Montag, 30. April 2012

Erfolge


Heute Morgen traf ich in der Espressobar einen Bekannten. Er sah aus wie ein Kätzchen, das man eine Weile durch den Tumbler gejagt hatte oder wie ein Seeräuber kurz vor dem Plankengang. „Was ist denn los?“, fragte ich ihn. „Wie kannst du so gucken – nach diesem Wochenende? Der FCB ist Schweizer Meister! Häni ist Deutscher Superstar!  Basler können Fussball spielen! Schweizer können singen!“ (Gut, singen kann Luca nicht, aber darauf kommt es in der Branche auch nicht mehr an, dafür sieht er ja nun wirklich schnuckelig aus mit seiner Frisur, er hat sicher schon einen Werbevertrag für TAFT in der Tasche.) Übrigens ging ein weiterer „Meistertitel“ unter: Westeuropäer wurden nach den Städten mit der höchsten Lebensqualität befragt, und Bern, Basel, Zürich und Genf sind unter den Top Five – wobei ich mich frage, ob das auch für Leute stimmt, die das nicht haben, was man in diesen Orten braucht: Money.
Mein Bekannter seufzte: „Ja, ich weiss, Luca und der FCB. Aber ich? Ich habe an diesem Wochenende wieder einmal nichts gewonnen, nichts erreicht, ich bin nicht weitergekommen, weder beruflich noch privat, weder spirituell noch sexuell. Ich bin eine Null, eine Flasche, ein Nichts. Stell dir vor, sogar beim Jassturnier am Samstag haben wir grandios verloren, weil ich zweimal aus Versehen das Nell dem Gegner zuwarf.“
Nun musste ich ihm doch die Geschichte von unserer Erfolgreichen-Party erzählen. Als meine Exfrau ihren Studienplatz bei Sigiswald Kuijken in Den Haag ergattert und ich meine Stelle in der Knabenkantorei bekommen hatte, machten wir ein Fest: Eingeladen wurden nur erfolgreiche Menschen. Allerdings, das teilten wir den Leuten bei der Einladung auch so mit, durfte jede(r) selber bestimmen, worin sein oder ihr Erfolg bestand. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Die einen motzten uns an: „Ihr A…! Ich habe keinen Erfolg wie ihr und ich werde nicht kommen. Bei mir geht alles schief.“ Die anderen kamen, gut gelaunt und aufgestellt, und verkündeten ihre Erfolge: Endlich ein Pudding ohne Klumpen, mein Hund hat begriffen, was „Sitz!“ heisst, ich habe ein Gedicht geschrieben, ich habe einen Test bestanden, ich habe einen wundervollen Stoff für mein Sofa gefunden…
Erfolg ist subjektiv, das gab ich meinem Bekannten mit. Jede Kleinigkeit kann ein grosser Erfolg sein, wenn es für DICH wichtig ist.
Und weil ich oben die Knabenkonditorei erwähnt habe: Ich hatte meine eigene kleine Meisterschaftsfeier am Freitag, meine letzte Probe. Ich bekam den gleichen Song wie der FCB – im Original heisst er „Gehe nach Westen“ und ist von den „Tierhandlungsjungen“, über Namen in der Popmusik müsste man auch einmal schreiben, Luca Häni hat da Glück, dass sein Name wie eine Schweizerflagge klingt – jedenfalls diesen Song, es waren keine 36.000 da, aber im Gegensatz zu Streller kannte ich jeden Fan persönlich. Danke Euch allen.


Donnerstag, 26. April 2012

Floorlaying nach R. Shimbu Herter


Ich darf mit Fug und Recht als einer der Gründerväter des Powernappings gelten. Wenn ich während meiner Studienzeit in Freiburg aus der Mensa kam, legte ich mich manchmal vor einem Unterrichtsraum flach auf den Gang und döste ein wenig, gelegentlich schlief ich sogar wirklich ein. Zur Erklärung muss man vielleicht noch erwähnen, dass das Freiburger Mensaessen damals von der Art war, wie Sie es in Hotels Marke „RTL rettet Ihren Urlaub“ sehen, und wahrscheinlich gegen sämtliche Menschenrechtskonventionen verstiess. Am schlimmsten waren die Saucen: Um 11.00 hell und klar wie eine Quelle, dickten sie allmählich ein, waren um 12.00 geniessbar, um 13.00 so zähflüssig, dass sie in schweren, klebrigen Brocken durch die Speiseröhre fielen und im Magen einen fetten, harten Klumpen bildeten. Der Zustand, in dem alle Körperkräfte mit der Bewältigung dieses Bauchmeteoriten beschäftigt waren, wurde nicht umsonst als „Mensakoma“ bezeichnet. Und da half eben ein kleines Dösen.

