Freitag, 30. Dezember 2022

Wer war Silvester?

Liebe Leserin, lieber Leser

Obwohl die meisten von Ihnen vielleicht nicht an Heilige glauben, sind doch die Tage, die nach Heiligen benannt sind, in Ihrer aller Munde.
Da ist der Dreikönigstag, an dem die Basler kleine Figürchen in komischen Kuchen suchen, während die Deutschen von Norden über die Grenze schwappen und die Läden besetzen – Sie haben Feiertag. Da ist der Valentinstag, an dem wir uns Blumen schenken und feiern, dass unsere Ehe, unsere Beziehung, unsere Kiste wieder einmal die Weihnachtszeit überlebt hat.
Da ist Johannistag, an dem alle ein wenig spinnen, vorher kommen die Eisheiligen und später irgendwann der Nikolaustag. Und die Barbara, an der man ein wenig ballert.
St. Martin, wir haben St. Martin vergessen, der spielt natürlich in einer veganen Welt keine so grosse Rolle mehr…

Alle diese heiligen Frauen und Männer haben hoffentlich dies gemeinsam: Sie waren Vorbilder im Glauben, fromm, karitativ und bedeutsam. Meistens stimmt dies ja auch, man denke nur an den Martin, der seinen Mantel zerschneidet oder Nikolaus, der Buben zum Leben erweckt, die sogar schon eingepökelt waren.

Wer war aber nun der Hl. Silvester?
Silvester, dessen Tag wir morgen feiern?
Wikipedia sagt uns dies:

Silvester I. (* vor 300; † 31. Dezember 335 in Rom) war von 314 bis zu seinem Tod Bischof von Rom und damit aus katholischer Perspektive Papst. Er erfuhr durch die, später als Fälschung klassifizierte, konstantinische Schenkung eine kirchengeschichtliche Überhöhung seiner Person, die bis in die Gegenwart wirkt.

Das klingt nicht so gut, gell?
Silvester ist (oder war) also kein mantelteilender oder bubenerweckender Gutmensch, auch kein Eremit oder Bettler, er segnete keine Vögel und predigte keinen Fischen, er war – man muss das knallhart sagen – ein Faker. Die Urkunde, die ihm die geistliche (und eben auch weltliche, und eben auch weltliche, und eben auch weltliche) Macht über Rom und die geistliche (und eben auch weltliche, und eben auch weltliche) Macht über den westlichen Teil des Römischen Reiches und auch die geistliche (und eben auch weltliche) Macht über das Erdenrund sichert, eben jenes Constitutum Constantini ist eine Fälschung.

Kleiner Exkurs: Wie hat man den sehr bald aufkeimenden Verdacht, die C. C. sei ein Fake, am Anfang genannt?
Genau: Eine Verschwörungstheorie.
Was ja nicht heissen soll, dass alle immer stimmen…

Aber wir waren bei Silvester.
Warum feiern wir morgen seinen Tag und benennen den Jahresausklang nach ihm? Müssten wir ja nicht, wir könnten auch nach anglikanischer-lutherischer-reformierter Sitte «Altjahrsabend» sagen, wie es auch die Niederländer tun («Oudejaarsavond») oder meinetwegen auch «Neujahrsabend» nach angelsächsischer Sitte («New Year´s Eve»).
Warum also Silvester?
Weil er uns drei Dinge lehrt:

Geld und Macht sind wichtig.
Seien wir mal ehrlich: Wer von Ihnen nimmt sich für 2023 vor, ein besserer Mensch zu werden? Die meisten haben «einen Karriere-Schritt nach vorn» in ihre imaginäre Agenda geschrieben, aber de facto heisst das doch: Den Scheissmitbewerber (s.v.v.) Hutter endlich aus der Abteilung mobben, Burkart, dem Chef, hemmungslos in den Arsch (s.v.v.) kriechen und am Ende von 2023 endlich (!!!) die Direktion Westeuropa an Land gezogen haben.

Fakenews gehören zum Menschen
Es ist völliger Quatsch, Fakenews mit aller Macht zu bekämpfen, sie gehören zum Menschsein dazu, seit der Homo erectus sich von den Hinterbeinen erhob, lügt er, fälscht er und dann, wenn er damit niemand schadet, soll er das auch tun dürfen, es wäre doch schlimm, wenn ein angesehener Komponist eine Geldbusse zahlen muss, nur weil er meint, er sei vom Pluto. Oder war er der Mars?

Lass dich nicht erwischen
Das Constitutum Constantini wäre so schön gewesen, wenn es nicht herausgekommen wäre. Also lassen Sie sich einfach bei Ihren Tricks nicht ertappen – und gut ist…

Obwohl die meisten von Ihnen vielleicht nicht an Heilige glauben, sind doch die Tage, die nach Heiligen benannt sind in Ihrer aller Munde.
Und morgen feiern wir einen Heiligen, der eine eher etwas zwielichtige Gestalt ist. Wurscht, die muss es auch geben.

In diesem Sinne:
EINEN GUTEN RUTSCH!

P.S. Karlheinz kam natürlich vom Sirius – oder meinte, er komme.

   

 

 

 

 

Dienstag, 27. Dezember 2022

Keine Vorsätze mehr

 
Nun ist Weihnachten 2022 ja auch schon wieder Geschichte. Und Sylvester naht und damit das Neue Jahr und damit die Zeit der guten Vorsätze. Ich habe mich schon etliche Male mit den Vorsätzen beschäftigt, aber doch schon lange nicht mehr.
2015 schrieb ich einen Post «Guter Vorsatz für 2015: Weniger Schraipfehler»
2016 gab es zwei Posts «Gutvorsatz», in dem einen schlug ich vor, Leute zu fragen, die sich auskennen, im anderen, absurde Traditionen zu pflegen…
2017 gab es dann eine Tetralogie:
«Guter Vorsatz 1: Mehr Lügen»
«Guter Vorsatz 2: Weniger «Nachgoogeln»»
«Guter Vorsatz 3 (für den deutschen Einzelhandel): MEHR WECHSELGELD»
«Guter Vorsatz 4: Gute Vorsätze für andere»

Aber dieses Jahr ist alles anders. Ich finde keine Vorsätze mehr. Nee, in echt, mir sind die Dinger ausgegangen.

Bei vielen Leuten ist das Gewicht und eine Diät das grosse Thema. Ich habe 1995 extrem abgenommen und pendele seither zwischen «ein wenig unter Idealgewicht» und «ein wenig über Normalgewicht» (den BMI halte ich für eine perverse Erfindung einer schlimmen Neuzeit…). Abnehmen in bewusstem Stil ist also kein Ziel, das ich anstrebe.

Mehr Sport?
Ich gehe jeden Tag schwimmen, sofern mir nichts dazwischenkommt, jeden Tag 500 Meter Brust, oder wenn ich nicht zähle, sondern auf die Uhr schaue 17 Minuten. Natürlich könnte man noch Laufen, Velofahren und Krafttraining dazunehmen, aber ich mache das für die Gesundheit und nicht, um den Iron Man zu gewinnen (oder wenigstens daran teilzunehmen…)

Rauchen?
Das wohl am häufigsten genannte Ziel, wenn es um Vorsätze geht. Von wie vielen Leuten hat man das schon gehört, im neuen Jahr rauche ich nicht mehr, oder zumindest weniger, oder vielleicht nur am Wochenende. Ich habe Ende 2020 mit dem Rauchen aufgehört. Und es war gar nicht so schwer, wie man es sich vorgestellt hatte.

Alkohol?
Auch weniger Alkohol trinken könnte ein guter Vorsatz sein, den Alkohol habe ich im März 2021 auf die Seite getan.

