Freitag, 29. März 2013

Blutgeld auf Zypern

Wir alle kennen die Geschichte: Der V-Mann bekommt ein schlechtes Gewissen, bringt sein Honorar zurück und nimmt sich das Leben. Die Kirchenleitung steht nun vor dem Problem, dass man die Summe nicht einfach wieder in den Opferstock stecken kann und sie kommen auf eine Lösung. Eine Immobilie, ein Grundstück wird gekauft, um das Geld zu säubern, denn es ist Blutgeld. Leider funktioniert die Waschaktion nicht, denn einige Jahre später schreiben die Publizisten Marco und Luke immer noch: Bis heute nennen die Leute das Grundstück Blutacker.
Hier setzt nun die Fortsetzung ein, die allerdings theologisch umstritten, apokryph ist und eher ins Gebiet der Legenden gehört. 50 Jahre nach der Eliminierung des Ketzers startet Gogas, ein Enkel des Kaiphas in Askalon mit einem Boot. Im Gepäck hat er den Verkaufserlös des Ackers und den Auftrag, ihn irgendwo anzulegen. Nach stürmischer Überfahrt landet Gogas nach zwei Wochen - na, wo wohl? - auf Zypern. Dort kauft er einen kleinen Bauernhof, setzt einen Pächter ein, der nun jedes Jahr seinen Überschuss nach Jerusalem schickt. Dort kommt das Geld direkt dem Tempel zugute. Gogas fährt wieder heim, offiziell ist er einen Monat siech auf seinem Lager gelegen.
Fysius, der Pächter, der rechtschaffen und sauber arbeitet, fragt sich zwar manchmal, wieso jemand in fernen Landen eine Farm kauft, aber er hat zu viel zu tun, um sich ständig Gedanken zu machen. Das Problem setzt ein, als ein Jahr später wieder ein Mann erscheint, dieses Mal ein Germane. Er heisst Hubuaker und baut eine Töpferei. Zehn Männer können dort arbeiten. Anscheinend hat sich die Insel als Anlage für Blut-, Schweiss- und Tränengeld herumgesprochen.
Nach hundert Jahren ist die Insel ein für damalige Zeiten blühendes Wirtschaftswunderland: Bauernhöfe, Töpfereien, Bergwerke, Manufakturen. Alle haben Arbeit und Brot, man leistet sich Theater, Thermen, Wasserleitungen und Bordelle. Immer wieder erscheinen Boten und holen den Gewinn ab, und man fragt eben nicht so genau, wo das Geld hingeht.
So die Legende.
Die Frage ist nun: Wer ist der Böse in der Geschichte? Kaiphas? Gogas? Fysius? Hubuaker? Die Töpfer? Die Obrigkeit von Zypern?
Es ist so leicht, die Zyprioten als kriminelle Geldwäscher zu sehen. Vor zehn Jahren wurde in Freiburg i.Br. eine Jugendstilvilla verkauft. Mit im Spiel waren eine renommierte Anwaltskanzlei in London, eine genauso angesehene in Berlin und die Freiburger Sparkasse. Der Käufer, ein Russenoligarch, bezahlte die 2000000.- in bar. - Die Story ist wahr, ehrlich! - Niemals, niemals, in keiner Zeitung, in keinem Lokalsender wurde hier das hässliche Wort Geldwäsche in den Mund genommen. Also fassen wir uns doch alle mal an die eigene Nase.
Was hätten aber Kaiphas und seine Leute mit den fünfzig Silberlingen anfangen sollen? Klare Antwort: Es den Armen geben. Ich glaube, einem Verhungernden in Jerusalem wäre es egal gewesen, ob sein Brot aus dem Judaslohn bezahlt wurde.

Montag, 25. März 2013

Welcher Klopapiertyp sind Sie?

