Dienstag, 8. Dezember 2020

Wir brauchen wieder Zivis

Als ich vor 36 Jahren (ja, liebe Leserin und lieber Leser, ich gebe hier einmal ganz frech mein Alter – zumindest ungefähr – preis…) meinen Zivildienst anfing, da galten wir Zivis noch als Drückeberger. Bekiffte, unmännliche, faule Unstaatsbürger, die sich ihrer Verpflichtung, das Heimatland zu beschützen und zu verteidigen, entziehen. Und man fand da natürlich immer ein Beispiel von jemand, der „bei der Stadtjugendhilfe einfach im Büro sitzt“. Dass es die gleichen Jobs auch beim Bund gab, wurde natürlich verschwiegen. Mein Freund Peter hat sich bei der Materialverwaltung in der Kaserne Stetten wahrlich auch kein Burnout geholt…

Ich bekam immerhin noch ein wenig Bewunderung, wenn ich erzählte, wo ich arbeitete, nämlich mit geistig behinderten Kindern in einem Heim in Schwäbisch Hall, wenn ich aber blöderweise dann auch noch erwähnte, dass ich a) ein Einzelzimmer hatte und es b) keinen Zapfenstreich, dann schmolz die Bewunderung dahin wie Schnee im April. Mein Luxusleben erklärte sich aber nicht aus dem Wunsch des Staates, allen Verweigerern ein Dolce Vita zu bieten, sondern aus den Arbeitsbedingungen. Wir Zivis hatten nämlich – im Gegensatz zu den Soldaten – keine gemeinsamen Arbeitszeiten. Der eine von acht Männern, der um 7.00 auf der Gruppe sein musste, hätte alle auf der Stube geweckt. Ja, und der Zapfenstreich? Den gab es – dem Gesetz nach. Aber die Leitung des Sonnenhofes Schwäbisch Hall e.V. hatte einfach keine Kapazitäten, um zu überprüfen, ob alle Zivis um 22.00 im Bett seien. Sie war glücklich, wenn alle KINDER gesund, trocken und glücklich in ihren Bettchen lagen…

Gut. Und dann kam die Idee auf, den Wehrdienst abzuschaffen. Und das Geschrei war gross. Nicht bei den Militärfanatikern. Nein. Bei den sozialen Einrichtungen. Denn man hatte sich inzwischen daran gewöhnt, einen Haufen motivierter Arbeitskräfte zu haben, die die Krankenhäuser, Altenheime und Behindertenwohngruppen schlicht und einfach nichts kosteten. Null. Nada. Essen und Schlafen und Sackgeld bezahlte der Bund. Und nun riefen die Krankenhäuser, Altenheime und Behindertenwohngruppen: «Wenn es keine Soldaten mehr gibt, wo kommen dann die Zivis her, die Zivis, die wir brauchen?» Aus den Drückebergern, bekifften, unmännlichen, faulen Unstaatsbürgern, die sich ihrer Verpflichtung, das Heimatland zu beschützen und zu verteidigen, entziehen, waren auf einmal staatswichtige Leute geworden. Wir waren – damals gab es das Wort noch nicht – systemrelevant.

Und dann kam man auf die Idee mit den Freiwilligen. Na ja. Das «Freiwillige Soziale Jahr» lässt halt die aus, die klare berufliche Ziele haben, früh Karriere machen wollen, die mit guten Noten und sicheren Ausbildungsplätzen. Und die ohne klare berufliche Ziele frühe Karriere, guten Noten und sicheren Ausbildungsplätzen, die machen dann Dienst in Krankenhäusern, Altenheimen und Behindertenwohngruppen; so nach dem Motto: Mein Studium der Vergleichenden Assyriologie mit Nebenfach Genderliteratur führt eh in die Arbeitslosigkeit, also zögere ich beides noch ein wenig hinaus, Hartz IV und die Vergleichende Assyriologie mit Nebenfach Genderliteratur.

Nein.
Man hätte es ganz anders machen müssen:
Alle jungen Männer machen ein Soziales Jahr. Und wer unbedingt zum Bund will, darf auch das. Allerdings muss er diesen Wunsch vor einer Kommission erläutern, eine umgekehrte Gewissenprüfung also, eine Gewissensprüfung vice versa, umgedreht und mit anderen Vorzeichen. Da wäre man dann solche Sachen gefragt worden:
«Stellen Sie sich vor, Sie stehen an der deutschen Grenze und bewachen diese mit gezücktem und entsichertem Gewehr und dann kommen vier verdurstende Flüchtlinge. Was machen Sie?»
Und wer jetzt sagt: Gewehr weglegen und denen Wasser geben, der kann es grad vergessen.

Wie sehr die Zivis fehlen, merkt man jetzt in Pandemie-Zeiten.
Es gibt ja Aufgaben in Krankenhäusern, für die man nicht unbedingt eine vierjährige Ausbildung braucht: Betten machen und Essen verteilen, Gesichter waschen und Leuten aufs WC helfen. ich weiss, dass die Pfleger auf ihre genormte, straffe und gefalzte Bettentechnik stolz sind, aber, ich bitte Sie: Das kann man lernen. Auch Essen verteilen, Gesichter waschen und Leuten aufs WC helfen kann man lernen. Und wenn Essen verteilen, Gesichter waschen, Betten machen und Leuten aufs WC helfen von «Ungelernten» übernommen würde, dann entsteht oder entstünde Luft. Immerhin werden in einem Spital mit 400 Betten täglich 400 Laken gewurschtelt und 1200 Tabletts mit Normal-, Spezial-, Diät- oder Schonkost verteilt.

All das weiss man und wusste man. Es gibt seit Jahren zu wenig Pflegepersonal und jede Viruswelle – ich sage ausdrücklich jede – bringt die Spitalleitungen ins Schwitzen.
Also:
Führt die Wehrpflicht wieder ein. Aber: Wer keinen Platz in der Kaserne findet, hat dann nicht einfach «keinen Dienst». Er geht in Krankenhäuser, Altenheime und Behindertenwohngruppen und wird dort Betten machen und Essen verteilen, Gesichter waschen und Leuten aufs WC helfen. Wobei in Altenheimen und Behindertenwohngruppen auch noch Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spielen und Mikado-Spielen dazukommt.
Aber auch hier:
Für Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spielen und Mikado-Spielen muss man keine Pflegefachkraft sein.

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