Freitag, 29. Juli 2016

England-Tripp 1: Das Positive

Nein, der Titel ist kein Schreibfehler. Wenn wir schon englische Lehnwörter auf -p mit Doppel-P schreiben, dann doch bitte konsequent, und kommen Sie mir nicht damit, dass «Stopp» von «stoppen» käme, das ist nämlich umgekehrt. Also schreibe ich ab jetzt mit hämischem Vergnügen «Tripp».

Aber ich wollte Ihnen eben von meinem Tripp nach England erzählen: Ich war eine Woche in Nottingham, das ist ein idealer Ausgangspunkt für Touren durch die East Midlands und eine tolle Stadt. Und wenn Sie sich jetzt überlegen, woher Sie den Namen kennen, genau, Robin Hood, der begegnet Ihnen dort auf Schritt und Tritt, allerdings ist die Stadt ein wenig grösser, als Sie sie vom Kevin Kostner-Film kennen, genauer gesagt ca. 300.000 Einwohner.

Was ich in den East Midlands gesucht habe? Nein, ich wollte nicht den Brexit live erleben, da war nichts zu spüren, allerdings kann ich jetzt die Leute da ein wenig besser verstehen. Da ist nämlich schon einiges im Argen, man spürt, dass es vielen Leuten finanziell nicht gut geht und wenn dann jemand kommt und schreit «Raus aus der EU» dann glauben das einfach viele. Vielleicht wird sich die Region auch gerade deshalb aufrappeln. Das ist so, wie wenn Sie Schmerzen im Knie haben und keiner findet raus, warum und Ihnen fällt ein Buch in die Hand, in dem klar dargelegt wird, dass man immer auf Nahrung verzichten muss, die mit dem gleichen Buchstaben wie das schmerzende Körperteil anfängt. Und dann essen Sie kein Kaninchen, keine Karotten und Kastanien, keinen Käse, Kefir und Kebab mehr und – es geht Ihnen besser. Placebo-Effekt nennt man das. Oder es geht Ihnen nicht besser. Dann hat der Placebo-Effekt versagt.
Warten wir also ab, eventuell bekommen die East Midlands einen ganz neuen Schwung.

Merken Sie, dass mein Ton über England ganz anders ist als noch vor ein paar Posts? Nun ja, ich habe da sehr böse Sachen geschrieben und muss nun doch ein wenig zurückrudern. Ja, viele Dinge waren dort faszinierend gut und einige nicht so schlecht, wie man sagt. Lassen Sie mich also zunächst ein wenig über die von mir entdeckten Qualitäten plaudern.

Erstens
Ich habe in der Woche, in der ich dort weilte, keinen einzigen schlechten Strassenmusiker, keine einzige schlechte Strassenmusikerin gesehen und gehört. In Leicester (sprich: Lester), wo ich eigentlich den Grafen treffen wollte, der natürlich wieder einmal zu Schiff nach Frankreich war und sich entschuldigen liess, stand ich eine halbe Stunde bei einer Sängerin, der selbst Bohlen um den Hals fallen würde, sie hatte Stimme, Charme, Feeling und eine unglaublich gute Laune, und die Art, wie sie während des Playback-Intros noch eine Kippe drehte, das hatte einfach Stil. Als sie dann «Jammin'» anstimmte, zuckte ich zusammen, denn neben mir standen echte Rastas, die aber sofort begeistert waren, alles mitsangen, tanzten und applaudierten, selbst wenn man abzieht, dass stoned alles ein wenig besser klingt, will das doch etwas heissen.
Sie finden das mit den «buskers», wie sie auf Englisch heissen, nichts Besonderes? Dann laufen Sie doch mal durch Basel oder Freiburg und hören sich den Mist an. Keine(r) von denen kann singen, keine(r) einen Rhythmus halten und die Knöpfe an ihrer Gitarre halten sie offensichtlich für reine Dekoration. Viele gehen wahrscheinlich nach mehreren Morddrohungen der Nachbarn einfach zum Üben auf die Strasse. Da ist eine Woche gute Streetmusic doch etwas Tolles.

Zweitens
Der Britische Humor ist ja sprichwörtlich, ihn aber immer wieder direkt zu erleben, ist etwas Spannendes. Ja, die Engländer sind witzig, aber auf einen ganz eigene, skurrile Weise, immer ein wenig um drei Ecken, immer an der Grenze des Blödelns, manchmal makaber und manchmal für Kontinentler einfach nicht zu begreifen.
«Haben Sie keinen 5 Pfund-Schein?», fragt mich der Busfahrer vom East Midland Airport nach Nottingham City und als ich verneine, bricht er in schallendes Gelächter aus. «Es gibt doch gar keinen, kann jemand dem jungen Mann (sic! sic!) mal erklären, dass es keine 5er-Note gibt?» Nun, das ist so ein Joke, den ich auch gelegentlich mache, á la «hab grad keine 3 Franken-Münze», aber es kommt nun noch besser, denn der nächste Fahrgast zahlt mit einem Fünfpfundschein. Schräg, nicht?
Zwei Minuten später steigt eine Mutter mit Tochter ein. «Wie alt bist du?», fragt der Driver. «Zehn», sagt sie. Worauf der Driver erwidert: «Falsch, man erwartet von dir, dass du «unter 5» sagst, dann wäre die Fahrt nämlich gratis. Der Fahrer stellt die Frage also noch einmal und bekommt die gleiche Antwort, die junge Dame ist einfach zu ehrlich…
Ebenso unmöglich wäre bei uns das folgende Schild an einem Kaffee&Gebäck-Stand: Unsere Johannisbeeren haben nichts Schlimmes getan, dennoch haben wir sie zwei Stunden lang bei grösster Hitze kleingekocht. In der Schweiz würde jedem und jeder die Lust auf dieses Gebäck vergehen, wenn man es boschesk mit Hitze und Qual assoziiert. An diesem Stand waren die Beeren-Schnecken schon lange ausverkauft.

