und nicht woanders haben wollen!
Wenn Sie nun also überlegen: „Also das Schmusekonzert hat Schantall ja ganz gut gefallen, nehmen wir sie doch auch in Mahler VIII mit…“, dann ist das der blöde Denkfehler. Wenn Sie meinen, ihre herzigen Sprösslinge sind jetzt durch die Museumsaction richtig bilderbegeistert und stehen auch fünf Stunden Louvre durch, dann ist das auch der Denkfehler. Und wenn die Familie mit Mäximiliän (es gab sie wirklich, laut Bericht meines Erzengels) im Ruheabteil des ICE sitzt, weil ja die Bahn und alle Reisenden kinderlieb sind (das beweisen ja die Familienabteile) und alle, aber auch alle Reisende die Diskussion „Alnatura-Dinkelbrei: Ja oder Nein?“ live mitbekommen, dann ist das eine besonders fiese Form des Denkfehlers.

Wir machen so viel für die Kleinen, damit wir auch etwas für uns machen können.

Was nicht heissen soll, dass Kinder grundsätzlich von allem verbannt sind. Ich sass vor einigen Jahren hinter einer Fünfjährigen in Tristan und Isolde, was nun auch für gestandene Ohren happige Kost ist, und ich fragte mich, ob das wohl gut gehen würde. Es ging gut: Das Mädchen lauschte drei Akte lang völlig gebannt den Liebesschwüren, Liebestränken, Liebesduetten und Liebestoden.
Ich selbst war mit 4 zum ersten Male in den Staatsgalerie Stuttgart und lernte als erste, allererste Sache: Bilder nicht anfassen, es geht vielleicht der Alarm los. Und obwohl ich damals bis zur absoluten Grenze trotzte, habe ich das nie ausprobiert.

Jetzt fragen Sie mich, liebe Eltern, wie Sie das wissen können, wie ihr Sprössling reagiert, sprich ob Schantall auch beim Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis Dadadadadada macht und herumläuft, ob Hans-Jürgen nach fünf Stunden Louvre anfängt, die Bilder dort zu „verschönern“ (durfte übrigens nicht einmal Renoir bei seinen eigenen, er erhielt Hausverbot, als man ihn erwischte -wenn die Story stimmt) und ob Mäximiliän seine Dinkel-Klagerede beginnt oder eben nicht.
Du liebe Zeit!
Wenn ich davon ausgehe, dass ihre Sprösslinge auf natürliche Art entstanden sind, also Mama und Papa machen Liebe, und dann bekommt die Mami ein Baby, dann kennen sie Ihre Kinder doch schon eine Weile, nicht? Sie sollten das einschätzen können.

Liebe Eltern, ist es nicht toll, was Ihren herzigen Kleinen heutzutage alles geboten wird, Kinderkonzerte und Kuschelmalen, 4000000000-Kugeln-Pool und family zone? Nutzen Sie es. Und halten Sie sich von allen anderen Sachen fern.
Dies ist übrigens auch nur eine Sache der Fairness: Ich könnte mir zwar ein Ticket für das nächste Still-Konzert holen, aber stellen Sie sich vor, ich würde hingehen, als Mann und ohne Säugling. Man würde mir doch hemmungslosen Busenfetischismus oder Pädophilie oder beides vorwerfen.

Montag, 10. August 2015

Geriattoo, das Tattoo für reifere Leute

Haben Sie eigentlich schon ein Tattoo?
Nein?
Sollten Sie aber. Tattoos sind in, sie sind in Mode, sie sind der letzte Schrei, der dernier cri. Wenn man wie ich ständig in den Badis, den Seen, den Schwimmbädern zugange ist (letzte Wochen: Neue Seebadis in Brunnen, Zug, Unteraegeri, Seewen, Sarnen und Arth erkundet), weiss man, dass kaum jemand mehr ohne eine Blume, einen Namen, ohne einen Schriftzug, ein Bild auf Bauch, Arm und Schulter herumläuft. Sieht ja auch wirklich sexy aus, wenn so ein knackiger, braungebrannter Körper noch durch Name, Schriftzug oder Blume gekrönt wird. Gut, manche übertreiben ein wenig, da ist dann gar keine Fläche auf Bauch, Arm und Schulter übrig, die man braunbrennen könnte, aber in Massen (also Deutsch-Deutsch mit Scharf-S) sind die Körperbilder extrem erotisch.

Also ab ins Studio!