Als ich nun wieder einmal so lag, kam eine Studienkollegin und fragte: „Wie heisst das?“ – diese Geschichte ist übrigens wirklich passiert, Ehrenwort – „Wie heisst das?“ Lassen Sie sich es auf der Zunge zergehen. Eine solche Frage wird in Freiburg gestellt, der Stadt mit – nach New York – zweithöchsten Therapeutendichte der Welt, der Stadt, in der die Menschen nicht einfach sauer sind, sondern „kleine Igel auf der Aura haben“.

„Wie heisst das?“

In diesem Moment entschied sich mein Schicksal für Jahre, obwohl mir das damals natürlich nicht bewusst war. Ich antwortete nämlich: „Ich liege auf dem Boden.“ Gelangweilt wandte sich die junge Dame einem Plakat für ein Konzert zu. Warum habe ich blöder Hengst nicht das gesagt, was erwartete wurde? Ich hätte für lange Zeit ausgesorgt gehabt. Erwartet wurde ein Name, etwa „Floorlaying“ oder „Bodenmethode“, ergänzt durch „nach ---------------„(Name einsetzen) und in der Schriftform mit einem ® versehen. Ich hätte sofort erste Kurse anbieten, nach einem Jahr weitere Lehrer ausbilden und nach zwei Jahren ein Institut gründen können!!  Vielleicht wäre FLOORLAYING ® nach Rolf Shimbu Herter – ein Sanyassinname wäre selbstverständlich Pflicht gewesen – sogar finanziell ein Erfolg geworden. Aber ich Dummkopf sage einfach, ich läge auf dem Boden.

Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich habe nichts gegen bewährte und durchdachte Entspannungs- und Meditationsmethoden, Tai Chi, Qui Gong, Feldenkrais oder Alexandertechnik. Ich habe etwas dagegen, dass Dinge, die uns der gesunde Menschenverstand eingibt, erst gültig werden, wenn ein Guru dahinter steht. Manchmal spüre ich eine Verspannung, wenn ich am Schreibtisch sitze, dann stehe ich auf und laufe etwas herum, ohne mich auf irgendeinen Meister zu berufen oder den Kurs „Auf den Körper hören“ belegt zu haben.

Und wenn ich sehr müde bin, dann mache ich eben FLOORLAYING® nach Rolf Shimbu Herter, ohne dass die Methode je diesen Name erhalten hätte und später durch BEDLAYING® und COUCHLAYING® erweitert worden wäre.

Die Freiburger Mensa ist übrigens nicht besser geworden. Aber sie haben zwei mongolische Mönche aufgetrieben, von denen der eine behauptet, Saucen müssten glasklar, der andere, sie müssten fast fest  sein. Man hat Plakate gestaltet, die diese Lehren verkünden. Jetzt darf man nur nie vergessen, um 12.00 die Sprüche zu wechseln.