Drittens
Ich habe in Newstead Abbey, dem Wohnsitz von Lord Byron, ein Palace mit Park und Wald, der so (Klischee-)britisch war, dass einem das Herz aufging, Museumswächter(innen) erlebt, die eine Ahnung hatten, sie konnten fast den kompletten «Harold» aufsagen, wussten die Schuhgrösse von allen Affären des jungen Wilden (waren viele!) und kannten jedes Möbelstück im Haus (auch viele!). Bei uns rennen die Wächter bei einer Frage entweder zum Schild und lesen einem vor, oder sie empfehlen einem den Museumskatalog. Modernerweise googeln sie auch, als ob man selbst dazu zu blöd wäre.

So viel für heute mit den wonderful things, am Dienstag geht es um die acceptable. 




Montag, 25. Juli 2016

Spalten - die AfD folgt einer deutschen Tradition

Endlich hat der kleine Ort Wüstsand im Taunus eine Freikirche. Die Gemeinde WAHRES EVANGELIUM, ein Sammelbecken für alle, denen die Theologie der beiden Landeskirchen zu liberal ist. WAHRES EVANGELIUM betreibt eifrig Werbung, findet schnell Mitglieder, mietet Räume an und feiert fröhlich Gottesdienste. Dann allerdings – schon nach einem Jahr – kommt die Ernüchterung. Einige Gläubige stellen gewisse Inhalte der Bibel in Frage, zum Beispiel die Erschaffung der Erde in 6 Tagen, einige halten sich wörtlich an alles darin Geschriebene; es kommt wie es kommen muss, die Gemeinde spalten sich in zwei Kirchen, WAHRES EVANGELIUM und WAHRES BIBELTREUES EVANGELIUM. So weit so gut. Nun sind aber in beiden Glaubensgemeinschaften Charismatiker, die gerne mehr mit geschlossenen Augen singen, auf und ab hüpfen, in Zungen reden und geistheilen würden, was von den anderen als zu pfingstlerisch abgelehnt wird. Das nächste Schisma erscheint auf dem Plan, und nach vier Jahren hat Wüstsand vier Freikirchen: WAHRES EVANGELIUM, WAHRES BIBIBELTREUS EVANGELIUM, WAHRES GEISTERFÜLLTES EVANGELIUM und WAHRES BIBELTREUS UND GEISTERFÜLLTES EVANGELIUM.

Der Deutsche spaltet gerne. Er spaltet Holz und Schädel, er spaltet Haare und Vereine. Im Süden hatte das früher übrigens einen ganz praktischen Grund, der Hof wurde nicht dem Ältesten vererbt, sondern zwischen den Söhnen (Töchter wurden verheiratet) aufgeteilt, weshalb jeder Kataster aussah wie eine Patchworkdecke. Man spaltete aber nicht nur Land, die Spaltung der beiden grossen Kirchen geschah auf deutschem Boden und ein Bonner brachte die Abspaltung von Melodieteilen, die motivisch-thematische Arbeit zur Perfektion (gelernt hatte er sie bei seinem österreichischen Lehrer). Und wer hat die Kernspaltung entwickelt? Na sehen Sie.

Legendär ist die Spalterei bei den Linken in den Jahren 1968-1972. In den wilden Zeiten hatte ein junger Rebell in Berlin die Auswahl von gefühlten 1000 Splittergruppen, und dabei sind die nichtpolitischen Gemeinschaften wie die «Umherschweifenden Haschrebellen» gar nicht mitgezählt. Es gab Marxisten, Leninisten, Trotzkisten, Stalinisten, Maoisten, es gab kommunistische, sozialistische, anarchistische und hippieistische Gruppen, alle von sich endlos überzeugt – sehen Sie die Parallele zum WAHREN EVANGELIUM? – und untereinander spinnefeind. Natürlich waren in keiner der Gruppen Arbeiter, für die kämpfte man zwar, sie hätten bei der Diskussion über den Unterschied des orthodox-maoistischen und des liberal-leninistischen Gedankengutes nur gestört.
Wecker dichtete damals:
Alle lieg’n sie richtig / Alle ham sie recht
Jeder hat’s erfunden / Jeder liebt Bert Brecht
Jeder liebt auch Heine / Und wie schon betont:
Alle lieg’n sie richtig / Keiner wird verschont
um nach dem letzten Singen dieses Refrains anzufügen:
Und mein Onkel lacht sich eins, denn das weiss auch er:
Gegen diese Linke hat er es nicht schwer.
Scheisse.

Der Deutsche spaltet gerne. Und besonders bald kommt die Spaltung, wenn sich eine Kirche, Partei, eine Gruppe oder Gruppierung als «Sammelbecken» bezeichnet. Das ist auch logisch, denn ein solches Becken sammelt ja Leute, die eigentlich völlig verschieden ticken, aber sich an einem Punkt getroffen haben. Nach dem Motto: Heute sehen wir erst einmal das Gemeinsame, die Unterschiede kommen morgen dran.

Und wie sie dann drankommen!

Nun beginnt ja der Prozess bei der AfD, diesem Sammelbecken für Volksdeutsche, Unzufriedene, für Nationalisten und Rechtskonservative, aber leider auch für Ex-Nazis, Holocaustleugner und Judenhasser, für Rassisten und Populisten, für Protestwähler und Protestgewählte. Und wie in jedem Sammelbecken ist man nun im Morgen angekommen. Und stellt nun fest, dass man sich in einigen Fragen doch ein wenig uneins ist: Soll man nur die Grenzen verriegeln? Oder alle Ausländer heimschicken? Oder alle gleich umbringen? Sind wir wieder stolz, Deutsche zu sein, obwohl es Auschwitz gab? Oder sind wir stolz Deutsche zu sein, weil es Auschwitz NICHT gab? Wie braun wollen wir sein? Eher so beige oder richtig schwarzbraun wie die Haselnuss? So hässlichbraun? Kackbraun?

Die erste Spaltung ist schon da: Nach guter religiöser Tradition hat sich die Fraktion im Stuttgarter Schwarzquader (ich meine im Landtag) in zwei Teile gespalten, die Alternative für Deutschland und die Alternative für Baden-Württemberg. Es werden nun schon Wetten abgeschlossen, ob bald die Alternative für Baden und die Alternative für Württemberg entstehen. Ganz grosse Parteipessimisten sehen sogar in Zukunft die Alternative für Nordbaden, die Alternative für Südbaden, die Alternative für Nordwürttemberg und die Alternative für Südwürttemberg-Hohenzollern. (Sie sehen übrigens auch an der ständigen Nennung der Uraltfürstentümer wie Hohenzollern, Nassau, Anhalt und Lippe, was für ein Spaltkopf der deutsche Michel ist…)

Der Deutsche spaltet gerne.
Und dieses Mal, nur dieses Mal frohlocke ich. Denn was kann die AfD uns Besseres bescheren, als sich selbst kaputtzumachen? Sich selbst aufzulösen? Sich solange zu entzweien, bis jeder Splitter die Grösse erreicht hat, bei der man sich einig ist, nämlich die Einzelperson?

