Freitag, 28. Juni 2013

Not-to-do-Listen

Ich habe vor etlichen Monaten einmal über To-do-Listen geschrieben. Vielleicht erinnern Sie sich, es ging darum, möglichst viel Selbstverständliches draufzusetzen, damit man am Abend viel geschafft hat. Besonders schön war ja das Verfahren: Eintatmen schreiben, das tun, durchstreichen, Ausatmen schreiben, das tun, durchstreichen, usw.
Jetzt hat das Känguru (Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken / Das Känguru-Manifest) etwas Tolles erfunden: Die Not-to-do-Liste.
Ja, ich habe eben nicht sauber zitiert, seien sie doch nicht so altmodisch! Aber weil Sie so professoral und seminaristisch sind, meinetwegen:
Kling, Marc-Uwe: Die Känguru-Chroniken, Berlin 2009
Kling, Marc-Uwe: Das Känguru-Manifest, Berlin 2011
Jetzt wieder ab in den Elfenbeinturm, aber ich warne Sie, Sie verposte ich auch noch!!!
Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, die Liste.
Das Känguru schreibt morgens einige Dinge auf, die es absolut nicht tun will. Am Abend hat es dann einen supererfolgreichen Tag gehabt. Ich habe diese Methode gestern ausprobiert und gebe hier das Tagesprotokoll wieder:
9.00
Liste gemacht. Vier Punkte werde ich heute nicht tun:
* Arvo Pärt hören
* Goethe zitieren
* Tofu essen
* Eine Kopfbedeckung tragen
11.00
Ich steige ins Taxi zum Bahnhof. Der Fahrer scheint ein Klassikfan zu sein, denn im Display des Radios steht DRS 2. Und sofort erkennen ich es: Dieser stupide Wechsel zwischen a-moll und e-moll, diese grandiose Langeweile, dieses A ---- gnus ---- de----i, diese nordische Öde, dieser Nono für den Hausgebrauch. "Abschalten!", rufe ich, "Pärt steht ganz oben auf meiner Not-to-do-Liste! Ausmachen!" Der Chauffeur zuckt die Schultern, verriegelt die Türen und dreht voll auf. Als wir am SBB ankommen, hat das Hilliard-Ensemble mir 10 Minuten lang die Schlunzmesse op. 899 in die Ohren gesungen.
14.00
Eine unglaublich überflüssige Konferenz in Biel liegt hinter mir. Ich war so fertig mit den Nerven, dass ich, als der Leiter uns allen noch ein 675 Seiten langes Script in die Hand drückte, ironisch sagte:
"Denn was du schwarz auf weiss besitzt, kannst du getrost nach Hause tragen."
Mist, das ist Faust I.
15.00
Zum Glück gibt es noch Essen für die Teilnehmer. Zum Unglück im LOTUSGARTEN, einem makrobiotischen Retaurant. "Bitte aber keinen Tofu", raune ich, "Tofu ist Punkt 3 meiner Not-to-do-Liste."
"Sie mögen keinen Tofu?" "Nein, absolut nicht, weichen Sie ein wenig Styropor in Milch ein, das schmeckt genauso." Nun habe ich nicht mit dem Dogmatismus und der Humorlosigkeit von Makrobioten gerechnet. Sofort springen etliche Kellner und Köche herbei, halten mich fest, sperren mir den Mund auf, stopfen mir die Pampe hinein und lösen den Schluckreflex aus. Als sie mich endlich loslassen, sind 500g weisses Gallert in meinem Magen verschwunden.
17.00
Jetzt hilft nur noch Schwimmbad. In Biel gibt es neu das AQUA-AQUA, ein Spass- und Wellnessbad, das ich immer schon einmal ausprobieren wollte. Sie ahnen es? Badekappenzwang, erfährt man aber erst hinter der Schranke, und die 260.- Eintrittsgeld kriegt man nicht zurück.
19.00
Heulend sitze ich im Zug zurück. Und jetzt erkenne ich das Problem. Liebes Känguru, deine Methode hat einen grossen Haken! Während bei einer To-do-Liste Punkte irgendwann abgehakt sind, kann man bei einer Not-to-do-Liste bis 24.00 seines Lebens nicht sicher sein, erst am Ende des Tages kann man ja wirklich durchstreichen.
Und ständig lauert Gefahr.
Ständig lauern Speisen, die man nicht essen will, Bilder, die man nicht anschauen will, Musik, die man nicht hören will und Leute, die man nicht treffen will (ausser mit der Armbrust).
So schön das Leben ist, überall ist Pärt und Tofu drin, vielleicht ist das sogar das Gleiche, denn Arvo ist der Tofu der Neuen Musik.