Ich brauchte neulich diverse Sachen für den Haushalt und begab mich in ein grosses Einkaufszentrum. Im ersten Stock entdeckte ich den HYG-SHOP, einen Spezialladen für Papier und Textilien, die man für Reinigung und Hygiene braucht. Ich ging hinein und wollte mir gerade eine grosse Packung Klopapier aus dem Regal nehmen, als ein Verkäufer auf mich zu kam. "Sie wissen, was Sie wollen, oder benötigen Sie Beratung?" Ich antwortete, ich bräuchte einfach WC-Papier. "Haben Sie sich das ganze Sortiment angesehen?", so der Angestellte, "wir haben nämlich 15 Papiersorten, zwei-, drei- und fünflagig, dazu ca. 70 verschiedene Duftnoten, wir haben laktosefreies, diätetisches und allergiearmes Papier, wir haben Papier, das mit dem Mond-, dem Merkur- und dem Majakalender harmoniert." So genau komme es nicht darauf an, so ich, es ginge einfach um Klopapier, ich hätte normalerweise gern einen sauberen Allerwertesten.  Der Verkäufer lachte: "Aber unsere Ware macht Sie doch nicht einfach sauber! Unsere Tissue macht Sie glücklich, je nach Verarbeitung und Duft belebt, beruhigt, erfrischt und verklärt Sie. Das Reinigen - auch der entfernteren Körperregionen -  hat eine psychologische, ja eine spirituelle Dimension. Vielleicht machen Sie erst einmal einen Test, welcher WC-Papier-Typ Sie sind. Wir bieten auch spezielle Seminare an, wo Sie die richtige Reinigung neu lernen und erleben können..."
Ich liess ihn stehen und ging in den Denner.
Auf der Heimfahrt musste ich nochmals über den Heini nachdenken und kam darauf, dass er - so verrückt er mir erschien - voll im Trend liegt. Ist nicht inzwischen alles, aber auch alles zum Event geworden? Früher benutzten wir Seife zum Waschen und NIVEA für die Haut, heute werden wir vom Duschgel (Limone und Mango) geweckt und aufgemuntert und von Bodylotion (Rosenblätter und Kakao) umschmeichelt und bezärtelt, kein Wunder, dass wir Stunden im Bad brauchen. Geschwind einen Kaffee? Nicht mehr möglich. Röstung? Grösse? Brühung? Coffee factory und Starbucks sind ja nicht einfach Heissbrühebuden, sie sind religiöse Orte, sie sind Tempel, Logen, Kraftorte.
Kein Werber kann mehr nur argumentieren, dass sein Produkt seinen eigentlichen Zweck erfüllt, z.B. saubererer Fussboden, sein Produkt muss glücklich machen und mit Schulterklappen versehen marschiert die Hausfrau mit strahlendem, erlöstem Blick zu den Klängen von Stars and Stripes durch die Wohnung.
Wir haben ja Karwoche und ich finde die Rituale (Zweiglein ans Kreuz stecken, Osterfeuer, Besprengen mit dem Osterwasser, Eucharistie) für mich immer noch wichtig, sie geben mir inneren Frieden. Viele halten mich deshalb für schwachsinnig, begreifen aber nicht, dass sie die kirchlichen nur durch andere Rituale ersetzt haben: Nippsachen in die Wohnung, Grillzeit, Besprengen mit BOSS-Aftershave, Schokopraline in den Mund.
Zuhause stellte ich übrigens fest, dass ich gerade das Klopapier vergessen hatte. Ich nahm mein Gruppenbild mit Dame zur Hand und begann nun endlich ernsthaft den dort beschriebenen Papierlosen Zustand zu erreichen.

