Freitag, 9. Dezember 2022

Der Appetit kommt beim Essen

Nicht alle von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, haben mir den vorletzten Post ganz abgenommen. Sie haben mir geschrieben, mein Verfahren à la «der Appetit kommt mit dem Essen» oder eben «das Schmücken erzeugt die Weihnachtsfreude» würde nicht gehen. Man müsse in Stimmung sein.

Ich schreibe ausdrücklich „in Stimmung sein“. Ich schreibe nicht das deutsche «Lust haben», was ja viel blöder klingt; «in the mood», so drücken es die Angelsachsen aus, «In the Mood», und das war ja auch ein toller Hit von Glenn Miller, kennen sie sicher, «daadada – dadaada - dadadaa – dadadaa», ein Swing-Klassiker. Also die Stimmung, die Laune, der, da haben wir das Wort ja auch, Modus.

Ich würde Sie nun gerne fragen:
Sind Sie gerade in Stimmung fürs Essen?
Sind Sie gerade in Stimmung zum Tanzen?
Sind Sie gerade in Stimmung für Sex?
Sind Sie gerade in Stimmung, um einen Brief zu schreiben?
Sind Sie gerade in Stimmung für einen langen Spaziergang?
Sind Sie gerade in Stimmung für diese Glosse?

Kann sein, Sie beantworten alle Fragen mit «Nein». Dann machen wir doch die entsprechenden Experimente und Übungen.

Kaufen Sie sich die letzte Ausgabe von Heim & Familie und schauen Sie sich die Bilder der Koch- und Backseiten an. Dieser frische Gartensalat! Dieses Spinat-Gorgonzola-Gratin! Diese Whiskey-Mousse! Und erst die Torten und Kuchen, die Cookies und Plätzchen! Wie das toll aussieht! Wie das duftet! Aber halt – das duftet doch eigentlich gar nicht. Das ist Ihr Gehirn, das hier den angeblichen Duft fabriziert; parallel dazu läuft Ihnen das Wasser im Maul zusammen.
Würden Sie jetzt ein Menu frischem Gartensalat, Spinat-Gorgonzola-Gratin und Whiskey-Mousse essen? Würden Sie die Torten und Kuchen, die Cookies und Plätzchen probieren? Obwohl Sie ja sagten, dass Sie bislang auf Salat, Gratin, auf Dessert und Mousse, dass Sie auf Cookies und Torten gar keine Lust haben?
Sehen Sie: der Appetit kommt beim Essen…

Sie sind nicht in Stimmung zum Tanzen? Gut, dann legen wir doch gerade das Stück auf, dass die Stimmung im Titel trägt: «In the Mood» von Glenn Miller: «daadada – dadaada - dadadaa – dadadaa». Merken Sie, wie Sie anfangen zu wippen? Wie es Ihnen in den Beinen zuckt? «daadada – dadaada - dadadaa – dadadaa». Wie Sie beginnen, mit den Hüften zu wackeln? «daadada – dadaada - dadadaa – dadadaa». Und schon stehen Sie auf und machen den Jive-Schritt. Und das einzige, was Sie daran hindert, einen echten Rock `n Roll hinzulegen, ist die Enge Ihres Wohnzimmers – nein, es ist vielleicht Ihr Alter und Ihr Gewicht, dass Würfe wie vor 40 Jahren nicht mehr zulässt…

Tja, und der Sex…
Hier ist es ja wohl am deutlichsten, dass Stimmung (mood) auch erzeugt werden kann. Welchen Sinn hätten sonst Pornos und anzügliche Zeitschriften?
Oder noch anders formuliert: Hier kommt die Lust und Leidenschaft in den blödesten und spontansten Momenten. Da denkt man an nichts Böses, man ist wirklich nicht und wirklich nicht in Stimmung, und dann taucht aus dem Nichts ein Traummann / eine Traumfrau auf und baggert einen an, und dann passiert das, auf das man weder vorbereitet, noch wogegen man gewappnet ist…

Für Briefe ist man nie in Stimmung. Ich habe noch selten Menschen erlebt, die am Morgen aufstehen und rufen: «Heute schreibe ich drei Briefe und/oder fünf Postkarten!» Selten. Sehr selten. Die meisten fangen an, noch ohne Lust, kramen in ihrem Schreibtisch, finden eine wunderschöne Briefkarte mit Manet oder Monet oder Klee oder Vasarely und diese Briefkarte mit Manet oder Monet oder Klee oder Vasarely bringt dann schon mehr Mood und dann fämgt man an: Lieber…, liebe… und wenn man die Person kennt, fallen einem aufs Mal 1000 Dinge ein, die man erzählen kann.
Genauso mit dem Spazierengehen: Es kostet im Herbst, im Winter Überwindung, es kostet einen kleinen Ruck, sich warm anzuziehen und loszulaufen. Und dann wird man belohnt.

Sind Sie gerade in Stimmung für diese Glosse?
Das ist jetzt eine dumme Frage, sonst würden Sie ja nicht lesen. Ich müsste eher fragen: Waren Sie in Stimmung, als Sie anfingen oder kam der Spass erst beim Lesen?

Nicht alle von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, haben mir den letzten Post ganz abgenommen. Sie haben mir geschrieben, mein Verfahren à la «der Appetit kommt mit dem Essen» oder eben «das Schmücken erzeugt die Weihnachtsfreude» würde nicht gehen. Man müsse in Stimmung sein.

Und das haben wir nun widerlegt.







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen