Dienstag, 11. August 2020

Der Faktenchecker und Lukas 2

Gestern hatte ich einen schrecklichen Albtraum.

Ich leitete das Zeitgemässe Weihnachtsoratorium op. 34 eines jungen Komponisten.
Das Stück begann ganz traditionell mit dem Rezitativ eines Evangelisten (Tenor), das durch Orgel und Cello akkompagniert wurde:
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzet würde.
Nun sang der Chor eine Fuge, begleitet von Marimba, Sitar, Alphorn und Didgeridoo:
Faktenchecker, sei gepriesen!
Ist das alles auch bewiesen?
Nun kam der Faktenchecker zu Wort, ein vom Synthesizer begleiteter Sprecher:
Ein Makrozensus in der Amtszeit des Augustus ist durch keinen der römischen Historiker belegt.
Und wieder der Evangelist:
Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger von Syrien war.
Nun setzte wieder eine Chorfuge ein, zu den bisherigen Instrumenten traten noch Vuvuzela, Melodica, Hackbrett und Pferdegeige hinzu:
Faktenchecker, sprich!
Stimmt das oder nicht?
Der Faktenchecker kommentierte, wieder synthesizerbegleitet:
Es gab diesen Cyrenius, allerdings stimmt seine Amtszeit nicht mit der Herodes des Grossen überein.
Der Evangelist sang nun:
Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.
Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war.
Der Chor, nun choralartig, nur von 15 Gongs begleitet:
Faktenchecker, lies die Akten!
Sind das alles wirklich Fakten?
Der Faktenchecker:
Der Messias muss in Bethlehem zur Welt kommen, Jesus ist aber in Nazareth aufgewachsen, Lukas und Matthäus finden hier aber verschiedene Lösungen, beim anderen Evangelisten geht Josef, der Bethlehemiter erst nach dem Exil nach Nazareth.

Schweissgebadet wachte ich auf.
Und beim Morgenkaffee dachte ich, dass die permanente Jagd auf Fakenews ganz seltsame Blüten treiben könnte, ja, ich dachte auch den heiklen Satz, dass es eigentlich zu unseren demokratischen Grundrechten gehört, auch völligen Stuss reden zu dürfen.

Ich möchte, dass der alte Herr mit seinem Schild DIE ERDE IST EINE SCHEIBE weiter auf dem Markplatz stehen darf und eben dieses Schild hochhalten.
Ich möchte, dass der verwirrte Mitdreissiger weiter vor der Hauptpost stehen darf und schreien: «Ihr kommt alle in die Hölle! Es gibt sie! Es ist eine grosse Fabrikhalle in Offenbach am Main!» (…und wer Offenbach am Main kennt, weiss, dass der verwirrte Mitdreissiger gar nicht so verkehrt liegt…)
Ich möchte als gläubiger Mensch generell, dass Kirchen und religiöse Gemeinschaften ihre Botschaften verbreiten dürfen, denn – mal ganz ehrlich – enthält dieser Song nicht eigentlich eine Verschwörungstheorie:
He´s got the whole world in his hand / He´s got the whole world in his hand
He´s got the whole world in his hand / He´s got the whole world in his hand
Ich möchte auch, dass es weiter Werbung gibt. Denn da finden wir ja zu 100 % Fakenews. Wenn eine Pharmaklitsche behauptet, dass Nagelpilz durch das Auftragen eines Nagellackes einmal pro Woche (!) weggeht, dann ist das so unsinnig wie der Satz Erde-ist-Scheibe.

Stussreden ist ein Grundrecht. Sonst müssten 2/3 der Bevölkerung schweigen.

Was machen wir aber nun mit der Quatschflut? Prüfen. Prüfen. Prüfen. Aber selbst. Ich brauche keinen Faktenchecker.
Dass die Erde eine Scheibe ist, ist eine nette Theorie, sie widerspricht allerdings allen Daten, die wir bislang im Weltraum gesammelt haben.
Mit religiösen Dingen ist es schwieriger, das ist einfach Glaubenssache. Wenn Sie aber das mit der Hölle widerlegen wollen, dann könnte Sie ja sämtliche Fabrikhallen in Offenbach durchsuchen. Dazu müsste man aber mehrere Wochen in Offenbach verbringen, und das tut sich niemand an.
Und der Nagelpilz?
Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
Nein.
Fragen Sie nur Ihren Arzt, Ihr Apotheker verdient nämlich an dem nutzlosen Mittel. Und jeder Dermatologe, der seine Approbation nicht im Lotto gewonnen hat, wird Ihnen sagen, dass gegen Onychomykose nur orale Mittel helfen.

Nein, ich habe ein wenig Angst vor der Fakenews-Jagd.
Wissen die Checker, was eine Satire ist?
Ich habe im Februar 2014 behauptet, der wunderschöne Satz
A rose is a rose is a rose
ginge auf den Vollrausch eines Schriftsetzers zurück. Dieser Post fiele natürlich einer Fakenewsjagd zum Opfer.

 

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