Nein, halt, zwei Dinge sollten Sie noch bedenken. Erstens sollte es ein seriöses Studio sein, ein Tattoostecher, der seinen Laden im Hinterzimmer einer Dönerbude betreibt und Ihnen einen Adler für 5.- anbietet, eine Tattooistin, die irgendwo im Keller hockt und ihre Werkzeuge in einem rostigen Lavabo abspült, ein Studio, das mit auf Parkbäume gepinnten Fresszetteln wirbt, und, wenn die Preise stimmen, für einen Stundenlohn von 8.- arbeitet, das alles ist nicht seriös.

Die zweite Sache ist die Wahl des Motivs. Denn: Motive sollten langlebig sein, das heisst, da man ein Tattoo nicht einfach ausradieren, wegmachen, wegkratzen, da man es nicht abziehen oder abpulen kann und da es auch nicht verblasst, sollten die Dinge, die der Tattooist, die Tattooistin in Arm, Bauch, Po oder Schulter ritzt und sticht, eine gewisse Lebensdauer haben.

Bedenken Sie also erstens: Ihre Haut erschlafft, Sie werden faltiger und runzliger. Wie verhält sich ihr Bildchen dazu? Es kann nämlich sein, dass der Thor, der auf ihrem Arm mit erhobenen Händen seinen Hammer schwingt, nach 20 Jahren wie der Gekreuzigte aussieht und nach weiteren 10 Jahren seinen Hammer resignativ sinken lässt. Es kann sein, dass die Rose auf ihrem Bauch zu welken scheint, was zwar dem natürlichen Vorgang entspricht, aber einfach mies ausschaut. Der österreichische Cartoonist Dix lässt in einer seiner wunderbaren Zeichnungen zwei Frauen am Wasser stehen, beide von hinten und beide nackt und die ältere sagt mit Blick auf das Gesäss der jüngeren: „Bei mir war das auch einmal ein Adler.“

Die andere Geschichte ist das Thema des Tattoos. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte mir mit siebzehn eins stechen lassen, kommt mir das nackte Grauen. Welches Motiv würde da nun seit dreiunddreissig Jahren auf Arm, Po, Bauch oder Schulter prangen? Stünde da z.B. der Name einer meiner favorisierten Popgruppen, würde ich pro Tag hundertmal gefragt, was denn Barcley James Harvest, was denn Supertramp oder Alan Parson’s Project sei. Das erste würden die Teenies für einen Whiskey, das zweite für eine Zigimarke und das dritte für eine Computerfirma halten. Hätte ich mir die Namen meiner damaligen Flammen inklusive Herzchen stechen lassen, wäre das bei einem 50jährigen Schwulen einfach ein Witz, und nicht einmal ein guter.

Dinge der Hochkultur, die für mich seit damals gültig sind, hätten wieder den Nachteil, dass die Leute, die sie kennen, mich meistens in der Oper oder im Konzert antreffen, also in Anzug und Krawatte, die Leute in den Badis, an den Seen, in den Schwimmbädern sie nicht kennen. So hätte es auch keinen Sinn gemacht, das Gesicht von Heinrich Böll oder den Schattenriss von Christa Wolf, es hätte keinen Sinn gemacht, sich die Anfangstakte der Winterreise oder das „Veeeeeeeeni – Veeeni Creator Spiritus“ aus Mahler VIII auf Po, Bauch oder Schulter ritzen zu lassen. (Letzteres wahrscheinlich auf Bauch, auf Po und Schulter wäre ja gar kein Platz für so eine Mammutpartiturseite.)

Nein, was wir brauchen, sind Dinge, die bis zum Lebensende unveränderlich sind.
Und hier kommt nun meine Erfindung: Das Geriattoo.
Das Geriattoo fängt – wie die Italiener sagen – zwei Tauben mit einer Bohne, es bringt Ihnen ein Motiv, und es schlägt Ihrer mit 50 einsetzenden Vergreisung ein Schnippchen. Beim Geriattoo werden folgende Sachen auf Arm oder Bauch oder Bein, nicht auf Po oder Schulter verewigt:
*Der eigene Name
*Geburtstag und Geburtsort
*Ausbildung und Anstellungen
*Name der Kinder und Enkel
*Geburtstag der Kinder und Enkel
*Wichtige Reisen
 usw.

