Freitag, 29. Dezember 2023

Ist 2023 schnell vergangen?

Der dümmste Satz, der in diesen Zeiten gesagt wird, ist: «Dieses Jahr ist jetzt aber so schnell vergangen…».
Ein völliger Blödsinn.

Gehen wir mathemathisch (sic!) vor: Alle Jahre sind gleich lang, 12 Monate, 52 Wochen, 365 Tage, 8760 Stunden, 525600 Minuten und 31536000 Sekunden.
Gut, nein, ja, ja, nein stimmt nicht, ich habe die Schaltjahre vergessen, 2020 war 1 Tag, 24 Stunden, 1440 Minuten und 86400 Sekunden länger, hatte also 366 Tage, 8784 Stunden, 527040 Minuten und 31622400 Sekunden. Und auch 2024 wird 1 Tag, 24 Stunden, 1440 Minuten und 86400 Sekunden länger sein und wird 366 Tage, 8784 Stunden, 527040 Minuten und 31622400 Sekunden haben.
Und jetzt ist uns schwindelig…

Aber das Mathemathische (sic) meint der Spruch ja gar nicht, er meint, wie die Zeit gefühlt vergeht, er müsste ja heissen «Dieses Jahr ist jetzt aber gefühlt so schnell vergangen…» man am Jahresende immer das Gefühl, dass… 
Ich möchte es nun aber mal ganz fies formulieren: Wenn das Jahr Ihnen schnell vergangen ist, dann sind Sie glücklich und haben ein schönes Jahr gehabt.
Sie glauben mir nicht?

Stellen Sie sich vor, Sie warten auf einen Bus.
Der Bus ist gerade gefahren, Sie haben zehn Minuten Zeit. Leider haben Sie kein Buch dabei, und es hat auch keine Plakate oder anderes zum Lesen. Also stieren Sie in die Luft und warten. Und warten. Sie schauen auf die Uhr, es ist eine Minute vergangen. Sie tappen von einem Bein aufs andere, Sie atmen hörbar aus, Sie schauen auf die Uhr, es sind insgesamt drei Minuten vergangen. Auch die nächsten zwei Minuten verstreichen so zäh wie flüssiges Karamell, wie Teer.
Dann aber: Sie merken auf einmal, dass Sie keine Fahrkarte haben. Sie müssen ein Ticket lösen. Und nun rast die Zeit wie blöd. Bis Sie im schlecht beleuchteten Wartehäuschen den Automaten gefunden haben, sind 60 Sekunden verstrichen. Bis Sie endlich das Richtige eingetippt haben, rasten weitere 120 Sekunden durch. Und nun: Kleingeld suchen im fast Dunklen. Die Zeit hat nun fast das Tempo eines ICE. In letzter Sekunde erlangen Sie Ihr Billett…

Zeit vergeht gefühlt manchmal schnell und manchmal langsam.

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine leckere Pizza vor sich. Eine Quattro Stagioni oder Funghi. Oder vielleicht eine Capricciosa. Das Essen duftet, es duftet nach Käse und Tomaten und maximalem Knoblauch und tollstem Oregano. Nur ist diese Pizza sehr, sehr, sehr heiss. Sie müssen also warten.
Sie blasen, Sie pusten, Sie blasen, Sie pusten und erst nach einer gefühlten Ewigkeit nähert sich die Temperatur der Essbarkeit. Aber erst nach gefühlt einer Stunde können Sie endlich in die Pizza beissen.
Und jetzt rast die Zeit. Sie rast und in kürzester Zeit ist die Temperatur der Quattro Stagioni oder Funghi oder Capricciosa von «essbar» zu «kalt» gewechselt…

Zeit vergeht gefühlt manchmal langsam und manchmal schnell.

Oder denken Sie nur an die Ferien.
Die Woche vor der ersehnten Reise nach Mallorca vergeht überhaupt nicht – oder scheint nicht zu vergehen. Jeden Tag stehen Sie mit dem Seufzer auf: «Erst Dienstag!», «Erst Mittwoch», «Erst Donnerstag». Die Stunden im Büro schleichen nur so dahin, zäh, sämig, sie dehnen sich und räkeln sich und nehmen kein Ende. Eine dunkle, amorphe Masse.
Und dann endlich Wochenende und Abflug!
Am Sonntag sitzen Sie auf der Terrasse in Port de Sóller und hoffen, dass ob des blauen Himmels, des blauen Wassers, des weiten Himmels und des duftenden Oleanders die Zeit so langsam vergehen solle wie die Stunden im Büro.
Weit gefehlt! Weit gefehlt!
Ab den Ferien rast die Zeit. Und Sie stehen mit dem Seufzer auf: «Schon Dienstag!», «Schon Mittwoch!», «Schon Donnerstag!»…

