Montag, 30. Mai 2016

Schlussmachen mit Velodieben: Bescheuerte Plakate

Ein grosses Fahrradschloss prangt auf dem Plakat der Basler Polizei. Darunter steht in wunderschönen grossen Lettern der Satz
MACHEN SIE SCHLUSS MIT VELODIEBEN
Ich lese den Satz dreimal durch und denke dabei, dass doch irgendwas nicht stimmt. So wie es geschrieben steht, ist gemeint, dass die Angesprochenen ihre Beziehungen mit Menschen, die Zweiräder klauen, beenden sollen. Aber vielleicht ist das die neue Methode? Oder eher eine alte Methode, es erinnert ja sehr an die Lysistrata-Geschichte, in der die Athener Frauen in einen Sex-Streik traten, um ihre Männer endlich zum Friedenschluss mit Sparta zu zwingen. Gute Idee eigentlich, wenn Velodiebe keinen Partner, keine Partnerin mehr finden, dann hören sie eventuell mit der Stehlerei auf. Ich stelle mir das richtig schön vor: Hunderte von Velodieben, die sexuell frustriert und seit Wochen geil mit verbissenem Gesicht durch die Stadt laufen.
Oder ist noch etwas Anderes gemeint? «Schluss machen» im Sinne von «abknallen»? Wäre drastisch – bei uns. In Atlanta oder Tucson könnten die Bürgerinnen und Bürger das sehr wohl so verstehen: «He wanted to steal my bike – and I shot him.» Alles Roger, haben wir Verständnis dafür, Freispruch. Vor allem, wenn der Bike-Burglar dummerweise auch noch eine dunkle Hautfarbe hatte.
Aber natürlich meint das Plakat eigentlich:
MACHEN SIE SCHLUSS MIT VELODIEBSTAHL.

Plakate, Schlagzeilen, Slogans.
Es gibt hier eine Unzahl von so herrlichen Sätzen, dass man aus dem Lachen nicht herauskommt.
TAG DER OFFENEN TÜR IM TIERHEIM
wirbt eines in der Badi. Das finde ich eigentlich nicht so gut, ich hätte doch gerne, dass die Türen im Tierheim geschlossen bleiben, als Katzenallergiker wäre für mich eine Horde von Büsis, die sich in geschlossener Formation über die Stadt ergiesst, der Horror. Ebenso die Hunde, Meerschweinchen, Kaninchen und vor allem das gefährliche Tierzeug, das soll doch bitte im Heim bleiben.

Die NPD warb vor Jahren mit dem unglaublichen Slogan
DEUTSCHLAND GIBT GAS
und es war nur dem Umstand zu verdanken, dass man bei Leuten, die einen IQ zwischen 0 und 54,78 haben, nur von riesengrosser Dummheit ausging, dass die Partei nicht die grössten Probleme bekam. Der Satz wäre so etwas von gemein, zynisch und brutal, wenn man ihn auf die eine Weise versteht, dass einem die Spucke wegbleibt.

Der bekannteste Spruch ist wohl ein Urbaner Mythos, er wird vielen Schiesssportvereinigungen in die Feder gelegt, wirklich gesehen hat das Plakat aber niemand:
KOMMEN SIE IN DEN SCHÜTZENVEREIN UND TREFFEN SIE NETTE LEUTE.

Woran liegt das, dass wir ständig solchen Unsinn als Plakate, Slogans, Schlagzeilen in die Welt schreiben?
Die Antwort liegt klar auf der Hand: Weil wir nicht mehr gegenlesen. Zu einem orthografischen Korrekturlesen kommt es meist noch rudimentär, ich betone noch einmal, rudimentär, davon zeugen die Unmassen Schreibfehler, die nun auch bisher goldene Horte der Sprache wie Suhrkamp und Hanser erreicht haben (die NZZ schrieb neulich darüber), ein Sinn-Gegenlesen findet meist nicht statt. Mit Sinn-Gegenlesen meine ich die simple Frage: «Wie verstehst du diesen Satz?» oder «Kann man das missverstehen?» Für solche Dinge hat man im Sekundentaktzeitalter natürlich keine Musse mehr.

Dabei könnte man mit einem solchen Prozedere auch eine Menge Geld sparen. Dies zeigen die Hunderte von Werbeflops, die die Firmen einen Haufen Kohle gekostet haben. Hätte man VOR der Eröffnung von x Filialen in Tokio, Kyoto und Nagasaki einen Japaner mit dem Begriff TSCHIBO konfrontiert, hätte er gewarnt: Im Land der aufgehenden Sonne bedeutet das Wort «Tod». Und niemand geht gerne in einen Laden, übe dem in Riesenbuchstaben das Wort
TOD
steht. Ähnliches passierte den Autobauern aus dem Piemont in Finnland mit dem FIAT UNO. «Uno» heisst dort nämlich «Trottel» und wer fährt gerne mit einem Fahrzeug durch die Gegend auf dem «Trottel» steht?

Versteht man diesen Satz?
und:
Versteht man ihn so, wie ich es dachte?
Oder mit Goethe zu sagen: «Wie ist dies Zauberwort gemeint?»
Das wären doch sehr wichtige Fragen.

Aber wahrscheinlich bin ich ein Nörgler aus vergangenen Zeiten und sollte mich damit zufriedengeben, dass die meisten Plakate, Slogans und Schlagzeilen immerhin noch 98% richtig geschriebene Wörter haben, möglicherweise kann man einfach nicht mehr verlangen.

Das Polizeiplakat schreibt übrigens weiter unten als Tipp:
REGISTRIEREN SIE IHR VELO.
Was ich natürlich sofort mache. Ich renne nach Hause und lege eine Excel-Datei an, in der ich die Nummer, die Marke und das Kaufdatum nicht nur meines Velos, sondern auch meiner anderen Haushaltsgegenstände notiere, wenn ich schon mal dabei bin. Ich frage mich allerdings, was mir das bringt?
Nichts.
Denn es müsste natürlich heissen:
LASSEN SIE IHR VELO REGISTRIEREN.

Donnerstag, 26. Mai 2016

Die fünf Massnahmen des D. Trump

Ein Whistleblower aus den USA hat mir geheime Strategiepapiere zu den Absichten von Trump zugespielt. (Ich mag eigentlich keine Anglizismen, aber «Pfeifenbläser» klingt schon sehr komisch…). Ich veröffentliche hier jetzt also exklusiv und erstmalig einige Ideen, die nach Trumps Vorstellungen die Vereinigten Staaten wieder zu dem machen sollen, was sie waren.