Und so singen wir fröhlich:
Alle lieg’n sie richtig / Alle sind das Volk
Jeder hat’s erfunden / Jeder will Erfolg
Jeder will auch Wähler / Und wie schon betont:
Alle lieg’n sie richtig / Keiner wird verschont
Und mein Neffe lacht sich eins, denn das weiss auch er:
Gegen diese Rechte hat er es nicht schwer.
Halleluja!




Freitag, 22. Juli 2016

Warum schreiben wir Hau5 ?

Der Filius sitzt im August 2025 über seinen Hausaufgaben. Er muss – dümmste und älteste aller dummen und alten Aufgaben – einen Aufsatz über das Thema „Mein schönstes Ferienerlebnis“ schreiben. Alt deshalb, weil schon die Urgrosseltern dieses Thema bekamen, dumm deshalb, weil man gerade über die wirklich schönen Ferienerlebnisse den Erwachsenen nichts, aber auch gar nichts erzählen würde. Soll man wirklich berichten, wie einen die Tochter des Hoteliers, die schon 15 ist und wie 17 aussieht, an ihre Brüste fassen liess? Soll man wirklich erzählen, dass man mit dem Sohn der anderen Schweizer Familie, der schon 14 ist und wie 16 aussieht, abends am See Bier getrunken und Zigaretten geraucht hat? Oder soll man die spannende Story vom Unfall des Bruders erzählen – es ist eine wirklich gute Geschichte, peinlich ist nur, dass für einen der Sturz des ungeliebten Mitgeborenen mit späterem Gips wirklich das schönste Ferienerlebnis war…

Nein, also verlegt man sich auf Strandtage, Sonnenuntergänge, Ausflüge und Wandertouren, die nichts hergeben, weil so wenig passiert. Natürlich kann man einen Sonnenuntergang, ein Ankommen auf dem Gipfel, einen Tag am Meer herrlich poetisch beschreiben, aber nicht, wenn man 11 ist. (Selbst gute Autoren scheitern regelmässig an Sonnenuntergängen und Bergblicken.)



Aber das wollte ich ja gar nicht alles erzählen. Der Filius sitzt also über seinem Heft und der Vater, obwohl er es eigentlich nicht soll, lugt ihm heimlich über die Schulter.
„Du hast wieder Haus geschrieben, wir blieben im Haus, du weisst doch, dass es Hau5 heisst. Es heisst Hau5, aber häuslich, es heisst Mau5, aber mausen,  so wie es Krei5 und Prei5, aber Kreistag und Preisrichter heisst.“ Der Filius seufzt: „Warum müssen wir eigentlich diese saublöde 5 am Wortende schreiben, wenn wir doch „s“ sagen? Kann man das nicht abschaffen?“

Der Vater lächelt: „Sollte man vielleicht. Aber ich erkläre dir mal, warum man das macht.“
Und er beginnt zu erzählen:



„Vor langer Zeit gab es nur ein „s“, bei uns, die Deutschen hatten noch das Scharf-S, aber das ist eine andere Geschichte. Nun hatten viele Leute Geschäfte wie Blumenläden, Confiserien und Buchhandlungen, und weil sie Pia, Herbert oder Viviane hiessen, nannten sie diese Läden Pias Blumeninsel, Herberts Schoggiparadies und Vivianes Bücherbrunnen. Irgendwann machten in der Nähe von Blumen, Pralinen und Belletristik Kneipen auf, die sich englisch, irisch oder amerikanisch gaben, und weil – im Gegensatz zum Deutschen – bei den Engländern, Iren und Amerikanern im Genetiv, das ist der Wes-Fall, wie du weisst, das „s“ abgetrennt wird, hiessen die Läden Buffy’s Bar, Peter’s Pub oder Larry’s Lounge. Und weil Buffy’s Bar, Larry’s Lounge und Peter’s Pub so schrecklich aufregend aussah, taten es die Einheimischen es ihnen gleich, da hiess es auf einmal Pia’s Blumeninsel, Herbert’s Schoggiparadies und Viviane’s Bücherbrunnen, was damals im Deutschen einfach falsch war. Da aber so viele Leute englische Serien sahen und englische Musik hörten, fiel es vielen einfach nicht auf. Der Duden schäumte, der Duden tobte, der Duden versuchte, die Bastion noch ein paar Jahre zu verteidigen, aber im Jahre 2019 stand in der Online-Ausgabe:

§ 345f Das „s“ beim Genetiv Singular wird vom Wort abgetrennt.



Nun hatte sich, während der Kampf um den Genitiv tobte, schon eine weitere Unsitte eingeschlichen. Im Deutschen kann ein „s“ am Ende auch den Plural, die Mehrzahl anzeigen. Und weil viele von Grammatik keine Ahnung haben, fanden sich auf einmal Schilder wie NEUE UND GEBRAUCHTE AUTO’S oder FRISCHE MANGO’S. Man las von Mama’s, und Papa’s von Oma’s und Opa’s, man las von Känguru’s und Banjo’s. Dass dieses Plural-s auch im Englischen, Amerikanischen und Irischen NICHT abgetrennt wird (man schreibt nicht NEW AND USED CAR’S oder FRESH MANGO’S), spielte keine Rolle.

Der Duden war also – wie immer – hintendrein und musste im Jahr 2021 klein beigeben:

§ 345f Das „s“ wird beim Genetiv Singular und bei Pluralformen vom Wort abgetrennt.