Der dümmste Satz, der in diesen Zeiten gesagt wird, ist: «Dieses Jahr ist jetzt aber so schnell vergangen…».
Ein völliger Blödsinn.
Alle Jahre sind gleich lang, 12 Monate, 52 Wochen, 365 Tage, 8760 Stunden, 525600 Minuten und 31536000 Sekunden.
Gut, ich habe die Schaltjahre vergessen, es gibt da Differenzen, 2024 wird 1 Tag, 24 Stunden, 1440 Minuten und 86400 Sekunden länger sein und wird 366 Tage, 8784 Stunden, 527040 Minuten und 31622400 Sekunden haben.

Aber wenn Ihnen 2023 kurz vorgekommen ist, dann jubeln Sie! Dann war das ein glückliches Jahr für Sie.

In diesem Sinne:
GUTEN RUTSCH UND EIN TOLLES UND FROHES UND SCHÖNES 2024!









Dienstag, 26. Dezember 2023

Kirche zu verkaufen?

from: maris.mueller@txmail.com
to: pater.johann@st-marien.org

Guten Tag, Hochwürden.
Ich war in Ihrem Gottesdienst am 24.12. Sehr schön gemacht, sehr ergreifend, sehr stimmungsvoll. Auch die Kirche: Sehr schön, sehr (neu?)-gotisch, sehr geschmackvoll; kurz gesagt: Ich würde sie gerne kaufen. Was kostet sie?
Mit freundlichen Grüssen Maris Müller.

from: pater.johann@st-marien.org
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Guten Tag Herr Müller.
Es freut mich, dass Ihnen die Christmette behagt hat. St. Marien wurde übrigens 1867 erbaut und ist somit neugotisch. Wie Sie aber auf die absurde Idee kommen, dieses Schmuckstück könne man kaufen, ist mir schleierhaft. St. Marien ist ein heiliger Ort, ein Ort, der Gott geweiht ist und natürlich nicht verkäuflich.
Mit lieben Grüssen Pater Johann.

from: maris.mueller@txmail.com
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Ach Pater Johann,
ich hatte sie nach Ihrer doch sehr lebensnahen Predigt für ein wenig realitätsnaher gehalten. Allen Ortes werden Kirchen abgewickelt, geschlossen, entweiht, in jedem Bistum gibt es Beauftragte für den Kirchenverkauf, auch Ihre Bude wird bald geschlossen, und hier hätten Sie die Möglichkeit selber mitzubestimmen.
Sie haben nun wahrscheinlich Angst, ich könne etwas ganz Schlimmes mit Ihrer Kirche anstellen, immerhin hört man ja gerade von ehemaligen gotischen oder neugotischen Kirchen, die zu Gothic Discos oder S/M-Tempel umfunktioniert wurden. Also keine Panik: Ich würde meine inzwischen doch erheblich angewachsene Kunstsammlung dort unterbringen und der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Mit Grüssen MM

from: pater.johann@st-marien.org
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Werter Herr Müller, Sie nerven. St. Marien ist eine grosse, lebendige Gemeinde mit gut besuchten Gottesdiensten. Es gäbe überhaupt keinen Grund, so eine Gemeinde abzuwickeln. Es ist mir ganz egal, ob sie Disco, Sado-Maso, ob Sie Kunst oder Konzerte oder ob Sie ein Fitnessstudio machen möchten: Die Kirche steht nicht zum Verkauf. Mit vorzüglicher Hochachtung Pater Johann

from: maris.mueller@txmail.com
to: pater.johann@st-marien.org

Pater Johann! Grosse Gemeinde? In Ihrem Dorf hat es 4567 Einwohner, von denen gerade noch 987 in der Kirche sind – in Ihrer, es gibt auch Protestanten. Woher ich das weiss? Die Statistiken sind nicht geheim. Die 987 gehen aber nun nicht alle in die Kirche, wir hatten neulich – ich habe gezählt – 225 Besucherinnen und Besucher. Das ist nicht schlecht für den x. Sonntag nach Trinitatis, aber sehr mies für den Heiligen Abend. Lebendige Gemeinde? Sie scheinen nicht gerade über ein grosses Reservoir an Mitarbeitern zu verfügen, die Sakristanin war auch die Lektorin, und für einen 24. 12. sind drei Ministranten extrem wenig. Geben Sie es doch zu: In spätestens zwei Jahren ist Ihre Kirche dicht. Also verkaufen Sie JETZT!
Liebe Grüsse Maris Müller

