Freitag, 28. August 2020

Betrügen will gelernt sein!

 Um das Folgende zu verstehen, muss man ein wenig das Schweizer Notensystem erklären: 

Es gibt eine Skala von 1 bis 6 und es gibt halbe Zeugnisnoten. Alles ab 4 zählt als genügend, und Sie müssen einen Schnitt von 4 erreichen.  Alles unter vier muss mit der doppelten Menge über vier ausgeglichen werden

Stellen Sie sich vor, Sie hätten den Computer Ihrer Schule gehackt und könnten ein wenig an den Noten herumbasteln. Sie finden das Folgende vor:

 

De

Engl

Franz

Math

Bio

Chem

Phys

Geo

Ges

Sport

4.5

4

4

4.5

4

4

4.5

3.5

3.5

4

 Das langt Ihnen nun knapp nicht. Was tun Sie? Wahrscheinlich das:


De

Engl

Franz

Math

Bio

Chem

Phys

Geo

Ges

Sport

4.5

4

4

4.5

4

4

4.5

3.5

3.5

4.5

 Warum sollen Sie in Sport nicht eine Vier Komma Fünf haben? Also. Es passt haargenau. Sie könnten natürlich auch – wenn man sich schon Mühe des Hackens macht – das Folgende tun:

 

De

Engl

Franz

Math

Biol

Chem

Phys

Geo

Ges

Sport

5

6

5.5

5

5

5.5

6

5.5

6

6

 Das werden Sie aber nicht machen. Warum? Genau: Es würde jeder merken, dass da etwas nicht stimmt.

 Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Möglichkeit gefunden, von Firmenkonten gewisse Beträge abzubuchen und auf eigene Accounts auf den Bahamas zu transferieren. Uh, das klingt jetzt richtig nett, man könnte auch „veruntreuen“ oder einfach „klauen“ dazu sagen.

Wie gehen Sie vor? Beschränken Sie die Angelegenheit auf unauffällige Summen so um die 10000, das aber in regelmässigen Abständen, oder nehmen Sie 30000000 aufs Mal? Ich hoffe, doch sehr, Sie entscheiden sich für die erste Variante. Denn drei Millionen fallen auf. Und dann müssen Sie ganz schnell weg, ganz schnell untertauchen und ganz schnell das Land Richtung – um ein rein zufällig
gewähltes Beispiel zu nennen – Russland verlassen.
Ach ja:Und an Ihr Geld (das ja eigentlich gar nicht das Ihre ist…) müssen Sie auch noch kommen.

Stellen Sie sich nun vor, Sie seien der Präsident von Blagistan. Es stehen Neuwahlen an und das Volk ist aus diversen Gründen unzufrieden:
Man nimmt Ihnen Ihre 7 Mätressen und die 7 Landhäuser für diese übel.
Die Arbeitslosigkeit liegt bei 50%.
Sie haben das Internet gesperrt.
Es gibt kein Mehl und kein Öl in den Krügen.
Natürlich lassen Sie einen Gegner zu, der bei den Wahlen gegen Sie antreten darf. Und natürlich werden das keine echten Wahlen sein, sondern Sie werden das Ergebnis Ihren Wünschen gemäss ein wenig abändern.
Klingt wieder sehr nett, wir könnten auch das hässliche Wort «Wahlbetrug» verwenden.
Welches der folgenden Szenarien wählen Sie?

 

 

Sie

Gegner

Szenario 1

51%

49%

Szenario 2

60%

40%

Szenario 3

80%

20%

 

Wenn Sie kein Volltrottel sind, wählen Sie Nummer 2. Bei 51% könnte man eine Nachzählung verlangen und die 80% wird Ihnen niemand glauben. Bei 60% stellen Sie sich vors Volk und verkünden, Sie hätten die Unzufriedenheit durch das Wahlergebnis bemerkt und folgende Verbessrungen würden stattfinden:
Die Anzahl der Mätressen werde auf 3 gesenkt – und sie müssten zusammenwohnen.
Es gebe bald ein grosses Arbeitsmarktprogramm geben.
Die Zensur werde gelockert – YouTube sei jetzt möglich – aber nur Musik.
Öl und Mehl für alle!