Freitag, 22. März 2013

Wir sind alle kleine Egozentrikerlein


Als ich 1982 ans Stuttgarter Musikgymnasium wechselte, musste ich mich in der für mich neuen Szene der Stuttgarter Künstler, alle ihre Kinder gingen ja dort hin, die kleine Rilling und der Nachwuchs vom Südfunkchor (heute SWR-Vokalensemble), erst zurecht finden. So fragt ich einen jungen Musiker, ob die Pianistin, die den gleichen Namen wie er trug, seine Mutter sei. Seine Antwort kam schnell und pampig: „Die Frage ist nicht dein Ernst, oder?“ Auf Deutsch: Wir sind doch so bekannt, dass es jeder weiss. Egozentrik. –
Am Stuttgarter Hauptbahnhof wurde ich Zeuge einer Szene, in der eine alte Frau am Schalter eine Rückfahrkarte nach Murrhardt verlangte und sich nach Erhalt dieser über den Fahrpreis wunderte. Es stellte sich heraus, dass sie eine einfache Fahrt wollte, weil sie sich auf der Rückfahrt ins Murrtal befand. „Abr ii faar doch zrigg nach Murrhardt, ii wohn doch en Murrhardt!“, lamentierte sie laut. Aber wie hätte das Bahnbeamte herausfinden sollen? Egozentrik.
Nun bin ich neulich selber in die Egozentrikfalle getappt: Ich kam um 11.30 in Mainz an und benötigte eine Reservierung, für den Folgetag um 12.45. Als diese ausgestellt war, äusserte ich die Hoffnung, der Zug möge pünktlich sein. Zu meiner Verwunderung sagte die Dame am Schalter: „Kann ich nachsehen, wo der ICE gerade ist.“ Denn natürlich hatte sie für den gleichen Tag gebucht, ich hatte ihr nichts anderes gesagt, ich war einfach davon ausgegangen, sie WISSE, dass ich gerade angekommen sei. Aber wie soll sie darauf kommen? Ich trug ja kein Schild um den Hals: „Just arrived in Mainz“.
Wir alle, Sie und ich und Otto Normalverbraucher, sind kleine Egozentriker.
Wir sind erschüttert, dass der Arbeitskollege vergessen hat, wohin wir in Urlaub fahren, wir haben es ihm doch gestern gesagt. Dabei gehen wir davon aus, dass er von den ca. 2000 Informationen, die er täglich erhält, gerade diese nicht löscht. Aber warum sollte er? Die Ferien sind für UNS bedeutsam, nicht für ihn! Im Gegenteil, die Nachricht, dass der Bürokollege nach Mallorca fliegt, macht ihn weder glücklicher, noch weiser , noch reicher, er hat keinen persönlichen Nutzen davon. Also merkt er sich die Dinge, bei denen ein Nutzen für ihn herausspringt. (Aktionswoche bei ALDI – alle Konserven mit Pferdefleisch zum halben Preis)
Wir sind erschüttert, dass der Mitreisende unsere Probleme nicht hören will. Dabei ist weder ein enger Freund noch ein Therapeut, nur ein Mensch, der zufällig im Bus uns gegenübersitzt. Wäre er ein enger Freund, würde er natürlich zuhören, und dann sagen, dass er auch keinen Rat weiss. Wäre er Therapeut, würde er uns Gehör schenken, dann einen Rat geben und eine Rechnung überreichen.
Wir aber denken, wir können unseren Müll überall abladen, statt nur bei Leuten, die dafür zuständig sind: Menschen, die uns mögen oder die wir dafür bezahlen.
Also gehen wir doch einfach davon aus: Der Mitmensch weiss ganz wenig von uns und manchmal will er es auch gar nicht wissen.
Die Pianistin WAR übrigens seine Mutter. Ich nenne keinen Namen, aber kleiner Tipp: Er ist heute Konzertmeister eines Spitzenorchesters nicht weit von Basel.
Und ich traf mich erst einmal mit einem Insider, um die Gesamtheit der Verflechtung der Stuttgarter Musikerszene zu erfahren.
Und noch eine nette Geschichte zum Schluss: Ein Freund bereiste Australien und kam in einem Restaurant mit einer Dame ins Gespräch. Irgendwann sagte er : "I love your accent." Sie konterte pikiert: "I was born here! I have no accent!"

 

 

 

Dienstag, 19. März 2013

Basel liegt am Rhein, Herr Capus!!!