Alle diese Dinge können sich nicht mehr ändern. (Ausser Ihre Enkelin ändert ihren Vornamen Hutgurtia, den sie seit Geburt hasst, doch in Claire.)
Werden Sie nun einmal gefragt, wie alt Ihr jüngster Enkel ist: Ein Blick auf den Schenkel genügt und Sie schmettern dem Frager entgegen: 7! Werden Sie einmal gefragt, Sie seien doch bei der CIBA gewesen: Ein Blick auf den Arm und Sie posaunen: Von 1975-2005 als Finanzchef. Werden Sie gefragt, ob Sie eigentlich schon einmal auf den Aleuten waren: Ein Blick auf… Mist, das steht jetzt auf dem Bauch, lassen wir den Bauch als potentielle Fläche weg.

Das Geriattoo wird der Körperschmuck der Zukunft, es bleibt bis ans Lebensende gültig und wird Ihnen durch viele dumme Situationen helfen. Und: Schrift welkt nicht wie Rosen oder Adler und man kann die ja auch sehr nett gestalten, auch passend, Geburtsort Berlin in so einer flotten, heiteren Schrift und Geburtsort München in so einer oberbayerisch-spiessigen-rückständigen.

Also ab ins Studio!
Aber denken Sie dran: Studios, die zu billig sind oder sich in Kellerräumen, Dachböden, in den Hinterzimmern von Dönerbuden, Eisdielen oder öffentlichen WCs befinden, sind nicht seriös.


Donnerstag, 6. August 2015

Nolde in Lindau: Viel BLAU, viel Nazi

Jedes Jahr um die Bregenzer Festspielzeit rüstet auch das Oberbayrische Lindau kulturell auf: Im Stadtmuseum wird eine grosse Ausstellung organisiert, nach der Devise „Bekannter Name – viele Besucher“, also keineswegs wie das Kunsthaus Bregenz, das dieses Jahr eine unglaublich spannende Retrospektive der Malerin Joan Mitchell präsentierte, nein, in Lindau hält man sich an Leute, die auch Kleinfritz und Kleinliese kennen. Zu der Ausstellung wird jeweils eine Farbe ausgesucht, die einen dann in der ganzen Stadt nervt, parallel dazu wird auch der wunderschöne Renaissance-Neptun-Brunnen künstlerisch verschandelt.

Im letzten Jahr war dies Miró und ROT, ROT waren die Plakate und Flyer, ROT war der Teppich, der zum alten Stadthaus führte, ROT waren die überlebensgrossen, affenhässlichen Blumenpötte, die man auf Platz und rund um den Meeresherrscher platziert hatte.

Dieses Jahr war es Nolde und BLAU. Augenschmerzend BLAU waren die Hinweise, Werbetafeln und Aushänge, BLAU war die Treppe, BLAU waren die Strandkörbe, die den Sand zierten, den man um das Renaissancekunstwerk gestreut hatte – für diese Massnahme gehört ein Kurator schlicht und einfach geköpft, zumal es nichts, gar nichts mit Nolde zu tun hat, ausser das Stichwort norddeutsch, aber na ja.

Die Retrospektive stand unter dem Motto Der ungezähmte Strom der Farbe, was natürlich auch schon ein Schwachsinn ist, denn ich erwarte ja von einem Maler, dass er die Farbe zähmt, ungezähmte Farbe kriegt auch meine Katze hin, wenn sie einen Lacktopf umschmeisst oder jedes Kind, wenn man ihm genügend Zeit und Material lässt. Spannend war aber, was da als Text unter der Headline Der ungezähmte Strom der Farbe stand: Auch auf die widersprüchliche Rolle des Künstlers im Dritten Reich – er sei verfemt gewesen, obwohl er gewisse Sympathien gehegt habe – werde eingegangen.

Nun läuteten bei mir ganz leise die Alarmglocken (ja, auch Alarmglocken können leise läuten) und ich ging ein wenig an die Recherche, vor allem, weil ich neulich in den Raddatz-Tagebüchern (Pflichtlektüre, liebe Leserinnen und Leser!) schon sehr viel sehr Übles über den guten Emil gelesen hatte. Die Faktenlage ist relativ klar: Herr N. war glühender Nazi, NSDAP-Mitglied ab 1934, Verfechter einer germanisch-nordischen Kunst, er war Antisemit, Hetzer z.B. gegen Liebermann (zu dem übrigens die Strandkörbe gut gepasst hätten) und er war ein Protegé von Goebbels und Speer. Einen kleinen Schönheitsfleck gab es allerdings, weil der Führer die Bilder nicht mochte, er fand sie zu abstrakt, zu wild, zu klecksig, mit einem Wort: entartet. So bekam der gute Emil nicht, was er sich so sehnlichst wünschte: Die bedingungslose Liebe Adolf Hitlers.