Nun brachen die Dämme, man schrieb nicht nur Pia’s Blumeninsel und Frank’s tolle Auto’s, man schrieb auch Hau’s und Mau’s, man schrieb e’s und da’s – wobei hier absurderweise noch zwischen das’s und da’s unterschieden wurde.
Bei der Häufigkeit des Zusammentreffens von Trennstrich und s bildete sich eine sogenannte Ligatur, das heisst ein neues, festes Zeichen. (@, & und % sind z.B. Ligaturen, auch das deutsch-deutsche Scharf-S ist so entstanden.)

Weil dieses Zeichen, ein „s“ mit einem Strich oben, einer 5 so ähnlich sah, schrieb man irgendwann Viviane5 Bücherbrunnen, man schrieb GEBRAUCHTE AUTO5 und man schrieb Hau5, Mau5, man schrieb e5 und – immer noch unterschieden! – da5 und das5.
Und daher steht in der 2024 neu herausgegebenen Printfassung des DUDEN:

§ 345f Ein „s“ am Ende eines Worte5, egal ob Teil des Grundworte5 oder durch Flexion entstanden, wird durch die Zahl 5 ersetzt:
E5 gibt etwa5 Bessere5 al5 die Auto5 meine5 Bruder5.



Jetzt weisst du, wie alles geschah.“

Der Filius schaut lange und bedächtig den Vater an:
„Manchmal sind Menschen richtig doof, nicht?“

Dienstag, 19. Juli 2016

Pst! Niemand sagen: Ich bin - Pendler

Da war eine Zeit, da war alles noch in Ordnung. Eine Zeit, wo ich noch zugeben konnte, was ich beruflich mache und vor allem WO ich das tue. Diese goldene Ära ist passé. Frau Leuthard hat mir den Kampf angesagt. Ich habe neulich schon darüber geschrieben, mehrfach und ich dachte, der Punkt ist vom Tisch, aber um eine Alliteration zu bemühen:

Leuthard lässt nicht locker.

Und so muss ich, bevor ich den schrecklichen Satz ausspreche, immer erst über die Schulter gucken, ob da niemand steht, muss flüstern, wispern und das Gegenüber anflehen, dass es das ja nicht weitersagt, muss meine LinkedIn-Einträge fälschen und bei meiner Steuer unkorrekte Angaben machen, denn – bitte sagen Sie es niemand: Ich bin Pendler.

Ja, ich bin einer von den Bösewichten, denen die gute Doris den Kampf angesagt hat.
«Pendler» hat inzwischen den gleichen Klang wie Raucher, Säufer oder Kiffer, es tönt wie Kleinkrimineller oder Kinderschänder, es hat den Geschmack von unsozial, asozial, egoistisch und psychisch gestört. Denn wir Pendler tun schreckliche Dinge, wir rotten uns an Bahnhöfen und S-Bahn-Stationen zusammen, wir verstopfen die Züge und die Unterführungen, alles ist overcrowded und voll wegen uns, alles überbelegt und alles dicht. Wenn wir nicht ÖVler sind, hocken wir uns in unsere Autos und verstopfen nun abwechslungsweise die Strassen und Autobahnen und stossen massenweise CO2 aus.

Warum tun wir das eigentlich? Darauf hat Leuthard eine klare Antwort: Aus Bosheit. Aus purer, reiner Bösartigkeit (sic). Denn wir könnten ja Home-Office machen, wir könnten gleitzeiten, wir könnten von unserem Ersparten leben, wir könnten, wir könnten…
Aber nein. Mit fast schon epischer Bösartigkeit rotten wir uns jeden Morgen zusammen, um wieder einmal an Stationen und in Zügen alles zu verstopfen.

Das Konzept, das die Dame Doris nun diesem Chaos entgegensetzt, trägt den schönen Beinamen «Mobility», also «Beweglichkeit», wobei es genau das einschränkt. Mobil sein heisst ja gerade, dass man fahren kann wohin und wann man will. Das ist so, als ob man eine JVA «Freedom» nennen würde oder eine Diätklinik «Schleckparadies», so als ob man eine Vollnarkose als «Awakeness» oder den durchstrukturierten Marsch durch die Pekinger Innenstadt, bei dem einen der Guide nicht von den Fersen weicht als «Zeit zur freien Verfügung».

Herzstück des «Mobility»-Konzepts ist die Abschaffung der Abos in der heutigen Form zugunsten des schönen Prinzips "Wer so blöd ist, von 7.00-9.00 und von 17.00-19.00 zu fahren, zahlt mehr."
Ich habe nie verstanden, warum man Attentate verübt, aber es gab in den letzten Tagen Momente, in denen ich mich so ganz, ganz, ganz klitzeklein in John Wilkes Booth und Harvey Lee Oswald hineinversetzen konnte. Denn der Ansatz von «Beweglichkeit» ist einfach nur zynisch. Die Dame, die in Olten wohnt und im Badischen Bahnhof im COOP Pronto schafft, tut das sicher nicht, weil sie so gerne Zug fährt, oder weil sie in Basel einen heimlichen Geliebten hat, sie tut dies auch nicht, um jeden Tag die wunderschöne Reise durchs Oberbaselbiet zu geniessen und auch nicht, weil der COOP am Rhein fünfmal so viel wie der an der Aare zahlt. Sie tut dies, weil sie in Olten keine Stelle fand. Und ein Tausender mehr an Fahrtkosten im Jahr trifft sie empfindlich. Und: Sie kann KEIN Heimbüro machen, sie MUSS manchmal um 9.00 anfangen, sie hat KEINE 3.000.000 auf der Seite. (Sie gibt es übrigens wirklich)

Überall auf der Welt ballen sich die Pendlerströme am Morgen und am frühen Abend, sei es in NY, London oder Tokio, überall reisen Tausende von Arbeitnehmern aus den Agglos in die Metropolen, wir alle haben die Bilder im Kopf, am schönsten sicher das, auf dem Berufsstosser die Menschen in die Tokioter Subway quetschen. Warum sollte es den Eidgenossen gelingen, was noch nie irgendwo auf der Welt gelang? Die Abschaffung der Rushhour?