Und jetzt sind mir die Vorsätze ausgegangen.
Aber hier hilft ja immer googeln, einmal «Gute Vorsätze für 2023» eingeben und schon wird man fündig:

Das Land verlassen, an einen Ort Urlaub machen, den Du noch nie besucht haben
In die Oper/ ins Ballett gehen
Sich für andere Engagieren bzw. ...
Beim Rausgehen das Smartphone daheim liegen lassen
Nebenbei Geld verdienen, durch einen eigenen Blog/ Internetauftritt (ich kann helfen, schreibe mir)

Das war wirklich im Netz.
Brauchbare Vorsätze für das Neue Jahr?
Wohl kaum, schon der erste Satz ist ziemlich doof. Ein unbekannter Ort ist etwas sehr, sehr, sehr Schönes. Nur meistens finden sich diese Orte ja gerade in der nächsten Umgebung. Man muss nicht das Land, ja, meistens muss man nicht einmal die Stadt verlassen. Wir haben zum Beispiel 100 Meter von uns einen wunderherrlichen kleinen Park entdeckt, in dem 80% unserer Bekannten noch nie waren, und Basel ist jetzt nicht eine so grosse Stadt…
In die Oper gehen ist nun auch nichts so Neues für mich, gerade habe ich die letzten Karten für den Stuttgarter «Ring» ergattert. Und für andere engagieren? Nun, das ist so allgemein formuliert, dass es immer passt. Und was meint der Schreiber oder die Schreiberin mit «bzw…»? Das bleibt ja sehr im Dunklen.
Das Smartphone daheimlassen: Eine tolle Idee, aber frommer Wunsch. Ich habe auf Spaziergängen nichts dabei – ausser meinem Smartphone, denn es ist nicht nur mein GA, wenn wir doch den ÖV heimwärts nehmen, es ist auch mein Fotoapparat, wenn ich zum Beispiel «L´Aube» aufnehme, die Skulptur in jenem Park, den niemand kennt.
Aber jetzt kommt der Hammer:
Ein eigener Blog. Und der oder die Gute will helfen. Jemand, der «das Land verlassen, an einen (!) Ort Urlaub machen, den du noch nie besucht haben (!)» schreibt, will beim Texten helfen. Gute Nacht, o Wesen, dieser jemand braucht nicht einen, er braucht alle vier Erzengel und wahrscheinlich noch sechs unbekannte dazu…

Ich habe mich schon etliche Male mit den Vorsätzen beschäftigt, aber doch schon lange nicht mehr.
Doch dieses Jahr ist alles anders. Ich finde keine Vorsätze mehr. Nee, in echt, mir sind die Dinger ausgegangen.

Und so muss ich 2023 wegen guter Führung ohne nennenswerte Vorsätze auskommen.





 

 

 

 

 

 


Freitag, 23. Dezember 2022

Alles verpackt?

Liebe Leserin, lieber Leser

Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest.
Haben Sie denn schon alle Geschenke eingekauft?
Ja? Gut.
Aber haben Sie diese auch schon verpackt?
Nein? Dann mal los.
Denn die Verpackung ist ja entscheidend.

Sie können ein ausgesuchtes, intellektuelles, hochwertiges, liebevolles und grossartiges Geschenk machen, wenn sie es in zerknittertem Papier und gewurschteltem Bändchen servieren, dann verliert der oder die Beschenkte schon beim Auspacken die Lust.
Sie können umgekehrt ein 0815-, unintellektuelles, minderwertiges, liebloses und naja-Geschenk absolut aufpeppen, wenn sie es in teures Seidenpapier wickeln und mit Goldbändel umfloren, wird es zur Jahrhundertgabe.

Überhaupt ist unsere Zeit ja eine Zeit der Verpackungen.
Wenn Sie einen Text schreiben und ihn wirklich an die Leute kriegen wollen, dann kommt es normalerweise viel mehr darauf an, wie er aussieht als was er aussagt – die Dienstag-Freitag-Glosse ist hier vielleicht die (rühmliche?) Ausnahme.
Sie haben 7 Kommafehler? Egal, wenn es hübsche und nette Bildchen hat, dann verzeiht man Ihnen eine Interpunktion, die auf dem Niveau der 7. Klasse stehengeblieben ist.
Sie benützen «expressionistisch» für «ausdrucksvoll»? Egal, wenn Sie eine reizende farbige Schrift haben, dann könnten Sie auch «koalieren» und «ejakulieren» verwechseln.
Sie wissen nicht, wann man das berühmte Wort mit einem und wann man es mit zwei S schreibt? Egal, Hauptsache, Sie wissen, wie man den Text mit YouTube verlinkt…

Auch im Bereich der Politik geht es nur noch um den schönen Schein. Hier wird sogar in den Nachrichtensendungen wirklich von «verpacken» geredet, da wird ganz offen gesagt, das Treffen von X und Y sei eigentlich ein totaler Misserfolg gewesen, man habe einen (faulen) Kompromiss, jetzt komme es nur darauf an, wie man diesen (faulen) Kompromiss richtig «verpacke»…

Verpackung also überall, und wenn Sie in den letzten Tagen in ein Warenhaus gegangen sind, dann haben Sie gesehen, welche Orgien an Papier und Schleifchen dort in den Abteilungen gefeiert wurde.

Liebe Leserin, lieber Leser
Haben Sie denn schon alle Geschenke eingekauft?
Ja? Gut.
Aber haben Sie diese auch schon verpackt?
Nein? Ach, Sie lassen gleich verpacken?

Auch gut.
Ich hoffe allerdings, bei Ihnen geht es nicht wie im folgenden Fall:
In Love Actually kauft der Chef einer Werbeagentur (Alan Rickman) seiner Mitarbeiterin (Heike Makatsch) zu Weihnachten eine teure Goldkette. Seine Frau (Emma Thompson) und er trennen sich am Eingang des Warenhauses, und dem ungetreuen Gatten bleibt ca. eine Viertelstunde Zeit, um das Schmuckstück zu erwerben. Dummerweise ist der Verkäufer (Rowan Atkinson = Mr. Bean) ein Fan von aufwändigen, üppigen und kitschigen Verpackungen. Er legt die Kette erst in eine edle Schachtel, diese wird in eine grosse Zellophantüte drapiert und dieses Zellophan mit Tonnen von Dekomaterial gefüllt: Rosenblätter, Zimtstangen, Lavendel etc., etc., etc. Und der arme Werber steht wie auf Nadeln, steht wie auf Kohlen.

Bei uns zuhause gab es am 24. 12. ein Ritual, das aus dem Berlin der 1920er Jahre stammte: Die Geschenke blieben unverpackt und über den Gabentisch wurde eine wunderbar bestickte Brokatdecke gelegt. Nach dem Klang des Glöckchens und dem Singen des Weihnachtsliedes wurde dann die Decke einfach weggenommen.
Das war in den 70er Jahren eigentlich eine unglaublich moderne Sache, man vermied – noch bevor die Begriffe «Littering» und «Umweltverschmutzung» existierten – ein Übermass an Verpackung. Denn wohin mit der Verpackung, egal ob zerknittertes Papier und gewurschteltes Bändchen oder teures Seidenpapier mit Goldbändel? Die Familie Hoppenstedt versucht bei Loriot (in dem Kultsketch Weihnachten bei Hoppenstedts) ja, den Haufen Papier im Treppenhaus zu entsorgen; aber die Sache geht schief, beim Öffnen der Wohnungstür stürzt eine Lawine von Verpackung auf sie nieder – die Nachbarn hatten die gleiche Idee…

Liebe Leserin, lieber Leser
Ein gesegnetes Weihnachtsfest.
Haben Sie denn schon alle Geschenke eingekauft?
Ja? Das ist gut.
Auch schon verpackt?
Nein? Dann hopp, hopp.

Denn die Verpackung ist ja matchentscheidend.

In diesem Sinne: FROHE WEIHNACHTEN







Dienstag, 20. Dezember 2022

Shoppingwahn als Wirtschaftsrettung

Ich habe in den letzten Tagen eine wahre Orgie an Geschenkeinkäufen veranstaltet. An mehreren arbeitsfreien Nachmittagen habe ich folgende Dinge für meinen Partner, aber auch für Vettern und Kusinen, Freunde und Kollegen erstanden:

* «Fleur de Glacier», ein Parfüm des Pariser Duftmachers Jaques Berton, das ausnahmsweise in einem Basler Shop angeboten wurde und das sonst nur in seinem Geschäft an der Place de Concorde verkauft wird, ein frisch-herb-eisiger Duft, der in einem tiefblauen, an Rodin gemahnenden Flacon ruht, bis er zart versprüht wird.
Kostenpunkt: Fr. 118,75

* Ein 12-teiliges Sammelwerk «Highlights Europäischer Galerien», das für den Kunstkenner und Malereiliebhaber einen Gang durch die wichtigsten Sammlungen wie Wien Kunsthistorisches, Rijksmuseum, Städel, Tate Gallery und Louvre (u. a.) bietet. Jeder der zwölf A4-Bände ist aufwändig gestaltet und reich bebildert.
Kostenpunkt: Fr. 372,69