In seinem sonst absolut entzückenden Bändchen Der König von Olten schreibt Alex Capus einen ungeheuerlichen Satz. Er habe, so der Autor, seinem Sohn versprochen, in einem Boot  die Aare hinunter bis zur Nordsee zu fahren, und er werde das jetzt auch bald tun, denn nicht der Rhein, die Aare fliesse bei Rotterdam ins Meer.
Werter Herr Capus!
So geht das nun wirklich nicht. Natürlich haben Sie rein topographisch-geologisch Recht: Die Aare ist beim Zusammenfluss eindeutig breiter als der Rhein. Aber wollen Sie alles umbenennen? Haben wir dann Aareland-Pfalz und Nordaare-Westfalen? Haben wir dann Aarehessen und liegen Eltville und Rüdesheim künftig im Aaregau? Ja, wird alles Rheinische, die Fröhlichkeit und der Karneval , die Rheinische Sinfonie und die Rheinische Gotik, künftig zum Aarischen, was ja ein etwas problematisches Wort ist? Und denken Sie mal an alle die Lieder und Gedichte:

Z‘ Basel an dr Aare,
jo, do isch es Waare
                            
Vo Schönebuech bis Ammel, vom Belche bis zur Aare
Liegt frei und schön das Ländli, wo mir so viel erfaare

Lieb‘ Vaterland: Ruhe bewahre!
Fest steht und treu die Wacht an der Aare.

Nein, das können und wollen wir nicht alles umtexten, zumal der Rhein einen grossen Vorteil hat: Er reimt sich auf „Wein“, so wie sich Herz auf Schmerz und Triebe auf Liebe reimt. Gut, nördlich von Köln beginnt ja nach Böll der Schnapstrinkerrhein  ( bis Koblenz geht der Weintrinkerrhein). Und wenn man sich von Bier und Schnaps ernährt, dann reimt sich „Aare“ wieder auf „Klare“.
Auch die Loreley wäre zufrieden:

Das Mädchen, das wunderbare
Kämmt sich die goldenen Haare
Und unten fliesset die Aare

Und die Holländer müssten auch nicht von „Rhein“ zu „Rijn“ umschreiben, „Aare“ sieht schon verdammt niederländisch aus.
Aber trotzdem, werter Herr Capus, es ist zu umständlich! Und Basel lag immer am Rhein, liegt am Rhein und wird immer am Rhein liegen, auch wenn bei der Nomenklatur ein wenig gemogelt worden ist…

Donnerstag, 14. März 2013

Habemus Papam oder: Warum haben Kardinäle kein Sitzfleisch?