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Herr Müller!
Bekommen Sie eigentlich mit, was im Vatikan so läuft? Der Papst hat Schwulensegnungen und Lesbensegnungen erlaubt. Das heisst: Es gibt einen Aufbruch. Wir planen also, 2024 die Super-LGBTQ-Pfarrei zu werden, leider dürfen wir St. Marien aus Denkmalschutzgründen nicht in Regenbogenfarben streichen, aber die Flagge wird wehen, es wird volle Gottesdienste geben und viele tolle Dinge
Liebe begeisterte Grüsse Pater Johann

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Lieber Pater Johann
Schön. Träumen Sie weiter. Vielleicht klappt ja Ihre Queer-Church. Aber nochmals: Ob die wenigen Gläubigen mit deren Kirchensteuer die Kosten der Pfarrei stemmen können, ist doch sehr fraglich. Aber ich will nicht unken, ich wünsche Ihnen viel Glück, und wenn es doch nicht klappt, haben Sie meine E-Mail.
MM
P.S.: Könnten Sie Ihre Kollegen von St. Anna, St. Hyronimus, St. Peter, St. Katharina und St. Alban auf mich aufmerksam machen?
Das sind doch auch schöne Objekte…

Freitag, 22. Dezember 2023

Respekt für Gott und einen Waffenstillstand für die Menschen (???)

Wir alle kennen die Stelle, die am Heiligen Abend in allen Kirchen gelesen wird:

«Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.» Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.»

Nun habe ich neulich von Herbert, einem Freund, der nicht nur Theologe, sondern auch begeisterter Gräzist ist, eine völlig neue Übersetzung zugeschickt bekommen:

«Mindert eure phobische Einstellung um 40% – mit oder ohne Medikamente. Schaut mal her (also von eurem Smartphone weg), ich habe relativ gute Nachrichten, die immerhin für 80% der Bevölkerung gelten. Der oder die kosmische Retter*in ist geboren, blöderweise ist er/sie/es noch sehr, sehr klein und blöderweise ist er/sie/es auch noch in einem sehr blöden Gebiet geboren, in Bethlehem im Westjordanland.»
Und diese Message ging viral, sodass ganz viele einstimmten: «Respekt für Gott und einen Waffenstillstand für die Menschen.»

Ich war entsetzt. Gibt es keine «grosse Freude» mehr? Kann man nicht mehr «fürchtet euch nicht» sagen? Gibt es nichts mehr, das für alle gilt? Keine «Ehre»? Keinen «Frieden»?
Ich rief meinen Kumpel an, der mir dann alles detailliert erklärte:

Weisst du, so meinte Herbert, der Lukastext ist in der vertrauten Luther-Übersetzung viel zu absolut. Das sind alles so starke Begriffe, die kann doch kein Mensch ertragen.

Nehmen wir doch nur mal den «Frieden». Weisst du, was das Wort wirklich heisst? Das ist gross, gross, sehr gross, da ist sehr viel Menschlichkeit und Humanismus und Philosophie drin, das würde ja auch bedeuten, dass ich den anderen nicht mehr hasse, ihn irgendwie verstehe, die meisten Leute auf der Welt wären doch schon froh, wenn keine Bomben mehr fliegen. Stell dir vor, es gäbe einen weltweiten, haltenden, dauernden Waffenstillstand, das wäre doch schon irrsinnig, oder? Wenn du bedenkst, dass der normale Waffenstillstand nur ca. 4,8 Stunden (im Durchschnitt) hält?
Ich musste ihm leider recht geben.

Oder nehmen wir die «Ehre», so er weiter: «Das versteht doch keine Sau mehr. Und wird auch nicht mehr praktiziert. Früher wurde das Alter geehrt, die Weisheit, usw. Früher standen zum Beispiel die jungen Leute auf, wenn ein Rentner das Tram betrat, heutzutage muss man ja schon froh sein, wenn einen die Teenager nicht vom Sitz zerren und sich selber hinfläzen. Nein, Respekt ist das Höchste, was man verlangen kann, die Ehre und die Zeiten der Ehre sind vorbei. Und wie soll man Gott ehren, von dem man ja gar nicht mehr annimmt, dass er existiert? Ein Konfirmand sagte mir neulich, dass er ein Gebet entworfen habe, das folgendermassen geht:
Herr, ich fände (!) es OK, wenn du existieren würdest (!).»