Was lernen wir daraus?
Betrügen will gelernt sein; und ein Betrüger braucht eine wichtige Eigenschaft: Bescheidenheit. Nun tritt – und das ist wohl das Paradoxon – Bescheidenheit meist mit anderen netten Eigenschaften wie Anstand und Sittsamkeit, mit Ehrsamkeit und Rechtschaffenheit auf. Die sollte ein Betrüger natürlich nicht haben.
Ja, man kann es so auf den Punkt bringen: Ein Betrüger muss unanständig und bescheiden sein.

Und deshalb gibt es so wenig gute.
Und Mister Lukaschenko hat noch viel zu lernen.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 25. August 2020

Die halben Zitate

Wollen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, einmal hören, was andere Leserinnen und Leser über meinen Blog sagen? Vielleicht wollen Sie die Kommentare ja auch weiterverbreiten, das wäre eine gute Werbung:

Ich lese immer die Dienstag-Freitag-Glosse…
Holger, 41, Hamburg
Sprachlicher Witz, geschliffene Pointen und grosse Sachkenntnisse…
Maria, 23, Bad Ragaz
Ein amüsanter und gekonnt schreibender Autor…
Gunter, 71, Graz
Es ist der beste Beginn dieser genannten Tage…
Lola, 38, Vaduz

Sie stutzen? Sie glauben mir nicht? Sie wollen den Faktenchecker? Ok, ich bin zu Ihnen jetzt mal ganz ehrlich, Sie müssen mir aber versprechen, dass Sie obige Liste weiterverbreiten, ja? Ok. Dann zeige ich Ihnen jetzt die Originale:

Ich lese immer die Dienstag-Freitag-Glosse, wenn ich absolut nichts anderes zu tun habe, mir zum Bersten langweilig ist und ich irgendwie nichts Vernünftiges hinbekomme.
Holger, 41, Hamburg
Sprachlicher Witz, geschliffene Pointen und grosse Sachkenntnisse findet man in diesem Blog nicht, sondern die unendlichen blöden Machwerke eines Hobbyautors, der sich für einen zweiten Kishon oder einen Heinz Ehrhard hält.
Maria, 23, Bad Ragaz
Ein amüsanter und gekonnt schreibender Autor würde aus den abstrusen und uninteressanten Themen vielleicht noch etwas machen können, wenn aber wie hier Themenwirrwarr und stilloses Schreiben zusammenkommen, dann ist es die Katastrophe.
Gunter, 71, Graz
Es ist der beste Beginn dieser genannten Tage, wenn der Blog gerade einmal Pause macht. – Was leider viel zu wenig vorkommt.
Lola, 38, Vaduz

Jetzt sind Sie baff, gell? Ich habe nichts falsch zitiert, ich habe nur ein wenig weggelassen. Und das ist beim Zitieren gang und gäbe, sonst würden ja alle Zitate zu lang. Aber, sagen Sie, durch das Weglassen wird ja alles verändert?
Geschenkt.
Machen alle, macht man ständig, ist Usus und Normalität.

Ja, aber…
was ist dann zum Beispiel mit den Werbekommentaren auf Buchrücken? Oder mit Kritiken bei Sängerbiografien? Oder…? Oder…?

