Freitag, 29. Dezember 2017

Die Statistik der Geisteswissenschaftler im Fast Food-Verkauf



Ich habe neulich die Zahl der Geisteswissenschaftler erwähnt, die in Würstchenbuden arbeiten, und sie mit 35% der dort Beschäftigten beziffert. Das war natürlich ein wenig zu vereinfacht, denn sie arbeiten ja nicht nur bei den Würsten, sondern auch bei Döner, Pizza, Thai und Sandwich. Nun hat mich ein Leser mit genauen Zahlen versorgt, die ich hier gerne veröffentliche:

In der Schnell-, Theken- und Stehgastronomie sind in der BRD 34,26% Menschen mit einem abgeschlossenen geisteswissenschaftlichen Studium beschäftigt. Und diese 34,26% teilen sich wie folgt auf:

(alle Geisteswissenschaftler=100%)


Hamburger
Döner
Würstchen
Sandwich
Asia
Pizza
Sprachwissenschaften Master
0
0
0
0
0
0
Sprachwissenschaften
Promotion
0,5
0,5
1
0,7
0,3
0
Philosophie Master
10,8
2
2,2
3,5
1,5
0
Philosophie Promotion
1
1,6
2,4
3
1
0
Kulturwissenschaften Master
1,6
2
1
12,4
2
0
Kulturwissenschaften Promotion
0,1
0.2
0,3
0,4
0
0
Soziologie und Politologie Master
3,2
4
2,5
2,5
13,8
0
Soziologie und Politologie Promotion
2,9
1,1
1,5
2,5
1
0
Psychologie Master
0
0
0
0
0
0
Psychologie Promotion
2,7
1,3
1,9
0,1
1
0

Eine erstaunliche Tabelle!
Lassen Sie uns ein wenig darin stöbern und eventuell ein paar Schlüsse daraus ziehen.

Was einem natürlich sofort ins Auge hüpft, in die Pupille springt, ist die konsequente Null, das sture Zero bei der Pizza. Zunächst könnte man selbstverständlich denken, dass in Pizzabuden nur originalitalienische Mafiosis (sic) backen und belegen, aber das träfe zu kurz, denn auch Döner und Asia beschäftigen Geisteswissenschaftler – und nicht nur türkische oder asiatische Mafiosis (sic). Es muss eine grundsätzliche Abneigung gegen Pizza geben. Aber welche?
Vielleicht ist es das Breite, Flache, ist es das Ausgewellte, Ausgetretene, vielleicht ist es das Unvertiefte, was alle die Geisteswissenschaftler von der Pizza wegbringt. Man will ja eben in die Tiefe vorstossen und nicht nur an der Oberfläche bleiben, wie schon Goethe sagte:
Getret’ner Quark
Wird breit, nicht stark.
Aber vielleicht hat es auch einen ganz anderen Grund.   

Ebenso auffällig sind die klaren Präferenzen. Es gibt nur drei Zahlen über 10% und das sind der Anteil der Philosophen bei den Hamburgern, der Anteil der Kulturleute bei den Sandwiches und die Menge der Sozio- und Politologen bei den Asia-Imbissen. Wenn wir nicht an Zufälle glauben, muss es einen Grund geben. Was zieht die Jünger Platons, Kants und Hegels zu den amerikanischen Hackfleischbrötchen? Was zieht die Deuter Mozarts und Picassos, die Exegeten Wagners und Dürers zum Erbe des Lord of Sandwich? Was zieht die, die über Gesellschaft und Staat hirnen, zu Bami Goreng und Nasi Goreng?
Man kann nur vermuten.
Vielleicht ist den Philosophen der Hamburger so nahe, weil er ihr Tun symbolisiert; aus wenigen, nichtssagenden Zutaten wird hier etwas zusammengemixt, das zwar verführerisch aussieht, aber eigentlich ungeniessbar ist. Genau das ist Philosophie, da wird aus Schopenhauer und Camus etwas zusammengekocht, das dann einen leckeren Titel wie Der Geist im Widerstreit trägt, einem Leser aber unverdaulich und schwer im Magen liegt.
Für die Musikologen, die Kunsthistoriker, für die Theaterwissenschaftler und Vergleichende Kulturologen, die alle nach Struktur, nach Aufbau, nach Komposition im weitesten Sinne sucht, ist sicher das Sandwich das Ideale. Gibt es etwas stärker Komponiertes, etwas mehr aus Komponenten zusammengesetztes als ein Sandwich?
Was aber haben die Soziologen und Politologen mit Reisgerichten und scharfen Saucen, was haben sie mit Curry und Soja, was mit Humi Kolang und Laku Dimaing zu schaffen? Bricht da die seit 1968 nie erloschene Liebe zu Vietnam und Kambodscha wieder auf? Oder was hat es für Gründe?
Lösen werden wir diese Rätsel nicht...

Abschliessend interssant ist noch, dass bei Sprache und Psycho eine Dissertation für eine spätere garantierte Anstellung eher hinderlich ist. Liegt der Anteil bei allen Steh-, Schnell- und Mitnehm-, bei allen Theken-, Geh- und Drive In-Buden für Nichtgedoktorte bei sauberen 0%, findet sich bei denen mit Titel doch der eine oder andere, der Fritten, Döner und Thai über den Tresen reicht. Wahrscheinlich sind sie bei vielen Jobs einfach überqualifiziert. Welcher Schulleiter, der "auf die Strassenbahn warten" für eine Bestimmung des Ortes und "man" für ein Personalpronomen hält - und ich kenne solche - stellt einen Dr.phil an, der in Deutscher Linguistik promoviert hat, er hat schlicht und einfach Angst vor ihm.