Erschrocken gab ich Herbert wieder recht, fragte dann aber doch noch nach den Ängsten. Es muss doch möglich sein, sich NICHT zu fürchten, FREI von Ängsten zu sein. Oder?
Eine völlig Absenz von Phobien, so er, sei eine totale Utopie. Wikipedia nenne eine Liste von 112 Phobien (wenn er richtig gezählt habe…), von Abortphobie (Angst vor Fehlgeburten) bis Zoophobie (Angst vor Tieren), rein statistisch hätten Sie also alle Menschen MEHRERE dieser Ängste. Jeder Mensch fürchte sich also immer, permanent, dauernd vor irgendetwas. Den Leuten zu wünschen, dass sie frei aller Ängsten würden, sei eine fast gefährliche Utopie. Nein, er wünsche allen, dass sie von ihren 4-5 Phobien vielleicht 2-3 loswürden und den Rest mit geeigneten Medikamenten in Schach hielten.

Ich wurde immer resignierter. Und «Freude», fragte ich, gäbe es die auch nicht mehr.
Freude, so Herbert, Freude sei nun ein ganz heikler Begriff, Freude sei nun ganz schwierig, und vor allem auch noch Freude, die für die Mehrheit der Leute gälte. Früher, da seien alle Bauern gewesen und hätten sich alle im Gleichmass gefreut, sie im Frühjahr über die Wärme und im Sommer über den Regen und im Herbst über die Sonne und im Winter über die Ernte. Heute gebe es doch immer jemanden, dem die Sache nicht Recht sei.
Alle freuten sich über den Frieden – ausser den Waffenhändlern.
Alle freuten sich über die Ehre Gottes – ausser den Atheisten und den Maklern, die Kirchen aufkauften.
Alle freuten sich über die Abwesenheit der Ängste – ausser den Psychotherapeuten.
usw.

Völlig ernüchtert gab ich auf.
Einziger Trost ist, dass sich der Herbert-Text wahrscheinlich nicht durchsetzen wird. Und so freue (ja!) ich mich auf das Weihnachtsoratorium am 24. 12., denn bei Bach ist der Text eben noch der alte, mit «Friede», «Freude», mit «Fürchtet euch nicht!».
Und das ist gut so.

…Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war. 

Und in diesem Sinne dann: FROHE WEIHNACHTEN!



 

Dienstag, 19. Dezember 2023

Die berühmten zwei Prozent

Wie verklickert man einem Volk in Zeiten des Sparens immense und steigende Rüstungsausgaben?
Wie verklickert man einem Volk ohne funktionierendes Schienennetz in Zeiten des Sparens immense und steigende Rüstungsausgaben?
Wie verklickert man einem Volk ohne funktionierendes Schienennetz und ohne Handyempfang in Zeiten des Sparens immense und steigende Rüstungsausgaben?
Wie verklickert man einem Volk ohne funktionierendes Schienennetz und ohne Handyempfang und mit Schulen, die in sich zusammenfallen, in Zeiten des Sparens immense und steigende Rüstungsausgaben? (...ich rede übrigens von der BRD...)

Das ähnelt jetzt dem wunderbaren Spiel «Ich packe meinen Koffer», Sie kennen das sicher, ein Spiel ohne Würfel und ohne Spielbrett und ohne Karten und – man kann das nicht genug hinausschreien – ohne Elektronik, mit dem wir aber unzählige Zugfahrten verkürzten.

Aber ich schweife ab, wir waren bei den Rüstungsausgaben.
War da nicht so ein Weihnachtstext, eine Jesaja-Prophezeiung, in der es «Schwerter zu Pflugscharen» hiess? Nun, Pflugscharen sind ja nun nicht das Problem, aber jemand könnte ja auf die Idee kommen, hier von «Schwerter zu Schienen» oder «Pfeile zu G5-Antennen» oder «Kasernen zu Schulhäusern» zu reden…

Wie verkauft man nun die Devise «Rüstungsetat rauf und Sozialetat runter»?
Die Strategen der NATO haben lange überlegt. Und dann stiessen sie auf die alte Methode, durch einen bestimmten Bezug Ausgaben klein aussehen zu lassen. Die BIP-Idee.
Sie kennen ja alle die Rechnung von den hunderttausend Hilfsorganisationen, die ja gerade in der Adventszeit auf Geldfang gehen:
Nur 1 Euro pro Tag hilft Zuraide, wieder sehen zu können.
Das klingt besser als:
Nur 7 Euro pro Woche hilft Zuraide, wieder sehen zu können.
Noch schlechter klänge:
Nur 30 Euro pro Monat hilft Zuraide, wieder sehen zu können.
Katastrophal, wirklich katastrophal wäre:
Nur 365 Euro pro Jahr hilft Zuraide, wieder sehen zu können.
Obwohl ja nach Adam Riese alle Angaben genau die gleiche Summe angeben.