Dienstag, 24. April 2012

Geistiges Eigentum

Als ich am Sonntag nach Hause komme, lungern zwei schwarz gekleidete Muskelprotze vor meiner Haustür, Arme so verschränkt, dass die tätowierten Bizepse nur so hüpften, enge T-Shirt und riesige Gürtelschnallen. Zu wem wollen die? Schutzgelderpressung in einer der beiden Beizen? Bodyguards für einen Promi, der hier gerade einen Besuch macht?
Als ich ins Haus gehe, stürmen sie mir nach und drücken mich gegen eine Wand. Scheinbar möchten sie doch zu mir. "Was - wollt - ihr?", stammele ich, während ich auf das Goldkettchen starre, das eine pulsierende Halsschlagader bekleidet und eine Faust sich langsam in meinen Magen drückt. "Du lässt das Buch in Ruhe! Nichts wird übernommen! Verstanden?" "Ok, ok", ich verspreche ihnen alles, obwohl ich keine Ahnung habe, worum es eigentlich geht. Dann ziehen sie ab.
In meiner Wohnung schenke ich mir erst einmal einen grossen Kognak ein und lege mich aufs Sofa. Langsam dämmert es mir: Die Kerle kamen von Helene Hegemann. Ich hatte die Erfolgsautorin per Brief höflich gefragt, ob ich eine Seite ihres Buches "Axolotl Roadkill" in meinen Blog übernehmen dürfe, selbstverständlich mit genauen Angaben und Zitatnorm. Statt einfach nein zu sagen, schickt sie mir jetzt ihre Killer auf den Hals. Ausgerechnet sie! Sie, die ihr halbes Buch aus Blogs zusammengeklaut hat, bekommt nun die Krise, wenn sich jemand bei ihr bedienen möchte.
Aber der Wahnsinn hat natürlich Methode: Jeder Dieb hütet sein Diebesgut vor anderen Halunken wie Fafner den Nibelungenschatz, wer eine geheime Kammer mit entwendeten Renoits und Rubens hat, wird diese zigfach alarmsichern, damit kein böser Mensch die Bilder klaut.
Auch in Fragen des geistigen Eigentums hat jene Haltung Tradition. "In Fragen des Urheberrechts bin ich lax." So Berthold Brecht, der die Dreigroschenoper, die seine Sekretärin vom Text John Gays übertrug - Brecht konnte kein Englisch - auch noch mit Villon anreicherte und sich auch sonst munter überall bediente. Aber versuchen Sie mal irgend etwas aus einem Brechttext zu nehmen, zu ändern, anders aufzuführen... Brecht-Erben!  Dieses Wort löst bei Dramaturgen und Chansoniers das gleiche Schaudern aus wie WALDEMORT für Harry Potter.
Überall wird plagiert, abgekupfert und abgeschrieben, um dann dieses Eigentum zu hüten.
Morgen muss ich einen Vortrag über die Fauna Amerikas halten. Ob ich wohl ein Axolotl erwähnen darf? Oder hat die Hegemann da auch Rechte darauf? Ich habe nämlich keine Lust, dass die beiden Schwarzen das nächste Mal wirklich ernst machen, dafür war einfach zu viel Muskelmasse an ihnen dran.

Donnerstag, 19. April 2012

Passwort *************************

Nein, sage ich zu meiner Schulsekretärin, heute könne ich wirklich keine Vertretungsstunden übernehmen, ich hätte so viele Sachen zu erledigen, meine Liste sei voll. Das war auch gar nicht gelogen, Mails sind zu beantworten, Post zu beantworten, glätten muss ich und - das Wichtigste - Noten aus dem Internet holen.
Ich benötige die gesamte Partitur einer Dvorak-Messe und nach einer dreiviertelstündigen Suche stosse ich auch tatsächlich auf einen Gratis-Download. Man muss sich allerdings anmelden, aber das ist kein Thema. Ich schreibe eine E-Mail und bekomme in kürzester Zeit einen für eine Stunde gültigen 43stelligen Username und ein ebenso lange gültiges 57stelliges Passwort. Binnen 60 Minuten muss ich diese Codes in selbstgewählte Kombinationen umgemünzt haben, was ein bisschen tricky ist, denn der endgültige Username soll aus verschiedenen kyrillischen, das Passwort aus chinesischen Buchstaben bestehen, wobei sich hier 3 wiederholen sollen. Es kostet mich 150 Minuten, die entsprechenden Sonderzeichen zu finden. Nun geht alles ganz schnell, sechs Mausklicke und sie glänzt vor mir: Dvoraks Messe in cis-moll für für gemischten Chor, Harfe, Streicher und Harmonium. Jetzt erst entdecke ich ein weiteres Problem: Der Download funktioniert nur für SUBOL, ein Betriebssystem, das 2006-2008 in Pakistan hergestellt wurde und auf der Welt so häufig ist wie Menschen mit Clèrambault-Syndrom. Aber nicht verzagen: Eine Downloadsoftware kann man sich downloaden, hier darf man sogar die Kombinationen selber wählen, mit kleinen Einschränkungen, der Benutzername muss die Zeichen %, (, *, " und # enthalten, aber nicht hintereinander, die 20 Ziffern des Passwortes müssen die Quersumme 63,67 ergeben. Nach zwei weiteren Stunden ist alles geschafft, die Musik ist auf meinem Desktop.
Ich gehe zu einem späten (!) Mittagessen. Nach einem kleinen Salat, Pouletgeschnetzeltem mit Nüdeli, einem Dreier Merlot und einem doppelten Espresso schreite ich zum Ausdrucken.
Sie ahnen es: Auch das Drucken geht nur mit Zusatzsoftware, herunterzuladen unter www.printwithsubole.com. Also erneut anmelden, Userkonto, Passwort eingeben...
Erschwerend kommt hinzu, dass bei der Installation wegen Interferenzen sämtliche Geräte in der Wohnung ausgeschaltet werden müssen, ich taue also auch nebenbei meinen Kühlschrank ab, reinige ihn und räume meine Vorräte neu ein.
Als ich abends todmüde ins Bett sinke, kommt mir plötzlich folgende Rechnung in den Sinn: Hätte ich die sechs Vertretungsstunden gemacht, wäre genügend Geld zur Verfügung gestanden, den Dvorak bei Musik Hug zu kaufen. Schlimmer, ich hätte ein Faksimile des Autographs erwerben können.
Aber so darf man vielleicht nicht denken.