Nehmen wir doch ein ganz zufälliges Beispiel: Ich lese gerade Outline von Rachel Cusk. (Faktenchecker, ich schwöre, ich beeide und versichere, dass das wirklich so stimmt, das Buch existiert – damit du es einfacher hast: ISBN 978-3-518-42528-2 – und ich lese es auch wirklich gerade.) Wo waren wir? Ach so, ja, beim Buch, auf dem hinteren Buchrücken befinden sich folgende Zitate:

Einer der sonderbarsten, originellsten und aufregendsten Romane seit langem.
The Guardian
Absolut hypnotisierend.
The New Yorker

Sehr kurz. Wie könnte der vollständige Text ausgesehen haben? Vielleicht so:

Für jemand, der sich zwischen Wahn und Banalität bewegt, für jemand, der beim Lesen kifft und auch sonst nicht alle Tassen im Schrank hat, für alle heruntergekommenen Freaks ist dies einer der sonderbarsten, originellsten und aufregendsten Romane seit langem.
The Guardian
Absolut hypnotisierend ist dieses Buch nur dann, wenn man bei der Hypnose nicht an den Zustand der Verzauberung und Beeinflussung denkt, sondern an den Aspekt, der die Hypnose startet: Das Einschlafen. Das erfolgt nämlich spätestens auf Seite 20.
The New Yorker

Glauben Sie also nie solchen kurzen Statements. Dazu hier noch vier weitere Tipps:
Erstens: Lesen Sie solche Zwei-bis-drei-Wort-Kritiken gar nicht. Sie sind aus dem Zusammenhang gerissen und völlig nutzlos. Deshalb verschärft: SCHAUEN SIE NIE AUF DEN HINTEREN BUCHRÜCKEN!
Zweitens: Wenn Sie es aus Versehen doch tun, beachten Sie wer lobt. Wenn der Roman von FAZ, Süddeutscher UND der ZEIT gelobt wird, ist etwas oberfaul – die waren sich noch nie einig.
Drittens: Es gibt genügend Medien und Plattformen, Buchsendungen und Feuilletons, in denen Sie sich gut informieren können.
Viertens: Wie wäre es mit selber querlesen? Nach meiner Methode: Vorne, in der Mitte und hinten je 30 Zeilen?

So, geschafft für heute.
Ein Kumpel schaut mir über die Schulter: «Du bist ein wirklich begnadeter Schreiber, aber heute hast du nur kompletten Mist geschrieben.»
Ich weiss schon, wo die … stehen werden.

Sie auch?

P.S.: Bücher, die auf dem hinteren Buchrücken von Brigitte, Frau mit Herz, von Freundin oder Cosmopolitan gelobt werden, sollte man natürlich nicht einmal in die Hand nehmen.















Freitag, 21. August 2020

Es gibt die modischen Masken ja schon!

Die Wirklichkeit ist manchmal skurriler und blöder, als sich ein Glossist vorstellen kann. Ich habe neulich über den modischen Aspekt von Schutzmasken geschrieben, aber den haben die Wäsche- und Kleiderhersteller längst entdeckt.
Hier ein paar Zitate:

Das Thema rund um die Schutzmasken wird uns in Zukunft intensiv beschäftigen. Wir möchten daher in diesem Zusammenhang, mit einer einfachen Atem- und Mundschutzmaske, auf das Thema sensibilisieren. Neben dem Schutz, ist unter anderem unser wichtigster Aspekt, dass die Atem- und Mundschutzmaske sich den individuellen modischen Eigenschaften anpasst.

Modischen Mundschutz kaufen: xxxxxx. Falls Sie auch traurig sind, dass das Oktoberfest in diesem Jahr ausfallen muss, sind diese Behelfsmasken genau das richtige für Sie! Der Trachtenhersteller xxxxxx verwendet seine hübschen Dirndl-Stoffe, um daraus hübsche Schutzmasken herzustellen.

Modischen Mundschutz kaufen: yyyyyy Elegant und feminin sind die Gesichtsmasken von yyyyyy. Diese werden nämlich aus feinster Spitze gefertigt, die normalerweise für Dessous, Strümpfe und Oberbekleidung verwendet wird.

Jetzt individuellen Style und Persönlichkeit in diesem Must-Have des Jahres entdecken.

(Alle Firmennamen sind der Redaktion bekannt.)

Das alles ist sehr, sehr reizend.