* Einen Schal der Weberei Furrer aus Kattingen, der aus einer wunderbaren Mischung besteht: Wolle des Fjuh-Schafs, das nur in wenigen Exemplaren in den Höhen der Färöer vorkommt und Seide der Kotomaya-Raupe, die nur eine bestimmte Art Bambus verträgt. Designed wurde der Schal in einer Collaboration von Mario Botta und Pippilotti Rist.
Kostenpunkt: Fr. 477,35

* Eine Packung Pralinen von Schlaudmann, dem besten und teuersten Confiseur der Zürcher Bahnhofstrasse, jede Schokokugel einzeln mit Motiven aus der Sixtinischen Kapelle bemalt, gefüllt mit einer Rum-Nuss-Mischung, deren Rezept in einem Safe der UBS aufbewahrt wird.
Kostenpunkt: Fr. 112,--

* Eine einmalige DVD-Edition: Sämtliche Produktionen des Ring, die je gemacht wurden, darunter natürlich alle Ringe vom Grünen Hügel. Spannend ein riesiges Bonusmaterial, das ausser Interviews und Making of auch die Prügeleien und kaputten Frisuren bei der legendären Premiere 1976 zeigt…

Kostenpunkt: Fr. 789,99

Ich komme, wenn ich «Fleur de Glacier», das Museumssammelwerk, den Edelwollseidenschal, die Palastpralinen und die DVD-Kollektion zusammennehme, auf die imposante Summe von 1870,78 Schweizer Franken.

Normalerweise würden bei einem solchen Kaufrausch, bei einer solchen Orgie zwei Dinge gefragt:
Erstens. Wie kannst du dir «Fleur de Glacier», das Museumssammelwerk, den Edelwollseidenschal, die Palastpralinen und die DVD-Kollektion leisten? Hast du im Lotto gewonnen oder eine Bank überfallen? Oder geerbt?
Zweitens: Hast du kein schlechtes Gewissen? Ein schlechtes Gewissen angesichts Hunger und Krieg und Not in der Welt? Du kaufst «Fleur de Glacier», das Museumssammelwerk, den Edelwollseidenschal, die Palastpralinen und die DVD-Kollektion und in Afrika sterben die Leute?

Dieses Mal kommt nur die erste Frage.
Die zweite Frage wird nicht gestellt, ja dieses Jahr ist keine Caritivität (welch schönes Wort) angesagt, sondern hemmungsloses und exzessives Shoppen.

Der Einzelhandel ist ja eine gebeutelte und geplagte Spezies, vor allem der Einzelhandel, der Dinge verkauft, die man nicht unbedingt zum Leben braucht; der Mensch braucht Seife und eventuell ein Deo, Parfüm braucht er nicht, man braucht Bücher zum Lernen, Bildbände braucht man nicht, der Mensch braucht Kleidung, also Unterwäsche und Hosen, aber keine Luxusschals, genauso wenig wie Opern-DVDs und Pralinen.
Der Verkauf von solchen Dingen war also immer schwierig, er war aber ganz unmöglich während Corona, und Corona war kaum vorüber, dann kam die Energiekrise und die Leute haben kein Geld mehr. Das Weihnachtsgeschäft, sonst immer die Stütze des ganzen Jahres, ist also in diesem Jahr getrübt und jedem Menschen, der hemmungslos Geld ausgibt, werden riesengrosse Kränze gewunden.

Zum Beispiel mir.
Keine Rede also in diesem Jahr von Luxusmensch und Verschwender, keine Silbe von unnötigen Ausgaben, in diesem Jahr bin ich der Retter der Volkswirtschaft.
Bei Douglas bekomme ich ein (alkoholfreies) Glas Sekt spendiert.
In der Buchhandlung Schmidt erscheint der Geschäftsführer und schüttelt mir die Hand.
In der Boutique «Chez Anton » lädt man mich zum Essen ein.
Bei Schlaudmann bekomme ich einen Orden umgehängt.
Und im Musik Hug rollt man mir den Roten Teppich aus.

Ich habe in den letzten Tagen eine wahre Orgie an Geschenkeinkäufen veranstaltet. An mehreren arbeitsfreien Nachmittagen habe ich die tollsten Dinge für meinen Partner, aber auch für Vettern und Kusinen, Freunde und Kollegen erstanden.
Und bin stolz drauf.

P.S. Die Antwort auf die erste Frage lautet übrigens:
Überstunden.

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 16. Dezember 2022

Die unlesbaren Plakate

Ich stehe vor einem Plakat in der Basler Innerstadt und versuche verzweifelt einen Sinn in den mir angezeigten Wörtern zu erkennen:

CHES
ENTS
ZERT
EM
HOR

Deutsche Wörter sind es nicht, so viel steht fest. Englische? Heisst der Anfang, dass Schach endet? Aber warum endet ein Spiel, das seit ca. 3000 Jahren existiert? Und müsste es dann nicht «chess ends» heissen? Oder sind hier die Ents gemeint, die Baumwächter, die könnten ja schon Schachspieler sein, mit ihrem unendlich langen Nachdenken. Oder ist hier «chest» gefragt? Und wie deute ich «zert»? Heisst das Ganze etwa «Chess ends, I am a certificated whore»? Schach endet, ich bin die zertifizierte Nutte? Und ist ein Bordellbesuch wirklich eine plausible Alternative zu einer Schachpartie?

Es kann kein Englisch sein, welche Sprache ist es aber dann.?
Googeln, googeln, googeln.
Durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag.
Googeln, googeln, googeln.
Ohne Ergebnis.
Nun komme ich auf eine tote Sprache, hier stellt sich das grössere Problem, dass man so wenig Quellen und Möglichkeiten hat. Zum Beispiel kann man keinen Sprecher fragen, wenn die Sprache noch gesprochen wird, ist sie ja nicht tot.
In meiner höchsten Not blicke ich auf den rechten Rand des Plakates:

FRÖHLI
ADV
KON
MIT D
KLANG-C

Das Ganze ist also doch Deutsch, hat weder etwas mit Schach, noch mit Enden, erst recht nichts mit Nutten zu tun, sondern heisst schlicht und einfach:

FRÖHLICHES ADVENTSKONZERT MIT DEM KLANG-CHOR

Leute, Leute!
Wann hörten Plakate eigentlich auf, lesbar und informativ zu sein? Denn früher mussten Anschläge und Aushänge ja absolut eindeutig sein, sie waren fast die einzige Datenquelle:

Der König hat eine Bataille verlohren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich fordere die Einwohner Berlins dazu auf. Der König und seine Brüder leben!
Berlin, den 17. October 1806.
Graf v. d. Schulenburg.

Abgesehen davon, dass hier die Quelle eines Ausspruches ist (Ruhe = Bürgerpflicht), der immer als Postulat, als Motto gesehen wird, nicht als situative und durchaus sinnvolle Anweisung (Keine Panik!), hätte Schulenburg Erfolg mit einem «modernen» Plakat gehabt? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht hätten die Menschen nur «verlohren» gelesen und wären erst recht in Panik gefallen…

Was wäre passiert, wenn Moses Tafeln mit schöner Grafik, aber unleserlichem Text vom Sinai heruntergetragen hätte? Man müsste wahrscheinlich das ganze Alte Testament umschreiben. Vielleicht hätte das Volk jeweils das «nicht» nicht lesen können – was hätten wir da für ein Tohuwabohu! …obwohl wir das ja auch so haben…

Und was wäre passiert, wenn Luther ein buntes, fröhliches Thesenblatt zu Wittenberg an die Türe geheftet hätte, das keinerlei Wortzusammenhang gekannt hätte?
Wir hätten immer noch die EINE römische Kirche.

Warum kehren wir nicht zu lesbaren Plakaten zurück? Oder geht eh alles nur noch via Instagramm? Aber warum drucken wir dann Plakate?

Aber eines bleibt sicher: Die Dienstag-Freitag-Glosse wird lesbar bleiben.

INDEST                   ZUM
IE                            D
ISTE                    ME
IT                        ZE





Dienstag, 13. Dezember 2022

Mag ich Schnee?

Endlich ist der Schnee da.

Sagen die einen. Wenn man am Morgen aus dem Fenster schaut, ist der Park gegenüber weiss, die papierfarbene Last lastet auf den Zweigen, wenn ein Vogel auffliegt, staubt es puderig und die ganze Welt ist irgendwie stiller, friedlicher, heimeliger. Es ist einfach schön.

Igitt, nun hat es doch geschneit.