Die letzte Möglichkeit der Pendelvermeidung haben wir noch nicht diskutiert: Einfach dort wohnen, wo man tätig ist. Warum eigentlich nicht?
Ein Freund von mir hatte sich vor zehn Jahren die folgenden Ziele gesetzt: Er wollte den Ostschweizer Triathlon gewinnen, er wollte Jodelmeister werden und er wollte eine Wohnung in Zürich-Mitte. 2009 siegte er im Laufen, Schwimmen und Velofahren souverän gegen 341 Konkurrentinnen und Konkurrenten. 2011 wurde ihm die die Jodel-Trophäe (nicht zu verwechseln mit dem Jodel-Diplom) überreicht, die ihm bestätigte, als bester von 678 Jodlern gejodelt zu haben. Eine Wohnung an der Sihl oder im Niederdorf, beim Zoo oder am Grossmünster war bisher noch nicht drin. Gegen bis zu 1200 Mitbewerber konnte er sich nicht behaupten. Zumal er auch nicht bereit war, für 30qm ohne Balkon fünf Monatsmieten Kaution zu zahlen, die Renovierung der Toilette zu übernehmen und zu versprechen, zweimal pro Woche den ekligen Pudel der Vermieterin auszuführen.

Nein, die Leute wohnen im Umland, weil man in den dichtgedrängten Innerstädten oft keine Bude bekommt.
Übrigens tun das auch manche Politiker. Auch sie pendeln, allerdings nicht in der vollgequetschten
S-Bahn, sondern im Auto mit Chauffeur.

Da gab es eine Zeit, da war alles noch OK. Eine Zeit, wo ich noch sagen konnte, was ich beruflich mache und vor allem WO ich das tue. Diese goldene Ära ist passé. Frau Leuthard hat mir den Kampf angesagt. Und so muss ich, bevor ich den schrecklichen Satz ausspreche, mich immer erst vergewissern, ob da niemand steht, muss flüstern, wispern und das Gegenüber anflehen, dass es das ja nicht weitersagt, muss meine Steuererklärung fälschen und bei LinkedIn unkorrekte Angaben machen, denn – bitte sagen Sie es niemand:
Ich
bin
Pendler.

    


Freitag, 15. Juli 2016

Den mongolischen Investor gibt es nicht (total erfundene Geschichte!)

Endlich hat die Gemeinde Bümmelsheim/Bümme, ein kleines Nest an einem Nebenfluss der Weser, einen Investor für das geplante Freizeitpark-Projekt gefunden. BümmeRang®, ein Areal mit 8 Achterbahnen, 5000qm Kinderspielplatz, Freibad, Gastrobereich und Sportplätzen soll den Tourismus in der doch eher entlegenen Gegend ankurbeln, sein Kostenrahmen übersteigt mit 34 Millionen Euro allerdings den Bereich dessen, was bisher über die Gemeindekasse abgewickelt wurde. Dementsprechend verlief die Suche nach einer Firma oder Einzelmaske, die zumindest den Grossteil der Ausgaben vorschiessen könnte, bislang relativ erfolglos. Zu riskant schien es vielen, zu unsicher, ob Achterbahnen, Spielplätze, ob Gastro, Wasser und Sport wirklich 800.000 Besucher pro Jahr anlocken würden. Nun aber hat ein Networker via einen holländischen Networker, der wieder einen koreanischen Networker kennt, der im Bereich Asien sich auskennt, Kontakt zur mongolischen Firma FunInvest® hergestellt, einer Klitsche, die sich nach Aussagen der Networker an Weser, Maas und Nakdong gerade mit der Finanzierung von Freizeitsachen auskennt.
FunInvest® wird 30 Millionen der Baukosten übernehmen und dafür 80% des Gewinnes bekommen.

Nun ist man auch an der Bümme nicht völlig ahnungslos, man recherchiert natürlich gründlich, bevor man sich auf den Deal einlässt, so gründlich wie in Deutschland seit jeher bei Grossprojekten gearbeitet wird, bei Rennstrecken und Flughäfen, bei Hochhäusern und Bahnhöfen.
Als erstes geht man auf die Homepage www.funinvest.com, eine Webseite, die in beeindruckender Weise mit Fotos und Text die Erfolge der Geldgeber schildert:
Europapark
Disneyland Paris
Warner Brothers Movie World
Holiday Park
Alpamare
usw.
Scheinbar gibt es in ganz Europa keine Freizeiteinrichtung, keine Achter- und keine Rutschbahn, keinen Spielplatz und kein Schwimmbad, in denen nicht irgendwie mongolisches Geld steckt. Man hat es hier offensichtlich mit Profis zu tun.
Die Recherche geht aber noch weiter, man ist ja gründlich, man erkundigt sich via Deutsches Konsulat in Ulaanbaatar nach der Firma und auch hier ist alles in Ordnung: FunInvest® existiert und ist im Handelsregister eingetragen; man nimmt Kontakt auf.

Zwei Wochen später sind tatsächlich zwei Mongolen da, sie logieren in Bremen im Steigenberger und fahren jeden Tag mit dem Taxi an die Bümme, wo sie das Baugelände und die Pläne für Achterbahnen, Spielplatz und Gastrozone in Augenschein nehmen und im Rathaus tagen, abends fahren sie wieder nach Bremen und geniessen die doch sehr exzellente Küche des Hotels, die Kosten trägt natürlich Bümmelsheim.
Nach vier Tagen geben sie Grünes Licht, sodass der Bürgermeister Freedborn an die Öffentlichkeit gehen und bekanntgeben kann, dass 2021 der Freizeitpark BümmerRang® seine Pforten öffnen wird.

So weit – so gut.

Nun arbeitet aber im Rathaus Heidi Haddelsen, die früher Heidi Hieber hiess und aus der Ortenau stammt – man sieht welch geografische Kängurusprünge man ob der Liebe machen kann. Sie jedenfalls erwähnt in einem Telefonat mit ihrem Schwager, der in Rust im Europapark als Informatiker arbeitet den Deal und die Firma, die ihm ja bekannt sei. Er erwidert, dass er sich nicht vorstellen könne, dass Devisen aus der Mongolei geflossen sein könnten, er werde aber noch einmal fragen. Nach drei Tagen kommt der Anruf und der Bescheid: In Rust habe man noch nie von einer Firma FunInvest® gehört.
Mit dieser Hiobsbotschaft eilt Heidi Haddelsen, geborene Hieber zu Freedborn, dem nun etwas mulmig wird. Er hängt sich ans Telefon und hat nach vier Stunden und mehreren Ferngesprächen das Versprechen des Konsuls in Ulaanbaatar, der Sache nachzugehen.
FunIvest® – so kommt zwei Tage später der Bescheid – besteht aus einem Schild und einem Briefkasten an einem Schnellrestaurant, dass vor allem Yak aus dem Wok anbietet, einer Yak-Wok-Kantine also, deren Wirt aber beteuert, er wisse nicht, wie dieses Schild (und der Postkasten) dorthin gekommen seien und was sie da machten. Die Nachfrage im Steigenberger Bremen ergibt, dass man bei offiziellen Gästen politischer Gemeinden keine Pässe verlange…

Freedborn hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder er klärt das Ganze auf, bläst Wasserrutschbahn, High-Speed-Fahrt, bläst Fressmeile und Sandkasten ab und nimmt seinen Hut, oder… ja oder er gibt allen seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Sonderbonus fürs Schweigen und sucht weiter.