Ich weiss nicht, ob man da eine gute Wahl getroffen hat...
Ich meine, Papsttum hat doch etwas mit Prunk und Glanz zu tun, mit Schmuck und Glorie, da brauchen wir doch Gold auf dem Kopf und auf den Gewändern, Brokat auf dem Heiligen Stuhl und Silber in den Baldachinen.
Aber der neue Chef gilt ja als bescheiden und volksnah. Er soll ja aus dem Palast ausgezogen sein und in einer kleinen Wohnung hausen, ja, und er kocht. Wo gibt es denn so was? Ein Geweihter zwischen Pfannen und Löffeln, Hochwürden zwischen Reibe und Käse?
Ein Koch kann ja Kardinal sein, aber ein Kardinal Koch? Abgesehen davon, dass hier Arbeitsplätze von Haushälterinnen vernichtet werden, das ist ja immer noch ein begehrter Frauenberuf, Frauen wollen ja hinter den Herd, und sie dienen auch gerne und vor allem einer höheren Instanz. Insofern ist ein selbstkochender Geistlicher da kontraproduktiv. Und man weiss ja auch gar nicht, was Jorge sich ins Essen mischt, wahrscheinlich südamerikanische Gewürze wie Pfeffer und Chili, scharfe Dinge, die eines tun, was eigentlich verhindert werden soll: Sie fördern Lust und Sinnlichkeit, deshalb kocht man ja bei uns in Priesterseminaren vor allem Kohl, der dämpft die Sinne.
Und dann der Name: Franziskus, hat der sich doch tatsächlich nach dem Frühhippie benannt, einem Erbschaftsausschlager, einem Konsumverweigerer, einem Wirtschaftsschädling, einem Armutsspinner, der ohne Geld herumzog und schräge Lieder schrieb ("Ich preise dich, Bruder Feuer" und so), einem Bob Dylan des Mittelalters, einem Kerouac des 13. Jahrhunderts, einem, der das Bruttosozialprodukt sicher nicht gefördert hat. Franz von Assisi vertrat ja die Ansicht, dass Besitz nicht wichtig sei... Ich bitte Sie, was ist denn wichtig in dieser Welt, wenn nicht meine Nike-Schuhe und meine ADIDAS-Tasche?
Die Fehlentscheidung kann ich nur auf eines zurückführen: Die Kardinäle haben kein Sitzfleisch mehr. Früher konnten die locker mal ein Jahr konklaven, und jetzt kommt nach zwei Tagen der weisse Rauch aus der Sixtischen Kapelle! Die sollten sich mal ein Beispiel an den deutschen Beamten nehmen, die haben Sitzfleisch. Stecken sie 100 Beamte in ein Haus, sagen sie ihnen, dass für Essen und Trinken gesorgt sei, dass sie keine normale Arbeit machen müssten, sie aber erst raus kämen, wenn sie in Mehrheit eine Entscheidung getroffen hätten. Die kommen da nie mehr raus, die sterben da drin! Oder den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn: Wenn Sie die in ein Konklave zu S21 stecken, wird vor 2045 keine Kostenansage kommen, die haben Sitzfleisch. Aber die Kurie? Husch, husch, ins Konklave und übermorgen husch, husch, wieder raus. Und dann hat man so einen Sozialpapst wie Jorge.
Das Gute ist wenigstens, dass er in moraltheologischen Fragen konservativ denkt. Sonst müsste man ja das Schlimmste befürchten. Oder wollen Sie wirklich eine lesbische Priesterin am Altar?

Also dann: HABEMUS PAPAM

Dienstag, 12. März 2013

Elektronische Fussfessel für Schriftsteller


Hohler hat es getan.
Capus hat es getan.
Genazino hat es getan.
Sie sind spazieren gegangen.
Und haben uns mit Spaziergänge, mit Der König von Olten und mit Tarzan am Main drei reizende Bändchen voll liebevoller und witziger Miniaturen hingelegt, in denen man eine Menge neuer Dinge über Zürich, Olten und Frankfurt erfährt. Ich habe sie mit grossem Genuss  gelesen.
Aber nun ist gut!
Ich befürchte nämlich, dass, wenn man der Sache nicht Einhalt gebietet, wir von einer Welle von Spaziergängen überschwappt werden. Sie glauben mir nicht? Sehen Sie: Vor etlichen Jahren fingen einige deutschsprachige Autoren an, angeregt durch Wallander und Leon, Krimis zu schreiben, die in einer bestimmten Stadt spielten und den Lokalkolorit aufsaugten. Diese Lokalkolorit-Krimis wurden zu einem nicht mehr zu stoppenden Phänomen. Ich war in den letzten Jahren viel in Deutschland unterwegs und habe die Kontrolle gemacht: An keinem Ort lag nicht ein irgendwie gearteter Ortskrimi herum: Ich fand den Trier-Krimi, den Wuppertal-Krimi, den Stuttgart-Krimi, den Wismar-Krimi, ja selbst an Orten, die völlig farblos, monoton und eintönig sind, wie Pforzheim, Bottrop, Wanne-Eickel und Idar-Oberstein, versprach der Klappentext eine Story mit Lokalkolorit. Und das heisst ja nun eigentlich, Farbe, Färbung einer Stadt.
Jetzt droht nach der Krimiwelle die Spaziergangswelle. Hunderte, Tausende von Schriftstellern werden sich aufmachen und uns auf Touren durch ihre Wohnorte mitnehmen. Wollen wir das? Nein, das wollen wir natürlich nicht. Ich kann einen Kriminalroman, der in Bottrop spielt, noch ertragen, wenn der Plot gut ist, aber ich möchte da keine Spaziergänge machen. Ich möchte von keinem Dichter, und sei er Büchner- UND Friedenspreisträger, durch eine der verunglückten 60er-Wiederaufbau-Städte geführt werden. Schreiber, erspart uns die Wanderungen durch Erlangen und Giessen!
Aber das werden sie nicht tun. Gestern Abend, ich stand mit einem Aperitif am Fenster, sah ich sie in der Dämmerung umher schleichen, mit gezückten Stiften und aufgeklappten Notebooks, sich unbeobachtet glaubend, spazierten sie herum.
Jetzt muss der Gesetzgeber einschreiten: Dichter sollen dichten und nicht herumlaufen. Schriftsteller sollen schriftstellern und nicht spazieren gehen. Wir brauchen die elektronische Fussfessel für Autoren! Gänge zum Amt, zum Arzt, zur Post sollen natürlich erlaubt sein, gut, meinetwegen noch in den Supermarkt, es gibt ja immer mehr Schreiberlinge, die ständig essen, früher gehörte der ertragene Hunger zum wichtigen Element eines Künstlerlebens, aber gut, ALDI und LIDL erlauben wir auch noch, aber wenn der Schriftsteller irgendwie vom Weg abkommt, geht sofort ein Alarm los. 
Und dann muss er wieder nach Hause! 
Und sollte dort vielleicht erst einmal Hohler, Capus und Genazino lesen, und sich überlegen, ob er das so gekonnt hinkriegt…