Nach dem Krieg konnte man dann die Geschichte natürlich einfach um 180° drehen: Der arme Herr N. wurde zum Entartet-Verfemten, zum künstlerisch Verfolgten, damit wurde verhindert, dass seine Bilder in die Keller gekommen wären, wo sie hingehören, und er konnte weiter malen.
 
Es gab viele, zu viele solche Biografien, 1945 wimmelte es ja geradezu von Verfemten, Verfolgten, man konnte die Schar der Leute, die sichtbar oder unsichtbar im Widerstand gewesen waren, gar nicht abzählen. Alle, alle, alle hatte Hitler nicht gemocht, geliebt, er hatte sie beschimpft und gemieden, und dass sie selber um seine Liebe gebuhlt hatten, konnte man ja getrost verschweigen. Ich habe einen abstrusen Fall in der eigenen Verwandtschaft: Ca. 1936 bot sich in der Familie meiner Mutter das folgende Bild: Grosspapi deutschnationaler Exmilitär, Mutter Teenie, Grossmami glühende Nazi. Als nun die Oma in die NSDAP eintreten wollte, meinte der Opa, dass er als Beamter drin sein müsse und die Tochter zwangsweise im BDM, und 2 von 3 sei jetzt wahrlich genug und er würde es ihr schlicht und einfach verbieten. So trug 1945 die einzige Hitlerianerin der family eine makelos weisse Weste.

Ich habe mich lange gefragt, angesichts dieser Historien, angesichts auch des widerlich-permanenten BLAUS, angesichts der Strandkörbe, die mich so nervten (unser Hotelfenster geht direkt auf den Neptunbrunnen), ich habe mich gefragt, ob ich mir die Ausstellung antun sollte oder nicht.
Ich hatte Glück, das Wetter war zu schön, und so blieb zwischen Frühstück und Festspielhaus (Contes d'Hoffmann) bzw. zwischen Zmorge und Seebühne (Turandot) nur Zeit für die herrlichen Strandbäder, immerhin 30° im Schatten und einen der schönsten Seen in Schnupperweite, und für Joan Mitchell.

Mitchell, die übrigens mit der Sängerin Joni Mitchell NICHT verwandt ist, hat Bilder gemalt, die nun wirklich einen ungezähmten Strom der Farbe zeigen, das ist wunderbar wild und explosiv und kraftvoll, die Österreicher hätten sich aber ein so saublöden Titel nie einfallen lassen, denn die Malerin hat jedes auch noch so heftige Aufknallen des Pinsels klar gesetzt. Überhaupt: Schöne Plakate mit einem Foto der Künstlerin mit Hund, kein ROT oder BLAU (ich schaudere: Kommt nächstes Jahr GELB? Oder GRÜN?), keine Scheusslichkeitspötte und keine deplatzierten Strandkörbe. Manchmal sollte man halt als Oberbayer über die Grenze fahren und von den doch etwas kultivierteren Nachbarn lernen.

Auf jeden Fall habe ich nun ein Lebensziel: Viel Kohle machen, alle Noldes aufkaufen und dann kommen sie in den Keller.

P.S. Vielleicht brennt Ihnen nun eine Frage auf der Seele, die ich unbedingt beantworten will: Ich habe mir keine Badehose gekauft. (s. Post vom 22.6.2015)   

      

Dienstag, 4. August 2015

Was steht auf Ihrem T-Shirt?

Eine Mutter kommt mir entgegen, an der Hand zwei Söhne, vielleicht vier und sechs, der ältere trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck RULES ARE THERE TO BE BROKEN. Gut, denke  ich, gut, aber die Frau muss sich nicht wundern, wenn ihr Filius sich ein wenig rebellisch gebärdet, schickt sie ihn so eigentlich auch in die Schule?
Ein paar Schritte weiter ein junges Mädchen, vielleicht sieben, acht Jahre alt, mit dem T-Shirt-Schriftzug LOST IN LOVE. Weiss es eigentlich, was das heisst, wissen es die Eltern und wer lässt so ein junges Ding mit so was rumspringen?

Die meisten meiner Schüler haben keinen blassen Schimmer, was sie auf Bauch, Brust und Rücken stehen haben und fallen dann meistens aus ihren blauäugigen Wolken, wenn ich es ihnen sage.
Und Sie?
Machen wir doch mal einen Test: Ziehen Sie bitte Ihr T-Shirt aus.
Jetzt zieren Sie sich doch nicht, ich gucke Ihnen nix weg, kann ich ja gar nicht. Ach so, Sie sind im Bus, im Tram, Sie sind in einem Café, einem Restaurant oder in der DB-Lounge. Dann holen Sie das zuhause nach. Alle anderen aber jetzt: Ausziehen! So, und jetzt legen Sie ihr Kleidungsstück mal vor sich auf den Tisch und betrachten den Schriftzug, die Schriftzüge.