Sie können nicht aufs Oktoberfest? Dann tragen Sie Dirndlmaske. Ist das lächerlich oder sehr, sehr clever? Man könnte für alle ausgefallenen Festivals und Festspiele ja die entsprechenden Ausgefallener-Event-Ersatz-Masken entwerfen, z.B. eine Germanen-Bärenfell-Maske für die Wagnerianer, die dieses Jahr nicht nach Bayreuth durften.
Oder die Basler Fastnächtler könnten einfach JETZT ihre Larven (bitte nie «Masken» sagen!) im ÖV tragen.
Oder?

Ob die Dessous-Stoffe, die zart gewebt und fein gesponnen eigentlich ja mehr zeigen als verhüllen sollen, die ja luftig und duftig und dabei eben auch luft-durchlässig und duft-durchlässig sein sollten, wirklich als medizinisch wirksamer Mund-Nasen-Schutz verwendet werden können, entzieht sich meinen Kenntnissen. Ich habe da aber meine starken Zweifel, ob diese seidigen Dinger ihrem eigentlichen Zweck dienen werden.

Ganz reizend ist das «Must-Have» beim letzten Eintrag. «Must-Have» bedeutet ja normalerweise, dass man eine Sache «einfach haben muss» im Sinne von: Das hat jeder, du bist nicht in, nicht dabei, wenn du xy nicht trägst, es gehört einfach dazu, zum Outfit, zum Style, zum Life-Style, es ist nicht vorgeschrieben, aber für einen Szenemenschen fast zwingend notwendig. Die Schutzmaske allerdings ist ein «Must-Have» im Sinne von: Man muss, man kommt nicht drum herum, man ist gezwungen und wird notfalls gebüsst. Hier wird ein netter Marketingbegriff ganz reizend umgedeutet.

Was mir aber am meisten Sorgen macht ist dies:
Wenn wir nun anfangen, Mund-Nasen-Schütze (sic) aus modischen Gründen, bei wichtigen Labels und für viel Geld zu kaufen, was tun wir dann nach Corona? Tragen wir die Dinger weiter, wird die Maske zum Alltag, einfach weil es chic ist? Wird man dann folgende Sätze zu hören bekommen:
«Also, ich gehe mit Maske zur Vernissage – ich habe immer noch ein wenig Angst und das Ding ist schliesslich von Versace und hat 179.-- gekostet?»
«Wie, die Maskenpflicht ist aufgehoben? Und was soll ich jetzt mit den Mundschützen von Gucci und Yves Saint Laurent machen? Die haben mich schliesslich ein Vermögen gekostet!»
«Am nächsten Apéro trage ich sicher nochmal den Schutz, denken Sie mal, ich habe einen gefunden, der farblich absolut, und ich meine ABSOLUT zu meinem Jil Sanders-Veston passt…»
«Du gehst jetzt immer ohne Mund-Nasen-Schutz? Und deinen Schutz aus New York für 1749.-- schmeisst du einfach in den Kasten? Na, ja, du hast es ja; wenn man so viel Geld hat…»

Das macht mir ein wenig Sorgen.
Ein wenig.

Die Wirklichkeit ist manchmal skurriler und blöder, als sich ein Glossist vorstellen kann. Ich habe neulich über den modischen Aspekt von Schutzmasken geschrieben, aber den haben die Wäsche- und Kleiderhersteller längst entdeckt.

Und zum Schluss noch ein Tipp für Ehemänner: Lassen Sie Ihre Frau nie eine teure Maske kaufen, bevor klar ist, dass es ein Kleid gibt, das dazu passt. Sonst löst jeder kleine Erwerb eines Mund-Nasen-Schutzes eine Shoppingtour aus.

