Dienstag, 30. Juni 2015

Impressionen aus Anhalt


RINGTOURISMUS

Warum ist man in Sachsen-Anhalt? Genauer in Dessau?
Um einen Ring anzuschauen. Also keinen Ring bei einem Juwelier, sondern Wagners Ring, den Ring des Nibelungen, die Tetralogie, die die Geschichte von Siegfried, Brünnhilde, Wotan und den vielen anderen nacherzählt. Und wenn Sie jetzt denken, wer ist so verrückt und fährt da extra nach Dessau: Wir sind viele. Wir sind ganz arg viele, die da jedes Jahr irgendwohin fahren, um die Rheintöchter schwimmen zu sehen und die Walküren jodeln zu hören. Viele Gesichter hat man auch schon in Weimar, Freiburg, Mannheim oder Berlin gesehen und man kommt immer wieder mit den Sitznachbarn – man hat vier Abende gleiche Reihe und gleichen Platz – oft ins Gespräch: Wie fanden Sie den Walkürenritt  in Meiningen? Wie fanden Sie den Waldvogel in Oberhausen? Den Feuerzauber in Wuppertal? Die Männer sind übrigens fast alle schwul, daher wehte auf dem Dach des ANHALTISCHEN THEATERS ausser der Landesfahne auch die Rainbow Flag.

TAXINOT

Wer um 22.00 in Dessau HBF ankommt und nicht in Laufweite wohnt, hat ein Problem. Nämlich das Problem nach Waldersee oder Grosskühnau zu kommen. Nicht, dass man Waldersee oder Gross- oder auch Kleinkühnau unbedingt gesehen haben müsste, aber da sind vielleicht ihre Ferienwohnungen. In einer normalen Stadt haben Sie die Wahl zwischen ÖV und Taxi. In Dessau haben Sie gar nix, denn die Buslinie ist ab 20.00 ein Rufbus, den Sie unter der Nummer 800-9865743523409-876 (gefühlt war sie so lang) hätten anmelden müssen, und die Taxis sind unterwegs, weil sie Rufbus fahren. Also heisst es warten. Warten. Warten. Und weil Anhalt auch im Juni noch kalt ist, tun Sie das am besten im Restaurant AKROPOLIS und lassen den Wirt sich die Finger nach einem Mietauto mit Fahrer wundwählen. Sie können dann in der Wärme Ouzo trinken und dürfen nur die Menge nicht überschreiten, nach der Sie die Adresse nicht mehr wissen. War es die Lutherstrasse oder die Löbbenstrasse? War es 4 oder 14 oder gar 44? Oder war es doch die Labbastrasse?

BADESEEN

Der Raum Dessau ist ein Paradies für Schwimmer, also für Leute wie mich. Ein Teichlein, Flüsslein, die Elbe, die Mulde, Seen und noch mal Seen überziehen die Landkarte mit blauen Tupfen und Flecken. Es wäre ein noch paradiesischeres Paradies, ein noch elysischeres Elysium, wenn man in allen Seen baden dürfte. Darf man nämlich nicht. Die Wahrscheinlichkeit in Sachsen-Anhalt in einem Biosphärenreservat oder einem UNESCO-Weltkulturerbe zu stehen, ist so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, am Bahnhof Dessau kein Taxi zu bekommen. Es gilt also die Faustregel: Erst einmal gucken. Ist der See von Tempelchen, Statuen und Obelisken gesäumt: Vorsicht. Sie sind in einem UNESCO-Park, nicht schwimmen, es gibt einen Schiessbefehl. (Irgendwo mussten die Ex-Grenzer ja unterkommen.) Ansonsten sind die Parkanlagen übrigens allerliebst, die Fürsten müssen ständig durch die Grünanlagen getigert sein und gerufen haben: Da kommt noch was hin! Und da! Und da noch ein Pantheon! Und da noch eine Felsengrotte!
Ist der See veralgt, beseerost und das Ufer in die Binsen gegangen bzw. die Binsen ans Ufer, dann ist es ein naturgeschützter See, hier also auch Badeverbot. (Für Menschen, Rehe und Hirsche dürften)
Ebenso wie in den UNESCO-Seen  gilt auch in den Biosphärenreservats-Seen ein Schiessbefehl.

WITTENBERG

Wenn Sie ein Anhänger Calvins oder Zwinglis sind, oder gar ein Atheist, also den guten Martin nicht so mögen, wenn Sie dem Reformator ein bisschen aus dem Weg gehen wollen, dann meiden Sie Wittenberg. Es gibt verlotterte Städte, es gibt verlitterte Städte und es gibt verlutherte Städte und Wittenberg ist sicher die am meisten verlutherte Stadt der BRD. Alle 45 cm sehen Sie sein Konterfei, mit oder ohne Melanchthon und mit und ohne Katharina. Sie können im Luther-Café Luther-Brot mit Luther-Butter bestellen, im Lutherhotel übernachten oder sich in den Luther-Stuben Luther-Schnitzel zu Gemüte führen, während zwei Schauspieler Martin und die Bora spielen. Sie können im Luther-Saal Musik aus der Luther-Zeit geniessen und danach in der Luther-Apotheke Luther-Tinktur und Bora-Kräuter kaufen. Merkwürdigerweise hat die Luther-Apotheke keine Kondome, auch keinen Gleitgel, was ja dem Lutherwort in der Woche zwier schadet weder ihm noch ihr etwas entgegenläuft. Sie sollten auch nicht das tun, was ich tat, nämlich nach dem Luther-Braten im Restaurant LUTHER einen Riesenrülpser und einen Wahnsinnswind loslassen, der Geschäftsführer, der mich scharf zurechtwies, schien das Lutherwort Warum koppet und forzet ihr nicht, hat es euch nicht geschmacket in seinem Lokal nicht zu tolerieren und zelebrieren.

Donnerstag, 25. Juni 2015

Lügen, Flunkern und die EU

Geschätzte Leserinnen und Leser, es freut mich, dass Sie wieder dabei sind.

Das ist jetzt eigentlich schon gelogen. Denn ich kenne ja nicht alle meine Leserinnen und Leser mit Namen, wie kann ich da alle schätzen? Vielleicht liest sogar irgendwo ein Mensch meinen Blog, der ein echtes (sit venia verbo) Arschloch ist? Jemand, dem ich nicht mal die Hand schütteln würde, geschweige ihn oder sie schätzen?
Damit sind natürlich und selbstverständlich nicht Sie gemeint.
Und das ist auch schon wieder gelogen, weil ich Sie ja nicht kenne, usw…

Churchill soll gesagt haben, es gebe drei Arten der Lüge: Die gemeine Lüge, die Notlüge und die Statistik. Well, Mister Zigarre, stimmt schon, but there are much more!
Es gibt die Höflichkeit.
Es gibt die Werbung.
Es gibt aber auch das Erfinden, Erzählen, Phantasieren und seine kleine Schwester, das Flunkern.
Und es gibt die EU.

Die Höflichkeit ist eine notwendige Lüge. Ohne die Höflichkeit würden wir uns alle totschlagen. Wenn wir zu einem Fest eingeladen sind, dann bedanken wir uns für die Einladung und loben Ambiente, Tischschmuck und Essen und sagen nicht: „Angesichts dieses hässlichen Saals, der geschmacklosen Dekoration und des versalzenen Bratens weiss ich jetzt, warum ich eigentlich zuhause bleiben wollte.“ Ohne Höflichkeit würde – wie Busch schreibt – überall im Land wieder der Knochenknittel erwachen.

Die Werbung ist ein fiese und eklige Lügerei, aber eine durchschaubare. Alle wissen, dass sie beim Putzen einen Lappen in die Hand nehmen müssen, obwohl die Werbung ihnen suggeriert, die Power-Reinigungs-Produkte täten alles ganz allein. Alle wissen, dass eine KNORR-Sauce eben nicht so wie eine hausgemachte schmeckt, da können die zehnmal behaupten, dass frische Tomaten genauso wie pulverisierte riechen. Und ist nicht jedem Mann klar, dass der Kerl auf dem Plakat nicht wegen seines Labelslips so geil aussieht sondern wegen seines Sixpacks und dass Labelslip auf Fettbauch eben anders ausschaut?

Das Erzählen und Erfinden ist eine uralte und schöne Tradition. Jeder Fabulist, jeder Romancier, jeder Poet tut es ständig. Und das ist gut so. Seien Sie also nicht böse, wenn Sie auf dem Londoner Friedhof das Grab von Holmes nicht finden oder auf dem Zentralfriedhof den Epitaph des Mannes ohne Eigenschaften: Doyle und Musil haben nie behauptet, dass es diese Leute gab.

Das Flunkern ist etwas Nettes, Hübsches, etwas Halbgrinsendes, Augenzwinkerndes, etwas, was auch ich gerne mache. Das Flunkern hat eine klare Eigenschaft: Es tut niemand weh. Wenn ich Ihnen erzähle, ich hätte im CAFÉ CENTRAL einen doppelten Espresso getrunken und eine Punschtorte gegessen, und in Wahrheit war es ein einfacher OHNE eine Backbeigabe, wem macht das Schmerzen? Wenn ich behaupte, ich sein schon in Herculaneum und Pompeij gewesen, war aber nur in Neapel und da hatten die Dinger gerade geschlossen, ist das ein Verbrechen?

Sie können mich jetzt natürlich fragen, warum ich das mache, ich antworte gerne: Es macht manchmal einfach Spass. Grossen Spass. Probieren Sie es aus, es gibt Ihnen ein Gefühl von Verwegenheit und Outlawismus , wenn Sie morgen sagen, Sie hätten heute eine Lauchsuppe gelöffelt und leise in sich hineinkichern, weil es eine Zucchinisuppe war. 

Anders die EU: Ein grosser, schleimiger Bollen aus Halbwahrheiten, Lügen, Tricks und Verschweigen, ein Fels aus Lüge, Notlüge und Statistik.
Hätte man in allen Dingen die Wahrheit gesagt, wäre dem Volk Folgendes vorgelegen:
Wir wollen die EU, ganz egal, was die Völker sagen.
Die von uns gewollten Staaten werden aufgenommen, auch wenn sie die Kriterien nicht erfüllen.
Kommen sie dann in Schwierigkeiten, werden sie um jeden, aber auch jeden Preis gerettet.
Nach Einführung des Euro wird nichts teurer, es wird 1:1 umgerechnet.

Nun kommen findige Leute und sprechen, man habe nicht gelogen, man habe nie explizit gesagt, dass Griechenland die Kriterien erfülle.
OK
Schönes Wort, das: Nie explizit gesagt… Früher nannte man das Verschweigen, aber Verschweigen klingt so hässlich, das klingt so nach Schwarzweissfilmen, in denen Frauen am Fenster von miesen Motels stehen, rauchen (Ehrenwort, sie tun das immer: Aus dem Fenster schauen, die Kippe in der Hand) und „Was verschweigst du mir?“ flüstern.
Nein, man sagt besser:  Nicht explizit so geäussert…
Du gute Güte! Wenn ein Mensch Mitglied einer Schwimmerstaffel wird, geht man nicht davon aus, dass er schwimmen kann auch wenn er es nicht explizit sagt? Geht man nicht davon aus, dass in in einem Thunfischsalat ausreichend Thunfisch ist, auch wenn es nicht explizit gesagt wird? Nicht explizit sagen, heisst verschweigen, auch wenn das so viel schöner klingt.

Es gibt die gemeine Lüge.
Es gibt die Notlüge, die Statistik.
Es gibt Werbung, Erfinden, Höflichkeit und Flunkern.
Und es gibt die EU, wir könnten es auch Junkern nennen. (Hat eben mein Partner eingeworfen.)                        

Montag, 22. Juni 2015

Die Oberbayrische Badehose

Jetzt wollte ich eigentlich mal von der Schwimmbadgeschichte weg, das kann ja nicht sein, dass wir uns immer noch an der dieser Joggelibegegnung aufhängen, das hängt ja total, dass wird ja fast zum Permanent-Klippenhänger, ich hänge auch gar nicht sonderlich an der Geschichte, zumal sie ja eh erfunden ist. Erstunken und erlogen.
Nein, ich wollte eigentlich weg von dieser Story, aber jetzt fragte ein Leser, ob ich wirklich eine Badehose aus Oberbayern habe und warum.
Gut, beantworten wir noch diese Frage, bevor wir uns endgültig von der Geschichte verabschieden.

Bevor die ganze Antwort kommt, sei noch eine Missverstehung ausgeräumt: Die Oberbayrische Badehose ist kein Kleidungsstück, das durch sein Aussehen seine Herkunft irgendwie preisgibt: Sie ist nicht aus Leder, sie hat keine Hosenträger und keinen Vorderlatz. Sie ist auch nicht mit irgendwelchen Oberbayrischen Motiven bedruckt, weder mit Neuschwanstein noch mit einem Votivbild, weder mit dem blau-blau-blau blühenden Enzian noch mit einem Alpengipfel. Sie können diese oberbayrische Badehose also getrost tragen, ohne dass man Sie für einen CSU-Abgeordneten hält und beim Betreten der Dusche den Bayrischen Defiliermarsch anstimmt.

Die oberbayrische Badehose ist ein funktionales, sportliches Schwimmutensil mit einem ultramarin-himmelblau-weiss gehaltenen Pseudobatikmuster, also ein Kleidungsstück, mit dem Sie auf den Liegewiesen und auf der Restaurantterrasse nicht auffallen, was Sie mit einer Badebekleidung á la Franz-Josef Strauss sicher täten. (ausser in Oberbayern, und vielleicht sogar da) 

Die Oberbayrische Badehose stammt aus Lindau, was ja gar nicht so richtig Oberbayern ist, da sind die Leute noch relativ normal, da schwappt so viel von Schwaben und der Schweiz und aus Vorarlberg herüber, dass sich der echte Oberbayrische Geist, der Geist des königstreuen Bayern, der  bayrisch-bodenständige, der bayrisch-dickstirnige Geist gar nicht so richtig ausbreiten kann. In Lindau fehlt durch die Lage im Dreiländereck  das Fingerhaklige, das Schuhplattlerische, es fehlt die Freistaat-Mentalität, die Oberammergau-Gesinnung.

(Obwohl die ja gerade, dieser Exkurs sei gestattet, ziemlich im Wackeln ist, immerhin haben die ja – unter hitzigsten Diskussionen und Abstimmungen – einen Muselmanen zu einem der Spielleiter bestimmt, allerdings einen im Ort geborenen, der also das Bayrische, das Oberbayrische, das Katholisch-CSU-Bajuwarische voll eingesogen hat.)

In Lindau, dem Ort in dem ich meine Oberbayrische Badehose erstanden haben, können Sie durch die Nähe des zivilisierten Auslandes, der Schweiz, Vorarlbergs und Baden-Württembergs, Dinge tun, die sie im übrigen Oberbayern nicht könnten:
Sie können jeden Passanten nach einer Evangelischen Kirche fragen.
Sie können im Café sitzen und Böll oder sogar Wallraff lesen.
Sie können am Kiosk einen SPIEGEL oder STERN verlangen.
Sie können einen Mann küssen.

Und Sie können eine Badehose kaufen, das wollte ich ja eigentlich erzählen.

Wir sind nämlich jedes Jahr bei den Bregenzer Festspielen, wohnen aber in Lindau. Nun war ich vorher  im Internet auf einen Laden gestossen, der Bademode vertreibt. Diese wunderbaren Teile sind nicht nur sportlich, elastisch, tragekomfortesk und quicktrocknend, nein, sie haben herrlich fröhliche, farbige Designs. Bei den Sportlabels ist ja seit Jahren Dunkelblau und Schwarz angesagt. Also nutzte ich den Aufenthalt am Bodensee um eine solche Badehose zu kaufen.

Das ist gelogen.

Ich hatte – und das ist für einen Regelmässigschwimmer sehr, sehr peinlich – meine Badehose vergessen, und dann sah ich den Laden, und dann war ich allerdings froh, dass ich meine Badehose vergessen hatte.

Die erste Version klang besser, gell? Manchmal muss man einfach ein wenig flunkern. Und das passt natürlich wieder absolut nach Oberbayern, denn Oberbayern ist ja auch eine einzige Lüge: Neuschwanstein ist keine mittelalterliche Burg, auf den Volksmusikabenden werden keine Volkslieder gesungen und Trachten getragen, die ein norddeutscher Designer entwirft, die Lederhosen sind made in Taiwan und die Sepplhüte made in Hongkong. Und die CSU ist weder sozial noch christlich.

Alles Lüge also, aber macht nix, manchmal muss man mit der Wahrheit ein wenig lax umgehen. (Freitag mehr dazu)

Hauptsache ist doch: Dass die Oberbayrischen Badehosen etwas taugen. 

Freitag, 19. Juni 2015

Adonis II oder: Das Gute-Stube-Syndrom



Die Story von neulich hat noch eine Fortsetzung.

Ich hatte meinen Schwumm in meiner oberbayerischen Badehose getätigt, hatte mit meinem Dreifrankenduschgel geduscht und mich mit meiner Achtfrankensonnencreme eingerieben. Nun sass ich im Terrassenrestaurant bei meinem traditionellen Einuhrespresso.
Plötzlich setzte sich der Adonis mir gegenüber und fing sofort an zu reden, als ob ich seine Dozierung nicht einfach abgeklemmt hätte. Er hatte schon so ein wenig etwas Forest-Gump-Mässiges.

„Weisst du“, sagte er, „das ist schon wichtig, dass man WIRKLICH gute Pflegeprodukte hat. Was du da in meinem Kästchen gesehen hast, ist ja nur ein kleiner Teil. Zuhause habe ich ein ganzes Badezimmer voll.“ Ich konnte es  mir vorstellen, wahrscheinlich stapelten sich in seinem Bad Tages-, Nacht- und  Zwischen-, Öl-, Wasser- und Fettcremes mit den obskursten Wirkstoffen aus allen möglichen Tieren und Pflanzen, von Limone bis Löwenzahn, von Löwe bis Lemming , im Gesamtwert von 5000.-. „Weisst du“, sagte er…
Wieso sagte er eigentlich immer „Weisst du“, das nervte, ich hasse Leute, die immer „Weisst du“ oder „Hör mal“ oder „Andererseits“ und solchen Mist sagen.
„Weisst du, wenn wir uns jetzt mal vergleichen, dann sehe ich objektiv 25 Jahre jünger aus.“ „Du BIST 25 Jahre jünger, verdammt, ich könnte dein Vater sein, deshalb SIEHT meine Haut ja wie 50 aus, weil ich 50 BIN.“
Er schien gar nicht zuzuhören und quasselte weiter: „Ausserdem gehört natürlich ein gewisser Lebensstil dazu: Gute Ernährung, viel Wasser, viel Schlaf, kein Alkohol“, er deutete auf die Parisienne in meiner Hand, „kein Nikotin, kein Sex.“
„Kein Sex?“
„Die Dermatologen in Mailand, weisst du, diese Hautärzte der Firma PELLE PERFETTO®, von denen einer sogar promoviert hat, haben herausgefunden, dass die im Bett ausgeschütteten Hormone der Haut  ganz und gar abträglich sind. Und das Aneinandergereibe sowieso. Ausserdem kann ich ja, wenn ich eine Frau in der Kiste habe, meine Nacht-Schokomaske oder meine Nacht-Bananenmaske nicht auftragen.“

Es war nicht zu fassen: Der Typ, der aussah wie eine PIZ BUIN-Reklame, wie eine AMBRE SOLAIR-Werbung, der auf jedes Cover gepasst hätte, den kein im Joggeli anwesender Mann und keine anwesende Frau von der Bettkante stossen würde, dem auch während unseres Gespräches schon mindestens fünf Ladies nachgeglotzt hatten, der Typ, der eine Aussenschicht hatte, die man einfach anlangen wollte, lebte zölibatär!
Wofür machte er sich die Mühe, attraktiv auszusehen, und das heisst ja anziehend, wenn man ihn dann nicht zu sich heranziehen durfte (und evtl. sogar nicht nur an- sondern auch ausziehen?)

Klarer Fall: Adönisle litt unter dem Gute-Stuben-Syndrom.
Die Gute Stube war das eine Zimmer, das stets blitz und blank war, dort lag nie Staub, die Teppiche waren immer gereinigt und die Tischplatte glänzte, in der Guten Stube standen die schönsten Möbel und die erlesensten Nippsachen. Die Gute Stube war der perfekte Raum – und wurde nie benutzt, ausser an Weihnachten und an wichtigen Familienfesten, manche etwas schlippige Familien verbrachten auch den normalen Tag des Herrn in diesem Raum. Werktags war die heilige Halle abgeschlossen, versperrt und verriegelt.

Das Gute-Stube –Syndrom liegt also dann vor, wenn wir eine Sache so schön machen, dass sie dann ZU schön für ihren eigentlichen Zweck ist:
Wir haben den schönsten Körper von Basel mit der schönsten Haut der Nordwestschweiz, die dann niemand anlangen darf.
Bescheuert.
Wir backen eine Torte, die mit ihrem Guss und den Marzipanfigürchen derart bilderbackbuchmässig aussieht, dass man sie auf keinen Fall anschneidet, niemand würde ein solches Kunstwerk zerstören, sie ziert das Kuchenbuffet, die Gäste nehmen Cake, Apfelkuchen und Kekse, nach der Veranstaltung wird die Torte weggeschmissen.
Bescheuert.
Wir polieren 567 Minuten lang unseren Rolls-Royce, bis jede Stelle, sogar die Radkappen als Lichtreflektor dienen, wir hauchen, reiben, hauchen, reiben, bis auch das kleinste Stäubchen das Blech verlassen hat, dann stellen wir ihn in die Garage, denn er soll ja nicht dreckig werden. Und fahren mit dem FIAT zur Arbeit. Oder mit dem ÖV.
Bescheuert.
Wir schreiben ein Theaterstück, bei dem wir um jedes Wort wochenlang ringen, bei dem wir jeden Satz zehnmal umstellen, bis ein Text entstanden ist,  der nobelpreis- oder zumindest büchnerpreiswürdig ist, einen Text, den man natürlich niemals, niemals, nie in die Hand eines Regisseurs oder Dramaturgen geben würde. Die machen ja alles kaputt.
Bescheuert.
Wir lassen uns ein Kleid aus weissem Chiffon schneidern, ein Traum, der uns 8000.- kostet und natürlich nie getragen wird, denn Flecken auf weissem Chiffon…
Bescheuert.

Viel zu schön zum Anfassen. Viel zu schön zum Essen. Viel zu schön zum Fahren, zum Aufführen, zum Bewohnen. Zu schön zum Anziehen.
Leute, es gibt Sachen, die man gebrauchen soll.
Sie heissen deshalb ja auch Gebrauchsgegenstände.
Ja, und der Körper ist auch so einer.
Er geht nämlich auch dann, wenn Sie ihn komplett schonen, irgendwann kaputt.
Spätestens, wenn Sie sterben. 


Dienstag, 16. Juni 2015

Sonnencreme mit Pflaumenextrakt. Mit Biberhaarbalsam. Mit den Wirkstoffen des Ahorn.



Wie Sie vielleicht wissen – oder vielleicht wissen Sie es auch nicht, dann sage ich es Ihnen jetzt – habe ich im Gartenbad St. Jakob ein Kästchen, einen Schrank, einen Locker, wie auch immer man es nennen mag, für die ganze Saison gemiete; also eigentlich mietet man ein Vorhängeschloss und sucht sich dann ein Kästchen, einen Schrank, einen Locker, wie auch immer, aus. (Man könnte natürlich auch ein Vorhängedings von Zuhause mitbringen, das muss aber dann bei Badeschluss entfernt werden.) Wenn ich also schwimmen gehe, brauche ich nur meinen Vorhängeschlüssel, alles andere ist im Locker, Schränkchen, Kästchen:
3 Badehosen (man will ja nicht immer gleich aussehen)
2 Tücher (Handtuch/Badetuch)
3 Bücher mit Kurzgeschichten (falls mir mal die Lektüre ausgehen sollte)
1 Schwimmbrille
dazu:
1xSonnencreme (Drogerie MÜLLER), 1xDuschgel (Adidas im Angebot bei Coop), 1xHaargel (DENNER) und 1xBodylotion (Migros), also alles, was der Mensch zum Schwimmen, Sonnen, Nicht-Austrocknen und zum Afterstyling so braucht.

Als ich dann neulich wieder einmal vor meinem Kästchen, Schränkchen, Locker stand und dieses (oder dieser) offen stand, bemerkte ich auf einmal einen jungen Mann neben mir, er war geschätzte 23, konnte ohne Neid oder Übertreibung als Adonis bezeichnet werden und hatte einen tiefbraunen, glänzenden Teint. Er schaute mitleidig in meinen Vorrat und schüttelte dann resigniert, aber auch ein wenig genervt den Kopf.
„Hallo, erstens: Was glotzt du in meinen Schrank? Und zweitens: Was passt dir nicht?“, blaffte ich Adonis an. Er wandte den Kopf zu mir: „Komm mal mit.“ Wir tappten zu seinem Schrank, Locker, Kästchen, wie auch immer,  und er sperrte die Türe auf. Er hatte in den Locker ein kleines Regal  mit drei Flächen gestellt, sodass er viel mehr Platzierungsmöglichkeiten hatte. Auf der untersten Ebene befanden sich Badeshort, Schwimmbrille und Handtuch, auf der zweiten seine Lektüre, MEN’S HEALTH und FIT FOR FUN, auf der dritten Ebene zwanzig Tuben und Fläschchen. Er deutete auf seine Kosmetik-Armada, seine Öl und Creme-Flotte, seine Pflege-Armee und begann zu dozieren:

„Wir sprechen von fünf Bräunungsstufen: Non(N), little(L), half(H), almost(A) und full(F). Für jede Stufe gibt es eigene Pflegeprodukte, um die Haut optimal zu unterstützen. Ich habe hier Sonnensprays von PELLE PERFETTO®, das ist eine kleine Klitsche in Valle di Corziano bei Mailand. Für N Lichtschutzfaktor 90 mit Plaumenextrakt, für L Faktor 70 mit Erdbeerextrakt,  für H 50 mit Nuss, A hat 20 (Mango) und schlussendlich kommt F mit Faktor 10 und pflegender Orange.“
Meine Frage, warum denn jede Stufe irgendwelche komischen und andere Extrakte habe und ob das nicht einfach Werbequatsch sei, wischte er vom nicht vorhandenen Tisch, die hätten da in der Lombardei mehrere Dermatologen, einer davon sogar promoviert, die wüssten genau, was sie machen; auch meinen Einwand, dass F ja voll ausgebräunte Haut bedeute und dass da ein LSF von 10 relativ unnötig sei, überging er.
„Das nächste sind die Nachsonnenlotionen, da nimmt man nicht einfach irgendeine Feuchtigskeitschmiere wie du oder gar – ich bringe das Wort kaum über die Lippen – NIVEA , hier wird natürlich auch wieder auf die fünf Stufen abgestimmt. Ich finde bei Aprés Sun jetzt die Mailänder nicht so gut, hier lasse ich mir eine Superpflegeserie aus LA kommen, von SKIN PERFEKT®, auch wieder jedes Öl mit abgestimmten, speziell unterstützenden Extrakten:
Aftersun N mit Biberhaarextrakt, Aftersun L mit Ochsenschwanzextrakt, H mit gemahlenen Hasenzähnen, A mit Fischtran und F mit pulverisierten Stubenfliegen.“
Bevor ich irgendeinen Einwand an den Mann bringen konnte, fuhr er fort: 
„Es muss ja wohl nun kaum noch gesagt werden, dass auch das Duschgel je nach Bräunungsstufe gewählt werden muss, und auch hier sind ausser reinigenden auch pflegende Wirkstoffe zu berücksichtigen, hier leiste ich mir ein japanisches Produkt, die Gels je mit Lotos, Ginkgo, Sushi, Mohnblüte und Balsa.“
„Und die Haargels gehen auch nach Bräunungsstufe?“ Ich konnte mir ein heftiges, körperschüttelndes Kichern nicht verkneifen.
„Natürlich nicht“, herrschte er mich an, „das geht nach Wetterlage. Die Firma PROHAAR® in Düsseldorf bietet Spray und Gel für Sonne, Regen, Hagel, Nebel  und Smog. Ultrastark, ultrahaltend und ultrapflegend, mit den Extrakten aus…“
Ich hörte gar nicht mehr hin.
War es nicht auch eine deutsche Firma, die mal damit geworben hatte, ihr Haarspray passe auf jedes Wetter, oder zumindest auf drei davon? Und wer braucht Stylingprodukte für Hagel? Ich meine, da verhagelt es dir die aufgestellten Haare doch eh? Und eigentlich bleibt man auch zu Hause, wenn das
Eis vom Himmel kommt. Übrigens auch bei Smog.

Ich nahm die Flasche Sonnenspray von PELLE PERFETTO®, die mit Pflaumenextrakt, in die Hand und schaute mal auf den Preis: EU 59,90.-
Der Adonis hatte also rund dreizehnhundert Franken in seinem Locker, Kästlein, Schrank herumstehen. Gut, seine Hülle WAR perfetto, parfait, perfekt, aber er war schliesslich auch erst Mitte Zwanzig, er hätte gut als mein Sohn durchgehen können, da hätte es Mango-, Gingko- und Biberextrakte nämlich gar nicht gebraucht.

Ich schlappte zurück zu meinen Sachen um endlich meine Badehose anzuziehen. Die immerhin aus Oberbayern stammt.
Ein bisschen internationales Flair muss ja schon sein.

Donnerstag, 11. Juni 2015

Bärtige Bräute oder: Homos sollen nicht heiraten

Letzte Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum, einen verrückten, schrägen Traum, einen der mich beschäftigt und belastet, einen bedrückenden und verstörenden, man könnte ihn also durchaus als Alptraum bezeichnen. (Ich schreibe immer noch Alptraum, obwohl hier die etymologische Herleitung der neuen Rechtschreibung stimmt, es kommt ja von Alben/Elben/Elfen, ich denke aber immer an die Alpen, die mir nachts im Bett auf der Brust liegen.)

Item.
Der Traum also ging so:
Ich sass in einer Kirche und es war irgendwie klar, dass eine Hochzeit bevorstand. Vielleicht wegen der hellen Nachmittagssonne, die durch die Kirchenfenster fiel, vielleicht wegen des üppigen Blumenschmucks, vielleicht wegen der sehr aufgebrezzelten (sic) Leute oder überhaupt aus dem Grund, dass so viele da waren - die Kirche war voll - und nicht weinten, sonst wäre es eine Trauerfeier gewesen.
Irgendwann begann die Orgel zu spielen. Da ich Mendelssohn (daa dam da didamdada daa daadada da), Wagner (daa dam da daa.. ) oder das Trumpet Voluntary, das Charles und Diana unglücklich gemacht hat, erwartet hatte, war ich sehr erstaunt auf einmal We are family aus Ein Käfig voller Narren zu hören. Etwas war komisch. Der skurrile Ersteindruck verstärkte sich durch die optische Tatsache, dass zwölf Blumenbüblein eintraten und pinkfarbene Blüten verstreuten, gefolgt von sechs Brautjungfern. Als ich diese anblickte, blieb mir das fast das Herz stehen: Sie trugen lange, geschlitzte Kleider und Bart! Ich wollte auf der Bankreihe raus und fliehen, meine Nachbarn aber hielten mich fest, ich zappelte und kämpfte, aber je mehr ich mich anstrengte umso fester wurde der Griff der beiden, die der Statur und der Handbehaarung sichtlich zur Fitnessbären-Fraktion gehörten.
Nun trat das Brautpaar ein, er im nachtblauen Smoking, Fliege und Zylinder, sie (oder er?) im duftigen, zarten, schneeweissen Brautkleid. Unter ihrem (oder seinem?) Schleier prangte aber auch hier ein wilder, dunkler Vollbart.
Wieder ein Fluchtversuch. Wieder der Schraubstockgriff der Bären. Ich versuchte zu schreien, man möge mich gehen lassen, ich wolle doch nur an die frische Luft, aber es kam kein Ton.

Schweissgebadet wachte ich auf.

Ich beschloss, die Nacht zu beenden, es war 6.30, und setzte mich mit einem Kaffee auf meinen Balkon. Und während ich so auf die Morgendämmerung starrte, dachte ich:
Wie grauenhaft.
Bart und Kleid, das ist einfach eine grauenhafte Kombi, und das sage ich trotz der Wurst, um die es ja beim ESC schon wieder ging, die Wurst sieht bescheuert aus, konstatiere ich jetzt mal ganz wurschtig gegen den Wurst-Hype, die Wurst ist mir hier Wurst und – ehrlich gesagt – die Wurst ist Käse.
Nein.
Nein und nochmals nein.

Aber ich gehe noch einen Schritt weiter: Schwule sollen nicht heiraten. Auch nicht, wenn sie Mendelssohn , Wagner oder Trumpet Voluntary spielen, auch nicht, wenn sie Blumenbüblein und Bartjungfern weglassen, auch nicht wenn beide im Anzug kommen. Ich will richtige Hochzeiten, blütenberegnet und weissbekleidet, duftig und maienanmutig, Hochzeiten wie im Amerikanischen Film.

Werden uns jetzt solche Alpträume (sic, s.o.) blühen? Jetzt, wo eine der festesten Bastionen homophober Gesinnung umgefallen ist? Ausgerechnet Irland erlaubt die Homoehe. Das ist doch für liberalere Länder fast schon ein Muss, da jetzt nachzuziehen.

Ich meine, die Schwulen könnten doch nun endlich mal zufrieden sein: Sie haben erreicht, dass ihr naturwidriges Tun nicht mehr strafbar ist, Homosexualität wurde von der Liste der Geisteskrankheiten gestrichen, sie haben Bereiche erobert, die inzwischen fest in Gay-Hand sind, das Theater, die Kosmetik, die Mode, die Kunst, sie dringen immer mehr in Areale vor, wo sie nun echt nix zu suchen haben, ins Militär, in den Fussball, in die Politik.
Nein.
Irgendwann einmal muss gut sein.

Ich möchte die kommende Nacht einen schönen Traum haben. Ich möchte von einer schönen Hochzeit träumen, mit Mendelssohn (oder Wagner), mit jungen, femininen Brautjungfern und einer prächtigen, seidenweiss umhüllten Braut mit langem Schleier. Die Mütter sollen weinen und die Herren fein lächeln und der Pfarrer soll sagen: „Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“

Und wenn Sie mir sagen, dass das völlig out ist, dass man inzwischen – egal ob homo, hetero, trans oder sonstwie – gar nicht mehr so heiratet. Dass heutzutage auf Motorrädern, unter Wasser, auf 5000m Höhe, dass im Tiergehege, in der Werkstatt oder im SM-Schuppen das Jawort gegeben wird: Es ist nicht mein Ding. Und wenn die klassische 4-Weddings-and-1-Funeral-Trauung total out ist, wenn sie niemand mehr veranstaltet, ist sie da nicht wieder sehr originell? Kann man da nicht sagen: „Wir heiraten ganz extravagant: In der Kapelle, in Weiss.“

Auf jeden Fall freue ich mich auf meinen Traum.  

    

 

Montag, 8. Juni 2015

...dass wir klug werden? Hä?


Es gab viele Gründe, nicht auf den Kirchentag zu gehen, z.B.:

·       Man ist Atheist und hätte aus Versehen doch in eine der wenigen frommen Veranstaltungen geraten können.
      ·       Er fand in einer Stadt statt, in der die Leute des Hochdeutschen nicht mächtig sind.
·        Man erträgt es nicht, wenn man mit 570 Menschen in eine U-Bahn eingezwängt wird, die dann lautstark Der Himmel geht über allen auf – auf alle über – über allen auf singen.
·        Man erträgt Menschen eh nur in kleinen Portionen, deshalb geht man ja auch nicht zu Fussballspielen und bleibt an den MEGA-Samstagen im heimischen Stüblein.
·         Man erträgt gar keine Menschen.
·         Man hat ein paar Tage frei und sieht nicht ein, sich für die Ferien To-do-Listen und Logistikpapiere anzulegen, die das Mass bei der Arbeit um 100% übersteigen: 10.00 „Frieden“ in Feuerbach, 12.00 „Gerechtigkeit“ in Gerlingen, 14.00 „Kantaten“ in Cannstatt – schaffen wir das mit S- und U-Bahn? (Anm. des Autors: Man schafft es nicht.)
·         Man will Mutti nicht auch noch live sehen.
 UND:
·         Das Motto

Ich bitte Sie: „…auf dass wir klug werden.“ Das ist ja eigentlich überhaupt kein Satz ist das ja, das muss man ja aus dem Gedächtnis ergänzen, und wer kann das schon? Also ganz heisst das Ding Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“

Das ist nun alles von Grund auf falsch. Denn erstens müssen wir nicht mehr sterben und zweitens sind wir schon klug.

Wenn ich mit 65 in Rente gehe, und das ist in 15 Jahren, wird die Medizin so weit sein, dass ich eine totale, fundamentale und optimale Runderneuerung bekomme. Ich bekomme ein zweites Herz, neue Nieren, Darm, Magen und Speiseröhre werden ausgetauscht, ich erhalte künstliche Knie-, Ellenbogen-, Hals- und Lendengelenke, ebenso werden Galle und Blase durch neuere Modelle ersetzt. Meine Zellen werden gereinigt, gewaschen und wieder eingefüllt, ich werde durchgecheckt, durchgesehen, werde mit Blut, Schweiss, Tränen und Sperma der Superklasse frisch aufgepeppt. So renoviert halte ich noch mal 600 Monate, und wenn die um sind, sind die Medizintechnik und die Chirurgie noch einmal weiter. Ich lebe also ewig, ich werde nie den Jordan überschreiten und die Jagdgründe eingehen, oder wie Coldplay es sang:
St. Peter won’t call my name…
Ob das dann noch ICH bin, 50% Kunsstoff, 40% Spende und 10% Eigenmaterial, das muss man philosophistisch oder theologistisch klären, zum Beispiel auf Kirchentagen, mir ist es egal, Hauptsache, der Körper, der sich Rolf Herter nennt, stirbt nicht. 