Er tut natürlich Letzteres.

Und so taucht nach drei Wochen ein Schweizer Investor auf, einer der auf den ersten Blick einen sehr guten Eindruck macht…

Ich gebe zu: Die Story ist schlecht, sie ist zu sehr politikfeindlich, sie ist überzogen und zynisch, sie ist an den Haaren herbeigezogen und völlig, völlig, gänzlich und garlich unrealistisch.
So Dinge passieren nicht.























































  




































































Dienstag, 12. Juli 2016

Brexit 2: England und Eidgenossen? Vergleiche hinken

Menschen mögen Vergleiche. Und das kann oft sehr nett, das kann aber auch manchmal echt nervig sein. Die Liedermacherin Joana, die es leid war mit Knef, Greco oder Baez verglichen zu werden, dichtete:
Egal, was du tust, egal, was du bist
Man findet immer wen, der solches schon vor dir gewesen ist
«Ach, das war doch schon mal da», hörst du’s stöhnen…
Aber der Mensch vergleicht halt gern, und er tut das auch, obwohl er weiss, dass – so sagt der Volksmund – Vergleiche hinken.

Vergleiche hinken, aber nicht alle gleich stark, die Palette geht von den Vergleichen, die nur ganz leicht das Bein nachziehen, so unmerklich und sanft, dass man schon sehr genau hinsehen muss, um die Anomalie im Unterschenkel zu bemerken, bis zu den Vergleichen, deren Fortbewegung nichts mehr mit Gehen zu tun hat, die nur noch hoppeln und hüpfen und schlurfen und sich vorwärts wälzen, die Quasi-Quasimodos der Vergleichsfamilie (man verzeihe das blöde Wortspiel).

Einer dieser Glöckner-Vergleiche ist jener Schweiz-England nach dem Brexit. «Willkommen im Club!» titelte BLICK AM ABEND und brachte zu allem Überfluss noch eine unglaublich bescheuerte und auch schlecht gemachte Montage der Queen mit einem Käse auf dem Kopf. Aber auch bei den Brexit-Befürwörtern (sic!) auf der Insel gab es angeblich einen Song, der hiess:
We wanna be like you-ou
We wanna vote like you
Quote like you
You – ou – ou …
(zu singen nach der Dschungelbuch-Melodie)

Leute, Leute!
Es ist doch wohl eine ganz andere Sache, ob eine Nation einem Staatenbund beitritt oder seinen Beitritt rückgängig macht, das kann man doch nun wirklich nicht in einen Topf werfen.
Die Eidgenossen wollen nicht in die EU, übrigens jetzt definitiv, der Bundesrat hat beschlossen, das Gesuch um einen Beitritt offiziell zurückzuziehen. Allerdings ist unklar, ob es in Brüssel überhaupt noch jemand findet, es liegt dort nämlich schon gefühlte 100 Jahre auf irgendeinem Stapel. Die Briten aber SIND in der EU und wollen raus, das ist eine ganz andere Sache.

Es ist ein Unterschied, ob man etwas nicht anfängt oder mit etwas aufhört.
Klaus z.B. hat sich gegen Mara entschieden, er wird sie nicht heiraten, es gibt keine Glocken und keine Torte und Klaus wird noch ein wenig sein Singleleben geniessen. Bernd hat sich gegen Simone entschieden, er allerdings ist mit ihr seit 15 Jahren verheiratet, sie haben drei Kinder, zwei Hunde, ein Eigenheim mit Pool und eine gemeinsame Altersversorgung.
Kann man doch nicht vergleichen, oder? Das Zweite ist doch katastrophal komplizierter, allein wenn man an das Sorgerecht für den Pool denkt…


Urs hat entschieden, nicht nach Toronto zu reisen. Eine Entscheidung, die ihm nicht leichtfiel, aber angesichts seiner finanziellen Situation die einzig richtige. Er wird also KEINEN Flug buchen, er wird KEIN Hotel reservieren, er wird sich KEINEN Reiseführer kaufen und KEIN Geld wechseln, er wird nicht packen, nicht zum Airport fahren und nicht boarden.
Beat hat entschieden, nicht nach Singapur zu reisen, sein Entschluss ist aber schwieriger umzusetzen, weil Beat schon seit drei Stunden in der Grossmaschine der Singapur Airlines sitzt. Er teilt eben diesen der reizenden Stewardess mit dem ewigwährenden Lächeln, das wir von Plakaten kennen, mit und sie antwortet mit eben diesem anmutigen Blick, dass ein Abbruch der Reise NACH dem Boarding, aber vor allem NACH dem Start in 5000m Flughöhe relativ unmöglich ist. Worauf Beat irgendetwas tun muss, um die Boeing zu einer Notlandung zu zwingen, etwas, das den reizenden Stewardessen ihr plakatbekanntes Lächeln aus dem Gesicht treiben wird.

Brauchen Sie noch mehr Beispiele? Ich denke nicht.
Also.
Wenn wir schon vergleichen müssen, dann doch so:
Schweiz ist Klaus ist Single ist Urs ist Nichtmitreisender
und
England ist Bernd ist Scheidungskandidat ist Beat ist Notlander
Denn der Brexit bedeutet eine Scheidung nach etlichen Jahren Treue und ein Abspringen aus einem fahrenden Zug.