Montag, 16. April 2012

Ring-Gast?

Es täte ihm leid, sagt mir der Ober im Freiburger Theatercafe, wo ich kurz vor dem "Siegfried" noch ein paar Tapas schnabulieren und einen leckeren Chardonay trinken möchte, ab 15.30 seien die Tische ausschliesslich für Gäste des Freiburger "Rings" reserviert. Ich sei auf dem Weg in die Oper, antworte ich, öffne meinen lila Anorak und zeige Krawatte und Seidenhemd, meine Karte sei allerdings noch unterwegs, mit Freunden. "Klamotten tragen kann jeder", meint der Kellner, ich könne ihm aber etwas vorsingen. Ich hole Luft und gröle lautstark Passagen aus dem "Schmiedelied" und der Waldvogelszene. Er akzeptiert es nicht, gut, ich bin Singlehrer und würde mir für diesen Vortrag auch nur eine 3,5 geben. Als Ultima Ratio schlägt er drei Fragen vor. Einverstanden! Meinen Ring kenne ich.
"Wie heisst der letzte Satz des Rings?"
Fangfrage! Es ist nicht das selig grüssende Weib, mit dem Brünhilde ihr Pferd grilliert - warum greift der Tierschutz eigentlich da nie ein? - der letzte Satz ist ganz lapidar "Zurück vom Ring" (Hagen). Der Garcon nickt.
"Was tut Erda die ganze Zeit?"
Einfache Frage. Sie schläft. Beneidenswertes Weib, das würden viele gerne, vor allem, weil ihr Schlafen Träumen und ihr Träumen Wissen wird. Meine Schüler probieren diesen Dreierschritt den lieben langen Tag, und er funktioniert nicht.
"Dritte Frage!" Fast geschafft, wenn er jetzt nur nicht die Walkürennamen fragt, die kann ich mir nämlich nicht merken. Diese völlig sinnlose Zusammensetzung von Vor- und Nachwörtern ist nicht zu memorieren. Es könnte genausogut Brünnhilde/Schwertleite wie Brünnleite/Schwerthilde heissen.
"Wie heissen die Walküren?"
Aus, vorbei, Ende Gelände.
Ich knicke ein und begebe mich zu McDonalds. Aber warum geht man nicht davon aus, dass ein fein angezogener Mensch auch in die Oper geht?
Weil Kleider Leute machen. Die Welt ist voll von Schwindlern, die durch ihr Outfit die Gesellschaft blenden, Lügner in Nadelstreifen, Fasler im weissen Kittel, Uniformen, Anzüge, die nur das Nichts kaschieren. Strapinski, Voigt und Abagnale sind hier nur einige Beispiele davon. (Bevor Sie googeln müssen: "Kleider machen Leute", "Hauptmann von Köpenick" und "Catch me if you can") Nein, der Kellner hatte schon Recht.
Der "Siegfried" war übrigens grandios. Auch mit Pommes statt Oliven im Magen.