1.)    Abschaffung der gewerblichen Spülmaschinen

In den guten alten goldenen Zeiten konnte jeder in New York, in Chicago oder L.A., konnte jeder in Tennessee, Texas oder Oklahoma reich und wohlhabend werden. Man musste sich nur anstrengen, musste Energie und Mumm mitbringen und sich hochschaffen. Der «Selfmademan» war die Regel, der «Selbstgemachtmann», der, der von ganz, ganz unten bis in die Villenvororte kam. Hatte er am Anfang nicht einmal ein Auto, was in den USA mit asozial gleichgesetzt werden kann, besass er am Ende einen Rolls, einen Cadillac UND einen Ford (für die kleineren Strecken, z.B. zum 20m entfernten Supermarkt) und er war Mitglied im Country Club. Das galt wohlgemerkt für jeden, wer es nicht «machte» ("He didn’t make it…"), war entweder zu faul oder zu faul, etwas Anderes gab es nicht, vielleicht noch zu arbeitsscheu oder träge. «Vom Tellerwäscher zum Millionär» hiess die Devise und hier horchen wir doch auf: Der Slogan lautet nicht "Vom Müllmann zum…" oder "Vom Fensterputzer…", er nennt nicht den Fliessbandmenschen oder Bauarbeiter, nein es heisst "Tellerwäscher". Daraus folgt, dass der Einsatz der grossen Spülmaschinen eine verkehrte Sache ist. Schaffen wir sie also ab, damit es genügend Tellerwäscher gibt, und Amerika wird wieder voll von Millionären sein.

2.)    Ankauf eines Stücks Wüste Gobi

Die Amerikaner waren immer grossartig, wenn sie unbebautes, neues, frisches, wenn sie jungfräuliches, niemandgehörendes Land besiedeln und ausschöpfen konnten, Land wo nichts war. So sind N.Y. und L.A. und Chicago, so sind Texas, Tennessee und Oklahoma ja überhaupt entstanden. Gut, ein paar wenige Indianer waren da, aber die vernachlässigen wir jetzt einfach. Einer der grössten Coups war der Ankauf von Alaska. Vorher in Russischer Hand, und die dummen Russkys konnten mit dem eiskalten Haufen Erde, wo die Bären herumtollen und die Spucke in der Luft gefriert, einfach nix anfangen. Dann kauften es die USA – und prompt fanden sie Öl. Die Russkys bissen sich in den Hintern und die Amis bauten eine Pipeline. Man sieht: Wo die Amerikaner ein Land besiedeln, da wird was, da findet man was, da entsteht was. Was läge also näher als den Chinesen ein Stück Gobi abzukaufen? Wie die Russen bei Alaska sind die Schlitzaugen in der Gobiwüste ja auch einfach zu doof, etwas Anständiges daraus zu machen. Lasst also Uncle Sam ran! Über den Kaufpreis kann man sich sicher einigen…

3.)    Deutschland fliegt aus der NATO

Amerika muss wieder mal einen Krieg gewinnen. Und mit «gewinnen» ist gemeint, dass einerseits das Militär des Gegners kapituliert, aber auch andererseits alle alten, neuen und heimlichen Machthaber das Handtuch werfen und in dem Land peace und democracy einkehren. Das ist seit langem nicht der Fall gewesen. Vietnam, Korea, Golf, Afghanistan, die Reihe der schrecklichen Misserfolge liesse sich noch fortsetzen. Und hier geben wir dem Onkel des Jüngelchens Harold das Wort, der es in Harold and Maude so glasklar formuliert: Die besten Kriege, die wir geführt haben, waren die gegen die Deutschen. Also kehren wir doch zu dem Gegner zurück, den es sich zu bekämpfen lohnt. Stellt die Krauts auf die andere Seite des Vorhangs, dort, wo sie hingehören. Dass den Eisernen Vorhang nicht mehr gibt, ist ein Schönheitsfehler, aber das bekommt man sicher auch wieder hin.

4.)    Reservate für Randgruppen

Das Wort «Reservat» hat für linke Spinner und fehlgeleitete Idealismusideologen einen schlechten Klang, dabei ist es doch eine feine Sache. In einem Reservat haben Menschen einen Lebensraum, die anderswo irgendwo nicht hineinpassen, hier ist für sie etwas «reserviert», niemand stört sie und niemand behelligt sie. Die Indianer leben in solchen Reservaten, und leben gut dabei, die Hutterer und die Amish, religiöse Fundamentalisten leben sogar selbstbestimmt in solchen Reservierzonen. 
Schaffen wir also Reservate für alle die, die im Rest vom Lande stören. Für alle die, die nicht hetero, weiss, heiratswillig und fromm sind, für alle die, die meinen gegen den Strom schwimmen zu müssen.
Das beste Beispiel bringen hier die Schwulen: San Francisco ist ja eh schon fast eine heterofreie Zone, dann machen wir das doch komplett. Die paar Normalen, die noch in Frisco ausharren, dürfen endlich raus und alle anderen Homos MÜSSEN an den Golden Gate und dort entsteht dann das erste Schwulenreservat der Welt.

5.)    Last but not least: Flaggengruss flächendeckend

Die schönste, aber in letzter Zeit sehr vernachlässigte Tradition ist der tägliche Gruss des Sternenbanners, der Flagge der USA. Der Autor durfte bei seinem Schüleraustausch in Arizona zum Glück dieses Ritual erleben, weil es im eher lockeren Lehrerkollegium noch einen Aufrechten gab, und er kann die Worte bis heute auswendig:
Übersetzt heissen sie:
Ich zeige meine Hochachtung vor der Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika, und der Republik für die sie steht. Eine Nation unter Gott, unteilbar, mit Frieden und Gerechtigkeit für alle.
Das spricht man laut, sehr laut, mit Inbrunst und Hand auf dem Herzen. Und wenn jetzt jemand von Gehirnwäsche redet: Ein bisschen brain wash hat noch niemand geschadet, vor allem, wenn das Gehirn verdreckt ist, verdreckt durch Freud und Marx und Hegel und dem ganzen anderen Gesocks.

Man darf sich also freuen in Texas, Tennessee und Oklahoma, in New York, Chicago und L.A., am Mississippi, Missouri, am Hudson und Colorado: Trump wird Amerika wieder grossmachen, zu dem Amerika, was es (nie?) war.




Dienstag, 24. Mai 2016

Keine Politiker ohne Moderation! Keine Bestien ohne Dompteur!

Liebe Onliner, wissen Sie, was ein Moderator oder eine Moderatorin macht? Im eigentlichen Sinne? Tja, eben nicht, was Sie denken. Sie denken, der oder die ist so eine Art Unterhalter(in), eine Person, die das Gespräch am Laufen hält oder Radio- oder Fernsehansagen macht. Im eigentlichen Sinne ist ein Moderator ein Dompteur, ein Schiedsrichter, er oder sie ist ein Aufhalter, ein Schlichter, der oder die verhindert, dass Gesprächspartner mit verbalen Attacken, mit Fäusten oder Ellbogen auf einander losgehen. Moderierende verhindern, dass bei Talkrunden gespuckt, gebissen, dass getreten oder an den Frisuren gerissen wird.