…dass wir klug werden? Wir die sind die gebildetste, informierteste, klügste Generation überhaupt. Wir wissen in 3,456 Sekunden, wie der 23. Präsident von Nauru hiess oder was um 1345 in Flevoland passierte. Wir haben jeden Ort der Welt auf Knopfdruck vor Augen und können sogar schauen, wo dort die nächste Pizzeria ist. Wenn die am CERN in ein, zwei Monaten durch sind, haben wir die Faustische Frage gelöst, wir haben zwar nicht alle Juristerei und Medizin studiert, und auch nicht leider Theologie, aber wir werden ohne Pudel und Hexen dahinter gekommen sein, was die Welt im Innersten zusammenhält. Ab gesehen davon, dass wir bald auf dem Mars, der Venus, auf Merkur, Jupiter und Pluto herumchillen werden und unsere Kontaktdaten und Freundschaftsanfragen tief in den Andromedanebel streuen können.
Das nenne ich Horizonterweiterung.

Nein, der Kirchentag lag falsch.
Wir müssen nicht mehr sterben. Wir SIND klug.
Und so war neben den Menschenmassen, Der Himmel geht über allen auf… und Mutti live dieses schrecklich destruktive, hinterweltlerische und negativistische Motto der Grund, dass ich nicht hingegangen bin.

 

Freitag, 5. Juni 2015

Der unsinnige Depeschenwechsel zwischen Ritter Faziolus und Ritter Bukerius (organisiert vom Edlen Sysshygel)

In der Zeit, die man als finsteres Mittelalter bezeichnet, also um ca. 1200, lebten zwei Ritter, und zwar in jenen Gefilden, die heute den Drielandenpunt B-NL-D beherbergen, also grob im Umfeld von Aachen. Die beiden hiessen Faziolus v. Hoogstijn und Bukerius v. Niedern und sie lagen seit Jahren in erbittertem Streit miteinander. Sie stritten um Bäume und Dörfer, um Felder und Wegerechte, sie stritten um Haine und Gebüsche, um Flüsse und Quellen. Das taten sie mal im Zweikampf, mal in Schlachten mit all ihren Mannen, stets erbittert und stets ziemlich blutig. Warum sie das taten? Ihnen war schlicht und einfach langweilig: Man kann ja nicht den ganzen Tag Schach spielen oder Lautenisten zuhören, nicht den ganzen Tag aus dem Fenster sehen oder die Rüstung putzen, und ihre Burgfräuleins wollten auch nicht immer.

Die permanente Streiterei brachte eine Sache mit sich: Ständig mussten Boten und Kuriere zwischen Hoogstijn und Niedern hin und her reiten, um Drohungen, Erwiderungen und Beleidigungen zu überbringen, aber auch um Ort und Zeit für die nächste Prügelei mitzuteilen. Nachdem die eigenen Knappen und Diener irgendwann keine Lust mehr auf diesen Dienst hatten, bot Markus v. Sysshygel, ein Mann des niederen Adels, an, die Botensache für Faziolus und Bukerius zu organisieren. Er schlug vor, einen Dienst aufzubauen, bei dem jedem der beiden Rittersleut Tag und Nacht ein wartender Kurier zu Verfügung stünde, seine einzige Bedingung sei ein 3-Jahres-Vertrag und 3000 Goldstücke pro Jahr. Dankbar nahmen die beiden Ritter an.

Sysshygel stellte für seinen Faziolus-Bukerius-Dienst, den er bald abkürzte, etliche Leute ein, kaufte Pferde und Ställe und Futter. Ein Jahr trabten die Kuriere Sysshygels zwischen Hoogstijn und Niedern, im Gepäck Depeschen wie
Finker weck van meyner Gnaasquelle, du Sau!
und
Morgen befor Sunnenufgank am Galkenpaum mit jeh 4 Kämpern
dann allerdings geschah das Unglaubliche: Faziolus und Bukerius schlossen Frieden. Kein Historiograph oder Historiologe hat bisher herausgefunden, warum sie das taten, fest steht, dass Anno Domini 1222 ein Friedensvertrag unterzeichnet wurde, der alle Wegerechte, alle Fluss- und Quellrechte, der das Eigentum an Dorf, Hain, Busch und Baum regelte und der heute noch im Stadtmuseum Aachen (Printenstrasse 7, täglich ausser MO 10.00-17.00) zu sehen ist.

Nun brauchte man natürlich die Dienste des Markus Sysshygel nicht mehr. Der aber bestand auf seinem Vertrag, er werde weiter Kuriere schicken, diese seien zu bezahlen und basta. Selbst die findigsten Advokaten der beiden Ritter fanden keine Lösung: Der Vertrag war einzuhalten. Zwei Wochen sassen nun die Boten in den Burghöfen herum, langweilten sich, gingen müssig, taten das, was Müssiggänger tun, sie tranken zu viel des Burgweins, pöbelten Knappen an und langten den Mägden an Brust und Po (je nach Vorliebe umgekehrt). Nach 14 Tagen war es Faziolus zu viel und er schickte einen Kurier mit einer Botschaft:
Wi scheen der Fryde seien tut. Entelik eynmal wider in Ruh Morgemahl. Es gab geryrte Eyer.
und der andere antwortete:
Wi rächt du habben tust. Bey mir gespygelte Eyer.
So begann ein reger Depeschenwechsel über ihr tägliches Leben, über Morgen-, Mittag- und Abendmahlzeiten, über die Probleme der baufälligen Burgen und gesundheitliche Sorgen. Die beiden stellten sogar Maler an, die die Blumen im Burggarten, die Magnolien, Rosen und Stiefmütterchen abzeichneten, diese Aquarelle und Zeichnungen wurden dann den Briefen beigelegt.

Nach einem Jahr stand dann auf einmal ein unbekannter Kurier im Hof von Niedern. Er überbrachte folgendes schreiben:
Werther Riter Bukerius
Habben geherrt von eyrem lyben Depeschweksel mit Riter Faziolus. Dyrfte ik mik darann beteyligen? Trag nadyrlik die Kossten.
Amandus
Byschoff von Trier

Bukerius nahm die Anfrage an und Sysshygel erweiterte seine Routen.
Um das Jahr 1232 ritten dann ca. 20 000 Boten und Kuriere, Reiter und Depeschenbringer in Sysshygels Diensten quer durch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und überbrachten Botschaften, deren informativer Wert gleich Null ging, den beteiligten Rittern, Fürsten und Bischöfen aber einen perversen Spass machte.