Wenn wir Glück haben, steht da nix. Wenn wir fast Glück haben, steht da nur eine Marke. Schön, weiter nicht schlimm, ich verstehe zwar nicht ganz, wieso Sie bei D&G oder A&F oder sonst einem &-Label teure Sachen kaufen und dann für D&G, A&F oder X&Y auch noch Reklame laufen, eigentlich müssten DIE Ihnen ja das Shirt schenken und Sie für die Werbung bezahlen, aber gut und schön, des Menschen Wille ist sein Himmelreich.

Weniger Glück haben wir, wenn da auf die blaue oder rote oder schwarze Baumwolle das Logo einer Amerikanischen Uni oder eines Amerikanischen College aufgedruckt ist. Jetzt müssen Sie nämlich ein wenig googeln. Wo liegt dieses Teil, was wird dort unterrichtet und von wem? Haben Sie z.B. FOSTER COLLEGE – THURTOWN MICHIGAN – FOUNDED 1950 auf Ihrer roten, blauen oder schwarzen Baumwolle, dann sollten Sie wissen, dass Thurtown ein Kaff im hintersten Winkel von Michigan ist, und das dort beheimatete College eine Kaderschmiede für Militärs. (Deshalb liegt es auch so mitten im Wald.) Viele Irak- und Golfkrieger, Wüstenstürmer und Ölkämpfer haben dort studiert und gelernt. Eventuell mögen Sie nun Ihr T-Shirt nicht mehr so arg, aber das war es mir wert. Und wenn Ihnen einfällt, dass Sie genau dieses rote, schwarze, blaue oder gelbe Teil zum letzten Ostermarsch getragen haben, machen Sie sich keine Sorgen: Niemand kennt das FOSTER COLLEGE, aber vielleicht ziehen zur nächsten Anti-Kriegs-Demo ein anderes Oberteil an.

Ganz kompliziert wird es, wenn da Sprüche und Sentenzen, Verse und Slogans in fremden Sprachen stehen. Können Sie gut genug Englisch um den Doppelsinn in Spruch und Sentenz zu verstehen? Ist Ihr Französisch perfekt genug, um zu begreifen, was da in Vers und Slogan wirklich gemeint ist?
Vielleicht fallen auch Sie aus einer blauäugigen Wolke, wenn Ihnen ein Muttersprachler dann mal erklärt, was Sie in Wirklichkeit da auf Brust, Bauch und Rücken herumtragen.

Unendlich schwierig wird es bei fremden Schriften. Eine junge Frau hatte einmal Schriftzeichen von einer Speisekarte eines China-Restaurants abgemalt und sie auf ihr T-Shirt übertragen, einfach, weil ihr die Dinger so gefielen. Als sie merkte, dass Chinesen immer so merkwürdig grinsten, wenn sie vorbeiging, liess sie sich den Satz doch einmal übersetzen: Auf ihren Brüsten stand BESONDERS LECKERE UND PREISWERTE NASCHEREI. Eventuell ein Urbaner Mythos, aber ein guter.

Nein, mir wäre unwohl, wenn ich nicht wüsste, was da auf Rücken, Bauch oder Brust steht. Arabische Schrift sieht klasse aus, aber kann es dann nicht sein, dass ich da einen Koranvers verkünde? Ich wüsste dann gerne, welchen, gegen das Lob der Schöpfung habe ich nichts, es gibt aber nun auch ein paar etwas problematische.
Was heisst das Kyrillische auf meinem Hemd? Feiere ich da gerade Stalin oder Trotzki, Lenin oder Chrustschow?
Mein Partner trägt ein Hemd mit Sanskrit darauf. Sieht toll aus, richtig toll, und Sanskrit ist ja nun eine heilige, reine Sprache.
Ist es das aber garantiert immer?
Gibt es vielleicht nicht doch auch in Sanskrit geschriebene Hässlichkeiten?

So, nun dürfen Sie ihr T-Shirt wieder anziehen, dürfen Brust, Bauch und Rücken wieder bedecken.

Wenn Sie den Spruch darauf noch mögen.
Wenn nicht: Es gibt texaid-Container.
Und zu ihrer chaotischgemusterten Short sieht uni OHNE SCHRIFT eh am besten aus.