Der Begriff kommt nämlich vom lateinischen «moderare» = mässigen. Wir kennen das von «moderaten Temperaturen» oder von «moderaten Preiserhöhungen», sowie vom «Allegro moderato» aus der Musik. Eine(e) Moderator(in) ist also ein(e) Mässiger(in).

Dass Machtmenschen überhaupt miteinander reden, ist eine grosse Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, dass sie das anständig tun, ist eine grössere, dass sie das anständig vor Publikum tun, ist eine noch grössere.

In früheren Zeiten hat man nicht mit dem Feind geredet. Man hat ihm den Krieg erklärt, man hat ihn vergiften lassen, oder enthaupten oder erdolchen, aber man hat sich nicht mit ihm an einen Tisch gesetzt. Ist ihnen ein Gespräch zwischen Darius und Alexandros bekannt? Kennen Sie ein Gesprächsprotokoll eines Treffens von Hannibal und Scipio? Gab es eine Diskussion zwischen Varus und Hermann? Mitnichten, die trafen sich, wenn überhaupt zum ersten Mal im Kampf. Bei Alexander und Darius gibt es ja das wunderschöne Mosaik, wo man sieht, wie der Mazedonier, der einen Umweg genommen hat, mitten im Getümmel auf den Perser zurast. «Das ist also Alexander», dachte Darius (natürlich auf Persisch), «so sieht der also aus.» Mehr dachte er nicht mehr, dann war er nämlich tot.

Nein, geredet hat man nicht. Kommen Sie jetzt bitte nicht mit Treffen wie das von Maria Stuart und Elizabeth the First, das gibt es nur bei Fritze Schiller, das hat der sich ausgedacht, die beiden Zicken haben nie miteinander konferiert.

Aber auch niedergängigere Gespräche nahmen in alten Zeiten oft einen unguten Verlauf. Es gehörte zum allgemeinen Ton, Parlamentäre und Unterhändler irgendwo hinzuwerfen, auf einen Misthaufen, in den Fluss, man warf sie die Treppe hinunter oder aus dem Fenster, ein solcher Fenstersturz ist ja – wenn die Historiker Recht haben – der Beginn eines etwas längeren Krieges gewesen.

In der Neuzeit beginnt nun das grosse Verhandeln, man trifft sich, man schwätzt, man bildet Vertrauen aus und lernt sich kennen. Hier darf – ich erwähnte es neulich schon – die Rolle der Dolmetscher(innen) nicht unterschätzt werden, die häufig die schlimmsten Dinge einfach weglassen. Wenn man wüsste, was Sowjet- und Amiführer wirklich zu einander sagten, dann stünden einem sicher alle Haare zu Berge.

Etwas ganz Anderes sind Politikergespräche vor Publikum, eine Sache, die erst mit dem TV richtig aufkam. Hier braucht es Moderation, denn hier sind die beiden jetzt plötzlich ganz anders wie in einem 4-Augen-Gespräch. Man muss ja zeigen, wer der Chef oder die Chefin ist, man muss zeigen, wo der Bartel den Most holt, man muss den Tarif durchgeben, man muss Klartext reden, da man ja Zuschauer und Zuschauerinnen hat. Moderation muss sein, sonst würde bei solchen Talks getreten, würde gebissen und geschlagen, würde in Gesicht und Haare gefasst, würde die Arbeit von zig Maskenbildnern und Visagisten in 3 Sekunden zunichtegemacht.

 Sie glauben mir nicht? Das ORF hat es neulich probiert: Die beiden Kandidaten für das Bundespräsidialamt in einem Gespräch ohne Moderator(in). Das Ergebnis war verheerend. Nein, die beiden haben sich nicht geschlagen oder sich angespuckt, sie haben sich nicht in die Wange oder den Magen geboxt, aber sie haben sich verbal benommen wie zwei pubertierende Jungs auf dem Schulhof.
Und das, obwohl sich ja beide für ein Amt bewarben, das ein grosses Mass von Besonnenheit, Würde, von Noblesse und Haltung voraussetzen würde. Fassungslos sahen die Steirer, Tiroler, die Burgenländer und Wiener zu, wie die zwei Heinis, sich unterbrachen, sich ins Wort fielen, einander der Falschaussage, der Lüge, der Blendung ziehen, wie sie sich beleidigten und jedes Mass verloren. Beide nach der Devise: Das macht jetzt viel zu viel Spass, um noch zu Sachthemen zu kommen.

Das Experiment «Talk ohne Master» ist gescheitert. Wir haben – wie ich vorher zeigte – die grössten Fortschritte gemacht, aber den letzten Schritt, Menschen öffentlich ohne Moderation miteinander reden zu lassen, den darf man noch nicht gehen.
Der Homo politicus ist keine Unterart des Homo sapiens. Er hat sich im Darwinschen Stammbaum irgendwo zwischen Wolf und Löwe abgezweigt und ist eine gefährliche Bestie. Der Homo politicus ist hungrig, bissig und in jeder strammen Faser seines Körpers aggressiv. Er braucht einen Dompteur, der ihn mit Peitsche und Knüppel an seinen Platz weist, er braucht einen Tierpfleger, der ihn wieder in den Käfig treibt. Er braucht Menschen nicht mit politischen, sondern mit zoologischen Fähigkeiten.

Sind Sie einverstanden?
Wenn nicht, können wir gerne einmal miteinander reden.
Aber nur mit Moderation.
Ich habe nämlich schon ein paar Leute, denen meine Ausführungen nicht passten gebissen.
Und in die Haare gelangt.
Und getreten.
Ich gebe es ehrlich zu.

P.S. Nun hat ja der grüne Wolf gewonnen, herzlichen Glückwunsch! Möge er besser sein, als er sich in dem unmoderierten Talk gab.







                                                                                                                          

Donnerstag, 19. Mai 2016

UEFA Final: Eine Stadt war dicht

Es ist äusserst amüsant, äusserst witzig, äusserst erheiternd, wenn man einen Satz den ganzen Tag hört und erst sehr spät den netten Doppelsinn begreift, den der Satz beinhaltet. Der Satz, den ich meine und der am Mittwoch immer wieder zu hören war, war:
«Alles ist dicht»
Dabei war zunächst natürlich die Verkehrssituation gemeint, den in Basel ging grosse Strecken gar nichts mehr. Genauso könnte man aber auch hineinhören, dass alle betrunken waren, immerhin belagerten Tausende von Engländern die Innenstadt und taten das, was englische Fussballfans halt mal so tun: Drink. Saufen.