Vielleicht müssen wir aber auch gar nicht vergleichen.
Noch einmal Joana:
Der Volksmund sagt, dass Vergleiche immer hinken.
Ich füg' ergänzend noch hinzu, dass sie mir
stinken.




Freitag, 8. Juli 2016

Brexit I: Wir lassen euch ziehen

Der Brexit ist also da. Gut, lassen wir die Engländer ziehen, ohne sie wird eh alles besser. Waren sie nicht stets die Querulanten, die sich mehr um sich sorgten als um den Rest der Gemeinschaft? Wie oft haben sie Beschlüsse torpediert, weil die Insel anders wollte als das Festland! Nein, ohne sie wird es leichter, es wird überall rechts gefahren, das Niveau des Essens in der EU steigt schlagartig und das Niveau des Fussballs auch, das mag Ihnen jetzt komisch vorkommen, aber wer sich von einem Land besiegen lässt, das genauso viele potentielle Stürmer, Verteidiger und Torwarte wie Mannheim hat, na ja…
Nein, lassen wir die Engländer gehen, wobei die Betonung auf Engländer liegt, die Schotten und die Iren wollen ja dabeibleiben, das wird auch noch ein grosser Spass das alles.

Eigentlich sollten jetzt alle gehen dürfen, die gehen wollen, machen wir das doch in einem Aufwasch. Und wenn z.B. Portugal oder Italien oder Dänemark auch nicht mehr will, dann sagen wir einfach Tschüss und machen weiter, Kandidaten hat es genug. Dann sind halt die Ukraine, Belorussland und Syrien in der EU und Holland oder Belgien nicht, was soll’s.
Lassen wir die Unwilligen ziehen.

Dennoch stellt sich die Frage, warum auf einmal alle gehen wollen, ich erfinde das ja nicht, Wilders und Le Pen und die AFD sitzen ja schon in den Startlöchern. Die Antwort ist so einfach wie die Frage schwierig ist: Die EU hat ein Imageproblem. Und zwar ein Imageproblem von einem Ausmass, das ungefähr mit dem Abstand Marianengraben – Mount Everest beschrieben werden kann. Es ist riesig, es ist überdimensional, es ist gewaltig und wuchtig, es ist ellenlang und tonnenschwer. Sollte es in Brüssel eine PR-Abteilung geben, dann sollte sie geschlossen in die Frühpension ziehen und auf den Kapverden Strandliegen vermieten. Oder in Grönland Robben jagen. Diese Menschen haben so versagt, wie die Englische Elf.

Machen wir doch mal einen kleinen Test. Ich sage Ihnen einen Satz und Sie sagen mir, wie der auf Sie wirkt:
Die Region Molise gab bekannt, dass ab 1.10.2016 es nicht mehr gestattet sein wird, Gemüse auf Häuserwände zu werfen. Damit setze man eine EU-Richtlinie von 2015 um.
So.
Spüren Sie mal in sich hinein.
Gell, irgendwo in Ihnen brodelt es? Scheiss-EU, denken Sie, ständig müssen die uns dreinreden, ständig alles verbieten, wenn ich das Wort «EU-Richtlinie» schon höre, dreht sich mir der Magen um. Dabei müssten wir doch andersherum denken. Die Richtlinie ist ja überaus sinnvoll, weil man erstens nicht mit Nahrungsmittel schmeissen sollte und weil man zweitens auch keine Hauswände beschmutzt. Unsere Gedanken müssten, wenn irgendeine Logik dahinter wäre, Anti-Molise und nicht Anti-EU sein, denn dass irgendwo an der Italienischen Ostküste das Bewerfen von Fassaden mit Zuchetti, Pomodori, mit Melanzane und Funghi  erlaubt ist, ist ja höchst pervers.
(Bevor Sie jetzt sofort einen Flug nach Campobasso buchen: Das Exempel ist fiktiv!)

Wir sehen also, dass auch durchaus sinnvolle Richtlinien, Normen und Gesetze, die aus Brüssel kommen, erst einmal mit Grübeln und Stirnrunzeln aufgenommen werden.
Natürlich gibt es da diese Dokumente, in denen seitenlang beschrieben wird, wie lang eine Gurke, wie krumm eine Banane und wie süss eine Erdbeere sein darf. Aber mal ganz ehrlich: Ist das nicht eher ein Armutszeugnis für die Märkte als für die EU? Wenn die EU in einer Richtlinie formuliert
Milchreis enthält die Anteile Milch und Reis
Dann doch nur deshalb, weil es Leute gibt, die eben Milchreis verkaufen, der seinen Namen nicht ganz zu Recht trägt. Für Firmen, die aus getrockneten Maden, Wasser, aus den Farbstoffen F567, F2346 und aus diversen künstlichen Aromen einen Sudel zusammenbrauen, der den Namen Milchreis nie im Leben verdient, muss man eben sagen, dass getrocknete Maden kein Reis und weisses Wasser keine Milch ist.

Bei der Personalität haben unsere PR-Leute, die auf die Kapverden, Grönland oder dahin, wo der Pfeffer wächst, gehören, nun auch völlig versagt. Die Politiker in Brüssel sind eine anonyme Masse geblieben. Stimmt nicht? Dann sagen Sie mir doch mal, wie Frau Mogherini aussieht. Ich weiss es nämlich nicht. Ist sie blond, brünett, schwarz oder rothaarig, gross oder klein, trägt sie eher Birkenstock oder Pumps und welche Kleidergrösse? Das Gleiche könnte man von Juncker fragen. Gut, er ist sicher dem Namen nach eher gross, grauharig und trägt Anzüge und Krawatten, aber ein Gesicht, ein Antlitz, Augen, einen Mund, eine Nase habe ich auch hier nicht im Kopf.
Warum kann die PR-Truppe nicht mal ein nettes Familienbild machen und das in die Zeitungen setzen? EU-Prominenz beim Picknick. Oder nett um den Sitzungstisch gruppiert. Oder beim Zugfahren. Oder beim Sonnenbaden. Was weiss ich, ich bin ja kein PRler, aber die sollten doch ein wenig Phantasie haben.
Vielleicht sollten die Damen und Herren auch eine Tournee machen und sich in den Mitgliedsländern mal vorstellen. So nach dem Motto: «EU-Bürger fragen – EU-Politiker antworten», wäre doch auch ganz nett.