Dienstag, 25. Juni 2013

Haustier für mich


Ich brauche ein Tier.
Ein Haustier. Ein Tier, das mit mir lebt und über das ich schreiben kann. Stelle ich mir sehr lustig vor.
Ich habe natürlich schon viele Tiere daheim, aber die zählen nicht. Ich habe einen Vogel, die mich kennen, wissen das. Ich bekomme auch ständig Vögel, wenn ich auf die Welt und ihren Irrsinn schaue. (Für meine deutschen Leser: Vögel bekommen heisst so viel wie Vor dem Ausrasten stehen)
Ja, und ständig lässt jemand die Katze aus dem Sack und die hüpfen dann in meiner Wohnung rum. 
Wenn ich Radio höre oder ins Internet gehe, hat wieder ein Politiker gesagt: Ach, die Renten sind doch ein bisschen tiefer, die Autobahn wird doch ein bisschen teurer, wir haben da doch einen anderen Plan... Manchmal lassen auch Leute bei mir die Sau raus und auf dem Sofa liegt faul mein innerer Schweinehund. „Kannst du doch auch morgen machen“, sagt er ständig und süffelt weiter seine Pinacolada. Und wahrscheinlich habe ich auch Wanzen. Die CIA und das FBI und der Secret Service sind ja ständig zugange. "Oh, da ist noch eine Wohnung im dritten Stock, lasst uns die mal verwanzen."
Ich möchte aber noch ein literarisches, spezielles Tier. Da sind aber ganz viele schon belegt. Meerkatze? Alter Hut, mit Herrn Nilsson bin ich ja praktisch gross geworden. Pferd im Badezimmer? Hat Adams schon gebracht. Känguru? Da ist Marc-Uwe Kling schon dran, übrigens supergeile Geschichten, ich komme in einem der nächsten Posts darauf zurück. Und die Küchenschabe hat Mey besungen: "Alles, was ich habe, ist meine..."
Also gehe ich in eine Zoohandlung um mich inspirieren zu lassen.
Und sofort sehe ich es: Ein Wombat. Ich bin augenblicklich begeistert. "Hallo Wombat!", sage ich, "du kommst mit mir, du wirst jetzt mein Glossen-Maskottchen." "Gerne", sagt das Wombat, "ich hoffe, du bist Nichtraucher, ich vertrage überhaupt keinen Qualm, und ich hoffe, du trinkst nicht, ich bin Blaukreuzler." Vergiss es, du blödes Biest, ich lasse mir von meinem Haustier nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.
Im nächsten Tiergeschäft lacht mich ein Koalabär an. Ein Koala, wie süss! Ich habe schon fast bezahlt, da meint er: "Um es gleich zu sagen, ich habe gewisse Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten." "Hä? Du isst eh nur Eukalyptusblätter." "Ja, die müssen DABEI sein, ich möchte aber auch Eukalyptuspizza (gluteinfrei), Eukalyptusquark (lactosefrei), Gnocchi eucalipto (kartoffelfrei)..."
Vergiss es, du Tölpeltier, ich rase doch nicht stundenlang durch Spezialsupermärkte und stehe dann noch länger in der Küche.
Das Ai im nächsten Laden grinst mich auf meine Frage, ob es mal das Bad putzt und staubsaugt nur an: "Ich mache nichts, gar nichts, ich bin schliesslich ein Faultier."

Aber dann finde ich mein Tier: Ein Huhn. Am Anfang ein wenig frostig, taut es dann doch auf und ich werde es ZUM FRESSEN GERN haben. Es duftet schon nach Rosmarin...