Wohl dem Menschen, der am Mittwoch nicht von A nach B musste, wohl aber auch dem, dem nicht von A nach C wollte, denn der normale Weg von A nach C geht über B. Wohl aber drittens dem, der nicht von A nach D strebte, den D war der Punkt, über den die Leute gingen, wenn sie nicht normal A-B oder A-C fahren konnten. Von vornherein war klar: Der Raum um das Stadion ist gesperrt, ganztägig, weiträumig, hermetisch und gewissenhaft. Keine Trams, Autos, Busse, keine Velos, Töffs (Mofas), aber auch keine Fussgänger durften da hinein, es sei denn man besass ein Ticket. Dass auch keine Vögel, Schmetterlinge, Katzen und Marder hineindurften, halte ich für ein Gerücht, aber wer weiss? Die Angestellten des Shopping-Center St. Jakob durften ihre Überstunden abfeiern und die Bademeister des Gartenbades St. Jakob auch, beide Gebäude liegen in Spuckweite des Fussballfeldes. (Zum Glück waren keine 25° und Sonne, ich hätte mich ins Knie gebissen, nicht in die Badi zu können)

Klar war auch, dass die Tramstrecke Barfüsserplatz-Claraplatz wegen Public Viewing gesperrt wird. Das ist nun – für Nichtbasler – so, wie wenn München einfach mal so den Stachus sperrt, oder Hannover den Kröpcke, oder Stuttgart den Charlottenplatz und Berlin den Potsdamer. Zusätzlich wurden aber auch Strassenbahnen schon Meilen vor der Gefahrenzone angehalten und man liess die Leute laufen, durch Tausende von Fans hindurch, denen man ständig ausweichen musste, um sie nicht anzurempeln. Denn dann wären jene schlicht und einfach umgefallen, auch die Trinkfestigkeit eines Hardcoresäufers hat irgendwo ihre Grenzen.

Ich selbst hatte Glück, denn ich konnte die Innenstadt den ganzen Tag umgehen. Nachdenken verursachte nur der Zeitraum zwischen 15.30 (Ende Probe Muttenz) und 18.00 (Treffen in Münchenstein). Ins Gartenbad konnte ich nicht, nach Hause konnte ich nicht, also ging ich erst einmal ins Muttenzer Hallenbad, bis 16.15 und musste dann Zeit totschlagen – dachte ich! Da Muttenz an der Linie 14 liegt, die nicht fuhr und auch andere Strassen gesperrt waren, fuhren alle quer in die Nachbargemeinden, z.B. Münchenstein und die Buslinie 60 kam zunächst nicht, dann standen wir im Stau und dann wartete ich an der Haltestelle Neue Welt noch 15 Minuten auf das Tram 10. Ich kam knapp, um 17.55 zu meiner Besprechung.

Alles war dicht.
Eine Stadt im Ausnahmezustand. Die Frage ist, ob der Ausnahmezustand nicht bald die Regel wird. Wir haben einen selbstgewollten, beliebten, ureigenen Ausnahmezustand, der heisst Fasnacht. An den «drey scheenschte Dääg» steht die Stadt von Morgen- bis Endstreich Kopf, und das gehört auch so. Dann haben wir die beiden grossen Messen, da ist auch Ausnahmezustand, aber daran hat man sich gewöhnt, und das muss auch irgendwie sein. Dann kam vor zwei Jahren die OSZE (ich postete darüber) und nun der UEFA Final. Was kommt noch? Die Olympischen Spiele? Die WM? Der Weltkirchentag? (Sagen Sie bitte nicht, das sei ja nicht schlimm, ich weiss nicht, was übler ist: Hunderte grölende Engländer oder Hunderte von Spirituellen, die in JEDEM, ich betone JEDEM Tram Jeder Teil dieser Erde und Der Himmel geht über allen auf singen.)

Um es den Auswärtigen noch einmal klar zu machen: Basel hat knapp 180 000 Einwohner und knapp 23 km2, das ist nicht besonders gross, zumal sich die Fans ja auch nicht gleichmässig auf die  Quadratkilometer verteilen, sondern sich in hässlicher Weise in der Innenstadt ballen.
Es bleibt zu hoffen, dass der Werbeeffekt gut war. Der Tourismus am Rheinknie hat ja ein Imageproblem: Basel hat nichts, was der Ausländer mit der Schweiz verbindet. Berge? Weit, weit, weit weg. See? Fehlanzeige, ein schöner Fluss, aber eben ein Fluss. Also muss man den ganzen Weltbürgern überhaupt erst mal den Namen in den Kopf hämmern, damit sie an einen Ort kommen, der von DEM Punkt, den sie in der Eidgenossenschaft gesehen haben MÜSSEN, doch verdammt weit weg ist, dem Matterhorn. Aber werden Jack und Jim und Joe wiederkehren um sich die Altstadt und das Münster anzuschauen, werden José und Ramon zurückkommen und in die Fondation Beyeler und ins Tinguely-Museum gehen? Oder hat nicht das viele Bier die Erinnerung an die Altstadt, den Rhein, den Barfi und das Rathaus einfach ausgelöscht?

Es bleibt nur die Hoffnung, dass es sich irgendwie gelohnt hat.
Dass sich die Million Polizisten, dass sich das Verkehrschaos, die Tonnen von Bierdosenmüll gelohnt haben.
Es bleibt zu hoffen.
Denn der Basler ist kein Mensch für den Ausnahmezustand. Er ist ziemlich normal.

Montag, 16. Mai 2016

Es wird nie mehr Sommer - Persephone und Demeter skypen

Das waren verregnete Pfingsten, nicht? Kalt, windig, grau, neblig, voller Wolken und Trübheit. Und um es klar zu sagen: Das bleibt auch so. Es wird nie mehr Sommer. Es wird überhaupt nie mehr einen Sommer geben.
Denn:
Demeter und Persephone haben die Social Media entdeckt.

Sie haben die Sage nicht mehr parat?
Gut. Dann paraphrasiere ich noch mal:
Demeter ist im Olympischen Kabinett die Ministerin für Landwirtschaft, Fruchtbarkeit, Feldfrüchte und Wachstum. Eine patente und fähige Frau, nur ihre Tochter macht ihr Sorgen. Sie hat sich mit einem etwas zwielichtigen Typen eingelassen, ein dunkler und düsterer Kerl, der sich am Ende auch wirklich als der Chef der Unterwelt entpuppt. Die gute Tochter Persy aber fährt voll auf den Macker ab, und sie verkündet ihrer Mum, dass sie jetzt für immer bei ihm bleiben will. Frau Demeter fällt in Depressionen, was für ihren Job ziemlich dumme Auswirkungen hat. Sie vernachlässigt Landwirtschaft, Fruchtbarkeit, Feldfrüchte und Wachstum und auf der Erde spriesst nix mehr. Das geht eine Weile so, bis Regierungschef Zeus eingreift und eine Mediation anregt. Und diese Mediation hat Erfolg: Es wird ein Kompromiss geschlossen, welcher besagt, dass Persy ein halbes Jahr in Hades-Town und ein halbes Jahr im Olymp Resort verbringt. Wenn die Tochter geht, dann verfällt Demmy in Depries und bei uns welkt die Natur und fallen die Blätter, wenn Persy wieder kommt, dann wird es Frühling und alles spriesst.