Sagen die anderen. Der Matsch an den Schuhen, die Glätte, die Kälte, so stöhnen viele und spannen den Schirm auf, um sich vor den nassen Flocken zu schützen und wünschen sich ganz, ganz, ganz, ganz weit weg, nach Gran Canaria oder Teneriffa oder Fuerteventura, auf eine Baleare oder Kanare oder gleich in die Antillen…

Es gibt kaum ein Wetter oder ein Wetterphänomen, das so sehr polarisiert wie der Schnee.
Die meisten Menschen sind sich bei Sonnenschein und blauem Himmel einig, 90% der Leute werden das positiv bewerten, nicht umsonst haben wir Lieder wie Wochenend und Sonnenschein oder Let the Sun Shine in oder Die güldene Sonne (um hier mal ganz unterschiedliche Songs zu erwähnen).
Umgekehrt finden die meisten Menschen Regen blöd. Was ja interessant ist, denn ohne Regen würden wir ja alle verhungern, ohne Regen würde nichts wachsen, kein Halm und kein Gras, würden weder Tomaten noch Gurken gedeihen. Aber niemand will den Regen auf dem eigenen Kopf haben, mit dem Regen ist es also wie mit Autobahnen oder Atommüllagern, um hier mal ganz drastische Beispiele zu nennen…
Aber bei Schnee ist man sich uneins, entweder Sehnsucht oder Igitt.

Endlich ist der Schnee da.
Igitt, nun hat es doch geschneit.
Und was meine ich?

Ich selbst bin da sehr situationsbezogen. Ich finde es wundervoll, am Abend heimzukommen und wenn ich meine Schuhe aus- und mein Homedress angezogen habe, wenn ich bei einer Tasse Tee auf dem Sofa sitze, dann geht der Schneesturm los. Das ist wunderschön, das ist traumhaft. Und noch wundervoller und noch traumhafter ist es, wenn dann am nächsten Tag die Sonne scheint und man ohne Schirm durch die wundervolle Winterwelt loslaufen kann.
Leider ist es nicht immer so.
Leider hört der Schneesturm gerade auf, wenn ich nach Hause komme, wenn ich meine Schuhe aus- und mein Homedress angezogen habe, wenn ich bei einer Tasse Tee auf dem Sofa sitze, die ganze Nacht ist es dann ruhig und klar und man könnte eine herrliche Wanderung machen, wenn man im Winter auf Nachtwanderungen stünde, und genau am Morgen, wenn ich aus dem Haus will oder muss, dann geht das Schneegestöber wieder los…

Kann man es nicht so machen, dass der Schnee nach meinen Wünschen fällt?
Klar, kann man.

Ich finde im Internet – zu meinem grossen Erstaunen, das muss ich sagen – eine Riesenauswahl an Schneekanonen.
Zum Beispiel die
Turbonivelonix XXPL 3452 der Firma Schneekönig®

Sie liefert nicht nur den gewünschten Schnee auf Knopfdruck, sie kann das Schneegestöber auch noch in 17 verschiedenen Farben ausleuchten, kann Musik dazu spielen und sogar Düfte dazumischen.
Gut, mit 17679,95 Euro ist das ein stolzer Preis, aber das muss schon sein, man gönnt sich ja sonst nix.
Aber dann kommen mir doch Bedenken: Was hat denn die Turbonivelonix XXPL 3452 der Firma Schneekönig® für einen CO2-Abdruck? Weil – ohne Energie, ohne Strom geht da ja nichts, und das ist angesichts der Energiekrise vielleicht nicht ganz der richtige Weg.

Eventuell sollte ich mit Frau Holle Kontakt aufnehmen. Sie könnte ja ihr Kopfkissen immer zum richtigen Zeitpunkt aufschütteln. Nur wie nimmt man Kontakt mit Frau Holle auf. Das Schweizer Telefonbuch online zeigt mir 1104 Einträge für «Holle». Alle anschreiben? Anrufen? So nach dem Motto «Hallo, bist du die Frau Holle aus dem Märchen?»

Endlich ist der Schnee da.
Sagen die einen. Wenn man am Morgen aus dem Fenster schaut, ist der Park gegenüber weiss.
Igitt, nun hat es doch geschneit.
Sagen die anderen. Der Matsch an den Schuhen, die Glätte, die Kälte.
Ich selbst hätte gern, dass es dann schneit, wann ich will.
Aber das ist nicht so einfach.









Freitag, 9. Dezember 2022

Der Appetit kommt beim Essen

Nicht alle von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, haben mir den vorletzten Post ganz abgenommen. Sie haben mir geschrieben, mein Verfahren à la «der Appetit kommt mit dem Essen» oder eben «das Schmücken erzeugt die Weihnachtsfreude» würde nicht gehen. Man müsse in Stimmung sein.

Ich schreibe ausdrücklich „in Stimmung sein“. Ich schreibe nicht das deutsche «Lust haben», was ja viel blöder klingt; «in the mood», so drücken es die Angelsachsen aus, «In the Mood», und das war ja auch ein toller Hit von Glenn Miller, kennen sie sicher, «daadada – dadaada - dadadaa – dadadaa», ein Swing-Klassiker. Also die Stimmung, die Laune, der, da haben wir das Wort ja auch, Modus.

Ich würde Sie nun gerne fragen:
Sind Sie gerade in Stimmung fürs Essen?
Sind Sie gerade in Stimmung zum Tanzen?
Sind Sie gerade in Stimmung für Sex?
Sind Sie gerade in Stimmung, um einen Brief zu schreiben?
Sind Sie gerade in Stimmung für einen langen Spaziergang?
Sind Sie gerade in Stimmung für diese Glosse?

Kann sein, Sie beantworten alle Fragen mit «Nein». Dann machen wir doch die entsprechenden Experimente und Übungen.

Kaufen Sie sich die letzte Ausgabe von Heim & Familie und schauen Sie sich die Bilder der Koch- und Backseiten an. Dieser frische Gartensalat! Dieses Spinat-Gorgonzola-Gratin! Diese Whiskey-Mousse! Und erst die Torten und Kuchen, die Cookies und Plätzchen! Wie das toll aussieht! Wie das duftet! Aber halt – das duftet doch eigentlich gar nicht. Das ist Ihr Gehirn, das hier den angeblichen Duft fabriziert; parallel dazu läuft Ihnen das Wasser im Maul zusammen.
Würden Sie jetzt ein Menu frischem Gartensalat, Spinat-Gorgonzola-Gratin und Whiskey-Mousse essen? Würden Sie die Torten und Kuchen, die Cookies und Plätzchen probieren? Obwohl Sie ja sagten, dass Sie bislang auf Salat, Gratin, auf Dessert und Mousse, dass Sie auf Cookies und Torten gar keine Lust haben?
Sehen Sie: der Appetit kommt beim Essen…

Sie sind nicht in Stimmung zum Tanzen? Gut, dann legen wir doch gerade das Stück auf, dass die Stimmung im Titel trägt: «In the Mood» von Glenn Miller: «daadada – dadaada - dadadaa – dadadaa». Merken Sie, wie Sie anfangen zu wippen? Wie es Ihnen in den Beinen zuckt? «daadada – dadaada - dadadaa – dadadaa». Wie Sie beginnen, mit den Hüften zu wackeln? «daadada – dadaada - dadadaa – dadadaa». Und schon stehen Sie auf und machen den Jive-Schritt. Und das einzige, was Sie daran hindert, einen echten Rock `n Roll hinzulegen, ist die Enge Ihres Wohnzimmers – nein, es ist vielleicht Ihr Alter und Ihr Gewicht, dass Würfe wie vor 40 Jahren nicht mehr zulässt…

Tja, und der Sex…
Hier ist es ja wohl am deutlichsten, dass Stimmung (mood) auch erzeugt werden kann. Welchen Sinn hätten sonst Pornos und anzügliche Zeitschriften?
Oder noch anders formuliert: Hier kommt die Lust und Leidenschaft in den blödesten und spontansten Momenten. Da denkt man an nichts Böses, man ist wirklich nicht und wirklich nicht in Stimmung, und dann taucht aus dem Nichts ein Traummann / eine Traumfrau auf und baggert einen an, und dann passiert das, auf das man weder vorbereitet, noch wogegen man gewappnet ist…

Für Briefe ist man nie in Stimmung. Ich habe noch selten Menschen erlebt, die am Morgen aufstehen und rufen: «Heute schreibe ich drei Briefe und/oder fünf Postkarten!» Selten. Sehr selten. Die meisten fangen an, noch ohne Lust, kramen in ihrem Schreibtisch, finden eine wunderschöne Briefkarte mit Manet oder Monet oder Klee oder Vasarely und diese Briefkarte mit Manet oder Monet oder Klee oder Vasarely bringt dann schon mehr Mood und dann fämgt man an: Lieber…, liebe… und wenn man die Person kennt, fallen einem aufs Mal 1000 Dinge ein, die man erzählen kann.
Genauso mit dem Spazierengehen: Es kostet im Herbst, im Winter Überwindung, es kostet einen kleinen Ruck, sich warm anzuziehen und loszulaufen. Und dann wird man belohnt.