 

 

 

 

 

Dienstag, 18. August 2020

Einem verschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul

Nein, ich habe den Titel schon richtig geschrieben.
Es geht nämlich um das Folgende:

Mein Freund Claus bekam vor einigen Jahren von seiner Tante Hilaria eine Kristallvase geschenkt. Nun war es eine schöne Vase, herrlich geschliffen und funkelnd, aber auf eine Art und Weise geschliffen und funkelnd, die eher in eine Wohnung mit Antikmöbeln und Perserteppich gepasst hätte, aber nicht in Claus` Appartement, das eher von modernem japanischem und skandinavischem Design geprägt wird. Nun hatte aber Tante Hilaria schon eine sehr konkrete Vorstellung davon, wo man die Vase hinstellen könnte und genau an diesen Platz stellte sie sie bei ihrem Schenkbesuch auch hin: Den kleinen Tisch im Esszimmer nach einem Entwurf von Toru Shimizu, auf der die Vase wie die Faust aufs Auge passt. Claus nahm nach der Hilaria-Visite natürlich das Kristallding da weg, noch bevor er die Aschenbecher lehrte, die Gläser spülte und die Nüsschen versorgte, und stellte sie in einen Schrank.

Aus diesem Schrank wird sie nun immer hervorgeholt, wenn sich Tantchen ankündigt. Denn da man Tantchen nicht ärgern oder verletzen will, stellt man die Vase halt hin.

Neulich allerdings passierte die Katastrophe: Claus hatte die Wohnungstür offengelassen, um ein wenig Wind durch das Appartement zu jagen, was man bei Temperaturen bis 40° ja auch verstehen kann. Plötzlich stand Hilaria im Zimmer, blickte auf den Shimizu-Tisch und ahnte, dass ihr Geschenk immer nur bei ihren Besuchen dastand. Der folgende Krach war fulminant, ehrlich gesagt, der Siebenjährige Krieg war ein Spaziergang daneben, die Varusschlacht eine lockere Episode. Von seiner Tante wird mein Freund so schnell nichts hören, zum Glück ist er Topmanager und auf ein Erbe nicht angewiesen.

So weit, so gut.

Die Frage ist nun, auf welcher Seite stehen Sie? Oder stehen Sie auf beiden ein bisschen? Lassen Sie sich eines gesagt sein:
Wenn Sie nur ein Fünkchen Verständnis für die Tante haben, wenn Sie ein wenig, ein Eckchen mit ihr fühlen, wenn Sie nur eine Portion, eine Prise, wenn Sie nur eine Ration, eine Zeile, wenn Sie eine Wenigkeit Empathie haben…
Liegen Sie falsch.

Einem verschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.
Oder noch besser:
Einem verschenkten Gaul schaut man nicht mehr ins Maul.

Es ist verkehrt, ein Buch zu verschenken und dann jede Woche nachzufragen, ob der andere es schon gelesen hat, weil man unbedingt über den Charakter der Hauptfigur reden will, und dann sauer zu werden, weil der andere das Werk immer noch auf seinem Zu-lesende-Bücher-Stapel hat.
Es ist verkehrt, eine Quiche-Maschine zu verschenken und dann auf die Quiche-Einladung zu warten, denn es scheint ja sonnenklar, dass der Beschenkte irgendwann mit einer solchen Quiche-Einladung kommen wird, und dann hässig zu sein, wenn auch nach zwei Jahren die SMS Freitag Quiche Lorraine bei mir? nicht gekommen ist.
Es ist verkehrt ein Bild zu verschenken und gleich Hammer und Nagel mitzubringen und das Gemälde gleich an die Wand zu befestigen (sic).

Einem verschenkten Gaul schaut man nicht mehr ins Maul.

Gunda hat das Recht, die Autobiografie der Helene von Mammelsberg (1787–1845) nicht zu lesen, wenn sie sich für die Rokokozeit nicht interessiert.
Fritz hat das Recht, die Quiche-Maschine im Küchenschrank zu verstauen, wenn er selber keine warmen Teigsachen mag.
Ulla hat das Recht, Komposition 56 des Jungkünstlers Viti Botti (*2001) einfach als schlechte Kunst zu empfinden.

Einem verschenkten Gaul schaut man nicht mehr ins Maul.