Jetzt kommen die Sozialen Medien ins Spiel.
Der erste, der sie herausfand, war natürlich der Götterbote Hermes. Er schweift ja so viel bei uns Sterblichen herum, dass er schnell merkte, was elektronisch bei uns los ist. Er präsentierte dann bei einer der olympischen Vollversammlungen Tablets, Laptops und I-Phones und erklärte das Internet. "Das ist cool", so Hermes, "da können wir voll einsteigen, dann müssen wir uns um unser Image - und unser Image ist nicht mehr das beste - keine Sorgen mehr machen." Der Rat der Götter aber lehnte ab, neumodisch sei der Kram, weltlich und auch nicht zu kapieren. Der Göttervater gebot zudem Hermes streng, nicht auf die Idee zu verfallen, seine Arbeit, die Information der Sterblichen, im Homeoffice vom Berg zu machen, er müsse stets auf der Welt sein.
Der Bote aber ist klug, er mietete sich ein Appartement in NY, Nähe Central Park, Kostenpunkt 15.000, aber für Olympier spielen ja Kosten keine Rolle, und nun fliegt er, wenn er den Götterberg verlassen muss, nicht mehr wahllos auf der Erde herum, sondern gleich an den Hudson und bedient dort von seinem Büro aus seine Internetseiten, hält seinen Facebookaccount am Laufen, twittert und chattet, was das Zeug hält.

Und irgendwie hatte das Demeter spitz bekommen. Sie tauchte unangemeldet bei Hermy am Central Park auf, steppte wie Denver-Alexis in sein Büro-Appartement, goss sich einen doppelten Scotch ein, liess sich aufs Sofa fallen und säuselte: "Nun erkläre mir doch mal den Mist..."
Hermy blieb nichts übrig, als der Ministerin die modernen Techniken zu erklären. Was einige Zeit in Anspruch nahm, denn Demmy war doch mehr so der Out-Door-Typ, so die Naturverbundene, aber schliesslich hatte sie es doch gecheckt.

So, und nun fing Demmy an, sich mit den diversen Möglichkeiten des Elektronischen Zeitalters zu beschäftigen. Und sie war begeistert. Wenn man ein Töchterlein auf der anderen Seite der Welt hat, was gibt es dann Besseres als Skype?
Gibt es etwas Cooleres als Chatten? Als Facebook? Nicht zu reden von Snapchat, WhatsApp und was sonst noch so auf dem Markt ist.
Persy schickte Fotos von ihrem unterirdischen Zuhause.
Persy schickte ein Video von ihrer Hochzeit.
Persy schickte Fotos von einem Strandtag am Styx.
Persy schickte ein Video von ihrer Geburtstagsparty.
Und Demmy fand alles da unten gar nicht so übel.
Jedenfalls läuft es jetzt so: Persy kommt gar nicht mehr an die Oberfläche, sie bleibt unten, weil man Mama ja jederzeit auf irgendeinem Kanal erreichen kann.

Und so gibt es auch kein Frühjahr mehr.

Uns bleibt nur die Hoffnung.
Die Hoffnung, dass die beiden Damen irgendwann merken, dass eine persönliche,
leibhaftige Begegnung doch durch nichts zu ersetzen ist.
Und dann wird ihnen Skype, Snapchat, wird ihnen Facebook und WhatsApp nicht mehr genügen und vielleicht, vielleicht kommt dann doch die Sehnsucht nach der Tochter wieder auf.

Freitag, 13. Mai 2016

Menschen sollten sich nicht verstehen, Babel war die Chance und Pfingsten die Strafe

Ich sitze im Zug nach Bern und lausche gebannt der Unterhaltung zweier Asiaten, ich kann beim besten Willen nicht sehen, ob es Vietnamesen, Koreaner oder Bangladescher sind. «Mao Tao», sagt der eine. «Kwei Zei», antwortet der andere, worauf der erste wiederum ein entschiedenes «Suao gi Bamoa» entgegenwirft. Der zweite überlegt eine Weile, meint dann aber bestimmt: «Ua Totui gi Kamoui, lei lei.» Der erste nickt, muss aber noch ein klares «Fao tubu gi Qui Gao» ergänzen.

Worüber reden die zwei? Wahrscheinlich über ein Zitat eines Weisheitslehrers aus dem 11. Jahrhundert, in dem jener die Schönheit des Wassers mit der Schönheit der Sonne verglich, und die beiden sind in eine lebhafte Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen der Sinneswahrnehmung geraten. Stelle ich mir so vor, schliesslich sind es Vietnamesen, oder Koreaner, oder Bangladescher, auf jeden Fall Leute, die schon mit der Muttermilch die Weisheit des Fernen Ostens aufsaugen.

Aber eventuell war der Gesprächsinhalt ein völlig anderer, und da bin ich froh, sie nicht verstanden zu haben, denn so kann ich mir die Illusion einer Konfuzianistischen Kommunikation aufrechterhalten. Vielleicht hat der erste «heute Abend will ich ficken» gesagt, und der zweite Koreaner, Bangladescher oder Vietnamese hat «es gibt bestimmt Nutten in Bern» geantwortet, worauf ein «aber eine mit grossen Brüsten» folgte, dem ein «knackiger Po ist viel wichtiger» entgegnet wurde. Das Ganze mündete dann eventuell in einem «beides wichtig».

Oder haben die beiden Asiaten sich doch ganz der Allgegenwart von Licht und Wasser hingegeben? Oder ganz banal darüber geredet, ob sie nach Köniz (BE) mit dem Taxi, mit dem Tram, mit dem Bus, der S-Bahn oder zu Fuss kommen?

Manchmal ist es viel besser, wenn man die Leute nicht versteht. In seiner vierteiligen Trilogie Per Anhalter durch die Galaxis lässt Douglas Adams den Babelfisch auftauchen, ein kleines Tier, das man sich ins Ohr schiebt und das, weil es sich von den Gehirnströmen seines Wirtes nährt, alles simultan übersetzt. Dieser Babelfisch sei an vielen Kriegen schuld, so der Autor, weil er zum Verstehen beigetragen habe. Und der schwedische Schriftsteller Jonas Jonasson lässt in seinem Roman Die Analphabetin, die rechnen konnte die Protagonistin beim Übersetzen aus dem Chinesischen mit dem eigentlich Gesagten relativ frei umgehen, was den Politikern, die sie dolmetscht zwar ob der Länge der Rede auffällt, aber ziemlich viel Weltgeschichtsunheil verhindert.

Die verschiedenen Sprachen sind der Bibel nach die Strafe für den «Turmbau zu Babel», als die Menschen zu hoch hinauswollten und Jahwe machte, dass sie sich nicht mehr verstanden. Das Gegenstück im Neuen Testament ist die Pfingstgeschichte, bei der die Rede des Petrus auf einmal von allen in ihren Sprachen (Griechisch, Medisch, Parthisch usw.) gehört wird.