Freitag, 13. April 2012

Apulien 2: Sonnenbrand

"I open my eyes, I try to see, but I’m blinded by the white light.“
Diese Liedzeile geht mir durch den Kopf, als ich am Strand nach einem kurzen Mittagsschläfchen die Augen öffne. Der Typ auf der Liege neben mir ist blass, nein, blass wäre ein Euphemismus, er ist weiss, schaumolweiss, was ja, wie wir von Frau Blöhmeyer wissen, weisser als weiss ist, er sieht aus, als hätte man ihn bei 90 Grad mit Persil gewaschen. Er sollte wirklich nicht mittags um zwei in der Sonne liegen. Als hätte er meine Gedanken erraten, setzt er sich auf und streckt mir eine Flasche AUWEA Sonnenmilch entgegen, Lichtschutzfaktor 30. „Nit dass de denkst, isch hab nit vorjesorgt.“ Hörbar ein Bewohner des Dreiecks Köln – Solingen – Remscheid. Ich kann es mir nun nicht verkneifen, doch den Klugscheisser herauszuhängen. Der Lichtschutzfaktor, so doziere ich, verlängere die Zeit, die man ohne Schaden in der Sonne sein könne, bei ihm also 5 Minuten, er dürfe also pro Tag zweieinhalb Stunden sich dem UV-Licht aussetzen, durch erneutes Auftragen sei das nicht zu verbessern. „Isch kann ja nit blass heemkomme, glaubt mir ja niemand de Ferie.“ Gut,
ich habe vielleicht gut reden, im August werde ich mit einem Blick auf meine Schokoladenfarbe stets gefragt, wo ich gewesen sei  und könnte alle tropischen, subtropischen, Karibischen und Subkaribischen Inseln als Reiseort angeben, dabei stammt meine Bräune vom Joggeli, dennoch schlage ich ihm vor, wenn er seinen Urlaub beweisen müsse – wieso muss man Ferien eigentlich nachweisen? – sich Flugticket und Voucher an sein Hemd zu nähen. Könne man fälschen, so er, Bräune nicht. Bräune? ?? Bestenfalls wird sich sein Körperrot in eine schwarze, verkohlte Farbe wandeln, denn ein Sonnenbrand ist – medizinisch gesehen – eine Verbrennung ersten Grades.
Wieso neigen wir eigentlich dazu, bei der kleinsten Erkältung zum Arzt zu rennen, aber andere pathologische Befunde sprachlich zu verharmlosen? Wenn wir sagen würden, ich habe eine Verbrennung erlitten, klänge das nicht mehr so nett. Genau wie „Muskelkater“, der eigentlich auch eine Beschädigung der Muskelfasern darstellt. Aber Sonnenbrand und Muskelkater sind die einkalkulierten Kollateralschäden unseres Outdoor-Urlaubs, wir joggen, beachen, klettern, was das Zeug hält, natürlich nur in Shorts und mit nacktem Oberkörper, um dann nach zwei Wochen als durchtrainierter, braungebrannter Modeltyp im Büro zu erscheinen.
Was meistens nicht klappt.
Besser als Apulien wäre daher für das Körperformen ein exotisches Land, wo uns nicht Pasta und Panna einen Strich durch die Rechnung machen, sondern ein Darmvirus uns die Pfunde vom Leib hält.
Einige Zeit ist vergangen und mein Nachbar betrachtet seine Arme: „Isch hab schon Farb jekriege.“ Ja, aber die falsche. Ich hätte ein Kreuz mit dicken Balken auf seinen Rücken legen sollen, dann könnte ich ihn am 1.August aus dem Fenster hängen.


