Freitag, 8. März 2013

Die Stunde des Hörers


Hallo zusammen, willkommen zu Wie geht es dir?, der Stunde für eure Sorgen und Probleme. Am Mikrofon ist Rick Rickson. Und erst einmal etwas fröhliche, aufbauende Musik:

I SEE A RED DOOR AND I WANT TO PAINT IT BLACK.
NO COLOURS ANYMORE, I WANT TO PAINT IT BLACK…(ausgeblendet)

Nicht ganz das, was wir jetzt brauchen, aber da ist schon die erste Hörerin am Telefon, die Rita. Rita, was ist dein Anliegen?
Ich fühle mich oft so müde.
Tja, Rita, kann es daran liegen, dass du müde BIST?
Na ja, vielleicht schon.
Du, da gibt es ein Supermittel: Schlafen. Mach doch heute Nachmittag ein Powernap, 15 Minuten, wirkt Wunder.
Oh, vielen Dank!
Keine Ursache; und nun wieder heitere Musik:

I’VE BEEN FOLLOWED BY A MOON SHADOW , MOON SHADOW, MOON SHADOW
LEAPIN' AND HOPPIN ON A MOON SHADOW, MOON SHADOW, MOON SHADOW…(ausgeblendet)

Auch etwas zu depressiv, aber jetzt ist Holgi am Apparat. Holgi, dein Problem?
Ich fühle mich überfordert.
Tja, Holgi, kann es daran liegen, dass du überfordert BIST? Was machst du denn so?
Hm, ich bin Prokurist in einem mittelständischen Unternehmen, habe 5 Kinder und mache noch sehr viel ehrenamtlich.
Holgi, das ist verdammt viel,  gib unbedingt etwas ab. Sag den Leuten: Was würdet ihr unternehmen, wenn ich zusammenklappe? So, und dann macht ihr das jetzt und nicht nach dem Burnout.
Meinst du? Ok, ich probiere es.
Das war Holgi. Und wir spielen Musik zum Glücklichsein:

NO ONE KNOWS, WHAT IT’S LIKE
TO BE THE BAD MAN, TO BE THE SAD MAN
BEHIND BLUE EYES…(ausgeblendet)

 Irgendwie klappt das heute nicht mit der Musik. Nun ist  Minna in der Leitung. Minna, deine Sorge?
Ich fühle mich alt.
Tja, Minna kann es daran liegen, dass du alt BIST?