Ist es aber nicht möglicherweise umgekehrt? So, dass die Babylongeschichte der Segen und Pfingsten der Fluch war? Dass die Menschheit an Pfingsten mit dem Verstehen bestraft wurde? Dass die vielen Konflikte daher rühren, dass man weiss, was der andere sagt?

Wenn Sie in der Moskauer U-Bahn einem Moskowiter auf den Fuss treten und er Ihnen so etwas wie ein «dwidow tschoksch» entgegenschleudert, dann denken Sie sicher, er habe «au, das tat weh» gesprochen und entschuldigen sich gestisch tausendmal. Die Beleidigung, die etwas mit dem Beruf Ihrer Mutter zu tun hatte, die haben Sie nicht verstanden.

Wenn Sie in einem Café in Bogota bemerken, dass die zwei Leute am Nachbartisch über Sie reden, gehen Sie nicht davon aus, dass diese Ihre makellose Figur, Ihren schönen Teint und Ihre modische Kleidung loben? Was gäbe es für einen Ärger, wenn Sie hören könnten, dass die beiden Kolumbianerinnen oder Kolumbianer im Stil der barocken Körperteil-Lyrik über alles bei Ihnen herziehen, vom Kopf bis Fuss, ja, dass diese jeden Part Ihres Leibes hässlich und abstossend finden?

Auch ist es besser, eine Sprache nur ein wenig zu können als alle Phrasen, alle Wendungen, alle Redensarten und Sprichwörter präsent zu haben. «Sie können mich mal gerne haben.» schrieb Max Koppler an Jon McGarty in Bluetown, Delaware und jener Jon freute sich, dass der Deutsche ihm so nett die Freundschaft anbot. «You are welcome» hören wir in Amerika immer wieder, und wir freuen uns, dass wir angenommen, willkommen, dass wir erwünscht, geliebt, dass wir gerngesehene Fremde sind. Wüssten wir, dass die Phrase einfach die normale Antwort auf ein «Thank you» ist, entsprechend dem deutschen «gern geschehen», wären wir doch hammerenttäuscht und nagelgeschlagen.

Nein, Babel war die Chance und Pfingsten war die Strafe, und das ganze Internet, Übersetzungsprogramme, die ganze Dolmetscherei, das ganze internationale Zeug macht es immer schlimmer. Zum Glück sind die Übersetzungsprogramme noch grottenschlecht, das weiss jede und jeder, der oder die schon einmal versucht hat, einen sinnvollen Text sinnvoll in einen sinnvollen Text einer anderen Sprache zu verwandeln. Oder jede/jeder der/die sich die Mails durchliest, in denen man gebeten wird für eine kleine Gebühr endlich, endlich, endlich die Erbschaft über 20000000000000 Dollar anzunehmen, die seit vierzehn Monaten auf einer Bank in Seattle auf einen wartet. Aber ein wenig bringt das PC-Übersetzen eben doch, und dann wird der Albanische Songtext, der sich so romantisch anhörte, auf einmal doch schrecklich banal.

Die beiden Koreaner, Bangladescher oder Vietnamesen (oder vielleicht doch Thais? Chinesen oder Japaner sind es nicht…) haben inzwischen gemerkt, dass ich intensiv zuhöre. Und weil sie meinen, ich hätte ein paar Brocken verstanden, spricht der eine mich an: «Wenn Weng Loa Tao 1356 schreibt Feuer ist Vogel und Vogel ist Feuer, dann meint er doch nicht, dass die beiden Dinge wirklich gleich sind, sondern er spricht von der Wahrnehmung, oder was meinen Sie?»

Mein Asienbild ist wieder völlig in Ordnung.  

Montag, 9. Mai 2016

SB-Restaurant ohne Tablars

Die Schwimmbadsaison ist eröffnet. Ich habe schon vor zwei Wochen mein Abo gelöst und bin im Sportbecken geschwommen, aber seit diesem Samstag ist das Joggeli (Gartenbad St. Jakob) richtig offen, mit allen Becken, mit Rutschbahnen, allen Liegewiesen und – dem Restaurant. Dorthin strebte ich am Sonntag, einem nun wahrlich extrem schönen Badetag, um meinen traditionellen Doppelten Espresso zu trinken. Dieses Heissgetränk ist stets eine Hommage an eine viel zu früh verstorbene Freundin, mit der ich dort auf der Terrasse es zu geniessen pflegte. Da ich mein Portemonnaie, meine Zigaretten samt Feuerzeug und meinen Kastenschlüssel mitnehme, bin ich immer froh, wenn ich alle diese Dinge auf ein Tablar legen kann. (Für meine deutschen Leserinnen und Leser: Tablett, aber ich benütze hier die CH-Version, weil sie kürzer ist.) Jedenfalls, ich stand da mit meinem Kram, liess gerade meinen Doppelten durchlaufen, als ich bemerkte, dass eben diese Tablars nirgendwo zu sehen waren. Ich fragte einen Angestellten und bekam die folgende Antwort: Man habe das Restaurant vom Vorpächter übernommen, es sei erst der zweite Tag und Tablars seien noch keine da.

Ich muss zugeben, dass ich einigermassen erstaunt war. Ich meine, woran denken Sie bei einem SB-Lokal? Natürlich, an Tablars. Das ist doch das Entscheidende: Tablars holen und anstehen. Ich würde sogar behaupten, dass, wenn ich ein Piktogramm eines SB-Restaurants malen müsste, ich Gabel, Messer und eben ein solches Tablar darstellen würde. Müsste es nicht im Bereich des Normalen liegen, an dieses so wichtige Detail zu denken? Ein bisschen zu planen? Vielleicht den Vorpächter zu fragen, was es braucht? Oder jemand anderes, der sich auskennt?

Wann hat eigentlich das Planen aufgehört?

In der BRD schon vor zwanzig Jahren, klar, dort baut man Bahnhöfe in Sumpfgebiete und Flughäfen ohne Lüftung, dort überfällt der Winter mit Weichenvereisungen und der Sommer mit ausfallenden Klimaanlagen die DB jedes Jahr mit immenser Plötzlichkeit, dort ist man immer wieder überrascht, wie viele (oder wenige) Schüler auf einmal da sind, dort hat man das Planen wirklich nicht erfunden.

Aber in der Schweiz war Planung eigentlich immer Mode. Die Sage berichtet, dass Stauffacher, Fürst und Melchtal  schon auf der Wiese das einjährige Schwurjubiläum geplant hätten. Sie hätten Listen erstellt, auf denen die Zutaten zu einer schönen Grillade verzeichnet gewesen seien, hätten dann Ketchup, Kartoffelchips, Senfsauce und ähnliche Sachen gestrichen, weil die noch nicht erfunden waren, und hätten sich auf drei Dinge geeinigt: Fürst bringt Hirsch, Melchtal bringt Brot und Stauffacher bringt Bier. Dies war sozusagen die Geburt des OKs. „OK“ heisst hier nicht „in Ordnung“ sondern „Organisations-Komitee“.