Wie löst man nun aber diesen Knoten?
Am besten so: Schenken Sie nur Dinge, von denen Sie wissen, dass der oder die andere sich darüber freut und sie auch gut behandelt.
Eine Nachbarin besah sich neulich meine Wohnung. Am tollsten fand sie meine Pflanzen, und sie hätte unbedingt einen Ableger gewollt, aber nicht vom Papyrus oder meinen Wasserlilien, nein, ausgerechnet von meiner Dieffenbachie (siehe Post vom September 2019). Zum Glück sah sie nicht, dass da zwei kleine Ablegerlein wuchsen und sprach: „Von der da – da gibt es aber leider keine Ableger.“ Ich widersprach ihr nicht.
Warum?
Sie hätte den Ableger in einen viel zu kleinen Topf gesteckt und ihn dann vertrocknen lassen, ich kenne sie, und dann hätte ich mich geärgert und wir hätten Streit bekommen.

Einem verschenkten Gaul schaut man nicht mehr ins Maul.
Vielleicht wird ja auch Tante Hilaria auf den Trichter kommen und bei Claus nachfragen, was für eine Vase ihm gefallen könnte.
Und vielleicht steht dann irgendwann auf dem Japanertischchen eine Vase aus einer dänischen Manufaktur.

 

Freitag, 14. August 2020

Wie male ich eine Statistik?

Ein Freund von mir, der im Zweitstudium Anthropologie studiert, bittet mich, eine Arbeit freundschaftskorrekturzulesen (sic). Das Thema seiner Arbeit ist die Zahlenmässige Entwicklung lilaäugiger Menschen in der Schweiz. Huch, ich wusste gar nicht, dass es lilaäugige Menschen gibt, aber schon am Anfang belehrt mich da eine Statistik anderer Tatsachen: Das sind ja ganz schön viele, und die Zahl schwankt auch stark! Das denke ich, bis ich auf die Ordinate sehe: Das sind keine Schritte in 10%, auch nicht in 1%, nicht in Promille oder 1/10 Promille, sondern in 0,01 Promille. Der oberste Wert sind also 0.1 Promille. Ich bin seiner Grafik zunächst auf den Leim gegangen. Die Schwankung nach unten 2005 kann man exakt als den Moment sehen, als die lilaäugige Grossfamilie De Holouge die Schweiz verliess, eine Schwankung nach oben 2014 war der Moment, als der lilaäugige Oberrammler Vicu Jonäch in die Geschlechtsreife kam (und da er kondomverachtend ist, eine ganze Menge Nachwuchs zeugte…)

Ich glaube nur einer Statistik, die ich selbst gefälscht habe.
So oder ähnlich soll Winston Churchill gesagt haben. Man könnte aber den Satz auch anders formulieren:
Ich glaube nur einer Statistik, die ich selbst gezeichnet habe.
Denn Fälschen und Zeichnen kommen sich sehr nahe.

Ach, hallo Faktenchecker! Bist du auch wieder dabei? Gut, ich gebe zu die Story oben ist komplett erfunden, es gibt weder den Freund, noch die Familie De Holouge, noch den sexbesessenen Vicu. Aber jetzt kommen ein paar Dinge, die es wirklich gibt:

Als ich mit meinem Blog anfing, ging die Statistik, die alle Aufrufe aller Monate anzeigt, bis 1000. Als wir diese Marke überschritten, stand die Ordinate bei 2000 und inzwischen ist sie bei 3000 gesetzt. Das macht natürlich erhebliche Unterschiede, so ist ein Einbruch, wie es im Januar 2020 einen gab (wir machten Blogferien), grafisch umso eklatanter, desto höher die y-Achse geht. Die völlig gleichen Zahlen sehen völlig anders aus. Eine monatliche Zahl von Aufrufen wie 2976 sieht eben nur solange wie das Matterhorn aus, solange wir bei 3000 liegen, ist diese Marke geknackt und die Ordinate geht bis 4000, ist das natürlich wieder Mittelfeld.