Sind Sie gerade in Stimmung für diese Glosse?
Das ist jetzt eine dumme Frage, sonst würden Sie ja nicht lesen. Ich müsste eher fragen: Waren Sie in Stimmung, als Sie anfingen oder kam der Spass erst beim Lesen?

Nicht alle von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, haben mir den letzten Post ganz abgenommen. Sie haben mir geschrieben, mein Verfahren à la «der Appetit kommt mit dem Essen» oder eben «das Schmücken erzeugt die Weihnachtsfreude» würde nicht gehen. Man müsse in Stimmung sein.

Und das haben wir nun widerlegt.







Dienstag, 6. Dezember 2022

Moderner Santiglaus

Wie feiert man einen zeitgemässen und modernen 6. Dezember? Die Frage stellt sich doch jedes Jahr, und jedes Jahr muss man den Spagat wagen: Möglichst viel Tradition und möglichst viel Innovation. Mir kommt hier ein alter Basler Vers in den Sinn:

Dr Santiglaus kunnt hitte
dur d’Lange-n-Erle gritte.
Är bindet s’Eseli an e Stamm
und kunnt jetzt z’Fuess vom Wiisedamm.

Schon in den 60er Jahren wurde der Vers modernisiert und den erneuerten Verhältnissen angepasst:

Dr Santiglaus kunnt hitte
dur d’Lange-n-Erle gritte.
Är bindet s’Eseli an e Stamm
und nimmt in Rieche `s Säggsertram

Hier ist aus dem eigenartigen und eigenbrötlerischen Nikolaus, der stur mit seinem Esel durch die Waldlandschaft reitet, oder gar zu Fuss geht, ein moderner Mensch, der in der Strassenbahn sitzt, geworden. Stellen sich nur noch folgende Fragen:
Muss der Santiglaus eine Fahrkarte lösen? Er, der ständig bei den Kindern schlechtes Verhalten ahndet, sollte ja hier mit absolut gutem Beispiel vorangehen.
Und an welche Adresse würde man – wenn wirklich ein Kontrolleur kommt – eine Busse schicken? Und was macht der Santiglaus im Tram? Lesen? Aus dem Fenster schauen?
Oder fängt er schon an, Geschenke zu verteilen? Fragen über Fragen.

Aber vielleicht kommt der gute Mann auch individualverkehrsmässig:

Dr Santiglaus kunnt hitte
dur d’Lange-n-Erle gritte.
Är bindet s’Eseli an e Donn`
und nimmt e Harley-Davidson.

Kommt Ihnen jetzt wahrscheinlich total blödsinnig vor. Aber am 3. 12. waren in Basel wirklich Santigläuse auf diesen schrecklichen Motorrädern unterwegs. Ein himmlischer Bote auf einem Instrument, das sonst den Hells Angels vorbehalten ist, das ist schon ziemlich pervers. Aber ganz viele Kinder säumten die Strassen und winkten den Nikoläusen zu, die auf ihren Maschinen daherbretterten. Man kann nur hoffen, dass die Harley-Davidson-Santigläuse keine Drogen verteilten…

Aber ist das Ganze «der Santiglaus KUNNT hitte» überhaupt noch up to date? Wir leben doch im Zeitalter des Internets? Wäre es nicht besser, den ganzen Vers auf diese Weise umzuformulieren:

Dr Santiglaus kunnt hitte
nit dur d’Lange-n-Erle gritte.
Är blyybt dehaim, `s isch em nit drum
Är kunnt hitt` online via zoom.

Die Vorteile eines Online-Nikolaus muss man wohl niemand erklären.
Denn bei allen Versionen, Fuss, Tram oder Motorrad, gibt es ja einen fiesen Gleichklang: Was passiert eigentlich mit dem armen Esel? Der steht da stundenlang in der Kälte, hungert und friert und verzweifelt. Was mag das arme Grautier fühlen und denken, während Herrchen mit Fuss, Tram oder Motorrad unterwegs ist? Vor 100 Jahren mag das noch gegangen sein, aber heute ist der Tierschutz weiter und diverse Organisationen würden da einschreiten.
Aber auch CO2-technisch ist natürlich ein Online-Auftritt besser. Und: Der Santiglaus kommt Punkt 18.00 zu allen Basler Kindern, per Zufallsgenerator werden dann fünf bis zehn Buben und Mädchen auf laut geschaltet und dürfen ihre Verslein oder Liedlein vortragen. Und der Santiglaus muss auch gar nichts mehr sagen, die Beiträge werden von allen mit Daumen hoch oder runter (im Bild oder per Emoji) bewertet.
Und Geschenke?
Gut, Äpfel, Nuss und Mandelkern gehen natürlich nicht online, dafür aber alles Elektronische: diverse Games, Netflix-Abos und Bitcoins, Bitcoins, Bitcoins…

Finden Sie gut, nicht?
Nein?
Ich auch nicht, ehrlich gesagt, eine Horrorvorstellung. Also bleiben wir doch bei unserem ganz alten, immer noch schönen Vers:

Dr Santiglaus kunnt hitte
dur d’Lange-n-Erle gritte.
Är bindet s’Eseli an e Stamm
und kunnt jetzt z’Fuess vom Wiisedamm. 

In diesem Sinne wünsche ich allen Kindern und allen Kindgebliebenen einen frohen Nikolaustag!
   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

    

 

 

Freitag, 2. Dezember 2022

Einwände gegen Adventsstimmung

Als ich meinen Arbeitskollegen erzählte, dass wir am Wochenende des Ersten Advents vorhätten,
a) unseren „Adventskranz“ auf dem Tisch im Flur zu installieren,
b) auf den Weihnachtsmarkt in Arlesheim zu gehen, bei meiner Schwägerin Köstlichkeiten einzukaufen und diese dann in der Glasschale in der Küche zu drapieren und
c) unsere Herrnhuter Sterne aufzuhängen,
kamen diverse Reaktionen, alle sind erstaunt bis entrüstet, alle eher negativ und alle laut:

Michel: „Wie kannst du jetzt Advent machen, wenn Krieg in der Ukraine ist!“
Katrin: „Deine Zeit möchte ich haben!“
Urs: „Ich könnte das nicht – ich bin überhaupt nicht in Weihnachtsstimmung!“
Elke: „Das Geld hätte ich lieber an BROT FÜR ALLE gespendet.“

Ich war eine Weile beschäftigt, auf alle diese Vorwürfe und Vorhaltungen zu antworten, ja, ich war eine Weile dran, einiges zu entkräften.

Elke war am leichtesten zu widerlegen: Die Herrnhuter Sterne sind 10 Jahre alt, haben sich also – darf man das überhaupt so sagen? – amortisiert; der „Adventskranz“ kostete nicht gerade ein Vermögen, es ist eher ein Hinstellen von vier weissen Kerzen mit Tanne und Silbertalern auf unserem weissen Tisch, wir kommen hier auf eine Summe von Sfr. 38,30 (4 Kerzen à 4,50 DENNER, 4 Plastikschalen à 2,20 MANOR, 2 x Tanne à 3,90 MIGROS und Silbertaler, 3,70 MIGROS), also keine Summe, die wirklich ins Gewicht fällt; bei meiner Schwägerin liessen wir über 100 Stutz, sie spendet allerdings ihren Gewinn an soziale Projekte…

Auch Michel war leicht abgefertigt: Glaubte der Idiot wirklich, der Ukraine-Krieg sei ein Grund, das ganze Leben umzustellen? Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es keinen Tag Frieden auf der Welt, überall war immer Krieg, überall war immer Gewalt, immer wurde geschossen, immer fielen Bomben, so gesehen hätte man also NIE Weihnachten feiern dürfen und NIE den Advent begehen. Oder aber eben genau umgekehrt: Weil die Welt so scheisse (sic venia verbo) ist, zünden wir Lichter an und stellen Tannenzweige auf…