Das OK war früher eine der perfekten Schweizer Erfindungen. Wenn in drei Jahren ein Jubiläum anstand, wurde zwei Jahre vorher das OK gegründet. Ein Jahr davor stand der Zeit- und ein halbes Jahr davor der Einsatzplan. Dann musste man schrecklich warten, denn gewisse Dinge konnten nun beim besten Willen nur kurz davor erledigt werden. Man erzählt von Marie H. aus Wutzingen (SZ), die nur dadurch, dass man sie an ihren Stuhl fesselte, davon abgehalten werden konnte, Salate für eine Feier schon dreizehn Tage vorher anzumachen.

Heute wird ein OK für ein Dorffest ein halbes Jahr vor Termin gegründet, und ein Monat vor dem Ereignis weiss noch niemand, was sein wird. Choreographien für Chorauftritte macht man zwei Wochen before Stage und Schullager plant man während der Anreise. «Spontan» heisst das Zauberwort, dessen einziger Zauber darin besteht, schrecklich viel Chaos anzurichten.  

Was ist eigentlich so schrecklich am Planen?

Ich höre immer mehr: „Ich muss noch meine Party planen.“ „Ich muss noch die Reise planen.“ „Ich muss noch mein Wochenende planen.“
Dabei gibt es doch nichts Schöneres. Man kann alle Gerüche, alle Geräusche, alle Klänge und Farben schon vorausahnen, man kann sich in alles schon hineinversetzen, man kann alles schon vorauserleben, man kann schon ein wenig in der Zukunft sein, Vorfreude ist ja die schönste Freude, abgesehen von der entspannenden Wirkung des Ich-habe-an-alles-gedacht. Also müsste es  doch korrekt heissen: „Ich DARF planen.“

Ich balancierte also meinen Doppelten Espresso einhändig zur Kasse, in der anderen meine Geldbörse, meinen Schlüssel und meine Rauchutensilien. Dort stellte sich mir ein anderes, aus vergangenen Jahren schon bekanntes Problem: Der Doppelte ist in der Maschine programmiert und kann herausgelassen werden, ist aber in der Kasse nicht eingegeben. Der Kassierer verlangte die gleiche Summe wie für einen einfachen, was natürlich nicht stimmte, aber ich wollte nicht streiten, um mehr bezahlen zu dürfen. Hier hätte, da ja das in den letzten Jahren schon das Problem war, wiederum ein Nachfragen beim Vorpächter viel gebracht. «Ach, und dann kommt da immer so ein Typ mit Espresso Doppio», hätte er gesagt, «der kostet 5,50.-« Oder er hätte dem Nachpächter gleich den Zettel hinterlassen, der letztes Jahr immer neben der Kasse lag:
Der alte braungebrannte Knacker mit Stoppelfrisur und roter Badehose zahlt für seinen Scheiss-Doppelespresso fünf Franken fünfzig.


Freitag, 6. Mai 2016

Politik und Verbformen


Wenn Sie immer noch am Hirnen sind, liebe Leserin, lieber Leser: Es gibt natürlich kein Konjunktiv Futur, die Zukunft ist immer konjunktivisch, stets ein Wunsch, stets irreal, nie sicher und nie berechenbar. Aber ich glaube, Sie haben generell noch Mühe mit der Vollbestimmung der Verbform? Da waren Sie gerade krank, als das in der Schule drankam? Dann hatten Sie was Chronisches, das macht man nämlich die ganze Mittelschulzeit, aber macht nix, ich gebe Ihnen ein wenig Nachhilfe. Interessant ist eben auch die Verbgrammatik und die Politik.

Die meisten Sprachen kennen folgende Personalformen:


Singular
Plural
1.       Person
ich
wir
2.       Person
du
ihr
3.       Person
er, sie, es
sie

Ah, guten Morgen, Herr Erdogan! Ich kann zwar kein Türkisch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Ihrer Sprache nur die 1. Person Singular gibt. Gibt es dort wirklich kein DU und kein WIR? Dass Sie diese Formen nicht kennen, heisst nicht, dass diese Pronomen nicht existieren. Natürlich, Sie regieren das Land - die neueste Kapitulation eines Konkurrenten zeigt dies - nach der Devise "Der Staat bin ich." Aber eigentlich sind der Staat wir, oder sie (die Türken). Aber, wie gesagt, dafür kann ich zu wenig Türkisch.
Was die Zeiten anbetrifft, stehen wir vor grossen Schwierigkeiten. Ein Schüler von mir schlug mal die folgende Einteilung vor: Plusquamperfekt = ganz alt (so Altertum), Präteritum = so alt (bis 1999), Perfekt = so grad vorbei (20. Jahrhundert), das war aber sehr unorthodox.
Der korrekte Gebrauch ist nicht leicht. Ergänzen Sie mal korrekt:
Die SPD ____________ (sein) eine Volkspartei.
Ist? Präsens? Wohl kaum. Eher "war", also Präteritum. In 10 Jahren vielleicht "Die SPD war eine Volkspartei gewesen, bevor sie sich auflöste.

Zu den Genera Verbi ist zu sagen, dass das Passiv, die Leideform, die Form der Politiker schlechthin ist. Glauben Sie nicht? Hören Sie sich doch mal diese Aussagen an:
"Das wurde leider nicht bedacht."
"Das ist leider noch nicht erledigt worden."
"Das wird klar durchgeführt."
"Das wird noch verbessert werden."
Immer heisst dies doch: Von irgendjemand, aber sicher nicht von mir. Achten Sie einmal darauf, wie häufig in Politikeraussagen die klare handelnde Person fehlt. Eigentlich fast immer, denn wäre es ein Untergebener, müsste man ihn entlassen, wäre es man selber, dann müsste man ja zurücktreten, so "werden" Dinge einfach nebulös und verworren passiv "verschludert", ohne dass der Macher oder die Macherin irgendwie herausfindbar wäre.

Ach, und der Konjunktiv! Der Konjunktiv! Die Herrschenden verwenden ihn nie, dabei wäre (Konjunktiv) er doch meistens angebracht. Warum setzen wir Aussagen von CDUlern, SPDlern, GRÜNEN und anderen stets in den Konjunktiv I? Damit relativieren wir doch schon.
"Die Renten sind sicher." Schmud-Bollgooff sagte, die Renten SEIEN sicher.
"Das AKW ist sicher." Frunk-Namfatt sagte, das AKW SEI sicher.
Aber besser wäre doch gleich der Konjunktiv II:
Die Renten wären sicher, wenn wir die Beiträge in den nächsten Jahren um 134% erhöhen würden.
Das AKW wäre sicher, hätten es nicht Menschen erbaut.