Aufgelegt, und.. oh, ein Anruf intern. Hallo?
Hier ist Heinz, dein Musikredakteur, hab Scheisse gebaut heute, nich?
Allerdings, das hast du.
Ja, das tut mir ganz arg leid, und ich mache das nächstes Mal besser.
OK.
Einfach OK?
Wieso nicht? Du hast den Fehler eingesehen, sagst, du machst es besser und hast dich entschuldigt. Was soll ich da noch rumzicken? Ausserdem ein Beispiel für unsere Hörer zum Thema Konfliktlösung. So, das war es für heute. Auch morgen wieder reinhören bei Wie geht es dir?

Dienstag, 5. März 2013

Ehret die Clowns und das Testosteron


Ich muss heute einmal etwas klarstellen, was in den letzten Tagen für Unmut und Verwirrung gesorgt hat: Berlusconi ist KEIN Clown mit zu viel Testosteron. Hier wird Unrecht getan. Nein, nicht dem guten Silvio, den Clowns!
Clown zu sein ist eine ehrenwerte, sinnvolle, ernsthafte, fast philosophische Sache.
Schauen Sie sich doch einmal Auftritte des Königs des Spassmacher, von Grock an. Wie viel Wehmut, wie viel Intelligenz, wie viel Charme lag in den Auftritten des Akrobaaat schööööööööööön! Nicht umsonst verlangt die berühmte Zirkusschule in Moskau für die Clownausbildung ein höheres Eintrittsalter als für die Trapezkünstler und Zauberer. Clowns gehen in Spitäler, wo sie sich um kranke Kinder kümmern und sie aufheitern; und die Clownin Gardi Hutter gibt Seminare, wo man den „Clown in sich“ entdecken kann. Clown sein erfordert eine gefestigte Existenz und ein seelisches Gleichgewicht. Als Hans Schnier, der Clown mit den Ansichten – hat jemand wirklich geglaubt, ich liesse den unerwähnt? - von Marie verlassen wird, kippt er ins Lächerliche, fängt an zu trinken und ist kein guter Clown mehr.
Aber auch dem Testosteron wird mit so einer Bemerkung übles Unrecht zugefügt.
Ich bin dankbar, dass ich einen kräftigen, guten Pegel dieses Hormons habe. Nee, nicht, was Sie wieder denken. Das Männerhormon beschert uns viele schöne Dinge. Jetzt kommen Sie doch mal weg von der pubertären Schiene! Ohne Testosteron hätte ich zum Beispiel keinen Schnauz, und ich würde immer noch Sopran singen, mein Körper wäre anders gebaut, ich wäre einfach kein Mann. Natürlich bewirkt es auch eine Libido, aber Männer, die immer nur das eine denken und auch tun, haben nicht zu viel Testosteron, sondern sie haben nichts in der Hirnschale. Es ist ja nicht so, dass ein Hormon direkt die Hände steuert. Man kann, obwohl die Substanz „im Blut Blasen wirft“ (Wir sind Helden), seine Grabscher bei sich lassen. Man kann nachdenken und sich fragen: Ist es OK, wenn ich mein Gegenüber jetzt zwanzig Minuten anstarre? Ist es OK, wenn ich der Mitarbeiterin kräftig an den Po fasse? Ist jetzt ein saftiger Anmachspruch in Ordnung, oder kommt der nicht gut an?
Ehret das Testosteron, es kann nichts für sexual harassment und Übergriffe.
Berlusconi ist KEIN Clown und er hat nicht ZU VIEL vom Männerhormon.
Er ist vielleicht eine Witzfigur, eine Lachnummer, eine Tragikomödie, ein Hampelmann, und er ist vielleicht jemand, dessen Augen zu oft in Ausschnitten und dessen Hände zu oft an Hintern sind, aber er hat auch nicht mehr Hormone als du und ich.
Denn wenn es so wäre, und wenn Zirkusvergleiche angebracht wären, dann wäre Steinbrück ein
MESSERWERFER MIT ZU VIEL ADRENALIN, womit wir wieder Unrecht täten, den Messerwerfern und dem anderen Hormon…