Donnerstag, 13. Juni 2013

100% sicher

Ich weiss nicht, liebe Leserin, lieber Leser, ob Sie schon einmal einen neuen 5 Euro-Schein in der Hand hatten. Ja? Fühlt sich an wie Spielgeld, gell? Ein ganz komisches, steifes Papier, das sich nicht mehr in die Hand schmiegt, sondern fix und pappig drin liegt. Ich bekam neulich so ein Ding bei einem Testessen in Lahr zurück. Nein, ich. bin nicht unter die Restauranttester gegangen, sondern musste ein Lokal für eine Chorreise ausprobieren, aber Sie lenken wieder einmal vom Thema ab. Jedenfalls ging ich bei der Heimkehr in die Reisebank am Badischen Bahnhof. Das ist dieser Schuppen, wo Sie für eine kleine Gebühr von 15 Franken Geld wechseln können, aber auch Japaner und Chinesen sich 300.000 Franken schicken lassen, weil sie beschlossen haben, doch die Rolex UND die Audemar Piguet zu kaufen. Nun gut, ich wartete, zeigte der Dame den Schein und fragte: „Falschgeld, nicht?“ Sie lächelte: „Das sind die neuen 5 Euro-Scheine, die fühlen sich etwas anders an, ich kann Ihnen versichern, der ist zu 100% echt.“
Was für eine Aussage! Ich hätte –wäre ich noch zu haben – die Dame sofort geheiratet. Sie ist sich sicher, sie weiss, wovon sie redet, sie hat Ahnung, Fachkenntnis, sie weiss Bescheid. Und sie macht zu 100% eine Aussage. Eine Auskunft, die gilt. Wo gibt es denn das noch?
Sie hätte ja auch meinen können: „Man kann sich nie sicher sein, jeder Geldschein kann gefälscht sein.“ Hätte ja auch gestimmt. Oder: „So weit ich weiss…“ Aber sie macht eine sichere, gültige Aussage.
Fragen Sie doch mal einen Politiker zu irgendeinem Thema und schreiben Sie die Floskeln mit, da haben Sie dann ein Wörterbuch, ein Kompendium des Wischi-Waschi:
„Man müsste zunächst einmal alle Fakten haben…“
Sie nennen sich doch XY-Experte ihrer Fraktion, warum haben SIE die Fakten nicht?
„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann man hier keine Aussage machen…“
Ja, aber wann ist der richtige Zeitpunkt? Nach der Wahl, korrekt.
„Es ist immer möglich, dass..“
Ja, alles ist möglich, aber es gibt doch Wahrscheinlichkeiten, die man vernachlässigen kann. Dass ein Steuerabkommen Deutschland-Schweiz kippt, wenn die Eidgenossen den Krieg erklären, ist klar, aber ist es WAHRSCHEINLICH?
Ich mag Paulus sonst nicht so, aber ich liebe einen Vers von ihm: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, noch Mächte und Gewalten und scheiden können von dem ewigen Gott.“ (Römerbrief) Und ich liebe diesen Vers, weil Paulus nicht rumlaviert, sondern gewiss, sicher, 100%sicher ist. Überhaupt sind da religiöse Menschen etwas Tolles, weil sie sich überhaupt einmal einer Sache sicher sind.
Auch als Lehrer muss man gelegentlich Dogmen aufstellen: Das Komma steht…, Die natürlichen Zahlen… Wenn man einem 12jährigen Menschen mit allen Ausnahmen, Sonderfällen, Spezialkonstruktionen und Speziallösungen kommt, dreht er durch.
Ach, Sie hirnen immer noch über die Bankbeamtin nach?
Die Dame am Badischen Bahnhof, die ich nicht heiraten will, ist eine Koreanerin, ca. 22 Jahre, hat einen zarten Teint und Mandelaugen, machen Sie ihr doch einen Antrag. Sie bekommen eine 100% klare Antwort, wahrscheinlich: NEIN, NATÜRLICH NICHT