Schwieriger war, was ich Katrin antworten sollte.
Zeit haben…
Habe ich Zeit für a) einen Adventskranz, für b) den Stand meiner Schwägerin und c) die Herrnhuter Sterne? Wie berechne ich überhaupt den Zeitaufwand?
Zu a): Die Einzelteile während regulärer Einkaufe gekauft habend, kostete mich das Drapieren 20 Minuten.
Zu b): Der Besuch auf dem Arlesheimer Domplatz kostete uns (mit Tramfahrt) zwei Stunden, 120 Minuten, von denen man aber einige auch unter Schwägerin = Familienpflege (wichtig!) und Spaziergang = Gesundheit (auch wichtig!) abbuchen muss.
Der Punkt c) brauchte (ohne Freudentanz und Fotos) 25 Minuten.
Aber das ist natürlich alles Quatsch. Denn: Was hätte ich denn mit den insgesamt nicht einmal drei Stunden gemacht, wenn ich nichts Weihnachtliches unternommen hätte?
Na?
Vielleicht ferngeguckt. Vielleicht einen Mittagsschlaf gemacht. Vielleicht auf You Tube herumgedödelt. Oder auf Instagram. Ich hätte sicher nicht irgendetwas getan, dass die Welt ihrer Rettung nähergebracht hätte.
Nein, es ist doch vielmehr so: Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich.

Die harte Nuss war Urs.
Ich musste eine Weile nachdenken, um herauszufinden, dass Urs an einem Catch22-Problem leidet.
Ich habe über dieses Phänomen immer wieder geschrieben, das erste Mal am 26. Januar 2012:

Es gibt einen Namen für diese Sache: Catch 22-Problem. Es heisst so nach Joseph Hellers gleichnamigem Roman, und ist ein Problem, das gelöst sein sollte, um es zu lösen.
Man kann die Störungsstelle nicht anrufen, weil das Telefon kaputt ist. Man bräuchte zum Auspacken der eingeschweissten Schere eine Schere. Es gibt aber auch noch raffiniertere, unsere ganze Gesellschaft ist Catch 22-verseucht. Der Deutschlehrer sagt seinen Kleinen, dass das Kennzeichen der Nomen die Grossschreibung ist, und dann sollen sie Nomen grossschreiben! Sie wissen es erst, wenn es auf dem Papier steht, wo es nicht steht, weil sie nicht wissen, wie man es schreiben soll. Der Arzt schlägt eine Fenchel-Gymnastik-Stein-Therapie vor, einziges Problem: Um diese Therapie zu überstehen, muss man kerngesund sein.

Wenn man in Weihnachtsstimmung sein muss, um Weihnachtsstimmung zu machen, ist es also blöd. Denn bei mir ist die Stimmung nicht vorher da, sie kommt durch
a) einen „Adventskranz“ auf dem Tisch im Flur installieren,
b) auf einen Weihnachtsmarkt gehen, dort Köstlichkeiten einzukaufen und diese dann in einer Glasschale zum Beispiel in der Küche drapieren
c) Herrnhuter Sterne aufhängen
d) Weihnachtskarten schreiben
e) Macht hoch die Tür auf dem Klavier üben (wofür ich sogar bezahlt werde…)
f) vieles andere mehr

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, liebe Leser eine
FROHE, ERFREULICHE, FREUDENREICHE UND FRÖHLICHE ADVENTSZEIT







 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

     

Dienstag, 29. November 2022

Neue Karte? Warum?

Liebe Schwitzcard®,

Ich habe seit Jahren bei Ihnen eine Maskencard® und bin sehr zufrieden damit.
Nun schicken Sie mir eine neue Karte, eine Flashcard® mit neuer Nummer und teilen mir mit:

Meine alte Karte ist nicht mehr gültig.
Ich soll sie vernichten.
Die neue Karte gilt ab heute.
Allen Stellen, an denen ich die alte Karte hinterlegt habe, muss ich die neue Nummer mitteilen.
Die PIN bleibt gültig.

Liebe Schwitzcard®,
ich habe keine neue Karte gewollt, Sie schicken mir das bösartig und ungefragt, heimtückisch und ohne Grund.
Ich habe grosse Mühe damit.

Nehmen wir nur einmal die Nummer.
7333 4769 1451 0006
Ich hatte mir, um mir diese Ziffern zu merken, eine ganze Reihe von Bildern und Geschichten gemerkt. Hören Sie einmal zu (oder lesen Sie genau):
7333: Drei, drei, drei gab´s bei Issos Keilerei. So merkte sich die Generation meiner Eltern die Schlacht bei Issos (333 v. Chr.), jene Schlacht, bei Alexander der Grosse und Dareios (der Perser) zum ersten Mal aufeinandertrafen. Dies war übrigens zu der Zeit, als man im Geschichtsunterricht noch Zahlen lernte, was – in Massen genossen, in Massen genossen – gar nicht so schlecht war.
Wozu die 7? Alexander hatte Glück und 7 war die Glückszahl.
4769: Die ersten beiden Ziffern stehen für jene Gruppe, die das Literaturleben in Deutschland 20 Jahre lang bestimmte, dritte und vierte Ziffer stehen für eine Stellung im – ja, wie soll ich das sagen, also, Dinge, die man macht, wenn niemand zusieht. Und so ist das Bild die Gruppe 47 in einer wilden Sexorgie verknäult. (Was gar nicht so weit hergeholt ist, angeblich mussten die Damen Aichinger und Bachmann ihre Türen hart verriegeln, um nicht die ganze Nacht von irgendwelchen notgeilen Literaten besucht zu werden.)
1451: Die klassische Kadenz, Tonika (I), Subdominante (IV), Dominante (V) und Tonika (I). In C-Dur: C – F – G – C. Für einen Musiker eine absolut logische Folge.
Und 0006 erinnert natürlich an Agent 006, einen Agenten der immerhin in dem Roman "On Her Majesty`s Service" vorkommt und den schönen Namen John Pennsylvanington trägt.

Und diese ganzen schönen Bilder und Geschichten soll ich nun einfach vergessen? Für die schnöde Nummer 4638 8909 7741 0923?
Suchen Sie mir jetzt neue Eselsbrücken? Oder muss ich mich selbst einen Sonntag lang hinsetzen?

Um es noch einmal klar zu sagen: Ich habe Sie nicht um eine neue Karte gebeten.
Sie haben Sie einfach geschickt.

Und was wird jetzt mit all den Stellen, bei denen ich meine Karte hinterlegt habe? Werden die sich alle korrekt melden, wenn die alte Nummer nicht mehr geht? Oder muss ich allen schreiben? Oder werde ich ein paar Abos und Apps verlieren?
Obwohl…
Obwohl…
Wenn ich so nachdenke, wäre es gar nicht so blöd, wenn einige Abos verschwänden.

Warum habe ich zum Beispiel immer noch das Abonnement von "Pferd & Jagd" ? Ich habe damals das Abo nur abgeschlossen, weil der Werber so süss war und ich ihn unbedingt in die Kiste kriegen wollte. Das ging natürlich schief, aber das Abo musste ich nehmen, und durch meine Unachtsamkeit verlängerte sich das Ding Jahr für Jahr.

Warum habe ich immer noch drei verschiedene DVD-Player, die jedes Jahr fleissig abbuchen? Man kann ja auf einem PC immer nur eine DVD schauen, und natürlich kann deshalb auch nur ein Programm laufen. Und so wäre es nicht blöd, wenn von DVD-Shark®, Love-DVD® und DVD-Bird® nur eine App bliebe.

Warum habe ich die ganzen News-Programme? Gerade diejenigen, die sich inzwischen ausschliesslich mit dem Liebesleben von amerikanischen It-Girls und Gangsta-Rappern beschäftigen («Liebes-Aus bei Guggi Gucci und Ice Tea Peach?» «Läuft da was zwischen Leanina und Bobbie Bubbie?»), die bräuchte ich jetzt wirklich nicht mehr…

Zu hoffen ist aber, dass die Programme, die ich wirklich brauche, sich melden und ich ihnen mitteilen kann, dass die Maskencard mit der Nummer Glück bei Issos – Gruppe 47 im Sexrausch – Einfache Grundkadenz – Agent Pennsylvanington durch die Flashcard mit der schnöden Nummer 4638 8909 7741 0923 ersetzt wird.

Liebe Schwitzcard, ihr macht mir nur Ärger. Ich habe nicht um eine neue Karte gebeten, aber ihr habt mir einfach eine geschickt.
Hoffentlich sind wenigstens die 100 000.—noch drauf.









   

Freitag, 25. November 2022

Ich bin... Ich fühle mich... / die Verleihung der GOLDENEN MAUS

Ich hatte neulich einen wilden Traum. In meiner (neuen!) Küche hatten sich Mäuse angesiedelt. Nachdem ich ein paar Tage zugeschaut hatte, wie die Biester meinen Käse klauten, meinen Schinken stibitzen, meine Nüsse nagten und meine Äpfel assen, sagte ich mir, das müsse aufhören und enden. Das könne ja nicht sein, dass die Nager alles wegnagen. Also überlegte ich mir, wie ich das Käseklauen, das Schinkenstibitzen, wie ich das Nüssenagen und Äpfelessen stoppen könne. Ich beschloss, zunächst einen milden und gewaltfreien Weg zu gehen: Ich stellte mich vor die (Inzwischen 20) Tiere und rief: «Ich bin eine Maus! Lasst uns reden! Ich bin einer von euch!»
Ich wartete eine Weile, dann erscholl aus dem Brotkasten eine Antwort: «Nein, bist du nicht.» «Doch», rief ich erneut, «ich bin eine Maus!» «Nein», tönte es jetzt aus dem Käseschrank: «Du bist ein Homo Sapiens, wir sind Mäuse, unsere Interessen sind diametral entgegengesetzt. Du kommst nicht umhin, Fallen aufzustellen.» «Ohne Fallen werdet ihr weiterhin meinen Käse klauen, meinen Schinken stibitzen, meine Nüsse nagen und meine Äpfel essen?» «Ja, ohne Fallen werden wir weiter deinen Käse klauen, deinen Schinken stibitzen, deine Nüsse nagen und deine Äpfel essen.»
Schweissgebadet wachte ich auf.

Bei einer Tasse Kaffee dachte ich über meinen Traum nach. Zunächst hatte ich noch kurz überlegt, ob ich dieses Lehrstück gesellschaftlicher Gegensätze einer marxistischen Strassentheatertruppe anbieten sollte, es wäre ja ein Agitprop-Sketch par excellence. Ich malte mir sogar schon die Schauspielerinnen und Schauspieler mit Mausmasken aus – so eine Mausmaske, wie der Täter im Tatort, also der Tatorttäter vom 20. 11. 2022 trug.
Dann aber fiel mir ein, dass ich gar keine marxistischen Theatertruppen und keine Agitprop-Künstler kenne, sie scheinen in der Schweiz auch nicht so häufig zu sein, wir haben ja nicht einmal mehr eine ordentliche kommunistische Partei…

Dann dachte ich bei einer zweiten Tasse Kaffee über diesen Satzanfang «Ich bin…» nach.
Er funktioniert eben nicht immer, aber manchmal funktioniert er. Bei Kennedy zum Beispiel hat er funktioniert. Er stellte sich am 26. Juni 1963 in Berlin hin und gab seine Solidarität mit den Worten bekannt:
ICH BIN EIN BERLINER.
Der Satz ging um die Welt und ist auch heute noch in den Ohren vieler Leute.
Bei Charlie Hebdo hat es auch funktioniert, wie viele Leute trugen nach dem 7. Januar 2015 T-Shirts oder Buttons mit
JE SUIS CHARLIE.
Allerdings: Von einigen wirkte der Satz merkwürdig, zum Beispiel von all den Pfarrern, Bischöfen und Kardinälen, denn Charlie Hebdo hatte Pfarrer, Bischöfe und Kardinäle oft genug angegriffen und der Klerus hatte das Satiremagazin genauso oft zum Teufel gewünscht…

Bei der dritten Tasse Kaffee (zu meinem Kaffeekonsum siehe Post vom 3. 5. 2022) formuliere ich ein Gesetz, dass als das HERTER`SCHE AXIOM in die Geschichte eingehen wird:

Sätze, die mit Ich bin…, I am…, Je suis…, Io sono…, usw. beginnen, kommen nur an, wenn siehe entweder stimmen (also wenn man das Gesagte wirklich ist) oder aus einer tiefen, glaubwürdigen Solidarität herrühren. In jedem anderen Fall sind sie pure Heuchelei.

Und im Sinne dieses Axioms und in Erinnerung an meinen Traum stifte ich einen Negativpreis, die GOLDENE MAUS. Die GOLDENE MAUS wird an Personen verliehen, die durch einen falschen Gebrauch von Ich bin…, I am…, Je suis…, Io sono… sich der Heuchelei schuldig gemacht haben und eine peinliche Vorstellung geliefert haben. Die GOLDENE MAUS ist mit 30 Tomaten (faulig und geworfen) dotiert. Natürlich geht die GOLDENE MAUS auch an solche Deppen, die sich als XY fühlen, also ihre Sätze mit I feel... beginnen.

So.
Sie müssten nun nicht lange raten, wer die GOLDENE MAUS 2022 bekommt.
Trotzdem wollen wir es spannend machen:
Trommelwirbel…
Ich zücke das Couvert.
Fortgesetzter Trommelwirbel…
Ich öffne das Couvert.
And the winner is:

Gianni Infantino.
Begründung: Mit seiner Rede bei der Pressekonferenz, bei der er angeblich zum Asiaten, Afrikaner, Wanderarbeiter, Sportler und Schwulen wurde, hat er ein dermassen wüstes Beispiel von Heuchelei und Hochstapelei abgegeben, dass einem jeden anständigen Menschen die Haare zu Berge stehen. Wenn Gianni ein Herz für alle diese Menschen hätte, dann hätte er a) die WM nicht Qatar vergeben oder würde b) den Kataris ein bisschen Beine machen und hätte c) dem DFB erlaubt, die Binde zu tragen. Nein, sein I feel..-Gefasel war abscheulich.

Eben kommt ein Anruf vom Marxistisch-Leninistischen-Revolutionären Komitee Nordwestschweiz (MLRKM). Das MLRKM möchte meinen Traumtext. Scheinbar liest nicht nur Bill Gates mit, wenn ich schreibe. Ich müsste allerdings – das sei Partei bzw. Komitee-Linie, klar bekennen, dass ich zu ihnen gehöre, also das ich Marxist sei.
Ich sage dem Mann, er könne sich…

Sonst kann ich die GOLDENE MAUS 2023 gleich mit selber verleihen.



 

 

Dienstag, 22. November 2022

Mein WM-Boykott-Dilemma

Liebe unverdrossene Fussballfans, liebe verdrossene Fussballfans, liebe Aufruferinnen und Aufrufer von #boycottkatar, liebe Nicht-Aufruferinnen und Nichtaufrufer von #boycottcatar

Ich bin in einem Dilemma.
Ich bin mehrfach aufgefordert worden, die WM in Qatar zu boykottieren, ich bin mehrfach aufgefordert worden, die WM in Qatar NICHT zu boykottieren.
Und nun bin ich in einem Dilemma.

Ich bin im gleichen Dilemma wie meine Freundin Susi aus NRW, die von mehreren Seiten aufgefordert wurde, die Firma Tönnies zu boykottieren.
Nun ist Susi aber Veganerin und hat seit 15 Jahren kein Fleisch gegessen. Natürlich isst sie kein durch Wanderarbeiter gefertigtes Billigfleisch, aber was zählt das, wenn sie auch kein Bio-Fleisch vom benachbarten Bauernhof nimmt?

Ich bin im gleichen Dilemma wie Detlef aus Müllheim, den man aufgefordert hat, Gergiev zu boykottieren.
Nun endet Detlefs Musikgeschmack, der eigentlich aus ABBA und den Kastelruther Spatzen besteht, im klassischen Sektor bei der Serenade Nummer 13 für Streicher G-Dur KV 525 (besser bekannt als «Kleine Nachtmusik»). Wie soll er Gergiev boykottieren? Er würde weder eine Tschaikowski-Sinfonie noch eine Wagner-Oper aushalten.