Die NATO-Werber haben nun das BIP entdeckt.
Das Bruttoinlandsprodukt (in der Schweiz auch Bruttoinlandprodukt, offizielle Abkürzung: BIP; englisch gross domestic product (GDP)) ist eine volkswirtschaftliche Kennzahl, die den Gesamtwert aller Waren und Dienstleitungen angibt, die während eines Wirtschaftsjahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft als Endprodukte erwirtschaftet wurden, nach Abzug aller Vorleistungen. (so Wikipedia)

Die NATO-Staaten haben nun vereinbart, dass jedes Mitglied 2% seines BIP für Panzer, Flugzeuge, Raketen und Bomben ausgibt.
Klingt nicht viel, oder? Das Schöne ist, dass niemand weiss, wie hoch das BIP ist. Und das ist der Trick. Wollen Sie mal schätzen? Ach, Sie liegen garantiert zu tief. Das Bruttoinlandprodukt lag 2022 in der BRD bei 3,88 Billionen Euro. In Zahlen wären das 3880000000000 Euro (mein Erzengel wird jetzt wieder die fehlenden Strichlein monieren, aber ungegliedert sehen eben 3880000000000 Euro noch mehr aus…)
2 Prozent dieses Bruttoninlandproduktes wären dann 77,6 Milliarden. 77,6 Milliarden für Panzer, Flugzeuge, Raketen und Bomben. Rund ein Siebtel der Ausgaben. Das klingt aber nun viel schlechter als die 2 Prozent.
Und deshalb ist die Sache mit dem BIP so überaus genial, weil sie so harmlos klingt.

Allerdings haben die immensen und steigenden Rüstungsausgaben zwei Vorteile:
Der Russe wird uns nicht angreifen, weil wir 2% des BIP spendiert haben und jetzt so viele Panzer, Flugzeuge, Raketen und Bomben besitzen. Von Gewehren und Granaten und anderen schönen Dingen ganz zu schweigen.
Der Russe wird uns aber auch nicht angreifen, weil er dieses kaputtgesparte Land gar nicht mehr will. Was will der Iwan mit einem Land, in dem keine Züge fahren?
Was will der Iwan mit einem Land, in dem keine Züge fahren und die Menschen keine Schulbildung haben?
Was will der Iwan mit einem Land, in dem keine Züge fahren und die Menschen keine Schulbildung haben und sein Handy keinen Empfang hat?
Sehen Sie.

In diesem Sinne also weiter: «Pflugscharen zu Schwertern».

So, genug für heute. Ich gehe einen Kaffee trinken.
Ach, Sie meinen ich gebe zu viel Geld für Kaffee aus. Stimmt gar nicht. Ich sage das Ihnen bald einmal, wenn ich herausgefunden habe, in welcher Relation das am besten aussieht…

 

 

 

 

 

 


Freitag, 15. Dezember 2023

Warum kauft man Geschenke nicht früher?


Und wieder ist es schon fast Weihnachten. Und wieder einmal der Geschenke-Stress. Dabei hätte man ja das ganze Jahr Zeit gehabt…

Erinnern Sie sich? Da standen Sie doch in Berlin vor dem Schaufenster dieser wunderbaren Handweberei und sie fand diesen rosa-weiss-blauen Schal so toll, aber zu teuer. Und Sie hätten am nächsten Tag die Möglichkeit gehabt, in die Handweberei zu gehen und den Schal als Weihnachtsgeschenk zu kaufen. (Schon im September!) Warum haben Sie das nicht gemacht?

Und wieder ist es fast Heiliger Abend. Ein Tag der ja immer so plötzlich zu kommen scheint. Und wieder der Geschenke-Stress. Dabei hätte man ja das ganze Jahr Zeit gehabt…

Erinnern Sie sich? Da waren Sie in Hamburg in der herrlichen kleinen Buchhandlung. Und er hatte die Gesamtausgabe von Alexander Schultz (1903 – 1953) in der Hand, kaufte sie aber dann doch nicht. Und Sie hätten in den nächsten Tagen absolut die Musse gehabt, die 5 Bände Gedichte und Philosophie käuflich zu erwerben. (Schon im August!) Warum taten Sie das nicht?