Irgendwann kam die Sache dem Kaiser zu Ohren: Er war ausser sich. Hatten seine Adligen nichts mehr zu tun? Waren sie völlig hobbylos? Es war unwürdig für einen Grafen oder Ritter, Briefchen mit Blümchen oder Kochrezepten durch Kuriere auf Pferden von der Nordsee zu den Alpen und von der Memel zum Kanal zu schicken.
Er reagierte prompt: Er sandte seinerseits Boten an alle Herrscher des Reiches, die auf den Burgen und Schlössern verkündigten: Der Kaiser habe den Mongolen den Krieg erklärt und alle Fürsten haben sich mit allen Getreuen in Bamberg einzufinden.
Das Briefescheiben erlosch sofort, alle Ritter zogen in den Kampf und Sysshygel setzte sich, inzwischen 300 Millionen Goldstücke reich, endlich zur Ruhe.

Es bleibt zu hoffen, dass diese 10 Jahre, die als „decem anni stupidarum epistularum" (die Zehn Jahre der dummen Briefe) in die Historiographie eingingen, sich nie wiederholen werden.




  

Dienstag, 2. Juni 2015

Nix gewusst? Noch einmal Blatter...

Im Schullandheim der 8B der Gesamtschule Guntersheim, sie waren an der Ostsee, ist es zu einigen bösen Zwischenfällen gekommen. Mehrere Schüler haben zwei Mitschüler nachts aus dem Bett gezerrt, sie gefesselt und geknebelt und dann Spiele mit ihnen getrieben, die im Törless oder in 50 Shades of Grey nachzulesen sind. Es war hinterher nicht mehr genau zu evaluieren, ob wirklich Analverkehr betrieben wurde, aber es war schlimm genug. Herr Trucker, der Klassenlehrer, gab später an, er habe nichts mitbekommen, er könne schliesslich nicht alles kontrollieren, es sei ohne sein Wissen geschehen…

Im CLEAN&NICE®, der Bezahltoilette im HBF Flensburg, herrschten bis vergangenen Dienstag relativ desolate Zustände. Kundinnen und Kunden beschwerten sich bei der Zentrale in Kiel darüber, dass in den Kabinen offensichtlich gefixt werde, Spritzen lägen herum, die Wände seien voller Blut und manchmal steige man über Leute, die mit glasigen Augen auf dem Boden dösten. Wie gesagt, bis letzten Dienstag, dann wurde dem Filialmanager, Herrn Dreyer, fristlos gekündigt. Er gab später an, er habe nichts mitbekommen, er könne schliesslich nicht alles kontrollieren, es sei ohne sein Wissen geschehen…

Bei der TRUPAG AG hat man kürzlich eine ganze Abteilung aufgelöst. Es gab nur einen Grund, aber der war triftig: Die 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatte eine etwas laxe Arbeitsmoral, anders gesprochen, sie taten nichts. Also sie taten schon viele Dinge, aber das waren mehr freizeitorientierte Beschäftigungen, da wurde World of Warcraft und League of Legends gespielt, wurde Facebook, WhatsApp und Twitter bedient und die Dossiers im Schrank entpuppten sich als Sammlungen von Kreuzworträtseln, Sudokus und Schiffeversenken. Natürlich wurde auch die Abteilungsleiterin, Frau Scherfel-Bödelein, gegangen. Sie gab später an, sie habe nichts mitbekommen, sie könne schliesslich nicht alles kontrollieren, es sei ohne ihr Wissen geschehen…

Hallo? Wieso betonen die alle, sie haben nichts gewusst? Das ist selbstverständlich. Stellen Sie sich vor, Herr Herr Trucker hätte die spermatreibenden Spielchen toleriert oder sogar gutgeheissen, stellen Sie sich vor, Herr Dreyer hätte die Heroinjunkies wissentlich in seine Anlage gelassen (vielleicht den Stoff verkauft) und Frau Scherfel-Bödelein hätte ihren Leuten gesagt. nur Anwesenheit sei notwendig, sonst könnten sie 8 Stunden machen, was sie wollten. Unvorstellbar. Aber das Nichtwissen ist genauso verwerflich: Wenn der Lehrer nix mitkriegt, kann man die Kids auch alleine eine Woche an die Ostsee schicken, wenn eine Toilette so aussieht wie früher das Bahnhofsklo, warum bezahle ich dann 1,50 Euro (und damit auch einen Manager als Aufpasser), wenn eine Abteilungsleiterin ihre Abteilung nicht leitet, wieso heisst sie dann so?

Und deshalb hätte Sepp gehen müssen. Selbst wenn er – was ich nicht glaube – von allem nix gewusst hat, es wäre sein Job gewesen, seinen Verband im Griff zu haben. Was ist das für eine Führung, an der vorbei man Geldwäsche und Korruption betreiben, an der vorbei man seine Schäfchen ins Trockene und weit darüber hinaus auf goldene Wiesen treiben kann? Was ist das für eine Leitung, die nicht leitet? Was ist das für Direktion, die nicht dirigiert? Nein, Seppi hätte gehen müssen, er ist um keinen Deut besser als Trucker, Dreyer und Scherfel-Bödelein. Sein Verband ist so widerlich wie die Törless-Spiele, so eklig wie H-Spritzen und so faul wie TRUPAGler.

Was für einen Sport kann man eigentlich noch unterstützen? Wo gibt es weder Geldschweinereien noch Chemieschweinereien, gibt es weder Korruption noch Doping?
Synchronschwimmen
oder
Eistanzen
oder
Kanu-Polo.
Und zwar nicht, weil die Leute, die diese Dinge betreiben, die gemeinsam ihren Armschlag machen, ihre beschlitteten Schuhe heben oder mit dem Paddel Bälle schlagen, weil die Leute, die synchronschwimmen oder eistänzeln oder kanupoloisieren Heilige, weil sie von Hause aus sauber und anständig sind, sondern weil Doping bei diesen Sportarten keinen Sinn macht und weil in ihren Weltverbänden, der WASS, der WAID, der WAKP es einfach um nicht so viel Geld geht. Die World Association of Ice Dancing z.B. hat ein Jahresbudget von 50 Millionen Dollar, das füllt bei der FIFA gerade die Portokasse.

Geld verdirbt den Charakter.
Blatter gibt an, er habe nichts mitbekommen, er könne schliesslich nicht alles kontrollieren, es sei ohne sein Wissen geschehen…

Und genau deshalb hätte er seinen Hut nehmen müssen und ins Wallis zurückgehen. Da ist es ja auch schön.