Es wäre viel eindrucksvoller, eine solche Statistik kumulierend darzustellen. Das funktioniert dann so: Im ersten Monat haben Sie 344 Aufrufe, Sie zeichnen einen 3,44 Zentimeter hohen Balken; im zweiten Monat haben Sie 488 Aufrufe, Sie zeichnen… Nein, nicht einen 4,88 Zentimeter hohen Balken, sondern einen, der 8,32 Zentimeter misst. Sie zählen immer die Aufrufe, die Sie INSGESAMT erreicht haben. Also im dritten Monat dann nicht 5,77 Zentimeter für 577 Aufrufe, sondern 14,09 Zentimeter für die 1409 Aufrufe INSGESAMT. Eine kumulierende Darstellung ist immer imposant, sie ist ein Block, ein Monument, sie ist ein Plateau, ein Brocken, sie ist wuchtig, immens und gewaltig. Denn eine kumulierende Statistik kann natürlich nie abwärts gehen oder weniger werden, sie kann höchstens oben auf hohem Niveau verweilen.

Vergleichen Sie mal im Wikipedia-Artikel über Covid 19 in der Schweiz die Todesfälle-Zeichnungen: Kumulierend ist das enorm, pro Tag ganz, ganz müde, mit wenigen Tüpflein noch im August.

Ich glaube nur einer Statistik, die ich selbst gefälscht habe.
Soll Winston Churchill gesagt haben. Man könnte aber auch schreiben:
Ich glaube nur einer Statistik, die ich selbst gezeichnet habe.
Denn Fälschen und Zeichnen sind fast das Gleiche.

Sie alle kennen diese Rätselaufgaben:
A) Gelbes Quadrat im roten Quadrat
B) Rotes Quadrat im grünen Quadrat
C) Grünes Quadrat im gelben Quadrat
Welches der inneren Quadrate ist das grösste?
Sie sind alle gleich gross. Es ist eine sogenannte optische Täuschung, die uns vorgaukelt, es lägen irgendwelche Unterschiede vor.

Sehen Sie, und genau diesen Unterschied kann man sich jetzt beim Malen einer Statistik zunutze machen: Male ich den grösseren Balken blau und den kleineren rot? Oder umgekehrt? Welche Farbe bekommt das Kreissegment von 15%? Und welche Farbe bekommt der Rest? Je nach Einfärbung werden ganz unterschiedliche Wirkungen erzielt.

Ganz besonders nett ist natürlich auch, irgendwelche Symbole zu verwenden. So könnte man die Zunahme der Vegetarier mit Gemüsehaufen darstellen, nimmt man nun aber 1% = 1 Erbse, 1% = 1 Karotte, 1% = 1 Paprika oder 1% = 1 Rosenkohl? 30 Erbsen sehen natürlich nach viel weniger aus als 30 Paprikas.

Sehen Sie sich also vor, bevor sie Statistiken überfliegen.
Denn nur ganz böse Menschen fälschen diese. Die meisten tun sie zeichnen, und dann gilt:
Ich glaube nur einer S…

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 11. August 2020

Der Faktenchecker und Lukas 2

Gestern hatte ich einen schrecklichen Albtraum.

Ich leitete das Zeitgemässe Weihnachtsoratorium op. 34 eines jungen Komponisten.
Das Stück begann ganz traditionell mit dem Rezitativ eines Evangelisten (Tenor), das durch Orgel und Cello akkompagniert wurde:
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzet würde.
Nun sang der Chor eine Fuge, begleitet von Marimba, Sitar, Alphorn und Didgeridoo:
Faktenchecker, sei gepriesen!
Ist das alles auch bewiesen?
Nun kam der Faktenchecker zu Wort, ein vom Synthesizer begleiteter Sprecher:
Ein Makrozensus in der Amtszeit des Augustus ist durch keinen der römischen Historiker belegt.
Und wieder der Evangelist:
Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger von Syrien war.
Nun setzte wieder eine Chorfuge ein, zu den bisherigen Instrumenten traten noch Vuvuzela, Melodica, Hackbrett und Pferdegeige hinzu:
Faktenchecker, sprich!
Stimmt das oder nicht?
Der Faktenchecker kommentierte, wieder synthesizerbegleitet:
Es gab diesen Cyrenius, allerdings stimmt seine Amtszeit nicht mit der Herodes des Grossen überein.
Der Evangelist sang nun:
Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.
Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war.
Der Chor, nun choralartig, nur von 15 Gongs begleitet:
Faktenchecker, lies die Akten!
Sind das alles wirklich Fakten?
Der Faktenchecker:
Der Messias muss in Bethlehem zur Welt kommen, Jesus ist aber in Nazareth aufgewachsen, Lukas und Matthäus finden hier aber verschiedene Lösungen, beim anderen Evangelisten geht Josef, der Bethlehemiter erst nach dem Exil nach Nazareth.