Und wieder ist es schon fast Weihnachten. Und wieder einmal der Geschenke-Stress. Dabei hätte man ja das ganze Jahr Zeit gehabt…
Warum kaufen wir Geschenke nicht innerhalb des Jahres?

Es gibt wahrscheinlich Casanovas und Schürzenjäger, es gibt Vamps und Femmes Fatales, die davon ausgehen, dass die Liebschaft vom August oder September gar nicht bis in die dunkle und kalte Jahreszeit hält. Die der Meinung sind, dass man gerade bei Mille Tre ist, aber am 24. 12. sicher bei Mille Trenta sein wird. Dann lohnen sich natürlich solche Präsente, die speziellen Wünschen entsprechen, überhaupt nicht. Casanovas und Schürzenjäger, Vamps und Femmes Fatales haben deshalb immer eine grosse Sammlung von Douglas-Produkten im Schrank, die immer passen. Aber nun mal ganz ehrlich: Normalerweise halten Beziehungen bis Weihnachten, der Grund also, etwas nicht zu kaufen, weil man mit der Person nicht mehr zusammen sein könnte, trifft in 95% der Fälle nicht zu.

Warum kaufen wir Geschenke nicht innerhalb des Jahres?

Haben wir Angst, dass der Geschmack der oder des Beschenkten sich plötzlich ändert?
Dass sie im November beschliesst, dass Rosa pfui, Weiss igitt und Blau kotz ist? Und deshalb ein rosa-weiss-blauer Schal das Schrecklichste überhaupt ist und daher auf den Müll gehört?
Dass er im Oktober zur Ansicht gelangt, dass wegen eines Leserbriefes von Schultz aus dem Jahre 1939 – der nicht einmal als gesichert authentisch gilt – er das Werk des Philosophen und Lyrikers komplett ablehnt?
Jetzt mal ehrlich: So wie die meisten Menschen im Winter noch den gleichen Lebenspartner haben, haben sie auch den gleichen Geschmack.

Und wieder ist es fast Heiliger Abend. Ein Tag der ja immer so plötzlich zu kommen scheint. Und wieder der Geschenke-Stress. Dabei hätte man ja das ganze Jahr Zeit gehabt…
Warum haben wir die Präsente nicht schon im Sommer gekauft?

Der Grund liegt ganz woanders: Man will nicht anders sein als die anderen, man will im «Weihnachts-Stress-Spiel» nicht der Spielverderber sein, man will nicht angefeindet werden.
Sie glauben mir nicht?
Machen Sie einmal den Versuch und sagen Sie am 20. Dezember, wenn alle am rumhektiken und rumheulen sind, den einfachen Satz: «Ich habe seit Herbst schon alle Geschenke.»
Es wird ein Shitstorm auf Sie niederprasseln, als hätten Sie gerade Putin verteidigt oder Corona geleugnet. Lieblingshassrede von mir: «Du bist ja auch Lehrer.»

Jetzt macht man das folgende (ziemlich blöde) Spiel, dass man in der Stadt herumläuft und so tut, als ob man Geschenke kauft. Man guckt in Schaufenster, stopft in seinen Taschen herum, man rennt hektisch und versucht einen wirren Blick, nur damit niemand denkt, man sei so ein Verrückter, der schon alle Geschenke hat.
Bei vielen – nicht bei mir! – kippt dann allerdings die Sache, denn wenn sie im einen Jahr ständig so tun müssen, als kauften sie Präsente, dann tun sie es im nächsten WIRKLICH und lassen das Im-Oktober-schon-kaufen.

Und wieder ist es fast Heiliger Abend. Ein Tag der ja immer so plötzlich zu kommen scheint. Und wieder der Geschenke-Stress. Dabei hätte man ja das ganze Jahr Zeit gehabt…

So, genug für heute.
Ich gehe in die City. Und wenn Sie mich mit stieren Augen und zitternden Händen durch die Freie Strasse rasen sehen:
Ich tue nur so…

Dienstag, 12. Dezember 2023

Vom Glück des Chat-Aufräumens

«Rauswerfen macht glücklich.» «Rausschmeissen macht glücklich.»
Wenn Sie diesen Satz googeln, dann erhalten Sie vor allem Links, die sich auf das Ausmisten und Ausräumen von Wohnungen beziehen, so nach dem Motto «Simplify your life». Ich will jetzt gar nicht auf dieses blöde Thema eingehen, es ist deshalb so blöd, weil ja die einen, die das toll finden, eh schon alles ausgemistet haben und die anderen, die es eigentlich anginge, sich von keinem Gegenstand trennen können, nein, ich will jetzt auf das nicht eingehen, das wäre einen eigenen Post wert, ich möchte auf das Rauswerfen, das Rausschmeissen von Menschen eingehen.