Der Brexit ist also da. Über Nacht ist die Union nicht mehr das, was sie einmal war. Und, wie gesagt, wir trauern schlechtem Essen, schlechtem Wetter, schlechtem Fussball, Verkehr auf der falschen Seite, einem veralteten Rechtssystem und einem überalterten Staatsoberhaupt nicht nach. Aber wenn die EU bleiben soll, muss sie ihr Image aufpolieren. Mit Klarstellungen, Persönlichkeiten und einem netten Slogan:
DU BIST EU.


Montag, 4. Juli 2016

Wieder da! Die saublöde Handverletzung

Liebe Leserinnen und Leser,
ich bin wieder zurück.

Jetzt wollen Sie sicher wissen, was mit meiner Hand passiert ist. Also das ging so, ich berichte mal im Tagebuch-Stil:
Montag, 13.6. 20.00 Ausräumen der Spülmaschine mit Bemerken des Kaputtseins eines Weinglases
Montag, 13.6. 20.05 Entsorgung der Scherben im Mülleimer auf dem Balkon
Montag, 13.6. 23.00 Beschluss, meinen Papyrus von ein paar trockenen Stängeln zu befreien
Montag, 13.6. 23.10 Gang zum Mülleimer, es ist natürlich dunkel
Montag, 13.6. 23.11 Öffnen des Eimers, da die Stängel zu lang sind, Falten und Hineindrücken
Montag, 13.6. 23.12 Unerfreulicher Kontakt meiner rechten Hand mit den Glasscherben
Blut.
Und zum ersten Mal in meinem doch schon 51 Jahre währenden Leben musste ich genäht werden – eine Erfahrung, die andere Menschen schon im Jugendalter ob diverser Baumklettereien, Raufereien und Fahrradstürze machen. Nun, da ich nie ein Baumkletterer, kein Raufjunge und kein Velofahrer war, musste ich mit dieser Sache halt exakt 616 Monate warten – wirklich exakt, ich habe an einem 14. Geburtstag.
Damit die Nähte nicht aufplatzen, kommt die Hand in eine Schiene. Und dann kommt eine Zeit, in der man merkt, wie sehr man die rechte Hand doch braucht, nein, falsch, in wie vielen Situationen man eigentlich beide Hände braucht. Versuchen Sie bitte mal – nein, später, nicht jetzt, lesen Sie erst noch fertig – mit nur einer Hand ein Brot zu schneiden, versuchen Sie mal die Schnürsenkel oder eine Krawatte zu binden.

Im Übrigen habe ich ein Sauglück gehabt. Es war keine Sehne, kein Nerv und kein Muskel betroffen, das hätte dann eine bis zu zwei Jahre dauernden Prozedur mit Operation und Nachbehandlung zur Folge gehabt…

Ich weiss, was Sie jetzt denken.
Der Kerl will Mitleid.
Falsch, will er überhaupt nicht.
Eigentlich ist der Grund für die Verletzung pure Blödheit.
Richtig.
Ja, Sie haben korrekt gelesen. Ich bin mir meiner grenzenlosen, überbordenden, meiner exorbitanten und immensen Dummheit völlig bewusst. Scherben – so lernt man schon als Kind und sollte es spätestens mit 616 Monaten wissen – packt man in Zeitungspapier, bevor man sie in den Mülleimer tut. Nebenbei gesagt: Man muss auch nicht nachts noch Pflanzenpflege betreiben, denn nachts schlafen die Papyri doch, und man könnte auf dem Balkon auch Licht machen, dann hätte ich die Scherben nämlich gesehen…

Dies führt uns zu der allgemeinen Frage:
Warum tut der Mensch Dinge, von denen er 180%ig weiss, dass man sie nicht tut?
Ich bin mit meinem Unfall nämlich kein singulärer Fall.

Wir wissen doch, dass man nach fünf Tequilas und sechs Grappas, nach Schnaps und Bier und Wein nicht mehr der weltbeste Fahrer ist, wir wissen es doch. Warum steigen immer noch jede Nacht Leute in ihr Auto und testen ihre Fahrtauglichkeit? Oft mit dem Ergebnis, dass eben diese Fahrtauglichkeit in Tequila, Grappa, in Schnaps und Bier und Wein verschwunden ist?

Wir wissen doch, dass der heisse Sex mit der oder dem holden Schönen am Strand von Malle oder Ibiza unglaublich reizvoll sein kann, aber auch, dass man sich vielleicht ein Souvenir mitbringt: Hepatitis, AIDS oder diverse andere Kleinigkeiten, die zwar zollfrei sind, aber eklig und manchmal tödlich. Wieso nutzen die, die am Ballermann so richtig ballern wollen, den Platz, den in anderen Koffern der DuMont-Kunstführer braucht, nicht um 150 Kondome mitzunehmen?

Wir wissen doch seit Sir Isaac, dass die Schwerkraft nicht ausgesetzt werden kann – ausser im Weltraum, aber das wusste Newton noch nicht – und somit ein menschlicher Körper, der den Halt verliert, unweigerlich auf den Boden knallt. Wieso putzen wir dann im 18. Stock Fenster ohne Angurtung? Wieso sagen wir nicht die magischen Worte: «Halt doch mal die Leiter?» Denn auch die Leiter unterliegt dem Newtonschen  Gesetzt und fällt, wenn sie kippt und wir fallen mit. (Wir alle fallen, diese Hand da fällt…)

Das wäre doch mal endlich ein lohnendes Forschungsobjekt für die Psychologie: Die tägliche Blödheit des Menschen. Irgendetwas muss doch da zwischen Grosshirn und Amygdala versagen, ausser Kraft sein, irgendwo ist doch da der Wurm drin. 
Warum kümmern sich die Verhaltens- und Gesprächstherapeuten, die Systemischen, Jungkschen und Freudianischen Coaches nicht um dieses Phänomen? Das würde doch unsere Gesellschaft immens weiterbringen?

Mein Daumen ist übrigens wieder OK, die Fäden sind gezogen und es ist nur noch ein kleiner Schnitt mit einem Pflaster drauf übrig.
Und ich werde beim nächsten Mal klüger sein – was die Scherben betrifft, was andere Dummheitenm anbelangt:
Siehe oben.