So, jetzt haben wir vieles geklärt.
Aber nochmals:
Nein, es gibt keinen Konjunktiv Futur. Die Zukunft ist immer irreal, ungewiss.
Es gibt ein "Futur bei Sonnenaufgang". Bei Loriot. Das brauchen Sie aber nur, wenn Sie ein Jodeldiplom wollen.


Dienstag, 3. Mai 2016

Das Feiertag-Lotto

Am 1. 1. 2025 ist es endlich so weit: Die erste europaweite Ziehung der Feiertage wird in sämtlichen Fernsehprogrammen des Schengen-Raumes übertragen. Natürlich nicht der Feiertage für 2025, sondern für 2028, damit man noch ein wenig planen kann. Vorausgegangen ist eine endlose, ermüdende, erschöpfende, eine teils sehr hitzig und hetzig, teils sehr emotional und atonal geführte Diskussion, welche der Festtage eigentlich noch Sinn machen und ob jeder Staat bereit wäre, seine Spezialtage zu opfern. Die Niederländer haben erbarmungslos für ihren Koninginnedag gefochten, was wenig Sinn gemacht hat, da sie die Monarchie schon 2021 abschafften. Auch der 1. August ist erst nach einer fast in einen Bürgerkrieg ausgearteten Volksabstimmung gefallen, bei der sich die Vertreter der These, dass die drei Herren nicht exakt am 1. 8.auf dem Rütli standen, durchgesetzt haben.

Die Idee einer Neuordnung der Feiertage ist seit langem im Raum gestanden. Das eine Argument war die Einheitlichkeit im europäischen Raum, das andere war die Tatsache, dass der Name und Sinn des Tages häufig verlorengegangen ist. Die dritte Sache war die, dass die Muslime immer vehementer eine Einbeziehung ihrer Feste in den Kalender verlangten.

Nun ist es am 1. 1. 2025 endlich so weit: Feiertags-Fee Lisa Tietze-Ludwig – der Name kommt Ihnen bekannt vor? Es ist tatsächlich die Enkelin der ARD-Lottotante – betritt (nach Abspielen des Charpentier-Klassikers) die Bühne und verkündet, dass der Aufsichtsbeamte sich vor der Sendung vom ordnungsgemässen Zustand des Ziehungsgeräte und der 31 Kugeln überzeugt habe. Dann geht die bekannte Melodie los (da dadadada dammmm...) und die Kugel für den Januar fällt in die Röhre: Es ist die 7 – und weiter geht es. Wiederholt werden muss ein Vorgang, wenn der Tag ein Samstag oder Sonntag ist oder er schlicht und einfach nicht existiert, wie der 31. April z.B.

Am Ende stehen die Feiertage für 2028 fest: 7. Januar, 22. Februar, 16. März, 13. April, 31. Mai, 5. Juni, 6. Juli, 1. August (die Eidgenossen brechen in Jubel aus), 27. September, 4. Oktober (Grummeln in der BRD, denn knapp vorbei ist auch daneben), 17. November und 25. Dezember (Jubel bei den Kirchen). Jeder und jede kann nun für sich oder für seine oder ihre Gruppe, für ihren Verein oder Partei festlegen, welchen Name der Tag tragen soll. Während die Schweizer – Fortuna war ihnen hold – weiterhin einen Natonalfeiertag haben, wird der 1. August von den Anglern als Fisch-Tag, von den Schwimmern als Tag des Freibades, von den Veganern als Tag des Sojas und von den Antroposophen als Eurythmie-Tag gefeiert, und weil man sich schengenweit einigte, eben in ganz Europa. Vegane Angler, die gerne synchronschwimmend ihren Namen tanzen, müssen sich halt entscheiden. (Gibt es überhaupt vegane Angler?)

Sie finden das eine Horrorvision? Oder zumindest eine Merkwürdigkeit?
Aber jetzt mal ganz ehrlich: Was feiern Sie denn am Donnerstag? Oder wie heisst der Tag im eigentlichen Sinne? Nein, das heisst nicht wirklich Vatertag, es gibt einen offiziellen Muttertag, aber die Märsche, bei denen die Männer mit Bollerwagen und viel, viel Gerstensaft durch die Lande ziehen, ist inoffiziell entstanden. Er ist auch Blödsinn, denn der Spruch “Vati soll es auch einmal schön haben” ist bösartig falsch, mit Kumpels saufen tun die Kerle das ganze Jahr, egal ob Ehemänner, Väter, Schwule (ja, auch die) oder Singles. Für die Baselbieter: Auch das Stichwort Banntag ist jünger als die wirkliche Bedeutung, das ist nämlich Christi Himmelfahrt. Darunter kann man sich noch ungefähr etwas vorstellen, aber was feiern wir denn an Pfingsten? Weiss kein Mensch. Allerdings gehen auch bei Weihnachten und Ostern die Meinungen sehr auseinander, wenn man Menschen mit dem Mikrophon bewaffnet auf der Strasse nach den Festen befragt:
“An Weihnachten kommt der Weihnachtsmann, der ist da geboren.”
“An Weihnachten feiern wir so Hirten.”
“An Weihnachten kamen die Engel zu Ochs und Esel.”
“An Ostern ist der Osterhase auferstanden.”
“Nein, da wurde er gekreuzigt.”
usw. usw.

Verlockt da nicht der Gedanke, alle religiösen, aber auch nationalen, auch alle politischen, alle Feier- und Gedenktage für jedes Jahr neu auszulosen und zur Freibelegung zur Verfügung zu stellen? Fromme Menschen könnte ja auch durchaus den 13. April Ostern, den 31. Mai Himmelfahrt und den 5. Juni Pfingsten nennen, käme ja fast hin. Die Kommunisten könnten am 31. Mai ihren Tag der Arbeit begehen und die Deutschen einen Nach-Tag der Deutschen Einheit am 4. 10.

Ein Gewinn wäre es für alle Arbeitnehmer insofern, dass es keine verlorenen Festtage mehr gäbe: Wenn der gezogenen Tag ein Sams- oder Sonntag ist, wird die Kugel ja zurückgeworfen. Und diese vielen Arbeitnehmer würden das tun, was die meisten an Himmelfahrt oder Pfingstmontag jetzt schon machen: Wandern, Ausschlafen oder Chillen, die Freibäder oder die Kinos blockieren, die Oma besuchen oder in den EUROPAPARK fahren, also Dinge, die weder religiös noch politisch noch national belegt sind.

Am 1. 1. 2025 werden die Feiertage des Jahres 2028 ausgelost worden sein. Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg zurückgelegt zurückgelegt worden sein gekonnt sein. (In welchem Tempusdrückt man eine Sache aus, die bis zu einem Ereignis in der Zukunft reicht, dass fiktiv ist? Oder anders formuliert: Wie lautet 3. Person Singular Futur II Konjunktiv Passiv von “zurücklegen”?)