Rauswerfen, Rausschmeissen (von Menschen) macht glücklich.
Wenn Sie das Internet befragen, dann werden Ihnen drei verschiedene Varianten genannt:
* das physische Rauswerfen von Leuten aus Räumen, Arealen und Gebäuden
* das Entlassen von Leuten aus Arbeitsstellen
* das Streichen von Leuten aus Listen, Verzeichnissen, Chats, Gruppen usw.

Das physische Rausschmeissen, so toll ich es fände, kommt für mich nicht in Frage. Ich fände es super, Menschen einfach am Schlafittchen zu packen und vor die Türe zu stellen, oder gleich sie flach zu werfen. Aus dem Fenster zu schmeissen. Und das ist jetzt gar nicht so unkultiviert, so pöbelhaft, immerhin lüpften in Prag ja Diplomaten andere Diplomaten aus dem Fenster, immerhin hat Mörike ja ein Gedicht geschrieben, in dem er einen Kritiker die Treppe hinunterwirft. Aber ich schweife ab. Ich wollte sagen, dass die Bodyguard-Masche für mich nix ist. Hier bräuchte ich das, was der Volksmund als Muckis bezeichnet, und das baue ich einfach nicht auf. Ich habe (im Ernst! im Ernst!) einmal ein halbes Jahr Fitness gemacht und damit nur meine Gelenke und Sehnen ruiniert.
Nein, die Am-Kragen-Packen-Sache müssen andere machen.

Auch das Kündigen ist ausserhalb meiner Reichweite, ich habe keine Angestellten. Ich könnte natürlich bei Human Resources anfangen, aber kann ich da beim Vorstellungsgespräch sagen, dass ich den Job nur machen will, weil ich Leute vor die Türe setzen möchte? Und braucht man da nicht auch irgendwie eine Kaufmannsausbildung?

Bleibt also das Streichen von Menschen aus Listen, Chats usw. Und hier gibt es tonnenweise zu tun. Schauen Sie sich doch nur mal z. B. den Whats App-Chat des WG-Hauses Hodlerstrasse 5 in Zürich an, in dem Haus gibt es je eine WG auf den vier Stockwerken, alle mit 3 Personen, macht nach Adam Riese zwölf, aber in dem Chat sind 40. Hier ein Beispiel:

Tristan: Ich habe bis morgen mein Velo vor dem hinteren Keller stehen. Ist das OK?
Marco: Völlig ok.
Finn: Absolut.
Lynn: Kein Problem.
Bea: Marco, schön, dass du es OK findest, aber wieso meinst du, du kannst das erlauben?
Marco: ???
Finn: Du WOHNST nicht mehr hier.
Tristan: Wieso bist du eigentlich noch im Chat?


Bea: Ich bin gerade beim Kuchenbacken und das Mehl reicht nicht.
Marco: Ich habe drei Packungen im Kasten.
Bea: Scherzkeks.
Marco: ???????
Tristan: Du wohnst in Chur. Wie soll Bea an 200 Kilometer entferntes Mehl kommen?
Lynn: Wieso bist du eigentlich noch im Chat?

In allen solchen Kommunikationsplattformen tummeln sich Leute, die längst nicht mehr hineingehören. Daher habe ich eine neue Geschäftsidee entwickelt; meine Firma SpeedExpell® wird Chats aufräumen. Ich mache das in vier Schritten:
Erstens: Ich lasse mich zum Admin ernennen und mir eine Liste der erwünschten Teilnehmer geben.
Zweitens: Ich schreibe sehr nett, dass dies doch ein Orga-Chat sei und dass Ehemalige, die noch Kontakt wünschen, andere Möglichkeiten haben usw. und setze eine Frist.
Drittens: Ich warte, bis einige (es sind stets nur etwa 3%) das Schiff verlassen…
Viertens: Der Hochgenuss, ich gehe an die Arbeit:

Du hast Marco entfernt.
Du hast Sabine entfernt.
Du hast Torben entfernt.
Du hast Bea entfernt.