Schweissgebadet wachte ich auf.
Und beim Morgenkaffee dachte ich, dass die permanente Jagd auf Fakenews ganz seltsame Blüten treiben könnte, ja, ich dachte auch den heiklen Satz, dass es eigentlich zu unseren demokratischen Grundrechten gehört, auch völligen Stuss reden zu dürfen.

Ich möchte, dass der alte Herr mit seinem Schild DIE ERDE IST EINE SCHEIBE weiter auf dem Markplatz stehen darf und eben dieses Schild hochhalten.
Ich möchte, dass der verwirrte Mitdreissiger weiter vor der Hauptpost stehen darf und schreien: «Ihr kommt alle in die Hölle! Es gibt sie! Es ist eine grosse Fabrikhalle in Offenbach am Main!» (…und wer Offenbach am Main kennt, weiss, dass der verwirrte Mitdreissiger gar nicht so verkehrt liegt…)
Ich möchte als gläubiger Mensch generell, dass Kirchen und religiöse Gemeinschaften ihre Botschaften verbreiten dürfen, denn – mal ganz ehrlich – enthält dieser Song nicht eigentlich eine Verschwörungstheorie:
He´s got the whole world in his hand / He´s got the whole world in his hand
He´s got the whole world in his hand / He´s got the whole world in his hand
Ich möchte auch, dass es weiter Werbung gibt. Denn da finden wir ja zu 100 % Fakenews. Wenn eine Pharmaklitsche behauptet, dass Nagelpilz durch das Auftragen eines Nagellackes einmal pro Woche (!) weggeht, dann ist das so unsinnig wie der Satz Erde-ist-Scheibe.

Stussreden ist ein Grundrecht. Sonst müssten 2/3 der Bevölkerung schweigen.

Was machen wir aber nun mit der Quatschflut? Prüfen. Prüfen. Prüfen. Aber selbst. Ich brauche keinen Faktenchecker.
Dass die Erde eine Scheibe ist, ist eine nette Theorie, sie widerspricht allerdings allen Daten, die wir bislang im Weltraum gesammelt haben.
Mit religiösen Dingen ist es schwieriger, das ist einfach Glaubenssache. Wenn Sie aber das mit der Hölle widerlegen wollen, dann könnte Sie ja sämtliche Fabrikhallen in Offenbach durchsuchen. Dazu müsste man aber mehrere Wochen in Offenbach verbringen, und das tut sich niemand an.
Und der Nagelpilz?
Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
Nein.
Fragen Sie nur Ihren Arzt, Ihr Apotheker verdient nämlich an dem nutzlosen Mittel. Und jeder Dermatologe, der seine Approbation nicht im Lotto gewonnen hat, wird Ihnen sagen, dass gegen Onychomykose nur orale Mittel helfen.

Nein, ich habe ein wenig Angst vor der Fakenews-Jagd.
Wissen die Checker, was eine Satire ist?
Ich habe im Februar 2014 behauptet, der wunderschöne Satz
A rose is a rose is a rose
ginge auf den Vollrausch eines Schriftsetzers zurück. Dieser Post fiele natürlich einer Fakenewsjagd zum Opfer.