Ich bin im gleichen Dilemma wie Jürgen aus Hamburg, der gedrängt wird, nicht mehr zu fliegen, und zwar nicht aus der Kneipe, sondern mit dem Flugzeug.
Jürgen hat nun, seit er denken kann, Flugangst (und zwar richtig schlimme, mit Panik und Erbrechen und Schwitzen und Fieber 10 Tage VOR dem Flug). Und wegen Panik und Erbrechen und Schwitzen und Fieber fährt Jürgen zweimal im Jahr nach Süditalien – mit dem Zug. 50 Stunden mit zwei Übernachtungen. Und er könnte sich den Orden «Umweltheld 1. Klasse» umhängen, wenn nicht diese Flugangst mit Panik und Erbrechen und Schwitzen und Fieber wäre…

Ich bin im gleichen Dilemma wie…
Ich denke, Sie haben verstanden.

Liebe unverdrossene Fussballfans, liebe verdrossene Fussballfans, liebe Aufruferinnen und Aufrufer von #boycottkatar, liebe Nicht-Aufruferinnen und Nichtaufrufer von #boycottcatar

Ich kann Ihnen die folgenden Dinge versprechen:
Ich bin nicht nach Qatar gefahren und ich werde nicht mehr nach Qatar fahren.
Ich werde zu keinem Public Viewing gehen.
Ich werde mir kein Spiel im Fernsehen anschauen.
Ich werde die WM ignorieren.

Aber – wie oben gezeigt – dieser Boykott meinerseits bringt Ihnen gar nix.

Denn ich wäre auch so nicht Qatar gefahren.
Ich wäre auch so zu keinem Public Viewing gegangen.
Ich hätte mir auch so kein Spiel im Fernsehen angeschaut.
Ich hätte die WM auch so ignoriert.

Wie kommt man aus dem Dilemma heraus?
Für die aktuelle WM natürlich gar nicht.
Ich könnte mich natürlich mit den anderen, oben genannten Dingen beschäftigten, aber das ist auch schon fast erledigt:
Ich esse sehr wenig Fleisch, vielleicht einmal, zweimal die Woche, und wenn wir Fleisch kaufen, dann ist es Bio und sicher nicht aus Westfalen.
Ich boykottiere den Putinfreund und Schwulenhasser schon seit 15 Jahren.
Ich fliege nicht in den Urlaub, was bei meinen Lieblingsreisezielen Berlin und Scheveningen ob super Zugverbindungen auch totaler Quatsch wäre.

Liebe unverdrossene Fussballfans, liebe verdrossene Fussballfans, liebe Aufruferinnen und Aufrufer von #boycottkatar, liebe Nicht-Aufruferinnen und Nichtaufrufer von #boycottcatar,

Jetzt habe ich aber eine Idee:
2030 findet die Yoga-WM in Teheran und Isfahan statt. Ich werde mich ab nun für Yoga interessieren. Ich werde selber ins Yoga gehen, alle Wettkämpfe verfolgen, mich informieren und mich begeistern, ich werde an die WMs und Ems gehen, ich werde der totale Sportyoga-Fan werden.
Und dann…
Und dann…
Dann werde ich die WM im Iran 2030 boykottieren.

Liebe unverdrossene Fussballfans, liebe verdrossene Fussballfans, liebe Aufruferinnen und Aufrufer von #boycottkatar, liebe Nicht-Aufruferinnen und Nichtaufrufer von #boycottcatar,
Mehr kann ich Ihnen heute nicht bieten.



 

 

 

 

Freitag, 18. November 2022

Wir wollen einmalig sein

Ich hatte neulich ein langes Telefonat mit der SERAFE. (Für meine deutschen Leserinnen und Leser: Die SERAFE ist in der Schweiz das, was in Deutschland die GEZ ist, für die anderen Länder weiss ich das nicht, aber es ist ein Club, der Gebühren für Rundfunk und Fernsehen eintreibt.)
Ich musste einer Mitarbeiterin den Sachverhalt erklären, dass mein Partner und ich ab 2018 zusammen an der gleichen Adresse, aber in zwei Wohnungen, nun aber in einem Haushalt wohnen. Was de facto bedeutet: Früher zweimal, jetzt einmal blechen.
Nach vielem Hin und Her verstand und – was die viel grössere Mühe war – glaubte sie den Sachverhalt, brachte aber mit einem tiefen Seufzer hervor: «Das ist jetzt wirklich so ein seltener Fall.»

Sie haben ein Jucken im linken Ohr.
Weil Sie keine Rötung und keinen Pickel entdecken, gehen Sie zum Arzt. Zunächst zum HNO, der schickt Sie aber zum Dermatologen. Der Dermamensch schaut sich das Ohr von allen Seiten an, er kratzt und schnüffelt dran, schliesslich noch mit Lupe und Leuchte. Und nach Kratzen und Schnüffeln, nach Lupe und Leuchte, spricht er die Worte: «Also, wissen Sie – das ist jetzt schon eine ganz spezielle Sache…»
Und weil es eine spezielle und keine gewöhnliche Sache ist, werden alle möglichen Therapien ausprobiert: Medikamente, Rotlicht, Kälte, Wärme. Aber trotz Medikamente, Rotlicht, Kälte und Wärme verschwindet das Jucken nicht…

Mein Freund Hans wohnt in Burchigen, einem Winzkaff im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet. Und dieses Winzkaff hat eine Besonderheit: Es hat eine Schweizer Adresse und eine deutsche Vorwahl. Wenn Hans nun im Internet seine Daten angeben soll, dann steht er vor einem Riesenproblem, er besitzt kein Handy, und wenn er die Adresse CH-8214 Burchigen eingibt, dann wird ihm für die Telefonnummer die Maske 41 ……………… geliefert. Er müsste nun aber die Maske 49……………… haben. Wenn er dem Anbieter schreibt, dann bekommt er die Antwort, für diesen seltenen Fall habe man keine Möglichkeit vorgesehen.

Zunächst einmal glaube ich nicht, dass hier wirklich so einmalige Sachen vorliegen.
Sind mein Partner und ich wirklich der einzige Fall, bei dem man zunächst in getrennten Wohnungen wohnt und dann doch zusammenzieht? Was wäre mit dem netten Mann gewesen, wenn er nach 24 Jahren doch endlich mit Alice etwas angefangen hätte? Hätten sie nicht dann auch (nach 24 years next door) eine gemeinsame Adresse gehabt?
Ist Ihre Ohrerkrankung wirklich die einzige ihrer Art – oder haben sie einfach einen Scheissdermatologen? (sit venia verbo)? Gäbe es vielleicht eine ganz einfache, ganz simple, ganz normale Erklärung, die man nur suchen müsste?
Ist die Lage von Burchigen wirklich so welteinzig? Gibt es nicht immer wieder solche Überschneidungen, für die man Lösungen finden muss? Was ist zum Beispiel mit dem Kleinen Walsertal?

Dann aber muss man sagen:
Geschieht allen Personen recht.
Wirklich.

Denn wir wollen ja alle möglichst einzigartig und besonders sein, und nun fällt diese Kiste auf uns zurück, sie fällt uns mit einem ganz grossen «Ätsch» auf den Kopf und grinst uns an.

Wir wollen alle einmalig und einzigartig sein.
Wir gehen in die Boutique und möchten natürlich ein Kleid, das etwas Besonderes ist, wenn die Verkäuferin dann sagt, dass dieses Modell gerne (und viel) gekauft werde, und zwar gerade in diesem Rotton, und dass die Frau XY und die Frau YZ und die Frau ZX es letzte Woche kauften, werden sie es dann nehmen? Wahrscheinlich nicht.
Wo fahren wir in Urlaub hin? Wohin reisen wir? Wahrscheinlich nicht nach Mallorca, um uns zwischen 10000000000 andere Menschen an einen Strand zu legen – falls wir dort überhaupt einen Platz zu finden. Wahrscheinlich auch nicht nach Gran Canaria, um dort unseren Friseur und unseren Metzger im Hotel zu treffen.
Was hängt an unseren Wänden? Sicher keine Reproduktion der «Sonnenblumen», des «Schrei» oder der Mona Lisa. Wenn wir es uns leisten können, dann legen wir uns sogar bei einem jungen Künstler ein Ölgemälde zu – zwar scheusslich, aber einmalig.

Wir alle wollen einmalig sein, wir wollen alle speziell sein, wir möchten die Einzige sein, die jenes Kleid trägt, wir reisen nach Kirgisistan oder nach Bitterfeld, nach Panama oder nach Buxtehude, wir kaufen jungen Künstlern Arbeiten ab, aber bei der SERAFE, beim Arzt, beim Angeben von Adresse und Telefon wollen wir bitte, bitte, bitte, bitte, dem Standard entsprechen.

Ganz konsequent ist das nicht.