Dienstag, 10. April 2012

Apulien 1: Schwabe sein

„Passaporte, per favore!“ Ich schiebe dem freundlichen Portier im Hotel Levante in Torre Canne meinen Pass über den Tresen und hoffe, flehe inständig, dass er ihn genau liest. Was er tut. „Nato nel Stoccarda?“ „Si.“ Bingo! Während er weiter in seinen Computer tippt, flüstert er mit einem Boy. Als wir im Zimmer eintreffen, steht dort ein duftender Blumenstrauss, ein riesiger Obstkorb mit exotischen Früchten und eine Flasche Weisswein als Willkommenstrunk. Am Abend bekommen wir einen Tisch mit Meerblick, am nächsten Morgen den starken Kaffee, den sonst nur die Angestellten erhalten und am Strand sind die Liegen schon reserviert.
Ja, in Apulien ist es der Jackpot, ein Schwabe zu sein. Zu verdanken habe ich das dem Urschwaben, „il Suevo“, Friedrich II, Sohn Barbarossas, Stauferkaiser und Herrscher des Heiligen Römischen Reiches. Er war ein Edelfreak, der Deutschland den Rücken kehrte und eigentlich Italiener wurde – daher die grosse Liebe. Er beschäftigte sich wenig mit Zucht und Ordnung, viel mit Vogelzucht – sein Falknereibuch ist bis heute Standardwerk – nebenbei betrieb er interreligiösen Dialog und korrespondierte mit arabischen Gelehrten. Er fand sogar einen Weg, unblutig nach Jerusalem zu kommen, der allerdings von Rom nicht akzeptiert wurde. Man hatte schliesslich ein Riesenheer aufgeboten, und es konnte ja nicht sein, dass die Kreuzritter gelangweilt nach der Devise „cleaning the rifle / masturbation / eating / sleeping  / further masturbation“ (Jarhead) herumsassen, während irgendwo Friedensverhandlungen geführt wurden.  Darum liess man dann schon zur Rechten und zur Linken einen halben Türken zur Seite sinken.
Dieses Mal haben wir es auch endlich geschafft, das wunderbare Schloss Friedrichs, das Castel del Monte zu besichtigen. 2003 waren wir nur in der Provinz Brindisi nach dem Motto Trulli-Trulla, 2005 hatte ich meinen Führerschein vergessen, und mit dem ÖV… Nicht, dass keine Busse führen, aber finden Sie mal eine Bushaltestelle. Wenn Sie einen Italiener fragen: „Dove é il autobus?“ wird er niemals „non lo so“ antworten, das wäre ja furchtbar unhöflich, er strahlt über das ganze Gesicht und schickt Sie irgendwo hin, wo natürlich kein Bus abfährt, aber Sie können ja den nächsten fragen, der Sie wieder irgendwo hinschickt.
Ich muss aufhören, es klopft. Wahrscheinlich der Zimmerservice mit der dritten Flasche Prosecco aufs Haus. Die anderen deutschen Gäste werden allerdings schon neidisch, dummerweise hat der Portier auch noch Ahnung von Geografie und wusste, dass sich Hamburgo, Colonia und Monaco nicht in Schwaben befinden.
Noch eine Warnung an alle Ober-, Unter- Mittel- und Grenzschwaben: Bitte nicht in Firenze oder Roma maulen, wo der Rote Teppich bliebe oder in Napoli meinen, der teure Grappa wäre offeriert. Das Ganze funktioniert nur in Puglia.






Freitag, 6. April 2012

Karfreitagspost??