Kaum eine Sache macht so Spass wie Rauswerfen, Rausschmeissen, Rausbefördern, Expedieren, Expellieren, Entfernen.
Und wenn man die physischen Kräfte, sprich Muckis, nicht hat und auch nicht Chef oder HRler ist, dann muss man es in Chats machen.

Und das macht genauso Spass.

 

Freitag, 8. Dezember 2023

Rettet die Inhaltsverzeichnisse

Ich lese «Nichts hören» von Christian Tiefker.
Am Anfang des wunderbaren Buches stosse ich, nach einer Art Motto, auf eine Seite mit der Ankündigung

I.
G.-Mitte-West

Scheint so eine Art Grossteil zu sein, der sich eventuell dann noch in Kapitel unterteilt. (Dies zeigt sich nach mehrfachem Umblättern als korrekt.)
Aber existieren noch andere Teile? Muss ja wohl so sein, sonst würde die römische Eins ja keinen Sinn machen. Also fröhlich geblättert, und tatsächlich stosse ich noch auf drei weitere Teile:

II.
Steiles und Täubchen
III.
Zahnfüllung
IV.
Vorhand

Scheint eine spannende Lektüre zu werden.

Warum aber – so beginne ich mich zu fragen – muss ich im Buch herumblättern, herumschnüffeln, herumsuchen, um diese Spannung bei mir zu erzeugen, warum tut man diese Angaben nicht mehr so wie früher an den Anfang (oder das Ende) des Buches in eine Liste? Eine Liste, die die Titel und die Seitenzahlen vereint, eine Liste, wie ich sie aus meiner Jugend kenne. Ich rede von der aussterbenden Gattung des Inhaltsverzeichnisses.

Gut, in wissenschaftlichen Arbeiten ist nach wie vor ein Inhaltsverzeichnis absolutes Muss. Hier haben wir – im Gegensatz zur Belletristik – eher das Problem, dass einen das Inhaltsverzeichnis völlig abtörnt:

1. Einleitung
1.1. Fachliche Grundgedanken
1.1.1. Das Thema der Arbeit heute
1.1.2. Das Thema der Arbeit gestern
1.2. Editorische Grundgedanken
1.2.1. Die Edition heute
1.2.2. Die Edition gestern

Eine solche Liste zeigt einem ja eher zu zeigen: «Pass auf, Kerl. Lies das nicht weiter, es ist völlig öde und irrelevant, ich schreibe das nur um den Titel zu bekommen, später die geile Stelle und weil ich viel Kohle verdienen will. Wenn du die wenigen Gedanken, die ich zu 678 Seiten ausgewellt habe, brauchst, dann gehen wir ein Bier trinken und ich erzähle dir die dürftige Substanz dieser Doktorarbeit in 5 Minuten…»

Nein, solches meine ich nicht, ich bin ein Fan von Inhaltsverzeichnissen in Romanen. Wann sind die ausgestorben? Und warum sind die ausgestorben?
Ich liebte als Kind die Verzeichnisse von Büchern, die wie folgt aussahen:

Das erste Kapitel
…in dem der Held geboren wird und sich gleich darüber wundert, in dem er in die Welt (also aus dem Wald aufbricht) und einem Fuchs folgt.
Das zweite Kapitel
…in dem der Fuchs sich wundert, dass so viel Wald auf der Welt ist und sich zähmen lässt.
Das dritte Kapitel
…in dem eine neue Figur auftaucht und wieder verschwindet, der Held den Fuchs tötet und den Schatz nimmt.

Das ist doch wundervoll.
Ich werde eine Bewegung ins Leben rufen, die sich um die Rettung der Inhaltsverzeichnisse kümmert. Sie wird Demonstrationen und Kundgebungen organisieren und schliesslich ein Gesetz durchsetzen, das Belletristik ohne Inhaltsverzeichnisse verbietet.
Und als meinen Beitrag werde ich alle meine 1171 Posts (ja, ja, ja, so viele sind es schon) in einem grossen Verzeichnis im Stil des 19. Jahrhundert ordnen:

Der erste Post
…in dem der Autor schildert, warum er den Nobelpreis noch nicht hat, und wie er ihn erlangen könnte.
Der zweite Post
…in dem der Autor sagt, warum er keinen Dönerpass will und schwarz mit der Schwebebahn fährt.
Der dritte Post
…in dem der Autor meint, dass die Jugend früher auch nicht intellektueller war als die heute.

In diesem Sinne: Einen schönen Tag. Und unterzeichnen Sie unter

www.rettet-das-inhaltsverzeichnis.com