P:S: Der Blog macht eine Woche Pause, ich bin im Tessin irgendwo im Wald




Dienstag, 11. Juni 2013

Elektronische Feenwelt

-->
Ich hatte im letzten Post als Witz geschrieben, dass Wesen aus der Feenwelt auch E-Mail hätten. Nun bekam ich eine ganze Anzahl von elektronischen Botschaften, in denen sich eine Fülle von Zauberwesen darüber beschwert, dass ich hier ironisiere.
So schreibt mir possfgeni-faun@4thdimension.com :
Ich mag deinen süffisanten Ton nicht, natürlich habe ich seit Jahren Internet und Mail. Wieso sollten wir, die wir in der nichtrealen Welt leben, uns nicht in der virtuellen Welt tummeln?
froogyy-zentaur@wonderworld.ch schreibt: Selbstverständlich kommuniziere ich über PC, Blackberry, Pager und andere Dinge. Ich würde gerne einmal einen Guestpost schreiben, darf ich?
Nun überlege ich die ganze Zeit, wie ein Zentaur mit der Tatstatur umgeht. Hat der Spezialtasten? Ich würde ihn nämlich nicht an meinen Laptop lassen, ein Hufschlag und das ganze Ding ist im Eimer.
Der Interessenverband Nordwestschweizer Einhörner schickt mir einen Link zu seiner Homepage: www.Unicorns-Nordwestschweiz.ch
Schön gemacht, auch grafisch, mit allen Daten, Fotos und Chroniken und Links zu den Zwergen, Hexen und Riesen. Vergessen Sie übrigens das mit dem LAST UNICORN, das sind ganz schön viele, die europaweite Plattform UNICORNS INTERNATIONAL zählt 5000 Mitglieder allen Farben und Horngrössen.
Von Zhiisi, dem Ent, von Hja, der Elfe und von Zwooouzt, dem Drachen bekomme ich Freundschaftsanfragen auf Facebook und irgendein Zauberer hat sich sogar in STAYFRIENDS hineingeschmuggelt, ich bin mir aber sicher, dass auf dem Eberhard-Ludwigs-Gymnasium kein Zauberer war. Die müssen doch alle nach Hogwarts, oder dürfen die auch auf Regelschulen?
Auf You-Tube finde ich einige reizende Videos der Walpurgis- und Johannisnächte der letzten Jahre. Auch die sehr professionell gemacht, mit Trommelmusik und tollen Überblendungen.
Aber eigentlich macht die ganze Sache mich sehr traurig. Ich hatte immer gedacht, es gäbe noch eine Welt ohne Elektronik, ohne Digital, ohne Computer. Jetzt sind auch die letzten Illusionen dahin. Wenn Sie sich jetzt in eine Trancewelt singen, kann es sein, dass Sie folgendes sehen:
WILLKOMMEN AM FLY AWAY-TRANCE ORT
Bitte geben Sie Ihr Passwort ein:
Neu? Dann bitte jetzt registrieren.
Wenn Sie im Wald ein Vogelwesen hören und sich mit Drachenblut beschmieren, um seine Stimme zu hören, wird der Vogel das Folgende singen:
Tritritri – gib mir deine Handynummer – tretretre – dann schicke ich dir eine SMS.
Nein, nein, nein, das ist nicht mehr schön, hier ist eine Bastion der Schönheit, Altertümlichkeit, Spiritualität gefallen .
Ich traue mich auch nicht mehr, die Merseburger Zaubersprüche zu zitieren, wahrscheinlich kommen da Odin, Fryga oder Loki mit urheberrechtlichen Ansprüchen. (Da diese Wesen ja unsterblich sind, gilt die 70 Jahre-Regelung nicht)
Ich habe übrigens immer noch kein Facebook, das war oben eine Lüge, ich bin ja aber auch nur ein Mensch und kein Faun.

Donnerstag, 6. Juni 2013

Entschuldigung, Frau Holda!

Als ich gestern im Freibad (das ist ein Schwimmbad open air, ja, gibt es in jeder Stadt, haben Sie vergessen, nicht?) in der Sonne (ja, auch die existiert noch, sie ist nicht explodiert) lag und mich auf meinem Badetuch räkelte, besprüht mit Sonnencreme Lichtschutzfaktor 250, als ich danach in meinen Badeshorts (Shorts sind kurze Hosen, haben auch Sie im Schrank, ganz hinten versteckt) in den Cafeteria einen Espresso trank, als ich danach noch einmal ins kühle Wasser sprang, dachte ich auf einmal:
ICH BIN SCHULD, DASS DER FRÜHLING AUSGEFALLEN IST.
Vor einigen Wochen habe ich einen bösen Post über den Frühling geschrieben, und irgendwie versteht Frau Holda keinen Spass. Frau Holda, die sanfte blumenumkränzte Göttin, die immer aus dem Berg hervorkommt und sich von Hirtenbuben besingen lässt, die normalerweise im März zaghaft das erste Mal aus den Wolken lugt, muss meinen Post gelesen haben. Sicher wird sie ihn dann an alle Elfen und Geister des Lenzes weitergeleitet haben, an die Auroren und Zephire. Ich bin mir sicher, dass inzwischen auch alle Geistwesen E-Mail haben und elektronisch auf dem Laufenden sind. Und dann haben sie beschlossen: Wenn so böse über uns geredet wird, lassen wir das Frühjahr ausfallen, denn:
WIR KÖNNEN GUT IM BERG BLEIBEN, WIR BRAUCHEN EUCH NICHT, EHER IHR UNS.
Ist eigentlich eine gute Einstellung.
Wenn eine Klasse mir sagt: "Müssen wir ins Schwimmbad?" Dann ist meine Antwort ja auch: "Absolut nicht. Ich wollte EUCH eine Freude machen, wenn euch eine Grammatikstunde lieber ist, gerne." Wenn mir Kinder mitteilen, dass sie nicht in den Zoo wollen: "Gut, dann eben nicht, ICH brauche den Zoobesuch nicht, ich habe meinen Lebensanteil an Affengucken und Seelöwenbestaunen schon voll."
Warum denken wir ständig, wir machen den anderen glücklich, wenn wir eine Einladung zum Kaffe annehmen, wenn er uns beschenken darf, wenn er eine Arbeit für uns erledigen darf?
Frau Holda hatte also eigentlich Recht.
Deshalb hier ganz förmlich:

Liebe Göttin Holda,
ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen - bei dir - bei Ihnen (Darf man Göttinnen duzen oder nicht? Gott duzt man ja auch, bis auf die Holländer, die ihn mit "u" - "Sie" ansprechen)
entschuldigen. Es tut mir sehr leid, dass ich so gepostet habe. Ich werde nie, nie, nie, nie mehr etwas Böses über den Frühling schreiben. Aber bitte tun Sie so etwas nicht mehr. Oder wenn der Hafer mich nochmals sticht, strafen Sie nicht die ganze Nation. Sollte ich nochmal lästern, mahen Sie mich zu einem "Regenmenschen", wie er im Anhalter durch die Galaxis beschrieben ist: Immer da, wo ich bin, wird es regnen. Meine Mitmenschen brauchen den Lenz.
Also seien Sie - sei du - mir wieder gut, ich werde nie mehr satirisch über den Frühling schreiben.

Eine herzhafte Entschuldigung auch an alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, denen ich die letzten Wochen versaut habe. 


Dienstag, 4. Juni 2013

Alles? Alle?

Wir suchten neulich für eine Lesung des Romulus einen Odoaker. Also nicht auf der Bühne, sondern wir wollten das Dürrenmattsche Stück einfach bei Wein und Chips mit verteilten Rollen lesen. Da fand ich in einer öffentlichen Toilette den Hinweis blonder Muskelmann macht alles mit 076 5542314. Ich rief sofort an und brauchte eine Weile, dem jungen Kerl zu erklären, dass wir keine Orgie mit Literatur als Fetisch vorhatten, sondern Literatur pur, einfach Text lesen. "Ist ja widerlich", sagte er und legte auf. Dabei hatte er doch geschrieben, er mache ALLES mit.
Im März 1975 war es ungewöhnlich warm, worauf ich eines schönen Nachmittags verkündete, ich würde am nächsten Tag mit kurzen Hosen in die Schule gehen. Den Hinweis meiner Mutter, dass es zwar mittags warm sei, aber am Morgen noch kalt, konterte ich mit der Bemerkung, dass alle aus meiner Klasse am nächsten Tag mit Shorts erscheinen würden und ich mich unendlich blamieren würde. Meine Mutter - eine kluge Frau - rief die Mütter meiner Schulwegskollegen an, und wies mich dann darauf hin, dass Michael, Thomas und Albrecht auch mit langen Jeans in die Schule müssten, wir also schon vier seien.
Alle.
Alles.
Gefährliche, dumme Worte.
Alle waren eigentlich gegen Hitler. Alle waren eigentlich gegen den Krieg. Und alle wussten nicht, was mit den Juden passierte.
Alle Jugos sind irgendwie aggressiv und alle Inder total friedlich. Alle Chinesen sind fleissig und alle Deutschen vorlaut.
Es genügt aber jeweils ein einziges Gegenbeispiel, um das Wort alle zu negieren. Wenn nur einer anders ist, wenn nur eine anders ist, kann man das Wort nicht mehr verwenden. Ich glaube nicht, dass es bei einer Milliarde Inder nicht eine Pottsau gibt, die jeden Tag blaue Augen verteilt und mit Freude Leute zusammenschlägt. Ich glaube nicht, dass es bei so viel Chinesen nicht auch faule Socken gibt, die den ganzen Tag vor dem Fernseher hocken, Soaps glotzen und Glückskekse fressen.
Wir sollten vorsichtig mit alle und alles umgehen.
Als wir übrigens am 4.3.1975 auf den Schulhof kamen, sass dort Gero - in Bermudas. Gero hatte sich durchgesetzt, er blieb aber an diesem Morgen der einzige Bub in der Klasse, der Knie zeigte.
Und Piet, der blonde Muskelmann, der dann doch kam, entpuppte sich als verdammt guter Odoaker, und weil er auch staturmässig so passt, wird es doch eine szenische Produktion geben.