Eine Glosse am Karfreitag? An dem Tag, an dem die Radiostationen und Fernsehsender ihr Programm anpassen und – zumindest früher – Discos und Bars geschlossen blieben? An dem Tag, an dem wir dem Leiden, dem Schmerz und dem Tod gedenken?
Trotzdem möglich, denn der Karfreitag gedenkt auch der Bosheit, der Feigheit, dem Sarkasmus und dem Zynismus der Menschen. So könnte man zum Beispiel eine Geschichte schreiben, in der die folgenden Personen vorkommen:
Ein Politiker, der eine fatale Entscheidung trifft, die aufgrund seiner Position nur er treffen kann, und gleichzeitig behauptet, er sei völlig, total, ganz und gar, absolut unschuldig. Ein Machtmensch, der Kriege anzettelt, Todesurteile unterschreibt, Gesetze erlässt, und immer wieder verkündet, das Ganze sei  „alternativlos“ gewesen.
Ein Typ, über den alle Zeitungen – allerdings ohne Namensnennung – berichten , und der dann immer wieder sagt, er könne sich nicht vorstellen, wer gemeint sei. Ob man etwa ihn meine? Ob er der Betreffende sei? Dabei ist jedem Volltrottel klar, dass hier über XY geschrieben wird.
Eine Gruppe von Menschen, die staatliche Autorität ablehnen, aber beim ersten internen Streit vor Gericht rennen und postulieren, dass für sie immer schon nur und allein der Staat das oberste Gebot gewesen sei.
Und schliesslich einen Mitarbeiter, dem Loyalität über alles geht. Solange bis sie heikel wird. Was seinen Chef zu der Bemerkung hinreisst, dass bevor unser Angestellte seine dritte E-Mail lese er den Betrieb schon nicht mehr kennen würde. Und das passiert auch.  Als einziger unserer Personalliste wird er übrigens seinen Fehler einsehen.
Ich werde diese Story nicht schreiben.
Nicht, weil sie für den Tag unpassend wäre, nicht, weil sie doch zu boshaft wäre…
Sie wurde schon geschrieben.
Sie heisst Passionsgeschichte.

Dienstag, 3. April 2012

Humorzwang

Vor zwei Wochen rief mein Kumpel  Jollo an. „Kennst du den schon? Gehen ein Kamel, ein Warzenschwein, eine Giraffe und… nee…gehen ein Kamel, ein Wildschwein, eine…“  Ich ging in die Küche um einen Aperitif zu trinken und eine Zigarette zu rauchen, denn ich kenne Jollo. Würde er nach der Zigarette ernsthaft weitergekommen sein, würde ich weiter zuhören. Wenn nicht, würde die Zeit für ein feudales Abendessen reichen. Ich hob den Hörer auf, und, wie befürchtet war Jollo immer noch am Anfang: „Gehen ein Kamel, ein Dromedar, ein Känguru…nee…“
Ich legte den Hörer wieder hin und begab mich erneut in die Küche. Ein Insalata Caprese war schnell zubereitet, etwas Ragout und Polenta machte ich mir warm. Dazu trank zwei wunderbare Gläser Merlot. Nach Kaffee und Grappa konnte ich es wagen, und, siehe da, Jollo war wirklich bei der Pointe angelangt.  Ich lachte wohl etwas zu laut und zu gespielt, denn Jollo fragte: „Ging ein bisschen lang, gell?“ „Ja“, seufzte ich  „es war wirklich etwas lang.“ „Du weisst, ich kann mir keine Witze merken und auch keine erzählen.“  Ich schrie fast in den Hörer: „Aber warum tust du’s dann?“ Es folgte ein beleidigtes Klicken.
Aber warum versuchen Menschen, die eigentlich keine Ader für Humor  haben, ständig lustig zu sein?  Es ist der in unserer Gesellschaft regierende Humorzwang. Wir haben da sehr viel von den Amerikanern übernommen, die bei der Einreise den Leuten den Satz mitgeben: „Have fun“, und das ist kein Wunsch, das ist ein Befehl.
Meinen Sie nicht? Schauen Sie: Wenn wir sagen: „Ein ernster  Mensch“, dann hat das doch einen klaren negativen Unterton. Dabei  sind es oft die ernsten Menschen gewesen, die die Ideen und Vorstellungen der Menschheit vorangebracht haben. Oder -  anders formuliert  - es braucht beide Typen, den Clown und den Philosophen. Vor vielen Jahren sassen in Stuttgart zwei Jungen an einer Schulbank, der eine wurde Humorist, der andere Bundespräsident. Sie hätten nicht tauschen können, Vico wäre ein genauso schlechter Politiker geworden wie Richard ein schlechter Cartoonist.
Also ehren wir die Menschen, die ernst sein können – und es müssen nicht alle lustig sein.
Gestern rief Jollo wieder an. „Kennst du den: Ein Zoobesitzer hat…“  Ich sagte ihm kurz die Pointe, denn ich kannte den Witz schon, und dann  konnten wir endlich über Nietzsche reden.