Das waren ein paar kurze Blicke in die interessante Statistik. Denken Sie vielleicht daran, wenn Sie das nächste Mal bei TIM'S PFANNE oder beim IZMIR-IMBISS, wenn Sie bei BURGER LORD oder THE SAND WITCHES stehen.

P.S.
Wer etwas dazulernen will: Ich warte auf die Strassenbahn ist ein Präpositionalobjekt. "Man" ist ein Indefinitpronomen. 
P.P.S.
Der Schulleiter bleibt anonym.



Montag, 25. Dezember 2017

Das Ende des Choix du Roi in der Werbung



Ich stehe vor einem Werbeplakat eines Internet-Kaufhauses; wäre es ein Gemälde, müsste es den Titel Glückliche Familie unter dem Tannenbaum tragen. Das Plakat erfüllt so ziemliche alle Klischees, die wir von einem Weihnachtswerbeplakat erwarten, in einer geschmackvollen Wohnung ist ein nicht üppig, sondern geschmackvoll dekorierter Tannenbaum aufgestellt, unter dem geschmackvoll eingepackte Päckchen lagern. Vor dem geschmackvollen Ensemble Wand-Baum-Geschenke hat sich die Familie malerisch gelagert, der Mann zu einer 500 Franken-Jeans ein schickes weisses Hemd und (man will ja auch Lässigkeit zeigen) einen Dreitagebart. Die Frau ist ein wenig edler gestylt, Kleines Schwarzes und Perlenkette. Vor den glücklichen Eltern sind ihre glücklichen Kinder zu sehen, das Mädchen im entzückenden weissen Kleidchen und der Bub in einem roten Strickpulli.
Und jetzt, nun, in diesem Moment, beim genaueren Hinsehen wird einem die Modernität, wird einem die umwerfende Liberalität der Werbung bewusst. Nun, jetzt, beim exakten Gucken und beim genauen Studium ahnt man die gesellschaftliche Umwälzung, in der wir uns befinden, denn:

Der Bub ist jünger als das Mädchen.

Bislang galt nämlich bei allen Familiendarstellungen die Regel «Vater – Mutter (jünger als Vater) – Knabe – Mädchen (jünger als Knabe)». Die Herstellung von zwei Nachkommen, die beide Geschlechter abdecken und bei der der männliche Nachkomme 1-2 Jahre älter, ist wird als «Choix du Roi» bezeichnet. Ein König musste nämlich schauen, dass er a) einen Thronfolger hat und b) eine Tochter, die er an einen Regenten eines Nachbarreiches, mit dem man gute und freundschaftliche Beziehungen wünschte, verheiraten konnte.
Und nun dies.
Ein Umbruch, eine Revolution, eine fundamentale Neuerung, der Bub darf auch jünger als das Mädchen sein.
Merken Sie, wie viel emanzipatorisches Denken in einem solchen Weihnachtsplakat steckt? Hier werden alte Regeln auf den Kopf gestellt, hier werden Gesetze gebrochen, hier wird der Frau, hier wird dem weiblichen Geschlecht endlich zu seinem Recht verholfen.

Nun gibt es natürlich die Ewignörgler, gibt es die Dauermotzer, nun existieren die Progressivspinner, denen das nicht weit genug geht. Jene Leute, die den Werten einer christlich-abendländischen Kultur generell an den Kragen wollen. Menschen, die es wagen, ganz frech die folgenden Fragen zu stellen:
Warum Vater und Mutter und nicht zwei Männer oder zwei Frauen?
Warum überhaupt zwei und nicht nur ein(e) Erwachsene(r)?
Warum gerade zwei Kinder und warum eigene? Und nicht ein paar adoptierte, am besten noch aussereuropäisch?
Das Stellen solcher Fragen wird immer mit dem gleichen Sermon begründet, nämlich mit dem Argument das die Viererfamilie mit Choix du Roi (oder umgedrehter Königswahl) nicht mehr der gesellschaftlichen Realität entspreche.
Aber ich bitte Sie!
Es geht doch drum, eine glückliche Gemeinschaft unter dem Weihnachtsbaum darzustellen. Und man muss ganz klar sagen, dass alle im letzten Jahrhundert aufgekommenen Parallelformen keine glücklichen Gemeinschaften hervorgebracht haben.
Zwei Männer können miteinander nicht glücklich werden, hier fehlt doch völlig das Sanfte, das Liebliche, hier fehlt das Ewige, Ruhende und Seiende.
Zwei Frauen können miteinander nicht glücklich werden, hier fehlt doch völlig das Strebende, das Tuende, hier fehlt der Ehrgeiz, der Blick nach vorne, die Kraft.
Alleinerziehende sind per se nicht glücklich.

Und mal ganz ehrlich: Wollen Sie wirklich ein Plakat angucken, auf dem zwei Schwuchteln sich mit gespreizten Fingern zuprosten? Wollen Sie ein Plakat, auf dem zwei Kampflesben sich Werkzeug und Motorradklamotten schenken? Wollen Sie einer unglücklichen, einsamen Frau mit ihrer verwahrlosten Brut zusehen? Wollen Sie schwarze oder gelbe Kinder unter dem Tannenbaum?
Ich nicht.

Nein, hören wir auf, immer das Verrückteste zu fordern. Freuen wir uns über die fortschrittliche und emanzipatorische Kraft, die in diesem Plakat liegt: Ein uraltes Gebot ist aufgehoben, ein Gesetz ist ausser Kraft, der Junge darf jünger, das Mädchen darf älter sein.

Das ist doch schon extrem viel.

In diesem Sinne: MERRY CHRISTMAS!!!!